Frei Lesen: Abu Telfan

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Wilhelm Raabe

Abu Telfan

Achtes Kapitel

eingestellt: 2.7.2007



Sie erreichten den Ochsen auf einem, wenn auch nicht ungewöhnlich reinlichen, so doch schattigen Nebenwege und wurden von dem Wirt und der Wirtin mit ländlicher Herzlichkeit an der Pforte in Empfang genommen. Ländlich speisten sie zu Mittag, und nach der Mahlzeit streckte sich der Vetter auf die Bank von weichem Holz und riet dem Begleiter, dasselbe zu tun und sich um die Fliegen nicht zu kümmern. Wenn sich die Fliegen nicht um den Vetter bekümmert hätten, so wäre das jedenfalls recht freundlich von ihnen gewesen. Leonhard Hagebucher legte die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme mit dem festen Vorsatz, das Beispiel des Wegebauinspektors nicht nachzuahmen, und verwunderte sich eine Stunde später sehr, als er, erwachend, sich nicht in der Lehmgrube der Madam Kulla Gulla zu Abu Telfan, sondern in der Gaststube des Ochsen zu Fliegenhausen fand. Auch der Vetter richtete sich verstört auf; man trank den Kaffee des Landes weniger des Inhalts als der Form wegen. Der Gaul blieb gern im Stall des Ochsen zurück. Der Vetter und der Afrikaner machten sich auf den Weg zur Madam Klaudine, jetzt wieder der Landstraße folgend. Sie durchschritten den obern Teil des Dorfes und gelangten bald in den kühlen Schatten des Eichentales; eine Viertelstunde von Fliegenhausen schlugen sie sich zur rechten Seite auf einem ausgefahrenen Hohlweg tiefer in den Wald; der Pfad wurde in einem Seitentälchen immer schmäler und brachte sie durch eine kurze Wendung um eine hervorspringende Felsenecke zu der Katzenmühle, dicht hinter welcher die Welt nicht mit Brettern vernagelt, sondern durch eine ungefähr fünfzig bis sechzig Schuh hohe Granitwand von den Ährenfeldern der über dieser Steinwand beginnenden weiten Ebene abgeschnitten war. Von diesem Felsen herab stürzte sich früher der lustige Bach auf das Rad, aber, wie gesagt, die großen neuen Fabriken droben im Lande hatten längst den Hauptfluß des Wassers für sich in Anspruch genommen und dem demütigen Schwesterchen in der Tiefe nur grade so viel davon gelassen, als nötig war, um rund um das alte Gemäuer, Gestein und Gebälk und das zerbrochene Radwerk eine Vegetation hervorzubringen und zu erhalten, wie kein Maler sie sich anmutiger, üppiger, frischer und grüner vorstellen konnte. Ein wildes Gärtchen zog sich vor dem Hause her, und es war kaum zu erkennen, wo die lebendige Hecke in das Gebüsch des Waldes überging. Wilde und edle Rosen hatten sich ineinanderverflochten, Zaunwinden und Jelängerjelieber ebenso unzertrennlich ineinanderverschlungen. Über das Dach der Mühle hatte sich der Efeu in einer Weise gelegt, daß eine wahre Merkwürdigkeit daraus geworden war. Wie es um den Speichen und Schaufeln des alten schwarzen Rades blühte und grünte, läßt sich kaum beschreiben. Es war ein Wunder, daß die Fenster des Hauses nicht aus Bonbontafeln bestanden, und kein Wunder wars, wenn Leonhard Hagebucher vor Überraschung stehenblieb und rief:

»Das ist die Katzenmühle?! O was ist aus der geworden? Der Anblick würde einem in den Hundstagen unterm Äquator Kühlung geben, o das ist schön!«

»Nicht wahr? Aber so ist es immer und an jedem Orte; man braucht die Natur nur ihr Spiel weiterspielen zu lassen, sie weiß mit den gegebenen Hülfsmitteln üppig zu wuchern. Unter des Katzenmüllers Regierung sah das Ding anders aus, Madam Klaudine hat es gelernt, der alten Mutter Isis ihre Wege offenzulassen, und nicht bloß um Haus und Zaun her.«

