Frei Lesen: Der Werwolf

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Hake von Stülpe, Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Neuntes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg I., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg. II., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Die Kurfürstin Elisabeth und die weiße Frau, Der Vertrag in ... | 2. Kapitel: Aufruhr | 3. Kapitel: Mundus vult decipi. | 4. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von einer Seite | 5. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von der andern Seite | 6. Kapitel: Die erste Kommunion | 7. Kapitel: Die Überraschung | 8. Kapitel: Die Flucht aus Berlin | 9. Kapitel: Die Gäste aufgenommen | 10. Kapitel: Die Gäste ausgewiesen | 11. Kapitel: Wunder und Wahrheit | 12. Kapitel: Attila und Konstantin hörten die Stimme Gottes. | 13. Kapitel: Der Kehraus |

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Willibald Alexis

Der Werwolf

Die Kurfürstin Elisabeth und die weiße Frau, Der Vertrag in Ecclesiasticis.

eingestellt: 8.8.2007

Inferet ad tristem patriae tune femina pestem
Femina serpentis tabe contacta recentis.
Vatic. Herm Lehnin.

Erstes Kapitel

Der Vertrag in Ecclesiasticis.



Der geheime Vortrag, welchen der geistliche Herr vor dem Kurfürsten hielt, ward durch einen Lärm draußen auf einen Augenblick unterbrochen. Der Vortrag betraf die bedenklichen Symptome, welche sich in Ecclesiasticis im Lande zeigten, und die Mittel, denselben zu begegnen. Der vortragende Rat war der Propst von Berlin, und der Grund, weshalb dieser und nicht der Minister, an dem es gewesen, dazu berufen worden, war, daß Joachim meinte, der von Schlieben sei wohl ein treuer Diener und in Geschäften erprobt, in derlei Dingen gehe ihm aber der rechte Sinn ab. Offiziell hatte er ihm einen andern Grund gesagt, daß er seine Gesundheit schonen und ihn bei seinen Jahren nicht so lange vor sich stehen lassen wolle. Ein alter Diener steht aber gern, auch wenn es ihm sauer wird, wenn er nur auf seinem Platze stehen bleiben darf; und ein alter Diener kennt die offizielle Sprache und weiß, was dahinter geschrieben steht. Der Lärm aber war der Gesang eines Liedes, der anhub: »Vater unser im Himmelreich!« das einige fünfzig Bürger und Frauen, die aus der schwarzen Brüderkirche kamen, absangen, und andere wollten sie daran hindern, und schrieen dazwischen. Noch andere drohten aber diesen letztern mit Knütteln und Fäusten, und so zogen sie singend und schreiend über die lange Brücke von Berlin. Es mußte etwas sein, was schon oft vorgekommen war, denn der Kurfürst und sein Rat warfen nicht einmal einen Blick zum Fenster hinaus; nur der letztere ließ sein Papier mit einem fragenden Blick sinken.

»Wo hub die Stänkerei an?« fragte Joachim.

»In Neu-Ruppin, vor einem Monat. Der Kirchenvorsteher und Gildemeister Hans Litzmann stimmte in der Klosterkirche nach der Predigt dieses Lied mit zween Tuchknappen an. Die Mönche regten das Volk auf und trieben die Störer aus der Kirche. Sie kamen aber nächsten Tages wieder. Seitdem hat der Unfug sich weiter verbreitet, und ist jetzt fast keine Stadt, wo nicht einer oder der andere Tolldreiste nach dem Gottesdienst seine Kehle auftut und andere einstimmen. Die Büttel verbieten es ihnen, und dann ziehen sie singend und zankend durch die Gassen.«

»Nach dem Gottesdienst?«

»So lauten die Berichte.«

»So laßt sie ihre Kehlen ausschreien, bis sies müde sind. Eine Tollwut muß man austoben lassen. – Weiter.«

»Trotz des strengen Mandats vom 28. Februar ist von den lutherischen Schriften, und namentlich von der Uebersetzung des Neuen Testaments, doch so gut wie nichts an die Amtsleute ausgeliefert worden. Und man weiß doch, aus dem geheimen Bericht des Herrn von Kleist, wie viel Ballen davon aus Sachsen ins Land gekommen!«

