Frei Lesen: Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

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Kapitelübersicht

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Washington Irving

Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

Besucher der Alhambra

eingestellt: 28.6.2007





Es sind nun fast drei Monate vergangen, seit ich meine Wohnung in der Alhambra aufschlug; das Vorschreiten der Jahreszeit hat seitdem viele Veränderungen hervorgebracht. Als ich hier ankam, war alles in der Frische des Mais; das Laub der Bäume war noch zart und durchsichtig; die Granate hatte ihre glänzende hochrothe Blüthe noch nicht abgestreift; die Fruchtgärten am Xenil und Darro standen in voller Blüthe; die Felsen waren mit wilden Blumen behangen und Granada schien vollkommen von einer Wildniß von Rosen umgeben, unter welchen unzählige Nachtigallen nicht nur Nachts, sondern den ganzen Tag hindurch sangen.

Der vorrückende Sommer hat die Rosen welk und die Nachtigallen stumm gemacht, und das entferntere Land beginnt dürr und versengt auszusehen; aber unmittelbar um die Stadt und in den tiefen engen Thälern am Fuße der schneebekappten Berge herrscht eine ewige Grüne.

Die Alhambra hat Plätzchen, welche der zunehmenden Hitze des Sommers angepaßt und unter denen die fast unterirdischen Badezimmer am merkwürdigsten sind. Diese bewahrten noch ihren alten orientalischen Charakter, obgleich die Spuren des Verfalls leider auch hier sichtbar werden. Am Eingang, der in einen kleinen, früher mit Blumen gezierten Hof führt, ist ein Saal, der nicht sehr geräumig, aber leicht und anmuthig gebaut ist. Man kann ihn von einer kleinen Galerie übersehen, die von Marmorsäulen und maurischen Bogen getragen wird. Ein Alabaster-Brunnen in der Mitte des Pflasters hebt noch seine Wasserstrahlen empor, um den Ort zu kühlen. Auf jeder Seite sind tiefe Alkoven mit erhöhtem Boden, wo die aus dem Bade Kommenden sich auf üppige Kissen legten und durch den Duft der gewürzreichen Luft und die sanften Musiktöne von der Galerie in wollüstige Ruhe gewiegt wurden. Jenseits dieses Sälchens sind die inneren noch heimlicheren und abgeschlosseneren Zimmer, in welche das Licht nur durch kleine Oeffnungen in die gewölbten Decken eindrang. Hier war das Allerheiligste der weiblichen Einsamkeit, wo die Schönheiten des Harems sich der Ueppigkeit der Bäder überließen. Ein sanftes, mysteriöses Licht herrscht allum; die zerbrochenen Bäder sind noch da, so wie Spuren der alten Eleganz. Das durchgehends herrschende Schweigen und Dunkel hat diese Gemächer zum Lieblingsaufenthalt der Fledermäuse gemacht, welche während des Tages in den dunkeln Ecken und Winkeln nisten und, wenn sie aufgescheucht werden, geheimißvoll in den dämmernden Zimmern umherfliegen, und das Verfallene und Verlassene derselben in einem unsäglichen Grade vermehren.

In diesem kühlen und zierlichen, obgleich verfallenen Raum, welcher die Frische und Abgeschlossenheit einer Grotte hat, brachte ich in der letzten Zeit die warmen Stunden hin und ging erst gegen Sonnenuntergang heraus; in der Nacht aber nahm ich in dem großen Wasserbehälter des Haupthofes ein Bad. Auf diese Weise war ich im Stand, den erschlaffenden und entnervenden Einfluß des Klimas einigermaßen abzuwehren.

Aber mein Traum von absoluter Herrschaft ist zu Ende. Ich wurde kürzlich aus demselben durch den Knall von Feuergewehren aufgeschreckt, welcher an den Thürmen wiederhallte, als wenn das Schloß durch Ueberrumpelung genommen worden wäre. Als ich heraus eilte, fand ich einen alten Cavalier mit einer Anzahl Bedienten im Besitz des Gesandten-Saals. Er ist ein alter Graf, welcher aus seinem Palast zu Granada herausgekommen ist, um eine kurze Zeit der reineren Luft wegen in der Alhambra hinzubringen, und der, als ein alter und eingefleischter Jäger, bemüht war, seinen Appetit für das Frühstück zu schärfen, indem er von den Balkons Schwalben schoß. Es war ein harmloses Vergnügen, denn obgleich er durch die Raschheit seiner Leute im Laden der Gewehre in den Stand gesetzt war, ein lebhaftes Feuer zu unterhalten, konnte ich ihn doch nicht des Todes einer einzigen Schwalbe anklagen. Ja, die Vögel schienen selbst Freude an der Sache zu haben und seines Mangels an Geschick zu spotten, indem sie in Kreisen nahe an den Balkons umherschwärmten und beim Vorbeistreichen zwitscherten.

