Willibald Alexis
Der Werwolf
5. Kapitel: Der Reichstag von Augsburg von der andern Seite
eingestellt: 8.8.2007
Zur selben Zeit, wo die Kurfürstin mit ihrem Hofprediger die Unterredung pflog, unterhielt oder beschwichtigte, wie man will, ein Hofmarschall einige der edlen Herren in den Vorsälen des Kurfürsten. Es waren die Vertrauteren des Hofes. Wenn einer dem andern nachrühmte, daß er es sei, von sich selbst konnte ers nicht sagen; der Kurfürst hatte keinen Vertrauten unter ihnen allen. Es war die Macht der Gewohnheit, welche sie täglich zusammenführte; das Alltägliche
gleitete über sie hin, wie der Schaum über die Welle, wie der Wind über die Aehrenfelder.
Darunter mochte manches schlummern. »Was soll daraus werden?« stand auf der Stirn von vielen, laut sagte es keiner. Wo ein Wort laut ward, wo das von innen heraus wollte, trat der Beschwichtiger hinzu. Es ist eine eigene Kunst des Menschengeschlechts, und an den Höfen ist die hohe Schule dafür – sie wird aber auch noch sonst wo gelehrt – die schreienden Kinder einzulullen und die
Tobenden zu besänftigen. Der Zauberer fährt im Feuer herum mit seinem gefeiten Finger; die Flamme schlängelt dann lautlos um den Finger und prasselt nicht, aber der Brand brennt fort und zehrt, und den Zauberer kümmert es nicht, daß, wenn er den Finger fortzieht, die Flammen schon bis zum Dache prasseln. »Nur jetzt nicht, meine verehrten Herren!« – »Das ist nicht der rechte Augenblick dazu.« – »Wir sind ja wohl alle bei uns darüber einverstanden,« wird unter Händedrücken
versichert, »aber die Zeit ist nicht dafür angetan.« – »Wenn wir jetzt davon anfangen, reizen wir ihn, er ist in übler Laune, und wer verdenkt es ihm!« – »Er hat das alles selbst erwogen, und wird zur rechten Zeit selbst anfangen,«– »Er sieht die Uebelstände, glaubt mir, wie wir, er will das Beste, er sieht vielleicht weiter als wir alle, aber das vorlaute Schreien beleidigt ihn; statt zu fördern, hält es zurück.« – »Geduld, Vertrauen! O meine Herren, Vertrauen ist eine
herrliche Tugend. Damit erreichen wir alles.«
Wenn der Hofmarschall mit diesen Worten unter den Gruppen umherging, und die Hände drückte und auf die Schultern klopfte, mußte es schon schlimm stehen. Gemeiniglich übte er eine andere Kunst, die schlimmen Reden gar nicht aufkommen zu lassen, indem er wie ein geschickter Chorsänger auf den Anfang einfiel, und die Rede freundlich fortsetzte, nur nicht dahin, wo jener wollte, sondern dahin, wo er es für gut hielt.
Wer hätte nicht
auch hier vom Reichstage zu Augsburg sprechen sollen, dessen Schlüsse Deutschland und das ganze Abendland bewegten; selbst der märkische Sand erzitterte von der Dröhnung, und in den Festen der Schloßgesessenen und den Hütten der Leibeigenen hallten die Reden wider der edlen Fürsten und Herren.