»Hattest Du es anders erwartet?«

»In gewissen Dingen –«

»Muß man Gesetze geben, und weiß im voraus, daß sie nicht ausgeführt werden. Dem Klerus ist auch die Keuschheit geboten. – Du brauchst nicht zu erröten. Wer Gesetze macht, weiß, daß er sie nur für Menschen gibt. – Weiter.«

»Hier ist nun das vollständige Gutachten der theologischen Fakultät zu Frankfurt über die sogenannte Uebersetzung des Luther.«

»Kurz den Sinn!«

»Sie weisen ihm nach nicht mehr denn hundertundsiebenundzwanzig Fälschungen; daß er Sprüche von großer Wichtigkeit ausgelassen und andere willkürliche Stellen eingeschoben. Daraus können nur Zwiespalt in der Lehre und groß Unheil in der Kirche entstehen. Erachten es daher für eine heillose Uebersetzung, die das Seelenheil derer, so sie lesen, gefährden müsse, und könne die weltliche Obrigkeit nicht strenge Strafe genug drauf setzen.«

»Was die Strafe wirkte, sahen wir. Glaubst Du, daß es das Gutachten wird?«

»Es ist vortrefflich, überzeugend; meiner unmaßgeblichen Meinung nach aber vielleicht etwas zu gelehrt für das Volk abgefaßt.« 2 »Das ists ja eben; Federfüchse, Scholastiker, lateinische Papiermenschen. Schaffe mir Schreiber, die nicht allein Gelehrte, auch Männer sind, die zum Volke reden, die schreiben können, wies mir in der Brust glüht. Das ist das Elend, drüben haben sie solche Federn. Was schreibt nicht dieser Herr von Hutten! Warum tritt hier keiner auf, warum klebt an allen ihren Schriften der Schweiß der Angst, das Oel der Nachtlampe? Wie der Faden am Rocken, zieht und zerrt sich das, keinen Schluß, keine Ueberzeugung, keine Wärme; und wenn sie warm werden wollen, poltern sie heraus mit hochmütigen Drohungen, worüber das Volk lacht. Die bestellte Arbeit guckt heraus.«

»Und sie werden doch gut bezahlt.«

»Ich will niemand mehr bezahlen lassen, verstehst Du mich, es ist mein ernster Wille. Nur freiwillig, ohne Lohn sollen sie für uns schreiben. – Was schlägst Du da um?«

»Eine ärgerliche Denunziation, mit der ich Euer Durchlaucht Ohren nicht verwunden will.«

»Da hast Du recht. Ich will keine Denunziationen mehr, ich hasse die Denunzianten. Ich muß des Schlechten genug mit eigenen Augen sehen. – Aber es ist ja ein langes Skriptum.«

»Und höchst verdrießlichen Inhalts; wir gehen also zur nächsten Meldung über.«

»Vom wem ist sie, ich meine das Skriptum?«

»Von einem der treuesten und stillsten Diener seines Fürsten und seiner Kirche. Aber es ist besser, daß ich seinen Namen nicht nenne; es könnte dem trefflichen Manne zu unüberwindlichem Schaden gereichen, wenn er Euer Durchlaucht Zorn erregte, obwohl er selbst darauf gefaßt ist, und selbst auf die Gefahr hin –«

»Dir erlaubt, ihn zu nennen! Warum nennst Du ihn nicht? Wer von seinem Fürsten gehört sein will, dem muß der Fürst sein Ohr leihen. Doch was tut der Name; die Sache! Was ists?« –

»Ich berichte mit blutendem Herzen. Man weiß nun für gewiß, daß Ihro Durchlaucht, die Kurfürstin, nicht allein selbst ein Exemplar der Wittenberger Uebersetzung des Neuen Testaments in Besitz hat und darin täglich liest, sondern auch allabendlich, wenn die Dienerschaft zu Bette gegangen, bei verschlossenen Türen und Läden den jungen Herrschaften, ihren Kindern, daraus vorliest.«

