Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Dolph Heyliger
eingestellt: 28.7.2007
In der frühesten Zeit der Provinz New-York, während sie unter der Tyrannei des englischen Statthalters Lord Cornburys schmachtete, der seine Grausamkeiten gegen die holländischen Bewohner so weit trieb, daß er keinem Dominie, oder Schulmeister, gestattete, ohne seine besondere Erlaubniß, in seiner vaterländischen Sprache zu lehren – zu dieser Zeit wohnte in der artigen,
kleinen alten Stadt der Manhattos eine freundliche, mütterliche Frau, unter dem Namen der Frau Heyliger bekannt. Sie war die Wittwe eines holländischen Schiffscapitäns, der plötzlich an einem Fieber gestorben war, weil er, zu einer Zeit, wo alle Einwohner, voll Schrecken, den Ort gegen den plötzlichen Ueberfall eines französischen Kapers zu befestigen eilten,1) zu übermäßig gearbeitet und zu stark gegessen hatte. Er
hinterließ ihr sehr wenig Geld, und einen unerwachsenen Sohn, das einzige überlebende von mehreren Kindern. Die gute Frau mußte sehr haushalten, um auszukommen und anständig zu leben. Da aber ihr Gatte als ein Opfer seines Eifers für die öffentliche Sicherheit gefallen war, gab man sich allgemein der Meinung hin, »daß Etwas für die Wittwe gethan werden müsse;« und in der Hoffnung auf dieses »Etwas« lebte sie einige
Jahre lang ganz erträglich; unterdessen bemitleidete sie Jedermann und sprach Gutes von ihr, und das half weiter.
Sie wohnte in einem kleinen Hause, in einer kleinen Straße, die Gartenstraße genannt, wahrscheinlich nach einem Garten, der zu einer oder der anderen Zeit da geblüht haben mochte. Da ihre Bedürfnisse mit jedem Jahre stiegen, und die Leute immer weniger von dem »Etwas für sie thun müssen« sprachen, mußte sie am
Ende selbst Etwas für sich thun, um ihre geringen Mittel zu vermehren, und ihre Unabhängigkeit zu behaupten, auf die sie etwas hartnäckig war.
Da sie in einer Handelsstadt lebte, hatte sie etwas von dem Geiste eines solchen Ortes erfaßt, und entschloß sich, Etwas in der großen Lotterie des Handels zu wagen. Plötzlich erschien daher, zum größten Erstaunen der ganzen Straße, an ihrem Fenster eine lange Reihe von
Pfefferkuchen-Königen und Königinnen, die Arme in die Seite gestemmt, nach der unveränderlichen königlichen Weise. Eben so waren da mehrere zerbrochene Biergläser, einige mit Zuckermandeln, andere mit Marmeln gefüllt; da waren ferner Kuchen von allerlei Art, Gerstenzucker, holländische Puppen, hölzerne Pferde, hie und da auch vergoldete Bilderbücher, und auch wohl ein Bündel Zwirn oder ein Pfund Lichter. An der Hausthür saß die
Katze der guten alten Dame, eine anständige, ehrbar aussehende Person, welche die Vorübergehenden zu mustern, Bemerkungen über ihre Kleidung zu machen, dann und wann ihren Hals auszurecken und mit plötzlich erwachter Neugier auszuschauen schien, was am andern Ende der Straße vorgehe: aber, wenn zufällig ein müßiger, herumtreibender Hund vorbeikam, und unartig sein wollte, – Heisa! – wie sich ihr Haar sträubte, wie sie brummte und
spuckte, und die Krallen zeigte! sie ward dann so böse, als nur eine betagte, häßliche Jungfer beim Herannahen irgend eines gottlosen Wüstlings es werden kann.
Obgleich aber die gute Frau Heyliger zu diesen niedrigen Mitteln des Fortkommens ihre Zuflucht hatte nehmen müssen, behielt sie dennoch ein Gefühl von Familienstolz, da sie von den Vanderspiegels aus Amsterdam abstammte; und hatte ihr Familienwappen, gemalt und in einen Rahmen
gefaßt, über ihrem Kamine hängen. In der That wurde sie aber auch von allen ärmeren Leuten im Orte sehr geachtet; ihr Haus war der Versammlungsort aller alten Weiber in der Nachbarschaft; sie pflegten im Winter des Nachmittags, wenn sie an dem einen Ende des Kamins saß und strickte, die Katze am andern schnurrte und der Theekessel vor demselben zischte, einzusprechen und schwatzten mit ihr bis spät in den Abend. Da war immer ein Lehnstuhl bereit für
Peter de Groodt, zuweilen der lange Peter, und zuweilen Peter Langbein genannt, den Kirchenschreiber und Küster der kleinen lutherischen Kirche, der ihr großer Freund und in der That das Orakel ihres Kamins war. Nein, der Dominie selbst hielt es nicht unter seiner Würde, dann und wann einzutreten, sich mit ihr über den Zustand ihrer Seele zu unterhalten, und ein Glas ihres besonders guten Kirschbranntweins zu trinken. Wahrlich, er verfehlte nie, am Neujahrstage sich
einzufinden, und ihr ein glückliches neues Jahr zu wünschen; und die gute Dame, welche in gewissen Punkten etwas eitel war, that sich immer sehr viel darauf zu gut, ihm einen so großen Kuchen gegeben zu haben, wie nur irgend Jemand in der Stadt.
Ich habe gesagt, daß sie einen Sohn hatte. Er war ihr einziges Kind; konnte aber kaum der Trost ihres Alters genannt werden, denn unter allen Jungen war Dolph Heyliger der gottloseste. Nicht als ob der
Springinsfeld wirklich boshaft gewesen wäre; er war nur voll von Späßen und Schnurren, und hatte das kecke neckende Wesen, das man bei den Kindern reicher Leute sehr angenehm, bei armen Kindern aber höchst unziemlich findet. Er zog sich beständig Händel zu; seine Mutter ward unaufhörlich über irgend einen losen Streich, den er hatte ausgehen lassen, mit Klagen bestürmt; Rechnungen über zerbrochene Fenster nahmen kein Ende, kurz, er hatte
noch nicht sein vierzehntes Jahr erreicht, als schon die ganze Nachbarschaft sagte, er sei »ein verwünschter Junge, der tollste Junge in der ganzen Straße!« Ja, ein alter Herr, in einem violetten Rocke und mit einem schmalen rothen Gesicht und Wieselaugen, ging so weit, daß er Frau Heyliger versicherte, ihr Sohn würde über kurz oder lang an den Galgen kommen.
