Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Viertes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Die Wolken und Winde zogen am Thurme von Gransee vorüber, und schüttelten die Fahne, die an der Stange hing, die Raben flatterten um die Zinne, und die Störche flogen über die Köpfe der Sünder fort in die Länder, wo es wärmer ist. Aber nicht die Winde und Wolken, und nicht die Raben und Störche brachten Kunde zu ihren Freunden von ihrer Noth. Denn die Granseer hatten Wächter ausgestellt, so weit ihre Marken reichten.

Der Ritter und der Thurmwart froren und hungerten, denn der Herbst war kalt geworden, und ihr Brod ging aus. Der Ritter sprach wenig und kümmerte sich nicht um den Andern. Er saß mit unterschränkten Armen und stierte vor sich. Wenn aber sein Blick den Thürmer traf, schnitt es dem kälter durch die Glieder, als der kalte Wind. Er dachte, nun springt er auf, und würgt dich, und wirft dich über die Zinne, und dann ist er frei. Denn die Stadt hält ihr Wort, so lange der alte Andreas dort gilt.

Jeden Morgen kamen sie herausgezogen aus der Stadt, um von den Wächtern zu hören, was vorgefallen. Und sie wunderten sich sehr, wenn sie die Beiden so frisch und roth sahen als gestern, und sie sangen lustige Lieder. Dem Mathis war es wahrhaftig nicht ums Herz zum Tanzen und Geigen, aber Hans Lüddecke zwang ihn; und in der Frühe, ehe die Sonne aufging, färbten sie sich die Backen mit rothen Ziegelsteinen, die sie zu Mehl rieben. Das sollte ihnen vor den Bürgern das Aussehen geben, als wären sie recht gesund, und ihnen ginge nichts ab.

Am fünften Tage aber, vier Tage waren sie schon eingesperrt, hörten sie ein jämmerlich Geschrei: »Um Gottes Willen, ich halte es nicht mehr aus.« Da schlug und riß ihn der Lüddecke zurück, und man hörte, wie er ihn grimm anfuhr, aber die Worte hörte man nicht, denn der Wind ging zu stark.

Während sich aber Alle, jung und alt, Männer und Weiber, gewärtig dessen, was hinter der Zinne vorging, und sie sahen es nicht, herandrängten, merkten sie nicht das drunten in ihrer Nähe; und erst, da die Trompeten ihnen ins Ohr schmetterten, wurden sie des Zuges von Rittern und Reisigen gewahr, die links aus dem Walde vorschwenkten, viel hunderte. Das waren nicht Wegelagerer noch Raubgesellen; auch zieht so kein einzelner Rittersmann noch Landeshauptmann durchs Land. Nur Etliche waren in Erz und Eisen, obschon Alle wohl bewehrt beritten, aber die Mehrzahl trug stattliche Wämmser, bunt von allerlei Farbe und feine Mäntel. Einige in Federhüten, Andere mit Kappen, und wieder Andere in schlichten Tuch- oder Lederwämmsern. Auch sah man unter den Berittenen manche Kaputze und die violetten Mäntel, darin Prälaten über Land reiten. In Summa, es war ein Zug, nicht wie Pilger oder Kaufleute reisen, oder Ritter und Grafen sich heimsuchen in Freundschaft oder Feindschaft, sondern wie mächtige Fürsten durchs Land reiten.