Als der Marschall von Biberstein das Wort nehmen wollen: »Und in Sonderheit geht es Brandenburg an Milz und Leber« – drückte ihm Peter Melchior den Arm: »Ihr sprecht mir aus Leib und
Seele. Hättet Ihrs nur wie ich gesehen, wann Seine Gnaden mit ihren lateinischen Reden in das Gesumme hineinfuhr, und dann alles stille ward schon vor dem Ton. Der Kardinal-Legat sagte mir, er habe nie so wohlklingend das Lateinische sprechen gehört, wie eine volle Glocke.«
»Andere meinen,« fiel ein Rochow ein, »der Klöpfel der Glocke hätte zu stark geschlagen, und mit dem Geläut wär selbst der Bischof von Augsburg nicht zufrieden gewesen. Es war wie eine Sturm- und Brandglocke, die
ein ewiges Wehe und Wehe rief! – Damit kuriert man nicht die Schäden der Zeit, hätte der Bischof gesagt.«
»Richtig, teuerster Herr von Rochow,« fiel der Marschall ein. »Wenn Ihr Euch aber schon über seine Reden wundert, was werdet Ihr sagen, wenn Ihr mit angesehen, was ich sah. Da hielt es schwer; daß das brandenburgische Herz nicht lauter schlug als die Glocken von Augsburg. Ihr wißt so gut wie ich, daß der Herzog Wilhelm von Bayern es schwer verträgt, daß seinem Haus die
Kurwürde entging. Nun hatte er schon bei aller Gelegenheit sich vorgedrängt, als wollte er zeigen, daß er sich so viel dünke, als die Kurfürsten, was dieselben, ich muß es ihnen allen zur Ehre nachsagen, sehr verdroß. Aber es hatte keiner den Mut gehabt, daß er für seine und seines Landes Reputation etwas tat; denn Herzog Wilhelm ist stark und hochmütig, und einige meinen, beim Kaiser gut angeschrieben. Wie er sich nun auch in Augsburg allezeit auf die Kurfürstenbank setzte, als gehörte er
dahin, und gar nicht bescheiden an der Ecke, so halbwegs, daß man es hätte deuten mögen, als hoffe er wohl einst auch da einen Platz zu erhalten, nein mit seinem dicken Leibe pflanzte er sich voll und inmitten der Bank, seine breiten Füße von sich, den Fürsten unter sich, unter die er doch gehörte, beinahe auf der Schulter, – da konnte es unser Herr länger nicht mit ansehen. »Christus, mein Heiland!« rief er eines Abends unter uns, »wozu hat denn Gott die Stände gemacht, als daß jeder in
seinem bleiben soll, und sich hinsetzen, wo sein Stand ist! Wenn jeder sich setzen wollte auf die Bank, wo ihm lieb ist, wüßte man ja nicht mehr, wer Küch- und Kellermeister ist. Das heilige Römische Reich hieße das umwälzen, und wenn die sich immer zusammensetzen dürften, und sich ins Ohr sprechen, die eines Sinnes sind, da würden ja die lutherischen Neuerer sich was bedünken und bald das Oberwasser haben. Das sollen sie aber nicht, und jeder soll auf seinem Platze bleiben, so lang ich Kurfürst
bin im deutschen Reich.« Und dasselbe hat folgenden Tages Seine Gnaden auch dem Kaiser gesagt und vorgestellt.«
»Und Kaiser Karl?« fragte man.
»Ist ein Spanier,« entgegnete Peter Melchior achselzuckend und mit einem feinen Lächeln. »Seine Majestät verstehen Deutsch nur, wenn es ihnen bequem ist; wenn nicht, dann stellt sich der Kaiser so schwerfällig wie der Bayern-Herzog. Genug, der Kaiser fand keinen Grund, wie er gesagt, zum Einschreiten in sotaner Sache; er redete
unserm Herrn ab, mit den süßen welschen Worten, er möge es auf sich beruhen lassen, jeden vor seiner Tür fegen lassen, die Sache als Bagatelle ansehen, um die kein Aufhebens lohne; im übrigen aber, wenn er darauf bestehen sollte, wozu er nicht rate, in Anbetracht der wichtigen Dinge, möge er es schriftlich eingeben lassen, wo es dann ad referendum genommen werden solle. Meine Herren, das war brandenburgischer Zorn, in dem Seine Gnaden sich schüttelten, als Sie zu uns zurückkehrten:
»Ich werds nicht ad referendum geben,« rief Joachim, »ich werds selbst referieren, in meiner Art, ad oculos für männiglich, daß die Ausländischen erfahren, wie man in Deutschland auf Zucht und Sitte hält, auf Stand und Würden.« Da hielten es einige von unsern Junkern für recht, daß sie auch zeigten, daß sie nicht umsonst mit ihrem Landesherrn nach Augsburg geritten. Die Voß und Manteuffel verschworen sich im Ratskeller beim Weine, daß wenn der Bayern-Herzog sich noch
einmal auf die Kurfürstenbank setzte, wollten sie vorspringen, ihn am Kragen fassen und runterschmeißen vor aller Augen, und sollt es ihnen selbst drum an Hals und Kragen gehen. »So müssen märkische Edelleute für ihres Kurfürsten Ehre einstehen!« rief Wieprecht von Thadden, und schlug sich auf die Brust.