Joachim fuhr nicht auf, wie der Probst erwartet zu haben schien. –

»Woher weiß man das? Wer weiß es? – Ungeschminkte Wahrheit.«

»Es war längst auffällig bemerkt worden, daß die durchlauchtige Frau früher als gewöhnlich ihr Gesinde des Abends entließ, angebend, daß sie durch die letzten Ereignisse mehr als gewöhnlich erschöpft sei und der Ruhe bedürfe.«

»Und so ist es. Der Besuch ihres Bruders, meines unglücklichen Schwagers von Dänemark, hat ihr viel Herzeleid gebracht. Sie ist eine unglückliche Frau, der meine Leute allen Respekt schuldig sind, die man nicht mit ungegründetem und gehässigem Verdacht behelligen soll. Das ist mein Wille. Weiter! –«

»Der Schloßhauptmann von Zossen berichtet, daß sich etliche Juden aus der Lausitz –«

»Wer berichtete –«

»Der Schloßhauptmann von Zossen.«

»Nein, wegen der Kurfürstin, – der treue und stille Diener?«

»Es ist unser Prior der schwarzen Brüder, dem das Umsichgreifen der Ketzerei keine Nacht Ruhe gönnt, der, voll Angst wegen des Uebels, sein Aug und Ohr überall hat –«

»Heraus mit der Sprache! Das lange Hinzerren ist ein schlechtes Mittel, unsere Geduld zu spannen und unseren Zorn zu reizen. Ich will alles wissen. Wie kam der Prior dahinter?«

»In der kurfürstlichen Kellerei war es auffällig bemerkt worden, daß im Hofhalt der durchlauchtigsten Frau weit mehr Oel verbraucht werde als sonst; auch deutete manches im Zustande der Zimmer den Lakaien darauf, daß die Herrschaften länger als gewöhnlich in die Nacht hinein aufbleiben müßten. Dies veranlaßte einen – Bekannten des Priors, da man sich nicht unterstand, anzufragen, und, wie ich schon bemerkt, auch das anscheinend frühe Zubettgehen auffällig war, sich in der Stille umzusehen. Ich wage zu bemerken, daß auch in letzter Zeit die durchlauchtige Frau sich später als gewöhnlich aus ihrer Ruhe erhoben, so daß sie bisweilen, wie meinem Fürsten bekannt, die Messe versäumt. Da bemerkte man, daß oft noch um Mitternacht ein heller Streifen durch die Ritzen der Läden auf die Hofmauer drüben fiel; auch aus den Türspalten drang ein Schein auf die Korridore –«

»Und Ihr legtet Eure Spürhunde an die Türen und ließet sie horchen; lauschen an dem Gemach meiner Gemahlin! Bei den ewigen Flammen, wer hats Euch erlaubt! Ich will es ihnen gedenken, daß sie sich in die Heimlichkeiten meines Hauses schleichen.«

»Sie haben nichts gehört, als das Vorlesen des Neuen Testamentes.«

»Und wenn es Euch, wenn es dem Prior und den Seinen einfiele, um meine Rechtgläubigkeit besorgt zu sein, wenn Ihr Eure Küchenmägde und Kellerbuben die Ohren an meine Schwelle legen ließet!«

»An des Gesalbten des Herrn!«

»Spürhunde will ich nicht, wie oft hab ichs ihnen gesagt! Ich hasse, ich verabscheue das Spionierwesen, wo, gegen wen es auch angewandt werde. Jagt sie aus dem Hause, daß ich keinen zu Gesicht bekomme, daß ich nie wieder etwas davon erfahre.«

Der Propst verbeugte sich. »Soll vielleicht der Schuldige ausgemittelt werden, ich meine, der sich erdreistet hat –«

»Ich will nichts mehr davon hören!« rief Joachim aufspringend.

