Frei Lesen: Der Werwolf

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Hake von Stülpe, Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Achtes Kapitel | Neuntes Kapitel | Neuntes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg I., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Sechstes Kapitel | Siebentes Kapitel | Die Sündflut und der Tempelhoffsche Berg. II., Erstes Kapitel | Zweites Kapitel | Drittes Kapitel | Viertes Kapitel | Fünftes Kapitel | Die Kurfürstin Elisabeth und die weiße Frau, Der Vertrag in ... | 2. Kapitel: Aufruhr | 3. Kapitel: Mundus vult decipi. | 4. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von einer Seite | 5. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von der andern Seite | 6. Kapitel: Die erste Kommunion | 7. Kapitel: Die Überraschung | 8. Kapitel: Die Flucht aus Berlin | 9. Kapitel: Die Gäste aufgenommen | 10. Kapitel: Die Gäste ausgewiesen | 11. Kapitel: Wunder und Wahrheit | 12. Kapitel: Attila und Konstantin hörten die Stimme Gottes. | 13. Kapitel: Der Kehraus |

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Willibald Alexis

Der Werwolf

2. Kapitel: Aufruhr

eingestellt: 8.8.2007



»Himmelskönigin! Allbarmherzige! nur einen Menschen, dem ich vertrauen kann!« rief Joachim, nachdem der Propst gegangen. »Könnte ich aus Kot mir einen kneten, aber ihm einhauchen meine Seele! Möchte der tönende Mund ihm fehlen, wenn ich nur in seinem Auge läse, daß er mich verstand. Herr des Himmels und der Erde! Das ist doch das wenigste, was der ärmste Mensch verlangen kann, eine Kreatur, der er sein Herz anschließen darf. Und Joachim von Brandenburg findet kein Herz, keinen Kopf, er muß sich plagen mit – solchen!

Nicht einmal einen Arm, der redlich die Bewegungen macht, die man ihm aufträgt,« fuhr er fort, indem er das sorgenschwere Haupt auf die Stuhllehne stützt. »Auch als Maschinen taugen sie nichts; ihr Räderwerk verrät durch sein Knarren jede Bewegung, die man verstecken will; und die heut voller Diensteifer scheinen, wie die Meute, wenn ich sie auf das Wild loslasse, kriechen morgen wie die Schnecke in ihr Haus zurück, wenn ihr Vorteil und meiner um die Breite eines Haares voneinander geht. An der Selbstsucht putzen und feilen sie, bis sie zu einer Tugend wird, zu einem Götzen, vor dem sie auf ihren Knieen liegen; und diese Götzendiener klagen die heilige Kirche als götzendienerisch an! Und vor diesem Menschengeschlechte, forderte mein ehrwürdiger Lehrer, sollte ich Achtung haben! Wer mag denn immer nach dem Keim des Göttlichen suchen, unter dem wuchernden Dickicht der Niederträchtigkeit! – Begeisterung, Drang, Glut des Bewußtseins; einen Pfennig mehr in die Wagschale und sie schnellen in die Luft. – Hilarius wird nicht Bischof von Brandenburg, gewiß nicht, so lang ich Markgraf von Brandenburg bin. Sein Eifer wird erkalten, er wird sich umschlagen. Erwartete ich anderes! Und wird dieser Mückensauger Musculus, weil Rom seinen Hosenteufel nicht anerkennt, nicht dafür Rom verleugnen? Verleugnet es nur, deckt Eure Lumpen über die strahlenden Meßgewänder, übertönt mit Eurem krächzenden Spittelgesang die Chöre der Orgeln und Posaunen, brecht die Spitzen der Strebepfeiler ab, schlagt mit Euren Fäusten in die bunten Scheiben, mit Euren Hämmern in die Blumen und Rosetten der Gewölbe, rennt mit Euren dicken Köpfen gegen die Mauer, die Kirche wird um so herrlicher sich erheben, Eurer Ohnmacht lachend. Und ich, – heiligste Mutter Gottes, hier gelobe ich vor Deinem Bilde, ich will als Ritter, als Feldherr, stehen und streiten für das Haus Deines Sohnes, nicht bis es zusammenbricht – es kann nimmer stürzen – aber bis ich zusammenbreche und stürze, und Du mich rufst zu meinen Ahnen. Vor denen will ichs verantworten.«

Der Fürst war bei diesen Worten vor das Bild der Jungfrau Maria getreten, nicht wie ein Betender, wie ein Feldhauptmann, der seinem Kaiser Treue gelobt vor der Schlacht. So hielt er in der Hand den schwer mit Stahl beschlagenen, mit Elfenbein ausgelegten Kommandostab.

