Frei Lesen: Der falsche Woldemar

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Erstes Buch, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Neuntes Kapitel. | Zehntes Kapitel. | Eilftes Kapitel. | Zwölftes Kapitel. | Dreizehntes Kapitel. | Vierzehntes Kapitel. | Fünfzehntes Kapitel. | Zweites Buch, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Neuntes Kapitel. | Zehntes Kapitel. | Eilftes Kapitel. | Zwölftes Kapitel. | Dreizehntes Kapitel. | Vierzehntes Kapitel. | Fünfzehntes Kapitel. | Sechzehntes Kapitel. | Siebzehntes Kapitel. | Achtzehntes Kapitel. | Neunzehntes Kapitel. | Zwanzigstes Kapitel. | Einundzwanzigstes Kapitel. | Drittes Buch, Erstes Kapitel. | Zweites Kapitel. | Drittes Kapitel. | Viertes Kapitel. | Fünftes Kapitel. | Sechstes Kapitel. | Siebentes Kapitel. | Achtes Kapitel. | Neuntes Kapitel. | Zehntes Kapitel. | Eilftes Kapitel. | Zwölftes Kapitel. | Dreizehntes Kapitel. | Vierzehntes Kapitel. | Fünfzehntes Kapitel. | Sechzehntes Kapitel. | Siebzehntes Kapitel. |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Isegrimm | Walladmor | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9 | Der Werwolf | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4 |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der falsche Woldemar) ausdrucken 'Der falsche Woldemar' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Drittes Buch, Erstes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Wenn die Winterstürme über unsere Flachländer wehen, wochenlang, und die Wolken treiben, dann verrammle die Thüren, und kaure hinter dem Ofen. Es ist nicht gut draußen weilen. Die Stürme kommen über die Wälder von Litthauen und die weiten Länder der Reussen, die kein Ende haben; denn hinter ihnen sind die Schnee- und Eisfelder, und wer sie sah, weiß nicht, wo das Land aufhört, und wo das Meer anfängt. Und kein Berg ist dort, der eine Mauer ist den Stürmen. Sie brausen, sonder Aufhalt und bringen nichts mit als Kälte. Denn der Vogel in den Lüften erstarrt auf dem weiten Wege.

Aber die Winde von Abend, die von der See herkommen, über England und Schottland und von den Schweden und Normannen; die treiben zwischen den Wolken allerlei Vogelarten, große und kleine; die haben in unserm Lande eine Lust und freie Jagd, wann die Sommervögel fortzogen dahin, wo es wärmer ist. So ists allerwärts in der Natur. Wos dem Einen zu kalt ist, da ists dem Andern noch warm, und den Rock, den Du fortwirfst, weil er Dir zu schlecht ist, den nimmt ein Anderer auf und trägt ihn viele Jahre, und wenn er ihn weg thun will, kommt wohl noch Einer, dem er besser dünkt als seiner, ja, und wenn er reißt in allen Fäden, ziehn sie ihn dem Strohmann an im Kohlgarten. Macht der Rock in Lumpen auch einen Mann. Fliehen die Diebe nicht davor, fürchten sich doch die Sperlinge. Das ist die Weisheit in der Schöpfung, daß nichts zu schlecht ist, es ist doch noch zu etwas gut.

In unserm Lande singen zur Sommerzeit vielerlei Vögel, als die Finken und Drosseln, die Zeisige und Amseln. Im Lenze wirbeln die Lerchen in die Lüfte, und schreit der Kuckuck im Walde. Ists Hochsommer, schlagen die Nachtigallen im dunkeln Laube durch die Nacht, und bei Tage der Vogel Bülow. Zu Herbstzeiten aber, wenn die Blätter vom Baume fallen, dann schweigt der Vogelsang, da fliegen die Schwalben gen Mittag, und wann die Störche rüsten zur Reise gen Afrika, dann ists schon still auf den Feldern und im Walde. Nur die Sperlinge mögen sich nicht trennen von den Häusern und Höfen, die ihnen lieb sind. Auch die Krähen fliehen nicht; die grade tauchen dann auf, Gott weiß, wo ihrer so viele herkommen. Das Ohr, das an dem schönen Vogelgesang sich freute, mag ihr häßlich Gekrächz nicht hören. Dann aber bringen und treiben die Winde von der See die Schaaren über Schaaren fremder Vögel mit spitzen Klauen und krummen Schnäbeln. Da wird unruhig die Luft, und unheimlich rauscht es in den Kiefern, und die Fische in den Seen sind auch unruhig. Es ist Wanderung und Krieg und das Recht der Stärkeren. Des Falken Aug und der Habicht schaut weit und scharf.

