Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Zweites Buch, Erstes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Am Abhange einer Waldhöhe, zu deren Füßen die märkische Stadt Gransee liegt, rastete ein Häuflein Bewaffneter. Es war der Nachmittag eines Herbsttages. Die Wolken zogen gen Abend, der Wind von Morgen rauschte in den Kiefern über ihren Häuptern, und fegte die welken Blätter über ihre Leiber. Denn sie waren müd von des Tages Last und Arbeit. Etliche hatten sich lang hingestreckt und reckten die Glieder, Andere befühlten ihre Beulen und ließen ihre Wunden verbinden. Es hatte einen ernsten Strauß gegeben, das zeigten ihre heißen Gesichter, die struppigen Haare und die zerzausten Wämser; und doch schaute es nicht wie nach einer ernsten Schlacht, denn die Wenigsten trugen ein stählern Kleid am Leib, und die auch den Harnisch um hatten und die Haube auf dem Kopf, da wars nicht recht zugeschnallt und zurecht gestutzt. Auch warens nicht Ritter und ihre Knechte, sondern Bürger; die hatten sich bewaffnet, wie der Augenblick es gab, mit Speer, Keule, Sense und Morgenstern. Ihre Rosse grasten, abgezäumt, und voll Schweiß und Staub; und auf dem Rasen umher lag allerhand Zeuges, das nicht dahin gehörte, Kisten, Körbe, Betten, Säcke und Kleider, gar in Unordnung.

Auf den ersten Blick mochtest du sie für Raubgesellen halten, die nach einem Zuge, der ihnen glückte, Rast halten. Aber Räuber lagern in Waldschluchten und nicht, wo der Tag ihnen ins Gesicht schaut und der Rauch aus einer wehrhaften Stadt vor ihnen aufwirbelt. Sie stellen Wachten aus, und Jeder, wo er liegt und steht, schielt derquer und fährt auf, wenns im Laube raschelt. Denn das böse Gewissen liegt neben ihm, als sein Schatten; und wär er auch noch so trotzig, und fester denn der hörnerne Siegfried, ruhig ist er nimmer. Nein, Diese ruhten aus und streckten ihre Glieder wie nach einem Tagewerk, das gut ist. Unten im Städtchen läuteten sie, nicht zum Sturme, sondern zur Abendvesper; aus den Schlotten wirbelte der Rauch, wie man im Frieden zukocht zu einem Abendimbiß, und aus den Thoren drängte Volkes genug, unbewaffnet, zumeist Alte und Weiber, auch Kinder; die steckten die Köpfe zusammen mit einzelnen Reisigen, die ihnen entgegen kamen, und schüttelten sich die Hände, und wußten sich viel zu erzählen. Andere eilten hinaus zu den Reisigen, wo sie lagerten, und hier ging es ebenso, ein Händeschütteln und Grüßen und Erzählen. Einige schimpften und fluchten, Andere lachten, und die Weiber fuhren auf die umhergestreuten Sachen, und rissen und wendeten sie. Das war ein Geschrei! Denn die Sachen waren ihre; Räuber hatten sie ihnen genommen, und das waren ihre Freunde, die hatten sie den Räubern wieder abgejagt.

Nun sollte man meinen, es sei nur ein Geschrei der Freude gewesen. Denn wenn dir ein Räuber dein Gut nimmt, und du erhältst es wieder, so ist das als wie ein neues Geschenk, drüber du froh sein solltest, denn du durftest nicht darauf rechnen. Aber alle Freude ist nur als wie ein Sonnenblick, die Schatten der Wolken schauen darnach desto grauer; und je lauter Einer sich jetzt freut, um so gewisser ists, daß er dann still wird und nachdenkt und rechnet, wie er sich noch mehr hätte freuen mögen, wenn dieses so gewesen, und jenes so gekommen wäre. So jauchzte jetzt Eine auf, daß sie ein selten Stück Zeug wiederfand, um dessen Verlust sie den Tag über bitter geweint, und riß es an sich und riefs den Andern zu; aber als sies nun ausfältete und von allen Seiten beschaute, da wars zerkniffen und hier im Koth geschleift, und sie fing an zu jammern und schalt, und warf es ärgerlich fort, und nahm es wieder auf ums den Nachbarinnen zu zeigen, die jammerten mit ihr, denn jede hatte desgleichen etwas wieder gefunden, wie sies nicht wollte, oder gar nicht gefunden, was sie suchte, und es gab ein häßlich Geschrei und Zusammendrängen. Sie schimpften aus voller Kehle auf die Schnapphähne; aber viel fehlte nicht, und sie hätten mit ihren eigenen Freunden angebunden, daß sie nicht geschickter mit den Sachen umgingen. Und Eine sagte der Andern, wie Der und Jener das Zeug über die Rosse getragen, und wie sies runter geworfen, als sei es Hechsel und Stroh.

