Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1 | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | 13. | 14. |

Weitere Werke von Wilhelm Raabe

Das Horn von Wanza | Deutscher Adel | Altershausen | Die Akten des Vogelsangs | Horacker |

Alle Werke von Wilhelm Raabe
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Marsch nach Hause) ausdrucken 'Der Marsch nach Hause' als PDF herunterladen

Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

14.

eingestellt: 9.8.2007



Aus dem tiefen Schlafe des Korporals Sven war allmählich ein sehr unruhiger geworden. Der Bub hatte die Tür der Hütte offenstehen lassen, und die scharfe Gebirgsluft, die eindrang, mochte wohl mit schuld daran sein, daß sich der Schläfer unruhig hin und her warf; allein an dem kuriosen Traum, den er jetzo träumte, war sie jedenfalls nicht schuld.

Er befand sich mitten im Schlachtgetümmel von Fehrbellin, und sein guter Kamerad Rolf Rolfson Kok hielt zehn Schritte von ihm ab in derselben Linie, und er sah ihn dann und wann deutlich durch den Dampf und Regennebel. Sie hatten sich zum letztenmal gestellt vor dem brandenburgischen Andrang, ehe sie über die pommersche Grenze zurüchwichen. Er sah alles wie in einem sich wandelnden Bilde: den weiten Weg von der Havel her, bedeckt mit abgeworfenen Kürassen und Eisenhüten, zerbrochenen Wagen, halb versunkenen Kanonen und Leichen von Mensch und Tier, – und zugleich sah er rundum den letzten Kampf der Trümmer der tapfern Armada des großen Feldmarschalls Wrangel, die letzte Aufstellung hinter der Landwehr zwischen Ribbeck und Hackeberg. Er winselte in seinem Traum; über seinem Haupte flatterten die Standarten des Regiments Dalwigk, und er sah sie deutlich mit ihrer goldenen Inschrift »Auto et ferro!« Da brauste es heran, und er schrie auf im Traum – um ihn her schwankte und schwirrte es, er lag unter den Haufen der Gäule, der Feind ritt über ihn weg, und da – war er allein auf dem Felde mit dem guten Kameraden, kniete neben ihm, hielt seinen zerschossenen Kopf im Arme; aber der Korporal Rolf konnte ihm nimmer wieder die Hand drücken und zunicken, der Korporal Rolf war tot und nun freilich zu Hause angelangt nach so langem, beschwerlichem Marsche.

Wie war denn das? Der Traum verwirrte alles zu sonderbar! Nun war der Korporal Rolf wieder nicht tot, sondern der Korporal Sven erblickte ihn in einem betrüblichen Zuge eiliger Männer, die mit einer Sänfte fliehend über graue Heidehügel dahinzogen. In der Ferne lag es noch grauer – aber das regte sich und bewegte sich – die See dehnte sich dorten, und große Orlogsschiffe unter schwedischer Kriegsflagge kreuzten hin und wider. Aber aus der Sänfte beugte sich ein verwelkt, kummervoll Greisengesicht – das war der glorreiche, sieghafte Feldherr Carolus Gustavus Wrangel selber, den der Korporal Sven schon als junger Mensch gekannt hatte in allem Glanz und Triumph. Der Korporal Rolf war aber doch tot; denn wie er neben der Sänfte des Generals einherschritt, zog er plötzlich den Reiterhandschuh ab und legte eine fleischentblößte Faust, die Hand eines Gerippes, auf den Fensterrand. Da schwankte und schwirrte es wieder um den ächzenden Sven Knudson Knäckabröd. Die Wolken zogen sich zusammen und stiegen nieder, aber des Meeres Horizont stieg immer höher auf, immer dunkler, schwärzer. Und aus den Wassern wurden steinerne graue Mauern, die Mauern eines alten, festen schwedischen Schlosses; – der Korporal Sven stand unter einer großen Menge bewaffneter Männer in einem düstern Saal, und in der Mitte dieses Saales stand ein Block und daneben ein Mann im schwarzen Kleide und Mantel. Es kniete aber ein anderer Mann vor dem Block, und wieder ein anderer hatte ihm sanft auf die Kniee niedergeholfen; – beide waren alt, sehr alt, und beide waren auch Kameraden seit langen, langen Jahren: der mächtige Connetable Wrangel und der brave Korporal Rolf Rolfson Kok. Der Mann im schwarzen Kleid hob sein mächtig Beil und schlug – – da mußte der Korporal Sven Knudson Knäckabröd in der Sennhütte auf der Lorena freilich wohl erwachen; denn sie schüttelten ihn, die Leute von Alberschwende, und vor allen andern schüttelte ihn derb die tapfere Freundin, Frau Fortunata Madlener, die Wirtin zur Taube in Alberschwende, und der alte heimgekehrte Sünder saß aufrecht auf seinem Strohsack und sah sich verstört und blinzelnd um! –

