Frei Lesen: Pfisters Mühle

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Wilhelm Raabe

Pfisters Mühle

Siebentes Blatt

eingestellt: 4.8.2007



heißt es in dem Liede, und zwar »bei Sonnenuntergang«, wie es in demselben wunderlichen Liede heißt. Mir lag freilich noch die volle Morgen- und Mittagssonne auf meines Vaters Hause und der Umgegend, während um den Vater selbst die Schatten schon wuchsen. Aber es war noch mein Recht, keine Ahnung davon zu haben oder doch nicht darauf zu achten; ich habe noch nach der glücklichen Kindheit eine glückliche Jugend in Pfisters Mühle gehabt und würde Bände schreiben müssen, um ihr auf literarischem Wege gerecht zu werden, und da könnte am Ende auch das Publikum wie meine Frau kommen und fragen: »Wozu?«

Wenn es nur nicht gar zu verlockend wäre, von jenen Epochen zu plaudern, zu den Zeitgenossen, zu der Frau, zu jedem beliebigen ersten besten, der darauf hören mag, weil er seinerseits auch davon zu reden wünscht und uns am Munde hängt, weil er mit zappelndem Verlangen drauf paßt, uns endlich das Wort in dieser Hinsicht davon abzufangen!

Nachdem ich die erste Stufe meiner wissenschaftlichen Bildung, die vertraulichen gelehrten Unterhaltungen im Hinterstübchen mit A. A. Asche hinter mir hatte, betrat ich die zweite Staffel der Leiter. Auch die Herren vom städtischen Gymnasium besuchten Pfisters Mühle, die älteren mit meistens zahlreicher Familie, die jüngern neben der jungen Frau mit wenigstens einem Kinderwagen voll und nur die jüngsten ohne Anhang und höchstens mit ihrem Ideal im Herzen. Gewöhnlich am Mittwoch- und am Sonnabendnachmittag kamen sie und bildeten dann an einem der längsten Tische des Gartens eine große Familie, und eines schönen Mittwochnachmittags stellte einer aus derselben, und zwar sogar das würdige Oberhaupt, der weißlockige Patriarch, nämlich Direktor Pottgießer, aus blauer Luft eine Art von kursorischem Examen mit mir an, dem mein Vater, mit sämtlichen Schoppen der jüngern Kollegen in bunter Reihe leer auf dem Tische, atemlos lauschte und dessen Resultat das Wort aus dem Munde des gemütlichen Schultyrannen war: »Schicken Sie ihn mir zu Michaelis, Pfister.«

Und zu Michaelis wurde ich ihm geschickt: das heißt, Vater Pfister von Pfisters Mühle führte seinen zu einem höhern Ziel (das heißt einem andern, als auch Vater Pfister aus Pfisters Mühle zu werden) bestimmten Sprößling zu einem andern, mehr förmlichen und in die Dinte und aufs Papier verlaufenden Examen in die Stadt. Das Resultat hiervon war, daß ich nicht ein Stück Kuchen aus der Handtasche der Frau Direktor Doktor Pottgießer wie beim ersten bekam, sondern nur, daß mich der Doktor einen »mit wunderlichen Allotriis vollgepfropften Tironen« nannte, mich aber doch in die seiner wackern Obhut anvertraute Herde germanischer Zukunftsgelehrtheit aufnahm und mich dem »passenden Pferch junger, in gleichen Tritt zu bringender Böcke« zuwies, wie A. A. Asche sich ausdrückte.

Ich bekam einen Platz in der Quinta, und mein Vater, der sein ganzes liebes Leben durch in seinen Ansprüchen bescheiden war und ein dankbar Gemüt dazu hatte, begabte zum Lohn für seinen Erfolg meinen und seinen Privatgelehrten mit einer soliden silbernen Taschenuhr, welchen höchst überflüssigen Zeitmesser Asche bereits gegen Ende des laufenden Mondes nach dem Pfandhause trug und vor dem Ablauf des Jahres für immer gegen »andere Werte und momentan Nützlicheres« vertauschte. Daß er so ziemlich um diese Zeit seine Studien, oder wie die Leute (nicht er!) es sonst nannten, vollendete, rufe ich dazu mit einiger Schwierigkeit in die Erinnerung zurück. Was er eigentlich studiert hatte, konnte kein Mensch recht sagen und er selber vielleicht auch nicht. Naturwissenschaften hieß es offiziell, und mit der Natur stand er freilich auf bestem Fuße, legte sich aber noch lieber an schönen Tagen, so lang er war, in dieselbe hin, mit den Händen unter dem Kopfe und einer Zigarre oder kurzen Holzpfeife zwischen den Zähnen. Wovon er in dieser Zeit lebte, das wußte außer den Göttern und meinem Vater niemand; aber er lebte und wurde eines Tages auch Doktor der Philosophie, und ich habe später die unumstößliche Gewißheit aus verschiedenen Papieren in Pfisters Mühle gewonnen, daß dieses gleichfalls nur unter Mitwissen und Beihülfe meines Vaters und der Unsterblichen möglich gemacht worden war.

