Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Vierzehntes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Der Erzbischof schenkte selbst den Becher voll aus dem Henkelkruge, nippte daran und gab ihn dem Kämmerer. Da lobten Alle den hohen Prälaten, und daß er mitten in der Freude und Herrlichkeit der Armen und Dürftigen gedenke.

»Wer weiß, der heut im Vollen sitzt,« sprach er, »ob er nicht morgen an den leeren Schüsseln lecken wird! Darum sollen wir immer die Wandelbarkeit unseres Lebens vor Augen haben. Und wie der Herr Tausende niederwirft, so erhebt er auch Einen aus Zehn. Und Der, dem wir heut einen Scherf hinwarfen, wenn der Herr will, ist morgen ein König.«

Dieser Worte des Erzbischofs, die er freilich sprach, als gäbe der Geist sie ihm ein, erinnerten sich nachher Viele.

Der Kämmerer trug den vollen Becher hinaus in den Flur, wo der Pilger stand, allein an eine Säule gelehnt. Und rings umher stand viel Volks und Gesinde. Auch Bettler viele und Neugierige. Unter diesen wird, wenn die Herren gnädig sind und frohen Herzens, von den Schüsseln heruntergetragen, daß es vertheilt werde, und die Armen sich daran laben.

Da trat der Kämmerer an ihn heran und sprach. »Frommer Pilgersmann, dies sendet Dir mein hochwürdiger Herr, der Erzbischof Otto. Der hat selbst daraus getrunken, und nun sollst Du ihn leeren bis auf den letzten Tropfen und dabei des edlen Gebers gedenken.«

Der Pilger nahm den Becher, und wie er gebückt bis da stand, richtete er sich auf. Hoch hielt er ihn und sprach mit einer Stimme, die Alle fast erschreckte, so voll und schön klang sie, daß man sie einem alten Manne nicht zutraute.

»Ich trinke diesen Wein und leere diesen Becher auf das Wohl des Erzbischofs, des Schirmherrn dieser reichen und guten Stadt, daß der Allmächtige bei ihm sei, und bei Allem, was er unternimmt.«

Und er leerte den Becher, so wie hochgeborene Herren trinken, und nicht als ein armer Mann, dem eine Gabe wie die selten kommt. Der nippt zuerst daran, als ungewohnt an so kostbarem Getränk, und dann, wenn es ihm schmeckt, verzieht er den Mund, und schlürft immer stärker, als könnt es ihm Einer fortreißen, und er wills einschlucken. Und ist er fertig, dann wird sein Mund breit, als lüste ihn nach mehr, und er wird lustig und dreist über die Gebühr. Nein, Dieser hielt den Becher fest in den Händen, und grad aufrecht stehend, leerte er ihn langsam, aber in einem Zuge. Der Kämmerer sahs mit Staunen und sprach bei sich: »Der weiß adelig zu trinken!«

Darauf reichte er dem Kämmerer mit fester Hand den Becher zurück: »Sage Deinem Herrn meinen Dank. Aber ist das Alles, was Du mir von ihm zu sagen hast?«

Der Kämmerer stand fast verwirrt vor dem Pilger. Wie Manchen hatte er barsch fortgewiesen vors Thor. Aber vor diesem schlug er die Augen nieder, er vertrug kaum seinen Blick und stotterte:

»Mein hochwürdiger Herr ist jetzt anders beschäftigt.«

Der Pilger zog an dem Finger der linken Hand und löste einen Ring, den er in den Becher that, welchen der Kämmerer ihm hinhielt. Den Klang hörte Jeder, und Jeder dachte: Das ist was Besonderes.

»Bringe den Becher Deinem Herrn sonder Verzug. Doch lüste Dich nicht, hinein zu blicken; denn was darin ist, ist nicht für Dein Auge; es ist für Höhere als Du bist.«

»Was soll ich sprechen?« stotterte der erschreckte Kämmerer.

