Willibald Alexis
Der falsche Woldemar
Einundzwanzigstes Kapitel.
eingestellt: 23.7.2007
Die Trommeln wirbelten durch das Lager und an allen Ecken schmetterten die Drommeten, und der kaiserliche Herold rief es aus an allen Plätzen vor unzähliger Menge Volkes und Kriegsleuten, was das Gericht entschieden, und der Kaiser hat es bestätigt. Und Boten flogen mit der Meldung nach allen vier Winden, und überall war große Fröhlichkeit.
Im Zelte des Kanzlers aber saßen die Schreiber und schrieben auf, was des Kaisers Kanzler ihnen vorsprach, und viele
Bürgermeister und Verordnete warteten, alle gar frommen Gesichts. Das Haus Anhalt war stets guten Angedenkens in Brandenburg. Und so fertigte der Kanzler heut Briefe aus, Namens Kaiser Karl des Vierten, an die Städte Berlin, Köln, Spandow, Köpenick, Strausberg, Bernawe und Eberswalde, – andern Tages sollten noch mehre geschrieben werden, – daß der Kaiser den Fürsten Woldemar seinen Schwager, als rechtmäßigen Markgrafen zu Brandenburg, Landsberg, und als des heiligen römischen Reiches
Erzkämmerer anerkenne, und gebiete, daß sie ihm getreu sein sollten; aber daß dieselben zum nächsten Michaelistage zween Rathleute, jede, aus ihrer Mitte, wohl mit Vollmacht versehen, mit dem Herzog Rudolf von Sachsen, und anderen Herren, zu ihm nach Böhmen senden sollten, allwo er die wichtige Sache weiter verhandeln wolle.
»Aber,« sprach ein Bürgermeister leis, »er hat ihn ja schon feierlich belehnt; was bedarfs da noch die Sache weiter verhandeln?«
»Der Kaiser liebt das
Unterhandeln,« zischelte ihm ein zweiter zu.
»Belehnen kommt von Leihen,« sagte ihm lächelnd ein Rechtsgelehrter. »Wem ich etwas leihe, dem gönn ichs alleweil. Ist aber damit nicht gesagt, daß ichs ihm in alle Ewigkeit gönne.«
In des Kaisers Zelte saßen der alte Markgraf und Karl an einem Tische über einer Landkarte. Sie waren in eifrigem Gespräch.
»Der Strich, mein Kaiser, war niemals Lausitz. Meine erlauchten Vorfahren –«
»Sehn es nicht. Hier
machen wir die Grenze. Nicht?«
»Euer Finger, durchlauchtigster Kaiser, geht zu weit. Das ist noch Mark, es war es von je. Die Urkunde von 1193, auch der Friedensschluß von 1280 bestimmt es genau.«
»Was kümmern Euch, Schwager, die vergelbten Pergamente? Wir habens mir der Zukunft zu thun. Die setzen wir fest.«
Woldemar schüttelte den Kopf: »Ich kanns nicht zugeben.«
Karl sah ihn seltsam an; aber sein forschender Blick prallte ab vor dem ruhigen des
Greises.
»Wir sind hier, uns zu vertragen, nicht um uns zu streiten. Seht, Schwager, wir theilen: Hier geht das Fließ. Seht Ihr? Auf dieser Seite bleibt es böhmisch, das wird märkisch.«
»Euer Majestät wollten sagen: dies bleibt märkisch, und das wird böhmisch.«
»Um Worte streiten wir nicht, wenn wir nur im Wesen einig sind. So also wirds. Ich gebe gern nach um den Frieden.«
»Bei Gott, ich darfs nicht,« sprach der Markgraf und stand
auf. »Schon allzu viel gab ich nach.«
Der Kaiser lehnte sich über die Karte, aber er schielte seitwärts auf den Markgrafen; was er da sah, mochte ihn bestimmen. Er stieß die Karte fort.