»Allah, was haben wir hier?« rief der Afrikaner, als sich plötzlich aus dem Wald- und Gartengebüsch ein weißer Pferdekopf hob und schnaufend und vertraulich sich ihm auf die Schulter legte. »Bei allen Mächten Dschinnistans, Prospero, bist du auch da? Weißt du auch den Weg hierherzufinden?«

»Wahrhaftig, s ist der Engländer vom Bumsdorfer Gutshof!« brummte der Vetter. »Na, denn nur zu; die Kompanie wird immer hübscher.«

»Ich hab ihn aus seinem Stall gestohlen und, wie gewöhnlich, selber satteln müssen, Herr Vetter«, sprach Nikola von Einstein, aus der Gartentür vortretend. »Seid gegrüßt, ihr Herren. Madam Klaudine wird sich freuen, euch zu sehen, wir haben schon länger, als uns gut ist, zusammengehockt.«

Eine ältere Dame in schwarzer Kleidung zeigte sich jetzt an dem offenen Fenster der Mühle und nickte freundlich lächelnd dem Wegebauinspektor zu. Geführt von dem Hoffräulein, betraten die beiden Männer das Haus, und Nikola sagte:

»Frau Geduld, hier ist er denn, und es soll mir nicht darauf ankommen, seine Abenteuer und Erfindungen zum sechstenmal anzuhören. Fragen Sie ihn nur immerhin aus, Frau Geduld; ich halte mich derweil an den Herrn Vetter, welcher auch das Seinige, und zwar jeden Tag erlebt.«

»Danke, meine Allerschönste«, sagte der Inspektor und stellte nun den Begleiter in aller Form der Frau Klaudine vor, und diese reichte dem letztern die feine hagere Hand und hieß ihn auf das herzlichste in ihrem stillen Reiche willkommen. Dem Afrikaner aber wards zumute, als sei er jetzt wirklich einer großen Hitze in der Libyschen Wüste, auf den Landstraßen des Vetters Wassertreter, in den Gassen von Nippenburg, einer argen Verfolgung durch immer von neuem aufspringende Widersacher von allen Hautschattierungen, einem erbärmlichen Geschrei, wilden, wüsten Rufen, Lärmen und Spektakel glücklich entgangen, als könne er jetzt wirklich in Sicherheit Platz nehmen und verschnaufen. So tat er.

Die Frau Klaudine war eine schöne, alte Frau mit ruhiger, sanfter Stimme und ruhigen Augen in einem stillen Gesicht. Ihre Bewegungen waren langsam und ein wenig mühsam, wie die einer von schwerer Krankheit Genesenden. Sie trug sich schwarz und hatte im Innern ihrer Hütte gewaltet wie die Natur draußen. Mit dem geringsten Aufwande und den gewöhnlichsten Mitteln hatte sie den verwahrlosten Bau und Aufenthalt des Katzenmüllers und seiner Familie verwandelt, als eine geschmackvolle Fee, welche durch ihren Zauberstab ebenso mächtig ist wie andere Leute durch ihr Geld. Sie, Madam Klaudine, ließ auch Kaffee bringen durch ein hübsches Bauernmädchen; der Vetter Wassertreter durfte seine Pfeife anzünden, und insgesamt saßen sie nieder zur Unterhaltung.

»Fräulein Nikola hat Sie nach ihrer Art empfangen, Herr Hagebucher«, sprach die Frau Klaudine; »aber glauben Sie mir, Sie sind mir hoch willkommen und – und wir sind auch schon recht gute Bekannte. Wenn die junge Dame die Erzählung Ihrer Erlebnisse sechsmal angehört hat, so hat sie jedenfalls gut zugehört. Ich habe viel gefragt, und sie wußte immer gar schön Bescheid. Ach, geben Sie mir noch einmal Ihre Hand, Herr Leonhard; Sie müssen mir viel, viel mehr von Ihrem Leben sagen; ich möchte noch recht vieles von Ihnen wissen.«

»Und wir kommen auch, um mehreres mitzunehmen für das, was wir bringen können«, fiel der Wegebauinspektor ein.