Aber in seiner anderen Hand fühlte er jetzt einen sanften Druck. Es war seine kleine Tochter Elisabeth, die sich zu ihrem Morgenbesuch ins Zimmer geschlichen und den Vater zu ihrer großen Freude überrascht hatte. Joachim, der nicht immer die Ueberraschungen liebte, schien diesmal erfreut. Er hob die Kleine an seine Brust und ließ sie auf seinen Knieen ihr Köpfchen stützen. Sie fragte ihn, was er mit dem Bilde der Mutter Gottes geredet.

»Ich habe ihr Liebe und Treue gelobt. Was schüttelst Du Dein Köpfchen?«

»Mutter sagt, wenn die Männer Treue gelobten, das wären nur schöne Worte, aber nachher achteten sie nicht darauf.«

»Hat die Mutter das zu Dir gesagt?«

»Nein, zu mir hat sie gesagt, man müßte vor gar keinem Bilde schwören. Aber das andere hab ich ihr abgemerkt,«

»Kinder müssen Eltern nie belauschen,«

Die Kleine machte ein pfiffig Gesicht: »Wie sollen wir denn sonst was merken?«

»Du hast Dir wohl viel gemerkt, Lisbeth?«

»O ja, damals, als wir auf dem Tempelhofschen Berg waren und nachher.«

»Da hat die Jungfrau Maria uns wunderbar behütet, mein Kind,« fiel der Kurfürst rasch ein. »Ohne ihre besondere Fürbitte bei Gott stände es mit uns sehr schlimm.«

»Das hat Mutter auch gesagt, wenn Gott da nicht drunter führe, müßte er ja der Gott der Langmut sein.«

»Gott ist ein zorniger Gott und läßt keinen Fehler ungestraft, von Großen wie von Kleinen. Aber die Jungfrau, die er zur Himmelskönigin erhoben, die ist so mild und gut. Sie bittet für uns unermüdlich, und dadurch wird sein gerechter Zorn von uns abgewendet. Darum ist es unsere Pflicht, die Jungfrau Maria von ganzem Herzen zu lieben und nie etwas zu tun, was sie verdrießt.«

»Mutter sagt, die Jungfrau Maria –«

»Die Mutter ist nicht aus unserm Lande, mein Kind. In Dänemark, wo sie geboren ward, sind wilde, rohe Leute, wie Du von Deinem Oheim König Christian gehört hast; die sind aufsässig gegen alles, was gut ist; darum mögen sie auch dort nicht die Jungfrau Maria so lieben, wie sie verdient. Wer es aber in unserm Lande nicht täte, wäre sehr schlecht; denn die Himmelskönigin liebt uns ganz besonders, weil unsere Vorväter sie von je an verehrt haben, und ihr schöne Kapellen gebaut, aller Orten, und Klöster, und ihr Kerzen angezündet. Das wirst Du auch tun, wenn Du größer bist. Da werden wir zusammen fahren nach allen Wallfahrtsorten, und Du wirst Dich freuen, wie das glänzt von Gold und Blumen und Lichtern. Du wirst ihr auch an jedem Orte eine geweihte Kerze opfern, und der Maria von Zehdenik sollst Du sogar ein neues schönes Kleid schenken.«

»Werden denn nicht die andern Marien neidisch werden? Ach laß mich allen ein neues Kleid schenken.«

»Wir wollen sehen, mein Kind.«

»Und mir schenkst Du auch eins!«

Joachim lächelte: »Ich habe Dir noch eine besondere Freude zugedacht. Beim nächsten Fronleichnamsfeste will ich meiner Lisbeth erlauben, mit unter den weißen Mädchen im Zuge zu gehen. In alten Zeiten war das zwar nicht, daß die Prinzessinnen mitgingen und Lichter trugen, doch, um meiner Lisbeth eine Freude zu machen, wollen wir einmal von dem Brauch abweichen.«

Die kleine Prinzessin hatte die Augen groß aufgeschlagen, aber es kam ein betrübter Blick heraus: »Ach das kann nicht sein, Vater. Die Mutter erlaubt es nicht.«