»Ihr habt Recht, das schickt sich nicht für uns; ja es wäre schlimm, so Fürsten wie wir, um derlei kleines sich entzweiten. Mein Kanzler und Eurer mögen die Urkunden prüfen. Inzwischen bleibt der kaiserliche Adler, versteht mich, nicht der böhmische, auf dem streitigen Striche.«
»Doch feierlich, Herr Kaiser, leg ich Protest ein –«
»Beim Täufer Johannes, wie Ihr die Sache ernst nehmt, als würde mein Kaiserreich durch drei Viertelmeilen größer!«
»Aber mein Markgrafenthum wird kleiner. Ich fand es schon allzu klein wieder. Der Fuß breit, den ich noch davon gebe, und ich hätte Kraft, ihn zu vertheidigen, erschwerte die Sündenlast vor jenem Richter, vor dem ich schon auf schwere Anklage mich vertheidigen muß.«
»Als wir Alle, Gott sei
uns gnädig, wer geht immer im Rechten, wer darf seinen Freunden trauen!«
»Mindestens reißen meine, als Wölfe, jeder seinen Theil an sich,« sagte Woldemar mit Nachdruck.
»Ich billige durchaus nicht, was der Erzbischof von Magdeburg that,« unterbrach ihn der Kaiser. »Plauen sich voraus zu bedingen! Hättet Ihr auf mich gewartet, ich hätte es nicht zugegeben.«
»Plauen ist ein Schloß und die Lausitz –«
»Ein ganzes Land, wollt Ihr sagen. Da
ist aber ein Unterschied. Die Lausitz gehörte einmal zu Brandenburg, aber sie war kein Theil davon. Plauen dagegen ist ein Pfeiler, ein Grenz-Eckstein des Landes, mit dessen Verlust des Landes Sicherheit, das Land selbst gefährdet ist. Das hättet Ihr, vergebt mir, Schwager, nicht dulden sollen. Euer Thun in Ehren, aber das müßt Ihr wieder rückgängig zu machen suchen. Rechnet dabei auf meine Hülfe.« –
Woldemar seufzte: »Und muß ich noch ein Land dafür abrechnen?«
Der
Kaiser sah ihn ernst an. »Wie! Der fromme Mann, der ein halbes Menschenalter irdischen Gütern und irdischer Herrlichkeit entsagte, nur in beschaulichem Leben den Gütern jener Ewigkeit entgegen blickend, geizt itzt und ist ängstlich um einige Meilen Kieferbusch und Sand! Verzeiht, Schwager, nicht daß ich Euren hohen Sinn mißachte, allein aus dem geloben Lande, das zu schauen Gott mir Sünder noch gewähren möge, meinte ich, brächte man andere Gedanken heim.«
»Wen Gott wo hinstellte, dem
wies er auch seine Pflichten, als der Ort fordert, dahin er ihn setzte. Nun hat er mich gesetzt als Fürst hier, als dieses Landes Fürst. Ihr habt mich anerkannt. Ich will Fürst sein, ganz Fürst, durchlauchtigster Kaiser. Ich meinte, Ihr solltets loben.«
»Loben!« sagte der Kaiser, und hatte ihn eine Weil schweigend angeschaut, indeß sein Gesicht immer heller ward. Ja fast glänzend wars. »Als Muster will ich Euch weisen den Andern! Bei Sanct Johannes, wären meine Reichsfürsten alle wie
Ihr, weise und besonnen, das Regiment wäre eine Lust. Und nun, vergebt mir, dem jüngern Manne, – wer so oft und arg betrogen ward, als ich, der ist zum Argwohn von selbst hingewiesen, – vergebt mir, daß ich Euch vorhin auf die Probe stellen wollte. Brauch ichs Euch zu versichern, daß mirs gleichgültig ist, ob die Grenze diesseits oder jenseits des Fließes geht? Aber es ist mir nicht gleichgültig, daß ich nun weiß, der Kaiser hat einen wahren Markgrafen in diese Mark gesetzt, der dem
Reichsland nichts wird abtrotzen, abnehmen lassen. So will ichs. Dies Land ist gut und die Macht der Herrschaft muß hier in Ewigkeit erhalten werden.«
»Und die Lausitz?« – fragte Woldemar.
