Frei Lesen: Abu Telfan

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Wilhelm Raabe

Abu Telfan

Neunundzwanzigstes Kapitel

eingestellt: 2.7.2007



Im Tumurkielande pflegen die Leute ebenfalls zu heiraten, der junge Mohr nimmt seine Mohrin, wie und wo er sie findet, und die Moresken kommen nach wie in Europa, das erste Exemplärchen neun Monate nach der Hochzeit, die folgenden in angemessenen, naturgemäßen Zeiträumen. Während seiner Gefangenschaft zu Abu Telfan hatte Herr Leonhard Hagebucher glückliche und unglückliche Liebe in all ihren Phasen und Ekstasen reichlich kennengelernt, und Europa hatte ihm in dieser Hinsicht nichts Unbekanntes, nichts Neues zu bieten. So mußte denn auch das, was die weiße Gesellschaft über diese Verhältnisse dachte und sagte, dem, was jene schwarze Gesellschaft darüber kundzugeben pflegte, der Form wie dem Inhalt nach sehr ähnlich sein. Herr Leonhard Hagebucher fühlte sich, noch während er die Treppe in der Kesselstraße hinunterstieg, diesem Prozeß sowie allen seinen Folgen vollkommen gewachsen. Das Experiment erschien ihm leicht, geschmeidig, glatt und ohne übermäßige Anstrengung auszuführen.

Diese heitere Anschauung änderte sich jedoch schon in dem Augenblick, als er den Fuß in die Gasse setzte. Sprach die kalte, winterliche Luft in Hinsicht auf seine afrikanischen Nerven mit, oder wars der plötzliche Übergang aus dem traulich-stillen Zusammensein mit dem träumenden Schneider in die außergewöhnlich lebhaften Gassen: er fühlte eine Beklemmung, welche mit jedem Schritt über den zertretenen Schnee zunahm.

»Mutig voran!« sagte er und versuchte noch einmal der großen Stunde ins Antlitz zu lächeln; doch dieses Lächeln war sehr hohläugig, und das Atmen wurde ihm bald sehr schwer. Er zog den Hut über die Nase, als könne er nichts von der Außenwelt in der Welt seiner jetzigen Gedanken brauchen, und riß ihn wieder in die Höhe und stierte die Dinge an, als sei aller Trost doch nur bei ihnen und er selber ganz und gar nicht bei Troste. Einige Gassen weiter suchte er bereits luftschnappend nach einem stichhaltigen Grunde, das Unterfangen noch bis zum folgenden Tage zu verschieben. Auf dem Johannisplatze wurde ihm sogar recht übel zumute, der Schweiß trat ihm vor die Stirn, er suchte nach seinem Taschentuche, und wenn er es nicht in der hintern Rocktasche gefunden hätte, so würde er unbedingt das für den plausibeln Grund und das bedenkliche Omen genommen haben und nach Haus zurückgekehrt sein. Er fand es jedoch, und so blieb ihm als Mann, Held und Verliebten nichts übrig, als sich die kalten Tropfen abzutrocknen und seinen Weg fortzusetzen, seinem Verhängnis entgegen. Wäre ihm nun ein Bekannter begegnet und hätte ihm den leisesten Vorschlag zu einem Gang um die Stadt, zu einer Partie Domino oder einer Zigarre in irgendeinem stillen Winkel eines Kaffeehauses gemacht, mit Freuden würde er seinen Arm in den des Freundes geschoben, die Werbung verschoben und sich glänzend gegen sich selbst und gegen Täubrich-Pascha gerechtfertigt haben.

Es begegnete ihm niemand als jener Myrmidone des Herrn von Betzendorff, welcher ihm einst das elegante Billett des Herrn Polizeidirektors und das Verbot seiner Vorlesung überreichte. Der Mann griff ganz höflich an die Dienstmütze, und Hagebucher blickte ihn einen Augenblick betroffen nachdenklich an, griff sodann in die Tasche, schenkte ihm einen Gulden und rief:

»Nein, nun grade, nun erst recht! Mein guter Freund, Sie werden sich doch nicht einbilden, daß ich Sie für ein omen nefastum, für ein verneinendes Zeichen der Götter nehmen soll?«

»Ich bilde mir gar nichts ein, aber ich danke Ihnen, Herr Hagebucher«, sprach der Mann der öffentlichen Sicherheit, mit dem Auge des Gesetzes zwinkernd und das Geldstück verstohlen in die Tasche schiebend. »Häufig kommt diese Sorte nicht vor!« fügte er kopfschüttelnd hinzu, als Hagebucher aus dem Lichtkreise der Gaslaterne, unter welcher die Begegnung stattfand, verschwand.

