Frei Lesen: Der Marsch nach Hause

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1 | 2. | 3. | 4. | 5. | 6. | 7. | 8. | 9. | 10. | 11. | 12. | 13. | 14. |

Weitere Werke von Wilhelm Raabe

Abu Telfan | Alte Nester | Deutscher Adel | Pfisters Mühle | Die Leute aus dem Walde |

Alle Werke von Wilhelm Raabe
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der Marsch nach Hause) ausdrucken 'Der Marsch nach Hause' als PDF herunterladen

Wilhelm Raabe

Der Marsch nach Hause

6.

eingestellt: 9.8.2007



Wer heute zu Lindau im See seis mit dem Dampfboot landet oder mit dem Bahnzug anpfeift, der findet die Krone noch immer an ihrer Stelle. Einst zog sich die Stadtmauer dem Wasser entlang davor her: die Mauer ist längst gefallen, aber das gute, alte Wirtshaus steht noch fröhlich aufrecht.

Wer heute durch den gewölbten Torweg geht und die Treppe hinaufsteigt, der findet auch heute noch zu Anfang eines langen, hellen, weißen Ganges das, was der Korporal Rolf dem Korporal Sven zu höchster Herzerfrischung weisen wollte, und mag sich ebenfalls daran erfrischen. Da hängt nämlich von der Decke herab eine eiserne Kugel an eiserner Kette – eine Bombe des Feldmarschalls Karl Gustav Wrangel, und das Bild des Feldmarschalls hängt an der Wand daneben.

Beides gehört zu dem Hause seit dem Jahre 1647, seit dem Momente, in welchem der Herr Feldmarschall diese Bombe in die Freie Reichsstadt Lindau hineinschoß und Grimmiges mit ihr im Sinn hatte, was sich gottlob nicht erfüllte, denn das Untier durchschlug nur das Dach des guten Wirtshauses und blieb, ohne weitern Schaden anzurichten, auf dem Hausboden liegen – 180 Pfund schwer.

Damals hat man den unfreundlichen Gast vorsichtig aufgehoben, ihn seiner verderblichen Füllung entledigt und ihn bei ruhigerer Zeit an besagter Kette am Gebälk aufgehängt zum ewigen Gedächtnis des Generals Wrangel und seines groben Geschützes. Der Korporal Rolf aber hatte vollständig recht: im Jahre 1674 gab es keinen bessern Augentrost für den schwedischen Mann der Wirtin zur Taube in Alberschwende als diese Kugel und dies Bildnis in der Krone zu Lindau.

Im Jahre 1674 sah die Krone nicht so hell und freundlich aus als heute. Die Wände waren nicht mit Kalk getüncht und noch weniger al fresco mit heidnischen und christlich-ritterlichen mittelalterlichen Festivitäten bemalt. Aber das Haus war schon damals gut und verdiente seinen Ruf weit übers Allgäu hinaus, und der Hafenwärtel Rolf Kok, genannt das Gockele, kannte das Getränk und hatte sein Kerbholz fröhlich hinter der schwarzbraunen Eichentür der Zechstube. Fürs erste aber stellte er den wiedergefundenen Kriegskameraden unter die Schwedenkugel, wies auf sie hin und wies auf das Bild des Feldmarschalls und sagte:

»Da, Herzbruder, da!«

Der Hirt von der Lorena rieb sich die trüben Augen, starrte auf die Bombe, starrte auf das Bildnis seines Generals, tat einen Sprung und schüttelte sich, als ob er die Jahre und sein Leben unter dem Kommando der Frau Fortunata und sein Leben auf der Lorena mit einem Ruck abschütteln wolle. Er streckte die ausgebreiteten Arme dem Feldmarschall und der schwedischen Kugel zu und rief aus vollem Halse:

»Vivat Gustavus Adolfus! Vivat Gustavus Wrangel! Es leben die Löwen aus Mitternacht!«

Und er tat einen zweiten Satz und schrie zum zweitenmal, daß die Wände erzitterten und ein einsamer Zecher nebenan in der Trinkstube sich von seinem Tisch im Winkel erhob, aufstand und den Kopf aus der offenen Tür in den Gang vorstreckte. Dem Kopfe nach folgte der übrige Mann, und das Ganze war wohl einer Schilderung wert.

In dem alten, langen, hagern und gelben Gesichte mit dem eisgrauen, spitzgewichsten Knebel- und Schnurrbart umfunkelten zwei kohlschwarze Augen eine lange, scharfe Nase. Zwei lange, einknickende Beine in engen schwarzen Hosen und schwarzen Strümpfen trugen den mit schwarzer Schoßweste und schwarzem Rock angetanen dünnen Leib, und als die Kreatur den Hut abnahm und in die Luft schwang, da entblößte sie einen ratzenkahlen gelblichen Schädel:

»Cospetto! O Jesus Maria! Vivat Ferdinandus!«

Wie auf ein Kommandowort fuhren die beiden Korporale herum, als ihnen so unvermutet auf ihren eigenen schwedischen Schlachtruf das wohlbekannte Feldgeschrei und die Losung des kaiserlichen Heeres entgegenschrillte. Und siehe, schon kam der schwarze, lange Mann, auf sein spanisch Rohr mit dem Messingknopf gestützt, herangehinkt, fegte in tiefer Verbeugung den Boden mit dem Hutrande und sprach höflichst:

»Bitte um Permission, Signori, – Kriegskameraden von der andern Seit? Groß Ehr! groß Ehr! – – Hab das Vergnügen, mich denen Herren zu rekommandier. Signor Tito Titinio Raffa, Zahlmeister im Regiment zu Pferd Strozzi. Hatt schon die Ehr vordem bei Breitenfelda – groß Ehr, groß Ehr, groß Battaglia! Woll die Herren eintret und niedersitz zu einem Trunk und freundlich Diskurs? Groß Ehr, viel Vergnügen und gut Kameradschaft!«

Mit allem Eifer schüttelten die beiden versprengten schwedischen Kriegsleute dem versprengten Reitersmann vom Regiment Strozzi die dargebotene Rechte, und im nächsten Augenblick saßen sie mit behaglichem Ächzen nieder an dem Tische, von welchem der Herr Zahlmeister aufgestanden war, um sie zu begrüßen: die Frau Wirtin zur Taube in Alberschwende hatte um diese Tageszeit, das heißt um Sonnenuntergang, auf dem Gebhardsberg gut suchen und rufen nach ihrem treuen Knecht Sven Knudson Knäckabröd aus Jönköping am Wetternsee.


 

< 5.
7. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.