Willibald Alexis
Der falsche Woldemar
Neunzehntes Kapitel.
eingestellt: 23.7.2007
Bei Heinersdorf im Lager stand ein altes Herrenhaus mit vier Thürmen an den Ecken. Hohe Rüstern, die an dem Graben darum wuchsen, beschatteten es, daß es finster aussah, und ihre Wipfel schlugen bis in die obersten Fenster. Heute steht es nicht mehr; es ist auch keine Spur mehr davon. Das brandenburgische Wappen und das von Anhalt hing dazumal groß über dem Thorweg, aber nicht in Stein gehauen oder in Holz geschnitzt, man hatte sie erst jüngst darüber gehängt. Vor dem
Thore und auf der alten Brücke hielten Tag um Tag und Nacht um Nacht vier geharnischte Männer Wache, in Eisen vom Wirbel bis zur Zeh, zween mit langen Hellebarden und zween mit Morgensternen. Im Hofraum aber standen zehn Rosse allzeit gesattelt und zehn Reisige lagen umher unter den Hallen oder spielten an den Feldtischen Würfel, alle gewärtig aufzusitzen, um als Boten über Feld zu jagen. Wurden jeden Tag abgelöst und doch war der Dienst schwer, so mußten sie hin und hersprengen, und kaum daß
Einer den Harnisch abgeschnallt und das Lederkoller ausgezogen, mußte er von der Streu wieder auf zu neuem Ritt.
Die Wachen thaten noth und die gesattelten Botenrosse desgleichen, denn nicht in den Wohnungen der Fürsten, ja nicht um das Zelt des Kaisers war so viel Verkehr und gingen so viele Herren und Boten ein und aus. So bei Tage, als bei Nacht, nur daß die zur Nachtzeit kamen, sich in ihre Mäntel hüllten und die Kaputzen tief ins Gesicht drückten, und, wenn die Schildwachen ihnen
den Speer vorhielten, riefen sie ihnen verstohlen die Losung zu. Die Treppen und Flure standen jeder Tageszeit voll von Kriegern, Geistlichen und Bürgern, zumal den Bürgermeistern und Verordneten der Städte. Einige brachten Geschenke, Andere wollten sie holen, das ist, Versprechungen, Freiheiten, oder was man in Handfesten aufschreibt. Der Kaiser lag in seinem prächtigen venetianischen Zelte; in dem Herrenhause lag der alte Woldemar von Brandenburg. Keiner sah ihn mit Augen, und er war doch
überall und hörte und sah Alles.
Im Vorgemach über der Treppe hielt ein Ritter Wache vor der Thüre des Markgrafen. Vom Kopf bis zur Fußspitz stak der untersetzte Mann in seinem schwarzen Harnisch, als in einer Hülse, die so grob war als der Kern, und lehnte auf der Hellebarde; die hatte eine zweischneidige Spitze, drei Köpfe hoch, und zu beiden Seiten starrten geschliffene Beile mit Widerhaken. Aber ich weiß nicht, wovor Einer sich mehr fürchtete, vor seinem Spieß oder seinem Gesicht.
Häßlich war es, wenn er den rothen Bart auf den Arm legte und den Mund aufthat mit den Wolfszähnen, und anstierte mit den blitzenden kleinen Augen die Leute umher, die warteten. Es kannte ihn Mancher von den Bürgermeistern, und wäre ihm lieber gewesen, so er einen Andern hier traf. Aber besser ihm begegnen vor der Thür des Fürsten als in der Haide.
»Wer bist Du?« rief zornig der Sachsenherzog Rudolf, der mit seinen beiden Söhnen hineingehen wollte, und der Ritter hatte ihn
abgewiesen.
»Schildwacht,« antwortete der Ritter.
»Weißt Du, wer ich bin?«
»Was sollt ichs nicht wissen,« antwortete er ruhig.
»In des Geiers Namen, und wer untersteht sich, seinem Herzog die Thür zu sperren?«
»Ihr seid nicht mein Herzog.«
»Und wie heißt Du?«
»Als Euch beliebt Hans Lüddecke vom rothen Haus.«
»Die Hölle ist Dein Haus,« fuhr der Herzog auf.