»Und?« riefen die Zuhörer mit gespannter Aufmerksamkeit.
»Joachim ließ es ihnen untersagen; bei Leibesstrafe sollte sich kein Edelmann unterfangen, einen deutschen Fürsten
mit seiner Hand anzurühren; er würde schon selbst für seine Ehre sorgen. Und er hats getan, meine Herren.«
»Morgens, eine Stunde vor der Sitzung,« fuhr der Marschall nach einer Pause fort, »gingen Seine Durchlaucht mit ihren zween Hoffourieren in den Ratssaal. Was die Hoffouriere unterm Arm trugen, sah keiner, noch hatte einer dessen Ahnung. Da ließen sie die Türen schließen oder von ihren Kavalieren bewachen; derweilen aber zogen die Fouriere ihre Handsägen unterm Mantel vor und
sägten ganz leise auf der Kurfürstenbank gerade das Stück los, darauf der Herzog Wilhelm allzeit Platz nahm, doch, versteht, so, daß das Brett noch ein klein weniges zu beiden Seiten fest saß. Und dann ward die Decke darauf gelegt, von rotem Tuch und Gold gestickt, Augsburger feine Arbeit, und kein Mensch merkte es. Die Sägespäne wischten die Kavaliere selbst mit einem nassen Tüchlein weg. Nun traf sichs wie durch Zufall, daß die beiden Herren und Kurfürsten, die in den andern Dingen so heftig
einander gegenüber standen, unser Herr und sein Schwager Johann von Sachsen, zuerst im Saale waren. Der Herzog Wilhelm aber hatte sich allzeit zwischen sie gesetzt, indem er scherzweis sagte, er müsse die beiden Kampfhähne trennen, daß sie sich nicht in den Haaren lägen, worauf einmal der Herzog von Lauenburg gefragt, ob er denn das Mittel sein wolle zwischen Luther und Rom? Es ward manche Kurzweil dort getrieben, die sie aber nicht mit aufgeschrieben haben in den Protokollen. Die beiden
Kurfürsten also waren zuerst im Saal, und ich wills nicht verschwören, daß der Sachse auch um den Streich wußte. Und beide unterhielten sich, als die anderen Fürsten und Herren schon Platz genommen, als wärs über Gleichgültiges, und setzten sich dann, als gerad der Bayern-Herzog eintrat. Da sprach Johann von Sachsen: »Lieber Schwager von Brandenburg, gefällts Euer Liebden nicht, mir näher zu rücken?« Worauf unser Herr: »Ei nein, das leidet der Herzog Wilhelm nicht. Ists ja der Platz, den unser
Vetter von Bayern sich ausgesucht.« Und da trat derselbige, der immer später kam und Geräusch machte, als müßt es so sein, daß alle auf ihn warteten und ihn ansähen und die Bretter dröhnten, wenn er drüber ging, also trat er auch jetzt auf die Kurfürstenbank. Aber kaum, daß er sich niedergelassen, als die Bank brach, und wie er ist, schwerfälligen Leibes, halb saß, halb lag der Bayern-Herzog auf der Fürstenbank unten, dahin er gehörte, und hatte sich über Gebühr erheben wollen. Wem soll ichs
sagen, was das Gelächters gab; es prustete nur so, da die meisten merkten, was es sei, und Johann von Sachsen mußte sich abwenden, daß er sein Lachen verberge. Nur unser durchlauchtigster Herr sagte ganz ernsten Gesichts: »Ist Euer Liebden etwas eingefallen? Wer hätte das gedacht!« Und der Bayer hatte gar nicht Zeit, sich aufzurappeln, wenn ers auch vermocht, denn itzt hub der Kanzler die Sitzung an, und hat der Herzog Wilhelm »mit großer Scham müssen sitzen bleiben,« dahin er gefallen und dahin
er gehörte, zu Füßen der Kurfürsten unter den Fürsten durch die ganze Sitzung, Unser gnädigster Herr hat aber große Ehre davon getragen. Alle Welt sagte: »Der Brandenburger hält auf ständische Ehre und läßt sich nicht beschelten, was es ihm auch koste.« – Meine Herren, das war für uns ein Ehrentag in Augsburg. Wenn wir durch die Gassen gingen, wichen sie uns von den großen Steinen, und die Bürger wiesen uns ihren Kindern: »Merk Dirs, das ist ein Märker, die halten auf Ehre.«
Der Kurfürst ging derweil im Nebenzimmer umher und er hatte einen neuen Bericht angehört von dem Unfug der Haufen, welche sich allerwärts in Deutschland zeigten und in die Kirchen einbrachen, um die Bilder zu zerstören; aber er hatte nichts darauf erwidert.
