Wilhelm Raabe
Gedelöcke
2.
eingestellt: 1.8.2007
Es war an einem Nachmittag im unfreundlichen Monat Februar des Jahres 1731, als zwei Ärzte, zu gleicher Zeit eilends herbeibeschieden, vor der Tür des Kurators anlangten und beim gegenseitigen Anblick die perückenbedeckten Häupter erhoben und jenes Lächeln erzwangen, welches so viel schwerer zu prästieren ist als ein Fußtritt oder ein Faustschlag. Die Namen der beiden Herren sind unsern genauesten Nachforschungen entgangen; so wollen wir denn jenen, der in einer
Sänfte durch die strömenden Regenfluten heranschwankte, den Doktor Primus, und jenen, welcher in seiner stattlichen Karosse eine halbe Minute später anlangte, den Doktor Sekundus nennen. Sie waren beide glänzende Lichter in ihrer Kunst und Wissenschaft, und es war eine Freude, ihren gelehrten Diskussionen zuzuhören, vorausgesetzt, daß der Hörer ihnen nicht selber die Zunge zu zeigen hatte. Wenn Herr Jens Pedersen Gedelöcke sie beide zu sich gebeten hatte, so konnte dies für ein Zeichen genommen
werden, daß es freilich zum Schlimmsten und Letzten gekommen sei, denn er wußte sonst ziemlich genau, was er tat; es fand sich aber, daß sie nicht auf seine eigene Einladung kamen.
Die beiden gelehrten Herren begrüßten einander auf dem Hausflur des Kurators, wie es sich schickte, mit einem bonus dies, Collega!, einem Serviteur! und quid agis? –, neigeten längere Zeit an der untersten Stufe der Treppe um den Vortritt die Häupter gegeneinander, hoben
und senkten deprezierend die Achseln und schritten sodann in gleicher Linie nebeneinander aufwärts zum Zimmer des Patienten, vor dessen Tür sie Madam mit betrübtem Kompliment in Empfang nahm, und zwar mit dem Finger auf dem Munde, zum Zeichen, daß Fürsicht und Stillschweigen das erste sei, was sie von den Herren erbitte. Aus dem Krankenzimmer vernahm man einen merkwürdigen Gesang, und auf den Zehen schreitend führte die Frau Mette Gedelöcke die beiden Doktoren in ein Nebengemach, allwo sie zu
ihrer nicht geringen Verwunderung den Pfarrherrn der Trinitatiskirche, Herrn Hieronymus Moekel, in tiefes kummervolles Nachsinnen und in einen sehr großen Armstuhl versunken, bereits vorfanden. Da geschah wiederum jenes würdige und zierliche Begrüßen, welches von dem achtzehnten Jahrhundert zu solcher Blüte und Vollkommenheit gebracht worden ist, dessen Wissenschaft und Ausübung aber im neunzehnten Säkulum leider verlorenging und im zwanzigsten vielleicht wiedergefunden wird. Die beiden
hochpreislichen Fakultäten taten einander alle gebührenden Ehren an, während die hochbetrübte Hausfrau mit dem Nastuch vor den Augen dazu knickste und sich mit Wimmern und Geschluchz um die große Ehre und Hülfsbereitschaft, so ihr und ihrem Hause von den Herren erwiesen wurden, einmal über das andere bedankte. Erst als der Sitte und dem decoro in jeder Weise genug getan war, konnte, unter fortwährendem Horchen auf den fremdartigen Gesang hinter der Wand, die Konversation auf das Wichtigere
geleitet werden, und der Doktor Primus tat dieses, indem er bemerkte:
»Brauche ich Madam leider kaum zu befragen, wie es dem Herrn Eheliebsten am heutigen Tage ergehe. Solches ist das rechte Wetter, die salia zu koagulieren, solches ist die Witterung derer Podagristen; aber der Herr Kollega werden mir beifallen, wann ich Madam die Versicherung gebe, daß der Patienten Ungebärdigkeit nicht das Schlimmste ist, was der Medikus auf seinem Wege zu sehen und hören wünschet. Und Madam darf
sich keine unnötigen Sorgen machen, des Herrn Kollegen Sekundi Tinctura solis wird auch heut schon das Acidum obtundieren; der Herr Ehegemahl befindet sich in guter Hand.«
»Die da sündigen, werden dem Arzt in die Hände fallen«, sprach der Herr Hieronymus, das Haupt mit drohender Betrübnis senkend, während die Doktoren schnell die Köpfe in die Höhe warfen und der gelahrte Herr Sekundus die Gelegenheit nahm, mit einer neuen tiefen Reverenz sich bei Seiner Ehrwürden nach dem Verlauf des
jüngsten Konsistorialessens und der darauf erfolgten Indigestion zu erkundigen, worauf Herr Hieronymus das Gespräch abermals näher zum Zweck führte:
»Messieurs belieben doch Platz zu behalten! Madam hat uns zu einer wichtigen Konsultation zusammenberufen in dieses Haus, allwo leider der Arzt des Leibes und der Arzt der unsterblichen Seele zu gleicher Zeit zu tun haben. Wahrlich, Madam hat als ein fromm christlich Eheweib gehandelt und ihre Bürde mit Tränen auf sich genommen. Dieses