»Schweige als dem Diener ziemt, und Dein Herr wird sprechen als ihm geziemt.«

Da nun der Kämmerer fort war, warf sich der Pilger vor einem Marienbilde nieder, das in einer Blende an der Wand war und betete still vor sich mit gefaltenen Händen. Und so ergriff es die Andern; Keiner hatte es ihnen geboten und Keiner sie aufgefordert. Ein alter Mann, der war noch älter als der Pilger und hatte hier ein Recht zu stehen, denn er empfing Tag um Tag von den Brosamen der Herrentafel, weil er über achtzig Winter auf seinem Scheitel zählte, der sprach:

»O Du frommer Pilgersmann, der Du aus dem gelobten Lande kommst, bete Du für uns arme Leute, dies nicht so verstehen, und wir wollens nachsprechen. Und gieb uns Deinen Segen; der ist wohl reiner, als manches Priesters Segen.«

Da hob der Pilger sein Haupt zum Himmel: »O du gebenedeite Himmelskönigin! wer ist rein vor deinem Angesicht, und wer kann rufen: Erhöre mich, denn mein Wille ist gut, und was ich thue, ist recht! Erbarme du dich der Schwachen und Elenden. Erbarme dich aber auch Derer, die das Recht wollen und meinen, Gutes zu thun; denn ihr Auge ist auch schwach und ihr Wille von dieser Welt. Führe sie, wenn sie irren, und wenn sie fehl gingen, blicke mit deiner Gnade auf sie herab. Erbarme dich der Gedrückten und Gepreßten, des armen Volkes, das zittert und bebt vor den Gewaltigen, und wecke ihm Erretter, die du schaust, gebenedeite Fürbitterin, auf das Elend in allen Völkern und hörst die leisen Bitten aus den Winkeln des Jammers; höre aber mit besonderer Gnade auf die Bitten meines Volkes; denn es ist das unseligste aus Erden.«

Darnach stand der Pilger auf; und Alle hatte es durchschauert wunderbar, als sei ein großer Bußprediger unter sie getreten, oder ein Heiliger. Da er nun die Arme aufhob und ihnen seinen Segen gab, weinten Viele, und Alle senkten die Häupter zu Boden. Als sie aber aufschauten, ging er, langsamen Schrittes, die Arme auf der Brust gekreuzt, zur Halle hinaus.

Derweil sah es ganz anders aus oben im Saale. Da hatte der Wein sein Werk gethan, und es war viele Lustigkeit und Scherzen. Auf Geheiß des gnädigen Wirths, der seinen Gästen gern alles Heitere gönnte, sollte ein Possenreißer seine Künste machen. Der sah buntscheckig genug aus, daß man schon lachen mußte, als er durch ein verborgen Thürlein herein sprang, und mit einem Satz war er auf dem Tisch, daß die Schüsseln und Teller zitterten, und wer ihn ansah, mußte lachen. Unten war ein Bär mit Pferdehufen, und der Schweif krümmte sich, daß die Spitze als eine Feder über den Kopf ragte, und das Gesicht war eine Katze, und was er noch eben war, das war er nun wieder nicht, so verwandelte er sich jeden Augenblick zur gar großen Lust für Alle, und führte dabei Reden, daß sie sich den Bauch hielten vor Lachen, da er nun ein Thier war und darauf ein Mensch, und jetzt ein Zwerg und nun ein Riese.

Aber der Erzbischof hatte sich erhoben; es schickte sich nicht für einen Kirchenfürsten, daß er hier länger blieb; und er gönnte es doch den Andern, was ihnen Lust machte. Darum hub er nicht die Tafel auf, sondern wollte allein fortgehen mit seinen Nächsten. Als er die Stufen herabkam, rief der Schalksnarr: »Hochwürdigster Herre! bleibt noch einen Augenblick, und Ihr sollt einen maustodten Mann sehen.«

»Ei Du Schalksnarr,« sprach der Fürst gnädig, »mache Du lieber die Todten lebendig, das ist ein besser Spiel.«

Da kam in dem Augenblick der Kämmerer zurück und hielt dem Fürsten mit gebeugtem Knie den Becher hin, den dieser ihm vorhin gab, daß er ihn dem Pilger bringe.

