Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Sechstes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Im Schlosse Wörbelin, das jetzt nicht mehr steht, sah es bald nachdem anders aus. Ueber den Schnee, darin die Spuren des Flüchtlings, war neuer Schnee gefallen, ehe daß der Hund sie gewittert, oder die Feinde sie verfolgt, und der Frost hatte ihn geglättet und fest gemacht. Und er wucherte dicht auf den Kiefern, und weit und breit sah es weiß auf, so die Sonne darauf schien, ein gar anmuthig Bild. Das knisterte und leuchtete, die Sperlinge vergnügten sich im Sonnenschein und hüpften und zwitscherten um die Scheunen, und die Krähen flatterten darauf mit ihrer häßlichen Musica. Auch die Thiere im Walde flogen drüber, nicht lustig, sondern ängstlich wars, hin und her. Denn der Frost, so ihnen den Weg festete, bildete eine starre Decke über die Vorratskammer, da die Rehe und Hirsche tagtäglich ihre Atzung finden. Sie denken nicht auf Morgen als der Mensch. Und mochten lang scharren, bis sie Gras, Kräuter und Moos fanden.

Aber nicht Sperlinge und Raben, noch Rehe und Hirsche allein flogen und setzten über den Schnee. Wärst Du auf einen hohen Thurm gestiegen, da sahst du in weiter Ferne gar manchen schwarzen Punkt auf dem hellen Weiß, und als sie näher kamen, wurden Roß und Reiter draus. Einzelne und in Haufen, und wenn sie dem Schlosse nahe waren, setzten sie den Thieren die Sporen in die Seite. Da stieß der Thürmer ins Horn, sie wechselten Worte, und er ließ die Brücke fallen. Das ging schon eine Woche so, und mochten ein gut Häuflein drinnen sein.

Die Kunde war übers Land gekommen, nicht laut, sondern heimlich, daß Ludwig der Baier im Schlosse sei, und was Freunde er hatte, die sich verborgen, oder versprengt waren, die hatten sich aufgemacht, zu ihm zu reiten, ihm zu sagen, daß sie treu an ihm hielten, und zu hören, was er wollte. Aus ritten sie in der Stille, und suchten die Wege durchs Holz, aber wenn sie dem Schlosse nahe waren, ließen sie lustig Wehr und Waffen klirren und steckten die Baiersche Farbe auf.

Nun hätte Einer denken sollen, wenn das die Freunde erfuhren, Gott weiß wie, seine Feinde müßten es auch wissen, und wenn sies wußten, die doch Sieger waren, und stark an Zahl, sie wären schnell auf das Schloß losgerückt, und hättens genommen. Denn so es auch starke Mauern hatte, und Thürme und Gräben, und konnte gegen Räuber sich halten, auch in kleiner Fehde, so war es doch nimmer stark genug, wenn ein Heer es belagerte. Da wär der Krieg schnell ausgewesen. Aber ein Krieg dazumal war andere als einer heute, und einen, den sie schnell abgemacht, das hätte ihnen kein ordentlicher Krieg gedäucht. Zudem hieß es, einem geschlagenen Feind muß man goldne Brücken bauen, und im Winter rückt man nicht ins Feld, sondern in die Quartiere. Auch wer wußte in solchem Land, wie stark der Feind war, und wer zehn Mann um sich hat, eine Meile davon heißts, er hat hundert, und zehn Meilen weiter, da hat er tausend und mehr.

Die Schornsteine im Schlosse rauchten wieder und in den Küchen brannte mancher Fichtenbaum. Was die Hochzeitsgäste in den Kellern übergelassen, das ward gezapft und die Becher klangen wacker in den Hallen. Ludewig, der wieder frisch auf war, wenn auch etwas bleich, that seinen Treuen redlich Bescheid.

Da waren auch die Grafen von Ruppin gekommen, der Ulrich und der Gerhard, die Spandow hielten, und sich um des Baiern Sache gar verdient gemacht. Solche wackere Männer muß man ehren, so auch der Magen leidet; die Kehle thut doch ihren Dienst. Sie setzten sich nicht anders um den Tisch, denn um Rath zu schlagen, Kriegsrath und andern, aber wenn die Becher klangen, und der Wein die Kehlen naß gemacht, und Einer hub ein Lied an, sie hörten dem lieber zu, denn morgen war ja auch ein Tag, und der Rath, der ihnen heute nicht beifiel, konnte morgen kommen. Und mußte nicht die Gesundheit der Freunde getrunken werden, der braven und wackern? Da ließen auch die Ritter die Städte, nämlich die drei, zu Ehren kommen. Aber wenn der Wein in ihnen sein Recht heischte, kam auch allerhand Lustiges und Spott zu Tage. Da zogen sie über den Bürgermeister von Spandow her, und äfften nach den Rathsherren von Frankfurt und Ludewig malte ihnen im Vertrauen, wie die Weiber in seinem treuen Brietzen aussähen. Bei dem Bilde lachten sie so, daß die Schemel krachten. Und war Mitternacht nah, mußten sie doch noch einmal anstoßen auf bessere Zeiten und den Feinden den Teufel in den Hals wünschen. Das macht die Kehle trocken, drum immer noch ein neuer Humpen noth that, bis Ludewig blaß schaute und meinte, es sei genug. Da hielten sich wohl Einige an die Wände, um die Thür zu finden.

Das war nicht Ludewigs Art, daß er sagte, es ist genug. Er hielt aus, trotz Einem, als es einem Fürsten und Ritter ziemt, daß er auch im Trinken den niederen Mann aussticht. Aber hier war er nicht lustig, er wollts nur scheinen, und den Humpen, den er ansetzte, ließ er oft stehen, und hatte nicht Bescheid gethan. Das ist nicht adlig. Und schaut Einer plötzlich finster, als säh er Geister in der Luft, dieweil er zum Lachen ansetzte, das kann Andern wohl die Lust verderben.