»Ihr Männer von Gransee!« rief ein Herold, der voran geritten kam, und hob seinen Stab, daß ihn Alle sahen: »Was ists, das Euer Aug abzieht, daß Ihr Euren Herrn nicht seht?«

Da rief es von vielen hundert Stimmen zugleich, ja es waren ihrer Tausend, aus dem Walde und vom Felde her: »Hoch lebe Markgraf Woldemar! – Heil dem Lande, dessen Fürst wiederkehrt.« Da war alles umher wie verwandelt. Keiner hatte mehr Aug und Ohr für den Thurm und die Gefangenen, sondern für den alten Mann, der, in einer Eisenrüstung auf dem Roß und, einen Fürstenmantel um die Schultern, in ihrer Mitte hielt, und mit klugem Aug und ernstem, doch freundlichem Blicke sie musterte. Als wie durch einen Zauberschlag war es aus dem Boden gewachsen, ein wunderbar Schauspiel. Wo der Wind nur über Haidekraut und Wolken und Büsche vorhin strich, war wie ein Gartengefilde voll Tulpen und Lilien eine bunte Flur schöner und stattlicher Herren und hoher Krieger. Dazu bliesen die Trompeter in der Nähe und fernher aus dem Walde antworteten sie. Die Pauker schlugen auf, und jauchzende Stimmen ringsum, und die Hüte und Mützen flogen in die Luft, und wie wirbelnder Lerchengesang stieg der Name Woldemar ins Blaue. Denn, um das wunderbare Schauspiel noch schöner zu machen, theilten sich jetzt gerade die Wolken, und der Himmel breitete sich wie ein blaues Zelt über ihnen, die Sonne beschien die glänzenden Rüstungen, die bunten Gewänder und die stolzen Männergestalten auf ihren hohen Rossen.

Denen vom Rath, die beisammen standen, war gar seltsam zu Muthe. Denn grad auf sie fiel der forschende Blick des Fremden. Waren sie doch bei sich einig worden, was sie thun wollten. Aber in dem Augenblick hätte Keiner einen Laut vorgebracht, und sie Alle standen vor ihm in Ehrerbietung, wie Unterthanen vor einem König. Er hatte Boten in die Stadt gesandt; aber die hatten Niemand darin gefunden, und so überraschte er sie hier.

»Willkommen ihr lieben Bürger von Gransee,« hub der Fremde an. »Dank Euch, daß Ihr mir so weit vor die Thore entgegen kamt.«

Die Rathmannen neigten sich und hielten die Barette in den Händen, und Einer sah wohl den Andern an, aber Keiner sprach eine Sylbe.

Da spornte der Kanzler des Magdeburger Erzbischofs sein Roß vor und runzelte die Stirn: »Habt Ihr die Red verlernt, wie man zu seinem Landesherrn spricht?«

Der Rathmann Eitelberger, er war der Jüngste im Rath und etwas dreist, der trat vor, und sprach für die Andern:

»Haltet zu Gnaden, Ihr Herr, wer Ihr auch seid. Aber über dieses Land Brandenburg ist ein Markgraf schon, den Kaiser und Reich drüber setzten. Der heißt Herr Ludewig von Baiern; ist seit vierundzwanzig Jahren unser rechter Landesherr und sonst keiner. Und wir brauchen keinen mehr. Und die Grafen von Lindau und zu Ruppin sind dieser Stadt Lehnsherren; die haben uns wissen lassen, daß Einer ins Land kommen, der sich Woldemar nennt, und vorgiebt, der Markgraf zu sein, welcher vor so vielen Jahren zu seinen Vätern ging. Aber das Mährlein sollen wir nicht glauben, und wir glaubens auch nicht. Herr. Das thun wir Euch in Ehrfurcht zu wissen, sonder Gefährdung Eurer Rechte, wir der Stadt Gransee Rathmannen nach gutem Beschluß.«

Unter den Herren und dem Gefolge, die es hörten, wurde großer Lärm, und böse Gesichter wurden den Rathmannen gemacht. Einige sprachen, man werde ihnen das Maul aufreißen; Andere sagten, das fehle noch, daß Bürger und Bauer rathschlagen, wo die Herren entschieden. Und sie ließen ihre Rosse tummeln, daß Aufruhr entstand. Nur der Fremde selber blieb ruhig:

»Ihr Freunde,« sprach er zu Denen hinter ihm, »die Sach, die wir führen, heischet Geduld und nicht Jähzorn. Komm ich doch nicht in das Land, als ein Eroberer, vielmehr als ein Vater zu seinen Kindern. Einen Vater aber, den die Kinder lange nicht sahen, fürchten sie wohl, und es dauert eine Weil, bis sie lernen, daß er nur ihr Gutes will. Wie alt bist Du?« so sprach er zu dem, der das Wort geführt.