»Glücklicherweise sind sie fast überall bei uns übel empfangen worden,« sagte der Kanzler; und der Kurfürst schwieg noch immer.
»Er ist zerstreut.«
»Als flüsterten unsichtbare Chöre unverständliche Weisen
ihm ins Ohr, denen er lauscht,«
Man konnte viel in Joachims Gegenwart flüstern; er lächelte wohl einen an und sah ihn doch nicht. Er sprach mit sich, zuweilen laut, als wäre er im vollen Saale allein.
»Die armen Bilder!« hörte mans von seinen Lippen tönen. »Was haben die ihnen denn getan! Sie sind ja stumm, sie schütteln nicht den Kopf zu ihrer Torheit. Auch Wunder zu tun verschmähen sie, wo niemand mehr will an Wunder glauben.«
»Wann ist Beelitz abgebrannt?«
fuhr er plötzlich auf.
»Dienstag nach Johannis, gnädigster Herr, Es stimmte vieles zusammen. Dreimal sieben Tage vorher erschien zuerst am Himmel der erschreckliche Komet, dessen Schweif einem blutigen Arme glich, der ein blutiges Schwert in der Hand trug, und die kleinen Sterne um den Stern sahen wie Spieße aus, die ringsum starrten. Sieben Tage vorher aber war der furchtbare Wind aus Osten, der bei Soldin tausend Bunde Korn dermaßen in die Luft wehte, daß man noch heute nicht
weiß, wo sie hinkamen. Einige meinen, nach Schweden.« – »Es stimmt gar viel zusammen –«
»Die von Beelitz sind um Unterstützung und Vorschuß eingekommen.«
»Unsere Kassen sind erschöpft. Der Zug nach dem Reichstag, das teure Leben in Augsburg, item zehrt der Türkenkrieg.«
»So soll ihre Petitio – ?«
»Dem Landtag vorgelegt werden.«
Der Kanzler mochte ihn etwas verwundert anblicken.
»Etwa dem Reichstag?« rief Joachim.