»Kann sein, daß wir da mal zusammen
treffen.«
Die Söhne mußten den Herzog zurück halten; zischelten ihm zu, daß es ein schlechter Mann sei; gegen den schicke sich nicht, daß ein Fürst sich erboße. Aber er hörte nicht:
»Läßt Du mich nicht ein?«
Der Lüddecke schüttelte den Kopf: »Laß Euch nit ein.«
»Wer hats Dir verboten?«
»Der mein Gebietiger ist.«
Da nahm rasch der eine Sohn des Herzogs das Wort: »Daß der es wisse, der Herzog von Sachsen mit seinen Söhnen will ihn
sprechen.«
»Das weiß er schon.«
»Und was.«
»So er Euch sprechen will, läßt ers Euch wohl auch wissen durch die Kämmeriere.«
Herzog Rudolf knirschte mit den Zähnen. Das ist auch arg, daß ein Herzog von einem Thürwärter wird abgewiesen, und vor allen Leuten, und vor wessen Thür! Die Söhne drängten sich zwischen ihn und den Hans Lüddecke, und der Herzog von Mecklenburg, der auch da war, faßte ihn bei der Hand und sagte:
»Gevatter! S
ging andern Leuten auch so.«
»Höll und Teufel!« prustete der Sachse auf. »Der Hundekerl erdreistet sich –«
»Sein Part gut zu spielen,« fiel ihm der Mecklenburger ein. »Um aller Heiligen willen, seid still. Heut ist Gericht. Oder sie rufen Euch als Zeugen auf wider ihn.«
»Ich wills ihm gradraus sagen, was ich von ihm halte. –«
»Nur heute nicht. Ihr verderbt Alles.«
»Es sind Andere bei ihm,« flüsterte ein Kämmerer.
»Wer
ist bei ihm, der dem Herzog von Sachsen vorgeht?«
»Pfaffen und Weiber,« flüsterte der Mecklenburger. »Macht Euch die nicht zu Feinden. Ließ er doch gar den Kanzler des Kaisers warten.«
Da sie ihn fortzogen, warf Herzog Rudolf noch einen grimmigen Blick auf Hans Lüddecke. Der mochte bedeuten: »Wenn ich Dein Herr bin, ist Dir der Galgen sicher.«
»Und wer Pech anfaßt, darf sich nicht wundern, so er schwarze Hände kriegt,« sagte der Mecklenburger. »Die schwarzen
Flecke, Gevatter von Sachsen, waschen wir rein mit den Bisambüchslein und duftenden Salben, und des Baiern Erbschaft.«
»Hol ihn der Teufel!«
»Das wird er, Gevatter. Und wenn der ihn geholt, holen wir den Teufel.«
»Euer Liebden würden gut thun zu bedenken, wo wir sind,« sprach der Fürst von Dessau, der ihnen begegnete, und ein sehr ernsthaft Gesicht hatte. »Was soll das Volk hier dazu sagen, so es das von seinen Fürsten sieht.«
»Was kümmert uns das
Volk,« brummte der Sachse und warf sich in einen Sessel im Nebengemach. »Wollte, man könnte die Sache leichter haben.«
»Dazu brauchen wir das Volk,« sprach der Kanzler des Erzbischofs von Magdeburg, der eben zu ihnen getreten war, eine Rolle in der Hand. »Das Volk und sein Glaube thut uns noth. Denn ohnedem, Gott weiß, was daraus wird. Erlauchte Fürsten, beim heiligen Moritz, Ihr thut nicht gut, daß Ihr die Sache so leicht nehmt. Das Volk lacht nicht, es murrt, daß es seine Fürsten
lachen sieht.« –
»Bei allen Teufeln, schau ich nicht ernsthaft genug!« rief der Mecklenburger.