So heimtückisch ist das Schicksal! Selten legt es dem Menschen andere Hindernisse in den Weg als solche, die ihn grade anreizen, bis zu dem Punkte vorzudringen, an welchem es ihn haben will; und es soll durchaus nicht gesagt werden, daß es ihm mit Vorliebe ein Vergnügen oder nur eine Annehmlichkeit an das Ziel seines Pfades lege, wie eine Mutter, die ihr Kind das Gehen lehren will.

»Nun grade, nun erst recht!« wiederholte Leonhard im schnellern Vorwärtsschreiten und hätte sich jetzt nicht mehr durch ein vergessenes Taschentuch oder einen guten Bekannten von der Ausführung seines Unternehmens abbringen lassen. Noch eine Ecke, und das Haus des Professors kam in Sicht! Da stand es. Kein böser Zauberer aus dem Innern Afrikas hatte dem Afrikaner zum Tort Aladins Wunderlampe gerieben und es durch die Genien der Lampe mit seiner hübschen, klugen, silberstimmigen Bewohnerin in das Innerste der Tartarei versetzen lassen. Es befand sich alles an seiner richtigen Stelle, sogar die Inschrift über der Tür: Introite, hospites! –

Der Schnee war zu beiden Seiten der gastlichen Pforte fast zierlich zusammengefegt und -geschaufelt. Der Lampenschein aus des Professors Studierzimmer glänzte behaglich anlockend in die Nacht. Die zarte Mondsichel stand über dem weißen Dache, und ein Rauch ging empor aus Serena Reihenschlagers Schornstein, und lächelnd winkte der silberne Mond dem Afrikaner durch diesen tiefbedeutungsvollen Dampf. Einen Augenblick stand Leonhard still und blickte hinüber nach dem Fenster des Professors, dem Monde, dem nahrhaften Schornstein und den schwarzen Baumwipfeln des Gartens – es war ein anderes Stillstehen als neulich vor der Katzenmühle; aber, bei Allah, von einem gleichmütigen, gleichgültigen Gaffen konnte auch heute durchaus nicht die Rede sein.

Serena Reihenschlager befand sich jedenfalls in der Küche. Der Afrikaner kannte den Weg dorthin ganz genau. Die volle Gelegenheit war gegeben, nach so langem, abenteuerlichem, mühevollem Zickzackfluge durch die Welt das Leben zu einem ruhigen, wohlbehaglichen Kreise zu runden und aus dem Mittelpunkte desselben den Göttern zu danken, daß sie es endlich und zuletzt doch noch so gut gemacht hatten.

Und noch immer kein Hindernis! Hagebucher, der so häufig in seinem Leben auf die Nase gefallen war, stolperte nicht auf der Schwelle des Hauses und vernahm daher auch keine Stimme, welche sich das Recht angemaßt hätte zu sagen: »Ein Römer würde umkehren!« Dagegen traf ein wohltuender, leckerer Bratenduft seine Nase, und höchst lächerlich wärs gewesen, das für ein abschreckend Zeichen zu nehmen. Es zischte und prasselte lustig aus Serenas Zauberreiche. Rötliche Lichter tanzten an der der Küchentür gegenüberliegenden Wand – nicht der kleinste Stein des Anstoßes in dem Hausgange – nicht das leiseste Stolpern auf der Schwelle dieser Pforte. Und jetzt – es konnte ja nicht anders sein, es war ja so ausgemacht worden –, jetzt stand sie da vor dem schwarzen Herde, in all ihrer Allerliebstheit, nachdenklich, so hold beleuchtet von der tanzenden Flamme wie je ein verliebt sinnend Mägdelein in einem Genrebilde, welchem letztern auch alles übrige in dem malerischen Raume entsprach, von den blankgescheuerten Kesseln und Kannen an bis zu dem stattlichen weißen Kater, der schnurrend um die Falten ihres Hauskleides strich.

