Wilhelm Raabe
Gedelöcke
3.
eingestellt: 1.8.2007
In einem ziemlich großen, dunkelgrün ausgeschlagenen Gemach stand das Bett des Kurators, zu Häupten vor allem bösen Zugwind durch eine spanische Wand geschirmet, auf welcher allerlei chinesisches Volk Tee trank, auch in Gartenhäusern sich erlustierte oder mit großen Sonnenschirmen spazierenging. Von dem Kurator selber erblickte man wenig mehr als die mächtige Zipfelmütze, das rote indische Tuch, mit welchem die Stirn umwunden war, und die blaue Nase, welche eine nicht
geringe Ähnlichkeit mit der einer dänischen Bulldogge hatte, deren Konterfei dem Bett gegenüber an der Wand zu sehen war. Beim Eintritt der Gattin, des geistlichen Herrn und der beiden Arzte erhob sich die Nase um ein weniges; der Famulus schob dem Kranken noch ein Kissen unter den Kopf, worauf die hohe Nachtmütze mit recht freundlichem Nicken den Besuch begrüßte und der Kurator sprach:
»Ei guten Tag, Messieurs; ich gratuliere mir zu dieser schönen Gesellschaft. Davide, setze Er
Stühle; mon coeur, frage, womit wir aufwarten können; ein Gläschen spanischen Weines wird eine Annehmlichkeit um diese Zeit des Tages sein, wie ich selber eine häufige Erfahrung davon habe.«
Der Doktor Primus räusperte sich mit einem würdigen Lächeln, und der Doktor Sekundus klärte seine Kehle auf dieselbe Weise, allein Herr Hieronymus sprach mit abwehrender Handbewegung:
»Wir danken dem Herrn Kuratori, doch gelüstet unserer Zunge nicht nach irdischem Wohlschmack. Diese zwo
Herren führt ihr leiblicher und mich mein geistlicher Beruf hieher.«
»Ei, ei«, sagte Jens Pedersen Gedelöcke. »Ehrwürden verpflichtet mich immer mehr; doch – was saget mon coeur, meine Eheliebste? Welch einen Beruf wendet sie für?«
»O Jens!« rief die Frau Mette, »du weißt, daß es immerdar nur meine Liebe und meine Sorge für dein irdisch und ewig Heil ist, welche mich bei dir festhält!«
»Ei, ei, ei!« wiederholte der Kurator und setzte hinzu: »Davide, was
stehet Er und gaffet? Sein Gesicht wird dummer von Tag zu Tage; – lasse Er den Hispanischen bringen, die Herren Doktores werden mir nicht den Trost in meinem Jammer versagen.«
»Man muß denen Patienten ihren Willen lassen, Herr Hieronymus«, sprach der Doktor Sekundus mit einem freundlichen Lächeln zum Pastor der Trinitatiskirche, und der Doktor Primus sah dem Famulo mit einem beifälligen Kopfneigen bis zur Türe nach. Dann, als der Wein gekommen war, ein jeglicher – selbst
der Pfarrherr – sein Spitzglas auf dem Knie hielt und David Bleichfeld wiederum das Zimmer verlassen hatte, erhob sich der Kurator Gedelöcke auf den linken Ellenbogen, blickte im Kreise umher und verglich im Innersten die drei schwarzen Herren und die in ein trübes Grau gekleidete Gattin mit drei würdigen alten Raben und einer ältlichen Mantelkrähe und sich selber in seinem Leiden mit einem podagristischen Mops, welcher sich bewußt war, was er im Leben genoß, und deshalb die
Kondolenzvisite mit Geduld und Humor annehmen konnte. Mit großer Gewalt, Beredsamkeit und Salbung rückte Ehrn Hieronymus Moekel von der Trinitatiskirche dem wunderlichen Heiligen auf den Leib, und die Frau Mette begleitete jeglichen Angriff mit leisem Gewimmer und lautem Beifall; die beiden Ärzte aber hielten sich mehr passiv und an den Spanischen, bis sich der Kampf auf ein Terrain wälzte, das weniger Gelegenheit gab, sich zu kompromittieren. Was den Famulus David Bleichfeld anbetraf, so stund
derselbe draußen vor der Türe, hatte seine lange dürre Gestalt rechtwinklig eingeklappt und wechselte mit dem Auge und dem Ohr vor dem Schlüsselloch und begleitete das Spiel im Innern des Gemaches außerhalb desselben mit den verwunderlichsten Grimassen, Gesten und den allerkuriosesten Paraphrasen, Noten und Zitaten. Da er ein recht gelehrter Mensch war und seinen Herrn liebte, so wollen wir uns mit dem begnügen, was er aus der Unterhaltung der andern abzog, sintemalen es auch wohl nicht lohnen
würde, ein jedes Wort der Konversation dem eiligen, atemlosen Publiko von neuem vor die Nase zu rücken.