»Was ist Euch, Kanzler?« fragte der eine Sohn des Sachsen. »Ihr schaut, als wäre Euch was Unerwartetes begegnet.«
Der Kanzler schaute sich um, ob kein Lauscher zugegen war. Dann legte er die Rolle auf den Tisch: »So füge der Herr, der es mit seiner Kirche wohl meint, die Sache als er Lust hat. Wir haben es mit einem Trotzkopf zu thun. Durchlauchtige Herren, Ihr
ließet das Gängelband zu lose, ihm zu viel Freiheit. Mein Herr, der Erzbischof hat Euch umsonst gewarnt. Weil ihm dies und das glückte, wo er frei handelte, überschätzt er sich. Er will nichts von dem Conceptum wissen, das wir ihm aufgesetzt. Litt nicht einmal, daß ich es ihm vorlas.«
»Will reden, als ihm der Schnabel gewachsen ist,« sagte der Mecklenburger. »Was thuts? Auf Worte kommts nicht an.«
»Er weiß gut zu reden,« bemerkte der Fürst von Dessau, »daß es zum Herzen
dringt. Das gewann ihm die Herzen.«
»Was gehts uns an!« sprach Herzog Rudolf.
»So er sich verredet, bringt Ihr ihn wieder in die Richte.«
»Doch fordert die Ordnung eines guten Gerichts, daß wir ihm Fragen, schwere Fragen vorlegen.«
»Wozu denn das?«
»Weil das Gericht vor der Welt Gültigkeit haben, weil, was er aussagt und wir niederschreiben, zu Ewigkeit bestehen soll. Nun ist es leicht möglich, ja wahrscheinlich, daß ein so alter Mann Vieles
vergessen hat, was er wissen müßte. Vor uns schadet das nicht. Wir wissen, daß die Geisteskräfte mit dem Alter abnehmen. Aber vor der Welt schadet es, vor dem Volke, vor unsern Feinden. Um deswillen mochten wirs verantworten, vor uns und zu seinem Besten, daß wir ihn auf Fragen aufmerksam machten, die unvermeidlich sind und doch schwierig zu beantworten.«
»Schad, daß er nicht Lateinisch weiß,« lachte der Mecklenburger. »Wo die Pfaffen nur Lateinisch reden können, wird ein X aus
dem U.«
Der Kanzler des Kaisers war auch zugetreten. Sein Gesicht war heiterer als das des Collegen von Magdeburg. Er hatte die letzten Worte gehört.
» Scripta manent!« rief er ihm zu und drohte scherzhaft mit dem Finger. »Vernichtet die Schrift, Herr Kanzler. Fort mit den geschriebenen Zeichen, die auf Pergament stehen bleiben. Ich hege keine Sorge. Er weiß Alles, was er wissen muß, eher mehr noch, als er wissen sollte. Zudem, es wäre nicht immer gut, wenn Alles
zu Ewigkeit bestände.«
»Die Gerechtigkeit doch, Herr Kanzler!« sprach ernst der Dessauer.
»Die ewige, Durchlaucht, die, so wir nicht fassen, allerdings. Aber was wir schwache Menschen mit unserm Verstande davon fassen und als Urtel setzen, ist und bleibt Menschenwerk. Alles Menschliche aber unterliegt dem Wandel.«
»Herr Gott, entweder er ists, oder er ist es nicht. Das ist die Frage,« sagte Albrecht von Dessau.
»Vor Gott. Vor uns, durchlauchtiger Herr,
ist es doch eine etwas andere.«
»Wie schnitzt Ihr sie zu?«
»Das römische Recht unterscheidet den Besitz vom Eigenthum. Wer besitzt, oder besitzen sollte, ist allerdings in einem Rechte, das man schützen muß; doch nur so lange, bis ein Anderer sein besser Recht darthut. In unsern Augen ist dieser Mann, versteht mich wohl, in diesem Augenblick, der Markgraf; er hat es, oder er wird es mit solchen Beweisen darthun, die wir, bei sothanen Dingen anerkennen müssen. Unser Zweck
wird erfüllet, der Unsicherheit zu steuern, kurz, zum allgemeinen Besten –«
»Wo wir das unsere nicht ausschließen,« unterbrach der Mecklenburger.
»– einen Rechtstand festzustellen. Wäre nun aber nicht, ich sage nicht, daß es so wird, aber es wäre möglich, daß uns später eine andere Einsicht käme.«
»Und diesen möglichen Fall im Voraus unmöglich machen, könnte unrecht scheinen,« fiel der Magdeburgische Kanzler ein.