»Davon nachher. – Wenn ich Euch so ins Auge schaue, den klaren ruhigen Blick, die Milde und Besonnenheit, die um Eure Lippen schwebt, ich sehnte mich lange, einen solchen fürstlichen Greis zu sehen. Doch das gehört nicht her.« – Karl seufzte. – »Mein Vater, König
Johann, Gott habe ihn selig! lehrte mich das nicht. Wer das aufwallende Blut nicht zu fesseln, die raschen Entschlüsse des Jähzorns nicht eben so rasch zu unterdrücken weiß, sollte dem Regiment entsagen. So beschied sich mein erlauchter Vater selbst. – Was ich sagen wollte! Nicht doch, ich vergaß es, indem ich Euch ansah. Das ist nicht recht, daß ein Fürst sich in Gefühlen verliert. Seine Worte sind kostbarer als Gold, das ein Anderer ausstreut. Ein unvorsichtig Wort, das unsern Lippen
entschlüpft, hören tausend Ohren, und es bleibt im Gedächtniß von hundert tausend. Was gäben wir oft drum, es zurück zu nehmen! Das ists, warum ich Euch bewundere: Ihr laßt Eure Worte nicht los, wie Mancher thut, als eine Meute, die man auf die Jagd schickt, Ihr behaltet sie im Auge, ja gleichsam als am Zügel, auch das schon Ausgesprochene wißt Ihr noch immerzu lenken.«
»Ihr wolltet von der Lausitz reden.«
»Von Euch, von Euch allein, und immer Euch dabei ansehn. Ich weide
mich ordentlich an Eurem Anblick. Ihr seid ein glücklicher, alter Mann, und doch um eins bedaure ich Euch: Ihr habt keinen Sohn.«
»Brandenburg ist mein Kind.«
»Aber, wenn Ihr sterbet, wer drückt Euch das Auge zu?«
»Die Liebe meiner Völker.«
»Aber was man mit vollem Herzen liebt, ich meine wie Ihr Brandenburg, das erschwert uns auch wieder den Tod, so wir nicht wissen, ob Der, welcher nach uns besitzen wird, sein würdig ist.«
»Dafür sorgt
Gott. Der Mensch hat hienieden genug gethan, so er die Zeit erfüllt, die ihm gemessen.«
»Und überläßt Denen, die nach ihm kommen, das weitere! Brachtet Ihr die Weisheit von des Herrn Grabe? Ist es nicht eines fürsorglichen Regenten heilige, ja seine allerheiligste Pflicht, daß er das Schicksal seines Volkes nicht dem Ungefähr überläßt? Habt Ihrs nicht selbst erfahren, wie Euer Weinberg verwaltet wurde? Gott hat Euch gewarnt. Daß das nicht ein zweites Mal geschieht, muß fortan Eure
erste Sorge sein. Der Ruf des Herrn wäre umsonst an Euch ergangen. Erwägt das wohl, die Vorsehung wiederholt sich nicht in ihren Wundern. Sie thut genug, so sie dem Menschen einmal die Wege weist; dann ists an ihm, sie einzuschlagen, selbst weiter zu bahnen. So ein gedankenloser Schlemmer, ein wüster Prasser nach Euch kommt, der Eure Worte und Gedanken nicht versteht, der nur sich lebt, nicht dem Lande, das wird Eure Schuld; um Centnerlasten wird Euer Grabstein schwerer. – Ihr
werdet ein Testament aufsetzen? –«
»Zu Gunsten meiner rechten Erben.«
»Denen, die in Eurem Sinne fortarbeiten. Das sind die rechten Erben eines rechten Fürsten, als Ihr seid.«
»Die von Anhalt sind ein gerechter Stamm.«
Der Kaiser stand auf, als wie überrascht: »Gerecht! Was ist gerecht? Der Stier ist gerecht, der gradaus rennt. Wozu gab die Natur uns Augen? Daß wir links und rechts uns umschaun. – Dem Säufer Rudolf etwa? Daß der tölpische
Sachse zum zweiten Male als ungeschickter Vormund, die Städte, die Landstände sich feind macht? – Seinen Söhnen? Heiliger Gott, mein Brandenburg in solcher Prinzen Hände, die nichts im Sinne haben, als Pferde, Mädchen, Hunde. Oder wähnt Ihrs besser aufgehoben in des Dessauers Hand? Ja, der wird von Tugend reden, sich auf die Brust schlagen als deutscher Biedermann; auch einmal derb aber blind losschlagen, bis ers überdrüssig ist. Ein Biedermann ist gut in einer goldenen Zeit. Wir sind in