»Philister über dir, Simson!« murmelte der Horcher an der Wand. »Heißa, jetzt haben sie ihn zwischen den Kneifzangen, wie den Stürzebecher auf dem Markt zu Hamburg. Horch, da ist der Pfarrherr schon auf dem Wege gen Damaskon, und das Gleichnis vom schnaubenden Saulo passet wie die Faust aufs Auge. Drauf, pro libertate christiana, gebt es ihm, Herr Kuratore! Ha, ha, an den Tod
gläubet Ihr, sintemalen er alle Eure Vorfahren verschlucket hat? Ein hohes Konsistorium hätte es Euch nicht zugetraut, aber ein alter Heide und Ägyptier bleibt Ihr doch und nehmet Eure Gerippe auf Eure Gastmähler nur deshalb mit, um bei ihrem Anblick desto vergnügter das Leben zu genießen! Noch ein Gläschen Alikante, Herr Doktor Primus? Ist es keine ratio theologica, daß man die, so in der christlichen Kirche christlich gelebet, auch in der Versammlung der Kirchen, welche der Tempel ist, ehrlich
begrabe? O Gedelöcke, Gedelöcke, du willst nicht durch die Gewölbe und Steinplatten verdampfen und jeglicher frommen Nase zum Ärgernis und Leibesschaden werden?! O Gedelöcke, welch ein heidnischer Jud bist du, da es dir einerlei ist, ob die Auferweckung der Auferstehung vorhergehe: ist es dir nicht bekannt, daß geschrieben stehet: ›resuscitatio est causa resurrectionis?‹ – Also um 9976 Meilen ist das Firmament jüngsthin eingesunken, Herr Doktor Sekundus? – Das ist
freilich ein erfreulich Zeichen des kommenden jüngsten Gerichtes; aber Er ist doch ein heimlicher Jude, Herr Jens Pedersen Gedelöcke, und wird dahin fahren, wohin Ihn der Herr Hieronymus von der Dreifaltigkeitskirche dirigieret. O, ruchlose Seele, ist die Hölle nicht so heiß, wie man sie machet? Gedelöcke, Gedelöcke, wie hast du den rechten Weg verfehlet mit deinem metaphorischen Feuer! – Wo Rauch ist, Apokalypse, vierzehntes Kapitel am zehnten und elften Vers – da ist auch Flamme
– Lukas im sechzehnten Stück, Vers vierundzwanzig! Was solls nunmehro mit unserm Meister Henrich Israel? O ha, anjetzo fangen wir an und ziehen erst die rechten Register. O Gedelöcke, o Herr Kuratore, jetzt gehts mit Ihme um die Ecke und kopfüber in den Pfuhl der Verdammnis; einen guten Stilum magst du schreiben, mit dem Mund magst du wohl spitz und scharf auf den rechten Fleck zufahren; aber besser wärs dir doch gewesen, so du nicht der Gelehrten, Weltweisen und verführerischen Rabbiner
Schriften studieret hättest, sondern bei der lautern Milch des Evangelii geblieben wärest! Das ist keine Sache für einen gläubigen Christen, daß er seinen Braten immerdar beim jüdischen Schlachter einkaufe; wer aber das Schwein und alles, was von ihm kommet, verachtet, der mag sich wahren, daß er nicht selber –«
Der Famulus schnellte im jachen Schreck zurück und in die Höhe; im Gemache seines Herrn hatte sich urplötzlich ein gewaltiger Tumult erhoben. Stühle wurden mit Gepolter
zurückgeschoben; die Glocke des Kurators läutete gellend Sturm; die Stimme der Madam mischte sich schneidend in das dumpfe Gebrumm der Mediziner und den rollenden geistlichen Donner: Gedelöckes Stimme aber klang klar gleich einem Trompetenstoß durch die Schlacht:
»Davide! Davide! Wo steckt Er? Davide, eile Er herbei, komme Er Seinem geschlagenen Herrn zu Hülfe, Davide, Davide!«
Mit einem Sprunge stand der Gerufene im Krankenzimmer.
