Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

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Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

2.

eingestellt: 9.8.2007



Der Korporal hatte das Kinn auf beide Fäuste gestützt, er blinzelte lächerlich-nachdenklich mit den schwimmenden Augen, und von Zeit zu Zeit schüttelte er den grauen Kopf und fuhr mit der Rückseite der Hand über die braunrote, ehrliche, wenn auch nicht ehrwürdige Nase; es kam ihm selber ganz verwunderlich vor, daß er hier saß, und zwar zum zweitenmal, und zwar unter gänzlich veränderten Um- und Zuständen. Er hatte des guten Tirolers manchen ehrlichen Schoppen genossen, und es war eben kein Wunder, wenn er das bunte, bewegte Treiben vor und um sich in einem phantastischen Zauberlicht sah; aber sein seltsam Geschick hatte ihn wahrlich berufen, an dieser Stelle auch ohne den roten Tiroler mancherlei Gesichte zu erschauen. Er schüttelte den Kopf, wehmütig und doch lustig, wie er daran gedachte, auf welche Art er damals in der Burg des heiligen Bischofs Gebhard anlangte. Wahrlich nicht, um sich wie heute breit und bequem im Schatten eines grünen Ahorns vor dem Becher niederzulassen! Damals war die Welt verschneit, und die Eiszapfen hingen an den Fichtennadeln und Tannenzweigen, an den kahlen Ästen der Eichen und Buchen und an den Bärten der zehntausend Kameraden, welche durch den Allgäu zum Bregenzer Sturm heranmarschiert waren. Damals handhabte er, der Korporal Sven Knudson Knäckabröd, seine Arkebuse wie die andern, stand wie die andern in Rauch, Dampf und Feuer und stieg bergan den Pfannenberg über Leichen und Verwundete. Damals half er den Geschützmeistern die Kartaunen in die rechte Position bringen und war unter den ersten an der Zugbrücke, als das Tor von Hohen-Bregenz zersplitterte, die Mauer schwankte und vornüberbrach und den Graben für den verlorenen Haufen weg-, sprung- und sturmgerecht machte. Er befand sich natürlich auch unter dem verlorenen Haufen und schlug mit umgekehrter Muskete wacker drein, als das kaiserliche Kriegsvolk immer noch den Eingang streitig machte; er erwarb sich großes Lob bei seinem Hauptmann, und als der Feldmarschall nachher auf den Berg kam, die gemachte Arbeit in der Nähe zu sehen, da war der Korporal Sven voran unter denen, welche am lautesten Viktoria schreien durften.

»Ooooh!« stöhnte der Korporal am Nachmittag des siebenten Augusts 1674, in allen Reizen der Erinnerung schwelgend, und legte sich schwer auf die linke Seite und schlug mit der rechten Faust gewaltig auf den Tisch. Um seine Gefühle deutlich zu machen, hatte er nichts weiter hinzuzusetzen; aber wir haben noch einiges über seine Vorgeschichte zu berichten, um unseren Gefühlen gegen ihn geredet zu werden.

Den Fürberg hinauf und um den Fürberg herum, in den verschneiten Wäldern und Klüften dauerten die Scharmützel zwischen den Schweden und den Kaiserlichen auch nach der Einnahme von Stadt und Schloß Bregenz tagelang fort, und heute noch richtet auf dem Pfänder der Tourist den Blick oder das Fernrohr auf eine der großartigsten Landschaftsrundsichten Europas aus den halbversunkenen Verschanzungen jener blutigen Wochen.

Ein beträchtlicher Haufen der Sieger drang plündernd, sengend und brennend tiefer in den Wald, scheuchte das Volk dörferweise vor sich her oder jagte es vereinzelt in unwegsame Felsenschluchten oder versteckte Täler, wie solches seit dem Jahre 1618 bei allen kriegführenden Parteien auf des Römischen Reiches heiligem Boden Brauch, Sitte und Gewohnheit geworden war. Auch unter dieser Heldenschar befand sich der Korporal Sven Knudson Knäckabröd, und dieser Expedition hatte er es zu verdanken, daß er im August des Jahres 1674 sich noch immer in der Gegend befand und am Tage des heiligen Gebhard auf dessen von ihm, Sven, selber zerstörten Burg friedlich und gemütlich vor dem Becher saß. An diesen schwedischen Streifzug in den ersten Tagen Anno Domini 1647 knüpft sich nämlich einer jener gar nicht seltenen schönen Züge weiblichen Mutes, weiblicher Wut und weiblicher Tapferkeit, von denen uns die von den Männern geschriebenen Geschichtswerke in verlegener und etwas bänglicher Bewunderung Kunde geben.