»Wir stecken fest, wir wissen nicht mehr ein und aus!« lachte das Fräulein von Einstein. »Wir möchten gern wissen, wo die gebratenen Tauben der Zivilisation am dicksten in der Luft fliegen; – wir möchten gern die Frau Klaudine bitten, uns zu sagen, wo und wie man sich niederzusetzen hat, um nicht mitten im alten Europa das Tumurkieland recht sehr zu vermissen. Papa und Mama, die Tante Schnödler und der Vetter Wassertreter haben uns wenig Trost geben können, und so sind wir denn zur Katzenmühle gewandert. Jaja, es geht mehreren Menschen so.«

»Ach, gnädige Frau«, stammelte Leonhard mit einem Blick auf das Hoffräulein, welches anfing, mit einer Geißblattranke, die sich neugierig in das Fenster bog, zu spielen; »Madam – Frau Klaudine, im Grunde ist es so, wie das Fräulein spricht, und soeben fühle ich zum erstenmal wieder seit langer Zeit eine kühle Hand auf der Stirn. Ich bin freilich zu Ihnen gekommen, weil so viele Leute sagen, Sie allein könnten mir einen Rat für mein verzetteltes Leben geben; denn Sie seien nicht nur eine gute, sondern auch eine kluge Frau, und nicht nur eine kluge Frau, sondern auch eine weise. Es sei keine geringe Kunst, hier in der Katzenmühle zu leben, meinen die Leute; wer es aber so könne wie Sie, Frau Klaudine, der habe so viel gewonnen, daß er einem andern recht gut davon abgeben könne, und darum bitte ich, der es vor Tausenden nötig hat, mir einen Rat zu geben und mir zu sagen, was ich mit einem Dasein gleich dem meinigen anzufangen habe.«

Madam Klaudine hatte wieder die Hand des Afrikaners genommen und sah ihn mit einem ruhigen, aber doch sehr traurigen Blick an.

»Also so reden die Leute draußen in der Welt von mir und haben Sie zu mir geschickt?« fragte sie. »Ei, ei, soll ich euch den Merlin spielen und im Dickicht verworrene Sprüche vor mich hinsagen, daß ihr neue Rätsel zu den alten aufzulösen bekommt? Was denken die Menschen, und was denken Sie, lieber Freund! Ich bin eine alte Frau, und Sie sind ein junger Mann; ich bin müde zum Einschlafen, und Sie reiben sich, soeben wieder erwachend, den Schlaf aus den Augen. Ich habe mich unter bittern Schmerzen, in hartem Kampfe dessen entledigt, was Sie mit allen Kräften wiedergewinnen möchten; und wenn auch das letztere leichter ist als das erste, so ist es doch grade für mich schwer, sehr schwer, die Wege zu zeigen.«

»Lassen Sie sich nicht darauf ein, Frau Geduld!« rief Nikola. »Es ist ein undankbarer Herr, der so leicht nicht zu befriedigen ist. O Gott, was würde ich darum geben, wenn man mich zum Ratsschreiber von Nippenburg machen wollte! Und wenn ich, wie er, meine Historia zu einer Orgel und einer bunten Leinwandtafel in den Gassen absingen dürfte, dann verlangte ich nichts weiter vom guten Glück und zöge sicherlich nicht so verdrossen und griesgrämlich einher und langweilte die Menschheit. Ach, es weiß selten einer, wie gut ers haben könnte, wenn er nur wollte und wagte, nicht wahr, Frau Klaudine?«

Während der Vetter Wassertreter bestätigte, daß der Gedanke mit der Drehorgel etwas recht Verlockendes habe und jedenfalls in nähere Überlegung zu ziehen sei, sah die Bewohnerin der Mühle mit noch tieferer Melancholie auf das Hoffräulein und nahm erst nach einem längern Stillschweigen von neuem das Wort.