Der Rathmann Eitelberger antwortete und ward etwas roth: »Zu Weihnacht dreißig Jahr.«

Da wendete sich der Fremde lächelnd zu den Seinen:

»Seht Ihrs, wie soll der mich kennen, der in den Windeln lag, als sie mich zur Gruft trugen! Es ist ein ander, jünger Geschlecht hier, als das ich verließ. Aber märkisch Blut ists doch, treues, gutes. Ich lobe, daß sie dem Herrn treu sein wollen, den sie glauben, er ists.«

»Es ist nicht ihr Herr!« riefen da Alle von seinem Zuge und schlugen gegen ihre Schilde und klirrten mit Wehr und Waffen, wie man Einen erschrecken will und forttreiben. Und böse Schimpfworte stießen sie aus gegen den Baier Ludewig. Und unter das Volk, dessen immer mehr ward und mit ihnen schrie, ritten Einige und redeten ihnen zu und erzählten, was in Magdeburg und Havelberg geschehen, und Alle jauchzten: »Es lebe Woldemar!« »Woldemar von Anhalt!« »Der große Woldemar!« Nur die Rathmannen standen still.

»Nun, bei Gott, ists doch zum Zorn an der Zeit!« rief ein Anhaltischer.

»Will das verfluchte Nest allein widerstehn!« schrie Kurt Alvensleben, der Magdeburger.

Aber der Fremde hob den Stab und winkte ihnen Schweigen. Es war etwas Königliches in seinem Blicke:

»Scheltet mir sie nicht, diese guten Leute. Ich kenne meine Rathmannen von Gransee. Sie prüfen langsam, aber halten lange aus. Als Ihr noch Knaben wart dazumal, und ich zog aus wider die Feinde, als zehn Wetterwolken machten sie finster die Luft, da fiel Mancher vom Markgrafen ab, auf den er gebaut, wie auf sich selbst, Mancher, der ihm Treue geschworen, brach den Eid. Die ich mit Wohlthaten zuerst genährt, zückten die Schwerter gegen ihren Herrn. Meine Bürger von Gransee standen wie eine Mauer um mich. Das vergeß ich ihnen nimmer. Ich gelobts damals und heute halt ichs. Viel Städte schickten zu mir; ich komme vor Allen zu Euch.«

Die Rathmannen hatten nicht mehr Macht; das Volk jauchzte und jubelte und drängte um den Fremden.

»Wo Fürsten und Herren und Bischöfe untersucht und richtig erfunden, da wollt Ihr noch zweifeln und untersuchen?« fuhr sie der Kanzler an.

»Gnädiger Herr, was wollt Ihr?« sprach der von Alvensleben, als der Fremde vom Roß stieg, und kaum daß sies sahen, stürzten Bürger zu, ihm den Steigbügel zu halten; auch zween schon von den Rathmannen hoben den alten Mann herab.

»Meine alten Freunde mir suchen,« antwortete der Fremde und schritt langsam unter die Menge, die ehrerbietig vor ihm mich. »Ach, die ich kannte, sind nicht mehr,« seufzte er. Er berührte einen jungen Mann an der Schulter: »Dich selber kenne ich nicht, junges Blut, aber dem Vater wie aus dem Aug geschnitten. Das war ein wackrer Mann!« Und er ging weiter; da wuchs das Staunen über den schönen alten Mann, und seine Weisheit, und wie er sich der alten Zeit entsann. Nun wards ein Lärm und eine Thräne der Freude in Aller Augen.