»Hoher Herr!« sprach der Kämmerer, »ich that, als Du geheißen. Der Pilgrim trank den Wein auf Dein Wohl, und so reichte er mit den Pokal zurück, daß ich Dir seinen Dank sage.«

»Was soll ich mit dem leeren Gefäß?« sprach der Fürst. »Gieb es dem Mundschenk, das ist sein Amt.«

»Der Becher ist nicht leer, Herr. Was der Pilger hinein warf, das sollst nur Du schauen, hat er gesagt; und kein Diener soll sich gelüsten, daß er hinein blicke, was nur hochgeborene Fürsten sehen dürfen.«

»Bist Du auch ein Possenreißer worden?« sprach fast ärgerlich der Bischof. »Du bist ein alter Mann, sprich was solls?«

»Schweigen ziemt dem Diener,« sagte der Pilgrim zu mir, und nahm den Ring heraus. Aber wie erstaunten Alle, da sie den Ernst und fast Schreck auf den Zügen des Fürsten gewahrten.

»Den Ring kenne ich. Wer gab Dir den Ring?«

»Hochwürdigster, Niemand als der Pilgrim draußen.«

»Hilf mir, Sanct Moriz!« rief der Erzbischof. »Der Markgraf von Brandenburg lebt. Das ist Woldemars Ring. Sein Siegelring, den er nimmer vom Finger that. Ihr, seine Vettern, müßt mirs bezeugen.«

Da griffen der Sachsenherzog und der Graf von Anhalt Beide zugleich nach dem Ringe, und Beide zugleich riefen: »Das ist sein Ring!« Der Sachse konnte wohl kaum mehr viel sehen, er hatte stark getrunken. Der von Anhalt sah ihn von rechts und links und sprach: »So wahr mir Gott helfe in meinen Nöthen, das ist Woldemars Ring; den hatte er von seinem Vater, dem Markgrafen Konrad, und schwur hoch und theuer, als man mir gesagt, der Ring solle ihm nicht von der Hand, und ihn begleiten ins stille Grab.«

»S ist sein Ring!« schrie Herzog Rudolf. »Mein halb Herzogthum, und Wittenberg dazu; er ist echt.«

Nun rief der Erzbischof: »Der Pilger! Wo ist der Pilger?«

Der Kämmerer und das Gesinde stürzten hinaus, und alsbald führten sie den Pilger herein. Denn er hatte wohl fortgehen wollen, aber wie es gekommen, daß er doch nicht fort war, weiß man nicht. Einige sagen, die Wachen hätten ihn nicht gelassen; Andere, das Volk und die in der Halle wären ihm nachgestürzt und hätten ihn umringt und immer vor ihm gekniet, daß er nicht fortgekonnt. Denn sie hielten ihn für einen heiligen Mann und berührten seine Kleider und wollten seinen Segen.

Da er nun eintrat, erstaunten Alle. Wie ein müder Pilger ausschaut, das weiß Jeder. Man giebt ihm einen Scherf und ist froh, wenn er weiter geht. Denn seine Erzählungen sind Lügen, und wo er übernachtet, da muß die Hausfrau nachher fegen und scheuern und wohl zusehen, wo er geht, ob er nichts mitnimmt. Dieser aber stand aufrecht, ein schöner alter Mann, und ohne zu wanken schritt er auf die vornehmen Herren und Frauen zu, als sei er gewohnt solcher Gesellschaft. Er sprach das Ave Maria und beugte sich leicht. Da zischelte Einer dem Andern zu: »Herr Gott, was ist das?«

»Frommer Pilgrim,« sprach der Erzbischof, »von wannen kommst Du?«

»Ich komme aus dem Lande, wo unser Heiland für uns Alle blutete.«

»Und was führt Dich her zu uns?«

»Der Ruf Gottes. Wahrhaftig, ich wäre sonst nicht kommen.«

Das sprach der Pilger mit einer Stimme, die Alle bis aufs Herz durchschüttele.