Da trat Einer von den Männern unter sie; die Haare klebten ihm vom Blut, das von der Schläfe tropfte. Der griff Eine, die am ärgsten schrie, wie man heut nicht mehr Frauen anfaßt, und schüttelte sie:

»Wollt Ihr noch Pfeffer in die Suppe thun, da sie schon salzig genug ist!« rief er. »Das ist Frauenzimmerart, klagen und schreien, wenn der Topf ausgelaufen. Gottes Barmherzigkeit! Wär bei den Schürzen ein Fünklein Mutterwitz, sie brächten uns Salben und Suppen, statt Zeter und Weh entgegen!«

Die Frauen schauten ihn gar nicht bös an. Vielmehr gerade die, welche er geschüttelt hatte, sprach recht freundlich: »Ei, Martin, schau Dich um. Was sich für Frauen schickt, das wissen wir.«

Die Mägde und ihre Frauen holten auf den Körben Schüsseln und Körbe und Krüge vor, und auch Büchsen mit Salben und Verbände wickelten sie aus. Da wars mit einem Male lustig auf dem Anger. Die Mägde und Frauen neckten die Männer. Wer dürstete, daß ihm die Zunge raus hing, dem reichten sie ein trocken Laib Brod, daß er erst sich abkühle. Und wem der Magen knurrte vor Hunger, den wollten sie einschmieren und verbinden.

»Spar das für Andere, Frau Base Walpurg,« sprach der verdrießliche Mann, als das Weib ein Salbentöpflein aufmachte und ihm die Stirn streichen wollte. »Ich geh nicht mehr an der Mutter Rock. Für solche Schrammen ist der Wind die beste Salbe. Lang mir lieber aus dem Korb die Wurst, denn hier sitzt die Wunde, die frißt.«

»Wie Du willst, Brummbär,« antwortete die Base, und reichte ihm, was er verlangte; und Alle sahen mit Lust, wie er den Wecken und das Fleisch zum Munde brachte, als wärens seine grimmigsten Feinde, und dann leerte er den vollen Krug in drei Zügen.

»Wie der Topf am Feuer stand, ja was habt Ihr da gethan?« hub er nun wieder an. »Gezittert und geschlottert. Kreideweis schauten die Weibsen, klammerten sich ans Fensterkreuz. Die Trommel brummte spät genug, aber für das Frauenzimmer noch zu früh.«

»Ei, Du Lästermaul!« rief die Base. »Als der Lüddecke schon ans Rathhaus schlug, unds durch die Gassen klirrte, drehte er sich noch in den Federn um. Sein Bub mußte es ihm ins Ohr schreien: Der Feind ist in der Stadt! Das half auch nicht. Sie zogen ihm das Deckbett ab, da erwacht er erst.«

»Aber dann!« rief Martin.

»Dann sprang er hinten zum Fenster naus.«

Die Frauen brachen in ein hell Gelächter aus, das den Mann mit der Stirnwunde aber nicht einschüchterte.

»Und wär ich nicht in den Garten sprungen und die Andern, was wäre zur Stund Gransee und was Ihr! Flennen könnt Ihr und dann schreien und dann lachen. Wir schlugen. Grad in den Gärten sammelten wir uns, griffen, was wir fanden. Mit Deichseln, Hacken, Bohnenstangen, die Hunde von der Kette los, fuhren wir ihnen in die Seiten. Da mußten sie vom Rathhaus lassen. Dank ihnen, daß die Räuber das Fenster aufgebrochen, so brauchten wir nicht die Schlüssel vom Schultheiß zu holen. In die Rüstkammer, rausgeworfen Hemden, Panzer, Morgensterne, Picken und Hauben. Vorm Angesicht der Hallunken, und mit ihnen in den Haaren, wappneten wir uns. Was thatet Ihr derweil? Ihr schrieet ärger als die Katzen auf den Dächern!«

»Das weckte die Bürger,« sagte die Base. »Wir riefen sie zur Schuldigkeit.«

»Und wer flog auf den Thurm und läutete!« rief eine Andere, und zehn zeigten auf die muthige Base, der mans wohl zutrauen konnte, sie schaute keck vor sich.

Der Mann kraute sich im Haar: »An die große Glocke schlagen, dazu ist Frauenvolk gut. Was brauchte es noch Sturmläuten? Wir saßen ihnen ja schon in den Weichen. Ja, die Bürger thaten ihre Schuldigkeit; auf dem Markt selbst hätten wir den Lüddecke, den Quast und die Andern gefangen mit Haut und Haar. Da mußtet Ihr klingeln, wos nicht mehr Noth that. Nun merkten sie, wies stand, und sprengten das Thor. Unvernünftig wars, Weiberthorheit, da an der Glocke zu reißen! Wir wußten, was es geschlagen; aber ihre Kumpane draußen mit dem Winterfeld wecktet Ihr auf, die empfingen sie, und den Raub dazu. Um Eurer Thorheit willen mußten wir hinaus, hinter ihnen drein, kaum gesattelt, kaum gerüstet, jagen und schlagen, und wahrhaftig, die Kerle wehrten sich. Wären uns nicht die Bauern aus den Ruppiner Dörfern zu rechter Zeit gekommen, blutige Köpfe hätten wir heim gebracht, nicht Euren Kram.«

Da stemmte das rüstige Weib die Hände in die Hüften. Sie hatte keinen Harnisch um, nur ein blaues Latz, das aber saß fest wie ein Panzer um den starken Leib und die volle Brust, und so züchtig und fest saß auch ihr Stepprock um die Hüften; und wer ihre Arme und Beine sah, hätte meinen sollen, mit jedem Rittersmann nähme sies auf, und wenn er von Kopf bis Fuß in Stahl und Eisen steckte:

»Ich wills Dir glauben, Martin, daß Du nachmalen hast Deine Schuldigkeit gethan. Denn so seid Ihr Märkischen Männer. Zuerst verdrossen, und laßts an Euch kommen, und schlaft den Sturm aus auf der Bärenhaut, statt daß Ihr die Nas zum Fenster naus stecket, um zu sehen, woher es bläst. Aber wenn man Euch aufgerappelt, stoßt Ihr zu wie ein Ochs, und haltet Schläge aus und schlagt auch zu, was rechtschaffen ist, und man muß Euch das lassen. Und wärs anders, wir wüßtens schon, und hätten Dich anders empfangen, denn mit Suppe und Fleisch. Aber, Martin, ein guter Schmied bist Du, und thut Dirs Keiner gleich im Lärm machen. Jedennoch so Du Dir einen Maulkorb schmieden thätest, wenn Du von den Frauen redest, das war Dein best Meisterstück. – Wer, Martin, – und sie that einen Schritt vor, – warnte Euch neulich, als der Tile Quast zur Kirchmeß in der Stadt war? Traut dem Landfrieden nicht! sagte ich, und die Gertraud Metzerin sagt es desgleichen. Denn wir merktens, wie er mit den Augen rum spionirte, derweil Ihr Grützköpfe seinen schönen Worten trautet und Euch voll sofft in Bier, das er schenken ließ. Was soll Freundschaft zwischen Ritter und Bürgersmann? Der Quast läßt nicht vom Lüddecke, und der Lüddecke läßt nicht von Euch, bis er Euch im Sack hat, wie Ihr ihn Anno 40; das vergißt er Euch sein Lebtag nicht, und bleibt Euch Feind, so wahr er ein Raubritter ist. Der Tile ist hier und sieht sich die Gelegenheit an. Das schrien wir Euch ins Ohr. Wer war taub? Ihr. Warum? Weil Ihr Euch was dünktet. Worauf? Auf Eure Weisheit, auf Eure neuen Sonntagswämser oder auf Eure Mauern und Graben? Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis und bricht ein Bein.«

Martin machte Miene zu sprechen. Die Frau duldete es nicht.

»Still! ich hab Dir noch viel zu sagen, und reiß die Ohren auf. Hier vor allem Volk will ichs Dir sagen. Deine Wiesen liegen an meinen Wiesen, und Dein Haus stößt an mein Haus, und Du bist ein Wittwer und ich bin eine Wittib, und was Du hinein legst, das legte ich auch hinein, und es schickte sich schon, und wir brauchten den Zaun und die Mauer nicht mehr, und könnten die eine Thür zunageln, denn Mann und Frau gehen durch eine Thür aus und ein; aber freie Du so lang Du willst, solche Männer mag ich nicht, so als ein Ochs im Pfluge gehen, und nicht rechts und links umschauen, und denken, so ich nur mein Licht ausblas und meine Thür zuschließe, für das andere mag der liebe Gott sorgen. S ist ein heillos Elend überm Land, und Christi Zorn liegt auf uns. Woher das? Weil Jeder nur an sich denkt. Was drüber naus, wenn Ihr nur warm sitzt, das kümmert Euch nicht.«

»Base Walpurg, Ihr besinnt Euch noch anders«, fiel der Mann ein.

»Davon kein Wort mehr, verstehst Du Martin, denn ich hab noch nicht ausgeredet. Wo schützt ein Mann sein Weib, der sich nicht selber zu schützen weiß; wie willst Du Eisen schmieden, wenn Du kein Feuer hast? Wie willst Du sehen, wenn Du die Augen zu hast? Still, still! will Dich noch mehr fragen. Davon sollen Dir die Augen doch endlich aufgehen.«

»Wo kletterten des Lüddecke Seine über die Mauer?« fuhr sie fort. »Dort an der Hammelschwemme. Wo die Seiler im Graben ihre Stricke drehen. Das ist schon gut, Stricke müssen gedreht werden; woran sollte man die Schurken hängen! Aber man sollte die Seiler selbst aufhängen. Was mußten die sichs bequem machen? das Thor war ihnen zu weit, stiegen über die Mauer, die Seilerburschen. Noch mehr, ließen die Stricke hängen, um Morgens dran runter zu rutschen. Sind faule Lümmel! Die Nacht ist duster, dachten sie; aber der Luchs und der Fuchs sehen auch in der Nacht. Nur die Männer von Gransee sehen bei Nacht nicht, und bei Tag auch nicht.«

»Das ist schon gut«, sagte Martin, »oders ist eigentlich nicht gut. Aber die Seiler machens von Alters so.«

»Wer hängen muß, dreht sich selber den Strick. Die Seiler sind nicht blinder und dümmer als Ihr. Aber wer setzte den Thürmer dort auf die Warte?«

Sie zeigte auf den hohen schlanken Wartthurm, ein fünfzig Schritt von ihnen auf der Anhöhe. Die Abendsonne röthete ihn, und die Fahne der Stadt, die lustig darauf wehte. Doch statt des Thürmers sah der Mann eine Frau drauf stehen, die hatte sich eine Stahlhaube aufgesetzt, die im Sonnenschein blitzte, und schwenkte in der Hand lustig die Hellebarde.

»Alle Wetter, was soll das Weib droben!« rief Martin, indem er die Hand vors Gesicht hielt, daß ihn die Sonne nicht blende. Er glaubte, er sähe falsch.