»Ich kann Sie nicht einladen, Herr Hagebucher, in den Wald zu kommen und bei den sieben Zwergen zu leben; denn es wäre nicht gut und nützlich. Sie haben lange genug nur mit sich allein hausgehalten; deshalb lassen Sie sich nicht verführen von augenblicklicher Abspannung und Ermüdung. Ach, ich bin keine kluge und noch viel weniger eine weise Frau, obgleich die Leute es sagen; aber man brauchts auch nicht zu sein, um zu wissen, was den Tod für Sie bedeuten würde. Was für einen andern Rat könnte ich Ihnen geben, als daß Sie wieder hinausgehen müssen auf den Markt; und wer sich Ihren Freund nennt, der soll dazu helfen und unter keinen Umständen dazu beitragen, daß Ihnen der gegenwärtige Tag allzu behaglich werde.«

»Hab ich es nicht immer gedacht, mein Junge!« rief der Vetter Wassertreter mit Emphase. »Was hilft mir der Großvaterstuhl, wenn ich nicht drin sitzen darf? Nur weiter, Frau Klaudine, ich habe meine Meinung schon längst gewußt, ich hab sie nur nicht ausdrücken können. Warte, mein Söhnchen, wir werden dir schon Nadeln aus jeglichem Sitz wachsen lassen. Nur immer weiter, liebste Frau Klaudine.«

Lächelnd fuhr die Madam Klaudine fort:

»Der Vorschlag mit dem Drehorgelbild und dem schönen Lied dazu gefällt auch mir ausnehmend wohl, und es wäre meine feste Meinung, daß wir nichts Besseres tun können, als ihn so schnell als möglich zur Ausführung zu bringen. Ja, es ist mein völliger Ernst, lieber Freund, und ich glaube auch nicht, daß man dadurch gegen die Sitte der Zeit verstoße –«

»Nicht im geringsten!« rief Nikola von Einstein. »Das wäre noch besser, nicht im allergeringsten!«

»Was jedermann tut, kann auch einer aus dem hintersten Afrika machen«, brummte der Vetter. »Leonhard, fasse dich kurz; auf die Auslagen solls mir nicht ankommen, und den rechten Schick traue ich dir schon zu.«

»Mein Jammer muß doch recht komisch sein, daß alle das Lachen ihrer Teilnahme beifügen«, sagte Leonhard kläglich und mit einem etwas vorwurfsvollen Blick auf Frau Klaudine. »Man hat auch recht, und das Wort ist alt genug, daß der für den Spott nicht zu sorgen braucht, welcher den Schaden hat. Es ist sehr komisch, und ich will auch lachen wie die andern, und wißt Ihr, was ich tun werde, Vetter? Mit einer Drehorgel werde ich nicht im Lande umherziehen; aber Eure Steine will ich zerklopfen an Eurer Landstraße, Herr Vetter. Bei Allah, das werde ich tun, und morgen werde ich damit beginnen! Das ist mein Entschluß, und niemand soll mir mehr dreinreden. Bei Allah, wie dumm der Mensch sein kann! Ist es mir doch noch gar nicht eingefallen, daß ich die Philosophie, die ich im Tumurkielande theoretisch übte, im Lande der Deutschen praktisch ausführen könne! Beim Ring des Königs Salomo, jetzt habe ich des guten Rates genug; ich will nichts mehr hören, sondern meine Tage zerklopfen wie den Basalt an Euren Landstraßen, und Eure Zivilisation mag über meine Gedanken und Hirngespinste weggehen und -fahren, was kümmerts mich.«

»Wohinaus, Nikola?« fragte die Frau Klaudine, als das Fräulein sich jetzt schnell erhob und nach ihrem Hütchen und ihrer Gerte griff.

»Nach Bumsdorf zurück auf dem Prospero, Liebste.«

»Und Sie wollen nicht warten und uns nicht mit sich nehmen?« rief der Vetter Wassertreter.