der bleiernen, wo der Mann zwischen Wölfen, Füchsen und Schlangen seinen Weg suchen muß. Nicht Der wandelt den graden Weg vor Gott, der ein Kreuz schlägt und seine Hände in Unschuld wäscht und die Dinge gehen läßt, weil ers nicht ändern kann. Mit den Wölfen müssen wir heulen, mit den Schlangen uns winden, und den Füchsen nachschleichen in ihre Höhlen, so es uns Ernst ist um das Gute. Hat Einer von allen denen nur so viel Einsicht, die Bösen von den Guten zu unterscheiden, hat Einer Kraft es
durchzusetzen, ja nur den festen Willen, es aufrichtig zu wollen.«
»Euer Majestät vergaß meinen Neffen, den jungen Woldemar.«
»Der nach dem Monde schielt! Ich weiß, Ihr liebt ihn. Im Stillen, hinter dem Rücken der Andern, spinnt Ihr ein sein Gewebe für ihn. Es ist zu fein, würdigster Markgraf. Welche Fey aus dem Morgenlande hat da Euren Sinn verblendet! Ja, für ein persisch Mährchen ist er ein herrlicher Erbprinz; aber die Priegnitz und die Altmark, die Neumark und die
Ukermark verlangen einen Regenten mit Fleisch und Blut. Er singt noch Minnelieder; ach, lieber Gott, die trösten den märkischen Bauer nicht, wenn des Junkers Vogt die Peitsche schwingt.«
»Er ist ein wahrer Ritter.«
»Vom feinsten Silber. Wenn mal die Ritter ausgegangen sind, wird man Bilder von ihm schnitzen, um sie in den Raritätenkammern den Knaben zu zeigen, wie Ritter hätten sein sollen. Aber die Ritter!« – Der Kaiser hatte sich neben ihn gesetzt und faßte
vertraulich seine Hand und sah ihm ernst ins Gesicht.
»Erwartet Ihr denn von den Rittern das Glück für Brandenburg?«
»Sie sind tapfer und treu ihren Fürsten.«
»Wie gute Hofhunde, die bellen und beißen, wenn ein Fremder ins Gehöft schleicht. Auch wedeln und heulen sie, wenn der Herr zurückkommt, und springen vor Herzensfreude ihm auf die Schultern. Wünschte, meine in Böhmen wären auch so!«
»Ist das nicht Lobes, wenn so der Adel zu seinem Fürsten
ist?«
»Vom Adel will ich mehr. Wozu ist er adlig über den Andern, so er nicht über die Andern hinausschaut! Ja, diese Märkischen sind gut, so lange man sie zu nichts Besserem braucht. Aber ihr Blut reicht nicht weiter als über die vier Pfähle ihres Hofes. Was sind sie einem Fürsten, der für das Wohl des Ganzen zu sorgen hat? Darf ein Markgraf die Hände in den Schooß legen? Das deutsche Reich hat ihn hergestellt sein Wächter und Schild zu sein gegen die Nachbarvölker. Haltet Ihr die
Aufgabe für leicht?«
»Nein, mein Kaiser.«
Des Kaisers Augen glänzten voll ernsten Nachdenkens: »Beim Allmächtigen, sie fordert Männer.«
»Das waren meine Vorfahren.«
»Eure oder nicht Eure. Ich will sie gelten lassen die alten Ascanier. Sie thaten genug für ihre Zeit. Aber was ihnen Spiel war, ihren Nachkommen wird es Ernst. Hier ist das Reich, das deutsche Reich, nicht das römische; das hat aufgehört. Die welschen Nationen sind als ein alter
Baum; der schlägt wohl noch so üppig aus, aber seine Wurzeln sind morsch. Die Römer werden den Deutschen nicht mehr gefährlich. Unsere Eiche wurzelt tiefer. Aber vom Osten her droht Gefahr. Die Slaven haben alte Schulden an uns zu fordern. Meint nicht, daß sie vergessen sind. Kein Unrecht verjährt vor der Ewigkeit. Dorthin dürfen wir unsere Augen nicht schließen, unsere Burgen nicht verfallen lassen. Der Spieß muß blank stehn an der Wand gegen Morgen, für die Zeiten, die kommen.«
Der
Kaiser ging umher. Seine Rede ward wärmer, sein Ausdruck lebendiger.