Die Frauen brachen in ein hell Gelächter aus, und die Base Walpurg schlug ihm auf die Schulter: »Wachen soll sie, Martin. Einen Mann konnten wir doch nicht wieder nauf setzen. Die schlafen, wos gilt.«

Und das Gelächter wurde noch lauter und hatte seinen guten Grund. Um die Stadt Gransee, die eine gar alte in den Marken ist, mit schönen Thoren und Thürmen, mit Mauern und Weichhäusern, standen auf dem Felde zwei hohe, schlanke Wartthürme. Der eine gen Abend, der andre gen Morgen, oder so ungefähr, und beide um ein paar hundert Schritt von den Stadtmauern. Sie ragten, auf mäßigen Anhöhen, wie runde Pfeiler in die Lüfte, anmuthig anzuschauen. Aber nicht darum ließen die Bürger die Ziegel brennen und bauten mit schweren Gerüsten, im Schweiß ihres Angesichts, in den Himmel. Auch nicht, um der freien Aussicht willen, die man von der Spitze hat, denn Niemand kroch zum Vergnügen hinauf; sondern wen sie drauf hinstellten, hatte ein saures Amt, und das sicherste war es auch nicht, wenn er gleich dem Himmel nahe wohnte. Die Thürme waren freilich fest gebaut; steht ja der eine noch nach so vielen hundert Jahren! Auch war zur ebenen Erde kein Thor und Eingang, sondern erst über Mannshöhe hatten sie ein kleines Pförtlein angebracht, wohl gefugt von starken Eichenbohlen und mit Eisen beschlagen. Das mußte der Thurmwart öffnen, und die Leiter hinablassen; sonst konnte Niemand zu ihm ein. Und auch wenn ihn Einer überlistet und hineingebrochen war, er brauchte nur die Wendelstiege, die in den Seiten eingemauert war, schnell hinauf, und konnte sich noch gut vertheidigen. Ein Stück Holz, ein Steinwurf reichte aus. Ich hätte da nicht stürmen mögen.

Aber dennoch, was ists für Sicherheit auf der Spitze eines einsamen Thurms allein zu hausen, zu sprechen mit den Raben und Krähen, und den Wolken, die ihren nassen Schweiß auf dich träufeln. Bei Tage darf der Wächter das Aug nicht schließen und muß den Schatten verfolgen, den der Raubvogel auf das Blachfeld wirft, und die Kiefer und Büsche, wenn sie sich regen, ob nichts Verdächtiges vorkreucht. Und Nachts muß er das Ohr an die Brüstung legen, muß vertraut sein mit dem Geschrei der Eulen, mit dem Heulen der Wölfe und belauschen den Tritt des Fuchses. Er muß berechnen das Sternenlicht und den Mondenschein, wo es hinfällt zu jeder Stunde der Nacht, um zu erkennen, was nicht geheuer ist. Wenn der Octobersturm um solche einsame Warte heult, daß sie wankt in ihren Festen, und der Platzregen und die Schlossen darum wüthen und gegen die Zinnen und Läden klatschten, da mag auch dem Beherzten das Herz pochen, und er zählt die Stunden und Minuten, bis die Sonne aufgeht, und die bösen Geister von ihm weichen. Der Teufel hat allerwärts Macht über das sündige Herz des Menschen, aber nirgend ist sie größer, als wo der Mensch allein ist.

Da lag die Stadt zu seinen Füßen, und ein Ruf aus seinem Horne klang zu den Wächtern auf den Thoren; und auf einen zweiten sammelte sich die Wachtmannschaft auf den Mauern. Und stieß er zum dritten Male ins Horn, hinter einander drei Mal hell und schnell ausholend, dann wirbelte die Trommel vom Rathhaus, und was Wasser tragen konnte, regte sich; denn ein Feind war im Angesicht, der der Stadt drohte, oder den Heerden auf der Weide. Dann stürzten die Gewappneten unter ihren Hauptleuten und Zunftmeistern heraus, und es gab ein lustiges Jagen drunten, das wohl das Herz erfreuen kann. Und es schlug ihm hell, daß er es war, dessen Auge für die Stadt gewacht, dessen Stimme so Viele ins Feld rief. Aber wenn die Feinde schneller waren als die Bürger, und die geharnischten Reiter und der wilde Troß um seinen Thurm tobten, dann schlug ihm auch das Herz, aber nicht vor Freude. Sie hoben ihre Lanzen drohend und fluchend gegen ihn, ein Bolzen zischte um seine Ohren, und Der und Jener, den Stahlhandschuh gegen ihn hebend, verschwor sich hoch und theuer, wenn sie ihn fingen, wollten sie ihn hängen bei den Beinen am nächsten Ast. Und sie stießen mit Lanzenschaften und Stangen gegen den Thurm. Davon wankte der Thurm nicht, aber jeder Stoß drang ihm durch den Leib; es ist nicht gut allein sein unter Feinden, auch so man hundert Schuh über ihnen steht. Dann schaute er bange nach der Stadt, und sie schien ihm zu weichen immer weiter und weiter. Und nun senkte sich die Sonne, die Schatten wurden länger, und der seines Thurmes berührte die Stadtmauer und flehte um Hülfe! Vergebens; es kam die Nacht und die Bürger regten sich nicht vor dem mächtigen Feinde, und das höllische Jubelgeschrei unter ihm! Herr Gott, alsdann die lange Nacht, wenn sie Holz in der Haide schlugen und ihre Feuer anzündeten. –

Wie manchen Thürmer auf einsamer Warte hatten gottlose Feinde grausam gestraft um seine Wachsamkeit, die ihre Plane verdarb. Mit der Säge läßt sich der Thurm nicht absägen, und die Axt wird schartig an den Feldsteinen; aber hundert Schultern tragen in Zeit einer Stunde und weniger, viel Reisig zusammen, und schlagen viel Bäume nieder, das giebt ein Feuer, das bis an die Spitze mit Flammen leckt. Es ward mancher treue Mann auf diese Weise geröstet und erstickt und starb kläglich, derweil die gottlosen Buben ihm Spottlieder sangen in seinen Todesqualen.