Alles dessen ungeachtet liebte die arme alte Seele dennoch ihren Knaben. Es
schien, als ob sie ihn um so lieber habe, je tollere Streiche er ausführte; und daß er, je mehr er die Gunst der Uebrigen verlöre, desto größere Fortschritte in der ihrigen mache. Mütter sind thörichte, weichherzige Wesen; man kann sie durch keine Gründe von ihrer Verzärtelung abbringen; und, in der That, das Kind der armen Frau war das Einzige, was ihrem Herzen in dieser Welt übrig geblieben war: – wir müssen uns daher nicht
wundern, wenn sie ihren guten Freunden, die ihr zu beweisen suchten, Dolph würde einst sein Leben durch einen Strick einbüßen, taube Ohren zuwendete.
Aber um nicht ungerecht zu sein, der kleine Schelm hing auch mit großer Liebe an seiner Mutter. Er würde ihr, um keinen Preis, muthwillig Kummer verursacht haben, und hatte er etwas Unrechtes begangen, so war es hinreichend, sein Herz mit Kummer und Reue zu erfüllen, wenn er bemerkte, daß
seiner armen Mutter Auge gedanken- und kummervoll auf ihm ruhte. Allein er war ein leichtsinniger Bube, und konnte für sein Leben der Versuchung nicht widerstehen, Possen zu treiben und Unheil anzurichten. Obgleich er sehr leicht lernte, sobald er einmal dazu gebracht werden konnte, sich hinzusetzen, ließ er sich doch leicht von schlechter Gesellschaft verleiten, und ging hinter die Schule, um Vogelnester zu suchen, Obstgärten zu plündern oder auf dem Hudson zu
schwimmen.
So wuchs er zu einem großen, vierschrötigen Jungen auf und seine Mutter begann, sehr verlegen darüber zu werden, was sie mit ihm thun, oder wie sie es anfangen solle, daß er selbst etwas thäte; denn er hatte schon einen so ungünstigen Ruf, daß Niemand ihn zu irgend etwas gebrauchen zu wollen schien.
Sie pflog manche Berathungen mit Peter de Groodt, dem Kirchenschreiber und Küster, der ihr erster Rath war.
Peter war eben so verlegen, als sie selbst, denn er hatte keine große Meinung von dem Knaben, und glaubte, es würde kein gutes Ende mit ihm nehmen, Er gab ihr einst den Rath, sie solle ihn zur See gehen lassen; einen Rath, den man gewöhnlich nur in den verzweifeltesten Fällen gibt; allein Frau Heyliger wollte auf diesen Gedanken durchaus nicht eingehen und sagte, sie könne Dolph unmöglich so weit aus den Augen lassen. Eines Tages saß sie strickend an
ihrem Kamin, in großer Bedrängniß, als der Küster plötzlich mit ungewöhnlich lebhafter, freudiger Miene eintrat. Er kam gerade von einem Leichenbegängnisse. Es war das eines Knaben von Dolphs Jahren, der bei einem berühmten deutschen Doctor in der Lehre gewesen, und an der Schwindsucht gestorben war. Man raunte sich allerdings zu, der Knabe sei deßwegen gestorben, weil der Doctor an ihm seine Versuche gemacht, wenn er neue Mischungen oder
einen beruhigenden Trank erfunden hätte. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß dieß nur böser Leumund war; wenigstens hielt Peter de Groodt es nicht der Mühe werth, davon zu reden; obgleich, wenn wir Zeit zum Philosophiren hätten, es einen ganz eigenthümlichen Gegenstand der Betrachtung abgeben würde, zu untersuchen, warum die Familie eines Arztes immer so mager und leichenartig, die eines Schlächters dagegen so munter und frisch aussieht.
Peter de Groodt trat, wie ich vorhin gesagt habe, mit ungewöhnlicher Heiterkeit in das Haus der Dame Heyliger. Er war voll von einem glücklichen Gedanken, der ihm bei dem Begräbnisse in den Kopf gekommen war, und über den er bei sich wohlgefällig gelächelt hatte, während er die Erde auf das Grab des Schülers des Doctors hinunterschaufelte. Es war ihm eingefallen, daß, da die Stelle des Verstorbenen bei dem Doctor offen war, dieß
der rechte Platz für Dolph sei. Der Knabe hatte Talente und konnte im Mörser stoßen, und so gut wie nur ein Knabe in der Stadt Aufträge ausrichten; und was bedurfte es mehr für einen Studenten?
Dieser Einfall des weisen Peters eröffnete der Mutter eine glänzende Aussicht. Schon sah sie im Geiste Dolph mit einem Rohrstocke an der Nase, einem Thürklopfer an seiner Thür, und den Buchstaben M. D. hinter seinem Namen
– einem der Angesehensten in der Stadt.
Die Sache, einmal begonnen, war bald in Richtigkeit gebracht: der Küster hatte einigen Einfluß auf den Doctor, da sie ihren beiderseitigen Beschäftigungen sehr oft in Berührung kamen: und schon am nächsten Morgen kam er, um den Knaben, mit seinen Sonntagskleidern angethan, zu Dr. Karl Ludwig Knipperhausen zu führen, damit dieser denselben besichtige.
Sie fanden den Doctor
in einem Lehnstuhle, in einer Ecke seines Studirzimmers oder Laboratoriums, ein großes Buch mit deutscher Schrift vor sich. Er war ein kurzer, dicker Mann, mit einem schwarzen, viereckigen Gesichte, das durch eine Sammetmütze, die er trug, noch dunkler erschien. Er hatte eine kleine Stutznase, dem Pique-As nicht unähnlich, und eine Brille auf derselben, deren Gläser zu beiden Seiten seines schwärzlichen Gesichts wie ein Paar Erkerfenster hervorblitzten.