ist ein Haus worden, dessen Lieblichkeit zu übelm Geruch sich wandelte, ein Haus, dessen Tür belagert ist von unheiligen Geistern, somit Zähnefletschen, Schweifringeln und Schlagen, mit verhaltenem Gebell und Geheul bei Tag und Nacht Einlaß begehren, löblicher Stadt und allem christlich lutherischen Volk zum Skandalum, zum allerschrecklichsten Ärgernis. Ja, die Herren wissen bereits, daß der böse Feind allbereits eingedrungen ist und neben dem Lager des Hausherrn sitzet und sich über ihn beuget
und die Zähne mit Triumph blecket. Es klinget ein absonderlicher Sang in unser Ohr; aber Madam möge reden, und Messieurs mögen hören und uns sodann ihre treffliche Opinion mitteilen!«
»Ich bitte!« fiel der Doktor Primus vorerst dazwischen. »Es ist vor allem weitern die Frage zu stellen, ob wir hieher berufen seien als Medici oder als Theologi! Was saget der Herr Kollega?«
»Ich stimme dem Herrn Kollega bei und stelle mit ihm dieselbe Frage.«
»Messieurs«, rief der
Pfarrherr mit großem Ernst, »wir sind hier in der dänischen Stadt Kopenhagen, allwo kein Inquisitionsgericht Sitzung hält über die Meinungen, doch weiß hochehrwürdiges Königliches Konsistorium sich auch verpflichtet vor Gott und Seiner Majestät, unserm Königlichen Herrn Christian dem Sechsten. Man spreche, wie man zu sprechen weiß; es wird an andern liegen, die Conclusiones zu ziehen.«
»Ihr Herren, ihr lieben Herren«, jammerte die Frau Mette, »in ganz Kopenhagen, auf ganz Seeland
gibts keine unglücklichere, geschlagenere Seele denn meine. Sie weisen in der Kirche und in den Gassen mit den Fingern auf mich: ›Sehet, da gehet das Weib des christlichen Juden!‹ – Ich weiß mir am Ende nicht mehr zu helfen und kanns nur ertragen, weil mich der Herr Jesus Christus darzu erschaffen hat. Ich bin von lutherischen frommen Eltern allhier geboren, und mein Mann ist aus Helsingör und auch von christlichen Eltern geboren, solches ist ja von der Kanzel abgelesen bei
unserer Trauung. Ich will auch in meinem lutherischen Glauben sterben; aber die Zungen der Leute bringen mich vor der Zeit um, und – drinnen liegt er, und der Juden Vorsänger, Meister Henrich Israel, sitzet neben seinem Bett und muß ihm psalmodieren, und es wird von Tage zu Tage schlimmer, wie er mit seiner ewigen Seligkeit umgehet und kein christlich Wort mehr annehmen will und mit den Rabbinern und jüdischen Schriftgelehrten mehr Gemeinschaft pflegt als mit seinem ehrlichen Eheweibe, so
ihm doch bei Tag und Nacht den Fuß in Wolle schlagen und des Herrn Doktors Sekundi preiswürdige Medikamente eingeben muß. Ich habe es getragen, getragen, getragen; aber es hat alles sein Ende, und so habe ich es zuletzt zum Herrn Hieronymus Moekel von Trinitatis getragen und vor seiner Weisheit, Tugend und Gottesfürchtigkeit meine Last abgeleget –«
»Und Madam hat gar wohl daran getan«, fiel der Pfarrherr wieder ein, »und die Herren belieben wohl Achtung zu geben und auf jenen
Gesang hinter der Wand mit Bedacht zu horchen! Wahrlich, es handelt sich hier darum, christliche Gemeinschaft der Heiligen und ein reines Evangelium vor einem großen und unersetzlichen Schaden und einem stinkenden Ärgernis zu bewahren. Messieurs haben den Herrn Kuratorem dem Leibe nach in allen frühern Morbis und Hinfälligkeiten behandelt; nunmehro aber handelt es sich um eines angesehenen und wohlbekannten Mannes besseres Teil, und die Herren mögen wohl in Obacht nehmen, daß ihr Wort gewogen
wird vor einem hochwürdigen Konsistorio, vor Königlicher Majestät erhabenem Thron und zuletzt droben mit der allerletzten Waagschale. So sprechen denn die Herren und sagen, ob der Kurator Herr Jens Pedersen Gedelöcke mentis compos, bei gesunden Sinnen sei und ein verlorener, verruchter Sünder, einer so die Schafe lässet und sich zu den Böcken gesellet, – oder ob ihn des Herrn Hand mit Wahnsinn geschlagen und nur das Irrenhaus mit einem Hirntollen abzurechnen habe?!«
»Herr
Hieronymus und liebwerte Madam«, sprachen beide Doktoren mit bedächtigem Kopfneigen; »es ist unsere feste Überzeugung und Meinung, daß der Herr Jens Pedersen Gedelöcke nur am Podagra laborieret und daß, wenn es, was der Himmel verhüten möge, zum Schlimmsten gehen sollte, viel mehr Expektanz vorhanden ist, die Krankheit steige ihm in den Magen, denn in den Kopf, als welchen letzteren es nach unserer Bekanntschaft in dieser erleuchteten Stadt Kopenhagen kaum einen zweiten gleich hellen gibt.«
»So ist dieses Haus auserlesen, für alle Zeiten im feurigen Lichte des Verderbens zu scheinen!« rief der geistliche Herr mit erhobenen Händen, »und von dem Manne hinter der Wand wirds heißen:
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