Aber einem Thürmer drohen auch andere Gefahren. Dem Wachsamsten sinken doch einmal die Augenlider zu. Er strengt sein Aug hundert Stunden an, und sieht nichts als Staub und Laub, das der Wind weht. Aber in der Stunde, wo er nickt, da reitet am Waldsaume eine Schaar Reisiger, und sie sind, die er sehen soll, und sprengten und scheuchten die Heerde ins Blachfeld, und es ist zu spät. Wehe ihm dann; ihm wäre besser, er hätte seine Herren verrathen. Die Herren vergeben ihm nicht, und die Justicia der Städte kannte keine Gnade.

Hans Lüddecke vom rothen Haus war ein verschlagener böser Feind, wem ers war. Die Chroniken der Stadt Gransee wissen davon zu erzählen. Rühmte sich im Scherz, ihre Heerden wären seine und die Bürger seine Ochsenjungen, die ihm die Mühe abnähmen, sie zu hüten. Alljährlich trieb er fort, so viel ihm gelüstete. Freilich waren Die drinnen auch nicht faul, und wo sie einen von Hans Leuten fingen, machten sie kurzen Proceß. Das war durch lange Jahre so gegangen, und es blieb nicht beim Rauben und Brennen. Mancher Handelsmann aus der Stadt lag Monden lang und Jahre tief unter der Erde im rothen Haus, auf faulem Stroh, trank schlammigt Grabenwasser und hatte keine Gesellschaft als die Kröten und Eidechsen. Mancher, der das schwere Lösegeld erschwang, den kannten seine Blutsfreunde nicht wieder; sein braun Haar war weiß geworden, und er schlotterte wie ein Gespenst in Lumpen und an der Krücke. Der Lüddecke war furchtbar in seinem Jachzorn. Er hatte sich hoch und theuer vermessen, Denen von Gransee selbst einen Besuch zu machen, und sie wußtens. Aber sie fürchteten sich nicht, denn von ihren beiden Warten schauten sie weit übers Land.

Aber gestern am Abend war ein Kärner, der Wein verfuhr, am Thurm vorübergezogen und hatte den Wärter, der ihm ein alter Freund war, droben gegrüßt. Da, während sie freundlich Gespräch pflogen, – denn ein einsamer Thürmer erkundigt sich gern bei den Vorüberziehenden nach den Neuigkeiten aus der Fremde, und es ist auch seine Schuldigkeit sie auszufragen, wie es steht, von woher sie kommen, und ob ihnen nichts Verdächtiges begegnet, – während sie also sprechen, sticht den Gaul des Kärners eine Bremse. Er schlägt aus, das Karrenrad treibt auf einen Stein, der Karren wirft um, ein Gurt platzt, und die Fässer rollen den Berg hinunter. Da durfte doch der Wärter vom Thurm dem alten Freund, wie der jämmerlich schrie, zu Hülfe kommen. Er that es; hatte sich aber vorher nach allen vier Winden umgeschaut, und sah nichts, als Dunst von den Wiesen und Rauch von der Stadt. Aber nachdem er ihm geholfen, die Fässer wieder hinaufrollen und sie auf dem Karren festigen, und der Kärner zum Dank eins der Fässer angebohrt, und sie in einen hölzernen Becher den Wein einlaufen lassen, und aus dem hölzernen Becher in ihre Kehle: wie gesagt, nachdem das geschehen, sahe der Thurmwärter manches, was er vorher nicht gesehen. Und er fühlte mit einem Male, daß seine Beine von dem langen Treppensteigen mußten schwer worden sein; denn es ward ihm sauer, den großen Krug Wasser auf dem Thurm zu schleppen, um den der Kärner ihn bat. Nicht daß der Kärner nun Wasser trinken wollte, aber das Weinfaß mußte grad so viel Wasser trinken, als sie Beide Wein getrunken, und dann spundete er das Loch mit einem Stück Holz zu, und klopfte es fest und glatt mit einem Stein, und schob den Reifen drüber. »Werdens Die in der Stadt nicht schmecken?« meinte der Thurmwart. »Das Lumpenvolk! das Schindpack!« hatte der Kärner in den Bart gebrummt. »Das verdients gar nicht besser. Wie gehn sie mit unsereins um! Vor morgen wird nicht gezapft, und wies ihm morgen schmecken wird, das weiß Keiner heute.«