»Nennt es sogar vermessen,
in einer Stunde für die Ewigkeit zu urtheilen.«
»Der Kaiser will ihn also nur für den Augenblick anerkennen?«
»Das hab ich nicht gesagt, ein Urtel muß bestimmt lauten. Aber jedes menschlich Bestimmte ist nicht so bestimmt, daß eine bessere Einsicht es nicht wieder umwirft. Und der vorzugreifen durch so feste Satzungen –«
»Wäre Frevel gegen Gottes Weisheit. Ich unterwerf mich Eurer höheren Einsicht,« sagte der Magdeburger.
»Ihr schaut so
vergnügt?« sprach er bei Seit zum kaiserlichen Kanzler.
»Er hat unterschrieben.«
»Die ganze Lausitz?«
»Davon nachher. Starrköpfiger wie ein Castilier, sage ich Euch, versessener wie ein Römer. Mit einem Welschen ist es leichter verhandeln, wenn man ihm etwas abzwacken will. – Seid froh, daß Ihr Plauen habt. Die hier, seid versichert, er läßt ihnen nicht drei Hufen.«
»Aber man sagt, daß Seine Majestät für sich auf die ganze Mark –«
»Vorerst gar nicht daran zu denken! Als müßte er sein halbes Herz ausschneiden, um nur die Lausitz abzutreten. Wäre das Gericht vorher gewesen, wir hätten ihm nicht drei Städte abgepreßt.«
»S ist wunderbar!«
Da ging die Gräfin von Nordheim an ihnen vorüber. Ihr Gesicht glänzte. Heinrich führte sie an der Hand. Sie neigte sich vor dem Fürsten, mehr huldreich als demüthig.
»Was hat denn Die erlangt?« fragte der Magdeburger.
»Gott weiß es. Uns kümmert
es nicht. Mein Herr, der Kaiser, hat eine Furcht vor klugen Frauen, die mir immer sonderbar dünkt bei einem so weisen und mächtigen Mann.«
Da traten in ein anderes Zimmer der alte Albrecht von Dessau und sein Neffe Woldemar. Der junge Graf war festlich geschmückt, als wir ihn noch nicht sahen. In Seide und Stickereien der Wamms, ein fürstlicher Mantel wallte von seinen Schultern, sein Arm ruhte auf dem zierlichen Degengriff, und stolz war seine Haltung. Sein Blick war mehr als ruhig;
es lag darin ein trotziger Entschluß.
»Du willst es doch?« fragte der Oheim.
»Ich wills.«
»Und so ichs Dir als Aeltester des Hauses untersagte.«
»Ich kenne keine Pflicht, daß ich darum Euch gehorsamte.«
»Ich weiß es,« sprach der Alte. »Du gingst von jeher Deine eigenen Wege. Dein Herz ist gut, Dein Sinn adlig, auch Dein Verstand –«
»Reif, Ohm, um das Gute vom Schlechten zu unterscheiden, die Ehre von der Schande, den graden,
ehrlichen Weg, der dem Ritter und Fürsten ziemt, von dem der Hinterlist und der Ränke, dem der Pfaffen und Schreiber.«
»So zögere mindestens, mein Neffe. In dieser Stunde noch wird der Kaiser Gericht hegen.«
Woldemar lachte auf: »Dies Gericht! So wollt Ihr vielleicht lieber, daß ich vor die Schranken trete, vor Kaiser und Fürsten als ungerufener Zeuge, daß ich rufen soll: Haltet inne, Ihr weisen Richter! Wahrt Euren guten Leumund! Dieser Mann ist ein Betrüger; ich schwörs,
ich Woldemar von Anhalt, bei Gott und seinen Heiligen! Nein, Ohm, das wäre zu spät. Ich will den deutschen Fürsten die blutige Schamröthe auf ihren Wangen ersparen; mein heiliges Vaterland von dem Vorwurf retten, daß seine Fürsten ein Gaukelspiel für ein gut Gericht geben; meiner theuren deutschen Nation, ersparen will ich ihr das herznagende Wehgefühl, daß sie ihre Fürsten, statt für Väter und Führer zum Guten für Ränkeschmiede hält, die um die Gnade des Kaisers ein falsch Urtel sprechen. Ja,