»Wenn wir es der Mutter recht vorstellen, wird sie es erlauben. Meine Lisbeth soll schön aussehen, in weißem Kleide mit Fransen besetzt, und ihre leichten Ringellocken werden um den Nacken spielen, und einen Kranz von Blumen auf dem Scheitel, und Blumen um die brennende Kerze gewunden, die sie in ihren kleinen Händen tragen wird. Nicht wahr, da werden die Bürgertöchter auf das fürstliche Fräulein mit Verwunderung schauen, und was werden die Leute an den Fenstern und auf der Straße dazu sagen!«

Die Schilderung hatte auf das Fürstenkind sichtlich Eindruck gemacht. Die Freude aber kämpfte mit Schmerz oder Furcht.

»Die Mutter sagt, das wäre ein abgöttisch-heidnisch Fest.«

»Sagt sie das!«

»Die Eltern, die ihre Kinder dazu hergäben, täten so schlimm, als wenn sie dem Gott Baal opferten.«

»Wirklich! Und was sagte sie weiter?«

»Aber Du mußt mich nicht verraten, Vater; ich habe es mir nur so gemerkt. Es wäre nicht anders, hat sie gesagt, seine unschuldigen Kinder hinter den greulichen hölzernen Puppen hergehen zu lassen, so die Heiligen vorstellen sollten, als wenn man die lieben Kindlein zwingen wollte, vor dem greulichen heidnischen Abgott Triglaf zu knieen, der da im Zimmer stand. Ich habe mich immer vor ihm gefürchtet, bis er einmal umfiel, und da sah ich, es war nur eine Holzpuppe.«

»Den Triglaf hat der Oheim von Dänemark bei seiner Abreise mitgenommen. Ich schenkte ihn dem Könige. Nun brauchst Du Dich nicht mehr zu fürchten.«

»Will der Oheim Christian ihn auch wieder anbeten?«

»Lisbeth, was hast Du gehört?«

»Ja, wer einmal absprang, dem ist nicht recht mehr zu trauen. Der arme Oheim Christian ist selbst an seinem Unglück schuld. Warum mußte er wieder umkehren aus Menschenfurcht zu der alten Abgötterei! Das konnte dem himmlischen Vater nicht gefallen. Darum geht es ihm so schlimm. Wär er auf dem guten Wege geblieben, dann ginge es ihm auch noch gut.«

»Er sprang vom alten guten Glauben ab, mein Kind, er wollte nicht mehr die Heiligen anbeten, er spottete über die Jungfrau Maria, ja er verfolgte die frommen Diener der Kirche; darum wandte Gott seine Hand von ihm ab. Nun wollen wir hoffen, daß seine Reue Gott versöhnen wird.«

»Also den Götzen Triglaf wird er nicht wieder anbeten? Da hatte ich rechte Furcht vor, die Mutter hatte es ihm recht zu Gemüte geführt, daß er es nicht tun sollte. Der Triglaf ist doch gar zu häßlich mit dem Buckel und den drei Köpfen.«

»Das heidnische Götzenbild wird er nur, wie Dein Vater getan, als eine Rarität in seine Stube stellen, und zur Mahnung, daß er an der Frömmigkeit festhalte. Vor solchen greulichen Bildern knieten in Angst und Beben die alten Heiden, und Gott erbarmte sich darauf des Menschengeschlechts, daß er ihm, zur Erlösung von den Unholden, seinen eingebornen Sohn sandte. Nun brauchen wir nicht mehr zu erschrecken: vor dem milden Angesicht des Herrn Jesus, und vor dem schönen Gesicht seiner himmlischen Mutter wird uns wieder von Herzen wohl. Aber wenn wir von ihnen uns abwenden, fallen wir wieder den alten, bösen Götzen anheim, die uns erschrecken, wie Dich der Triglaf. Wenn nun Dein Oheim Christian nach Dänemark zurückkehrt, was wir ihm alle wünschen, und die bösen Leute, die ihn fortgejagt, überwindet und straft, wird er der Jungfrau Maria auch wieder alle Ehre erweisen; die Kapellen der Heiligen, die sie zerstört haben, herstellen, Und an» Fronleichnamstage wird er eine Prozession anstellen; da wünschte ich, daß Du und wir alle dabei wären, wie prächtig sie sei wird.«

Die Kleine schien aus ihren Fingern an den Lippen Gedanken zu saugen: »Vater! brauchts denn die Mutter zu wissen; kann ich nicht so mitgehen bei der schönen Prozession? Daß sies nicht sieht.« –

»Du wolltest ohne Wissen Deiner Mutter!«

»Der liebe Gott weiß es ja doch.«

Joachim strich dem Kinde das Haar von der Stirn, als wolle er in ihren Zügen lesen, wie weit das Gift der Verführung eingedrungen; und plötzlich verfinsterten sich seine Züge; es war aber nicht Zorn gegen die Tochter.