»Ich habe seinen Vater gekannt«, pflegte mein Vater zu sagen. »Der war ähnlich und ist bis an seinen Tod mein bester Freund gewesen, und es war schade, schade um ihn! Und wenn er von seines Berufs wegen als Schönfärber sich auch die Welt für sein Fortkommen in ihr ein bißchen zu hübsch gefärbt hat, so ist doch kein anderer Mensch als er selber und höchstens sein Junge dabei zu Verdruß gekommen, und der - deinen Doktor meine ich - der solls in meinen Augen nachträglich nicht auch noch entgelten. Dazu hat er mir zu viel innerlich von seinem Alten, meinem guten Freund, seinem seligen Vater. Und daß sein Umgang und seine Belehrung dir keinen Schaden getan haben, das mußt du allgemach jetzt schon selber einsehen und sagen können, Ebert.«

Und ob ich das schon selber einsah!... Was ich damals aber noch nicht wußte, war, daß ich es später sogar in meines Vaters Haus- und Wirtschaftsbüchern finden sollte, wieviel Nutzen mein Freund Adam Asche Pfisters Mühle schaffen konnte. A. A. Asche hat diese Bücher jahrelang geführt in dem Hinterstübchen; und wäre der Niedergang des guten, vergnüglichen Erdenflecks durch genaue Buchhaltung zu verhindern gewesen, so würde heute wohl kein ander Bild drüber hingemalt werden und würde der nüchterne Alltag um eine grüne, lustige Feierabendstelle reicher geblieben sein für die Gegend.

Aber es hat alles seine Grenzen, und so hatte es auch das Zutrauen meines Vaters in seinen Günstling.

»Nicht weiter als soweit ich ihn unter Augen haben kann«, meinte der Alte. »Und daß ich dich ihm in der Stadt allein und unbeaufsichtigt in die Pfoten oder nur in Kost und Wohnung geben könnte, davon ist gar keine Rede. In einem von der Sorte hat die Welt grade genug, und daß du, mein Sohn, dich unter seiner speziellsten Obhut zur Anwartschaft auf den zweiten von der Art herausbilden solltest, das paßt mir doch nicht ganz in die Mütze.«

Wo in seiner »grünen Salatzeit« Studiosus und Doktor Asche selber seine Kost entnahm, war freilich etwas unbestimmt, und die sonderbarsten Spelunken schienen ihm manchmal grade recht zu sein. Was seine Wohnung anbetraf, so wechselte er häufig mit derselben, und sie gehörte meistens zu den beschränktesten und erfreute sich nicht immer der besten Luft und der erquicklichsten Aussicht. Am liebsten hielt er sich in dieser Hinsicht wie in so mancher andern in der Höhe, und ich habe ihn heute im Verdacht, daß ers in jener vergnüglichen Zeit Mauernstraße Numero neunzig nur deshalb länger als ein Jahr lang aushielt, weil er von seinem dortigen Fenster die Hintergebäude der moralisch anrüchigsten Gasse der Stadt mit all ihrem Leben und Treiben zum nachdenklichsten Zeitvertreib vor und unter sich hatte.

Aber es war noch ein triftiger Grund vorhanden, der ein Zusammenhausen mit ihm nicht bloß für mich, den Schulknaben, sondern für jedermann sonst unmöglich machte. Er war zu häufig nicht zu finden!... Man vermißte ihn wochenlang im Kreise seiner Freunde, und er blieb mondenlang für seine Hoflieferanten und sonstigen Gönner und Gläubiger jenseits seines nächstumfriedeten Wohnbezirks verschollen. Einmal ist er sogar länger als zwei Jahre verreist gewesen.

Als er von dieser letzten Fahrt - einer wahren Weltfahrt, wie es sich nachher auswies - von neuem im Lande erschien, war ich bereits einer der verständigeren jüngeren Leute des Schulrats Pottgießer, im Besitz eines Rasiermessers und des dazu gehörigen, glücklichen, unverwüstlichen körperlichen und wissenschaftlichen Selbstgefühls, zugleich mit der unvertilgbaren Neigung, noch andere Wirtschaftsgärten als den von Pfisters Mühle, sowie allerhand sonstige Kneipen zu besuchen. Ich war Primaner des löblichen städtischen Gymnasiums und hatte schon mehr als eine erste Ahnung davon, daß es eine Täuschung des Menschen ist, wenn er glaubt, daß die Bilder der Welt um ihn her stehenbleiben. Und wie der Junge aus Pfisters Mühle, so war auch das ganze deutsches Volk ein anderes geworden; denn die Jahre achtzehnhundertsechsundsechzig und -siebenzig waren ebenfalls gewesen und man zählte, rechnete und wog Soll und Haben mit ziemlich dickem, heißem Kopfe so gegen die Mitte der Siebenziger heran. -