Sie griffen nach seiner Hand und küßten seinen Mantel. Die Weiber schluchzten und hoben ihre Kinder auf, daß sie ihn sähen. Da stand Andreas Grote allein mit zween Andern. Die fragten ihn leis: »Wie wirds?«

»Das Mährlein wächst. Laßt uns nach Haus gehn, wir haben hier nichts zu thun.«

Aber wie er abwärts ging, rief ihn eine Stimme bei Namen.

Er wandte sich um, und Alle sahen ihn an, denn der Fremde richtete seine Augen auf ihn. Er schaute ihn so wehmüthig an.

»Das ist mein Name, Herr,« entgegnete der Altermann.

»Andreas! Und Du willst nicht zu mir.«

»Mein Weg und Eurer, die gehn wohl auseinander.«

»Mit nichten, alter Mann,« sprach der Fremde, »wir gehen Beide auf das Grab zu.«

»Mein Weg ist grad,« murmelte der Bürger.

»Dort am Tage der Schlacht führte ein wackerer Mann die Bürger. Er trug ein blau Wamms – die linke Backe hatte ein Pfeil gestreift – das Blut kleidete Dich gut, Andreas Grote.«

»Des Tags entsinn ich mich wohl, hoher Herr! Doch Euer entsinn ich mich nicht,« sprach der Alte mit Zaudern.

»Ich ward älter um viele zwanzig Jahr, und Deine Augen waren um zwanzig Jahr jünger.«

Wie der Bürgermeister ihm ins Gesicht schaute und die Narbe sah, die über Stirn und Backe ging, überkam den alten Mann ein Zittern, und wie der Fremde plötzlich die Hand ausstreckte, und mit einer Stimme rief, die wie aus tiefer Brust kam:

»»Hilf Dir Gott, mein Herr, so alle Tag als heut in Deinen Nöthen.««

»Hast Dus vergessen, die Worte, die Du sprachst, als Du mich aufhobst unterm Roß und ich lag an Deiner Brust? Ich habe sie nicht vergessen, Andreas, denn Du rettetest mir am Tage von Gransee das Leben.«

Da, wie er das hörte, wankte der alte Mann; er wollte die Hand an die Lippen drücken, aber er brachte sie nicht auf; er senkte sich auf ein Knie, und die Rathmannen alle mit ihm. Durch das Volk ging es: der alte Andreas hat ihn erkannt! und nun war kein Widerstehn mehr. Und hätte Einer mit Engelszungen geredet dawider, sie hätten ihn nicht gehört.

Dem Fremden stand eine Thräne im Auge, und er blickte gen Himmel, wo die Sonne jetzt hell strahlte, und aus der Stadt läuteten sie. Es war eine Wehmuth, die durch alle Herzen schauerte. Da faltete er die Hände und sprach ein still Gebet, und die Weiber beteten mit ihm, dann aber redete er zu ihnen noch mehreres, was Keiner aufgezeichnet hat, denn die es hörten, konnten es nicht fassen, so schön klang es und doch so fremd ihnen. Und seine Worte dünkten sie, grad als wie die Meereswellen, die beim sanften Abendhauch an die Küste ringeln, von der er ihnen sprach, und sie hätten ihm im Morgenlande die Seufzer zugetragen seiner Unterthanen aus dem Abendlande. Und so schloß er, daß er die Hand hoch aufhob und schwur: »So Ihr an mich glaubet, wahr und wahrhaftig, ich will Euch sein ein wahrhafter Fürst!«

Die Geistlichen riefen Amen! und der Kanzler ermahnte das Volk, Gott zu danken auf den Knieen, daß er dem Lande wieder einen christlichen Fürsten erweckt.