»Ich hätte sonst vorgeschlagen, ihn öffentlich auspeitschen zu lassen.«

»Kein Wort davon, darüber mag Gras wachsen. Und dann – es ist ja Wahrheit.«

»Ich erstarre in Ehrfurcht.«

»Laßt die unglückliche Frau. Der Herr wird sich ihrer Irrtümer erbarmen. Ihr Geist begreift das nicht. Ein Blinder tappt umher; nur was er mit den Händen faßt, daran klammert er sich. Die Kinder sind meine Kinder, wenn sie der Mutterzucht entwachsen –«

»Wird des Vaters Geist sie zum wahren Lichte führen.«

Der Kurfürst trat einen Schritt näher an den Propst: »Versteht mich wohl, so mag es bleiben für dieses Mal. Die arme Frau mag zehren an dem Wittenberger Brei, es ist für ihren schwachen Magen; schwelgen meinethalb darin, wie jene Sänger vorhin, bis sie satt ist. Ich gönne ihr das Labsal. Niemand soll ihr Gewissen belästigen, sie soll ihre Meinung wie jeder frei haben. Aber, dabei hat es sein Bewenden, Propst! Opinionen, aber keine Aktus. Versteht Ihr mich, wir ignorieren alles, solange es im stillen geschieht.«

»Ich werde dem Prior einen Wink geben, daß er nichts sehen soll.«

»Nichts! das ist zu wenig. Wenn sie sich mehr unterfangen sollte – das muß ich wissen.«

»Ein Regent muß das wissen.«

»Das muß ich erfahren. Das ist die Pflicht meiner Diener.«

»Euer Durchlaucht werden gnädigst denjenigen ernennen, von welchem es ihm genehm ist.«

»Weiß ich, wer es zuerst erfährt!«

»Gnädigster Herr, wer von uns allen soll es überhaupt in Erfahrung bringen! Gesetzt, daß die durchlauchtige Frau mit den sogenannten Reformatoren in Wittenberg Briefe wechselte, was gewiß nur ein böswillig Gerücht ist, so würde das zweifelsohne doch nur heimlich geschehen: man könnte also nur dahinter kommen, indem man sich eines solchen Briefes bemächtigte.«

»Das soll nicht geschehen.«

»Und wer erfrechte sich einer solchen Tat gegen den Willen seines Herrn! Aber wie sollen wir Beweise sammeln?«

»Das ist Eure Sache! Was quält Ihr mich mit solchen Erbärmlichkeiten! Genug, ich muß es wissen. Soll ein Regent, dessen Gedanken auf das Ganze gerichtet sind, mit allem Wust und Kram des kleinen Dienstes sich beschäftigen? Ich will auch davon nichts mehr hören. Weiter! Du hast noch viel vorzutragen.«

»Dies geht ad acta.«

»Warum? Ich muß von allem Rechenschaft haben.«

»Nur die Kopie eines Briefes unseres Kardinals in Rom an unseren Geschäftsführer.«

»Des Kardinals! Und Du lächelst so verächtlich?«

»Nur eine Notiz; daß die Apellation unseres würdigen Hofprediger Musculus abgewiesen ist. Der heilige Vater findet sich nicht gemüßigt, gegen das Gutachten der Frankfurter Fakultät, unserem Doktor die Erlaubnis zu seiner bekannten Predigt gegen den Hosenteufel zu erteilen.«

Auch Joachim lächelte wieder, indem er seine Finger vor den Augen spielen ließ: »Der arme Musculus! Er tut mir eigentlich leid. Wer überall den Teufel sehen muß, suche ihn doch meinethalb in jeder Pluderhose. Er steckt dann wenigstens die Nase nicht in Dinge, die ihn nichts angehen.«

»Man will behaupten, obgleich ich vorausschicke, daß ich nichts davon weiß, noch es glaube, aber man meint, daß Musculus in einigen Glaubenssätzen schwanke –«

»Hast Du auch Lust, Hofprediger zu werden?« unterbrach ihn der Fürst.

