Frei Lesen: Abu Telfan

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Wilhelm Raabe

Abu Telfan

Fünfunddreißigstes Kapitel

eingestellt: 2.7.2007



Ist das nicht ein wunderliches Ding im deutschen Land, daß überall die Katzenmühle liegen kann und liegt und Nippenburg rundumher sein Wesen hat und nie die eine ohne das andere gedacht werden kann? Ist das nicht ein wunderlich Ding, daß der Mann aus dem Tumurkielande, der Mann vom Mondgebirge nie ohne den Onkel und die Tante Schnödler in die Erscheinung tritt? Wohin wir blicken, zieht stets und überall der germanische Genius ein Drittel seiner Kraft aus dem Philistertum und wird von dem alten Riesen, dem Gedanken, mit welchem er ringt, in den Lüften schwebend erdrückt, wenn es ihm nicht gelingt, zur rechten Zeit wieder den Boden, aus dem er erwuchs, zu berühren. Da wandeln die Sonntagskinder anderer Völker, wie sie heißen mögen: Shakespeare, Milton, Byron; Dante, Ariost, Tasso; Rabelais, Corneille, Molière; sie säen nicht, sie spinnen nicht und sind doch herrlicher gekleidet als Salomo in aller seiner Pracht: in dem Lande aber zwischen den Vogesen und der Weichsel herrscht ein ewiger Werkeltag, dampft es immerfort wie frisch gepflügter Acker und trägt jeder Blitz, der aus den fruchtbaren Schwaden aufwärts schlägt, einen Erdgeruch an sich, welchen die Götter uns endlich, endlich gesegnen mögen. Sie säen und sie spinnen alle, die hohen Männer, welche uns durch die Zeiten voraufschreiten, sie kommen alle aus Nippenburg, wie sie Namen haben: Luther, Goethe, Jean Paul, und sie schämen sich ihres Herkommens auch keineswegs, zeigen gern ein behagliches Verständnis für die Werkstatt, die Schreibstube und die Ratsstube; und selbst Friedrich von Schiller, der doch von allen unsern geistigen Heroen vielleicht am schroffsten mit Nippenburg und Bumsdorf brach, fühlt doch von Zeit zu Zeit das herzliche Bedürfnis, sich von einem früheren Kanzlei- und Stammverwandten grüßen und mit einem biedern »Weischt« an alte natürlich-vertrauliche Verhältnisse erinnern zu lassen.

Es lebe Nippenburg und Bumsdorf, der Bierkrug und die Kaffeekanne, der Strickstrumpf und das Dintenfaß, es lebe der Boden, auf welchem wir stehen und in welchem wir begraben werden, es lebe der Herr von Bumsdorf, es lebe der Onkel und die Tante Schnödler, es lebe der Onkel und Stadtrat Hagebucher, es lebe die Kusine Klementine, und vor allen Dingen lebe der Vetter Wassertreter!

Der muntere Leutnant Herr Hugo von Bumsdorf hatte keinen Grund gehabt, nach seinem nächtlichen Ritt zur Katzenmühle unter den behaglichen Laren und Penaten seines Vaterhauses aus seinem überquellenden Herzen eine Mördergrube zu machen. Dagegen hatte er sein plötzliches Erscheinen unbedingt zu rechtfertigen und tats auf die vollgültigste Art und Weise. Er holte weit aus und brach wie gewöhnlich häufig aus der Bahn; aber dafür übersprang er auch nichts von Bedeutung oder was sonst den »verruchten Provinzialsumpf zum Wellenschlagen bringen konnte«.