Dolph fühlte sich von Ehrfurcht durchdrungen, als er vor den gelehrten Mann trat, und blickte, mit kindischem Erstaunen, die Dinge an, welche in diesem Gemach des Wissens, das ihm wie die Höhle eines Zauberers erschien, sich seinen Augen darboten. In der Mitte war ein Tisch mit Klauenfüßen, auf welchem Mörser, Phiolen und Büchsen standen und worauf eine vergoldete Wagschale lag. An dem einen Ende stand ein schwerfälliger Kleiderschrank, welcher zur
Aufbewahrung von Arzeneien und Mischungen verwendet worden; an demselben hing des Doctors Hut und Mantel, sein Rohr mit goldenem Knopfe, und oben darauf grinzte ein Menschenschädel. Auf dem Kamingesimse waren gläserne Gefäße mit Schlangen und Eidechsen und ein menschlicher Fötus in Weingeist aufbewahrt. Ein Kabinet, dessen Thüren ausgenommen waren, enthielt drei Gestelle mit Büchern, unter welchen sich einige mächtige Folianten befanden: eine
Sammlung, wie sie Dolph noch nie gesehen hatte. Da indeß die Bibliothek nicht das ganze Kabinet einnahm, so hatte des Doctors sparsame Haushälterin den übrigen Raum durch Töpfe mit eingemachten Früchten angefüllt, und im Zimmer hingen, mitten unter den furchtbaren Werkzeugen der Heilkunde, Schnüre mit rothen Pfefferschoten und gewaltigen Gurken, für die Nachzucht sorgfältig aufbewahrt.
Peter de Groodt und sein Schützling
wurden von dem Doctor, der ein sehr weiser, würdevoller kleiner Mann war und niemals lächelte, mit großer Gravität und Förmlichkeit empfangen. Er betrachtete Dolph von oben bis unten, sah über und unter seiner Brille hinweg, und des armen Jungen Herz pochte gewaltig, als die großen Gläser ihn wie zwei Vollmonde anstarrten. Der Doctor hörte Alles, was Peter de Groodt zu Gunsten des jugendlichen Bewerbers hervorbrachte, an; und dann seinen Daumen
mit der Zungenspitze benetzend, fing er an, sehr bedächtlich Blatt vor Blatt in dem vor ihm liegenden Buche umzuwenden. Endlich, nach manchen Hms und Sos, und nachdem er sich mehrmals das Kinn gestrichen, und nach all der Zögerung und Bedächtlichkeit, womit ein weiser Mann sich endlich zu dem entschließt, was er gleich Anfangs zu thun beschlossen hat, willigte der Doctor ein, den Burschen als Lehrling anzunehmen; ihm Bett, Kost und Kleidung zu geben, und ihn in der
Heilkunde zu unterrichten; wofür er seine Dienste bis zum einundzwanzigsten Jahre in Anspruch nahm.
Sieh denn, so war unser Held auf einmal aus einem nichtsnutzigen Jungen, der auf den Straßen herumlief, in einen Studenten der Arzeneikunde umgeschaffen, der unter der Leitung des gelehrten Doctors Karl Ludwig Knipperhausen fleißig seine Mörserkeule handhabte. Es war für seine zärtliche alte Mutter eine sehr glückliche Veränderung. Sie
freute sich innig bei dem Gedanken, daß ihr Sohn seiner Vorfahren würdig erzogen werde; und sah schon im Geiste den Tag, wo er im Stande sein würde, es dem Advokaten, der in dem großen Hause gegenüber wohnte, oder vielleicht dem Dominie selbst, gleich zu thun.
Doctor Knipperhausen war in der Pfalz geboren, von wo aus er mit mehreren seiner Landsleute sich der Religionsverfolgung wegen nach England geflüchtet hatte. Er gehörte zu den
3000 Pfälzern, welche im Jahre 1710 unter dem Schutze des Statthalters Hunter aus England kamen. Wo der Doctor studirt, wie er seine ärztlichen Kenntnisse erlangt, und wo er sein Diplom erhalten, ist jetzt schwer anzugeben, denn damals schon wußte es Niemand; doch ist es gewiß, daß von seinen tiefen Kenntnissen und seiner geheimen Wissenschaft die gemeinen Leute weit und breit sprachen und sie bewunderten.
Seine Praxis war von der aller andern
Aerzte durchaus verschieden; sie bestand in geheimnißvollen Mischungen, die ihm allein bekannt waren, und bei deren Zubereitung und Darreichung er, wie man sagte, jedesmal die Sterne befragte. So groß war die Meinung, welche man von seiner Geschicklichkeit hatte, besonders unter den deutschen und holländischen Einwohnern, daß sie immer in verzweifelten Fällen zu ihm ihre Zuflucht nahmen. Er war einer von den untrüglichen Aerzten, welche immer
plötzliche, überraschende Kuren verrichten, wenn der Kranke von allen gewöhnlichen Aerzten aufgegeben worden ist; wenn nicht, wie sie wohlweislich bemerkten, zu lange gezögert wurde, ehe man ihnen denselben übergab. Die Bibliothek des Doctors war der allgemeine Unterhaltungs- und Bewunderungs-Gegenstand in der Nachbarschaft, ja, ich möchte sagen, in dem ganzen Flecken. Die guten Leute betrachteten nämlich mit Ehrfurcht einen Mann, der drei ganze Gestelle
voll Bücher durchgelesen hatte, von denen einige so groß wie eine Hausbibel waren. Unter den Mitgliedern der kleinen lutherischen Gemeine war schon mancher Streit entstanden, wer der weisere Mann sei, der Doctor oder der Dominie. Einige von seinen Bewunderern gingen sogar so weit, zu behaupten, er wisse mehr, als der Statthalter selbst – kurz, man war allgemein der Meinung, sein Wissen sei ohne Ende.