»Bei allen heiligen Schutzpatronen unserer Kirche, wer bist Du? Bist Du aus unsern Landen?«

»Ich bins.«

»Dein Name?« fragte der Erzbischof.

Aller Augen waren auf den Lippen des Pilgers.

»So Dir der Ring nicht schon gesagt, wer ich bin, Otto von Hessen, drücke an den Stein, und drinnen wirst Du meinen Namen lesen.«

Der Erzbischof nahm wieder den Ring und drückte daran; da sprang der Stein, der schwer im Golde saß, von der einen Seite auf, und er las auf einem verborgenen Täflein, und zeigte es dem Grafen von Anhalt, und der Herzog von Sachsen blickte auch hinein, und desgleichen der Kanzler. Und wie aus einem Munde riefen Alle: »Woldemar.«

»Woldemar! Woldemar!« lief es durch die Versammelten. Sie rückten scheu zurück, als wär es ein Gespenst.

Der Pilger aber stand ruhig wie vorhin. Alle schwiegen; auch dem frommen Erzbischof schien das Wort auf der Zunge zu ersterben. Dann hub Jener an:

»Ja Woldemar hieß ich, jetzt bin ich ein Pilger auf dieser Erde, und habe kein Haus, das mein ist, und suche kein Haus, das eines Andern ist, als das eine kleine Haus, das Jedes ist, und noch Keinem, der daran klopfte, ward die Thür verschlossen. Woldemar hieß ich ehedem, Brandenburg war mein Vaterland, und ich war sein Markgraf.«

Da hub der Erzbischof beide Arme: »Wärst Du der große –?«

»O Eitelkeit der Welt! Was groß ist, das ist hin! Was blieb, ist Staub.«

» Sanctissima mater! Schauet her, Graf von Anhalt, schauet auf die Stirn, Herzog Rudolf! Das ist die Narbe.«

»Also ist es!« riefen sie.

»Du wärst Markgraf Konrads Sohn?«

»Konrad hieß mein Vater, den Gott selig habe.«

Da es nun ganz still war, richtete sich der Erzbischof voll Würde auf und griff den Stab, den ihm ein Domherr gab, und so sprach er voll Feierlichkeit:

»Pilgrim! wer Du seiest, denke vor wem Du stehest. Denn das ist meine Pflicht, daß ich Dich frage mit Rechten. Darum frage ich Dich im Namen des heiligen Moriz und des heiligen Adalbert, und der Gebeine und Reliquien in unsern Domschreinen, ob Du mir antworten willst, bei allen Heiligen, oder bei dem einen Heiligen, der Dein Fürsprecher sein soll vor dem Throne des Herrn, was aufrichtig ist und wohl und recht?«

»Ich wills!« antwortete der Pilger.

»So sprich, wer Du bist, was Du willst, von wannen Du kommst, wohin Du gehst? Ob Dich ein guter Geist geleitet hat, oder ein Geist der Finsterniß? Und so Du der bist, für den wir Dich in der Schwachheit unserer Sinne erkennen, was ist Deine Absicht hier? Denn Einer der im Grabe lag vor uns, das Viertheil eines Jahrhunderts, den weckt nur ein Wunder auf.«

»Amen!« riefen die Geistlichen.

»Daß wir das erkennen, öffne den Mund, denn wir Alle sind schwach, daß wir das Wunder begreifen.«

Da hub der Pilger an:

»Wohl weiß ich, Euer Glaube muß stark sein, und Eure Güte groß, so Ihr meinen Worten glaubt. Und ich fordere es nicht von Euch; denn was hat Einer zu fordern, der freiwillig hingab, was er hatte; und nun kommt er als ein Bettler wieder. Ich fordere nichts, und was ich will, ich wills nicht für mich. Ich komme auf den Ruf dessen, der mich gesandt, und an ihm ists, den Glauben Euch einzugeben. Gelingt es, so ist es sein Werk. Gelingt es nicht, so war ich ein schwach Werkzeug. Zerbrecht es, und er wird ein besseres wecken. Wie soll ich Euch, junges Geschlecht, beweisen, daß ich es bin. Ihr waret Kinder zumeist, als ich ein Mann war, und die Wenigen, die Ihr graue Locken habt als ich, wer von Denen kannte mich genau? Und wer mich kannte damals, wer kennt mich heute? So vieler Jahre Sonnenbrand, so vieler Winter Schnee und Stürme wandeln den Menschen. Diese Arme, so damals die Lanze schwangen, mußten andere Arbeit thun. Das Grabscheid in der Hand, den Pflug, den schweren Wassereimer, Lasten auf den Schultern stieg ich steile Felsen hinan, über sandige Steppen; und Syriens glühende Sonne brannte auf meinem Scheitel. Glaubt mir, nicht ihre Geißel allein, auch der Hohn der Saracenen brennt in das Blut. Da wandelte mancher gute Mann sich um, und sein Gott kennt den Abtrünnigen nicht wieder.«

Da sahen Alle mit Schmerzen auf den alten Mann und Viele kreuzten sich. Der hohe Fürst war ein Gefangener gewesen unter den wilden Saracenen. Denn wie er den Arm aufhob, sahen sie das Mal der Ketten an seinem Handgelenke. Zween stürzten, die in Brandenburg eingesessen waren, ihm zu Füßen und griffen den Arm ihres Fürsten, der Fesseln getragen, und küßten ihn. Der Erzbischof hieß ihm noch einen Becher vom kostbarsten Weine kredenzen, und bat ihn, daß er der Ruhe pflege, ehe er weiter erzähle; denn sichtlich griff es ihn an.

Der Pilger trank.

»Ich danke Euch für den Labetrunk, aber wessen Zeit gemessen ist, der darf nicht ruhen. Auch ziemt mirs nicht, Eure Gastlichkeit anzunehmen, bis daß ich gesprochen, und Ihr habt entschieden. Denn so Ihr urtheilt, ich sei nicht, der ich vorgebe, daß ich sei, alsdann bin ich ja ein Täuscher in Eurem Sinn, und unwürdig Eurer Nähe.«

Da ging ein Murmeln durch den Saal, aber es war ein günstiges. Er hub an:

»Der Woldemar, den sein Volk beweint, und Ihr nanntet ihn eben den Großen, war ein Mensch. Es hat die Sonne Flecken; was soll der Sohn des Staubes sonder Mängel sein! Ihr saht ihn leuchten in der Feldschlacht, Ihr saht ihn groß im Rathe, er hieß ein Vater seines Volkes; bei dem Allmächtigen, was an seinem Willen lag, er war es. Aber die Fürsten Deutschlands, die Einen bewunderten ihn, die Andern beneideten ihn; wer schaute ihm ins Herz? Wer blickte in sein verschwiegen Kämmerlein, wenn er den Fürstenhut abwarf, den Purpurmantel von sich that, wenn er in der Stille der Nacht rang mit den bösen Geistern. Das sah kein Aug, das hat kein Ohr belauscht. Von Euch allen weiß Keiner, was auf dem Herzen lag dem großen – dem Markgrafen Woldemar.«

Der Bischof sprach dazwischen; denn der Pilger blickte wie finster vor sich hin: »So ist es wahr, was die Sage erzählt: daß ihn um sein Eheweib das Gewissen drückte, alldieweil sein Weib, Markgräfin Agnes, in zu nahem Grade ihm verwandt war. Um sich zu reißen aus der blutschänderischen Umarmung, als dem frommen Fürsten däuchte, ersann er den wunderbaren Ausweg –«

»So Euch das lieb ist, denkt es,« sprach der Pilger mit fast rauher Stimme.