»Ich kenne die Slaven. Ich bin König eines slavischen Volkes. Aber, bei der allerheiligsten Mutter Gottes, ich bin ein Deutscher, und will ganz und zuerst Kaiser sein des deutschen Volkes. Das hat Säfte in sich von Sitte und Kraft, die seinen Baum langsam, aber sicherer in die Höhe treiben als das wildflackernde Feuer der Sarmaten. Brandenburg ist deutsch worden, es muß deutsch bleiben. Darum
müssen seine Fürsten kräftig und besonnen auftreten; Niemandem weichen, am wenigsten ihrer eigenen Leidenschaft und Trägheit. Sie müssen stolz die Stirne bieten der frechen Anmaßung, die Sitte und Ordnung fest halten, die dem Slaven fremd ist, aber er muß sie achten, als eine unedle Natur wider Willen vor der edlen scheut; sie müssen nie den Muth, aber auch nie den Gleichmuth verlieren, und als sie das Auge gegen die drohende Gefahr, müssen sie das Ohr aufhalten gegen weise Rathschläge. Sonst
bleibt dies Volk ein Mischvolk, und die schlechten Stoffe, die niedergetreten sind, wuchern als Unkraut auf. Da ist auch der Weizen verdorben. Wem wagt Ihr die Aufgabe zu lassen? Könnt Ihrs mit gutem Gewissen diesem – dem – dem da? – Sagt ja, und ich sage auch ja. – Ihr schweigt. Nein, bei Gott, die könnens nicht. Sie werden zanken mit ihrem Adel, und der Adel wird mit ihnen zanken. Jeder lacht sich ins Fäustchen, so er dem Andern etwas abzwackt. Die Straßen bleiben
Freistätten für Gesindel und Raubritter; die Bürger werden sich verschließen, nach wie vor; gewonnene Schätze werden sie aufspeichern, statt sie als Lebensquellen durch das Land zu schicken; gewinnen wird Niemand; der Bauer wird mehr und mehr geknechtet, der Kleine gedrückt, bis alles freie Eigenthum verschwindet, bis wir in den Marken statt freier Männer, unterthänige Leute haben. Es bleibt nicht schlimm, als es ist, es wird noch schlechter. Ists Euer Wille? – Nennt mir unter Euren Erben
den, der Euren Geist erbt, Fürst Woldemar!«
Der alte Markgraf saß nachdenklich in seinem Stuhle. Gegen die Lüge hatte er Waffen, gegen die Wahrheit keine.
»Gott wirds fügen, als er will.«
»Das ist der Trost der alten Weiber; aber nicht dessen, der mit Heldenkühnheit nach dem Fürstenstab der Ascanier griff.«
»Wißt Ihr Einen?« fragte Woldemar.
»Ich weiß Einen. – Ihr seid ein Greis und habt keinen Sohn, ich bin ein junger Mann und habe
keinen Vater. –«
Der alte Markgraf, das mußte Jeder gestehen, blieb vor Hoch und Niedrig derselbe. Und so er mit Klügeren sprach, in seiner Rede ließ ers nie merken, daß er schwächer war. Sein Blick war also sicher als Eines, der in einem langen Leben Alles erfahren, nichts ist ihm fremd, und darum überrascht ihn nichts. Jetzt wars anders, zum ersten Male. Er verfinsterte sich und sein Blick ward unsicher, als traute er dem Aug nicht und dem Ohr nicht.