Kaum war Dolph Heyliger in des Doctors Familie aufgenommen,
als die Wohnung seines Vorgängers ihm eingeräumt ward. Dieß war eine Dachstube in dem mit steilem Dache gedeckten holländischen Hause, wo der Regen auf den Schindeln herabrasselte, der Blitz durch die Ritzen glänzte und der Sturm hindurchpfiff, und wo ganze Schwärme hungriger Ratten, wie Donsche Kosaken, Fallen und Rattengift zum Trotz, umher galoppirten.
Er war bald bis an die Ohren in den medizinischen Studien, denn er drehte Morgens, Mittags
und Abends Pillen, destillirte Tincturen, oder stieß an einem Ende des Laboratoriums in den Mörser; während der Doctor an dem andern, wenn er sonst nichts zu thun hatte oder Krankenbesuche erwartete, in seinem Schlafrocke saß, mit der Sammtmütze auf dem Kopfe, und über dem Inhalt irgend eines Folianten brütete. Es ist wahr, daß Dolphs regelmäßiges Mörser-Stampfen, oder vielleicht das einschläfernde Summen der Sommerfliegen,
dann und wann den kleinen Mann in einen sanften Schlummer wiegten, allein seine Brille wachte dann immer, und war eifrig auf das Buch gerichtet.
Es gab indessen noch eine zweite Person im Hause, welcher Dolph sich unterordnen mußte. Der Doctor stand nämlich, wenn gleich ein Junggeselle und ein Mann von großer Würde und Gewicht, wie viele andere weise Leute, unter dem Pantoffel. Er hing gänzlich von seiner Haushälterin ab, einer magern,
unruhigen, zänkischen Frau, die eine kleine, runde, gesteppte deutsche Mütze und ein gewaltiges klingendes Bund Schlüssel trug, welches an ihrer ungemein langen Taille befestigt war. Frau Ilse (oder Frow Ilsy, wie man es ausspricht) hatte den Doctor auf seinen verschiedenen Wanderungen, von Deutschland nach England und von England nach dieser Provinz, begleitet, sein Hauswesen und ihn selbst regiert, zwar über ihn mit sehr sanftem Scepter herrschend, dafür aber die
ganze übrige Welt desto strenger handhabend. Wie sie dieß Uebergewicht über ihn erlangt hatte, kann ich nicht sagen. Die Leute meinten zwar – aber was haben die Leute seit Anbeginn der Welt nicht gemeint? Wer weiß denn, wie Frauen immer zum Regiment gelangen? Ein Ehemann kann allerdings zuweilen Herr in seinem Hause sein; wer hat aber wohl je einen Junggesellen gekannt, der nicht von seiner Haushälterin regiert worden wäre?
Frau Ilses
Gewalt beschränkte sich freilich nicht auf des Doctors Haushalt. Sie war eine von den ausspürenden Basen, welche aller andern Leute Angelegenheiten weit besser, als diese selbst, kennen, und deren allsehende Augen und allerzählende Zungen die Schrecken einer ganzen Nachbarschaft sind.
Nichts, das nur irgend vom bösen Leumund in dieser kleinen Welt ruchbar wurde. blieb Frau Ilse unbekannt. Sie hatte ihren Haufen Gevatterinnen, die unablässig in ihr
kleines Wohnzimmer kamen, um ihr irgend eine herrliche Neuigkeit zu bringen; ja, sie konnte oft ein ganzes Buch von geheimen Geschichten hererzählen, während sie die Hausthür in der Hand hielt und mit einer dieser geschwätzigen Alten, der bittersten Decemberkälte zum Trotz, schwatzte.
Daß der arme Dolph zwischen dem Doctor und seiner Haushälterin ein gar beschwerliches Leben hinbrachte, läßt sich leicht denken. Da Frau Ilse die
Schlüssel führte und wörtlich Alles in Allem war, hätte ihr zu mißfallen sich der Gefahr aussetzen heißen, Hungers zu sterben, obgleich er es ungleich schwerer fand, ihren Charakter, als die Arzeneikunde selbst, zu studiren. Wenn er nicht im Laboratorium zu thun hatte, so mußte er bald da bald dorthin gehen, ihre Aufträge auszurichten, und am Sonntage sie nach und aus der Kirche begleiten und ihre Bibel tragen. Oft stand dann der arme Junge, vor
Kälte zitternd und sich auf die Finger hauchend, oder seine erfrorne Nase haltend, auf dem Kirchhofe, während Frau Ilse und ihre Gevatterinnen, in einen Haufen zusammengedrängt, dastanden und irgend einen guten Namen in Stücke rissen.
Bei all den großen Vortheilen machte Dolph nur sehr langsame Fortschritte in seiner Kunst. Die Schuld davon lag indessen nicht an dem Doctor, denn dieser gab sich unablässige Mühe mit ihm, hielt ihn
fleißig beim Mörser beschäftigt, oder auf dem Weg in die Stadt mit Medizingläsern oder Pillenschachteln; und wenn er je in seinem Diensteifer nachließ, wozu er wohl geneigt war, kam der Doctor in einen gewaltigen Zorn, und fragte ihn dann, ob er je sein Handwerk erlernen zu können glaube, wenn er nicht fleißiger studire. Die Wahrheit ist, daß Dolph noch immer die Liebe zu lustigen Streichen und Ränken hegte, die ihm in seiner Kindheit eigen
gewesen war; ja, die Neigung dazu hatte mit den Jahren noch zugenommen, und dadurch doppelte Kraft erlangt, daß sie unterdrückt und ihr Gewalt angethan worden war. Er wurde täglich unlenksamer, und verlor die Gunst in den Augen des Doctors und der Haushälterin zumal.