»Was hilft Dir der? Der beschließts und der Kaiser gebietets: die Ketzerei soll ausgerottet werden, und die Fürsten nähren sie in ihrem Busen. Da wundert Ihr Euch, daß Kometen am Himmel erscheinen; das sind die Symbole der Disharmonie Eurer verwirrten Gemüter.«
»Gnädigster Herr, Dero getreue Stände –«
»Gelobten mir Anno 27 auf dem Landtag in Berlin ernsten Gehorsam gegen die Ketzerei, und daß sie mit Nachdruck die ehrliche und löbliche alte Ordnung und Ceremonien der
heiligen christlichen Kirche handhaben und aufrecht halten wollen.«
»Sie haben –«
»Es getan, bis ihnen etwas anderes einfiel. Soll ich Haussuchung halten lassen, in jedem Hause, in jedem Schloß? Das nennt Ihr Festigkeit, das Gesinnung, das Treue! Und die Natur soll sich selbst treu bleiben?«
»Den Beelitzern soll ich antworten –«
»Daß sie sich selbst helfen! – Aus der Kasse, aus der sie den drei Wittenberger Prädikanten das Reisegeld
schickten.«
»Und was Herrn Georg von Blumenthal und dem Bischof von Lebus?«
»Daß er Vernunft annehmen soll. Mit Keulen schlägt man nicht drein, wenn man Mücken fangen will. Kann ich die Leute zwingen, wenn sie nicht mehr zum Bild nach Görlitz wallfahrten wollen?«
»Auch ist es das nicht, um was er sich diesmal beschwert.«
»Um was beschwert er sich nicht!«
»Diesmal fürchtet Herr Georg.«
»Wen? – Auch seine Fürstenwalder, wie
vordem seine Frankfurter?«
»Die Fürstenwalder wissen zu schätzen, was eine bischöfliche Hofhaltung wert ist«
»Also was will er! Der Vorteil ist das festeste Band, das die Menschen an uns knüpft.«
»Er sorgt wegen der großen Rüstungen der Minckwitze. Es reiten auch viele brandenburgische Herren zu ihnen nach Sonnenwalde hinüber; von den Mißvergnügten, die allzeit mit den Stiftern und Prälaten anbinden möchten. Man sorgt um einen großen Anschlag. Was zu der Väter
Zeiten nicht mehr gewesen, als eine Rauferei, eine gewöhnliche Fehde, das nimmt itzo eine andere Farbe an, wo die Religion im Spiele ist.«
»Ich muß dies bestätigen, gnädigster Herr,« sprach der alte Schlieben; »mein Sohn Eustachius, den Euer Gnaden zum Landrat und Hauptmann in Zossen bestellt, schreibt mir, wie man der Orts von nichts spricht als von den Minckwitzen, und was sie vorhätten.«
»Spricht man in Deutschland noch von anderem als von Luther!« rief der Fürst, Es war
ein Ton, ein Blick, der dem Kanzler sagte, daß Joachim kein Ohr mehr für seine Vorträge habe; er ließ die Papiere in die Mappe zurückfallen.
Joachim sprach mit den unsichtbaren Geisterchören: »Ich meine: wer zu Grabe getragen wird, kann nicht ruhig in sein still Haus mehr gesenkt werden; eine Krähe schreit noch den Namen Luther in den Lüften, ehe die Erde auf den Sarg geschaufelt ist. Was sind dagegen Taten, Verdienste ums Vaterland! Man kann sein ganz Leben in ihm geopfert, Nächte
gewacht haben, alt und grau von Sorgen und Arbeit ums Volk, das Volk hat nur der Doktor Luther. Was ist ihm der große Otto, der hat Germanien beschützt, daß wir keine Hunnensklaven sind! Man kann die Sterne gezählt und eine neue Welt entdeckt haben; was ist Columbus Ruhm, was Aristoteles gegen den Doktor Luther! Sie haben nichts entdeckt, nichts gewußt, nichts gebaut, gegen den Mann des Volkes. Sie haben recht, es braucht keine Kanones mehr, keine Kirche, kein Kirchenrecht, keine Päpste; der
Doktor ist der allein Unfehlbare, Untrügliche, der Mann Gottes, der sich selbst gemacht hat; und daran hat er wohl getan, so hat, der alles zertrümmert, doch etwas gemacht!«
Es war um diese Zeit, daß der Lärm von der breiten Gasse auch in den Saal drang, wo der Kurfürst mit seinen Räten war. Die am Fenster sahen auch schon die Volksmassen um die schwarze Brüderkirche.
»Der Himmel ward müde seiner Wohltaten,« fuhr der Kurfürst fort, indem er nach seiner Gewohnheit auf und ab
ging, ohne es zu würdigen, nur einen Blick nach dem Fenster zu werfen. »Wozu denn Großes, Schönes für dies Volk, das es nicht mag. Ein Tagesgötze, angestrichen, mit greller Farbe, ist ihm lieber. Wozu denn Hirn und Herz anstrengen für sein Wohl? Es versteht die Gedanken nicht, die Wärme wärmt es nicht, es lästert auf seine Wohltäter.«
»Es scheint etwas Ungewöhnliches!« sagte der von Schlieben am Fenster.