»Du hast recht, Lisbeth, man braucht nicht alles den Menschen zu sagen, weil der liebe Gott schon alles weiß; und was wir miteinander reden, braucht Deine Mutter nicht zu wissen. Sie ist eine gute Frau, aber sie ist kränklich und es könnte ihr schaden.«

Ein schlauer Aufblick der Tochter schien anzusagen, daß sie ihn verstehe.

Er sagte, daß die Kurfürstin jetzt so oft rote Augen habe, das komme vom vielen und späten Lesen. Davon schlafe der Mensch des Nachts unruhig, stehe auf und spreche im Traum wunderliche Dinge. Zu alledem nickte die kleine Elisabeth bedeutungsvoll ihr Köpfchen. Er fuhr fort, daß die gute Mutter davon krank werden, vielleicht gar sterben könne, so man nichts dazu tue. Es sei darum gut, wenn man wisse, was sie abends vornehme, lese und im Traum rede, damit man ihr Mittel verschreiben könne. – Lisbeth verzog mit saurem Lächeln den Mund; sie dachte an die bittern Arzneien, die man ihr gereicht, und schien nicht geneigt, der Mutter dasselbe Schicksal bereiten zu wollen.

»Schelm, die Arzneien sind nicht immer bitter, und wenn Dein Vater beizeiten weiß, was Deiner Mutter fehlt, kann er ihr auch wohl durch süße Tränke helfen.«

Das schien dem Kinde einzuleuchten. Da fragte der Kurfürst noch mancherlei; nach den Büchern, aus welchen die Mutter vorlese; was sie den Kindern dabei erkläre; wer alles zuhöre; ob nicht noch Fremde dabei zugegen wären, und ob die Mutter nicht etwa davon gesprochen, daß sie den und jenen erwartete. Auf einiges nickte, auf anderes schüttelte Lisbeth den Kopf. Entweder wuchs dem klugen Kinde der Mut, als es fühlte, welche Bedeutung sie durch dieses Gespräch gewann, oder es langweilte sie, denn jetzt erklärte sie, das dürfe sie nicht sagen, und als Joachim fragte: ob sie nie vom Doktor Luther reden gehört, schien ihr kindischer Mutwille erwacht.

»Ja, Vater, weißt Du was! Wenn Du das machen kannst, daß sie den Doktor Luther beim Fronleichnamsfeste auch unterm Baldachin herumtragen, dann erlaubt Mutter, daß ich bei der Prozession sein kann.«

Des Fürsten Geduld war erschöpft: »Lieber den heidnischen Triglaf,« rief er und schob den Stuhl zurück.

Da klatschte Lisbeth in die Hände: »Der steht draußen, wie er leibt und lebt, das vergaß ich Dir zu sagen.«

»Du bist närrisch. Christian lieh ihn einpacken und nahm ihn mit.« –

»Nein, als ein lebendiger Mensch, Vater, mit solchem Höcker; und so häßlich ist sein Gesicht angeschwollen; ein Auge ist ihm aus, ganz wie dem Triglaf; er ist ein Kapuziner und sagt, er wartet auf Dich, – Nun ruf ich ihn Dir.«

Die Prinzessin war, ohne des Vaters Befehl abzuwarten, hinausgesprungen, vermutlich weil der Vater dem Lieblingskinde solche eigenmächtige Handlungen bisher nachgesehen. Aber als sie den lebendigen Wendengott Triglaf, der hinter der Tür gestanden zu haben schien, hereinzog, kamen zugleich andere über den Gang, vor denen der Triglaf und die Prinzessin-Tochter zurücktreten mußten oder ganz verschwanden. Mit einem »Hinaus! jetzt ist nicht Zeit dazu!« winkte der Kurfürst dem Kinde, sich zu entfernen, und Elisabeth verstand zu wohl, was die rote Ader auf des Vaters Stirn bedeute, um auch nur einen Augenblick länger zu bleiben. Die andern waren der Propst Hilar und der Minister Schlieben, deren hastiger Tritt und Mienen schon eine wichtige Botschaft ansagten.