Mittlerweile trieb der Doctor sein Wesen fort und ward immer reicher und berühmter. Er war berüchtigt wegen seiner Behandlung solcher Krankheitsfälle, von denen in Büchern
gar nicht die Rede war. Er hatte mehrere alte Frauen und junge Mädchen von Bezauberung geheilt – einem gewaltigen Uebel, welches damals in der Provinz so herrschend war, als jetzt die Wasserscheu. Er hatte sogar ein derbes Bauernmädchen ganz wieder hergestellt, welches schon krumme Stecknadeln und Nähnadeln von sich gegeben hatte, was man für eine sehr verzweifelte Stufe der Krankheit hält. So raunte man sich auch zu, daß er im Besitz der Kunst sei,
Liebespulver zu bereiten, und liebesieche Kranke beider Geschlechter wandten sich deßwegen oft an ihn. Alle diese Fälle bildeten indessen den geheimen Theil seiner Praxis, wobei man sich, nach der hergebrachten Phrase, »unbedingt auf Ehre und Verschwiegenheit verlassen konnte.« Dolph mußte sich deßwegen aus dem Studirzimmer entfernen, sobald Rathfragende der Art kamen, obgleich man behaupten will, er habe von den Geheimnissen der Kunst mehr am
Schlüsselloche erlernt, als durch sein ganzes übriges Studium zusammengenommen.
Als des Doctors Reichthum sich mehrte, begann er auch daran zu denken, seine Besitzungen zu erweitern, und, wie andere große Leute, sich ein Landhaus, als seinen künftigen Wohnsitz auszuersehen. Zu dem Ende hatte er eine Meierei, oder wie die holländischen Ansiedler es nannten, eine bowerie, ein paar Meilen von der Stadt gekauft. Es war der Aufenthaltsort einer
reichen Familie gewesen, welche vor einiger Zeit nach Holland zurückgekehrt war. Mitten in der Besitzung stand ein großes Wohnhaus, das aber sehr verfallen war, und das, gewissen Gerüchten zufolge, den Namen des Spukhauses erhalten hatte. Entweder dieser Gerüchte oder des schlechten Zustandes der Besitzung wegen hatte der Doctor keinen Pächter bekommen können; und damit das Haus nicht ganz zerfallen möchte, hatte er, ehe er es selbst bewohnte, einen
Landmann mit seiner Familie in einen Flügel desselben einziehen lassen, mit der Vergünstigung, das Land gegen einen gewissen Antheil an dem Ertrage bebauen zu dürfen.
Der Doctor fühlte nun die ganze Würde eines Landgutbesitzers in sich erwachen. Er hatte ein wenig von dem Stolze deutscher Grundherren und betrachtete sich beinahe wie den Besitzer eines Fürstenthums. Er fing an, über das Lästige der Geschäfte zu klagen, und ritt gern
hinaus, »nach seinem Gute zu sehen.« Seine kleinen Ausflüge nach seinen Besitzungen wurden mit einem Geräusch und einem Prunk angestellt, welche in der ganzen Nachbarschaft großes Aufsehen machten. Sein glasäugiges Pferd stand eine volle Stunde, stampfend und die Fliegen abwehrend, vor dem Hause. Dann wurde des Doctors Mantelsack gebracht und aufgeschnürt; nach einer kleinen Weile kam Jemand mit dem Mantel, rollte ihn zusammen und band ihn an dem Sattel
fest; dann ward der Regenschirm auf den Mantel geschnallt; während mittlerweile ein Haufe zerlumpter Jungen, diese scharfbeobachtende Klasse von Geschöpfen, sich vor der Thür versammelte. Endlich erschien auch der Doctor, mit einem Paar Reiterstiefeln angethan, welche bis über die Kniee reichten und mit einem dreieckigen, vorn heruntergeklappten Hute. Da er ein kleiner dicker Mann war, brauchte er einige Zeit, um in den Sattel zu kommen; und wenn er darin war, dauerte es
wieder einige Zeit, bis der Sattel und die Steigbügel in die gehörige Ordnung gebracht waren, während dessen er sich an dem Erstaunen und der Bewunderung der jugendlichen Versammlung weidete. Selbst, wenn er schon weggeritten war, hielt er mitten in der Straße wieder an, oder trabte zwei bis drei Male zurück, um noch einige nachträgliche Befehle zu geben, auf welche entweder die Haushälterin an der Thüre, Dolph aus der Studirstube, die schwarze
Köchin aus dem Keller, oder das Hausmädchen aus dem Dachstubenfenster, antwortete, und gewöhnlich wurden ihm noch einige Worte nachgeschrieen, wenn er eben um die Ecke bog.
Die ganze Nachbarschaft kam durch diesen Pomp und alle diese Umstände in Bewegung. Der Schuhflicker lief von seinem Leisten; der Barbier steckte seinen frisirten Kopf, mit dem Kamme hinter dem Ohre, zum Fenster hinaus; eine Menge Leute sammelten sich an der Thür des Materialisten,
und von einem Ende der Straße bis zum andern hörte man sich zuraunen »der Doctor reitet auf sein Landgut hinaus!«
Dieß waren goldene Augenblicke für Dolph. Kaum war der Doctor aus dem Gesichte, als Mörser und Mörserkeule verlassen wurden: das Laboratorium mochte sehen, wie es fertig wurde, und der Student war über alle Berge, um irgend einen lustigen Streich auszuführen.
In der That muß man gestehen,
daß der Knabe, als er älter wurde, die Weissagung des alten violetten Herrn keineswegs Lügen strafen zu wollen schien. Er war der Rädelsführer bei allen Sonntags-Lustbarkeiten und bei jedem mitternächtlichen Lärm; bereit zu allen möglichen heillosen Streichen und tollen Abenteuern jeder Art.
Nichts ist so belästigend, als ein Held im kleinen Maßstabe, oder vielmehr, ein Held in einer kleinen Stadt. Dolph ward bald der
Schrecken aller schläfrigen, häuslichen, alten Bürger, welche den Lärm haßten und keinen Geschmack an Tollheiten fanden. Auch die ehrbaren Frauen hielten ihn für nichts Besseres, als für einen Ruchlosen, nahmen, sobald er sich nur sehen ließ, ihre Töchter unter ihre Flügel, und stellten ihn ihren Söhnen als ein warnendes Beispiel dar. Niemand schien etwas von ihm zu halten, ausgenommen die Wildfänge im Orte, welche durch sein
gerades, unternehmendes Wesen angezogen wurden, und die Neger, welche jeden müßigen, nichtsnutzigen jungen Menschen für eine Art von Gentleman halten. Selbst der gute Peter de Groodt, welcher sich immer als eine Art Beschützer des Knaben angesehen hatte, begann, an ihm zu verzweifeln, und schüttelte bedenklich den Kopf, wenn er einer langen Klage der Haushälterin zuhörte und ein Glas ihres Himbeerliqueurs hinunterschlürfte.