»Nein, nein! Was hat Sie auch angetrieben, uns jenen dort herzuschleppen? Auch wir kommen selten genug dazu, uns einer guten Stunde zu freuen, und es ist durchaus nicht nötig, daß man uns ungeladen eine Fratze in den Sonnenschein schneide. O Frau Geduld, werden Sie einmal recht, recht ungeduldig und sagen Sie dem Herrn aus dem Mohrenlande, daß wir unsere Meinungen und Ratschläge keineswegs wie Brombeeren hergeben, oder, noch besser, rufen Sie die Christine mit dem Besen und lassen Sie Ihr Haus kehren. Guten Abend, Madam! Guten Abend, Gentlemen! Ich hab an meinem eigensten Eigensinn schwer genug zu tragen und brauche mir von keinem andern dazu mit dem Borstwisch durch die blaue Minute fahren zu lassen. Guten Abend, meine Herrschaften, guten Abend, Herr Leonhard Hagebucher – vielleicht treffen wir in einer bessern Stimmung wieder zusammen.«

Sie hatte der Frau Klaudine die Stirn geküßt und war zur Tür hinausgesprungen. Sie saß auf dem weißen Pferde und grüßte in lachender Schönheit, die nun gar seltsam mit ihren ärgerlichen Worten kontrastierte, über die Hecke. Als die lustige, grazienhafte Erscheinung im Walde verschwunden war, saßen die beiden Männer noch eine geraume Weile sehr verblüfft da und starrten ins Leere, bis die Frau Klaudine seufzte:

»Mein armes Kind, geh nur; es darf dich niemand schelten um deine Ungeduld! Ihr lieben Herren, da ist auch eine glatte Stirn und krause Gedanken darunter, und keiner in der Welt draußen, ihre Gespielinnen nicht und ihre Mutter nicht, kann so viel davon wissen als ich. Und sie kommt ebenfalls zu mir, um auf die Tropfen zu horchen, die von dem zerbrochenen, nutzlosen Rad meiner Mühle klingen; aber auch sie ist zu jung, als daß die Lehre dieses Klanges den rechten Sinn für sie haben könnte, und zu jung sind auch Sie, Herr Leonhard.«

Mit den letzten Worten hatte sich die Bewohnerin der Katzenmühle von neuem an den Afrikaner gewendet und fuhr jetzt fort:

»Ich wollte Ihrer nicht spotten, mein Kind. s ist auch eine Kunst wie so manches andere; und wenn ich voreinst mehr davon wußte, so habe ich das gleich so manchem andern lange verlernt hier in der Stille. Es ist ein übel Lachen in der Katzenmühle, wenn man allein sitzt und auf das Fallen der Wassertropfen horcht und auf den Häher tiefer im Walde. Man lernt das Lachen und den Spott nicht in der Einsamkeit! – Weshalb wollen Sie das, was Sie in der Wüste erlebten und dachten, nicht auf eine Tafel malen, um es dem Volke zu zeigen und zu deuten? Viele kluge und gute Leute haben dasselbe getan und so einen großen Nutzen gestiftet, indem sie ihr Schicksal, ihre schweren Mühen und Arbeiten, ihr Glück und Unglück sing- und sagbar machten. Denken Sie nach über das, was Sie erlebten; – hier im Walde, auf der Landstraße des Herrn Vetters, in Ihrer Eltern Hause, überall denken Sie darüber nach, und wenn Sie wollen, können Sie auch niederschreiben, was Sie für nützlich und neu halten. Es ist ein schöner Sommer, die Tage sind lang, und man hat volle Zeit, sich allerlei zu überlegen, bis der Herbst in das Land kommt; – nachher, wenn Sie genug zusammengetragen haben, reden Sie zu dem Volke davon, Sie werden tausend Hörer finden, und wenn Sie Ihre Sache recht machen, so sollen Sie sich wundern, wie schnell sich Steine in Gold, Verdruß in Wohlbehagen und großes Elend in noch größeres und sehr dauerhaftes Glück verwandeln können.«

