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Wilhelm Raabe

Deutscher Adel

Zehntes Kapitel

eingestellt: 4.8.2007



Es war eine ereignisreiche Nacht. Sie konnten sich drüben in Frankreich und vorzüglich in ihrer Stadt Paris noch immer nicht darüber zu Ruhe geben, daß sie sich diesmal in dem Jahrhunderte durch so braven Allemand mit sa Gretchen, son lied et son meerschaum so gräßlich, so schändlich und scheußlich getäuscht hatten. Sie streckten immer wieder von neuem die Nasen in die böse Erdenwitterung hinaus, um sich immer von neuem die Versicherung hereinzuholen, daß dem wirklich so sei. Sie feuerten fiebernd erbost die ganze Nacht hindurch aus grobem und kleinem Geschütz und Gewehr; und leider Gottes trafen sie diesmal wirklich einen von diesen braven Deutschen, der wahrhaftig eben an eine ihrer übrigen illusions germaniques, nämlich an sein sourkraut, dachte und sich sofort nach Empfang der Kugel mit dem Gedanken an sein Gretchen zu Boden legen konnte.

»Da haben wirs auch!... Herrgott, die Alte! Was wird die Alte zu Hause sagen?«

Balzac schon kannte ihn, nämlich den Pariser Spießbürger aus der Rue Mouffetard, welcher, die Augen zudrückend, seinen Hinterlader auf die Barbaren im Winternebel losbrannte und so das Unheil anrichtete. Daß der Gute nie in Erfahrung brachte, wie werktätig er das Vaterland gerächt hatte, hatte nicht viel zu sagen; aber jammerschade war es, daß Honoré de Balzac nicht noch beschreiben konnte, wie der Held nach Hause kam und Madame es erzählte. Die Manen Paul de Kocks hatten zwar auch diesmal über dem Rückzuge hinter die Forts geschwebt – mais – »cest égal mon pauvre chat – sublime, je vous dis! horrible!... Ah, bonne petite mère, cest la trouée de Trochu, que nous avons faite dans cette nuit; – vive Gambetta! vive la France! vive Paris!«...

Wie sich die Herren Vinoy, Ducrot, Trochu usw. zu dem Loch in der Hecke stellten, wollen wir nicht weiter berühren. Das gehört der Geschichte an; aber einen künftigen Wirklichen Geheimen Hofrat können wir uns nicht so mir nichts, dir nichts über den Haufen schießen lassen: das gehört unserer Geschichte an. Ein tüchtiges Loch in die ihn persönlich angehende Individuation des Willens der Welt hatte er sicherlich weg, der Herr Hofrat, und so verlor er denn, wie das in solchen Fällen gewöhnlich zu geschehen pflegt, für längere Zeit vollständig das Bewußtsein. Das Licht, welches das Ganze, um sich selber über sich selbst verwundern zu können, sich in dem Intellekt des Menschen ansteckt, erlosch, und – die übrigen augenblicklich zur Hand befindlichen Intellekte besorgten das Weitere, das heißt, sie nahmen mit dem Unteroffizier Schenck allerlei vor, wobei der Mensch in ihm mit Vergnügen auf alle die geistigen Kräfte verzichtete, die ihn in behaglicheren Stunden über den Stein und die Pflanze erhoben.

»Aufgehoben und mitgenommen«, sagte in Lagny der Doktor Biberstein auf die uralte Frage: Wie? wo? was?

»Nur ruhig, Mann! Die Kugel wird sich auch schon finden, die Splitterln kommen recht brav raus.«

»Aufgehobe und mitgenomme!« sagte erst geraume Zeit nachher eine andere Stimme. »Liege Sie gfälligst nur noch ein ganz bißle ganz stille, Herr. Sackerment, es ist die Sonne und nicht die Wolke, die den Regenbogen macht!... Das würde freilich a nettes Grau gebe, wenn dem nicht so wäre, wisse Sie. Jawohl, aufgehobe sind Se, und zwar gut. Mama ist im Nebenzimmer. Na denn in Gottes Name komme Se nur her, Mutterle!« –

Jawohl – konfus! Wir könnten uns das Wort mit einer gewissen, gottlob nur selten von uns selber an uns selbst bemerkten Aufregung verbitten. Wer behält am häufigsten im Wirrwarr dieser Welt die Nase oben? Wahrlich nicht immer die, welche sich am meisten dessen zu rühmen pflegen. Was uns in diesem Kapitel persönlich betrifft, so gestehen wir gern, daß wir nicht die Nase, wie es sich gehörte, oben behielten, sondern daß es uns viele Mühe kostete, aus dem Strome der Ereignisse wieder ans feste Land zu kommen: wir wollen es aber eben nicht besser haben als die Leute, von denen wir erzählen. Ihnen ist es damals wahrhaftig noch schwerer geworden, wieder einen Schick in die Dinge zu bringen und zu einem ruhigen Atemholen zu gelangen, als uns heute auf dem vorliegenden Papierfetzen.