Einer, der von ungefähr dem zugesehen hätte, wie man etwas sieht, was uns nicht angeht, der hätte wohl zweierlei bemerkt. Einmal, wie immer stiller der alte Andreas wurde, und, auf seinen Stab gestützt, vor sich den Kopf schüttelte. Auf sein Wort glaubten es nun Alle. »Freilich, dachte er bei sich, das waren die Worte, die ich an jenem Tage zu meinem Herrn sprach, als er sich aufrichtete; aber die Worte habe ich nachmalen auch wohl Anderen wieder gesagt, und ists ein Betrüger, so kann er sie von Hörensagen wissen. Und solche Narbe trug er freilich desgleichen, und mag so ausgeschaut haben; aber meine Augen sind jetzt schwach und alt.« Der Kämmerer flüsterte ihm zu. »Nun ists zu spät, Andreas, denn auf Dein Wort glaubt es jetzt ein Jeder. Sei still, und die Sache ist gut.« – »Schlimm ist sie,« meinte der Altermann, »so ein rechtlicher Mann mitspielte in einer schlechten Sache.«

Das andere aber, das er bemerkt, wäre die Unart gewesen Einiger der Herren, die mit dem Fremden geritten kamen; sie schauten so übermüthig, als wären sie nicht sein Gefolge, sondern seines Gleichen. Insonderheit lachten die magdeburgischen Ritter unter sich und schwatzten, derweil der Fremde zum Volk redete und kehrten ihm gar den Rücken. Ja so laut wurden sie mitunter, daß die von den geistlichen Herren ihnen zuwinken mußten, sie möchten kein Aergerniß geben. Die Magdeburger, wie alle Welt weiß und schon gesagt ist, waren niemals gute Nachbarn den Brandenburgern; dazu war das Magdeburger Land von jeher ein reiches, und reiche Herren deuchten sich von je an mehr als arme.

Da, wie nun der Fürst sich anschickte, im großen Zuge zur Stadt zu ziehen, erhob sich hinten ein Lärm. Man hörte Stöße wie mit Mauerbrechern und Schläge von Aexten, und Geschrei, Fluchen und Lachen, wie es zu keinem solchen Tage und nimmermehr in Gegenwart eines hohen Fürsten sich schickt. »Sie brechen den Thurm auf!« schrie es im Volke, und so wars. Hans Lüddecke hatte, als er sah, was unten vorfiel, als ein kluger Mann geschwiegen, um abzuwarten, was da käme. Da er aber unter den Rittern Etliche erkannt, die ihm von Alters Freunde und Kumpane gewesen, hatte er ihnen zugerufen von seiner Noth, und daß sie ihn befreiten; und derweil der Fremde mit dem Volke verhandelte, sprengten die Ritter, ohne ihren Anführer zu fragen, das Thor, und waren dabei, ihn heraus zu holen. Und die andern Ritter, auch die ihn nicht kannten und nicht mochten, duldeten es; denn ein Ritter hält immer zum Ritter, wo es gegen die Bürger geht. Zumal aber wo Einem Ihresgleichen Schimpf angethan ist, meinen sie, er treffe sie Alle.

Des Fremden Gesicht verfinsterte sich, als ihm die Rathmannen in Kürze sagten, was vorgehe, und was vorangegangen, und die Brauen über den Augen zogen sich zusammen.

»Herr Christ im Himmelreich!« sprach jetzt der alte Andreas und trat vor. »So Du der wahrhafte Woldemar bist, zeigs itzo. Der Woldemar ließ sein nicht spotten, von keinem Mann, hoch oder niedrig.«

»Nein bei Gott! Er ließ sein nicht spotten,« wiederholte der Fremde, und stand, den stählernen Arm über den Hals seines Rosses gelehnt, als sinne er etwas nach.

