Frei Lesen: Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

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Washington Irving

Die Alhambra oder das neue Skizzenbuch

Des Verfassers Gemach

eingestellt: 28.6.2007





Als ich meine Wohnung in der Alhambra aufschlug, wurde das eine Ende einer Reihe leerer Gemächer von neuerer Bauart, die zur Wohnung des Statthalters bestimmt sind, zu meiner Aufnahme eingerichtet. Sie waren auf der Vorderseite des Palastes und hatten die Aussicht auf die Esplanade; jenseits stießen sie an eine Anzahl kleiner, theils Maurischer, theils neuerer Zimmer, die Tia Antonia und ihre Familie bewohnten; diese liefen in einem großen Gemach aus, das der guten alten Dame als Besuchzimmer, Küche und Audienzsaal diente. Es war zu den Zeiten der Mauren nicht ohne bedeutenden Glanz, allein ein Feuerheerd war, wie gesagt, in eine Ecke gebaut worden, dessen Rauch die Wände entfärbt und die Verzierungen beinahe vernichtet, und eine düstere Färbung über das Ganze verbreitet hat. Aus diesen düstern Gemächern führt ein enger finsterer Gang und eine dunkle Wendeltreppe hinab zu einem Winkel des Thurms des Comares, welchen man entlang tappt und nun, bei dem Oeffnen einer kleinen Thüre unten, plötzlich geblendet wird, indem man in das glänzende Vorzimmer des Gesandten-Saales, den funkensprühenden Brunnen des Hofes der Alberca vor sich, eintritt.

Ich war nicht zufrieden, in Zimmern des Palastes wohnen zu sollen, die neu waren und auf der Vorderseite lagen, und wünschte mich in dem Herzen des Gebäudes einzunisten. Als ich eines Tags in den maurischen Sälen umherstreifte, fand ich in einer entlegenen Galerie eine Thüre, welche ich nie zuvor bemerkt hatte und die offenbar zu geräumigen, vor dem Publikum verschlossenen Gemächern führte. Hier war also ein Geheimniß; hier war der bezauberte Flügel des Schlosses. Ich verschaffte mir jedoch den Schlüssel ohne Mühe; die Thüre führte in eine Reihe leerer Zimmer von europäischer Bauart, obgleich sie über eine maurische Arkade, den Garten der Lindaraxa entlang, gebaut waren. Die Decken zweier hohen Zimmer hatten tiefe Verzierungsfelder von Cedernholz, in welche Früchte und Blumen neben grotesken Masken und Gesichter, reich und künstlich eingegraben, obgleich an vielen Stellen verdorben waren. Die Wände waren offenbar in alten Zeiten mit Damast behangen, jetzt aber nackt und mit den nichtssagenden Namen eitler Reisenden überdeckt; die Fenster, welche ohne Fassung, und Wind und Wetter geöffnet waren, gingen auf den Garten der Lindaraxa und die Orangen- und Zitronenbäume bogen ihre Zweige in das Zimmer. Jenseits dieser Zimmer waren zwei weniger hohe, auch in den Garten gehende Säle. In den Feldern der verzierten Decken waren Körbe von Früchten und Kränze von Blumen von einer geschickten Hand gemalt und ziemlich gut erhalten. Auch die Mauern waren in Fresco, im italienischen Styl gemalt gewesen, aber die Malereien fast verwischt; die Fenster waren in demselben wüsten Zustande, wie in den andern Gemächern. Diese merkwürdige Reihe von Zimmern endigte in einer offenen Galerie mit Geländern, welche in rechten Winkeln eine andere Seite des Gartens entlang lief. Die ganze Zimmerreihe hatte eine Zierlichkeit und Anmuth in ihrer Ausschmückung, und es war etwas so Freundliches und Abgeschlossenes in ihrer Lage, diesen entlegenen kleinen Garten entlang, daß sie ein Interesse an ihrer Geschichte erweckten. Als ich nachfragte, erfuhr ich, sie seyen eine in dem Anfange des vergangenen Jahrhunderts, zur Zeit, als Philipp V. und die schöne Elisabeth von Parma in der Alhambra erwartet wurden, von italienischen Künstlern verzierte Zimmerreihe, welche für die Königin und die Damen ihres Gefolges bestimmt waren. Eines der höchsten Zimmer war ihr Schlafgemach gewesen; und eine kleine Treppe, welche aus demselben führt, jetzt aber vermauert ist, öffnete sich auf ein entzückendes Belvedere, ursprünglich ein Söller der maurischen Sultaninnen, aber zu einem Toilettenzimmer für die schöne Elisabeth eingerichtet, daher es noch heute den Namen des Tocador, oder der Toilette der Königin hat. Das Schlafzimmer, dessen ich erwähnt habe, hatte von dem einen Fenster die Aussicht auf das Generalife und seine umlaubten Terrassen; unter einem andern Fenster spielte der Alabaster-Brunnen des Gartens der Lindaraxa. Der Garten führte meine Gedanken noch weiter zurück, in die Periode einer andern Herrschaft der Schönheit, zu den Tagen der maurischen Sultaninnen.