»Euer Majestät«
– sprach er und stockte.
»Soll ich wohl den Gedanken in dürren Worten aussprechen, den Euer Scharfblick in meiner Seele längst gelesen haben muß?«
»Der deutsche Kaiser, der König von Böheim –«
»Wünscht den großen Woldemar Vater zu nennen. Die Weisheit der römischen Gesetze erfand ein Mittel, um die Lücken, die nach den Gesetzen der Natur entstehen, auszugleichen.«
»Euer Majestät, das ist unmöglich.«
»Daß ich einen Vater von Eurer
Weisheit, Eurer Erfahrung mir wünsche, oder daß Ihr einen Kaiser zum Sohn erhaltet? Laßt das ruhen, warum ich nach einem solchen Vater mich sehne; es wäre eine unnatürliche Anklage gegen den, den die Natur mir gab. Aber Ihr, Ihr bedürft eines Sohnes, der Euch versteht, würdigt, fortsetzt, dem Ihr auf dem Sterbebette ruhig Eure Werke, Eure Plane überlassen könnt. – Das Gerede der Welt, dafür bin ich Kaiser.«
Der Greis schwieg. Er kämpfte einen innern Kampf.
»Die
Stunde, mein Kaiser, dünkt mich doch zu ernst zum Spiele.«
»Ihr habt Recht, die Römer spielten mit der Adoption. Sie sollte nach Justinian imitare naturam. Und doch, um was, der Natur zuwider, adoptirten sich diese lasterhaften Greise und entnervten Jünglinge. Das gräuliche Heidenthum liegt hinter uns. Wenn bei uns der Vater einen Sohn, oder der Sohn einen Vater sich erwirbt, huldigen wir zarteren Empfindungen der Ehrerbietung und Hochachtung. – Ihr lächelt
wohl still, und meint, zwischen Männern, als Ihr und ich, die der Welt Undank und Schlechtigkeit kennen lernten, sei diese Sprache der Gefühle nicht an ihrem Ort. – Sei es. Aber jene Römer adoptirten sich, damit der todte Mammon des Geizhalses, der leere, tönende Name einer alten Familie auf den angenommenen Sohn überging. Aus Eitelkeit. Gott weiß, nichts liegt mir ferner als Eitelkeit. Forterben soll der Geist, die Kraft, die Tugend des Vaters –«
»Und sein Besitz?«
»Das heißt der Besitz, der durch den Geist des Erblassers lebendig wird. Markgraf, wenn Ihr als seliger Geist dereinst auf das Schaffen Eures Sohnes aus jenen ewigen heitern Räumen herabschaut, Ihr würdet, das schmeichle ich mir, mit Karl von Luxemburg zufrieden sein.«
»Hätt ich einen Fürstenhut zu vergeben, ich wüßte kein würdiger Haupt als das, welches Böhmens Krone trägt.«
»Böhmen und Brandenburg ein Reich! Es würde ein großes, mächtiges Reich, das
bedenkt wohl. Da ließe sich schaffen für der Unterthanen Wohl; da wollten wir brechen den Trotz des Adels; die Kirche in Ehren, aber die Geistlichen – ich kenne ihren Dünkel, haltet mich nicht für blind darin, so auch Rücksichten – doch davon ein andermal, mein theurer Vater. Denkt, diese Ströme, wie der Handel aufblühen sollte, der Gewerbefleiß fände einen ungeheuren Markt. Von der Donau bis zur Ostsee, und inmitten die Lausitz. Ja, die Lausitz; ob nun Ihr, ob ich sie die wenigen
Jahre verwaltete –«
»Bis ich endlich gestorben wäre.«
»Ihr werdet noch lange leben, Gott füge es Eurem Volke zum Heil! Also die Lausitz könnte für diesen Fall –«
»Für welchen Fall, mein Kaiser?«
»Den angegebenen. Also, wollte ich sagen, die Lausitz –«
»Die Lausitz, mein Kaiser, die Ihr mir gäbet, entschädigte meine Vettern nicht für Brandenburg.«
»Man findet sie ab. Oder wäre Euch das kleine Recht Eurer Vettern
auf einen Lehnsanfall, ein zweifelhaft Recht, denn Brandenburg ist ein Reichslehn und ich, der Kaiser, belehne, – wärs Euch mehr werth, als das große Recht Eures Volkes, auf einen guten Fürsten? Markgraf, dann hätt ich Euch doch verkannt.«
»Erlaubt, daß ich es überlege, mein Kaiser.«
»Das ist weise gesprochen. Ich kenne Euch, Ihr mich wohl noch nicht ganz. Prüft mich, würdiger Mann, was in meinen Kräften steht, ich will thun, Eure Wünsche zu
erfüllen.«
Beide schwiegen um einige Minuten. Beide, als geübte Kämpfer, die ihre Waffen verschossen. Jeder sah den Andern an, ob er noch einen Pfeil im Köcher finde. Aber sie lächelten sich freundlich zu. Plötzlich stand der Markgraf auf:
»Woldemar hatte einen Sohn.«
Es war, als athme der Greis auf, da er das Bekenntniß los hatte.