O, wir sind gewaltige Helden, zu Fuß und zu Pferde, vor dem Schreibtische und, der liebe Herrgott weiß es allein, wo sonst noch vor: retten wir uns rasch aus der Vorstellung unserer Größe in den Humor einer andern Vorstellung, nämlich daß es im abgemessenen Laufe der Gestirne immer wieder von neuem Nacht wird und wir alle – alle Helden und Heldinnen eingeschlossen – mit seufzendem Behagen die Decke zurückschlagen und – einerlei ob mit dem linken oder rechten Fuße zuerst – ins Bett steigen. Hineinkriechen würde vielleicht das bessere Wort sein; es ist es jedenfalls sogar nach den größten gewonnenen Siegesschlachten für manchen Triumphator gewesen.

Wenn es kommen soll, so kommt alles zusammen, und so auch diesmal. Die paar Tage, welche zwischen der Nachricht, die Natalie brachte, und derjenigen, welche von Lagny aus die Feldpost ablieferte, lagen, rechnen wir nicht. Der einzige Ruhige blieb Wassermann dabei, der fürs erste weder das glücklich und doch weinerlich aufgeregte Fräulein, noch die Frau Professorin, noch den Leihbibliothekar Achtermann begriff und am wenigsten den Doktor Wedehop, der ihm einen Jagdhieb überzog, aber beinahe zärtlich und dazu mit den Worten:

»Freilich, was aus dem verfluchten Köter während unserer Abwesenheit werden soll, Frau Professorin, ist mir nicht klar. Achtermann dürfte ihn nur unter der Bedingung mit nach Hause bringen, daß Sie, liebste Frau, das Vieh schon seit Jahren auf die Diät des Königs Mithridates hin gefüttert hätten. Butzemann senior wäre wohl der Mann dazu, der ihn uns nicht verhungern ließe; aber da ist der Junge im Hause, und den habe ich, bei Aphrodite, weiß Gott, selber mehr auf die Katze als auf den Hund dressiert; Achtermann da weiß das. In Konstantinopel leben wir nicht, daß man ihn einfach hinaus auf die Gasse jagen und ihn der öffentlichen und allgemeinen Barmherzigkeit anvertrauen könnte.«

»Einfach geht er mit mir, Herr Wedehop«, sagte Natalie. »Das sind doch wohl unsere geringsten Sorgen! Und dem Papa wird er gewiß auch Spaß machen und ihn ein wenig aufheitern.«

Sie sagte das mit – einem leisen Erröten; der Übersetzer brummte etwas Unverständliches in den Bart. Wenn wir letzteres halbwegs ins Verständliche übersetzen wollen, so kommt ungefähr zum Vorschein:

»Natürlich: love my dog, love myself! Daß sie sich alle Mühe geben wird, auch dies Vieh durchzufüttern, bezweifle ich gar nicht. Na, laßt mich nur die Hand auf den jungen Menschen da unten legen, so werde ich ihm schon ein Kollegium über des Lebens süßesten Ernst lesen. Der article de Paris, den er im Schulterblatt trägt, hat hoffentlich den Boden in der Hinsicht nicht übel aufgelockert. Wir wissen ebenfalls wohl noch davon zu singen, wie empfänglich wir für alles Moralische waren, wenn man uns abgeführt und der Doktor nach der Naht die obligate Wassersuppe verordnet hatte. Wir tragen den Schmiß da auch nicht ohne sittliche Nachwirkung quer über der Nase.«

Laut aber sprach er:

»Also den Vierfüßler wissen wir item versorgt. Daß Achtermann da ganz im Verborgenen nach dem Notwendigen sieht, ist weiter nicht zu erwähnen. Die Koffer stehen gepackt; nun tut mir endlich also auch die Liebe an und zieht nicht solche Jammergesichter – Sie vor allen, Frau Mama. Ich gebe Ihnen mein heiliges Ehrenwort darauf, wenn der Winckelspinner solch einen Brief wie diesen hier schreibt, so fahren wir morgen in das helle Vergnügen herein – darüber, daß – alles so gut abgelaufen ist. Ach ja, es wird auch mir ein Pläsier sein, endlich einmal wieder so nen schwäbischen Weinberg in den hellen Frühling hineinweinen zu sehen, und noch dazu in solch einen Siegesfrühling. Es wird meinen alten Augen guttun, und ich will nicht umsonst mit dem Winckelspinner vor dreißig Jahren Schmollis getrunken haben.«

Die Frau Professorin, die wirklich während der Verhandlung über den Hund Wassermann und schon manche lange, bange Tages- und Nachtstunde durch mit im Schoße gefalteten Händen gesessen hatte, stand auf und nahm Natalie Ferrari in die Arme und küßte das liebe Mädchen. Am andern Morgen blieben die einen am Orte und reisten die andern ab: wir – wenn wir nun sagen wollten, daß das um die Zeit der Schneeglöckchen gewesen sei, so würden wir nicht nur andern, sondern auch uns selber erklecklich drollig-sentimental vorkommen. Sagen wir aber, daß das ausgesprochenste Tauwetter herrschte, ein grimmiger Dreck in den Straßen der Stadt langsam floß und Galanthus nivalis eben auf den Gartenbeeten und Hängen seine Knospen öffnete, so wird keiner die Notiz als außerhalb der Sphäre seiner Naturanschauung liegend, also lächerlich, finden. Die Menschen sind so, sagt der Leihbibliothekar Achtermann.

Nun gab es glücklicherweise keinen bessern Reisebegleiter als Wedehop. Selbst die Frau Professorin, die doch überall frei durch ging, konnte sich keinen bessern wünschen; wie es denn anderseits eines der schönsten Erlebnisse, was einem Menschen, wie der Übersetzer, begegnen konnte, war, die Frau wohlbehalten durch das kriegsbewegte Germanien heil und bei vollständiger Fassung an Ort und Stelle zu bringen.

Schade übrigens denn doch wieder, daß er nicht allein fuhr – derselbige Wedehop nämlich. Da hätten wir in anderer Weise recht was erleben können, und zwar von Station zu Station. Es gab vielleicht keinen zweiten Menschen in ganz Germanien, der überall so viele gute Bekannte sitzen hatte als dieser Übersetzer und dieses nach Paragraph zehn im zweiten Programm der Vorschule der Ästhetikpassive Genie. Überall, und manchmal an den absonderlichsten Orten, saß ihm ein mehr oder weniger passiver oder aktiver Bruder in Apoll: hier auf seinen Manuskripten, dort als Advokat oder Amtsrichter und mehrfach auch als würdiger Handwerksmeister in Holz, Leder und Stein. Brave alte Kneipanten sämtlich, die überall das beste Getränke als Lokalkenner herausgefunden hatten und, gegen Südwesten hin, dann und wann sogar eigene Weinberge besaßen und damit umzugehen wußten.

Solch ein Freund saß ihm natürlich auch in dem Schwabenneste, dem die Geschichte jetzo, dem großen Laufe der allgemeinen deutschen Geschichte folgend, zusteuert. Wir haben ihn bereits reden lassen: Winckelspinner heißt er; ungemein praktischer Arzt und sonstiger alter Praktikus ist er, und sein Garten erstreckt sich hinter seinem Hause den Berg hinauf. Die junge Donau aber rauscht ihm noch ganz bachartig vor der Tür jenseits der Landstraße, der Allee von Lindenbäumen und der Einfriedigungsmauer des Weges. Wein wächst da freilich nicht, aber Hopfen!

»Wir können so spät ankommen, als es uns und der Völker-Eisenbahn-Konfusion beliebt, Frau Professorin, wir werden seine Tür immer offen finden und ihn parat mit dem beruhigendsten jüngsten Bulletin über den dummen Jungen, den Ulrich. Verlassen Sie sich drauf, Liebste«, sagte Wedehop, und sie kamen in der Tat ziemlich bei vorgeschrittener Nacht am Endpunkte ihrer Fahrt an; denn welche Eisenbahnzüge verspäteten sich nicht in dieser so außerordentlich unordentlichen Zeit?!