»Da mein Kurfürst –«

»Dich zur Legation an den Kaiser bestimmt hat, fliegt Dein Ehrgeiz über die bescheidene Hofpredigerstelle hinweg.«

»Musculus, er ist mein Freund, aber von Einfluß auf die Kurfürstin.«

»Ich bin nicht eifersüchtig.«

»Diese Zurückweisung aus Rom –«

»Wird ihn vielleicht den Teufel unter der Tiara suchen lassen, weil die Tiara ihm verbot, ihn in unseren Hosen zu suchen. Mag er in Luthers Weise einfallen; er ist darum nicht Luther. Weiter!« ,

Ein unbefangener Dritter, der zugehört, hätte jetzt vielleicht bemerkt, daß die Unbefangenheit, ja Heiterkeit, welche Joachim bisher gezeigt, nur eine angenommene gewesen. Die Falten seiner Stirn zogen sich enger zusammen, er drückte die Wimpern und kniff die Lippen, als der Propst von den Fortschritten der neuen Lehre in den Städten und den großen Familien des Landes seine geheimen Berichte abstattete. Nur zuweilen fuhr der Fürst mit einer gleichgültigen oder spöttisch scheinenden Bemerkung dazwischen und fragte, was der Propst zu besorgen schien, nicht mehr nach den Quellen seiner Nachrichten. Der Lichtschein aus Schlüssellöchern und Türritzen und die Lauscherohren auf den Schwellen wären dabei schwerlich abzuleugnen gewesen.

»Dies Wittenberg ist ein wahres Nest von Ungeziefer. In jedem Jahre wird eine größere Schar der Schreivögel flügge und fliegt mit Empfehlungen ihrer Oberen nach allen Winden aus. Diejenigen, welche nicht öffentlich als Prädikanten aufzutreten wagen, schleichen sich als Informatoren und Kaplane in die Häuser der adligen Familien und Patrizier. Die Giftsaat, welche dort ausgestreut wird, ist in ihren Wirkungen vielleicht noch bedenklicher, als die, welche die Ungestümen von den Kanzeln herabschreien.«

»Welche Familien nanntest Du?« Der Kurfürst hatte eine Schreibtafel zur Hand genommen und machte Notizen, während der Propst ihm eine Reihe Namen nannte.

»Die Alvensleben in der Altmark! Das ist ja ein hübscher Anhang! Und wen nanntest Du in der Neumark?«

»Die von der Marwitz haben sich eben einen Wittenberger Theologen verschrieben.«

»Auch in meiner Kurmark, unter meinen Augen; das ist kühn. Ich will mit ihnen reden.«

»Sie gehen wohl noch in sich.«

»Notiere das für Schlieben. Die Anwartschaft, die ich den fünfen erteilt, bleiben Anwartschaften bis auf weiteres. Den Herrn Schloßhauptmann von Küstrin will ich versetzen. Wer an seinem Glauben nicht festhält, wie kann ein Fürst dem seine stärkste Festung anvertrauen! Und –«

»Wie ich bemerkte, gegen den Marschall Bredow selbst liegen noch keine Inzichten vor.«

Der Kurfürst lachte.

»Indes fühlt, wie man weiß, seine Ehefrau das Regiment im Hause. Sie ist eine gutgesinnte Frau – aber im Vertrauen der Kurfürstin. – Sie wohnte auch den abendlichen Vorlesungen aus der Bibel bei. – Es ist auffällig vermerkt worden, daß sie letzter Zeit sehr oft Reisen nach Hohenziatz unternimmt und daselbst lange verweilt. – Die alte Frau von Bredow liest in Wittenberger Schriften, sie hat es kein Hehl. Indes ist dies nichts Auffälliges, da diese sonst so wackere Frau von je an eine große Gleichgültigleit gegen die Diener der Kirche an den Tag legte. Ja, ihre seltsamen Reden atmeten –«

»Wozu das alles! Ich will meinen Minister hören, nicht altes Weibergeschwätz.«

»Auch achte ich dafür das Gericht, daß die Witib den Abt von Lehnin zu bekehren versuche.«

»Die Abtei Lehnin ist eine fette Pfründe! – Ab von diesem Wege, mein Geheimtat, auf einen anderen.«

»Aber über Hohenziatz geht der Weg nach Wittenberg. Er ist zwar sandig und etwas um, die heimlichen Reisenden werden indes in den Holz- und Heidewegen der Zauche von den Grenzreitern nicht immer bemerkt. Man will behaupten, daß Frau Eva Bredow mehrmals diesen Weg hin- und zurückgelegt habe. Da alles Kundschaften meines Fürsten Diener untersagt ist, würde vielleicht ein Zwiegespräch zwischen Euer Durchlaucht und der jungen Frau –«

»Weiter!« rief Joachim.