Dennoch
ließ sich die Mutter durch alle Unbändigkeit des Knaben weder von ihrer Vorliebe für ihn abbringen, noch sich durch die Erzählungen von dem durch ihn angerichteten Unheile, womit ihre guten Freunde sie fortdauernd erfreuten, entmuthigen. Sie genoß allerdings wenig von dem Vergnügen, das reichen Leuten zu Theil wird, ihre Kinder beständig loben zu hören; allein sie betrachtete alle diese Klagen als eine Art Verfolgung, welche sie zu erdulden habe,
und hatte den Knaben deßwegen nur um so lieber. Sie sah ihn zu einem stattlichen, großen, wohlaussehenden Jüngling heranwachsen, und betrachtete ihn mit dem heimlichen Stolze eines Mutterherzens. Es war ihr sehnlicher Wunsch, daß Dolph wie ein Gentleman einhergehen möchte, und alles Geld, das sie ersparen konnte, ging in seine Börse und auf seine Kleider. Oft sah sie ihm aus dem Fenster nach, wenn er so in seinem besten Anzuge aus dem Hause trat und ihr Herz
klopfte dann vor Vergnügen; und einst, als Peter de Groodt, dem des Jünglings stattliches Ansehn eines Sonntagsmorgens auffiel, sagte: »Nun, Dolph wird doch wirklich ein netter Bursche!« da trat die Thräne des Stolzes in ihr mütterliches Auge, und sie rief aus: »ja, Nachbar! Nachbar! sie mögen sagen, was sie wollen, der arme Dolph wird es noch mit den Besten unter ihnen aufnehmen!«
Dolph Heyliger hatte jetzt beinahe sein
einundzwanzigstes Jahr erreicht, und das Ende seiner ärztlichen Studien nahte heran; man muß aber gestehen, daß er wenig mehr von der Kunst wußte, als damals, wo er zuerst des Doctors Thüre betreten hatte. Dieß rührte aber nicht etwa von einem Mangel im Begreifen her, denn er verrieth eine wunderbare Fertigkeit, sich in anderen Fächern des Wissens, die er doch nur in Zwischenräumen studirt haben konnte, zu vervollkommnen. So war er zum
Beispiel ein trefflicher Schütz, und gewann alle Gänse und Truthühner an den Weihnachtsfeiertagen. Er war ein kecker Reiter; berühmt im Springen und Ringen; er spielte ziemlich gut die Geige; konnte schwimmen wie ein Fisch; und war der Beste beim Fünfball oder beim Kegelschieben.
Alle diese Talente gewannen ihm jedoch des Doctors Gunst nicht, der immer mürrischer und unduldsamer ward, je näher das Ende der Lehrzeit herankam. Auch Frau Ilse
fand beständig Veranlassung, einen Sturm zu erregen, der seine Ohren umbrauste; und sie begegnete ihm selten im Hause, ohne ihre Zunge in Bewegung zu setzen; so daß am Ende das Klingeln ihrer Schlüssel, wenn sie sich näherte, für Dolph ein Zeichen eben der Art war, wie es der Klang der Glocke des Souffleurs ist, wenn es auf dem Theater ein Donnerwetter geben soll. Nur die unerschöpfliche gute Laune des leichtsinnigen Jünglings machte es möglich,
daß er alle diese häusliche Tyrannei ohne offene Empörung ertrug. Es war augenscheinlich, daß der Doctor und seine Haushälterin sich anschickten, den armen Burschen aus dem Neste zu jagen, sobald nur seine Zeit vorüber sein würde; eine kurze Art, deren sich der Doctor bediente, um sich unnützer Schüler zu entledigen.
In der That, der kleine Mann war seit kurzem mehr als je dadurch verstimmt worden, daß sein Landgut ihm
allerhand Sorgen und Mühen verursacht hatte. Der Doctor wurde oft durch die Gerüchte und Erzählungen belästigt, welche von dem alten Hause im Umlaufe waren, und fand es schwer, den Landmann und seine Familie nur dahin bringen zu können, dort noch länger, selbst frei von Miethe, zu wohnen. Jedesmal, wo er auf die Meierei hinauskam, sah er sich durch irgend eine neue Klage über sonderbares Geräusch und furchtbare Erscheinungen belästigt, von denen
die Bewohner des Nachts beunruhigt worden waren, so daß er ärgerlich und tobend nach Hause kam und seine üble Laune an dem ganzen Haushalt ausließ. Dieß war in der That ein arger Kummer, der sowohl seinem Stolze als seiner Börse sehr fühlbar zu werden drohte. Er war in Gefahr, allen Nutzen von seinem Eigenthume einzubüßen, und dann, welche Demüthigung für einen Landgutbesitzer, der Inhaber eines Hauses zu sein, in welchem es spukte!
Man wollte jedoch die Bemerkung gemacht haben, daß der Doctor, bei all seinem Aerger über die erhobenen Klagen, sich nie dazu entschloß, selbst in dem Hause zu schlafen. Ja, man konnte es nie über ihn vermögen, nach dem Eintritt der Dunkelheit auf dem Gehöfte zu bleiben, sondern er machte, sobald die Fledermäuse in der Dämmerung zu schwirren begannen, sich schnell nach der Stadt auf. Die Wahrheit war, daß der Doctor selbst einen
heimlichen Glauben an Geister hegte, da er den früheren Theil seines Lebens in einem Lande zugebracht hatte, wo dieser besonders rege ist, und man trug sich mit der Sage, er hätte als Knabe einst den Teufel selbst auf dem Harzgebirge in Deutschland gesehen.