»Hans Lüddecke nanntet Ihr ihn.«

»Ein böser Mann, der uns viel Schaden that.«

»Doch wer gab Euch das Recht, den Edelmann zu richten?«

Die Rathmannen neigten sich: »Herr, er ist geächtet seit Jahren und vogelfrei.«

»So mag ihn todtschlagen, wer ihn trifft; wer aber gab Euch Recht zu solch grausamem Spiel?«

»Hoher Herr!« nahm der Schultheiß das Wort. »Als wie uns das Recht ist, einen Mann zu rädern und zu köpfen, vermeinen wir auch des Rechtes zu sein, ihm Gnade zu schenken. Und so zween gesündigt, ist es an uns, daß nur Einer die Buße übernimmt und der Andre die Gnade. Desgleichen steht geschrieben: Mit welchem Maaß du missest, soll dir gemessen werden. Durch den Hans haben wir unverwindlichen Schaden, aber noch mehr Schreck gehabt, und eben desgleichen durch den Thürmer Mathias. Mehr Schrecken denn Schaden; so haben Gott es und die Heiligen gefügt. Um deshalb fügten wir mit Rechten auch so die Strafe, daß sie durch Angst und Schrecken gestraft würden Beide, und Einer büße für Zwei.«

»Mit Rechten habt Ihr gerichtet,« sprach der Fürst, »als dieser Stadt Obrigkeit.«

Wer hätte nicht vermeint, da ihn seine Kumpane losgemacht, daß der Hans Lüddecke die Zeit nutzen würde und entwischen; denn in dem Gewirr wäre ihm Keiner nachgesetzt. Aber die Magdeburgischen hatten ihm zu trinken gegeben. Der Wein auf nüchternem Magen steigt zu Kopf; und wild, als er von Natur war, und da er gute Kumpane sah, brauste er in seiner ungestümen Art auf. Wenn die Herren vernünftig wären, so hätten sie ihn überredet, daß er davon gehe. Aber sie freute die Weise, und wie er auf die Städter schimpfte. Also, statt die Gelegenheit zu nutzen, lief er als ein wüthiger Stier auf seine Feinde los, und die Ritter ihm nach, die ihre Lust gar nicht verbergen konnten, noch mochten. So geht es in der Welt. Den Magdeburgischen und den Andern war es ernster Ernst, was sie wollten, und Mancher hatte viel dran gesetzt zur Rüstung; aber einen Spaß wollten sie sich nicht verschlagen, wie es übermüthiger Leute Art ist, worüber kluge Entwürfe schon oft zu Schanden gingen. Denn auch den klügsten übermannt die Lust und Begier des Augenblicks; und das ist es, wie die Klugen sagen, was das Leben bunt macht und den Wandel bringt in die Geschichte. Ohnedem, wenn Jedermann klug handelte, und nichts thäte, das er nicht vorher erwogen, würde es anders aussehen in der Welt. Ob besser, des weiß ich nicht, denn sie sagen: alles das Große und Schöne, davon uns das Herz pulst, und der Muth schwillt, das sei eben wie das Böse, nicht das Werk der klugen Vorsicht, sondern der Drang des Augenblicks hat es geboren.

Die Ritter wunderte es, wie ihr Führer, auf sein Roß gelehnt, sie anschaute, als erwarte er sie und den Mann, der in ihrer Mitte lief. Mit hohem Tone sprach er:

»Dank Euch, meine Getreuen, daß Ihr den Mann dort vor seinen obersten Richter führt. Wollte Gott, daß alle meine Märker so eilten als Ihr, den Willen des Herrn zu thun, ehe denn er ausgesprochen wird.«

»Was solls denn?« sprach Kurt Alvensleben.

»Diese Bürger bringen ihre Sache wider diesen Mann vor ihren Fürsten und bitten um gut Gericht.«

»Gericht!« riefen Einige, und Andere: »Was vor Gericht! und: »Wozu Gericht?«

»Gericht!« schrie Hans. »Wer hegt hie noch Gericht!«

»Dein Herr und Markgraf«, sprach der Fremde.