»War doch auch die Ehe kinderlos,« sagte der Graf von Anhalt, »und von den Prinzen seines Hauses, die so zahllos waren, daß man ihre Namen verwechselte, starb Einer um den Andern, nicht auf dem Felde der Ehre, im Siechbett. Das mußte ihm zu Herzen gehen.«

»Es ging ihm zu Herzen, und sein Herz war krank; das sei Euch genug,« fuhr der Pilger fort. »Auch er lag auf dem Siechbett, und sein Sinn verlangte doch nach Einem noch. Nicht nach dem Regiment und der Herrlichkeit dieser Welt. Er war des Ruhmes satt. Nach dem Grabe Christi verlangte ihn. Ein Gelübde ruhte auf seiner Brust, und der Tod rüttelte an seinem siechen Leibe. Da in einer Nacht faltete er die Hände, und betete so inbrünstig, als ein Fürst je gebetet, daß die Gebenedeite für ihn spreche am Himmelsthrone, daß Gott ihm die Gnade gewähre, noch lebendig den Boden zu küssen, wo der Erlöser gewandelt, und an seinem heiligen Grabe sein Gelübde zu lösen. Alle Herrlichkeit wolle er von sich thun, und sterben der Welt, nur ihm lebend, der durch den Tod zum Leben führt. – Drauf sank er nieder; sein Diener, der das Gebet belauscht, sprach für sich: Er ist dahin gegangen im Gebet. – So lag er eine Stunde. Da röthete sich wieder die bleiche Wange, der Schweiß des Lebens perlte auf der Stirn, er schlug die Augen auf, selig. Das wunderbare Gesicht, das ihn entrückt, was verlangt Ihr es zu wissen! Ihr könnt die Stimme nicht hören, den Himmelsglanz nicht schauen, den Balsam des Trostes, der auf ihn nieder thaute, Ihr fühlt ihn nicht. Ihm war gewährt, und in dem Augenblicke, wo er sich aufgerichtet in neuer Kraft, starb er für das alte Leben und für die sündige Welt.«

Der Pilger hielt inne. Lautlos hatten sie ihm gehorcht. Ihre Augen glotzten ihn an, wie Trunkene einen Mährchenerzähler. Sie mochten nur lachen, doch der Schauer faßte sie. Nur der Herzog von Sachsen war in einen Sessel gesunken; und sein Haupt wiegte sich schwer im Arme. Der von Anhalt schaute vor sich nieder. Der Erzbischof hielt die Hände auf dem Gürtel gefaltet. Nicht scharf sah er den Pilger an, aber unter den halb geschlossenen Augenlidern warf er prüfende Blicke.

»Fordert Ihr deß Beweise, die vor dem Richter dieser Welt gelten?« fuhr der Pilger fort. »Wo beweist Einer, was zwischen vier Augen vorging, und zween davon sind geschlossen! Es war ein treuer Mann, jener Diener Markgraf Woldemars, das schwör ich Euch mit dem höchsten Eide. Und nie, bis heut, ging über seine Lippen, was ihm sein Herr damals gebot. – Es war ein Possenreißer in jener selben Nacht gestorben. Ein unbekannter Mensch. Solche Leute kommen und verschwinden, wie die bösen Geister, denen sie geschworen sind. Den trug der Diener in das Bett des Herrn. Den bedeckte Morgens mit dem Leichentuche der getreue Arzt, um den schrieen die Weiber und lärmte das Ingesinde, um den weinten seine Getreuen, um den läuteten die Trauerglocken durch das Land Brandenburg, um den zerriß das Volk seine Kleider und den trugen seine Edeln auf ihren Schultern nach Chorin und die Mönche senkten ihn in die Fürstengruft. Der wahre Woldemar pilgerte durch Waldpfade gen Venedig, wo ein Schiff ihn hinüber trug nach dem Lande seines Gelöbnisses.«

»Beweise!« rief der Erzbischof.

Da erschraken Alle, nur der Pilger nicht. Der Dechant Bruno hub seine Hand.