Die Runzeln auf des Fürsten Stirn wurden nicht leichter bei dem Vortrage seines Rates über die Symptome, die sich in den Städten der Mark zeigten; in Brandenburg, Landsberg, in Neu- Ruppin, Lenzen, in Frankfurt, Königsberg, Züllichau, in Kottbus, Soldin und Crossen.

»Eine tut es der anderen nach und möchte es ihr zuvortun.«

»Wundert Dich das! Naturforscher hat es gegeben, die behauptet, das Menschengeschlecht sei nur eine Abart der Affen.«

»In Frankfurt besonders, wo man es am wenigsten erwarten durfte, wegen unserer Universität, hat der Taumel die vornehmsten Familien ergriffen. Die Petersdorfe, die Weiße, die Reiben haben einen Lieblingsschüler Luthers, den Andreas Ebert aus Neisse, zu ihrem Hausgottesdienst angenommen. So kommt der kirchliche Gottesdienst in Verfall.«

»Das nennen sie eine Kirchenbesserung, daß sie die Leute aus den Kirchen locken! Das den gereinigten Glauben, wenn sie gleichgültig zusehen wie die hohen Dome leer stehen; und wie die Zigeuner schleichen sie in Scheunen, unter Hecken, begeistert von der dummdreisten Faselei, von nüchternen Erklärungen, fanatischer Tollwut. Was ist die Kirche noch, wenn sie in Sekten zerfällt, wo jeder auf eines anderen Worte schwört. Als hätte der Herr ihnen allen die Sinne verwirrt.«

Der Fürst schwieg, und der Propst schwieg auch. Wie viele der erlauchten Verwandten des Kurfürsten hatten sich bereits offen für die Reformation erklärt! Ja, sein Vetter, der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, hatte das geistliche Kleid abgelegt, das Ordensland in ein erblich Herzogtum verwandelt, und sich eben als erster Herzog von Preußen von den Landständen huldigen lassen. Damit war die neue Lehre in Preußen eingeführt. Und der Kurfürst Joachim hatte dazu geschwiegen; ja man sagt, daß er in der Stille über den kühnen Schritt und die Vergrößerung der Macht seines Hauses nicht gezürnt. Darum schwiegen beide.

Der Kurfürst hatte zum Fenster hinausgeschaut: »Wir kamen von unsern Geschäften ab. Ist noch mehr?«

»Recht Betrübendes aus unserer nächsten Nähe. Hier habe ich die Listen der Altäre in unsern Kirchen zusammenstellen lassen. Seit 1517 ist nicht ein Altar in Berlin und Kölln, noch irgend eine Stiftung zur Ehre eines Heiligen errichtet worden. Ja einige mußten eingezogen werden, weil niemand mehr opfern wollte. Und bliebe es nur dabei! Aber auch die Prozessionen kommen ab. Die Angesehenen mögen ihre Kinder nicht mehr zum Gesang, zum Fähnleintragen und zum Räuchern senden. Wir sind in der Tat in Verlegenheit zum nächsten Fronleichnamstage. Wo wir auch hinschicken, nach Kölln und Berlin, die Eltern wollen ihre Töchter nicht mehr herleihen, wie sie sagen. Und ohne die weißen Mädchen ist es keine ordentliche Prozession.«

»Die hübschen Kinder mit den blonden Locken! – Die wollen keine Bilder, die keine Blumen im Haar, die keine Kerzen und Meßgewänder; am Ende wird ihnen der Orgelklang, der Glockenschall auch zum Greuel; warum nicht Gottes Sonnenlicht, warum nicht das grüne Kleid der Erde, warum nicht sein blauer Himmel!«

»Wenn wir nicht mehr das Fronleichnamsfest, wie es sich schickt, celebrieren, ist es in der Mark mit der katholischen Kirche aus.«