»Doch keinen mit der durchlauchtigen Markgräfin Agnes«, erwiderte der Kaiser, dem das gar unerwartet kam, »das treue
Gemahl, welches schon drei Monden nach Eurem Tode den Wittwenschleier zerriß.«
»Gott weiß allein, mein Kaiser, ob ich recht thue. Aber – ich will, ich muß! Dieser Sohn lebt noch, er hat heilige Rechte. s ist meine Pflicht, so ich auch eines früheren Lebens Verschuldung decken muß. Die Markgräfin Agnes war kein feines Weib, sie gebar dem Hause, dem Lande keinen Erben.«
Karl lächelte: »Da schlich der große Woldemar, um sich zu trösten, als ein anderer Jupiter, zu dieser
Leda und zu jener Io unterm Strohdach. Ich will den Schleier, durch den die eifersüchtige Agnes nicht blickte, nicht aufheben. Auch die Sonne hat Flecken, erspart Euch das Uebrige, wir Beide haben andere Sorgen. Also ein Sohn ist da?«
»Ich kanns beweisen durch Pergamente, und durch alter Leute Zeugniß.«
»Euer Wort genügt mir. Ich will ihn ehrlich machen, ihn herstellen in allen Ehren. Sorgt nur für ein gut Erbtheil, und ich will ihm, wie sies in Frankreich itzt thun, einen
Adelsbrief geben. Wollt Ihr ihn zum Geistlichen machen, soll ihm ein Bisthum nicht entgehen.«
»Er ward ein guter Ritter, der dem Ruhm seines Vaters Ehre macht.«
»So erhob ich ihn zum Grafen.« – Der Kaiser sah den Markgrafen mit einem der Blicke an, mit dem er oft aus der tiefsten Seele Geständnisse heraus las, und es leuchtete schalkhaft auf in seinen Augen: – »Ich kenne ihn, ists Der! Ei sieh, hat der einen so hohen Vater!«
»Wahr und wahrhaftig, bei
allen Heiligengebeinen seis geschworen, er ist Woldemars Sohn.«
»Erspart Euch das. Ich sahs dem kühnen Gesellen an, daß er besser war als sein Name. Nun wir sinnen später auf einen Andern. Auf einen Namen kommt es mir nicht an. – Dem also wollt Ihr Vater sein? – Ei dieser Glückliche! – Wer war seine Mutter?«
»Laßt sie ruhen in der Nacht des Grabes. Es war ein liebes Weib, die oft die Runzeln von der Stirn ihres Gebieters strich. Aber eine
bescheidene Magd, die ihm nur zu Füßen sitzen wollte.«
»Was thuts, wir adeln sie im Grabe. Die mailändischen Heraldiker malen ihr ein altes Wappenschild. Euer Sohn soll vielleicht – und warum denn nicht!« – Der Kaiser legte die Hand auf des Markgrafen Schulter und blickte ihn schlau lächelnd an. – »Euch zu Liebe thue ich viel. Liebt Ihr ihn sehr?«
»Als wie ein alter Mann den Jüngling liebt, in dem seine eigene Jugend wieder aufblüht.«
»Ein
Kaiser kann viel. Ich könnte ihn zum Markgrafen machen.« Er sprach es leis vor sich hin. Woldemar sah ihn ernst an.
