Frei Lesen: Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

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Die Reise | Befehlshaberschaft der Alhambra | Das Innere der Alhambra | Der Thurm der Comares | Gedanken über die maurische Herrschaft in Spanien | Die Haushaltung | Der Flüchtling | Des Verfassers Gemach | Die Alhambra im Mondlichte | Bewohner der Alhambra | Der Löwenhof | Boabdil el Chico | Erinnerungen an Boabdil | Der Balcon | Das Abentheuer des Maurers | Ein Spaziergang auf die Hügel | Örtliche Sagen | Das Haus des Wetterhahns | Sage von dem arabischen Astrologen | Der Thurm der Prinzessinnen | Sage von den drei schönen Prinzessinnen | Besucher der Alhambra | Sage vom Prinzen Ahmed al Kamel, oder der Liebespilger | Sage von des Mauren Vermächtniß | Sage von der Rose der Alhambra, oder der Page und der Geierfalke | Der Veteran | Sage von dem Statthalter und dem Notar | Statthalter Manco und der Soldat | Sage von den zwei verschwiegenen Statüen | Muhamed Abu Alahmar | Yusef Abul Hagig |

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Washington Irving

Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

Boabdil el Chico

eingestellt: 28.6.2007





Meine Unterhaltung mit dem Mann in dem Löwenhofe veranlaßte mich, über das seltsame Schicksal Boabdils nachzudenken. Seine Unterthanen nannten ihn »el Zogoybi« oder »der Unglückliche« und nie war ein Beiname besser angewendet. Sein Unglück begann fast in der Wiege. In seiner zarten Jugend wurde er von einem unmenschlichen Vater gefangen, und mit dem Tode bedroht, dem er nur durch eine List seiner Mutter entging; in spätern Jahren wurde sein Leben durch die Feindseligkeiten eines eroberungssüchtigen Oheims verbittert und öfter gefährdet; seine Regierung wurde durch Einfälle von außen und durch Entzweiungen im Innern beunruhigt; er war abwechselnd der Feind, der Gefangene, der Freund und immer der Spielball Ferdinands, bis die vereinte List und Macht dieses treulosen Königs ihn besiegte und entthronte. Verbannt aus seinem Heimathlande flüchtete er zu einem Fürsten Afrikas, und fiel ruhmlos in einer Schlacht, für die Sache eines Fremden fechtend. Sein Unglück hörte aber noch nicht mit seinem Tode auf. Wenn Boabdil den Wunsch hegte, in der Geschichte ehrenvoll genannt zu werden, – wie grausam wurde er dann in seinen Hoffnungen getäuscht! Wer hat der romantischen Geschichte der maurischen Herrschaft in Spanien die geringste Aufmerksamkeit gewidmet, ohne bei der angeführten Abscheulichkeit Boabdils vor Zorn zu erglühen? Wen haben die Leiden seiner lieblichen und holden Gemalin, welche er, auf eine falsche Anklage der Untreue, zu einer Probe auf Leben und Tod verurtheilte, nicht gerührt? Wen hat es nicht empört, daß er in einem Anfall von Zorn seine Schwester und seine zwei Kinder umgebracht haben sollte? Wem hat das Blut nicht gekocht bei dem unmenschlichen Morde der tapfern Abencerragen, die er, der Erzählung zufolge, sechs und dreißig an der Zahl, in dem Löwenhof enthaupten ließ? Alle diese Anklagen sind in mannigfachen Formen wieder zum Vorschein gebracht worden; sie gingen in Balladen, Dramen und Romanzen über, bis sie in dem Gemüthe des Publikums zu fest Wurzel gefaßt hatten, als daß man sie hätte vernichten können. Jeder Fremde von Bildung, der die Alhambra besucht, fragt nach dem Brunnen, wo die Abencerragen gemordet worden; und blickt mit Schrecken auf die vergitterte Galerie, wo, der Sage nach, die Königin gefangen saß; jeder Bauer der Vega und der Sierra singt die Geschichte in rohen Strophen zur Begleitung seiner Guitarre, während seine Zuhörer selbst den Namen Boabdils verwünschen lernen.