»Und das ist ein wahres Glück«, meinte Emmy, »hoffentlich kommen wir jetzt endlich mehr zu Frau Albertinens Geschichte. Nimm es mir nicht übel, Männchen, Freund Asche interessiert natürlich als dein Freund auch mich ungemein, was seine Gelehrsamkeit und seine nachlässige Toilette, seine Naseweisheit und seine Unruhe und ewiges Umhertreiben in der Welt anbetrifft, aber auf seine Liebesgeschichte bin ich doch am gespanntesten. Bis jetzt ist es mir ein komplettes Rätsel, wie die beiden Leutchen zusammenkommen konnten. Ich versetze mich ganz in ihre Lage und denke, zuerst muß es sie doch schrecklich frappiert haben, als sie einander zum ersten Male gegenseitig zu Gesicht bekamen. Du wirst natürlich sagen daß wir hier ja in Pfisters Mühle sind und daß es eben ein verzauberter Grund und Boden ist. Und wenn ich diesen Mondschein ansehe, wie er so silbern durch die Baumzweige fällt und auf dem Wasser, dem Gebüsch und dem Erdboden tanzt, und wenn ich mir überlege, daß es auch damals wohl ebenso nette und warme Nächte gab und daß Ehen im Himmel geschlossen werden und des Menschen Wille sein Himmelreich ist und daß wir armen Mädchen nur allzuleicht vor euch Übeltätern in Rührung und Aufopferung geraten und die Contenance verlieren, so brauche ich eigentlich gar nicht an Zauberei und Verzauberung zu glauben, sondern kann mich ganz einfach an meine eigne klägliche Geschichte halten, du Bösewicht, und wie du am hellen Mittag und beinahe vor aller Leute Augen die Unverfrorenheit hattest -«

»Die Sache endlich zwischen uns ins reine zu bringen und den Papa so romantisch, wie es nur in Berlin möglich war, unter seinen Gräbern, hinter seinen Taxusbüschen und unter seinem Lieblings-Eibenbaum damit zu überraschen. Übrigens aber, mein Herz, habe ich immer nach den besten Mustern mich zu bilden bestrebt: dort auf des Papas Friedhofe hielt ich mich an das treffliche Beispiel A. A. Asches, und in diesem Augenblicke schwebt mir Vater Joachim Heinrich Campe als nachahmungswertes Exempel vor. Der brach unter seinem Apfelbaum in seinen Historien von Robinson dem Jüngern und seinem treuen Freund Freitag stets dann ab, wenns in ihnen ›interessanter‹ wurde. Wie er, schlage ich vor: indem wir uns auf unser eigenes, sicheres Lager strecken, wollen wir unsern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem Lande geboren werden ließ, wo wir unter gesitteten, uns liebenden und helfenden Menschen leben und nichts von wilden Unmenschen zu befürchten haben.«

»Lieber Himmel, was soll denn das nun wieder bedeuten?« rief Emmy näher rückend und ganz bänglich nach allen Seiten in die nicht vom Monde erhellten Gebüsche des verlassenen Gartens von Pfisters Mühle scheue Blicke werfend. »Meinst du wirklich nicht, daß es hier, und vorzüglich bei Nacht, doch ein bißchen zu einsam und zu weit entlegen vom Dorf und andern Leuten ist?«

»Nichts meine ich, als daß morgen wieder ein schöner Tag wird und daß, da uns die Tage auf Pfisters Mühle nur zu genau zugezählt sind, wir uns die letzten nicht durch den Nachttau und den öfters darauf folgenden Schnupfen verderben lassen wollen.«

»Jawohl«, meinte Christine, die seit einiger Zeit nach vollbrachten Hausgeschäften am Tische gesessen hatte, »jawohl, ich denke auch, daß es allmählich Zeit wird, zu Bette zu gehen, obgleich ich für mein Teil Sie in alle Ewigkeit so erzählen hören könnte, Herr Ebert. Es wird einem immer so kurios dabei, und je näher die Zeit zum Abzug kommt, immer wehmütiger. Und wissen möchte ich grade in diesem Augenblick, wie es Samse geht und ob er nicht bei diesem Mondenschein nach Pfisters Mühle zurückdenkt! Ach Gott, ach liebster Herrgott, und wie wirds mir sein, wenn auch ich in den allernächsten Tagen schon hierher nur noch zurückdenken kann und alles ist, als ob alles gar nicht gewesen wäre!«

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