»Hier kommt nichts Ungewöhnliches auf. Im breiten, ausgetretenen
Geleise seiner Falschheit und Gemeinheit geht dies Geschlecht seinen Weg. Gott kann neu geboren werden, die Weisen folgen nicht mehr den Morgensternen; sie laufen den flackernden Irrlichtern nach. Wer recht breit und derb eine Alltagswahrheit ihnen ins Ohr schreit, ist ihr Mann, ihr Heiland. Daß der Mönch das Unerhörte gewagt hat, ists auch nicht, was sie entzückt, nicht seine Kühnheit, nicht sein Feuer, es ist die grobe Faust, mit der er das Erhabene und Ehrwürdige niederschlägt. Da jauchzt der
Pöbel, jeder von ihnen hätte es ja auch gekonnt.«
»Ein Bote, er schwenkt den Federhut –«
»Nach dem Schlosse!«
»Er bringt etwas Frohes.«
»Es gibt keine frohe Botschaft mehr.«
Und doch schallte ein Name durch das Stimmengewirr, dessen Klang auf dem Gesicht des Fürsten seine Wirkung nicht verfehlte. »Heil Joachim!« – »Heil unserem Kurprinzen, Heil dem Sieger!« – »Es lebe der Kurfürst!«
Ein erster Fourier schrie die
Nachricht hinein, die wir kennen. Auf den Treppen dröhnte es schon, die Stimmen überschrieen sich: »Hoch der Kurfürst! das durchlauchtigste Kurhaus!« Einzelne Mützen flogen bis an die Fensterscheiben, und die Runzeln auf Joachims Stirn hatten sich gelöst, und eine Träne stand in seinem Auge: »Es ist doch ein gutes Volk!«
»Er lebt, er lebt – ein ungeheurer Sieg – Brandenburgs Stern leuchtet im Orient,« schrie ein zweiter Kavalier.
»Ists auch wahr?« Die dunklen
Schatten traten wieder auf seinem Gesichte vor. Er glaubte ja an nichts Frohes mehr. Da klirrten die Glastüren der Galerie; die Kurfürstin hastete die Stufen herauf, mit freudeglühendem Gesichte, die Arme erhebend.
»Es ist wahr! – Alles wahr, Joachim – über unserem Sohn hat Gott gewaltet!«
»Er hat ihn gekrönt mit unsterblichem Sieg für die Christenheit!« rief der Marschall.
»Brandenburgs Banner hat ihren Erbfeind geschlagen.«
»Es ist Dein
Sohn, es ist mein Sohn, Joachim!«
Da blickten zwei Menschengesichter, die kalt wie Eis seit Jahren sich im Glanz der Kerzen begegnet, zum ersten Male nicht kalt einander an. Der Mutter Antlitz glühte vor Freude; der Aschenanhauch wich von dem des Vaters, sein Auge glänzte, und im nächsten Augenblicke umschlangen sich ihre Arme. Am seinen Donaustrand im Türkenlande hatte der Sohn Vater und Mutter im Schloß zu Kölln an der Spree versöhnt und vereinigt– für einen glücklichen
Augenblick.
Wenn das vorhin Jubel war, das war die Freude, die in aller Augen glänzte, und dann in einem Ausruf, der keine Worte fand, sich Luft machte. Die Tränen rannen von den Augen. »Der Kurfürst und die Kurfürstin sind ausgesöhnt.«
Im nächsten Augenblick hatte Joachim seine Tochter an die Brust gehoben und geherzt, dann die anderen Kinder; er schaute, er ging wie ein glücklicher Vater umher.
»Den Erbfeind der Christenheit hat er besiegt!«
Es war
nun Zeit, daß der Bote selbst, der inzwischen in den Saal getreten, zu Worte kam. Kaum konnte der Ritter von Buch, was er melden wollte, erzählen, so oft ward er unterbrochen von der Kurfürstin und ihrem Herrn, auch den anderen Kindern. Sie waren alle so gütig und gnädig; hätte es sich geschickt, wäre Frau Elisabeth dem Manne auch um den Hals gefallen, der es mit angesehen, wie ihr Aeltester dreimal an der Spitze der Geharnischten in die Feindeshaufen einritt und sie warf, der an seiner Seite
gestritten, den ihr Sohn einmal aus den Feinden herausgehauen, der dann, als er durch Wien ritt, hörte, wie man den jungen Prinzen lobpries, und Ehren über Ehren zu seinem Empfange bereitete.