»Sie sollen es celebrieren! – Setze auf der Stelle einen Befehl an den Rat beider Städte auf. Die Gesetze sollen sie halten, die mein Großvater Albrecht, mein Vater Johannes erließ; es ist darin genau vorgeschrieben, wie Berlin die Fronleichnamstage feiern muß. Der Rat soll die Eltern nachdrücklich anhalten, und die Eltern sollen ihre Töchter schicken. Es soll nichts, gar nichts bei der Prozession ausgelassen werden; alle Figuren, Thronhimmel, Kerzen, Weihkessel, die Gilden in ihren Festanzügen; keine Neuerung in der Tracht, buchstäblich wie es in der Verordnung heißt; und meine Hellebardiere will ich mitschicken.«

»Welche Nachrichten aus Stendal?« fragte Joachim nach einer Pause.

»Wir sind ihrer stündlich gewärtig. Ich fürchte, sie sind nicht günstig.«

»Deine Vorträge sind zu Ende?«

»Der Kapuziner aus Landsberg an der Warthe bittet nur noch um gnädig Gehör.«

»Wie war doch der Vorfall?«

»Der Mönch hat sich und der guten Sache durch Uebereifer oder Ungeschick geschadet; sein Wille war gut. Einige der vornehmsten Familien in Landsberg hielten schon seit einem Jahr, was sie nennen, reformierte Zusammenkünfte in einem alten Hause, das ehedem eine Kirche gewesen. Ihr Anhang wuchs mit jedem Tage. Im Aerger darüber ließ der Bruder Eustach sich zu allerhand Kunststücken verleiten, vielleicht war es aber auch mehr; er hat mir wenigstens versichert, daß er Gott innig gebeten, die Lästerer zu erschrecken –«

»Durch Knallerbsen und Teufelsfratzen an der Wand.«

»Dies lasse ich dahingestellt; der Bruder Eustach hat seltene Kenntnisse in der Magie. Als das Gepolter, wie wenn die alte Treppe einstürze, die Ketzer erschreckt, daß sie sinnverwirrt niederfielen, und der heilige Nikolaus in übermenschlicher Gestalt mit einem Wehe! unter sie trat –«

»Nämlich der Bruder Eustach in einem langen roten Meßnerkleide,«

»Blieb er unglücklicherweise mit seinen gelben Pantoffeln an einem Nagel hängen und strauchelte –«

»Und fiel mitsamt der Stange, worauf ein Kürbiskopf war, und sie erwachten aus ihrem Schreck und prügelten ihn durch. Das ist die große Geschichte.«

»Sie haben ihn entsetzlich gemißhandelt. Wenn nicht der Rat einschritt, wäre er nicht mit dem Leben davon gekommen. Man erschrickt, wenn man ihn sieht.«

»Und solch Gesindel willst Du mir vorstellen; wagst meiner Gnade und Gunst einen Taschenspieler zu empfehlen.«

»Verstoßen überall, fast ohne Obdach, wirft er sich zu Euer Durchlaucht Füßen, um Mitleid flehend. Ich lobe ihn nicht, noch empfehle ich ihn, aber ich lobe seinen reinen Glauben und guten Willen. Auch hat er, wie man sagt, seltene Kenntnisse in den verborgenen Kräften der Natur.«

»Es ist schändlich, durch solche Mittel die Autorität der Kirche aufs Spiel zu setzen.«

»Besonders, wenn es so ungeschickt geschieht. Sonst sind mehrere von Eurer Durchlaucht Räten der Meinung, daß, wo das Volk mit besonderer Gehässigkeit den Diener eines Fürsten anfeindet und verfolgt, was doch immer weniger um des einen Fehlers willen geschieht, den er sich zu Schulden kommen ließ, als weil sie die Gelegenheit ergreifen, ihren Haß gegen ihn zu kühlen, weil er seinem Herrn treu diente und in seine Intention einging; die Räte, erlaube ich mir zu sagen, welche ich darum fragte, waren der Meinung, daß es des Fürsten Pflicht in solchen Dingen sei, um seiner selbstwillen einen solchen Diener nicht fallen zu lassen. Ein Regent müsse dem Volke immer zeigen, daß niemand ungestraft seinen Intentionen sich widersetzen dürfe, und daß er die zu schützen wisse, welche, wenn auch sonst nicht fehlerfrei, seinen erhabenen Willen als das höchste Gesetz erkennen. Was ich übrigens der Entscheidung meines Fürsten allein anheimstelle.«

