Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Der alte Soldat

eingestellt: 28.7.2007





Die Halle wurde vor einigen Tagen durch die Ankunft des Generals Harbottle in eine kleine Bewegung versetzt. Man hatte ihn schon seit einigen Tagen erwartet, und Mehrere von der Familie hatten seiner Erscheinung mit Ungeduld entgegengesehen. Meister Simon versicherte mich, daß ich den General »ungeheuer lieb« gewinnen würde. denn er sei ein Degen aus der alten Schule und ein vortrefflicher Tischgesellschafter. Auch Lady Lillycraft schien am Morgen vor der Ankunft des Generals einigermaßen in Unruhe zu sein, denn er war einer von ihren ersten Bewunderern gewesen; und sie erinnerte sich seiner nur als eines zierlichen jungen Fähnrichs, der so eben in die Hauptstadt gekommen war. Wirklich brachte sie eine Stunde länger bei ihrer Toilette zu, und zeigte sich mit ungewöhnlich sorgfältig frisirtem und gepudertem Haar, und einer stärkeren Lage Schminke. Eine kleine Ueberraschung und nicht wenig Verdruß waren daher sichtbar, als sie den schlanken, artigen Fähnrich in einen corpulenten alten General mit einem Doppelkinn verwandelt sah, obgleich es zum Malen war, ihre Begrüßung zu sehen, die Zierlichkeit ihres tiefen Knixes, und die Art der alten Schule, mit welcher der General seinen Hut abnahm, ihn zierlich schwenkte, und seinen gepuderten Kopf beugte.

All das Getöse und die Vorbereitungen hatten mich veranlaßt, den General mit etwas größerer Aufmerksamkeit zu beobachten, als dieß vielleicht sonst geschehen sein würde; und die wenigen Tage, welche er bereits auf der Halle zugebracht hat, haben mich, wie ich glaube, in den Stand gesetzt, dem Leser ein erträgliches Bild von ihm zu entwerfen.

Er ist, wie Meister Simon bemerkt hat, ein Soldat aus der alten Schule, mit gepudertem Kopfe, Seitenlocken und einem Zopfe. Sein Gesicht ist wie der Spiegel eines holländischen Kriegsschiffes geformt, oben schmal und unten breit, mit vollen rothen Backen und einem doppelten Kinn, so daß man, um nach der heutigen Art zu reden, seine Eß-Organe als ungemein vollständig entwickelt ansehen kann.

Der General, wenn gleich Veteran, hat doch sehr wenig von dem wirklichen Felddienst gesehen, die Einnahme von Seringapatam ausgenommen, welche eine Epoche in seiner Geschichte bildet. Er trägt einen großen Smaragd an seinem Busen, und einen Diamanten am Finger, die er bei dieser Gelegenheit bekommen, und wer immer unglücklich genug ist, einen von beiden ins Auge zu fassen, kann sicher sein, die ganze Geschichte der Belagerung hören zu müssen. Nach des Generals Unterhaltung zu urtheilen, ist die Einnahme von Seringapatam das wichtigste Ereigniß, das sich im letzten Jahrhundert zugetragen hat.

Beim Beginne des Krieges auf dem festen Lande beförderte man ihn rasch, damit er nicht jüngeren Offizieren von Verdienst im Wege sein möchte; nachdem man ihn bis zum Range eines Generals emporgehoben hatte, ward er bei Seite gelegt. Von dieser Zeit an haben sich seine Feldzüge vorzüglich auf die Badeorte beschränkt, wo er den Brunnen gegen einen leichten Anfall von Leberkrankheit braucht, den er aus Indien mitgebracht, und mit alten Wittwen, denen er in seinen jüngeren Tagen den Hof gemacht hat, Whist spielt. Ueberhaupt spricht er gern von den schönen Frauen des letzten halben Jahrhunderts, und, nach den Winken zu urtheilen, welche er hie und da gibt, hat er von mancher sich eines aufmunternden Lächelns zu erfreuen gehabt.

Er ist sehr gut mit dem Garnisons-Dienst bekannt, und kann fast von allen Orten erzählen, wo gute Quartiere sind, und die Einwohner gute Mittagsessen geben. Er ißt, wenn er in der Stadt wohnt, öfter, denn irgend Jemand, außer dem Hause, da man ihn gerne einlädt, wenn man seine Bekanntschaft gemacht hat. Eben so wird er auf die Landsitze eingeladen und kann, aus eigener Beobachtung, die Hälfte der Landhäuser im Königreich beschreiben; auch ist Niemand bewanderter im Hof-Geklatsch und bekannter mit den Stammbäumen und Wechselheirathen des Adels.