»Wie stehts in Stendal?« fuhr Joachim ihnen entgegen.

»Schlimmer, als wirs erwartet.«

»Ist Bardeleben zurück?«

»Er schickte nur den Jakob Jentz; er und Lüderitz haben noch vollauf zu tun und warten nur auf Euer Durchlaucht Befehl!« sagte der Minister.

»Schnell, kurz, alles!«

»Der Mönch Lorenz Kuchenbäcker –« hub der Minister an, aber der Fürst unterbrach ihn.

»Ein Augustinermönch, vom Schlage der Wittenberger, hatte von der Kanzel herab die Handwerksburschen aufgemuntert, die lutherischen Gesänge, die sie auf der Wanderung erlernt, dreist auch in der heiligen Kirche anzustimmen. Sie tatens; da hats der Magistrat verboten und den Kuchenbäcker von der Kanzel gewiesen, wie recht war. Sie sangen in den Straßen, und es gab Tumult. Das ist der ewige Geist der Unruhe im Menschengeschlecht, der heulende Wolf der Angst nach der Erlösung. Das ändert niemand. Man straft einige, die andern läßt man laufen. Das ist das Uebelste nicht.«

»Doch ward es schon damals sehr übel, sonst hätte der erlauchte Kurprinz nicht den Landeshauptmann Busso von Bardeleben und den Rat Gero von Lüderitz nach Stendal geschickt. Die ganze Tuchmacher- Innung und die Schuhmacher auch zogen mit Sang und Spiel durch die Straßen –«

»Und forderten vom Rat, daß die neue Lehre eingeführt werde. Das weiß ich. Was verstehen die Tuchmacher und die Schuster von der neuen Lehre! Sie wollen Neues, weiter nichts, Abwechslung. Sie sind reich, es geht ihnen zu wohl.«

»Darauf gelang es beiden gedachten Kommissarien,« fuhr der Minister fort, »die Gemüter durch vernünftige Vorstellungen zu beschwichtigen, ihnen vorstellend, wie es in Höchstdero Intention, selbst liege, eine Besserung mancher kirchlichen Uebelstände einzuführen, wenn sie nur mit Vertrauen und in Geduld ausharren wollten.«

»Sie mögen dumm Zeug genug geschwatzt haben.«

»Hernach begaben sie sich mit den fürnehmsten vom Rate und der Geistlichkeit zur Mittagstafel auf die Dechanei.«

»Wenn nur mit einem Festessen geschlossen. Mit Schlüsselklirren und Gläserklang glauben sie den hungernden Wolf zu sättigen.«

»Kurfürstliche Gnaden scheinen mit dem Verfahren der Kommissarien nicht einverstanden. Der von Bardeleben und von Lüderitz, auch der ihnen beigegebene Jakob von Jentz sind ehrenwerte Männer. Desgleichen haben sie nach bester Einsicht in sotanem Falle gehandelt.«

»Das will ich glauben. Ihr handelt alle nur nach Eurer Einsicht,« setzte Joachim zwischen den Zähnen hinzu.

»Während sie tafelten, in Meinung, die Sache wäre abgemacht, erhitzten sich die Köpfe –«

»Bei Tisch? Das pflegt so zu gehen in der Mark.«

»Nein, in der Stadt Durchlauchtigster Herr, die Sache ist ernst, es kam zur Rebellion. Nicht die Tuchmacher und Schuhmacher allein, auch von den angesehensten Bürgern waren darunter. Die Steine hagelten gegen die Fenster der Dechanei; vor den ansgestoßenen, furchtbaren Drohungen mußten die Herren sich aufs Rathaus flüchten. Kaum konnten sie die Türen verrammeln, als das Volk mit Piken, Aexten, sogar mit Feuergewehr das Haus umzingelte. Sie schrieen, man habe sie betrogen, der Kurfürst sei übel beraten; sie ließen den Doktor Luther leben. Sie legten Leitern an die Fenster, sprengten mit einem Balken die Tür –«

»Meine Brandenburger!«

»Wenn der Brandenburger sich in seinem Glauben gekränkt hält, hört seine geduldige Natur auf. In Kürze, das Rathaus ward von den Stendalern erstürmt und die hartbedrängten Herren mußten sechs Punkte unterschreiben, darin denen von Stendal freie Religionsübung verstattet wird.«

»Und die Ratsherren!« – fuhr Joachim auf.