Und die Provinz schlug Wellen! So etwas war seit der Rückkehr Leonhard Hagebuchers aus der afrikanischen Gefangenschaft nicht erlebt worden und ließ sich jenem Ereignis ebenbürtig an die Seite setzen, wenn es dasselbe nicht sogar noch weit übertraf an allgemeiner und tiefgehender Bedeutung. In immer weiterer Schwingung setzte sich auch diesmal wieder die Bewegung vom Bumsdorfer Gutshofe über das Hagebuchersche Haus fort, erreichte Nippenburg auf den Flügeln des Windes und fand überall einen Widerhall, den sonst nur der Ruf der Feuerglocke zu finden das Vergnügen hat. Der Vetter Wassertreter hatte nachher das Recht, sich ganz passend und klassisch mit dem alten Römer Horatius Cocles, welcher allein die sublizische Brücke gegen die ganze Armee des Königs Porsenna verteidigte, zu vergleichen. Wie jener wackere Held verteidigte auch er solus die Chaussee nach Fliegenhausen gegen die vordringenden Nippenburger Neugierigen. Die Kusine Klementine Mauser hätte sich, freilich in einer andern Weise, mit der berühmten Jungfer Cloelia vergleichen dürfen. Sie schwamm zwar nicht durch den Tiber, aber sie umging in Begleitung von zehn andern ältern Jungfrauen den Vetter Wassertreter und gelangte wirklich bis zum Roten Ochsen in Fliegenhausen, wo sie jedoch leider von Leonhard Hagebucher abgefangen und mit der Notiz, die Frau Baronin von Glimmern sei augenblicklich noch nicht imstande, Besuche zu empfangen – zurückgeschickt wurde.

Der Vetter Wassertreter war auch in dieser Zeit wieder der einzige Trost und Stützpunkt, welchen Leonhard außerhalb der Katzenmühle fand, wie er auch der einzige war, mit welchem der Afrikaner über die Vorgänge der letzten Zeit und ihre Bedeutung wirklich reden konnte, ohne durch einen Schwall von Interjektionen betäubt und durch einen nicht geringern Schwall von Fragen platt darniedergelegt zu werden.

Der Vetter Wassertreter als ein Mann, welcher noch den alten Goethe von hinten erblickt hatte, sagte einfach:

»Mein Sohn, du hast deine Sache recht gut gemacht; übrigens ist es meine Meinung, daß du anjetzo hier ebenso festsitzest wie ich, nachdem sie mich damals mit dem bekannten offiziellen Fußtritt aus dem Loch entließen. Laß es gut sein, auch er mußte in Weimar hocken, und die Welt kam doch an ihn heran. Ojemine, auch Nippenburg hat seine unaussprechlichen Verdienste, und du, mein Junge, kannst immer noch Ratsschreiber zu Nippenburg werden; und wenn dein Ehrgeiz noch immer nicht damit zufrieden wäre, so verschaffen wir dir den Titel Stadtsekretär, worauf du dich auf die Nelken- oder Dahlienzucht legst, deine Schwester solide verheiratest und allmählich groß und ehrwürdig wirst, sowohl im Kreise deiner Neffen und Nichten wie auch im Goldenen Pfau, allwo deines Vaters Stuhl mit offenen Armen auf dich wartet. Ich glaube, selbst Luzifer würde sich nach den gemachten Erfahrungen keinen Augenblick besinnen, wenn man ein Auge zudrückte und ihm eine ähnliche Stellung und Existenz dort oben in den himmlischen Regionen anböte.«

Was der Mann vom Mondgebirge dem grauen vergnügten Heimtücker auf dieses Ansinnen antwortete, verschweigt die Geschichte, allein es steht fest, daß er die eigentliche Meinung, den einfachen, aber tief philosophischen Grundgedanken wohl herauszulösen verstand und ihn nachdenklich aus des Vetters Hinterstübchen auf der Bumsdorfer Pappelchaussee nach Bumsdorf trug. Er hatte solche holden Vertröstungen auf eine behaglichere, ruhige Zukunft sehr nötig; denn trotz der Stille, welche in dem Hause des seligen Steuerinspektors herrschte, war es augenblicklich ein ziemlich ruheloser Aufenthaltsort.

Die alte Frau, die Mutter, trug doch schwer an dem Verlust des alten subtrahierenden und addierenden Murrkopfs, und wenn sie länger als vierzig Jahre schwer an seinem Erdendasein getragen hatte, so vermißte sie ihn desto schmerzlicher jetzt überall und suchte ihn in allen Winkeln, wo sie ihn früher nur mit großem Unbehagen gefunden hätte. Es ist so etwas um eine verklungene Stimme, und wenn sie auch noch so verdrießlich knarrend oder schneidend war! Man kann selbst auf Fußtritte, die man innerlich bedeutend fürchtete, mit höchstem Verlangen warten und die Gewißheit, daß man dieselben nimmermehr in der Nebenstube oder draußen auf dem Gange vernehmen werde, nur mit wehmütig bangem Widerstreben an sich kommen lassen.