Wer es versteht, der Vögel Züge anzuschauen in den Lüften! Er kann mancherlei lesen, sonder schwarze Kunst. Als der Schatten dem Menschen folgt, ziehen der Raubvögel Schaaren hinter den Kriegsvölkern her, und ihr Geschrei in den Lüften ist die Witterung, wo es Todte giebt.

Was sah man ihrer Schaaren über Schaaren in dem Winter in der Mark! Wie mancher geplagte Mann wäre lieber ein Vogel gewesen als ein Mensch. Wäre lieber geflogen in den Lüften, denn auf den Heerstraßen gehaftet. Ueber Städte und Burgen fliegt der Vogel, frei ihrer Pein, und die Seufzer erreichen sein Ohr, als der Rauch vom Feuer den reinen Aether.

Ueber dem Kieferwalde zog es schwarz auf; Tausende von Krähen hoben sich über die Wipfel und schrieen ins Blachfeld, darauf die Dämmerung lagerte.

»Allerheiligste Mutter Gottes, da sind sie wieder!« sprach ein Kriegsmann, der sich aufgerichtet von seinem feuchten Bett, und riefs dem Andern zu, der bei den Rossen stand.

Es war eine Schaar flüchtiger Männer; das Unglück drückt ein Siegel auf, das Jeder kennt.

»Die Pestilenz!« rief Der, und faßte die Rosse fester, die an seiner Hand kümmerliche Grasung suchten; er schaute unter den buschigten Augenbrauen in die Wolken.

»Nicht doch«, sprach ein Dritter, »sie setzen sich wieder. Die Rackers, die Krähen thuens nimmer. Die zween Adler sah ich noch nicht.«

Der Erste streckte sich wieder mit einem Fluch auf das Moosbett. Die Arme unter den Kopf. Es war Betkin Osten:

»Laßt den Herzog noch schlafen«, sprach er. »Der Tod kommt uns allen noch früh genug.«

Betke Botel schlug den Arm um den Hals des Rosses, das er hielt. »Die Pestilenz ists doch«, brummte er, »und Hexerei ist dabei. Sinds nun nicht drei Tage, daß sie uns auf den Hacken sind, als wären wir Aas. Wo wir uns hinwenden, durch Sumpf und Moor. Sie sehn durch die Nacht und stöbern uns auf.«

Der Dritte, der ein Baier war, schüttelte den Kopf: »Es geht auch nimmer mit Rechten zu. Da wir aus Frankfurt brachen, an dem Nebelmorgen, sah ich dieselben zween Adler; grad über der Brücke schwebten sie. Hätte sie einer mit nem Bolzen erlangen mögen. Drauf stiegen sie wieder in die Höh bis sie zween Punkte wurden, die blieben über uns als zween schwarze Sterne. Da rief ich, als Ihr Euch entsinnt, das ist des Kaisers Zeichen, und als die Adler uns sehen, sieht er unsern Auszug.«

»Der Kaiser aber sahs nicht«, sprach unmuthig Betke Botel. »Er hatte sich ja längst aus dem Staub gemacht.«

Ritter Osten knirschte mit den Zähnen: »Zehn Jahre meines Lebens drum, so wir ihn damals leibhaftig gefaßt!«

»Schon gut«, fuhr der Baier fort. »Der Kaiser war abgezogen als ich Euch sagte, daß die zween großen Adler in die Luft stiegen, unsichtbar, aber doch sichtbar, das heißt in der Ferne. Aber als wir um die steile Lehmwand bogen, stiegen die kleinen Thiere, die fünf Habichte auf. Die machten furchtbar Geschrei.«

»Und weckten die Feinde doch nicht«, sagte Betkin Osten.