»Hoher Herr, als Ihr mich würdigt eines Zeugnisses. Ich weiß von meinem Vater. Als ein treuer Vasall wollte er noch einmal das theure Angesicht des todten Herrn sehn. Da ließ der Arzt, der hieß Meister Hildebrand, ihn nicht zu; denn zu entstellt sei das Gesicht durch den Todeskampf. Es hat ihn Niemand gesehen.«

»So ists,« riefen die Brandenburger.

»So wird der Arzt Zeugniß ablegen,« sagte der Bischof.

»Der steht seit fünfzehn Jahren vor einem höhern Richterstuhl,« fuhr Bruno fort. »Auf dem Todtenbette quälte ihn ein Bekenntniß, wie ich es von dem Beichtiger weiß, und eine Angst, die Allen seltsam war, ließ ihn nicht sterben, und doch hatte Gott seine Zunge gelähmt.«

»Genug!« rief der Bischof. »Pilgrim, auf welchen Heiligenschrein willst Dus beeiden, daß der Possenreißer gestorben ist?«

»Beim wahrhaftigen Schweißtuch der heiligen Veronica, er starb!«

»Und Woldemar lebt!« riefen zehn, zwanzig. Da wollten Viele als Eideshelfer mit ihm schwören. Die Frauen weinten; was junge Ritter waren, die hätten ihn auf ihre Arme heben mögen und ihn ausrufen durch die Stadt. Nur der Erzbischof und der Pilger standen ruhig; schiens, als maßen sie sich mit ihren Blicken.

Da hub Jener den Arm, daß sie ruhig wären: »Mein Richteramt ist schwer, Ihr Freunde. Folgte ich, als Ihr, der Stimme allein in der Brust, ich breitete die Arme aus, theurer Mann, und rief in Ehrfurcht: An mein Herz, großer Markgraf! Doch bin ich hier nicht Otto, ein Landgraf von Hessen; ich bin ein Fürst des Reiches, und ihm und dem Kaiser schulde ich strenge Rechenschaft.«

Viele murrten. Aber der Pilger sprach mit lauter Stimme: »Heil dem Reiche, das solche Fürsten hat! Wohl schulde ich Euch Rechenschaft. Denn mit Rechte mögt Ihr fragen: was kommt Einer zurück nach zwanzig und mehr Jahren und will die Erbschaft, die nicht mehr sein ist?«

»Reißt Eure Wunden nicht auf, frommer Fürst,« unterbrach ihn rasch der Bischof. »Bis ein Anderer zu Rechte sprach, sagt uns nur, wie Ihr aus der gräulichen Heiden Gefangenschaft loskamt? Wer wars, der Eure Ketten brach, welch ein Wunder führte Euch wieder in die Heimath?«

»Der Gott, der Simson Kraft gab, der Davids Nerven spannte, zerriß meine Fesseln, als ich einen Jammer sah, ein Elend, nicht in einem Lande, wo wilde Heiden toben; in einem Lande guter Christen, in einem deutschen Lande; als ich einen Blick zurück that in das Land meiner Väter, das ich einst beherrschte und glücklich wähnte.«

Er war schrecklich zu schauen der Pilger. Seine hohe Stirn runzelte furchtbar, seine Brauen zogen sich zusammen, er hob den Arm, und krampfhaft ballte sich seine Hand.

»Da erst, Ihr guten Christen, drückten mich diese Fesseln, da brannte unter mir der Boden, über mir das Firmament, da breitete ich die Arme aus nach dem Winde, der von Morgen kommt und nach Abend weht. Da rang ich auf meinem harten Lager und jede Nacht trat vor mich der heilige Schutzpatron Brandenburgs, zürnend wies er auf diese unglückseligen Gefilde. Ich sah sie. – Gottes Donner dröhnte durch mein Hirn: Befreie sie! – Gieb mir Kraft! schrie ich auf. Nicht um mich, um sie zerbrich diese Fesseln! Und er gab mir Kraft. Er schlug mit Blindheit die Heiden, er blies seinen Hauch in die Segel, die mich über Meer trugen. Er schlug mit Blindheit Ludwigs Vögte. Er lähmte des Räubers Hand, er zeigte mir den Weg über die Alpen und hier –«