»Woran Du wohl tust. Der Mönch kann warten, bis ich die Laune habe, ihn zu sehen. Sobald die Nachrichten aus Stendal eingehen, erwarte ich Dich mit Schlieben. – Noch eine Nachricht?«

»Keine, mein Fürst; nur meldet man aus Brandenburg, daß die Aerzte für Dietrich von Gardelegens Aufkommen wenig Hoffnung geben. Es wäre recht betrübend, wenn dieser fromme Mann nur so kurze Zeit seines Bistums sich erfreuen sollte.«

»Damit Du es auf recht lange Zeit könntest?«

»Durchlauchtigster Herr, wenn je mein Sinn bei diesem Gedanken verweilte –«

»Dann?«

»Empfand er den zerdrückenden Schmerz der eigenen Unwürdigfeit zu dem hohen Amte –«

»Und weiter –«

»Könnte mich nur der Gedanke trösten, daß ja meine ganze Tätigkeit nur und allein dem Dienste meines Fürsten gewidmet sein solle. Wohin er mich stellt, da stehe ich; wohin er mich sendet, dahin gehe ich.«

»Das sind gute Gedanken. Du gehst nach Inspruck, Wien, vielleicht nach Hispanien.«

»Zu viel des Vertrauens. Aber werden auch meine Kräfte ausreichen, frage ich mich, wie die des großen, unvergeßlichen Mannes – Hieronymus war darin einzig – dort für meinen Herrn an des Kaisers Hofe zu wirken, und hier als Hirt meine große Herde zu weiden!«

»Das letztere soll Dich nicht kümmern.«

»Gnädigster Herr, welche höhere Pflicht gibt es für einen Bischof?«

»Wer spricht vom Bischof; Du wirst mein Legat.«

»Und für das Bistum –«

»Hab ich den Domherrn Jagow designiert.«

Der Propst mußte noch kein vollkommener Diplomat sein; er fuhr zusammen, entfärbte sich und blickte mit halb offenem Munde auf den Kurfürsten, ob das Ernst sei? – Es war Ernst.

»Ich glaubte –«

»Daß ein treuer Diener nichts höher schätzen solle als den Willen seines Herrn.«

»Ich bekenne, – die Nachricht ist für mich so unerwartet, so überraschend.«

»Sie überrascht Dich aber freudig!«

»O gewiß! – Gewiß hat Mathias von Jagow meinem Fürsten einen Dienst geleistet, der, mir unbekannt, ihn einer solchen Würde wert macht.«

»Jagow hat seinem Fürsten den Dienst geleistet, daß er einen Charakter sich bewahrt, welchen jeder ehrt, hoch und niedrig; sonst kenne ich ihn wenig. Er zeigt sich nicht bei Hofe.«

»So gestattet mein Fürst die Bemerkung, daß der wittenbergische Prädikant Thomas Baitz, der in Alt-Brandenburg mit solchem Zulauf predigte, der sich jüngst erfrecht hat, die Messe deutsch zu lesen, daß dieser Baitz unter besonderem Schutze des Domherrn Jagow steht. Ja, als derselbe einen Ruf nach auswärts erhielt, hat Jagow selbst den Rat aufgefordert, den trefflichen Kanzelredner, wie er ihn nannte, der Stadt um jeden Preis zu erhalten. Es tut mir in der Seele weh, daß ich der erste sein muß, der meinem Fürsten dies mitteilt.«

»Das mag Jagow mit sich verantworten; ich verantworte es bei mir, als Fürst meines Landes, als Schirmherr meiner Kirche, wenn ich dem unbescholtensten Ehrenmann das erste Bistum meines Landes gebe. In solcher Zeit tun Ehrenmänner jedem Stande not, absonderlich dem geistlichen, wenn er mit Ehren vor dem Volke bestehen soll. Ihr seid doch auch meiner Meinung, Propst? Auf Wiedersehen!«

< Fünftes Kapitel
2. Kapitel: Aufruhr >



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