» Mein Markgraf!« lachte der Raubritter. »Der sitzt im Vaterland. Kümmerte mich auch mein Lebtag nicht viel um ihn, aber er ist ein junger Mann, und das hier ist ein alter Mann.«

Der frechen Rede entsetzten sich Viele. Die geistlichen Herren insonders. Der Kanzler wollte reden, aber Kurt Alvensleben fiel ihm rasch ins Wort:

»Den Baiern aus dem Land jagen, das hat Eil. Gericht halten hat Weil.«

»Mit Nichten, Herr Kurt von Alvensleben. So einem Fürsten Unrecht begegnet, und er setzt seinen Fuß drüber weg, begeht er selbst Unrecht.«

»Da stieße Euer Fuß oft an, so Ihr um jed Unrecht, das Euch im Land begegnet, anhieltet«, antwortete der Magdeburger.

»Und darum, mein ich, komm ich in mein Land, Ihr Herren!« sprach der Fremde.

Da überschrieen ihn aber die Magdeburgischen, es sei auch unerhört, daß Schneider und Schuster sich erfrechten, den Blutbann über einen Ritter zu üben. Andere: »Einen Edelmann Hungers sterben lassen wie einen Leibeignen!« und noch Andere, das sei ein Schimpf, der himmelschreiende Rache fordere und nicht Gericht. Und der dicke Erxleben sprach dem Lüddecke ins Ohr: »Füg Dich ihm nicht, Hans, des soll er sich nicht unterstehn.«

»Ich mich fügen!« schrie Hans. »Barbier Du die Katz, wenn Du sie im Sack hast. Ich bin freien Mannes Sohn, und Du nicht, Woldemar, ein Betrüger bist Du.«

Da ward erst Schreck und Getümmel arg. Die wollten auf ihn los. Die rissen ihn zurück. Die Ritter stritten unter einander. Man sahs, wie Kurt Alvensleben auf den Lüddecke loseiferte. Der Kanzler war fast blaß und sprach zum Einen und zum Andern: »Soll darum das gute Werk verdorben sein von Anfang!« – »Und um den Trunkenbold!« sprach ein Anderer. Das schrie in einander, und Keiner wußte aus noch ein. Die Weiber aus der Stadt, die Walpurg an der Spitze, eiferten ihre Männer an. Die sahen auf den Andreas, und der stand still.

Die Herolde hoben umsonst ihre Stäbe. Es wollte Keiner Ruhe und Frieden; das Volk hätte mögen losschlagen auf den Lüddecke und die sich sein annahmen. Denen aber däuchte es mehr Ehre, für eines Ritters Rechte Alles dran zu geben.

Nur ein Mann stand ruhig als vorhin. Der schaute mit großen Augen vor sich, als durchschaute er sie Alle, und berühre es ihn wenig, daß der Lüddecke ihn einen Betrüger genannt. Als nun in den großen Verwirrungen der Kanzler auf ihn zutrat und ihm leise zusprach, daß er, um Aergerniß zu meiden, von dem Gericht abstehe, da der Lüddecke ihm nicht Rede stehen wolle, antwortete er:

»Er wird mir Rede stehen, mein fürstlich Wort darauf.«

Der Erxleben hatte seinen Arm dem Raubritter um die Schulter gelegt, und grinste ihm zu: »Antworte ihm nur, als Dir der Schnabel gewachsen ist. Der thut nichts.«

»Hans Lüddecke vom rothen Haus aus der Priegnitz, Du willst Deinen Herrn verleugnen?« sprach der Fürst ernst, aber er schaute nicht zornig.

»Petrus thats auch, fürchte Dich nit, Hans«, brummte ihm der Erxleben ins Ohr.