um diesen Kaiser selbst, er ists, die Fürsten erwählten ihn; vor den fremden Völkern soll Deutschlands König nicht gebrandmarkt dastehen, als – ich weiß nicht was. Denn Aehnliches an Schande trug sich nie zu, seit Herrmann Germanien frei machte. Nein, Ohm, den Flecken will ich auswaschen, ehe er zum Stempel wird, der von Geschlecht zu Geschlecht forterbt, der nagt an der deutschen Kraft, an dem reinen Bewußtsein meines Volkes. Itzt ist es noch nicht zu spät. Hier, wenn er vorübergeht, will
ich sprechen zu ihm, als Fürst, als Ritter, als Deutscher Mann –«
»Und wenn er auf die Worte des Knaben nicht hört?«
»Gehe er dann zu seinem Gericht. Ich habe keinen Theil an ihm. Das, Ohm, will ich ihm sagen.«
»Er ist ein alter Mann und Du ein Jüngling.«
»Doppelte, dreifache Schande! Einer, drei Schritte vom Grabe, der ein Volk um seinen Glauben und seine Seele um ihre Seligkeit betrügt.«
»Woldemar!« sprach der Oheim bewegt. Es
lastete ihm viel auf der Brust und wußte nicht, wo er anheben sollte: »Du wärest ohne ihn noch ein Gefangener. Hättest Du gehört, wie er in unserm Rathe für Dich sprach, er allein; mir selbst kam das Lösegeld zu hoch, unerschwinglich vor. Er drang durch. Ist das Dein Dank?«
»Vielleicht. Denn so er umkehrt, ich war sein Wegweiser, dann hab ich ihm den Dienst dreifach gelohnt, um den ich ihn nicht einmal bat.«
»Neffe! Lieber! Es geht nicht mehr, bei allen Heiligen, es geht
nicht. Sie, er, wir Alle sind zu weit vor. Bei Gott, lieber Woldemar, ich achte Deinen adligen Sinn, Du bist ein wahrer Ritter. Nun muß es sein, wünschte es wäre auch anders.«
»Was muß sein?«
»Der Kaiser, die Fürsten! Sie können nicht zurück, ich kann es auch nicht. Du darfst es nicht. Sollen alle die Blitze, die in dem schweren Himmel zücken, sich auf Dich entladen? Deß bist Du, sind wir nicht stark. Des Kaisers Feindschaft und der Fürsten Groll zerdrückt uns.«
»Oheim, ich könnte Dir antworten, ich fühle Muth, ja rechte, innige Lust, in dies Wespennest zu stechen, und wenn ich unterginge. Aber Scham und Schande, wenn in Deutschland kein Gericht ist, davor die Wahrheit zu Recht besteht.«
Der alte Fürst hatte sich in einen Stuhl geworfen, er war wieder aufgestanden und faßte seines Neffen Hände:
»Die Wahrheit ist, daß wir ein Recht auf diese Lande haben, ein heilig Recht. Die Wahrheit ist – Machs mir doch nicht so schwer,
Junge. Lernte nicht reden als die gelehrten Zungendrescher; meinte auch, ich hätte es nicht nöthig, wo ich zu meinem liebsten Erben und Neffen spreche, zu unserm, zu seinem Wohl, für das der alte Mann allein gearbeitet hat. Wenn Du gute Gründe willst, solls Dir unser Geheimschreiber auseinander setzen. Ich habe guten Grund, bei Gott, das hab ich. So hör mich an. Sie sind falsch, Alle. Das sind sie, stecken voller Ränke, Einer hinter dem Rücken des Andern. Nur Einer, ders redlich meint, der klar
sieht. Er! Ja, Neffe, Er! Siehst Du, ich kanns Dir nicht so wieder sagen, was er sagte, aber ich schwörs Dir zu, wenn mans so hört, man verwundert sich. Er meint es gut mit uns; mit Dir, der Dus an ihm nicht verdienst. – Du wirst Markgraf, Du allein über alle Marken. Dich setzt er zum Erben ein, durch Testament und Wort, vor Kaiser und Reich will ers durchsetzen, sobald sie ihn anerkannt. Das thut er für Dich, und hat Dich nie gesehen, und was willst Du thun?«
Woldemar
schwieg.
»Geh, laufe hin. Sag es den Andern, verrathe ihn, was er um Dich Gutes sinnt. Sie werden Dirs danken. Und wenn sie itzt an ihn glauben, als an die unbefleckte Jungfrau, dann glauben sie mit einem Male nicht mehr, dann ist er ein Betrüger.«
Der Neffe faßte den Oheim scharf ins Gesicht.