»Mußten es sich wohl gefallen lassen. Die Fäuste der Zünfte lagen schwer auf ihren Schultern,«

»Diese Herren dort haben vielleicht auch nicht ganz ungern mit unterschrieben,« meinte der Propst.

Ein peinliches Schweigen trat darauf ein, »Weiter!« sagte Joachim.

»Uns fehlen noch die Nachrichten, da Jakob Jentz, der aufsässigen Bauernschaften in der Umgegend halb, einen Umweg zu machen genötigt war. Doch weiß er, daß der junge Kurprinz, sobald er davon Kunde erhalten, als Statthalter der Altmark mit tausend Reitern nach Stendal aufbrach. Wenn er der Meuterer Herr wird, was zu erwarten steht, da sie solchen Angriffs nicht gewärtig, so ist der gerade Weg frei und wir mögen jeden Augenblick Nachricht erhalten.«

Joachim war, die Hände auf dem Rücken, durchs Zimmer auf- und abgegangen; aber die Runzeln auf seiner Stirn lösten sich:

»Ein Aufstand wie ein anderer. Das übervolle Blut gärt wie der Wein im Fasse. Lorenz Kuchenbäcker heißt der Mönch?«

»Der Anlaß zu der ersten Aufregung gab. Man spricht aber noch von einem andern; von einem verwilderten Mönche, der von auswärts an jenem Tage in die Stadt gekommen und die Kanzel bestiegen, wo er entsetzliche Dinge gepredigt, entsetzlich wie sein totenblaß Angesicht und sein verwilderter Bart. Der habe das Volk gescholten, daß, wo es nach Wein dürste, es mit dem Spülicht in den Fässern zufrieden sei; wo es den Götzendienst vernichten wolle, sich neue Abgötter mache; Luther sei höchstens, wie der Täufer Johannes, der dem Heiland voranginge; und wenn sie Heil für ihre Seelen wollten, einen wahren Bund mit Gott, müßten sie nichts von seinen falschen Abbildern dulden. Ja, er forderte sie auf, alle Bilder in den Kirchen zu zerreißen und zu zertrümmern.«

»Dringt auch diese Torheit schon nach Brandenburg?«

»Der bessere Teil der Bürger wollte nichts davon wissen, und mitten im Aufruhr jagten sie ihn aus der Stadt. Dennoch hatte seine Predigt mit dazu beigetragen, die Gemüter zu erhitzen.«

»So viel Ordnung schon im Aufstand!«

Man hatte den Hufschlag eines Reiters im Hof gehört, ein staubbedeckter Bote überbrachte die erwartete Meldung; bereits einen vollständigen Bericht von des Kurprinzen Hand unterzeichnet. Stendal war unterworfen, die Rädelsführer und andere saßen in sicherer Haft. Der Statthalter der Altmark fragte bei seinem Vater an, wie er Gericht über dieselben halten solle? Joachim hatte sich wieder in seinen Stuhl zurückgelehnt, und sein Blick sagte, daß er den Räten erlaube, ihre Meinung abzugeben.

Der Propst schien einen Versuch zu machen, die Gunst seines Fürsten wieder zu erobern. Er sprach mit Mäßigung, gründlich, gelehrt die Frage prüfend. Er wiederholte mit andern Worten die Ansichten, die er so oft aus Joachims Munde gehört, über die Schädlichkeit der deutschen Kirchenlieder, weil sie den erhabenen, tönenden Schwung der alten lateinischen verwässerten, und beim Volk am Ende die Einbildung hervorriefen, als könne jeder Schuster und Schneider Kirchenlieder dichten, wie denn das leider schon geschehen sei. Noch törichter sei das Verlangen, den Gottesdienst in deutscher Sprache zu verrichten. Das heiße die Majestät Gottes gemein machen und das Mysterium der Religion in die Tabernen herabziehen.