So viel entsann sich der Thurmwart von dem, was er mit dem Kärner gesprochen. Wie er wieder in den Thurm gekrochen, und die Leiter heraufgezogen, davon wußte er am Morgen drauf keine Sterbenssylbe. Ein armer Wärter, der um zwei Pfennige den Tag dient, legt nicht viel zu Wein zurück; und wer auf leeren Magen über den Durst trinkt, von dem fordern, daß er wachen soll, wär pure Unbilligkeit. Was der Thürmer in der Nacht geträumt, steht nicht in der Chronik von Gransee, aber als er des Morgens die Augen aufschlug, da glaubte er zu träumen, und als ihm der Lärm in die Ohren schlug, daß der Thurm unter ihm zitterte, wie ein Baum, daran drei Aexte hämmern. Und es war drunten und nächst herum so still, daß man den Maikäfer schwirren hörte. – Hans Lüddecke vom rothen Haus war ein schlauer Kriegsgesell. Aber in der Nacht hätte er nicht nöthig gehabt, seine Leute zu Fuß auf dem Bauch kriechen zu lassen, und die Hufen der Rosse mit Heu umwickeln, und den Geharnischten zwischen die Schienen Lumpen und Werg binden, daß der Stahl nicht klirre. Er hätte mögen mit Mann und Roß unterm Thurm seines Weges ziehen, der Mann oben hätte es nicht gehört.

Das war ein Sonnenaufgang für den Thürmer! die Sturmglocke und die Trommel und das Schwertergerassel und Eisenklirren in der Stadt, und das Gejauchze und Höllengeschrei der Bande und das Zeter der Weiber und Kinder. Unser Herr und Heiland! wir sind allzumal schwache Menschen; er lag auf seiner Zinne und wußte nicht, was er beten sollte. Aber bei sich dachte er: »es wäre für Dich nicht schlimmer, so die Ritter den Bürgern das Garaus machen, denn der Lüddecke und seine Spießgesellen, darum lassen sie dich nicht spießen, daß du vergaßest, ins Horn zu stoßen.« – Böse Gedanken straft der Herr. Sie brachen wieder aus dem Thore, und er sah die Jagd auf dem Felde. Die Räuber vorauf mit dem Vieh, das sie mit den Spießen vor sich trieben, und den vollgepackten Pferden. Und hinterdrein die Bürger, zuerst wenige, dann Viele, dann Alle. Ihm verging Hören und Sehen. Und nun war alles im Walde; auf dem Feld nur Staub, der sich mit dem Morgennebel mischte; und die Krähen flohen zu Tausenden aus den Büschen und kreisten in der Luft und sangen ihm ein häßlich Lied um die Ohren. Da raffte er sich auf, schüttelte die Weindünste fort und sprach: »Du bist auch nicht der erste, der diesem Land ein Valet sagt.« Er schnürte sein Bündel, das war nicht groß, stieg die Treppe hinunter, schloß die Pforte auf und schob den Riegel zurück, und stieß die Leiter hinab. Aber was Einer, wenn ers auch viel tausend Mal gethan, in der Angst thut, da hört das Geschick auf. Die Leiter glitt aus, und er war in seinem Thurm gefangen, bei zwölf Fuß mußte er springen. Einen Bündel auf dem Rücken und ein bös Gewissen in der Brust macht keinen Menschen leicht. Er fiel, und als er sich wieder aufrichten wollte, da war der Thürmer nicht mehr allein. Mit Stangen, Hacken und Picken standen die Frauen von Gransee um ihn, mit gar bösen Gesichtern und noch schlimmern Worten. Mit Frauen umgehen muß man lernen. Im einsamen Thurm lernt mans nicht. Aber wie die Weiber mit Männern umgehen, wo mögen sie das gelernt haben! Sie banden ihn an Händen und Füßen und warfen ihn wieder in den Thurm, daß die Männer, wenn sie zurückkehrten, ihn judicirten.

Das erfuhr jetzt der Schmied Martin aus den Reden der Base Walpurg und der andern Frauen. Er hatte aufmerksam zugehört und ward nicht bös, daß sie ihn höhnten.

»Base Walpurg«, sprach er, »und Ihr Andern! Ihr habt recht gehandelt, und ich will nicht sagen, daß ein blindes Huhn auch mal einen Waizenkorn findet. Wenn wir den Thürmer judiciren, dann sollt Ihr ihn zum Galgen führen, denn wie die That so der Lohn. Ihr habt ihn gefangen. Das ist schon recht. Aber – und er warf sich in die Brust – es haben Andere auch ihre Schuldigkeit gethan und mehr, und Ihr dürft die Männer nicht verlästern, einmal, weil das Weib Respect haben muß vor dem Mann, und dann zweitens, weil wir uns geschlagen haben zur Stadt Bestem, und so geschlagen, daß Kind und Kindeskind davon reden wird. Kommt mit mir,« rief er laut, »will Euch was zeigen! Wollten Euch überraschen, wenn wir einziehen, aber nein, jetzo habt Ihrs verdient, daß Ihr Alles wißt. Haben was gefangen, was mehr werth ist als aller Euer Kram, mehr werth, als der Schuft von Thürmer, der in seinen Sünden ersticke. Kommt mit, da liegt er, Hans Lüddecke schadet Denen von Gransee nicht mehr. Schaut ihn Euch an, und wer ihn fing, das war Martin der Schmied und die Schlosser und Schreiner!«