»Schon gut. Sie ließen sich nicht wecken. Drum stürzten wir auf sie los und waren im Lager, ehe sie sich dessen versahen. Nun theilten wir uns, Ihr auf dem linken, der Herzog auf dem rechten Flügel. Und wie es nun los ging –«

»Wurde doch nichts draus«, fiel der Osten unmuthig ein, und stützte den Kopf im Arm. »Herr Caspar Törringer, singt ein neu Lied, das alte kennen wir. Wir schlugen sie und sie schlugen uns.«

»Schon gut. Aber als ich sagte, mitten als es stürmte und blitzte sehe ich die fünf Habichte. Grad über uns als klebten sie am Horizont. Und als der Nordwind durch die Nebel fuhr, grad da, als Ihr die Sachsen in den Graben warft –«

»Schwere Noth, da lagen sie.«

»Nein, Herr Osten, sie klebten als zuvor.«

»Die Pestilenz über sie. Laßt sie kleben.«

»Schon gut, Ritter Botel«, fuhr der Baier fort. »Wären sie kleben blieben! Das Raubthier hat Witterung, wo es eine Schlacht giebt, das ist in der Natur. Das unvernünftige Thier, was auf Atzung aus ist, bleibt auf der Atzung. Die Schlacht war geschlagen, der Feind gesprengt, wir hatten reine Luft –«

»Dicker Nebel wars«, warf Osten ein.

»Schon gut, dicker Nebel, der verbarg uns, und daß unser so wenig waren. Drum kamen wir durch als Sieger, und die Brandenburgischen und Sachsen stiebten nach allen Enden. Warum nun, frage ich, blieb das Gezücht nicht auf dem Schlachtfeld, wo der Leichen genug blieben? Warum, frage ich, jagten sie nicht Denen nach, warum blieben sie uns auf den Hacken. Ja, Ihr Brandenburgischen Herren, ich konnte nicht jubeln als Ihr thatet. Die ganze Nacht durch, als Ihr schnarchtet, hörte ich der Krähen Geächz, und was die Vögel uns den Tag drauf brachten, das wißt Ihr, so gut als ich.«

Die Ritter antworteten nicht. Schauten still vor sich hin. An den Tag hatten sie zu denken, und die Gedanken waren nicht fein. Markgraf Ludewig war voller Siegesmuth erwacht. Sein Schwert hatte er gezogen und sich vermessen, als wie der Morgenstrahl die Klinge roth färbt, solle sie am Abend wieder roth glänzen, von den Flammen so er über Berlin und Köln gen Himmel wollte steigen lassen. Den beiden Städten wärs übel ergangen, denn sein Zorn war arg gegen sie. Und hätte es doch vielleicht vergessen, denn der Weg ist lang bis Berlin; und wären sie ihm mit Geschenken aus dem Thore entgegen kommen, er hätte wohl das Schwert eingesteckt. Es kam nicht so. Ein guter Renner will auch gute Wege, und der beste Muth reicht nicht aus sonder Vorsicht. Er meinte, weil er vor Frankfurt gesiegt, würden sie ihm in hellen Haufen zulaufen; aber wie er auch in die Hörner stoßen ließ und seine Fahnen wehen auf den Hügeln, das Volk lief ihm nicht zu. Mußte schon von Müncheberg, das hohe Mauern hat von Feldsteinen, unverrichtet abziehen, und ist Müncheberg nur eine kleine Stadt. Konnte auch nicht vorüberziehen, denn sie hörten schon die Trommeln Derer von Berlin, sie sollten ausgezogen sein, Groß und Klein, unter ihren Bürgermeistern, die Geschlechter voran.