Die Ankunft dieses alten Herrn hat das Ansehen der Dinge einigermaßen geändert, aber auch Stoff zu angenehmen Betrachtungen gegeben. Wir haben schweigend die Herrschaft unter uns getheilt, gleich den letzten Königen von Granada, nur daß wir einen höchst freundschaftlichen Bund unterhalten. Er herrscht unbeschränkt über den Löwenhof und die anstoßenden Säle, während ich in friedlichem Besitz der Gebiete der Bäder und des kleinen Gartens der Lindaraxa bleibe. Wir nehmen unsere Mahlzeiten gemeinschaftlich unter den Arkaden des Hofes ein, wo die Brunnen die Luft abkühlen und sprudelnde Bächlein die Rinnen des Marmorbodens entlang laufen.

Am Abend sammelt sich ein häuslicher Kreis um den würdigen alten Herrn. Die Gräfin kömmt mit einer Lieblings-Tochter von ungefähr sechszehn Jahren aus der Stadt herauf. Sodann finden sich hier die Bediensteten des Grafen ein, der Kaplan, der Anwald, der Schreiber, der Haushofmeister und andere Offizianten und Geschäftsleute seiner ausgedehnten Besitzungen. So hält er eine Art Privat-Hof, wo Alle zu seiner Unterhaltung beizutragen suchen, ohne ihr Vergnügen und ihre Selbstachtung zu opfern. Warlich, was man auch von dem spanischen Stolze sagen mag, dem geselligen oder häuslichen Leben bleibt er gewiß fern. Unter keinem Volke sind die Verhältnisse zwischen Verwandten herzlicher, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen freier und natürlicher; in diesen Beziehungen hat das Leben in den Provinzen Spaniens vieles von der gerühmten Einfalt der alten Zeiten beibehalten.

Jedoch das anziehendste Glied dieser Familien-Gruppe ist die Tochter des Grafen, die reizende, obgleich fast kindliche kleine Carmen. Ihre Gestalt hat ihre Reife noch nicht erlangt, besitzt aber schon das ausgezeichnete Ebenmaß und die geschmeidige Grazie, welche in diesem Lande so vorherrschen. Ihre blauen Augen, ihre schöne Gesichtsfarbe, ihr blondes Haar sind in Andalusien ungewöhnlich und geben ihrem Wesen eine Milde und Holdseligkeit, welche mit dem gewöhnlichen Feuer der spanischen Schönen kontrastirt, aber mit der arglosen und vertrauensvollen Unschuld ihrer Sitten vollkommen übereinstimmt. Sie hat überdies die ganze eingeborne Geschicklichkeit und Gewandtheit ihrer bezaubernden Landsmänninnen und singt, tanzt, und spielt die Guitarre bewundernswürdig.

Der Graf gab wenige Tage nach seinem Einzuge in die Alhambra an seinem Namenstag ein kleines Fest, zu welchem er die Glieder seiner Familie und seines Haushalts um sich versammelte, während mehrere alte Diener von seinen entfernten Gütern kamen, um ihm ihre Verehrung zu beweisen und an dem guten Mahle Theil zu nehmen. Diesen patriarchalischen Geist, welcher den spanischen Adel zur Zeit seines Reichthums charakterisirte, hat mit ihrem Vermögen abgenommen; aber einige, die, wie der Graf, ihre alten Familiengüter noch besitzen, behalten ein wenig von der alten Sitte bei und lassen ihre Güter von der Nachkommenschaft müßiger Insassen überschwemmen und fast aufzehren. Zufolge dieser großartigen altspanischen Sitte, an welcher Edelmuth und Nationalstolz gleich Theil haben, wurde ein veralteter Diener nie entlassen, sondern erhielt eine Anstellung für seine übrige Lebenszeit; ja, seine Kinder und Kindeskinder, und oft seine Verwandten, links und rechts, fielen allmählich der Familie zu. Daher waren die großen Paläste des spanischen Adels, welche ein solches Aussehen von leerem Prunke haben, wenn man ihre Ausdehnung mit der Mittelmäßigkeit und Spärlichkeit der Möbel vergleicht, in den goldenen Tagen Spaniens den patriarchalischen Sitten ihrer Besitzer zufolge durchaus nothwendig. Sie waren wenig besser als große Kasernen für die erblichen Geschlechter von Anhängern, welche sich auf Kosten eines spanischen Edlen mästeten. Der würdige alte Graf, der in verschiedenen Theilen des Königreichs Güter hat, versicherte mich, daß manche derselben blos die Schaaren solcher dort eingenisteten Insassen ernährten, welche sich für berechtigt hielten, freie Wohnung auf dem Gute anzusprechen, weil es mit ihren Vorfahren seit mehreren Geschlechtern so gehalten worden.