» Das könnt Ihr nicht.«
»Man läßt ihn sich auszeichnen, man stellt ihn an die Spitze eines Heeres. Mit Geschick muß es angefangen werden; aber ich will noch mehr thun, im deutschen Reiche, so Gott mich leben läßt, mit Geschick den starren Nacken seiner Fürsten zu beugen.«
»Es ist Woldemars Sohn, aber er wird nicht sein Nachfolger.«
»Wie, Ihr?«
»Ich widerspreche als deutscher Fürst, als Kurfürst.«
»Und warum?«
»Weil Brandenburg mir mehr werth ist als mein Sohn, weil was auf Gunst und nicht auf Recht gebaut wird, als ein Haus ist sonder Grundfesten, und der nächste Sturm wirft es um. Weil alle Gunst wandelbar ist, und wen sie über sich selbst erhob, sie den fallen läßt, daß er tiefer sinkt als er vorher stand. Weil, durchlauchtigster Kaiser, wenn Ihr meinen Heinrich zum Markgrafen erhöbet,
Ihr einen schwachen Markgrafen dem Lande setztet. Denn der ein guter Ritter ist, ist um deshalb noch kein guter Fürst. Und sei ers, er käme nicht aus; denn Alle wären wider ihn, nicht die Fürsten allein, und die neidischen Nachbarn; auch Jeder im Lande selbst, der meint, er sei eben so gut und habe darum denselben Anspruch. Und müßte mein Sohn, um fest zu stehen, sich an Die halten, die Macht haben; und das sind oft die Schlechten. Darum wäre Hader und Unsicherheit, und als er seines Lebens
nicht froh würde, käme Brandenburg zu keiner Festigkeit und bliebe ein Fangball der Mächtigen. Dann möchte es kommen, daß der Kaiser, – verzeiht, durchlauchtigster Herr, ich meine nicht Euch, sondern der dann Kaiser wäre, dieweil ich von Eurer aufrichtigen Gesinnung überzeugt bin, – es möchte eintreten, daß er die willkommene Gelegenheit wahrnimmt, als Richter einzuschreiten, daß er meinen Sohn, der keine Wurzeln im Boden hat, als einen Strohmann, der die Vögel scheuchen sollte, aus
der Erde zieht und fortwirft als eine Puppe, die man nicht mehr braucht und Brandenburg, sos ihm gefällt, sich selbst nimmt. Aus allen diesen Gründen, mein Kaiser, widerspreche ich. Endlich aber und das ist die Summa: als Senior des Hauses Anhalt; denn dessen Erbrechte sollen ungekränkt bestehen als lang ich lebe, sos Euch gefällt, mein Kaiser.«
Obs dem Kaiser gefiel, hat er nicht gesagt. Der Mühe zu antworten überhob ihn ein großer Lärm, der draußen entstand, und es wirbelten die
Trommeln. Die Frankfurter machten einen Ausfall, hieß es, und den Markgrafen riefen seine Ritter. Der Kaiser selber ging nicht; das überließ er seinen Hauptleuten.
Er hatte sich in einen Stuhl geworfen, als der Kanzler mit einer Mappe eintrat.
»Ein Glück, daß der Mann so alt ist«, sprach er für sich.
»Es wir nur blinder Lärm sein, als so oft schon«, sprach der Kanzler. »Die Baiern necken uns nur.«
»Was bringst Du?« fragte der Kaiser.
»Die
Beweisgründe zusammengestellt für ihn. Noch haben wir zwo neue Aussagen vermerket, was Alles zusammen genommen wohl ausreichen wird vor dem Reichstage.«
»Davon ist genug«, sprach der Kaiser. »Von itzt ab sammle in der Stille Beweise und Zeugnisse gegen ihn.«
Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.