»Was sagst du, Leonhard? Was habe ich dir gesagt?« rief der Wegebauinspektor in heller Begeisterung. »Haben wir an die rechte Tür geklopft? O Frau Klaudine, was hätte aus mir werden können, wenn Sie Anno neunzehn in Mainz an der Tür der Zentraluntersuchungskommission auf mich gewartet hätten! Rühr dich, Leonhard, und küsse der Madam Klaudine die Hand, oder ich ziehe die meinige so vollständig von dir ab wie nur je der Stamm Levi von der übrigen Vetternschaft, wenn der Kirchenzehnte in Gefahr kam, weil Bacchus und Venus, Baal oder der Drache zu Babel es billiger taten.«

Die Herrin der Katzenmühle erhob drohend lächelnd den Finger und sagte:

»Herr Vetter, Herr Vetter, es ist sicherlich zu jeder Zeit ein schweres Stück Arbeit gewesen, Sie einen Weg zu führen, den Sie nicht gehen wollten. Jetzt halten Sie gefälligst den Mund und lassen mich aussprechen. Sie fallen vom Monde herab, Herr Hagebucher, und haben somit viel zu erzählen; singen Sie Ihr Lied vor Ihrer bunten Tafel, und das Leben der Gegenwart, das Sie unter so großen Mühen wiederzufinden suchen, wird gewiß zu Ihnen kommen, und wohl Ihnen, wenn es Sie nicht ertränkt und erstickt mit seinen bittern, trüben Fluten.«

Leonhard Hagebucher hatte die Stirn tief gesenkt; der Vetter Wassertreter aber schlug von neuem mit großer Gewalt auf sein Knie und rief begeistert:

»Madam Klaudine, der Bursche kanns machen, und ich werde ihm helfen! Hurra, da sollen nicht Nippenburg und Bumsdorf allein Augen und Ohren aufsperren! Vivat, jetzt haben wir eine Beschäftigung für den Winter –«

»Wo steht Euer trefflicher Gaul, Herr Wegebauinspektor?« unterbrach die Frau Klaudine den Entzückten, und der Vetter, der gern noch länger das Wort behalten hätte, antwortete:

»Nun, im Ochsen, wie gewöhnlich.«

»So tut mir den Gefallen, Liebster, und schlendert hin zum Ochsen; reitet heim und laßt mir diesen hier noch einige Augenblicke allein; ich schicke ihn Euch so bald als möglich nach. Ihr habt mir ein freundliches Zutrauen erwiesen, Herr Vetter, indem Ihr Euren Schützling mir zuführtet, und daß ich dasselbe nicht täuschen werde, wißt Ihr. Laßt mir den Herrn Leonhard noch ein Stündchen, ich verspreche Euch auch, daß Ihr noch viele Freude an ihm erleben sollt.«

Der Vetter Wassertreter machte eine Bewegung, als ob er sich die Hände wasche, und sagte greinend, indem er sich langsam erhob:

»Madam Klaudine, es ist sicher, daß Ihr eine kluge Frau seid und daß man sich auf Euch jederzeit verlassen kann, auch wenn Ihr einem den Stuhl vor die Tür setzt. Ich habe schon Zerbrechlicheres als den Vetter Hagebucher in Eure Hände gelegt; also wünsche ich Euch hiermit einen guten Abend und marschiere Eurem Wunsche gemäß nach dem Ochsen. Bringt ihn rum, ich meine den Jüngling aus Afrika, und laßt nicht los, eh Ihr seiner Unmündigkeit auf die Beine geholfen habt. Sei brav, Leonhard, und bedenke, wieviel Liebe und Ehre dir angetan wird. Solltest du mich bis gegen zwei Uhr morgens noch nötig haben, so melde dich unter meinem Fenster; du weißt, daß der Schlaf meine schwache Seite ist.«

»Guten Abend, Herr Wegebauinspektor!« rief die Frau Klaudine ein wenig ungeduldig; der Vetter Wassertreter küßte mit großer Zierlichkeit die Hand gegen sie und verschwand endlich pfeifend hinter den Büschen, ein gut Stück Weges begleitet von dem Wächter der Katzenmühle, einem stattlichen weißen Spitzhund, dessen Verwandtschaft in sehr guten Umständen auf dem Bumsdorfer Edelhofe lebte.

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