Warf sich dann, zornknirschend, gen Fürstenwalde; aber eines Fürsten Zorn ist nur furchtbar so das Volk mit ihm ist. Die er geschlagen, hatten sich gesammelt, ereilten ihn noch vor der Stadt, der junge Graf von Anhalt voran. So kalt es war, es ward ein heißer Tag, und so tapfer seine Baiern fochten, Tapferkeit schützt nicht für Wunden und Tod. Es floß viel Blut und Viele wurden versprengt. Er konnte seinen Heiligen danken, daß er einen Nebel schickte, der Freund und Feinde verbarg. Ohne den hätt ers mit dem Leben büßen müssen, oder seiner Freiheit. War mit genauer Noth und wenigen Leuten auf Holzflößen über die Spree gekommen.

Das war der Tag, von dem Törringer sprach, und seitdem waren sie geirrt durch Bruch und Wald; nicht als ein Fürst des Landes und seine Getreuen, als Geächtete, gegen die der Landsturm aufgeboten ist. Die Meuten klaffen auf der Hetze und die Nacht ist ihr Tag. Wo sie klopften, die Thore waren verschlossen, wo sie durchbrechen wollten, ihre Feinde waren früher da. Ihr Hoffen stand nur auf zwo Städte, wo sie die erreichten, das feste Spandow in den Sümpfen, oder das getreue Brietzen. Hier, wo der Weg sich theilte, waren sie rasten geblieben, ums morgen zu beschließen. Sie meinten, die Feinde hätten ihre Spur verloren, denn sie waren oft durch fließend Wasser gegangen, und über Heiden geritten, da im Kraut die Spur sich verliert.

Kein fürstlich Nachtlager wars. Ein verfallen Gemäuer, obs ein Hof ehedem gewesen, oder ein Convent, wer siehts, wo von der Herrlichkeit nichts blieb als die Verwüstung, und die Dämmerung lagert ihre Schatten drüber. Keine Kämmeriere hatten des Herzogs Bett gemacht, keine Teppiche hingen über seinem Lager, er wälzte sich nicht auf Pfühl und Kissen. Auf Schutt hatten sie Pferdedecken gelegt, ein Sattel war sein Kopfkissen. Eine Distel, vom Winde geweht, lullte ihm Schlaflieder. Ein gebrochen Bogengewölbe war der Thronhimmel über seinem Haupte. Und doch schlief er so fest, schiens, als der steinerne Ritter, der in der Mauer ausgehauen war. Den weckt nicht Regen und Schnee, noch der Sturm, der hier den Helmsturz ihm gebrochen, und dort die Finger von den beiden Händen, die er gefaltet auf der Brust hielt.

»Die Krähen, seht Ihr Herren, thun es nimmer«, hub der Törringer nach einer Weil wieder an. »Die Krähen sind unvernünftig Vieh, als die Schmeißfliegen. Sie fallen auf was gefallen ist. Die Krähen kommen allezeit nachher. Will damit nit gesagt haben, daß das Art der unvernünftigen Thiere allein ist. Denn also sind auch der Menschen Viele, die sehen nichts und wagen nichts; ziehen aber mit, wo Einer vorzieht, und fallen drauf los, wo schon Andere drüber her sind. So diese Märkischen von unserer Widerpart: das sind die Krähen, die fliegen den Habichten nach, so schärfere Witterung haben. Die Habichte sind die Fürsten, und thätens doch nit allein, so nit die Adler wären, die ihnen den Weg weisen.«

»Christi allerheiligste Mutter!« sprach ein Krieger, es waren ihrer Mehrere hinzugetreten und horchten mit. »Ist doch der Mensch eine Creatur Gottes und erkauft durch seines eingebornen Sohnes Blut. Da nun soll unsereins von solcher unvernünftigen Creatur abhängig sein!«

»Die Vögel seien auch Creaturen Gottes, sagt der Pfaff«, meinte Betke Botel.