Sie trug eine zierliche, feingestreifte Schürze mit zwei niedlichen Taschen, jede ganz am richtigen Fleck, um Schlüssel, Nadelbücher, Taschenkämme und Liebesbriefe schnell dreinschieben und sie drinnen vor dem neugierigen Auge der Welt verbergen zu können. In diesem Moment jedoch hatte sie nichts hineingeschoben, sondern im Gegenteil etwas herausgeholt, nämlich ein zerknittert Blättchen, welchem man es ansah, daß es den Weg heraus und hinein schon mehrere Male, und zwar unter großer Aufregung der Besitzerin, gefunden hatte, dem man es ansah, daß es nicht zum ersten Male gelesen wurde.

Und sie las es wiederum und ließ merkwürdigerweise den Topf, welchen Herr Leonhard Hagebucher dem Täubrich-Pascha in seiner Mitwirkung bei den Ereignissen des Abends so anschaulich geschildert hatte, jetzt schon überkochen, und zwar ohne den Deckel abzuheben oder ihn zur Seite zu rücken.

Sie las, wie ein junger Schriftsteller die erste Korrektur liest; sie las, wie ein alter Gauner das Reskript, welches ihm den Rest seiner Strafzeit erläßt, verschlingt; ja sie las sogar wie ein junges Mädchen, welches den ersten Liebesbrief liest, oder wie des Mädchens Mutter ebendiesen Liebesbrief, wenn er zuerst an ihre Adresse gelangte, das heißt, wenn sie dem verstohlenen Boten hinter der Haustür her auf den Hals gesprungen ist und sich nicht verpflichtet fühlt, das durch die Verfassung garantierte Briefgeheimnis zu respektieren.

Sie las, und wahrlich erschien sie rosig angehaucht, bedeutend rosiger, als selbst jene beiden phantasievollen Leute, Herr Leonhard Hagebucher vom Mondgebirge und Herr Felix Täubrich, genannt Täubrich-Pascha, aus Jerusalem, sich vorgestellt hatten. Sie las, und als Herr Leonhard Hagebucher endlich nicht länger an sich halten konnte und seine beklemmte, zaghafte Anwesenheit durch ein ängstlich befangenes Räuspern kundgab, tat sie den vollkommen in sein Programm gehörigen kleinen Schrei, ja sie führte das Programm noch weiter pünktlich aus, indem sie rief: »O Gott, Herr Hagebucher!« Das »Lieber Leonhard« ließ sie freilich aus, doch wer wird in einer solchen Minute um ein Wort, um einen Ton rechten wollen?

Was konnte jetzt der Afrikaner anders hervorbringen als die Frage, ob er nicht störe, und was konnte Fräulein Serena Reihenschlager anders darauf antworten als: Durchaus nicht, bitte treten Sie näher, Herr Hagebucher – ? Hätte sie gesagt: Ist er schon wieder da, muß er einer denn immer in die Quere kommen?, so würde solches nicht in das Programm gepaßt haben.

Noch immer kein Hindernis! Sie verbarg das kleine, eng beschriebene Blättchen blitzschnell in der Tasche und widmete sich mit verdoppeltem Eifer ihrem Topfe, rettete von dessen Inhalt, was noch zu retten war, erlangte auch das, was sie selbst von ihrem moralischen Gleichgewicht verloren hatte, bald genug wieder, hob ein sehr glückliches, lächelndes Gesicht zu dem Hausfreunde empor und sagte:

»Guten Abend, lieber Herr Hagebucher!«

»Guten Abend, Fräulein Serena!« antwortete der Hausfreund, gleichfalls lächelnd herabblickend, und hatte sich im Vertrauen mitzuteilen, daß es ungeheuer überflüssig und fast eselhaft töricht gewesen sei, sich auf dem Wege von der Kesselstraße her so sehr vor dieser schönen Minute gefürchtet zu haben. Er fühlte sich jetzt so wohl geborgen, so sicher vor allem Weh, allen Schrecknissen und Ärgernissen. Es rieselte ihm ganz warm sowohl durch die Seele als auch den Leib, und der deutsche Frost, an welchen er sich doch noch immer nicht ganz, nach seinem unheimlichen Aufenthalt unter dem Äquator, gewöhnen konnte, schwand vollständig unter dem wonnigsten Anhauch gleich dem Eis an der Fensterscheibe, welches ebenfalls unter einem warmen Hauche zu verschwinden pflegt.