»Glaubst Du an ihn, Oheim Albrecht?«
»Ich habe geglaubt – ich glaube – ja ich glaube auch noch, wenn –«
»Wenn Du Dich zum
Glauben zwingst, im Glauben, daß es zu unserm guten Rechte ist. Ohm, der Glaube ist mir nicht genug. Ich wäre gern Markgraf, beim Allmächtigen, ich wollte diesem Lande ein guter Fürst sein. Opfer wollte ich darum bringen, zehn Jahre meines Lebens, einen Finger, ein Aug, ich wollte mit dem andern das Rechte sehen. Das Opfer, was Du forderst, ist zu groß. Den Fürstenhut mag ich nicht, der in einem Schmutzgraben lag.«
»Unsinniger!« sprach der Oheim. »Er ist ein Greis. Er führt den Namen,
Du wirst schon bei seinen Lebzeiten Herr sein.«
»Liebe nicht die Puppenspiele, ob ich den Draht führe oder dran geführt werde.«
»Du wirst –«
»Ihn anreden, Oheim.«
Draußen bliesen jetzt die Drommeter, nicht als zur Schlacht, es war eine feierlich langsame Weise, die Thüren gingen auf, und die Herolde schritten mit weißen Stäben vorauf, vor männiglich verkündend, daß der durchlauchtige Markgraf Woldemar sich freiwillig dem Gerichte des Kaisers
stelle. Da lehnte sich der alte Fürst von Dessau ans Fenster, und schaute finster nieder. Er hatte keine Gründe mehr für den Neffen. Er grollte ihm und sich; aber er hätte ihm um den Hals fallen mögen.
Der Zug war lang und feierlich. Hans Lüddecke führte die Geharnischten. Viele märkische Ritter in Stahlrüstung und in geschmückten Wämsern gingen Paar um Paar; auch Verordnete der Städte und ihre Bürgermeister. An Geistlichen fehlte es nicht. Mit so viel Pracht und Gefolge schreitet
selten Einer zu Gericht.
Nun kam er selbst. Nicht im Silberharnisch, auch nicht im Hermelinkleid. Den Kurfürstenhut und den Mantel trugen ihm zween Edelknaben auf Kissen vorauf. Er selber ging in einem schwarzsammtenen Rock, schlicht, sonder Stickereien; nur das Schwert hing an einer silbernen Kette um seine Hüften. Er hatte gemeint, es zieme nicht für Einen, der erst sein Recht empfangen soll, daß er im Voraus mit dem Kleid der Ehren sich schmücke. Aber einen Schmuck gaben Kaiser und
Reich ihm nicht. Den konnte er auch nicht ablegen, und doch war es der schönste. Das Silberhaar, das ihm um die Schultern wallte. Gab keine bessere Stickerei auf dem schwarzen Sammet.
»Ein schöner Greis«, murmelten sie. Aber es war todtenstill, da er eintrat.
Der alte Markgraf ging aufrecht. Sein Auge blickte freundlich umher. Huldreich neigte er sich, dieweil die Andern sich tief beugten. Einige senkten, als ergriffen von seinem Anblick, das Knie. –
Da sah
ihn Woldemar zum ersten Male. Aufrecht stand der Graf, die Linke am Degengriff, die Rechte hatte sich geballt. Das Barret saß stolz auf seinem Scheitel, die Lippen hatte er halb geöffnet. Aber die Lippen schlossen sich wieder, die Finger lösten sich, und er senkte die Hand. Er zog den Fuß, der trotzig einen Schritt vorgethan, zurück, und, da Alle das Haupt entblößten, wars ihm, als müßt ers auch thun. Er hielt das Barret in seiner Hand, er wußte nicht, wie es kam, und starrte in des Greises
Antlitz. Der nickte ihm zu: »Gott mit Euch mein Vetter, auf allen Euren Wegen!«
Da er fort war, gaffte ihm Woldemar lange nach.
»Was ist Dir?« fragte der Oheim.
»Laßt uns ihm nachgehen«, sagte der Graf. »Itzt konnt ichs ihm nicht sagen.«
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