Zwischen Lingenau und Hüttisau schlugen am 4. Januar 1647 die vorarlbergischen Ehefrauen und Schmelgen – das ist: die jungen Mädchen – die eingedrungenen Schweden bis auf den letzten Mann tot, und nur der letzte Mann entkam, das heißt, er – der Korporal Sven Knudson Knäckabröd – wurde schwerverwundet von der Wirtin zur Taube in Alberschwende, Frau Fortunata Madlenerin, gefangengenommen und unter sonderlichen Umständen von ihr gegen das blutdürstige Andringen der erbarmungsloseren Kampfgenossinnen mit Erfolg verteidigt.

Die Männer, welche sich von diesem Überfall am Roten Egg wahrscheinlich aus Bescheidenheit ferngehalten hatten, durften natürlich auch nicht in die dem Kampfe folgenden Verhandlungen dreinschwatzen; sie läuten jedoch heute noch je am 4. Januar nachmittags zwei Uhr die Glocken zur Ehre und zum Gedächtnis der Heldentat ihrer besseren Hälften.

Um zwei Uhr nachmittags lagen im blutigen Schnee am Roten Egg die schwedischen Grobiane, zerschmettert von Kugeln, Baumstämmen und Felsentrümmern, zerhackt von Beil-, Schwert- und Hellebardenhieben, still, und die Weiber vom Walde tanzten wutentbrannt um die Leichen. Die Frau Wirtin zur Taube aber, eine junge Wittib, die keine geringe Rolle in der Schlacht gespielt hatte, brachte eben ihr Beutestück, nämlich den Korporal Knäckabröd, in Sicherheit.

Das hatte seine Schwierigkeiten! Denn kurz nachdem sie entdeckt hatte, es sei noch einiges Leben in dem gleichfalls arg mitgenommenen armen Sven, war dieselbe Bemerkung von drei anderen Kriegsgesellinnen gemacht worden, und diese drei befanden sich noch nicht in der Stimmung, den alten, lieben Beruf der Frauen, die barmherzigen Schwestern und Krankenwärterinnen zu spielen, schon jetzt wiederaufzunehmen. Im Gegenteil! Mit den Waffen in den Händen hatten sie sich auf den unseligen, zappelnden Tropf gestürzt und wie die Frau Fortunata zugepackt, und es gab ein arges Gezerr an Arm und Bein, an den Fetzen des Wamses oder am Bandelier, und die Taubenwirtin hatte alle Mühe, die erbosten Hiebe und Stöße durch ihr Geschrei oder mit dem guten Schwerte, welches ihr seliger Gatte im Winkel hatte stehenlassen, abzuwehren. Es war ein großes Glück für den Korporal Sven, daß ihr Ansehen mächtig war unter den Wäldlerinnen, daß sie den Plan zum Überfall angegeben hatte und daß ihr Haus und Zeichen in Alberschwende einen herrlichen Ruhm und Ruf besaß, weit hinaus nach allen vier Weltgegenden; denn dem allein verdankte er sein Leben nach der Niederlegung seiner Genossen an dem Fallenbache am Roten Egg!

Als doppelte Siegerin führte ihn seine Retterin auf einem Karren in ihr Haus zu Alberschwende unter der Lorena, ließ ihn da zuerst hinter verriegelten Tür auf ein Strohlager neben ihrem Schanktisch, dann in ein besseres Bett legen und besorgte den ersten Verband seiner Wunden selber. Er aber erwachte erst nach längeren Wochen aus seiner Betäubung und wußte dann durchaus nicht anzugeben, was mit ihm vorgefallen sei und wo er sich befinde.