»Der Papa ist in seiner Stube. Gehen Sie nur zu ihm, ich werde sogleich nachkommen, Herr Leonhard«, sagte Fräulein Serena Reihenschlager.

»Sogleich?« fragte Hagebucher leise und zärtlich.

»Gewiß. Sobald die Magd vom Brunnen zurückgekommen ist, folge ich Ihnen.«

»Ach, Fräulein Serena, lassen Sie mich noch einen kurzen Augenblick hier auf der Bank niedersitzen!« rief Hagebucher, schwankend zwischen der Furcht vor der wasserholenden Magd und dem koptischen Papa, welche alle beide er bei seinem Vorhaben nicht nötig zu haben glaubte. »Nur eine kleine Minute, Serena! Es ist bitter kalt draußen, zumal für eine verwöhnte Haut gleich der meinigen«, fügte er schaudernd vor Vergnügen hinzu; und gutmütig besorglich rückte das Fräulein ihm einen Schemel neben die Glut ihres Herdes, welche sie dann, das Licht und die Wärme zu vermehren, zu neuen Flammen »aufschuf«.

Nicht das geringste Hindernis! Da saß er neben dem Herde, und sie stand vor ihm und hielt die Hand in der Tasche ihrer Schürze, in welcher sie jenes zerknitterte Blatt versteckt hatte. Nichts in der Welt, das ihn hinderte, frei und offen herauszusprechen und seinem Herzen Luft zu machen, wie das schon Millionen vor ihm taten und glücklich zum Ziele ihrer Wünsche gelangten.

»Ach, Fräulein Serena«, begann er und sah richtig längere Zeit – ganz der Verabredung gemäß – in die knisternden Flammen.

»Ach, Herr Hagebucher!« seufzte das Fräulein, ohne die Hand aus der Tasche hervorzuziehen, und dann nahm er, wie jemand, der über einen gefährlichen Graben springen will, einen Anlauf, kniff die Augen zu, ballte die Hände und – sprang wirklich.

»Serena, Liebe«, begann er von neuem, und da er einmal drin war, ging das Ding ganz fließend und fliegend. »Serena, ich – wir – ich habe es mir jetzt lange genug überlegt, und Kopf und Herz tragen es nicht länger. Auch Sie haben reichlich Gelegenheit gehabt, mich kennenzulernen, und halten mich hoffentlich nicht für einen schlechten Charakter, und der Papa – ja, was geht der Papa uns eigentlich dabei an? – o Serena, mein liebes Mädchen, die ganze Welt brauche ich weiter nicht, wenn ich Sie habe! Geben Sie mir Ihre Hand, Serena, und sagen Sie mir ganz offen, ob Sie meine Frau werden wollen! Sie – ich – wir – Täubrich – ich möchte Sie ganz für mich allein besitzen, und dem Papa sollte doch nichts an seiner Behaglichkeit abgehen – wir wollten – wir könnten –«

Natürlich! Was hätten sie alles gewollt und gekonnt, wenn – wenn nicht Fräulein Serena Reihenschlager mit einem zweiten und viel hellern Schrei des Schreckens, der Überraschung mehrere Schritte zurückgewichen wäre, beide Hände abwehrend weithin von sich ausstreckend?

»Liebster Himmel, Herr Hagebucher! Also doch? O Gott, liebster Herr Hagebucher! Und grade heute, o Herr Jesus!«

»Ich liebe Sie in der Tat recht herzlich, Serena!« sprach Hagebucher, noch immer mit zugekniffenen Augen über dem Graben in der Luft schwebend. »Was mir an Jugend mangelt, werde ich durch Liebenswürdigkeit ersetzen. Ein unverträglicher Mensch bin ich nicht, und einen Hausstand könnten wir uns wohl in der behaglichsten Weise gründen. Meine Mutter würde sich unbeschreiblich freuen, und was Ihren Papa anbetrifft, so glaube ich sicher, daß er mich gern auch durch solche liebe Bande an die koptische Grammatik fesseln würde.«

»O Gott, Gott, Gott, das glaube ich gern; aber das ist so schrecklich, und die Magd wird gleich zurückkommen; was soll ich sagen, was soll ich tun? Lieber Herr Hagebucher, er schreibt mir grade heute, grad an diesem Abend, und entschuldigt sich so sehr. In drei Tagen wird er selbst kommen, alles ist in Ordnung und kein Hindernis mehr, und der Papa oben in seiner Stube weiß auch alles.«

»Wer schreibt? Was schreibt wer?« rief Hagebucher in höchster Verblüfftheit und mit weit offnen Augen mitten im Sumpf platschend, sprudelnd und spuckend.