»Du irrst, Hilar,« unterbrach ihn Joachim, »wir sind nicht hier zu theologischen Abhandlungen. Was Du von dem Falle denkst, will ich wissen. Wie die Uebertreter zu bestrafen?«

»Man kann nicht streng genug sein. Wenn auch dieser Fall so hinginge, wohin sollte das am Ende führen!«

»Wen willst Du strafen?«

»Vor allem den Mönch Kuchenbäcker, den gottlosen Anstifter, mein Kurfürst.«

»Gegen ihn liegt nach dem Berichte nichts vor, als daß er die Leute zum Singen von Liedern aufforderte, die er für gut hielt. Daß sie schlecht sind, ist nicht seine Schuld. An dem Aufstand hat er keinen Teil; er hat die Stadt schon verlassen.«

»Dann den wilden Bilderstürmer.«

»Den haben die Bürger schon bestraft; sie jagten ihn fort. – Er ist ein Schwärmer, den ich vielleicht kenne.« –

»Mein Fürst, sie alle die Verführten sind ebenso strafbar als die Verführer. Ein solcher offener, schandbarer Abfall von der Kirche kam noch bei uns nicht vor. Sie schlugen ja mit der Faust dem Allerheiligsten ins Gesicht. Dies eine Ketzergericht, auf handhafter Tat, wird die übrigen schrecken.«

»Ich bin kein Ketzerrichter,« fuhr Joachim auf, »Was an mir, soll die Ketzerei in meinem Lande ihr Haupt nicht erheben; aber als einen Büttel sollen meine Untertanen mich nicht verfluchen, wie meinen Vetter Georg von Meißen. – Was ist Deine Meinung? Hier ist nichts von der Theologie.«

Der Minister von Schlieben, an den die Rede gerichtet war, hatte keine theologischen Meinungen; man behauptete, er habe überhaupt keine Meinungen, als daß alles in guter Ordnung bliebe und seines Herrn Wille geachtet werde. Aber er war an milder Mann, der gern schlichtete und vertrug; er gedachte mit innerm Schauder des Blutes, welches nach Joachims Regierungsantritt auf den Gerichtsplätzen geflossen war; er segnete die friedliche Zeit, die darauf gefolgt war, und sah mit Zittern der Zukunft entgegen, wo die Religionsstreitigkeiten wieder grausame Verfolgungen, wo nicht einen Bürgerkrieg in Aussicht stellten.

Die Art wie Joachim den Propst abgewiesen, gab ihm Mut, seine milde Ansicht auszusprechen, obwohl die Erfahrung ihn gelehrt, daß man dem Kursürsten nie die Meinung verraten, ober gar aufdrängen müsse, welche man durchzusetzen wünschte. Er sprach mit Wärme für die armen Verleiteten, und mehr als er sollte, denn auch er verfiel in das theologische Gebiet, in dem er nicht zu Hause war; er suchte zu beweisen, daß, was die Bürger von Stendal getan, nicht Ketzerei sei nach den gesetzlichen Verordnungen. Er hatte es ganz verfehlt. Joachim schlug mit der Faust auf den Tisch und sprang auf:

»Sind meine Räte verwirrt! – Beschied ich sie zu einem Konzilium, ober einem Reichsgericht! – Ich bin kein Ketzermeister, aber dieses Landes höchster Richter. Was die Toren dort in Stendal singen und glauben, davon ist hier nicht die Rede, sondern vom hellen lichterlohen Aufruhr! – Kannst Du Empörung verteidigen. Schlieben? Wehe dem, der an meinem Rechte zweifelt und an meinen Willen nicht glaubt. Nicht die Tuchmacherherren und Schustergesellen haben in Stendal zu bestimmen, was gelten soll, sondern ich. Ihre Pakta sind null und nichtig, Verbrechen gegen meine Majestät; meine Räte straffällig, die sich einschüchtern ließen, ihr Mandat und ihre Pflicht zu vergessen, und der Rat der Stadt überaus strafbar, daß er nicht besser Ordnung hielt. Sind das Obrigkeiten! Aber wehe dem, der auf Dank seine Rechnung gemacht. Ich werde ihnen zeigen, wie man Undank lohnt. Schreibe es nieder an meinm Sohn: die sechs Rädelsführer büßen es mit dem Leben, sie werden enthauptet; wer mit geplündert in den Häusern der Geistlichen und mit ins Rathaus drang, wird gestäupt. Die Stadt zahlt zehntausend Gulden Buße, ersetzt außerdem allen angerichteten Schaden und verliert ihre Zollfreiheit.«

»Die Stadt ihre –«

»Zollsreiheit! Weil sie nicht besser acht hatte, daß nicht verbotene Ware durch ihre Tore kam.«

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