Natürlich, nachdem sie ihn nach Herzenslust und Bedürfnis abgeschüttelt hatten, überschwemmten sie ihn mit einer Flut von Fragen! Er aber brauchte längere Zeit, um ihnen alles mitzuteilen, was sie, nicht ohne einige Berechtigung, zu wissen verlangten. Er hatte für manchen Winterabend, wenn der Schnee erst bis zum Dachrande hinauf lag, genug erlebt; wir jedoch haben hier uns nur an das Zunächstliegende zu halten.

»Wo will Er gewesen sein, Er Landläufer?« schrie die tapfere Wirtin zur Taube. »Saget es noch einmal und lüget nicht, Schwen; – Ihr kennet mich und werdet nicht verlangen, daß ich in dieser Stunde Spaß verstehen soll.«

»Auf Ehre und Gewissen, Frau Fortuna«, ächzte der Korporal. »Am Rhin war ich – zu Hause war ich – bei den Fahnen, bei dem Feldmarschall – ja, auf Ehr und Gewissen.«

»Schwen, Schwen, Ihr lügt, wie Ihr es weder vor unsern katholischen noch Euern lutherischen lieben Heiligen verantworten könnet. Stellt Ihr Euch auf die Zehen, so könnet Ihr den Rhin aus dem Graubündnerland herfließen und in den See gehen sehen: hab ich Euch nicht auf sechs Meilen in die Rund suchen und aufbieten lassen? Wie wollt ich Euch nicht gefunden haben, wenn Ihr nur am Rhin die Straßen und die Wirtshäuser unsicher gemacht hättet! Schämet Euch, schämet Euch, Schwen; das hat niemand vor dem Arlberg um Euch verdienet und ich am wenigsten! O Schwen, hab ich Euch darum an die dreißig Jahre wie meinen Bruder, wie meinen Sohn, wie meinen allerbesten Freund gehalten?«

»Bei meiner Ehr und Gewissen, Frau; sie nannten im Generalstab das Wasser, wo wir die schlimmen Schläge kriegten, den Rhin. O nun lasset mich ausschlafen; nachher will ich Euch gern auf alles des fernern dienen. Nimmer in meinem Leben bin ich so gelaufen und hab so mächtig Herzeleid erlitten wie in diesem Jahr. Ich habe sie liegen sehen im Sumpf und auf den Sandhügeln zu Tausenden und ich hab sie in heller Flucht gesehen, daß ich blutige Tränen wein im Wachen und im Schlafe.«

»Wen habet Ihr liegen und auf der Flucht gesehen?«

»Uns – die wir den Sieg behalten hatten vom ersten Sprung auf den deutschen Boden an – Nördlingen ausgenommen.«

»Und wer, saget Ihr, hat euch niedergeleget?«

»Der Brandenburger, Frau. Der Kurfürst Friedrich Wilhelm, der Fürst von Homburg mit dem silbernen Bein und der Derfflinger, Frau. Ja, da möcht ich wahrlich wohl lügen, wenn es anginge! Die Brandenburger haben das Feld behalten.«

»Sehet Ihr, Schwen, da habe ich Euch schon! Eine solche Völkerschaft, als Ihr da nennet, gibt es gar nicht! Nun verantwortet Euch noch einmal vor Gott und den Menschen, da vor der Aloysia und vor den Kindern drunten im Ort, die sich nach Euch schier die Augen aus dem Kopfe gegreint haben.«