Zwölf Meilen in der Runde war er gefürchtet. Wenn die Kinder schrieen, sahen die Mütter aus dem Fenster und sagten: der Hans Lüddecke kommt! und die Kinder wurden still. Und nun lag er, an einen Pfahl gebunden, wie ein böser Bock, daß er nicht ausreißt, und die Kühe und Schafe grasten um ihn, als wär er nicht mehr denn ein Hirtenbub, der faullenzt. Sein Lederkoller klebte von Blut und Staub und war zerschlitzt, denn er hatte sich gewehrt wie ein Bär, und als sie ihm Schienen und Panzer abrissen, mochten sie auch nicht zum feinsten umgesprungen sein. Zwei Mal noch war er aufgesprungen und ihnen entlaufen; sie kriegten ihn wieder und warfen ihn und knieten ihm auf den Rücken, wie man nicht mit Edelleuten umgeht. Dann hatten sie ihm den Strick um die Handgelenke so geschnürt, daß ein Andrer geschrieen, und ihm schwitzte das Blut raus. Und zwei Meilen war er zu Fuß vor ihnen hergetrieben, und doch, wer dem grimmigen Manne ins Gesicht sah, fuhr zurück! Er war mehr gedrungen als groß und fast kahl auf dem Kopf, denn er war nicht mehr jung. Aber aus dem rothen krausen Barte gähnte ein breiter Mund mit einer Reihe weißer Zähne, die einem Wolfe Ehre gebracht, und zwischen den starken Backenknochen stierten ein Paar kleine, runde Augen, das waren Knecht Ruprechts Augen! Er hatte still gelegen, wie voll Tücke, aber als die Weiber kamen, und den Feind sahen, der ihnen so viel Weh angethan, da huben sie ein Geschrei und Schimpfen an, daß er wohl antworten mußte, und er gabs ihnen tüchtig wieder.

Das schickt sich aber nicht, daß man Einen, den man richten will, schilt vorher. Nachmalen, wenn der Stab über ihn gebrochen, ist noch Zeit dazu. Deshalb schickten die Herren, die oben saßen, herunter, und ließens den Frauen verbieten. Aber als die gehorchten, unwillig zwar, aber sie wurden doch still, lachte ihnen der Lüddecke ins Gesicht und stieß erst Flüche aus, wie man aber nur Frauen schimpfen kann. So mußten sies ihm wiedergeben, als ehrbare Frauen. Was sollten ihre Männer von ihnen denken! Da kams heraus und zu Tage, was Lüddecke ihnen gethan durch zwanzig Jahre und mehr; und er rühmte sich deß, und wünschte, er hätte es ihnen noch besser gegeben. Sie aber rühmten sich auch, was sie ihm Herzeleid angethan, und was Beiden ein Schmerz sein sollte, ward Beiden eine Lust.

»Hans Lüddecke!« sprach die Walpurg, »Du hast uns viel Böses angethan. Nun ists aus mit Dir. Du kannst uns nun nichts Böses mehr thun. Mit Dir ists aus.«

Der Raubritter pfiff zwischen den Zähnen. »Du pfeifst aus dem letzten Loch; drum ists recht, daß Du alle böse Lust ausbläsest. Denn was Du bei Dir behieltest, wär nicht gut für Dich. Wer zu viel Luft hat, kann wohl schwer ersaufen, aber am Galgen quält er sich länger, und in der Hölle fachts die Flammen desto mehr an.«

Da sprach Hans Lüddecke wieder: »Hast Du die Weisheit vom Blocksberg mitgebracht?«

»Ich vom Blocksberg!«

»Als ich Dich letzte Walpurgis auf dem Besen sah.«

»Mich auf nem Besen!« rief die Base.

»Just über meiner Burg,« sagte der Tückebold und sah sie mit einem Blick an, der als ein Bolzen ins Herz schoß der ehrbaren Frau. »Ihrer sieben oder zehn auf dem Rückweg trottirten durch die Luft. An den Unterröcken erkannt ichs gleich, die müssen aus Gransee sein. Schlug ein Kreuz: daß mir nicht eine in den Schlot fahre, oder was fallen lasse! Wahrhaftig, s war kein schöner Anblick.«

»Kannst Dus beschwören?« schrie die Walpurg glutroth.

»Daß Du eine Hexe bist! Aufs Meßbuch will ichs schwören. Und will sieben Eideshelfer dazu stellen.«

»Die sieben Raben über Deinen Leichnam, Du gottvergeßnes Schandmaul!« rief die Base und die Frauen mit ihr. Man weiß nicht, wozu es gekommen wäre, wenn nicht zwei starke Arme die Wittib ergriffen hätten und sie rissen sie zurück.

»Still! Achtung!« rief der Kämmerer Jochem Krickeberg. »Der Mann ist unter der Stadt Bann, und ist ihrem Spruch und Recht verfallen. Wer Hand an ihn legt, legt an der Stadt Recht seine Hand.«

»Er hat gelästert,« schrieen Einige. »Er muß Beweis geben,« riefen Alle.

Martin der Schmied wars, der von der andern Seite seine Base festhielt: »Der Mann kann nicht mehr schelten, zeugen und schwören, Base Walpurg. Eines Todten Mund ist kein Mund. Morgen hängt er.«

»Er hat gesagt, er hat mich reiten gesehen Walpurgis auf nem Besen durch die Luft, wiederholte das Weib in äußerster Aufregung. Das darf kein Freund und kein Feind sagen. Das ist meine Ehr, meiner Sippschaft Ehr, das ist der Stadt Ehr, die darfs nicht dulden.«

»Die Stadt darfs nicht dulden!« schrieen die Weiber.