»Wie schön ist dieser Garten!« sagt eine arabische Inschrift, »wo die Blumen der Erde mit den Sternen des Himmels wetteifern! Was kann mit der Vase jenes Alabaster-Brunnens, gefüllt mit crystalnem Wasser, verglichen werden? Nichts als der Mond, wenn er voll ist und in der Mitte eines wolkenlosen Himmels glänzt!«

Jahrhunderte sind entschwunden, und doch – wie vieles von dieser Scene von offenbar so vergänglicher Schönheit blieb noch. Der Garten der Lindaraxa war noch mit Blumen geschmückt; der Brunnen bot noch seinen crystalnen Spiegel dar; es ist wahr, der Alabaster hat seine Weiße verloren und das Basin darunter, mit Unkraut bedeckt, ist der Aufenthalt der Eidechsen; aber es war selbst in der Verfallenheit etwas, das das Interesse der Scene erhöhte, indem es von dem Wechsel sprach, der das unwiderrufliche Loos des Menschen und aller seiner Werke ist. Auch die Oede dieser Gemächer, einst die Wohnung der stolzen und anmuthreichen Elisabeth, hatte einen rührenderen Reiz für mich, als wenn ich sie in ihrem frühern Glanz, von dem Prunke eines Hofes stralend, gesehen hätte. Ich beschloß sofort, in diesen Zimmern meine Wohnung aufzuschlagen.

Mein Entschluß erregte großes Staunen in der Familie, die sich gar keinen vernünftigen Grund für die Wahl einer so einsamen, entlegenen und verlassenen Wohnung denken konnten. Die gute Tia Antonia betrachtete es für höchst gefährlich; die Nachbarschaft, sagte sie, sey mit Tagedieben angefüllt; die Höhlen der nahen Berge wimmelten von Zigeunern; der Palast sey im Verfall und an vielen Orten leicht zugänglich; und das Gerücht von einem Fremden, der allein in einer der zerfallenden Zimmerreihen wo die übrige Bewohnerschaft ihn nicht hören könne, wohne, möchte des Nachts leicht unwillkommene Besucher reizen, besonders da man von Fremden immer annehme, daß ihre Börse gut gefüllt sey. Dolores schilderte die schreckliche Einsamkeit des Platzes, wo weitum nichts zu sehen sey als Fledermäuse und Eulen; sodann hielten sich auch ein Fuchs und eine wilde Katze um die Gewölbe auf und streiften Nachts umher.

Ich war nicht von meinem Einfall abzubringen; daher wurde ein Zimmermann zur Beihülfe hergerufen, so wie der stets dienstfertige Mateo Ximenes, welche Thüren und Fenster bald in einen Zustand von ziemlicher Sicherheit brachten. Aller dieser Vorbereitungen ungeachtet muß ich bekennen, daß die erste Nacht, welche ich in diesen Zimmern hinbrachte, unaussprechlich traurig war. Die ganze Familie gab mir das Geleite bis in mein Gemach und ihr Abschiednehmen von mir und ihre Rückkehr, die öden Vorzimmer und hallenden Galerien entlang, erinnerten mich an jene Geistergeschichten, wo man den Helden allein läßt, um die Fährlichkeiten eines bezauberten Hauses zu bestehen.