Da der General ein alter Hagestolz und ein alter Elegant ist, und mehrere Damen, namentlich seine ehemalige Flamme, Lady Jocelyne, sich in der Halle befinden, spielt er hier sehr den Angenehmen. Er bringt daher gewöhnlich einige Zeit bei seiner Toilette zu, und rückt jeden Morgen erst spät ins Feld, mit wohlfrisirtem und gepudertem Haar, und einer Rose im Knopfloche. Wenn er das Frühstück eingenommen, geht er im Sonnenschein auf der Terrasse auf und nieder, brummt ein Lied, hustet zwischen jeder Strophe, hat die eine Hand auf den Rücken gelegt, und setzt mit der andern abwechselnd seinen Stock auf den Boden und hebt ihn wieder zur Schulter empor. Sollte er auf diesen Morgenspaziergängen irgend einer von den älteren Damen aus der Familie begegnen, wie dieß häufig mit Lady Lillycraft der Fall ist, so hat er sogleich den Hut in der Hand, und das reicht hin, an die steifen Gruppen von Herrn und Damen auf den alten Kupferstichen von der Terrasse von Windsor oder dem Garten von Kensington zu erinnern.

Er spricht häufig vom »Dienst,« und brummt gern das alte Lied:

Wie, Soldaten, wie?
Was, Kinder, soll uns Melancholie?
Wie, Soldaten, wie?
Zum Sterben sind wir hie.

Ich kann indeß nicht finden, daß der General sich je großer Todesgefahr ausgesetzt habe, es sei denn durch einen Schlagfluß oder eine Unverdaulichkeit. Er bekrittelt alle auf dem festen Lande gelieferten Schlachten und erörtert die Verdienste der Befehlshaber, weiß aber am Ende immer die Unterhaltung auf Tippu Saib und Seringapatam zu bringen. Man hat mir gesagt, der General sei während des letzten Krieges ein wackerer Kämpe in Gesellschaftszimmern, auf Paraden und in den Bädern gewesen, und manche alte Dame habe, wenn die Furcht vor einer Landung Buonapartes sich ihrer bemeistert, mit Hoffnung und Vertrauen auf ihn hingeblickt.

Er ist vollkommen loyal, und findet sich, wenn er in der Hauptstadt ist, pünktlich bei den Levers ein. Manche merkwürdige Aeußerungen des verstorbenen Königs hat er aufgespeichert, namentlich eine, wo der König ihm bei einem Manöver eine Artigkeit über sein vortreffliches Pferd gesagt hat. Er preist die ganze königliche Familie, besonders aber den jetzigen König, den er für den ersten Mann von Ton, und für den besten Whistspieler in Europa erklärt. Der General flucht etwas mehr, als es jetzt gerade Mode ist; allein es war zur Zeit der alten Schule so gebräuchlich. Dagegen ist er sehr streng in Religionssachen, und ein eifriger Verfechter der herrschenden Kirche. Er wiederholt bei dem Gottesdienste die Antworten sehr laut, und betet mit Inbrunst für den König und die königliche Familie.

Bei Tisch wird mit der zweiten Flasche seine loyale Gesinnung sehr lebendig, und das Lied God save the King versetzt ihn in vollkommene Verzückung. Er ist mit dem jetzigen Zustande der Dinge überaus zufrieden, und wird leicht ein wenig unwillig bei jeder Aeußerung von allgemeinem Verfall und der Noth des Landmannes. Er sagt, er sei so viel als nur irgend Jemand im Lande umhergereist, und habe nichts als Wohlstand gesehen; und die Wahrheit zu sagen, er bringt einen großen Theil seiner Zeit damit zu, von einem Landsitz zum andern zu ziehen und in den Parks seiner Freunde umherzureiten. »Man spricht von der allgemeinen Noth,« sagte er einmal bei Tische zu mir, während er ein Glas trefflichen Burgunders hinunter schlürfte, und seine Augen auf die reichbesetzte Tafel warf: »man spricht von allgemeiner Noth, aber, Sir, wo ist sie denn? ich sehe nichts davon. Ich sehe nirgends einen Grund zu Klagen. Glaubt mir auf mein Wort, das Gerede über die allgemeine Noth ist dummes Zeug!«

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