Der Baier erwiderte: »Wir zu Land, an den Bergen, kennen der Thiere Natur, und wissen wem sie hörig sind. Dort auf den Klippen unter den Eisfirsten, wo kein Priestersegen hinschallt und kein Weihrauch duftet bis hinauf, da hat der Satan seine Macht. Die Steinadler, die Lämmergeier, seine leibhafte Brut sinds. Schaut ihnen doch in die Feueraugen. Und daß ichs Euch sage – sie verriethen ihn.«

»Wen?« riefen die Ritter.

»Herzog Ludewig!« sprach ernst der Törringer. – »Samstags in der Früh – hatte bei ihm die Morgenwacht, – stand er in Frankfurt am Fenster, in Gedanken versunken. Er hörte nicht, was man zu ihm sprach. Da riß er plötzlich den Flügel auf, lehnt sich hinaus, s ist, als will er das Brustlatz aufreißen und streckt beide Arme hinaus. Sanct Jürgen, dacht ich, was ists, da er nickt, und ist keiner auf der Straße, und drüben schläft noch Alles. »»Siehst Du die Aare dort?«« rief er. »»Juchheißa, Ihr Jungen! Wollt Ihr Euren Herzog befreien?«« – »Gnädigster Herzog,« sagt ich erschrocken. »Ihr seid ja nit gefangen. Wartet noch ein Weniges, zwo Wochen nur. Die Belagerer hungern schon, und das Wetter ist schrecklich draußen.« »»Nit zween Tage wart ich!«« rief er und rüttelte sich, als säß er im Harnisch. »»Siehst Du nit Caspar, sie rufen mich?«« – »Wer?« sagte ich. »»Liebe Freunde und alte Bekannte««, antwortete er. »»Vom Karwendelgebirg oder von der Zugspitz, da der Schnee nie schmilzt! So soll der Satan bei den Meßjuden in Frankfurt bleiben, Baierns Herzog folgt den Flügelboten, die rufen ihn zur Freiheit.««

Alle waren still, als rauschten die Adler über ihnen, die Boten des Satans.

Der Feldhauptmann, Friedrich von Lochen, stand unfern an einer Mauer; sah auch fast als ein Todter aus, so hager war er worden, und seine Augen leuchteten dunkel und grimmig unter den struppigen Brauen. Der hatte, mit verschlungenen Armen zugehört, und sagte nicht nein, nicht ja. Betkin Osten aber sprang auf und ging mit ihm seitwärts. Das Unglück macht Feinde, aber auch Freunde. Sie hatten treu zu einander gehalten, seit sie ihre Schwerter kreuzten damals in der Heide von Beelitz.

»Sie haben recht«, sprach der Feldhauptmann.

Betkin schaute ihn groß an und lachte auf: »Recht, daß der Satan ein Lämmergeier ist! Ich weiß es besser, Herr von Lochen, wie er ausschaut, der unsern Herrn verlockte. Zween blaue Augen hatte er, zwo rothe Backen und zwo runde Brüste. Die spröden Bürgertöchter in Frankfurt warens. Die er mochte, mochten ihn nicht, und die ihn mochten, derer war er satt. Der Ueberdruß war der Teufel, und die Lust nach frischem Fleisch seine Großmutter. Er hielts nicht länger aus in den Mauern vor Langerweil. Das wars.«

»Ist auch nicht zum Aushalten«, sprach grimmig der Baier, und machte so große Schritte, daß ihm Osten, der kurzathmig war, wie dicke Leute sind, kaum folgen mochte. »Sie haben recht, der Teufel ist los. Schmach und Schande, diese theuer errungenen Lande so preis geben um seine viehische Lust!«

»Er ist nun mal so.«

»Herr Betkin Osten, Ihr seid ein wackrer Mann, ich sags Euch hier vor Gottes Himmel, es darf, es soll nicht bleiben. Verkrumme diese Hand, die meinem Herrn Treue schwor, so ich nicht thue, was an mir, daß es anders wird. Sein ganz Leben ist ein liederlich schandbar Treiben.«

»Herr Friedrich von Lochen, Eure Zunge geht mit Eurer Besonnenheit durch.«

»Frankfurt, das treue, erst so höhnen, dann so zu verlassen! Nicht eine Woche, drei Tage nur aushalten, und Frost und Schnee hätte die Belagerer geschlagen; aus der festen reichen Stadt hinaus, wären wir Herren des Landes worden, hätten Gesetze ausgeschrieben ohne ein Schwert zu ziehen. Und nachdem uns die Heiligen und unser guter Muth den Sieg schenkten, muß er, –« der Hauptmann spuckte aus.