»Hier bist Du, ruhmwürdiger Markgraf!« unterbrach ihn der Erzbischof, »sichtlich durch den Herrn der Heerschaaren geführt. Lobet den Herrn, Ihr Gläubigen!«

Wer noch ruhig stand, nun war Keiner ruhig. Da drängten sie sich heran, über Tische und Bänke, von den Gallerien herab. Die Kämmerer konnten kaum Ordnung halten, daß die Fürsten nicht gedrückt und gestoßen wurden. Nicht aus dem Saale allein, sie stürzten auch von draußen, um das Wunder zu sehen, und hinwiederum drang es durch die geöffneten Thüren hinaus, und wie ein Lauffeuer ging es durch die Stadt. Und es war ein Wunder, einen Mann zu sehen, der zu Fuß als ein armer Pilger durch das Sudenburger Thor gekommen, und so erschöpft sah er aus, daß sie ihn in das Spital schicken wollten, und er stand jetzt als ein Fürst da, und redete, stolzer kann es kein Kaiser, zu Jedem.

»Mein Vetter,« sprach er zu Dem von Anhalt, »wenn Ihr mich einst erkannt, so hoffe ich, Ihr sollt einen guten Vetter an mir kennen lernen.« Und er schüttelte ihm die Hand; so auch Dem von Sachsen, und Jedem, der ihm vorgestellt ward von dem von Veltheim, sagte er ein freundlich Wort, und Viele erstaunten, daß er sie kannte; und ersann sich Dinge aus ihrer Jugend, die sie selber vergessen.

Während aber die Frauen vor Allem sich drängten, den wunderbaren Mann in der Nähe zu sehen, zauderte Eine länger, und sie war doch unter den Fürnehmsten. Als der Pilger vorhin eintrat, da zuckte sie zusammen und schaute nicht auf. Ihre Tochter sagte: »Mutter, was wirst Du blaß!« Aber als sie die Augen aufschlug und ihn anschaute, ward sie roth und wieder blaß; da Der von Veltheim ihren Namen dem Pilger nannte, und die hohe Gräfin sei auch eine Vasallin von Brandenburg, und er möge gnädig auf sie blicken, wollte die Gräfin sich stolz aufrichten. Aber die Lippen verschluckten wieder das stolze Wort, und der Nacken krümmte sich, da ihre Augen sich trafen. Den Blick hatte sie nicht erwartet. Sie beugte sich tiefer als sie wollte. Da fühlte sie die Hand des Alten auf ihrem Scheitel:

»Gott schaut in die Herzen und liest, was den Menschen verborgen.«

Sie ward feuerroth. Sie wollte sprechen, es kam kein Laut raus.

»Ich weiß, was auf Deiner Lippe schwebt. Deinen Brüdern, den Grafen – um ihrer Schwester willen sei ihnen vergeben. Denn Dich, ich weiß es, knüpfen Bande an meine Sache, die bricht man nicht.«

Da legte er die Hand auf den Scheitel ihrer Tochter:

»Daß Gottes Friede mit Dir sei, und seine Engel Dich geleiten durch dieses Leben.«

Das klang so süß. Der Gräfin Adelheid war so wohl und doch auch so ehrfürchtig zu Muthe. Sanft, dünkte es sie, drücke die Hand des Greises sie nieder, und sie senkte ein Knie.

»Kniee vor wem Dir ziemt,« rief Gräfin Mathilde und riß sie auf.

Ein wehmüthig Lächeln schwebte um des Pilgers Lippen.

»Knie vor Gott und seinen Heiligen; wir Menschen sind alle Sünder vor ihm,« sprach er, und sein Auge ruhte mit königlicher Würde auf der Gräfin Mutter. »Hüte dieses Kleinod, Gräfin! Denn wahrhaftig, so ich kein Greis wäre, der kinderlos ins Grab sinkt, für einen Sohn, der mein Fürstenthum erbt, wüßt ich kein würdiger Gemahl.«

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