»Drauf, Davide!« schrie der
Kurator. »Führe Er die Herren die Treppe hinunter, und sorge Er, daß niemand Schaden leide. Da – da, bei Moses und allen großen und kleinen Propheten, bei der schönen Judith und dem grausamen Feldhauptmann Holofernes, beim Bel zu Babel, beim Drachen zu Babel, bei der keuschen Susanne im Bade, die Herren werdens verzeihen, daß ich ihnen nur meine Nachtmütze auf den Weg mitgebe.«
Herr Jens Pedersen Gedelöcke saß hochrot und tiefblau vor Ärger und Aufregung im Bett und ließ seinem
Worte die Tat im nämlichen Moment folgen. In bedrohlichster Nähe flog die Zipfelmütze des Kranken an der Nase des Pastors vorüber, und Herr Hieronymus Moekel erhob die Hände, um den Himmel zum Zeugen dieser Verruchtheit aufzurufen, schüttelte den Staub von den Füßen und verließ das Haus des Kurators mit dem festen Entschluß, draußen noch einige Worte in dieser Angelegenheit zu reden. Die beiden Ärzte folgten dem Beispiele des geistlichen Herrn, nachdem noch der Doktor Sekundus in seiner
Eigenschaft als Haus- und Leibarzt des Kurators versucht hatte, eine versöhnlichere Stellung ihm gegenüber einzunehmen. Die Frau Mette verschloß sich mit ihren Krämpfen und Konvulsionen in ihr Kämmerlein, und der heillose Sünder und Verächter jedes menschlichen und göttlichen Rechtes, Jens Pedersen Gedelöcke, ließ sich von seinem Famulus die Kissen zurechtschieben und sprach tiefaufatmend:
»Schenke Er Ihm auch ein Glas Spanischen ein, Davide, daß ich doch Einen anständlichen Menschen
derer Gottesgabe genießen sehe. Tausend lappländische Donnerwetter!«
»Ihr zeitliches und ewigliches Heil und Wohlsein, Herr Kurator!« sprach der Famulus, mit tonloser Gravität das gefüllte Glas an die Lippen führend.
»Ich danke Ihm, Monsieur Bleichfeld«, sagte Gedelöcke. »Hoffentlich hat Er nach Seiner Gewohnheit an der Tür das Notwendige erhorchet; – Herr Ludovikus hat keine bessere Komödie aufführen lassen, und Er hats gratis gehabt, Davide. Ei, ei – riechet
Er noch den Schwefel? – hat der Pfaff mir eingeheizt, wie der König Nebukadnezar den drei Männern im feurigen Ofen! Jetzt sage Er mir selber, Davide, bin ich ein Jud oder keiner? Ich will Ihm alles glauben.«
»Ich halte Ihn so wenig für einen Juden, Monsieur, als für den Verfertiger der Berleburger Bibel oder sonst einen Chiliasten!« sprach der Famulus mit Überzeugung. – –
Der Regen fuhr in immer heftigeren Strömen hernieder; im Innern des Hauses des
Kurators Gedelöcke vernahm man keinen Laut. Die Mägde und der Knecht kauerten verschüchtert um den Küchenherd, und Madam mit ihrem Töchterlein rührte sich nicht; – auf den großen Sturm war das tiefste Schweigen gefolgt. Ein schwarzer Kater stieg wie der Geist des Hauses langsam vom Bodenraum herab, schritt über den Gang und kratzte oder klopfte vielmehr an der Türe des Kurators.