»Es ist Euer Herzog und mein Markgraf.«

» Mein Herzog ist das erlauchte Gesammthaus Baiern. Dem hab ich Treu geschworen, den fürstlichen Söhnen Kaiser Ludewigs, die will ich halten. Nicht diesem da, der als ein dämlicht Kind nicht zu halten weiß, was er in Händen hat. Herr von Osten, ich bin nicht sonderlich Freund Euren Märkern, aber beim Himmel, so schlecht sind sie nicht, daß der Herr ihnen solche Ruthe aufband.«

»Jesus Christ! was wollt Ihr thun?« rief der Osten und schaute den Hauptmann an, der der treuste Mann hieß der Baiernherrschaft, ohne ihn wär sie längst zu Ende gewesen in den Marken.

»Das wird die Zeit lehren«, sprach der Hauptmann finster.

Da stiegen mit häßlichem Gekrächz die Krähen abermals aus den Kiefern auf, aber als wollten sie den Himmel bedecken. »Auf, auf!« rief Betke Botel, »da sind auch die Habichte!« – »Die Adler!« schrie der Törringer.

Der Wald regte sich nicht von dem Flügelschlag der schwarzen Vögel; da stiebt wohl etlicher Schnee, aber er fiel dick, in Klumpen herab. Es wuchtete, dröhnte und klang von Hufen, Erz und Eisen. »Die Feinde!« schrie Einer. Er hätts nicht nöthig gehabt; Flüchtlinge haben ein scharf Ohr. Wie scheues Wild sprangen sie von ihrem Lager. Ist jede Flucht, wo der Feind hinter dem Heere ist, voll Wirrwar, zumal aber in der Nacht, wenn sie schlaftrunken niederfielen, und der Ruf Feinde! schreckt sie auf. Einer rennt gegen den Andern. Einer greift des Andern Waffen. Der findet nicht sein Pferd, der schwingt sich drauf, und hat den Sattel vergessen. Der hält sich an seinen Freund und hat ihn verloren, der glaubt unter Freunden zu reiten, und es sind die Feinde.

»Zu mir meine Söhne!« sprach der alte Uchtenhagen. »Die Nacht wird schlimm, daß wir uns nicht verlieren. Mein Helmbusch ist Eure Fahne, und die Fahne ist, wo der Markgraf ist.«

»Dem wird am besten sein, wo Ihr nicht seid«, brummte Friedrich von Lochen, der vorbeistürzte. »Ist hier zum Schlagen nicht Zeit.«

»Wacht auf, Herzog! Herr Ludewig wacht auf!«

Der schlief so fest. Sie mußten ihn rütteln.

»Haltet mich! ich stürze –« Sie hielten ihn und hatten ihn aufgerichtet.

»Wo ist die Gems? Dort um die Eck verschwand sie.«

»Hat noch die Augen zu!«

»Träumt von der Jagd.«

»Herr, mein Herzog, die edle Gems bist Du. Zu Roß! Man jagt auf Dich.«

Das Roß stampfte. Ludewig hielt es, und sah doch nicht: »Ich meinte, ich stand an einem Abgrund.«

»Der Abgrund ist wohl da«, rief der Hauptmann von Lochen. »Aufs Roß, Herzog Ludewig! Die Ehre ist hin, rette Dich selber.«

»Rechts oder links?« rief ein Ritter.

»Sanct Jürgen, das wollten wir beschlafen«, ein Anderer.