Der Korporal Sven Knudson Knäckabröd wußte eigentlich noch heute, d. h. im Jahre 1674, nicht, wo er sich eigentlich befinde, und das war gar nicht so sonderbar. Seit er Anno dreißig mit dem großen Gustavus Adolfus, dem streitbaren Löwen aus Mitternacht, auf Usedom in der Pommerschen Bucht landete, war er sechzehn Jahre lang durch solchen Wirrwarr hin und her marschiert, daß für einen Mann, der nicht Gelegenheit gehabt hatte, die Geographie zu studieren, sich das Bild der Welt wohl verwirren mochte. Hatte doch selbst der Oberst Wrangel, unter dessen Kommando er damals seine Kriegszüge begann und der während der Zeit längst Feldmarschall geworden war, Mühe, sich in dieser Beziehung die Landkarte klarzuhalten.

»Donner und Nordlicht!« sagte der Korporal am 7. August 1674, legte sich schwer auf den rechten Ellenbogen und schlug mit der linken Faust auf den Tisch. Jawohl, ein Mann, dessen Leben dicht an der Grenze des ewigen Eises, dem Nordpol nahe, begonnen hatte, der den Krieg mit allen Nationen Europas, mit Deutschen, Franzosen und Hispaniern, mit Italienern, Dänen, Polen und Moskowitern sah, der dann sechsundzwanzig Jahre des tiefsten Friedens unter dem Hirtenvolk des Vorarlberges vollendet hatte, mochte wohl bei einiger Überlegung seines Daseins »Donner und Nordlicht!« sagen.

Die Frau Fortunata hatte am Fallenbach wohl nicht gedacht, welch eine schwere Last sie sich für die nächsten Zeiten durch ihr gutes Herz auf den Hals lud. Sie bekam ihre große Not mit ihrem Schweden, dem noch drei Jahre lang nach dem Sturm auf Bregenz das ganze Land ringsumher nach dem Leben stand. Es fand sich, daß sie ihn nur dadurch vor allen den verschiedenen Nachstellungen retten konnte, daß sie ihn zur Kindsmagd machte, dem wilden Arkebusierer ihr unmündig Töchterlein zur Wartung in die Arme gab und ihn im Haus an ihr Schürzenband geknüpft hielt, bis das erste Gras über die Blutzeit gewachsen war, bis die Alten den »schwedischen Mann« ohne Mordsinn ansehen konnten und die Jungen ihn als ein natürlich gegeben Ding nahmen.

Da saß der Korporal Sven Knäckabröd denn in den Bergen verzaubert neben der Wiege der kleinen Aloysia: er, der mit dem glorreichen und sieghaften König Gustavus Adolfus über das Meer gefahren war und in hundert grimmigen Schlachten in die Linie rückte gegen den Tilly, den Wallenstein, den Pappenheim und hundert andere gewaltige Kriegshauptleute! Da saß er und spann nicht nur Trübsal, sondern auch wirklichen Flachs und Werg, und wenn das Kind schrie, so rief die Frau Fortunata: »He, Schwen, sing ihm!«, und der Korporal Sven Knudson Knäckabröd sang.

Potz Lappland und kein Ende – dabei ließ sich dann recht hübsch an allerhand anderes denken! Zum Beispiel an die graue, nebelige, flammende Ebene von Breitenfeld oder von Lützen, an den Kommandoruf vor der Front, an die rasselnden Reitergeschwader, die blauen und gelben Fußregimenter, wie sie gegen die kaiserlichen Batterien am Floßgraben vorstürzten, zurückfluteten, wieder vorstürzten und unter den Hufen und Füßen die Toten und die Verwundeten in Harnisch und in Büffelwams zerstampften!

Wenn dann wieder der Kommandoruf der Wirtin zur Taube in solche Träumereien klang, gab es wohl ein sonderlich Auffahren, und ohne die kleine Aloysia hätte das Ding am letzten Ende doch noch einen traurigen Ausgang mit dem armen, verlorengegangenen schwedischen Mann genommen.

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