»Richtig!... Seit zehn Jahren habe ich ihn nicht mit Augen gesehen; aber da steht er mit seiner Laterne und mit seiner Frau! Der gute Mann! würde Freund Achtermann sagen; ich aber sage das gar nicht. Das Ulmer Leckerle da im Muff und Pelzkragen an seiner Seite hat er mir reinewegs in Niedernau im Kursaale wegertanzt. Das wäre wirklich auch eine Frau für mich geworden, wenn es hätte sein sollen!... Hier, Winckelspinner! Hurra – hie Waiblingen! Grüß Gott, alter Mensch, das ist aber, weiß Gott, wahrhaftig freundlich von euch – um neun Uhr sollten wir fahrplanmäßig da sein, und jetzt gehts stark gegen elf. Na, was lange währt, wird gut, und hättet ihr uns – uns – verdrießliche Nachrichten an den Bahnhof zu bringen gehabt, so würdet ihr uns sicherlich damit lieber zu Hause in Empfang genommen haben. Das hier ist die Mutter!... Frau Doktor Winckelspinner – Frau Professor Schenck. Ja, gottlob, da sind wir endlich!«

»Gnädige Frau, ich habe die Ehre«, sprach Doktor Winckelspinner. »Dies hier ist meine gnädige Frau. Mach dein Kompliment, Mariele. Alter Sünder, so um a Nüanxe bist du auch älter geworden.«

»So um a nuisance, Winckelspinnerle! Aber das alte hübsche Französisch sprichst du immer noch. Nun, wie ist es, grauer Knabe; lassen wir die Damen auf dem Wege nach Hause genauere Bekanntschaft machen, oder warten wir das hier ab?«

Die beste Bekanntschaft miteinander machten die beiden Damen glücklicherweise schon auf den ersten Blick beim Laternenschimmer des Doktors und dem flackernden Gaslichtschein des Bahnhofes.

»O es ist so sehr freundlich!« schluchzte die Professorin. »Was habe ich Ihnen alles zu sagen! Und was habe ich zu fragen! Ihre Briefe – und mein Sohn –«

»Ei freilich; wer hätte uns heute vor einem Jahre prophezeit, daß allerlei Leute auch auf diese Art vergnügt zueinander geraten könnten. Jetzt, Mariele, wisch ihr die Tränen ab, ich bekümmere mich derweilen ums übrige Gepäck. Nur ruhig, Frau; sackerment, wir haben ihn ja auch in diesem Moment ganz ruhig und fieberfrei im besten Schlaf im Kapitelsaal bei unseren seligen Deutschherren. Nächste Wochen holen wir ihn uns ohne Schaden ins Privatlogis, und zu Hause warten meine Mädle mit dem Nachtessen; dabei wollen wir uns denn ganz gemütlich in gewohnter Weise auf den Zahn fühlen, ob großdeutsch, ob kleindeutsch, Wedehopple –«

»Alter Schwede!« sagte Wedehop, und ganz Neuvorpommern, seine engere Heimat, trat in dem Wort breitgrienend zutage.

Der schwäbische Gastfreund bot der norddeutschen Dame den Arm, der Übersetzer den seinigen der süddeutschen; und so betraten sie die alte kleine Stadt mit ihrer wohlerhaltenen Mittelalterlichkeit.

»Das ist der Marktplatz, gnädige Frau«, rief der Doktor, seine Laterne hochhaltend. »Schauen Sie ihn sich gefälligst fürs erste einmal bei nachtschlafender Zeit und Dunkelheit an. Bei Tage ist es keine Kunst, und da hat schon mancher Fremdling den Mund drüber aufgesperrt. Gucke Se, Frau, dort unter der Brücken, das ist sie, unsere Frau Done! Zu Wien glaubt es Ihne kei Mensch und zu Ruschtschuck kei Russ und kei Türk, daß wir sie hier so als Forellenbach laufen haben. Dies hier ist a gar berühmter Brunnen im Reich; nur schad, daß ich mich mit der Laterne nicht obedrauf setze kann. Ein recht gesundes Wässerle seit tausend Jahre! Ich sage dir, Wedehopple, ich hab mich seit langem auf nichts so arg gefreut als auf den ersten Schoppe mit dir wieder. Jetzt hier um die Eck, wenns beliebt, so haben wir das Nest schon hinter uns, und – da sind wir zu Hause, liebe Frau Professorin, und also nochmals willkomme in Schwaben, und möge es Ihnen recht gut bei uns gefalle!«

»Das wünsche i au vom ganze Herze!« sagte die kleine rundliche Frau Dr. Winckelspinner, »machen wir nun auch nicht länger unnötige Komplimente auf der Schwellen. Ich denke, wir mache schon noch immer bessere Bekanntschaft allgemach, nicht wahr, liebe Frau Professere?! Nit wahr, das ist doch Ihr Titel, daß i mi nit irre?!«