Nie jedoch wurde ein Mann schmähliger und unbilliger verläumdet. Ich habe alle authentischen Chroniken und Briefe untersucht, welche von Spaniern, den Zeitgenossen Boabdils, geschrieben wurden; manche derselben besaßen das Vertrauen des katholischen Herrscherpaars, und waren während des ganzen Krieges in dem Lager gegenwärtig gewesen. Ich habe alle arabische Quellen, welche ich vermittelst Uebersetzungen benutzen konnte, geprüft, und kann nicht finden, was diese schwarze und gehässige Anklage rechtfertigt. Das ganze dieser Erzählungen läßt sich auf ein Werk zurückführen, was gewöhnlich den Titel hat: »die bürgerlichen Kriege von Granada,« und eine angebliche Geschichte der Streitigkeiten der Zegries und Abencerragen während der letzten Zuckungen der maurischen Herrschaft enthält. Dieses Werk erschien ursprünglich in spanischer Sprache, und sollte von einem Gines Perez de Hila, einem Eingebornen von Murcia, aus dem Arabischen übertragen seyn. Es wurde seitdem in mehrere Sprachen übersetzt, und Florian hat vieles in seinem Gonsalvo von Cordova daraus genommen; seitdem hat es in gewissem Grad das Ansehen eines wirklichen Geschichtswerkes in Anspruch genommen, und wird gewöhnlich von dem Volk, besonders aber von den niedern Klassen Granadas, geglaubt. Das ganze ist jedoch eine Masse von Dichtungen mit wenigen entstellten Wahrheiten vermischt, welche ihm das Ansehen geschichtlicher Treue geben. Es enthält innere Proben seiner Falschheit, indem die Sitten und Gebräuche der Mauren darin auf das übertriebenste entstellt, und Begebenheiten geschildert werden, welche ganz unverträglich sind mit ihren Gewohnheiten und ihrem Glauben, und von einem mohamedanischen Schriftsteller nie berichtet worden wären.

Ich gestehe, es scheint mir in den absichtlichen Verdrehungen dieses Buches etwas fast Verbrecherisches zu liegen: man muß der romantischen Dichtung ohne Frage einen großen Spielraum zugestehen; allein es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf, und die Namen ausgezeichneter Todten, welche der Geschichte angehören, dürfen nicht mehr verläumdet werden, als die berühmten Lebenden. Auch hätte man denken sollen, der unglückliche Boabdil habe wegen seiner zu rechtfertigenden Feindseligkeit gegen die Spanier genug gebüßt, da er seines Thrones beraubt worden, und man brauche seinen Namen nicht noch so muthwillig zu beflecken, und ihn zu einem Schimpfwort und zum Gegenstande der Schmach in seinem Heimathland und selbst in der Wohnung seiner Väter zu machen!

Damit soll nicht behauptet werden, daß die Handlungen, welche Boabdil zugeschrieben werden, ohne alle historische Begründung sind; so weit man ihnen aber folgen kann, scheinen sie von seinem Vater, Aben Hassan, ausgegangen zu seyn, der sowohl von christlichen [als auch] arabischen Geschichtschreibern als ein Mann von wildem und grausamem Charakter geschildert wird. Er war es, der das berühmte Geschlecht der Abencerragen morden ließ, weil er sie im Verdacht einer Empörung hatte, durch die er von seinem Thron gestoßen werden sollte.

Auch die Geschichte der Beschuldigung gegen die Gemalin Boabdils und ihrer Einkerkerung in einen der Thürme, läßt sich als ein Begebniß in dem Leben seines tigerherzigen Vaters nachweisen. Aben Hassan heirathete in seinen vorgerückten Jahren noch eine schöne christliche Gefangene von edler Abkunft, welche den maurischen Namen Zorayde annahm, und mit der er zwei Söhne hatte. Sie war von ehrgeizigem Charakter, und bemüht, ihren Kindern die Nachfolge auf dem Throne des Vaters zu sichern. Zu diesem Zwecke wirkte sie auf das argwöhnische Gemüth des Königs, und entflammte ihn mit Eifersucht gegen die Kinder seiner andern Weiber und Beischläferinnen, die sie der Anschläge gegen seinen Thron und sein Leben bezüchtigte. Einige derselben wurden von dem wilden Vater ermordet. Ayxa la Horra, die tugendhafte Mutter Boabdils, welche einst die ganze Liebe seines Herzens besessen hatte, wurde gleichfalls ein Gegenstand seines Verdachtes. Er sperrte sie und ihren Sohn in den Thurm des Comares, und hätte Boabdil seiner Wuth geopfert, wenn ihn seine Mutter nicht des Nachts vermittelst ihrer und ihrer Dienerinnen Schärpen vom Thurme gelassen, und so in den Stand gesetzt hätte nach Guadix zu flüchten.

Dieß ist der einzige Schatten einer Begründung der Geschichte der angeklagten und gefangenen Königin, den ich auffinden konnte, und nach diesem erscheint Boabdil als der Verfolgte, nicht aber als der Verfolger.

Während des ganzen Zeitraums seiner kurzen, stürmischen und unglücklichen Herrschaft, gibt Boabdil Beweise eines milden und freundlichen Charakters. So gewann er sich durch seine leutseligen und anmuthigen Sitten die Herzen des Volkes, war stets friedfertig, und ließ diejenigen, welche sich gegen ihn empört, niemals die Strenge seines Armes fühlen. Er war persönlich tapfer, allein es fehlte ihm an moralischem Muthe, und in schwierigen und wirren Zeiten war er schwankend und unentschlossen. Diese Schwäche seines Geistes beschleunigte seinen Fall, während sie ihn jener heroischen Grazie beraubte, welche seinem Schicksale Größe und Würde gegeben, und ihn werth gemacht hätte, das glänzende Drama der mohamedanischen Herrschaft in Spanien zu schließen.

< Der Löwenhof
Erinnerungen an Boabdil >



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