Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

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Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

5.

eingestellt: 9.8.2007



Es war gar lieblich auf den Wassern, vorzüglich für einen, der in so seltsamer Gemütsstimmung darüber hinfuhr wie der schwedische Hirt von der Lorena. Wenn es still am Ufer unter dem Fürberge war, so wars noch viel stiller auf der von der Nachmittagssonne beglänzten Bucht von Bregenz, und der Korporal Sven hatte eine gute Fahrt. Er saß und hielt die Hände vor dem Bauch gefaltet und ließ sein Schifflein gleiten vor dem Winde. Wie jetzt das Ufer hinter ihm versank oder die Berge sich vielmehr heraushoben, so hob sich nun auch vor ihm das niedrigere Hügelland des Allgäus und vor allem wie eine Stadt aus dem Wunderschatz der Frau Saga die Freie Reichsstadt Lindau.

Die grauen Mauern, deren Grund der römische Kaiser Tiberius Claudius Nero legte, als er hier die Rätier und Vindelicier besiegt hatte, lagen noch stiller da als der See. Die alten Linden nickten freundlich-schläfrig von den Bastionen, und die grün und silbern, rot und goldfarbig glänzenden Turmdächer von Sankt Peter und der Heiligen Dreifaltigkeit – den Diebsturm nicht zu vergessen – luden förmlich behaglich wie aus der Luft, so aus dem Wasser den braven Korporal Sven Knudson Knäckabröd zum Näherkommen ein. In dem kleinen Hafen lagen ruhig, nur da und dorten von einem weißen Spitzhund bewacht, die Lädinen und Halblädinen, die Segner und Halbsegner und dazwischen die Lustgondeln der wohlhabenden Reichsstädter, soweit sie sich nicht zu Bregenz befanden. Nur eine Bürgerschildwacht war auf der Mauer zu erblicken, und die schlummerte sanft auf ihre Partisane gestützt. Das Lebendigste auf dem Wall zu Lindau im See waren um diese Stunde die Fliegen, welche in Scharen über den erwärmten Geschützrohren summten.

Der Kahn des Schweden schoß durch den Schatten der Lastschiffe hin in den Hafen hinein und an die Hafentreppe, und als der Korporal sein Schifflein mit einem letzten Ruderschlag dort antrieb, fragte ihn niemand um das Wohin und Woher, und das war recht gut; denn im Augenblick hätte er vielleicht auf beides keine Antwort zu geben gewußt. Seit dem Kolbenschlag am Roten Egg war ihm nicht so verworren zumute gewesen, aber trotz allem war ihm heut doch die Welt behaglicher als damals, wo er sich auf dem blutigen Strohlager am Schanktische in der Taube zu Alberschwende vergeblich auf sich selber und seine Umstände zu besinnen suchte.

Doch wer auf eine solche Weise wie er im Hafen von Lindau anlangte, der mochte, nachdem das Schifflein am Lande lag, wohl selbst den Hut hin und wider rücken um die Frage: Was nun? und wohin nun? Der Korporal Sven stand und blickte an der nahen Stadtmauer empor und durch den dunklen Bogen, welcher in das Innere der Stadt führte, hindurch und rieb sich die Stirne. In dem nämlichen Augenblick aber erschien über der Mauerbrüstung ein dicker, roter, von schneeweißem Haar umflusterter Kopf, der sich ächzend auf zwei gewaltige Fäuste legte und entsetzlich gähnend auf den See hinausstarrte. Dasselbige Haupt spie verächtlich von der Mauer der Freien Reichsstadt hinab; ein nicht geringer Mund öffnete sich, und – plötzlich – ganz unvermutet, und von einer solchen Erscheinung auch gar nicht zu vermuten, fing das Ding an zu singen, und zwar eine Weise, welche im Munde des schwedischen Volkes schon seit mehr denn hundertfünfzig Jahren umging.

Und in schwedischer Zunge sang das Unding auf der Mauer heiser und gräßlich:

»König Gustav reitet nach Dalarne
Zum Thing mit den Dalkarlen sein;
Doch Christiern liegt vor Södermalm
Und frißt gestohlene Schwein«;

und wie heulend in Verdruß, Ärger, Entrüstung und Wehmut:

        »König Christiern sitzt in Stockholmschloß
        Und säuft unsern Met und Wein!«

»Blitz und Donner! Alle guten Geister!« stöhnte der Korporal Sven Knudson Knäckabröd, versteinert nach dem Sänger aufstarrend; doch der da oben gähnte noch einmal und scheußlicher als zuvor und fuhr fast noch unmelodischer fort:

»Hört alles, was ich euch biete an,
Vom Tal, ihr meine Mannen:
Wollt ihr mir folgen nach Stockholm
Und schlagen die Jüten von dannen?«

Mit beiden Händen griff der Korporal Sven Knudson Knäckabröd nach seinem Haupte, wie im wilden Zweifel, ob er dasselbige auch noch auf den Schultern trage; und als er es noch an Ort und Stelle fand, tat er einen Satz und brüllte seinerseits zu dem Sänger auf der Mauer hinauf:

»Ums Rebhuhn und ums Eichhorn ists,
Sobald wir zielen, geschehn;
Und dem Blutracker Christiern,
Dem solls nicht besser gehn«;

und die Wirkung nach oben hinauf war nicht geringer als die von oben herunter.