Das Familien-Fest des Grafen unterbrach das gewöhnliche Still-Leben der Alhambra; Musik und Gelächter hallte in ihren sonst so stillen Sälen wieder; Gruppen von Gästen unterhielten sich auf den Galerien und in den Gärten, und geschäftige Diener ans der Stadt eilten durch die Höfe und trugen Gerichte in die alte Küche, welche wieder von den Tritten der Köche und Mägde lebendig ward und vom ungewohnten Feuer erglänzte.

Das Fest, denn ein vollständiges spanisches Mittagessen ist ein Fest, wurde in dem schönen maurischen Saal gegeben, »La Sala de las dos Hermanas« (Saal der zwei Schwestern) genannt; die Tafel dröhnte unter der Fülle der Speisen und eine fröhliche Geselligkeit herrschte um den Tisch; denn obgleich die Spanier gewöhnlich ein enthaltsames Volk sind, so sind sie doch bei einem Feste vollkommne Schmauser. Für mich selbst war etwas eigenthümlich Anziehendes darin, bei einem Mahle zu sitzen, das in den königlichen Sälen der Alhambra von dem Stellvertreter eines ihrer berühmtesten Eroberer gegeben wurde; denn der ehrwürdige Graf stammt, obgleich er selbst nicht kriegerischen Geistes ist, in grader Linie von dem »großen Feldherrn,« dem berühmten Gonsalvo de Cordova ab, dessen Schwert er in den Archiven seines Palastes zu Cordova aufbewahrt.

Als das Mahl geendigt war, begab sich die Gesellschaft in den Gesandtensaal. Hier trug jeder zur allgemeinen Unterhaltung bei, indem er irgend ein Talent geltend machte; Singen, Improvisiren, Erzählen wundervoller Geschichten oder Tanzen zu dem allum herrschenden Talisman spanischer Freude, der Guitarre.

Die Seele und der Zauber der ganzen Gesellschaft jedoch war die reichbegabte kleine Carmen. Sie übernahm eine Rolle in zwei oder drei Scenen aus spanischen Komödien und erwies ein hinreichendes dramatisches Talent; sie gab Nachahmungen beliebter italienischer Sängerinnen mit merkwürdigem und auffallendem Glück, und einer seltenen Schönheit der Stimme; sie ahmte die Dialecte, die Tänze und Balladen der Zigeuner und umwohnenden Landleute nach; that aber alles mit einer Leichtigkeit, einer Zierlichkeit, einer Anmuth und einer durchgehenden Niedlichkeit, welche vollkommen bezaubernd waren.

Jedoch der große Reiz ihrer Leistungen war ihr gänzliches Freiseyn von aller Anmaßung oder Ehrgeiz, sich zeigen zu wollen. Sie schien die Vielseitigkeit ihrer eigenen Talente nicht zu kennen, und ist in der That gewöhnt, sie nur zufällig, wie ein Kind, zur Unterhaltung des häuslichen Kreises zu üben. Ihr Beobachtungsgeist und ihr Tact müssen ungemein rasch und fein sey, denn sie hat ihr Leben in dem Schoos ihrer Familie hingebracht und kann nur zufällig und vorübergehend auf die mannigfaltigen Charaktere und Züge geblickt haben, welche sie in Augenblicken geselligen Frohsinns, wie der, von dem hier die Rede ist, aus dem Stegreife zum Besten gab. Mit Freude sieht man die Liebe und Bewunderung, mit welcher jeder aus dem Hause auf sie blickt; es wird nie, selbst nicht von den Bedienten, anders geheißen, als La Ninna, das Kind, eine Bezeichnung, welche, so angewendet, etwas eigenthümlich liebliches und zärtliches in der spanischen Sprache hat.

Ich werde nimmer der Alhambra gedenken, ohne mich der lieblichen kleinen Carmen zu erinnern, wie sie in deren Marmorsälen in glücklicher und unschuldiger Lust spielte, zu dem Klang der maurischen Castagneten tanzte, oder den Silberton ihrer Stimme mit der Musik der Brunnen verschmolz.

Bei dieser festlichen Gelegenheit wurden viele seltsame und unterhaltende Sagen und Geschichten erzählt, von denen ich viele wieder vergessen habe; eine derselben aber fiel mir am meisten auf und ich will mich bemühen, dem Leser eine Unterhaltung zu bereiten.

< Sage von den drei schönen Prinzessinnen
Sage vom Prinzen Ahmed al Kamel, oder der Liebespilger >



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