»Marie heiß ich auch. Marie Schenck. O ich bin Ihnen so dankbar für alles, was Sie meinem Sohn –«

»Getan haben? Ach, da sein Sie nur still; bis jetzt ists da nur mei Ma gewesen. Die nötige Krankensüpple hat doch das ganze deutsche Frauevolk gekocht, und wir habe au einen Bruderssohn da unten, aber der liegt eben bei Ihnen – in Danzig heißt mans.« –

»Herrjele«, sprach anderthalb Stunden später die Schwäbin weiter, »was ischts doch spät gworden, und was habe sie doch alles diese Berliner auf den Buckel gloge, und du auch, Mann! Wie die andere sich habe, weiß i freili nit; aber das Frauele hier ist doch ohne Widerrede recht nett und lieb und umgänglich.«

»No, was habe ich denn gesagt? Ei, Mariele, um einen oder zwei Gerechte wollte unser Herrgott im Himmel sogar Sodom und Gomorrha verschonen mit seinem Zorn! Da ist nun der Wedehop wieder – a guter Kerle und mei bester Freund in dene preußische Polargegende. Was wird des nun wieder a Gezerr gebe! Diese Sackermentsfranzose habe einem doch seine gemütlichste und altgewohnteste Parteistellung übern Haufe geworfen! Föderativ bin i und bleib i; schon der Schande wegen in der Krone am runden Präsidialtisch; denn denke dir mal, was die Leute von einem denke sollten, wenn man ihne so auf dem Teller brächte, daß es doch ziemlich anders gkommen sei, als man es sich in dene Donnerstagssitzunge zusammengelegt habe. Natürlich gibt es da heute in dem verflixte Preuße manchen, mit dem sich hause läßt – besser vielleicht als mit unsere liebe Nachbarn rechts und links und über die Gassen. Das Malefiz-Vetterleswese, was wir uns von die freie Schweiz zuerst hergeholt und bei uns in Sicherheit gebracht habe – zum Exempel – – na, ich bin dir wohl zu hoch?«...

»Gar nicht!« sagte die Frau Doktorin; »aber morge mit dem frühesten frage ich die preußische Dame, ob ihr Mann ihr je au solche Frage aufgehängt hat! Jetzt steig endlich zu Bett, Wilhelmle; wir habe heute nicht Donnerstag, und du kommst nicht aus deine dumme Parteiversammlung.«

»Herrgott, wie doch solch a Krieg die allermöglichste Säfte in a gesunden Organismus in Bewegung bringt. Na ja, du hast recht, Alte, – träume was recht Liebliches und – mach es nicht zu arg mit deine Rippenstöße, wann ich dir auch vermittelst des Nasalsystems beweise will, daß mir wirklich daran liegt, dir a muntern, ausgeschlafenen Mann morgen früh in das neue Deutsche Reich nüberzubringe. Es war eben in die kurze Zeit doch schon eine harte Sitzung mit dem – Wedehop.«

»Euch kenne i da schon lange, Alterle.«

»Jawohl, so von Tübingen her. Niedernau nicht zu vergesse. Wir dich auch, Alte! No, daß ich nit zur Eifersucht in–kli–nie–re, weißt du, aber ein Glück ist es doch, daß er jetzt mit der norddeutsche Dame reist und der süße Auge mache kann.«

Die Frau Doktor Winckelspinner hatte sich bereits auf das linke Ohr gelegt –

»Da zieht se scho ihre Register«, brummte der Doktor und drehte sich aufs rechte; die Frau Professorin allein schlief in dieser Nacht nicht, sondern nur gegen Morgen ein wenig. Fort und fort hörte sie die junge Frau Done vor dem Fenster über die Kiesel rauschen gleich dem allergewöhnlichsten Mühlbach. Ihre Seele war in dem Kapitelsaal der Deutschritter, und eine andere Seele aus dem deutschen Norden ging ihr nach und sah ihr über die Schulter und sah ihrerseits in einen Wirrwarr von glücklichen und kläglichen Bildern.

Am Morgen gingen sie alle drei, nämlich der Doktor, die Frau Professorin und Wedehop, so früh, als es sich tun ließ, zur Komturei, und wir – befinden uns wieder am Anfang dieses Kapitels – ungefähr da, wo der Doktor Winckelspinner eben gesagt hat:

»Mamale ist nebe a.«

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