»Frau, bringet mich nicht auch zum Greinen! Ach ich wollte, Ihr könntet den Wrangel fragen, dem würdet Ihr ja wohl glauben; denn er war ja hier bei euch Anno siebenundvierzig. Wisset Ihr nicht, wie er Bregenz da unten nahm und wie wir über den Pfänder aus purem Übermut zu euch auf Besuch kamen und wie ihr uns so übel aufnahmet am Roten Egg?! O Frau Fortuna, jetzo lieget der Wrangel tief zu Boden; und obgleich euch die Geschichte dort bei Fehrbellin nicht so nah auf die Haut brennt als der Bregenzer Sturm, so möget ihr wohl noch ärger Viktoria schreien als damals am Fallenbach über unsern blutigen Leibern. Auf Ehr und Gewissen, Frau Fortuna, die Brandenburger haben den großmächtigen Connetable Wrangel niedergeleget in dem Rhinluch, und der Generalfeldmarschall Derfflinger hat über mich gelacht nach der Schlachtung und mich aus Spaß ranzionieret auf dem Markte zu Fehrbellin, als ich mich bei ihm bedankte, weilen er mich auf der Rathenower Brück nur mit der Faust traktierete. Er hat mir auch sechs Brandenburger Taler aus Generosität geschenkt, damit bin ich heimkommen zu Euch – ach Gott! ohne den Rolf, den tapfern Herzbruder, den Korporal Rolf Rolfson Kok, den die Spießbürger zu Lindau das Gockele nannten und zum Hafenvogt gemacht hatten, weil sie nicht wußten, was er wert war. Ach Gott, wir haben ja beid zusammen das Heimweh zu Lindau in der Krone gekriegt; aber ich allein bin zurückkommen von unserm Marsche zu den Fahnen – der gute Korporal Rolf Rolfson Kok, der liegt verscharrt an der Landwehr bei Hackeberg.«

Die alte Taubenwirtin und Oberkommandantin vom Fallenbach schüttelte bedenklicher denn je den Kopf:

»Jetzt wärs mir am End gar noch ein Gaudium, wenn ich ihm glauben dürft«, murmelte sie. »Als wir um die Weihnacht sechsundvierzig allhier bei Tag und Nacht zu Haufen standen und bei Tage den Rauch, bei Nacht den roten Feuerschein rund um den See sahen, da wars ja freilich der Wrangel, der uns die grausame Angst, das Zittern und Beben schuf. Schwen, Schwen, Euch traue ich noch lange nicht; aber wenn das wahr wär mit dem Wrangel – – – Schwen, ich sage Euch, ich erfahr es noch, ob es wahr ist, daß es solch ein Volksspiel gibt, von welchem Ihr gelogen habt und was euch eure Sünden so derb heimzahlte! Ich erfahr es, und nachher wollen wir weitersehen.«

»Geträumt habe ich es nicht, Frau, verlasset Euch drauf, obgleich es mir jetzo wahrlich so zumute sein könnt, als sei das alles, was ich erleben mußte auf dem Marsche, nur das Gespinste einer boshaftigen Trold gewesen, so sie mir nächtlicherweile über den Kopf und das Hirn geworfen hätt. Ich hab wahrhaftig nicht gewußt, wie weit ich von Euch und der Aloysia und den Kindern abkäm, als ich Euch vorm Jahr auf dem Gebhardsberg bei den Gevatterinnen ließ und allein meines Wegs am See hin lustwandeln ging! Ich konnt es doch sicherlich nicht wissen, wer zu Lindau auf der Hafenmauer sechsundzwanzig Jahre lang auf mich wartete! Und dann – dann war da die Krone und der vom Regiment Strozzi, der Titinio Raffa, und die Kugel – unsere Kugel am Gebälk und das Bildnis des Feldmarschalls – unseres Feldherrn! Saget selber, wie weit wäret Ihr gelaufen, Frau Fortuna, wenn Euch das Heimweh also ans Herz gegriffen hätt? Und saget, bin ich nicht um Euch heimkommen, als alles aus war, in alter Freundschaft und Dankbarkeit?«

»Nun soll ich ihm gar noch eins drauf zugute tun«, sprach die Frau Wirtin zur Taube, aber der Korporal Sven Knudson Knäckabröd faßte jetzt plötzlich ihre Hand, schüttelte sie wacker und rief:

»So ist es, und es wird das beste sein. Und Fraue – es ist doch ein Vergnügen, Euch allda so dick und stattlich sitzen zu sehen, und jetzo – saget, wie ist es denn Euch ergangen in dem Jahre, wo ich mit dem armen Korporal Rolf auf dem Marsche nach Hause war?«

»Lieber Himmel, Schwen, bei uns hier im Walde ist noch alles beim alten. Seit wir Anno siebenundvierzig gegen euch auszogen, hab ich nichts von Merkwürdigkeiten erlebt als heut Eure verwunderliche Historie. Nach dem andern müßt Ihr die Aloysia und die Kinderle fragen, und – na – weil es denn eben so ist und ich es doch nicht ändern kann, so – grüeß di Gott daheim, du alter Schwed!«

  • Seite:
  • 1
  • 2
< 13.



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.