Der »Vater« fehlte der Alten, wo sie ging und stand, und der Sohn konnte ihr den Abgeschiedenen nun keineswegs ersetzen. Ja die Tante Schnödler, die Base Klementine und die Onkel Sackermann und Hagebucher waren ihr jetzt ein viel größerer Trost und eine viel liebere Gesellschaft als der stumme, nachdenkliche, zerstreute Leonhard. Mit jenen konnte man doch sitzen und von dem Gewesenen sprechen, wie es sich gehörte; allein die Welt war überhaupt mit einemmal eine andere geworden, und der Tod hatte alles verschoben. Die Alte hatte sich sehr ducken und fügen müssen, solange der Alte an jedem Morgen grämlich die Wacht bezog, und nun ging sie, wie gesagt, ruhelos umher und sprach nur noch davon, wie es für sie doch keine bessere und liebere Stelle mehr gebe als die neben seinem Grabe und wie angenehm es sein werde, wenn man auch sie dorthin trage und zur Ruhe bringe, da nun doch einmal alles aus der Welt fortgenommen sei, was ihr Freude gemacht habe, und der auf Nimmerwiederkommen fortgegangen sei, ders allein in allen Stücken gut mit ihr gemeint habe. –

Auf leisen Sohlen schlich der Afrikaner der Mutter nach, und es kostete ihm nicht die geringste Mühe, sich in ihre tausend und aber tausend weinerlichen und krittligen Launen zu schicken. Aber an manchem dunkeln, stürmischen Tage sendete er das bleiche, betrübte, verschüchterte Schwesterchen fort aus dem Hause, hinüber auf den Gutshof zu den Freundinnen; und der Herr Leutnant Hugo, der sich seinen Urlaub um ein nicht geringes hatte verlängern lassen, war ihm sehr dankbar dafür.

Es waren andere Grillen, welche der Mann aus dem Tumurkielande am Fenster der Katzenmühle, und es waren andere Grillen, welche er daheim der alten Frau gegenüber fing. Dazwischen fielen dann allerlei Briefe. Täubrich-Pascha schrieb sehnsüchtig-unverständlich, der Professor schrieb wehmütig-grimmig und stellenweise ebenfalls etwas unverständlich; doch eins ging aus den Seelenergüssen beider Korrespondenten unzweifelhaft hervor: Die Aufregung über die Vorgänge der letzten Zeit war immer noch mächtig in der Residenz, und was die Privataufregung der zwei trefflichen Charaktere betraf, so hatte sich auch diese durchaus noch nicht gelegt.

Leonhard antwortete, so gut ers vermochte. Er vertröstete den Pascha auf ein baldiges heiteres Zusammentreffen und setzte ihn fürs erste in den absoluten Besitz seines hauptstädtischen Nachlasses. Den Professor, welcher ihm auch die heitere Gegenwärtigkeit (hicceitas, wie ers nannte) des liebenswürdigen Herrn Ferdinand Zwickmüller meldete, vertröstete er auf die baldige Abreise desselben und warf ihm, d. h. dem Professor, die Entdeckung zwischen die Zähne, daß Bumsdorf wie so vieles andere im deutschen Lande seine Entstehung den Römern verdanke, lud ihn ein, sich in der Sommervakanz nach der Hochzeit der Tochter persönlich von der Richtigkeit der Sache zu überzeugen und den Stein, welcher das Ding bewies, abzuholen.

Was bedeutete dieses alles? Es hat Leute gegeben, die auf einer Watte, auf einem Felsenstück am Strande von der Flut überrascht wurden, die Wellen um sich anschwellen sahen und es dennoch vermochten, die Pfeife im Brand zu halten und die Uhr aufzuziehen, ehe die erbarmungslosen Wasser die Westentasche erreichten. Es waren nicht die schwächsten Charaktere, welche dieses konnten, und die Wahrscheinlichkeit, noch einmal aus der Gefahr gerettet zu werden, war für sie vielleicht größer als für alle jene, die in solchen Momenten nichts als ein verzweiflungsvolles Händeringen oder ein stumpfsinniges Hinstarren auf die graue tödliche Wüste übrig hatten. Der Herr van der Mook mußte im Laufe der Tage schreiben, und das einfachste und natürlichste war, so ruhig als möglich das Anklopfen des Briefboten zu erwarten und ihm nicht weiter entgegenzugehen, als eben unbedingt nötig war. Gegen Anfang des Monats Februar schrieb denn auch der Herr van der Mook, und zwar einen Brief folgenden Inhalts:

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