»Da sei Gott für«, fuhr der Fürst fort, »daß ich Einen zwinge zu glauben, was er nicht glaubt. Geh frei von dannen, Hans Lüddecke, und schrei in die Wälder, ich sei ein Betrüger.«

Alle schauten ihn groß an. Da trat der Fürst einen Schritt vor:

»Aber deß bin ich gewiß: nicht zum zweiten Mal hebst Du den Arm gegen den, der Dir schon ein Mal Dein Leben schenkte.«

Der Raubritter wollte aufblicken, aber er vertrug das Aug des Andern nicht. Er wurde roth.

Der Fremde neigte sich etwas zu ihm und sprach, es hörten nicht Alle; doch die es hörten, denen gings durch Mark und Bein:

»Hast Du die Wunde vergessen, die Deine Hand dort über Gransee mir schlug? Judas, es ist Dein Herr und Fürst

Die nahe standen, sagen, in dem Augenblick sei die Narbe an Woldemars Stirne, die man sonst wenig merkte, blutroth worden, als wie ein Himmelszeichen. Der Raubritter wurde blaß und roth, der starke Mann zitterte. Dann stürzte er nieder, als vom Blitz getroffen, und umfaßte die Füße des Gewaltigen:

»Er ist mein Herr und Fürst!« rief er. »Gnade mir Sünder!«

Da ward es still, daß man die Kiefernadeln fallen hörte. Woldemar hob die Hand gen Himmel:

» Ich bin kein Betrüger Euch!«

»Dann wandte er sich von dem Knieenden ab und als ein König schaute er frei umher.

»Der Mann unterwirft sich meinem Gericht. Und Ihr Männer von Gransee, wollt Ihr desgleichen dem Spruch Eures Markgrafen Euch unterwerfen?«

Alle riefen: »So sei es als Du sprichst.«

»Gott sei für«, sprach Woldemar, »daß mein Fuß auf der Schwelle meiner theuren Heimath in Blut ausgleite. – Dieser Mann hat Euch geschädigt, wie Ihr sagt, durch Angst mehr denn durch Thaten; also hat er seinen Lohn weg dadurch, daß er in Todesangst auf dem Thurme fünf Tage lebte. Ihr seid quitt, das ist mein fürstlich Gnadenwort. Er schwört Euch Urfehde, daß er sein Lebelang Euch nicht lästigt und kränkt. Das ist mein Wille. Und ich bin sein Bürge.«

Hans Lüddecke schlug heftig an seine Brust. Worte konnte er nicht vorbringen.

Da hob der alte Andreas Grote seine Arme und sein Auge leuchtete: »Gnade mir Gott! Ihr lieben Mitbürger, er ists! Es ist der Markgraf. So kann nur Woldemar richten!«

Und nun brach ein Jubel aus, wie er noch nicht gewesen. Der alte Bürgermeister stürzte auf die Knie und bat den Fürsten um Vergebung, daß er noch an ihm gezweifelt. Alle, die da waren von Bürgern und Volk fielen desgleichen zu Boden. Das ist nicht Märkische Sitte und auch nicht Deutsche, daß Freie vor einem Fürsten knieen – wo es geschah, da kam es aus der Fremde herüber – aber den Fürsten hatte ihnen Gott geschenkt. Er war gekommen, wie aus einer andern Welt. Da gelobte Mancher, um das Wunder, zu wallfahrten nach Heiligengrab und nach Zehdenick. Wer Böses in sich trug, der gelobte fortan ein christlich Leben zu führen. Und die Weiber schluchzten, und hielten die Kindlein vor sich, daß sie ihn schauen sollten, den Mann des Heils und mit ihren Händlein anrühren sein Gewand. Auch von den Magdeburgern stand Mancher, als habe ihn der Blitz gerührt. Sie schauten vor sich hin und falteten die Hände. Die Prälaten schauten aber zumal gar zufrieden, und da die Glocken in der Stille wieder anhuben, erhob der Kanzler die Hände und stimmte den Gesang an: gloriam in excelsis, und die Andern stimmten ein. Und wer nicht einstimmte, faltete doch die Hände zum Gebet. So setzten sie den Zug fort in die Stadt.

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