Auch der da oben schnellte empor und beugte sich über die Brüstung und schrie:

»Bei der blauen Fahne Wasas, ist ein Spuk, ein Trold aus dem See aufgestiegen, oder ists ein Landsmann? Ho Landsmann? Landsmann!«

»Ho Landsmann!« rief der Hirte von der Lorena; aber da er einmal im Zuge war, so brüllte er weiter, daß die Bastionen der Freien Reichsstadt Lindau wie im Schrecken widerhallten:

»Das reißt nun in meiner Seite,
Ich fühle mich so beengt;
Auch ich hab von den Fischen gekostet,
Die man in Dalarne fängt.«

Die Bürgerschildwacht im Lindenschatten erwachte bei den Mißtönen aus ihrem süßen Schlummer und faßte zusammenfahrend die Pike an. Die Mauertreppe aber herab stürzte der Hafenwärtel der freien, frommen und biderben Reichsstadt Lindau im See, Rolf Kok, umfaßte mit beiden Armen den Mann von der Lorena, schüttelte ihn heftig und rief:

»Kerl, in aller Welt Namen, Kerl, Kerl, wo kommst du her? wo bist du jung geworden? wer bist du?«

»Arkebusierer Korporal Sven Knudson Knäckabröd im gelben Regiment Oxenstjerna – versprengt im Gebirge – dorten! Melde mich zurück, Korporal Rolf Rolfson Kok, denn der seid Ihr und kein anderer! Die Finne da auf Eurem linken Nasenflügel habe ich sechzehn Jahre lang beim Aufmarsch in die Linie zur Rechten gehabt, und die Schmarre da habt Ihr von dem Nürnberger Malhör, Korporal Kok. Melde mich zurück, Korporal!«

»Und wir schreiben vierundsiebenzig! Mensch, o Mensch, Mensch, du bist der Sven, den wir hinter seinem Rücken Hahnentritt nannten, von wegen seiner Gangart? Und das passieret einem, nachdem man sich seit Anno sechsundvierzig nicht mehr zu Gesicht gekriegt hat, heut hier zu Lindau an der Hafenmauer? O Sven, wo ist die Kumpaneia? wo Hauptmann, Leutnant und Fähndrich? wo sind die Fahnen und Trommeln? wo der Herren Generale Gnaden? Sven Knäckabröd, wo du herkommst, weiß ich noch nicht; aber ich, ich sitze hier seit dem Lindauer Sturm – erst als Invalid, dann als Bürger und Ehemann – und als Witwer und Hafenvogt, und sie haben mir noch nicht einmal meinen Namen gelassen: Meister Gockele nennen sie mich! Ja, das Gockele nennen sie mich; und du bist Sven Knudson Knäckabröd, und wir sind beide mit dem König herübergekommen und standen mit bei Breitenfeld, bei Lützen und liefen mit bei Nördlingen und zogen mit dem Wrangel gegen die Schneeberge, o Sven, Korporal Sven, Kamerad Sven, ich heule wie ein Kind!«

»Und ich heule mit, Korporal! Kamerad Rolf«, schluchzte der andere. »Siebenundzwanzig Jahre habe ich bei dem Vieh sitzen müssen, und nach so großer Gloria und gewaltigen Schlachten habe ich die Kühe gemolken und Käse gemacht, siebenundzwanzig Jahre durch. Rolf, o Rolf Rolfson Kok, am Fallenbach, am Roten Egg haben die Weiber uns alle totgeschlagen, nachdem wir Bregenz da drüben genommen hatten, und heut hat mich erst die gute alte Zeit in den Ruderibus verwirret, und nachher hat mich der Nix über den See gelockt. Im Traum bin ich über den See gefahren, und der Nix hat gewußt, daß Ihr hier auf der Mauer von Lindau auf mich wartetet, Korporal Rolf Rolfson Kok.«

Sie hielten sich in den Armen, die beiden alten Schweden. Sie küßten sich, und die Tränen rollten ihnen über die gelbbraunen Backen. Sie tätschelten sich zärtlich die breiten Buckel und hatten eine Freude aneinander wie ein Brautpaar im Maienmond. Es war aber auch keine Kleinigkeit, was ihnen begegnete an diesem Festtage des heiligen Bischofs Gebhard, den sie und ihre Kriegsgenossen vordem so hart mit Geschütz und Sturmanlauf bedrängt hatten und dessen Wiege und Burg der eine von ihnen mit niederwerfen half.

Sie waren sehr gerührt, die beiden braven schwedischen Korporale; aber nach der Rührung kam natürlich wieder um so heftiger der Durst, und dessen wurden sie nunmehr mit großer Lust inne. Da faßte der Korporal Gockele den Korporal Hahnentritt unter den Arm und sprach: »Komm, Herzensbruder, ich weiß unsern Ort und will dir daselbsten etwas zeigen, so dir das Herze erfrischen soll, besser als der kühlste Trunk aus des Kronenwirtes Keller.«

Er führte ihn in das Wirtshaus »Zur Krone«.

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