»Ferdinand! Wer denn anders als mein Ferdinand?« schluchzte das Fräulein. »Hier hab ich seinen Brief, und er war vor Ihnen hier im Hause und half wie Sie dem Papa an dem Wörterbuch und der Grammatik. Und der Papa schickte ihn fort, was gar nicht recht von ihm war, und da ist er in die weite Welt gegangen, nach Hamburg und nach Edinburg und zuletzt nach Genf, als Lehrer der neuen Sprachen. Man könnte blutige Tränen weinen, so sehr hat er sich an allen Instituten quälen müssen, und jetzt gründet er in Kompanie mit einem andern ein eigenes Institut, und hier schreibt und bittet er um Verzeihung, weil er so lange nicht geschrieben habe, und übermorgen kommt er selbst, und der Papa weiß alles und sieht ein, daß er jetzt nichts mehr dagegen machen kann. Und er ist mein Ferdinand, und nun sagen Sie selber, liebster Herr Hagebucher, was ich Ihnen noch sagen soll!«

»Ich wüßte nicht, was mir noch zu erfahren übrigbliebe«, sprach der Mann vom Mondgebirge sehr dumpf und wiederholte sodann: »Er war vor mir hier im Hause und half wie ich dem Papa an dem Wörterbuche und der Grammatik.«

Nach einer Pause setzte er noch hinzu:

»Da wäre ich ja wohl wieder einmal zu spät gekommen? O Täubrich, Täubrich, Täubrich-Pascha!« Und dann – dann sah er auf und sah, daß das arme gute Kind nicht mehr die Hände in den Schürzentaschen, sondern die Schürze mit beiden Händen vor die Augen hielt und den Schrecken und die Bestürzung leise dahinter ausweinte. Sanft faßte er diese kleinen zitternden Hände, zog den Vorhang von dem purpurroten Gesichtchen weg und sagte:

»Liebes Fräulein, wenn Sie dem Papa nichts von dieser dummen Geschichte sagen wollen, so werde ich es gewiß nicht tun; und was dieses glückliche – dieses erfreuliche Ereignis betrifft, so wünsche ich Ihnen und dem Herrn Ferdinand das beste, das allerschönste Glück.«

Das Kind hatte bereits von neuem die Schürze vor die Augen gehoben und schluchzte hinter ihr weiter und konnte seinen Dank für die guten Wünsche nur durch ein schnelles, krampfhaftes Kopfnicken kundgeben. Da Herr Leonhard Hagebucher nichts mehr in der Küche des Professors Reihenschlager zu suchen hatte, so verließ er dieselbe, und zwar wiederum auf den Zehen. Er trat zurück in den dunkeln Hausflur und zögerte einen Augenblick an der Treppe. Sollte er nicht doch lieber nach Haus gehen und den armen Täubrich-Pascha bis aufs Blut durchprügeln, um ihn zu lehren, künftighin nicht so leichtfertig einen Mann in der Ausführung einer Dummheit durch allzu inniges Eingehen auf die Herzenswünsche desselben zu bestärken? Nein! Ein gebildeter Mann sucht seinen Überschuß an deterioriertem Nervengeist nicht in solcher Art loszuwerden; ein gebildeter Mann geht unter solchen Umständen nicht nach Hause, um jemand durchzuprügeln, sowenig als er sich ins Wasser stürzt oder eine Kugel durch den Kopf jagt. Leonhard Hagebucher ging hinauf zum Professor Reihenschlager; wenn wir aber noch einen Blick in Serena Reihenschlagers Küche werfen, so steht das Fräulein wieder emsig beschäftigt vor ihren Töpfen und Pfannen. Ein leises Lächeln spielt um die Mundwinkel der jungen Dame, und der Zwiespalt in ihrer Seele scheint vollständig zum Austrag gebracht worden zu sein.

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