»Öffne Er dem Mutz, Davide«, sagte Herr Jens; »das Vieh wird auch kommen, um wegen der Emotion und
des Tumultes zu kondolieren. Hierher, Mein Kater, mein guter Kerl, jaja, es ist eine tugendsam und fromme Welt. Jaja, mein armer Mutz, die Totenkäuze waren da, und es stehet dahin, wie lange Er mir noch den Magen wird wärmen dürfen.«
Mit Geschnurr sprang der Schwarze auf das Bett seines Herrn, der ihm ganz zärtlich den Pelz streichelte und, als das Tier sich zum behaglichen Schlummer zusammengerollt hatte, plötzlich recht ernsthaft gegen seinen Famulus begann:
»Davide, es
ist eine alte Geschichte und nicht viel Besonderes daran; aber Er weiß, was ich an Ihm getan habe, wie ich Ihn von der Gasse in mein Haus nahm, Ihn wärmte, kleidete und fütterte und Ihm seine Kollegia umsonsten verschaffte. Ich weiß auch, daß Er mir zugetan ist von ganzem Herzen, und Ihm ists nicht unbekannt, welch ein Trost mir Seine längliche Figur und hohe Sapienz zu jeder Zeit gewesen ist. Zur Lustigkeit ist Er nie geneiget gewesen, also wird Er auch anjetzt wohl ein bedächtiges Wort mit
Ihme reden lassen. Famule, es ist aus und zu Ende mit dem Königlich Dänischen Untertan Jens Pedersen Gedelöcke, und der Kurator überläßt der Welt Cura und Gaudium denen, so nach ihm kommen. Ihm, Davide, habe ich meine Bibliotheka und zweitausend Reichstaler vermacht, Madam und das Kind werden das Ihrige erhalten – lasse Er das Heulen, Davide! Der Meister Henrich Israel ist ja gar nichts gegen Ihn! –, meine Seele gebe ich dem, welcher sie dem Erdenkloß einblus; was den Erdenkloß
selber aber anbetreffen mag, das ist in diesem mit meinem Handsiegel pitschierten Skriptum enthalten, und lege ich solches mit Vertrauen in Seine Hände, auf daß Er es, sobald der Kurator Gedelöcke, Sein alter Patron, abgelaufen ist und Zeiger und Pendulum stillstehen, an die richtige Adresse abliefert. Was darauf zu tun ist, das wird sich finden, und mag auch Er, Davide, Seine Stimme im Consilio haben als ein treuer Diener und ein prudenter Kopf. Den Mutz vermache ich Ihm auch und weiß, daß Er
fein lieblich mit ihm umgehen und sich keine Winterkappe aus seinem Pelz machen lassen wird. Nun gebe Er mir auch ein Glas Spanischen, einem jeglichen, so etwas dagegen zu sagen weiß, zum Trotz, – pereat materia peccans cum titulo pleno! Lege Er mir die Kissen zurecht und lasse Er mich ein Stündlein allein; wenn der Mensch es also kühl gegen den Magen heraufsteigen spüret, so hat er mancherlei zu bedenken, daß ihm seine allerbesten Freunde zum Überdruß werden mögen.«
»Herr
Kuratore«, sprach der Famulus, »ich liebe Ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele; Er ist mir mehr als ein Vater gewesen, und Sein Vermächtnis rühret mich mehr als zu sagen ist. Ich verhoffe, daß ich Ihm noch lange Jahre mit Kopf und Hand und Herzen, mit der Feder und mit dem Maule zu Diensten sein darf; diesen Brief aber werde ich zur richtigen Stunde, wenn es nicht anders sein kann, an den Herrn Obristen von Knorpp abgeben, verlasse Er sich drauf.«
»Optime!« sprach Gedelöcke, das
Gesicht der Wand zukehrend. »Es ist eine kuriose Welt; bestelle Er mein Kompliment an den Benediktus, Davide; das Regiment ist auf dem Marsch von Altona her.«
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