Selbst die Gedanken an die reizende Elisabeth und an die Schönheiten ihres Hofes, welche einst diese Zimmer verherrlicht hatten, erhöhten jetzt durch den Kontrast dieses Düster. Hier war der Schauplatz ihrer vorübergehenden Freude und Lieblichkeit; hier waren sogar noch die Spuren ihrer Zierlichkeit und ihrer Vergnügungen; allein was und wo waren sie? – Staub und Asche, Bewohner des Grabes, Schattenbilder des Gedächtnisses!

Eine unbestimmte und unbeschreibliche Furcht überschlich mich. Ich hätte sie gern den Gedanken an Räuber, welche durch die Abendunterhaltung in mir geweckt worden, zugeschrieben, aber ich fühlte, daß es etwas nichtigeres und abgeschmackteres war. Mit einem Worte, die lange begrabenen Eindrücke der Ammenstube belebten sich wieder und behaupteten ihre Gewalt über meine Phantasie. Alles begann von dem Drängen meines Geistes angesteckt zu werden. Das Flüstern des Windes in den Zitronenbäumen unter meinem Fenster hatte etwas unheimliches. Ich warf meinen Blick auf den Garten der Lindaraxa; die Bäume bildeten einen Schlund voll Schatten, das Dickicht unbestimmte und gespenstische Gestalten. Ich war froh, als ich mein Fenster geschlossen hatte; allein selbst mein Gemach wurde angesteckt. Eine Fledermaus hatte den Weg herein gefunden und flatterte über meinem Kopfe und gegen meine einsame Lampe; die grotesken Gesichter, welche in die Cederndecke geschnitzt waren, schienen mich anzustarren und mir Gesichter zu schneiden.

Mich zusammennehmend und über diese augenblickliche Schwäche halb lächelnd, entschloß ich mich, ihr Trotz zu bieten, nahm meine Lampe in die Hand und eilte fort, in dem alten Palast einen Spaziergang zu machen. Trotz aller geistigen Anstrengung war die Aufgabe ernst. Die Strahlen meiner Lampe verbreiteten sich nur in einer sehr beschränkten Entfernung um mich; ich ging gleichsam in einem bloßen Lichtkreis, jenseit dessen dichte Finsterniß herrschte. Die gewölbten Gänge glichen Höhlen; die Gewölbe der Säle waren in Dunkel vergraben; welcher ungesehene Feind konnte nicht vor mir oder hinter mir lauschen! mein eigner Schatten, der auf den Wänden spielte und der Widerhall meiner eigenen Fußtritte schreckten mich.

Während ich in diesem erregten Zustand den großen Gesandtensaal durchschritt, kamen wirkliche Töne zu jenen muthmaßlichen Gebilden. Tiefes Stöhnen, unbestimmtes Rufen schien gewissermaßen unter meinen Füßen emporzusteigen; ich hielt an und lauschte. Es schien nun wieder außerhalb des Thurms zu schallen. Zuweilen klang es wie das Heulen eines Thieres, dann wieder war es ersticktes Schreien mit vernehmlichem Toben des Wahnsinns vermischt. Die durchschauernde Wirkung dieser Klänge, in dieser stillen Stunde und an dieser sonderbaren Stelle, benahm mir alle Lust, meinen einsamen Spaziergang fortzusetzen. Ich kehrte munterer in mein Gemach zurück als ich es verlassen hatte und athmete freier, als ich wieder innerhalb seiner Wände und die Thüre hinter mir verriegelt war. Als ich am Morgen erwachte und die Sonne durch mein Fenster herein schien und jeden Theil des Gebäudes mit ihren holden und wahrheitkündenden Strahlen beleuchtete, konnte ich mich kaum der Schatten und Trugbilder erinnern, welche das Düster der vergangenen Nacht herauf beschworen hatte, oder es glauben, daß die Scenen um mich her, so nackt und bekannt, sich mit solchen eingebildeten Schrecken hätten bekleiden können.

Doch war das düstere Geheul und Rufen nichts eingebildetes; mein Mädchen Dolores gab mir Auskunft deßhalb; es war das Rasen eines Wahnsinnigen, eines Bruders ihrer Tante, der heftigen Anfällen unterworfen war, während deren man ihn in ein gewölbtes Zimmer unter dem Gesandten-Saal einsperrte.

< Der Flüchtling
Die Alhambra im Mondlichte >



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