Der Kurfürstin Augen flossen vor Rührung über, indem sie ihre anderen Kinder umfaßte, der Kurfürst sah stillvergnügt und sinnend vor sich; er war zufrieden, auch da mancher von den Herren, als der Buch geredet, fragend den anderen anschaute, als habe er mehr erwartet, und wundere sich, daß es zu
Ende sei.
Bald darauf dröhnten die Böller an der langen Brücke und Feldschlangen hinter dem Schlosse spielten; dann fingen die Glocken zu läuten an, die Pfeifer und Geiger spielten auf den Galerien der Türme, und die Flaggen wehten von den Masten auf der Spree, von den Kirchtürmen und Erkern.
Als der Zug nach dem Dome in den Gängen sich ordnete, von wo die Orgel schon herübertönte, sprach der von Schlieben zum Hofmarschall:
»Im Grunde genommen waren es denn doch
nur drei Reitertreffen, in denen unser gnädigster Kurprinz sich als ein ritterlicher Held und wert seiner Ahnen auswies, aber der Türke ist darum, so viel ich vernommen, noch nicht von der Donau gedrängt, viel weniger denn dem Türkenreich der Garaus gemacht. Dafür bedünkt es mich fast des Lärmens zu viel und das Tedeum zu früh angestellt.«
Peter Melchior lächelte in seiner schlauen Weise: »Je zweifelhafter ein Sieg ist, habe ich immer gehört, um so lauter muß man ihn ausschreien. Wenn
wir dem Türkenreich den Garaus gemacht, das schrie von sich selbst; da wir es aber nur ein bißchen geritzt haben, können wir nicht genug singen und läuten und schießen, sonst glaubt das Volk, wir hätten uns selbst geritzt.«
»Wie aber kommen die in Wien dazu, so viel Aufhebens von der Sache zu machen. Sie müssen doch besser wissen –«
»Womit man die Vögel fängt, Herr von Schlieben. Die Ehren, so sie einem brandenburgischen Prinzen erweisen, sind nicht Bezahlung für
das, was er tat, sondern ein Vorschuß für das, was er tun soll.«
Joachim schritt langsam vorüber in seinem Kurfürstenmantel nach der Domkirche; sein Gesicht war noch von der Freude bestrahlt, aber ernster. Bevor er den Mantel angelegt, hatte er sich auf sein Betpult niedergeworfen: »Das war Dein Fingerzeig, Herr des Himmels und der Erde, und ich beuge mich in Ehrfurcht und Zerknirschung. Ich hatte gezagt, ich hatte gezweifelt, ich glaubte, die Kraft fehle mir, dem Drängen, das so
mächtig wird, zu widerstehen. Herr, ich wollte nachgeben, um größer Unheil zu vermeiden. Du gabst mir wieder Kraft, Du richtetest durch die unerwartete Siegesbotschaft meinen wankenden Mut wieder auf. Hier gelob ichs, und Deines Sohnes Mutter und alle heiligen Fürbitter seien Zeugen des Schwurs, ich will nicht mehr wanken, ich will nicht mehr nachgeben; und wenn es mich alles kostet, ich will die Kirche Deines Sohnes in meinem Lande und in ihrem Stolze erhalten. Schwach war ich erst jüngst, da
ich nachgab, meine Tochter nicht zum Feste Deines Sohnes zu lassen. Es war Sünde, um des Hausfriedens willen den Frieden Deines Gebotes zu brechen. Ich will nicht wieder schwach sein; ich gelobe es beim allerheiligsten Blute Deines Sohnes, am nächsten Fronleichnamstage soll Elisabeth unter den Jungfrauen des Landes dem Venerabile folgen. – Joachim von Brandenburg hats gelobt,« sprach er aufstehend und schlug die Hand an die Brust.
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.