Endlich kam das Ungewitter, das so lange über des Doctors Haupt hing, zum Ausbruch. Eines Morgens, als er in seinem Studirzimmer über einem Buche nickte, ward er auf einmal durch das Hereintoben der
Haushälterin aus seinem Schlummer aufgestört.
»Das ist eine schöne Geschichte!« rief sie aus, indem sie in das Zimmer trat. »Da kommt Klaus Hopper, mit Kind und Kegel von der Meierei, und schwört hoch und theuer, daß er nichts mehr damit zu thun haben wolle. Die ganze Familie ist vor Schrecken außer sich; denn in dem alten Hause tobt und geht es dermaßen um, daß sie nicht ruhig in ihren Betten schlafen
können!«
»Donner und Blitz!« rief der Doctor ungeduldig; »werden sie denn mit dem Geschwätze von dem Hause nie aufhören? Welch einfältiges Volk, das sich durch einige Ratten und Mäuse aus einer guten Wohnung vertreiben läßt.«
»Nein, nein,« sagte die Haushälterin, sehr weise den Kopf schüttelnd, und ärgerlich, daß einer so echten Geistergeschichte kein Glaube
beigemessen wurde. »Dahinter steckt mehr. als Ratten und Mäuse. Die ganze Nachbarschaft spricht von dem Hause, und dann hat man Erscheinungen darin gesehen! Peter de Groodt erzählt mir, die Familie, von der Ihr das Haus gekauft, und die nach Holland ging, habe allerhand darüber fallen lassen, und gesagt, »sie wünsche Euch Glück zu dem Kaufe,« und Ihr wißt selbst, daß keine Familie darin wohnen will.«
»Peter de
Groodt ist ein Einfaltspinsel – ein altes Weib,« sagte der Doctor verdrießlich; »ich wette, er hat den Leuten alle die Geschichten in den Kopf gesetzt. Das ist eben so, wie der Unsinn von dem Geist, der auf dem Kirchthurme spukte und der ihm zur Entschuldigung dienen sollte, daß er nicht die Glocke in der kalten Nacht geläutet hatte, wo Harman Brinkerhoffs Haus abbrannte. Schickt mir den Klaus.«
Klaus Hopper erschien nun: ein
einfältiger Dorflümmel, ganz betroffen, sich in der Studirstube des Doctor Knipperhausen zu finden, und zu sehr außer Fassung, um über das, was ihn in Schrecken versetzt hatte, eine genauere Auskunft zu geben. Er stand da, seinen Hut in der Hand herumdrehend, bald auf dem einen, bald auf dem andern Beine ruhend, dann und wann den Doctor anblickend, und von Zeit zu Zeit einen scheuen Blick nach dem Todtenkopfe werfend, der ihn von dem Kleiderschrank herab anzugrinsen
schien.
Der Doctor versuchte alle Mittel, ihn zu bewegen, wieder nach seiner Meierei zurückzukehren; aber alles war vergebens; er blieb eigensinnig bei seinem Entschlusse, und gab am Ende eines jeden Beweisgrundes oder einer jeden Aufforderung, dieselbe kurze, unveränderliche Antwort: »ich kann nicht, Mynheer!« Der Doctor war ein »kleiner Topf, der bald überkocht;« und seine Geduld durch diesen beständigen Verdruß wegen seines
Guts bereits erschöpft. Klaus Hoppers eigensinnige Weigerung erschien ihm wie eine offenbare Empörung: seine Galle lief über, und Klaus war froh, sich zurückziehen zu können, um nur nicht die heiße Brühe auf den Kopf zu bekommen.
Als der Landmann in das Zimmer der Haushälterin trat, fand er hier Peter de Groodt und mehrere wahre Gläubige bereit, ihn zu empfangen. Hier suchte er sich für den Zwang zu entschädigen, den er
im Studirzimmer sich hatte anthun müssen, und eröffnete einen Sack Geschichten über das Spuk-Haus, welche alle seine Zuhörer in Erstaunen setzten. Die Haushälterin glaubte sie sämmtlich, wenn es auch nur dem Doctor zum Trotz gewesen wäre, weil er ihre Nachrichten so unfreundlich aufgenommen hatte. Peter de Groodt verglich sie mit mancher wunderbaren Erzählung aus den Zeiten der holländischen Herrschaft; wie z. B. von des Teufels Stufen; von
dem Seeräuber, der auf der Galgeninsel gehängt wurde, und noch eine ganze Nacht lang hing, nachdem der Galgen schon wieder niedergerissen worden war: und von dem Geiste des unglücklichen Statthalters Leisler, der wegen Verrätherei aufgehängt wurde und nun in dem alten Fort und dem Gouvernementshause spukte. Die Klatschgesellschaft ging endlich auseinander, jeder mit furchtbaren Geschichten beladen. Der Küster erleichterte sein Gewissen schon in einer
Kirchenvorsteher-Versammlung, welche an demselben Tage gehalten wurde; und die schwarze Köchin verließ ihre Küche, brachte den halben Tag am Straßenbrunnen, diesem Klatschplatze der Mägde, zu, Allen, die Wasser zu holen kamen, die Neuigkeit mittheilend. In kurzer Zeit war die ganze Stadt voll von dem, was sich im Spukhause zugetragen hatte. Einige sagten, Klaus Hopper habe den Teufel gesehen, während Andere zu verstehen gaben, das Haus werde von den Geistern
einiger der Patienten heimgesucht, welche der Doctor aus dieser Welt hinaus kurirt habe, und dieß sei die Ursache, warum er keine Nacht darin zuzubringen wage.