»Er muß es beschwören.« riefen Alle.

Ja wer hätte die ehrbaren Frauen beschwichtigt! Kanns ihnen auch Niemand verargen. Was die Männer Vernünftiges vorbrachten, das waren nur Tröpflein Oels ins Feuer gegossen. Indessen hatte man den Gefangenen wieder auf die Beine gebracht, weil er in die Stadt sollte abgeführt werden. Als wie sich Einer zur Ruhe zwingt, wo es zum letzten geht, und es kocht doch in ihm, nahm die Wittib das Wort:

»Ihr Männer, hört mich noch mal an. Ihr führt das Regiment; so ists von Alters, und was von Alters ist, das ist Recht. Aber von Alters ist auch, daß Jedem sein Recht wird. Was ist nun mehr Recht, als daß Jeder den guten Leumund behält, der ihm gebührt? So Einer eine Stadt schilt, und sie kann sich nicht selbst helfen, so geht die Stadt vor den Kaiser oder den Markgrafen, und die geben ihr das Recht und strafen den Uebertreter. Sonst ists ein schlechter Kaiser und ein schlechter Markgraf. Eines Weibes guter Ruf, das ist ihr Bestes, aber ein Weib kann nicht streiten mit einem Manne. Dafür stehn die Männer. Wofür steht Ihr! Was hat der Hans uns gethan, das sei Gott geklagt! Geraubt, geschändet, gemordet und gebrannt. Dem Götze Röbeling, als er dem bei Nacht ins Haus brach, und schleppte das Weib des Röbeling mit und eine wendische Magd. Der Haderlumpen, das schlechte Weibsbild, blieb bei der Bande; aber die Frau, die mußt er, als Ihr ihn am Reinsberg drängtet, unds damals zum Vertrage kam, wieder rausgeben. Und sie ist wieder bei uns, so ehrlich als vorher. Denn Ihr zwangt ihn, daß er schwören mußte, er halte sie für ein ehrlich Weib, und da schworens die Aeltermänner auch aufs Meßbuch. Und nun ist sie ehrlich wieder als vorher, es kann Jede mit ihr in die Kirch gehn und sie zu Gevatter bitten. – Und ist das keine Schmach, die der Hans mit mir gethan? Bin ich ein wendischer Haderlumpen? Was, frage ich Euch? Bin ich kein ehrlich Bürgerweib, mein Mann saß zweimal auf den Bänken. Was! Er soll nicht schwören um mich? Was, Ihr hörts und schweigt, wie die Laken im Schauerfaß, und schlagt ihn nicht nieder, das Lästermaul! Ist Euch Euer Frauen Ehre nichts, dann seid Ihr Heiden und Antichristen; die Stadt verdiente unterzugehen als Sodom und Gomorrha.«

»Weib!« sprach der Kämmerer, »das ist nicht die Rede.«

»Bist Du taub worden, Jochem Krickeberg? Hat Hans Lüddecke nicht gesagt, er hat uns gesehn heimreiten von Walpurgis?«

»Auf nem Besen, über meine Burg, ihrer Sieben bis Zehn, eine häßlicher als die andre, aus Gransee Alle.«

»Steinigt ihn, zerreißt ihn!«

»Zerreißt mich nur,« rief der Ritter. Das Wundfieber schüttelte ihn und machte ihn so wild. »Dann bleib ich stumm.«

»Du sollst sprechen.«

»In den Thurm mit ihm,« sprach der Kämmerer.

»Da seht Ihrs, Weiber. Eure Männer selbst wollens nicht, daß ich spreche. Mögens nicht erfahren, wer ne Hexe zur Frau hat. Oder Jeder weiß es schon, und wills nicht, daß es laut wird.«

Er schaute sich boshaft im Kreise um.

»Zeige sie! Du sollst sie, Du mußt sie zeigen!« kreischten die Ergrimmten.

»Kannst Dus!« fuhr jetzt Martin auf, und auch der Kämmerer hielt es nun für Pflicht mitzusprechen: »Wenn Du unsere Weiber lästerst, bist Du Rechenschaft schuldig.«

»Muß sie mir einzeln anschauen,« sagte der Ritter, und musterte sie eine um die andere. Was bebten die wackern Frauen vor gerechter Lust, und die Finger krümmten sich.

Hans Lüddecke schüttelte den Kopf: »Jetzt scheint noch die Sonne, damals blinkerten die Sterne, das Frauenzimmer schaut anders bei Nacht als bei Tag. Und wie schmücken sie sich, wenn sie zum Banket vor ihren höllischen Liebsten reiten!«

»Damit kommst Du nit durch, Lügenmaul!«

»Wißt Ihr was, gute Leute, so Ihrs durchaus wissen müßt, heut Nacht wenn ich im Traum liege, laßt alle Eure Weiber auf Besen steigen, und aufs Dach reiten über mir. Dann krieg ichs raus; jetzt sehe ich sie nur von oben. Da scheint das anders.«

Da mußten sich die Männer mit Wehr und Waffe um ihn drängen, sonst wärs zum Aergsten gekommen. Die Weiber hätten die Stadt um ihr Recht gebracht. Als sie ihn nun abführten, und er bei der Walpurg vorbei kam, rief er ihr zu: »Schaust Du Wittib, Hans Lüddecke hat noch ein Loch, darauf er pfeift.«

< Fünfzehntes Kapitel.
Zweites Kapitel. >



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