Hell bliesen die Trompeten der Feinde, die aus dem Wald vorbrachen. Als man sehen konnte beim Dämmerschein des Mondes, der nicht vorkam, wars, als schüttle die Haide nach allen Seiten stählerne Leute aus. Ihre Hauben und Schilde klirrten, ihre Sporen blitzten. Als die Wölfe, die am Raube sind, heulten sie vor Mordlust.

»Ist er rasend!« schrie der Törringer, der mit dem von Lochen und dem alten Uchtenhagen Worte wechselte; denn der Herzog, da er den Helm aufgestülpt, warf den Sturz nieder und wandte das Pferd grad gegen da, wo die Feinde kamen.

»Heiliger Christ im Himmelreich, er träumt noch!« schrie der Lochen.

Wie der Blitz waren Betkin Osten und Betke Botel ihm nach und ereilten ihn noch, daß sie sein Roß am Zügel fassen konnten.

Friedrich von Lochen lachte fast höhnisch auf: »Wehe dem Lande, deß König ein Kind ist. Doch ein Kind ist besser, als ein Träumer.«

»Wohin die Flucht, Hauptmann!« pochte der Törringer, denn davon hatten sie gesprochen. »Rechts gen Spandow oder links gen Brietzen!«

Der Hauptmann hatte sich im Steigbügel aufrecht erhoben, und mit sicherm Blicke umgeschaut:

»Wohin Jeden sein Pferd trägt«, antwortete er eben so ruhig. »Lebt wohl, Ihr Herren. Mancher von uns sah wohl hier den Andern zum letzten Male.«

»Ist das Euer letzt Wort, Herr Feldhauptmann?« sprach ihn der Uchtenhagen an. »Wer soll denn das Feld halten?«

»Das mögen Narren thun. Hier ist nichts zu halten«, erwiederte der Hauptmann.

Zornig faßte der alte Uchtenhagen den Zaum seines Rosses: »Das ist ein schlecht Wort von einem Feldhauptmann. Der Markgraf flieht. Mein Gott, es muß doch Einer den Paß schützen.«

Zum Antworten war nicht Zeit. Wie Schaum über der Welle, und sie treibt ihn, jagte Herzog Ludewig mit den beiden Rittern heran, und hinter ihm die Feindesschwärme, nur um einen Speerwurf entfernt. Als eine Heerde Rinder von Wölfen gescheucht, stürzten sie in den tiefen Hohlweg. Einige voraus, die meisten hinter dem Fürsten. Da war keine Ordnung. Die Schilde krachten, die Rüstungen klirrten, Speere und Schienen brachen. Mancher kam zu Schaden und bügellos drüben aufs Feld. Wußte Keiner was vom Andern und sprach Keiner ein Wort.

Das ward eine Nacht, als sie zu solcher Flucht sich schickt, die Winde heulten zwischen den Wolken, und wenn sie schwiegen, ballten sich die schwarzen Wolkensäcke und warfen dicke Schneeflocken, der stiebte bald so dicht, daß man die Hand nicht vorm Aug sehen konnte.

Da hielten hinterm Waldeck zwei Reiter an, und ließen ihre Rosse verschnaufen und schöpften selber Athem.

»Seid Ihrs, Herr Friedrich?« sprach leis der Baier.

»Bins«, antwortete der von Lochen.

»Meine, sie verfolgen uns nicht.«

Der Andere beugte den Kopf und horchte eine Weile: »S ist still – und doch, in der Ferne – Blitz und Wetter, wer kann da aneinander sein?«

»Sollen wir zurück!«

»Ich geh vorwärts, Herr Caspar Törringer.«

»Sanct Moritz! Wo mag er sein! Unser Herzog und Herr!«

»Ist nicht mein Herr mehr.«

»Gebt Ihrs auf hier?«

»Den Ludewig geb ich auf!«

»Wo wollt Ihr hin?«

»Nach Baiern, Herr Törringer; meinen durchlauchtigsten Herren, seinen Brüdern berichten, daß Brandenburg für Baiern verloren ist, so sie Diesem das Regiment lassen. Beim Himmel, es giebt Wittelsbacher, dies besser verstehn.«

< Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweites Kapitel. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.