Alles dieß brachte den kleinen Doctor gewaltig in Harnisch. Er gelobte Jedem Rache, welcher, die Volksvorurtheile erregend, den Werth seines Grundstücks verringere. Er beklagte sich laut darüber, daß er durch bloße Popanze aus seinem Eigenthume verdrängt werde; beschloß aber
insgeheim, durch den Dominie den Teufel aus dem Hause treiben zu lassen. Groß war daher seine Freude, als, mitten in dieser Bedrängniß, Dolph sich erbot, in das Spukhaus zu ziehen. Der Bursche hatte die sämmtlichen Erzählungen Klaus Hoppers und Peter de Groodts mit angehört: er liebte Abenteuer, hing sehr am Uebernatürlichen, und seine Phantasie war durch diese wunderbaren Erzählungen ganz entflammt worden. Ueberdieß hatte er im Hause des
Doctors ein so unbehagliches Leben geführt; der unerträgliche Zwang des Frühaufstehens war ihm so zur Plage geworden, daß er über die Aussicht entzückt war, künftig ein Haus für sich zu haben, und wäre es auch von Gespenstern bewohnt. Sein Anerbieten ward freudig angenommen, und man beschloß, daß er noch diese Nacht den Posten besetzen solle. Die einzige Bedingung war, daß die Unternehmung vor seiner Mutter geheim gehalten
werden solle; denn er wußte, daß die arme Seele kein Auge schließen würde, wenn sie erführe, daß ihr Sohn mit den Mächten der Finsterniß einen Kampf wagen wolle.
Als die Nacht einbrach, machte sich Dolph auf den Weg zu dieser gefährlichen Unternehmung. Die alte schwarze Köchin, seine einzige Freundin im Hause, hatte ihm etwas zum Abendessen und ein Binsenlicht gegeben; und sie band ihm ein Amulet um den Hals, das sie von
einem afrikanischen Zauberer bekommen hatte und das als Schutzmittel gegen alle böse Geister dienen sollte. Der Doctor und Peter de Groodt, welcher letztere sich bereit erklärt hatte, ihn zu begleiten und zuzusehen, daß er glücklich dort einquartirt würde, begleiteten ihn auf seinem Wege. Der Himmel war umzogen, und es war sehr finster geworden, als sie die Umgebungen des Hauses erreichten. Der Küster ging mit der Laterne voran. Als sie die Akazien-Allee
hinuntergingen, streifte das schwankende Licht von Busch zu Busch und von Baum zu Baum, so daß der mannhafte Peter nicht wenig in Angst gerieth und sich auf seine Begleiter zurückzog; der Doctor umklammerte Dolphs Arm noch fester, und machte die Bemerkung, daß der Boden sehr schlüpfrig und uneben sei. Beinahe wären sie einmal durch eine Fledermaus, welche um die Laterne schwirrte, gänzlich in die Flucht geschlagen worden; und das Summen der Insecten in den
Bäumen und das Quacken der Frösche aus einem benachbarten Teiche bildeten zusammen ein sehr eintöniges, trauriges Concert.
Die Vorderthüre des Hauses öffnete sich mit einem lauten Knarren, das den Doctor leichenblaß machte. Sie traten in einen ziemlich großen Saal, wie man sie in amerikanischen Landhäusern häufig findet, und der bei warmem Wetter zum Wohnzimmer dient. Von da gingen sie eine breite Treppe hinauf, welche unter ihren
Tritten knarrte und ächzte, und wobei jede Stufe, wie die Taste eines Claviers, einen besondern Ton von sich gab. Sie führte zu einem zweiten Saale, im obern Stockwerk, aus welchem sie in das Zimmer kamen, worin Dolph schlafen sollte. Es war groß und dürftig möblirt; die Fensterladen waren geschlossen; da sie indessen in sehr schlechtem Zustande waren, mangelte es nicht an frischer Luft. Es schien das heilige Gemach gewesen zu sein, welches, bei den
holländischen Frauen, für das »beste Schlafzimmer« gilt, das man von allen im Hause am schönsten einrichtet, worin aber fast nie Jemand schlafen darf. Jetzt war aber sein Glanz dahin. Einige zerbrochene Möbel standen im Zimmer umher, in der Mitte aber ein schwerer Tisch von Fichtenholz und ein großer Lehnsessel, welche beide aus gleicher Zeit mit dem Gebäude selbst herzurühren schienen. Der Kamin war groß, und vorn mit holländischen
Ziegeln belegt, auf denen Geschichten aus der heiligen Schrift vorgestellt waren: einige davon waren jedoch herausgefallen und lagen zerstreut auf dem Herde umher. Der Küster hatte das Binsenlicht angezündet, und der Doctor, der sich furchtsam im Zimmer umsah, war eben im Begriff, Dolph zu ermahnen, gutes Muths zu sein, und sich ein Herz zu fassen, als ein Geräusch im Kamine, wie Stimmen und Handgemenge, dem Küster einen plötzlichen Schrecken einjagte. Er ergriff
mit der Laterne die Flucht; der Doctor folgte ihm hart auf dem Fuße; die Stufen der Treppen ächzten und knarrten, als sie hinunterstolperten, und vermehrten durch das Geräusch, das sie verursachten, nur ihre Angst und Eile. Die Vorderthüre schlug hinter ihnen zu, und Dolph hörte sie die Allee hinunterstolpern, bis sich der Ton ihrer Tritte in der Entfernung verlor. Daß er sich nicht ihrem übereilten Rückzuge anschloß, rührte vielleicht
daher, daß er etwas mehr Muth als seine Gesellschafter besaß, oder vielleicht daß er die Ursache ihres Schreckens halb und halb bemerkt hatte, nämlich ein Nest von Schwalben, welches in den Kamin herunterstürzte.
Nun sich selbst überlassen, verrammelte er die Hausthüre durch Riegel und Eisenstangen, und nachdem er gesehen, daß die übrigen Eingänge ebenfalls befestigt waren, kehrte er in sein einsames Zimmer zurück.
Als er sein Abendessen aus dem Korbe genommen, womit die gute alte Köchin ihn versehen, und es verzehrt hatte, verschloß er die Stubenthüre und legte sich auf eine Matratze in der Ecke des Zimmers nieder. Die Nacht war ruhig und still, und nichts unterbrach das tiefe Schweigen, als das eintönige Zirpen der Grille aus dem Kamin eines entfernten Zimmers. Das Binsenlicht, welches mitten auf dem fichtenen Tische stand, warf einen schwachen gelben Schein, das Zimmer matt
erleuchtend, und abenteuerliche Gestalten und Schatten an den Wänden aus den Kleidern bildend, welche Dolph über einen Stuhl geworfen hatte.
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