Heut wars auch Mitternacht worden, und die Andern waren gegangen; nur die beiden Grafen von Ruppin blieben, als sie mitnander verabredet, um mit dem Herrn noch ein Wort zu sprechen. Denn bei Tage wich er ihnen aus.

Er saß da, den Ellenbogen auf dem Tische und die Hand im Haare: das war auch schon mehr grau denn braun.

»Durchlauchtigster Herr –« hub Ulrich an.

Ludewig starrte auf und sah ihn verwundert an: »Du Ulrich. Ich meinte Ihr wärt auch schon gangen. Es will nichts bleiben und ist nichts als es sollte.«

»Als Ihr uns vergönnt, daß wir zween Worte mit Euch reden: denn so kanns nicht bleiben. Wir sitzen hier schon an die Woche und ist noch nichts beschlossen und gethan.«

»Ja so, das ists! – Ueberlaßt ihrs doch!«

»Wem, gnädiger Herr?«

Da besann sich der Fürst, gähnte und legte sich über im Sessel: »s wird wieder kalt. Schürt das Feuer an. Nicht wahr, im Thale von Meran ist der Jänner freundlicher? Da möchten die Veilchen schon blühen.«

»Was Botschaft brachten die letzten Briefe aus dem Reiche?« fragte Graf Gerhard.

»Ich las sie nicht.«

Die Brüder sahen sich verwundert an. Er merkte es.

»Gutes gewiß nicht, Ihr Lieben, was thuts da noth, die Nas hineinzustecken und sich zu ärgern. Eure Schwester thuts für mich.«

Da sahen die Beiden sich noch verwunderter an.

»Gnädigster Herr«, sprach der Ulrich, »da wir hier unter uns sind, was ists mit Der. Kennt Ihr sie doch besser als wir, ihre leiblichen Brüder. Haben uns nicht viel vertragen, von Kindheit an. Denn sie war wild und immer andern Sinnes, und wo sie hinaus wollte, da mochten wir nicht folgen. Mag sein, daß sie auf dem Römerzuge, wo unsre Mutter den Vater begleitete, in Italia zur Welt kam, und schoß ihr von der heißen Luft ins Blut. War von je an nicht viel Märkisches in ihr, und als jüngstes Kind verzärtelte sie die Mutter. Doch das ist nun wie es ist. Aber wir freuten uns gar sehr, daß Ihr Euch wieder vertragen habt; denn was wir gethan, sie zur Zucht zu bringen, und zum Gehorsam für ihren rechten Landesherrn, das wißt Ihr.«

»Ich weiß es.«

»Und so Ihr es der Schwester vergeben habt, daß sie ihr leibliches Kind, pfui! so wegwarf, was kommts auf uns. Die Grafen von Nordheim sind ohnedem ausgestorben.«

»Laßt sie in Frieden ruhn.«

»Nun aber, Herr, was ists, daß sie uns sich nimmer zeigt? Kaum daß sie uns die Hand reichte, daß wir einritten, und kalt sprach: Seid mir willkommen! Sie schaute aus, als wir sie nimmer sahen, und von Stund ab schloß sie sich ein. Ist das als eine Schwester, die sich mit ihren Brüdern ausgesöhnt?«

»Sie ist krank, vielleicht sehr krank.«

»Sie brütet was. Herr Gott, daß das ein Bruder der leiblichen Schwester nachsagen muß. Aber, gnädiger Herr, seht Euch für. Was ists, daß sie so schnell von ihren Freunden abfiel. Ihr wißt so gut als wir, wie sie zu ihnen stand.«

Ludewig lächelte: »Ihr Herren, das ist – verzeiht mir, es ist – ei, nennts der Natur geheimnißvoller Zauber.«

»Wir sind gute Christen, Herr, so auch im Bann; aber das eben ists, ihre geheimen Künste. Was verkehrt sie mit Pfaffen und Gott weiß, was. So sies nun nicht redlich mit Euch meinte, Euch wollte einlullen in Vertrauen?«

Ludewig legte die Hand auf Herz: »Sie meint es redlich mit mir, deß geb ich Euch mein ritterlich Wort.«

»Sie hats gezeigt«, brummte Gerhard.

»Sie hat Euch einmal verrathen.«

»Ei, Ihr unfeinen Brüder! Was ist Verrath eines Weibes! Ein Spiel der Natur; sie kann sich nur selbst verrathen. So ich Euch nun sage, sie hat es immer redlich mit mir gemeint.«

»Sie ist eine Zauberin«, brummte Gerhard fort.

Ludewig schaute vor sich: »Setzt Euch nieder. Ihr seid gut und treu, ich wills Euch sagen, was es ist, das sie krank macht.«

Sie setzten sich zu ihm.

»Sie ist behext, daß Ihrs wißt«, sprach der Fürst nach einer Weil.

Die Grafen schlugen ein Kreuz.

»Von wem?«

»Kennt Ihr ihn? Kenn ich ihn? Wenn solche Frauen vor ihm zittern, das muß doch ein Hexenmeister sein! Ja, Freunde, gegen ihn kommen wir nicht auf. Ihr heilig Wort gab sie mir, sie wollte ihn zu Boden schmettern. Deß habe sie Zeugnisse und Beweise, davor er das Aug nicht aufschlagen könne. Nun seht, sie sprach mit ihm, wars eine Stunde oder länger, und ich hörte ihn fortreiten mit Hörnerklang und Jubelgeschrei. Wartete lang, es ward wieder eine Stunde und sie kam nicht. Endlich trat der Graukopf, ihr Diener zu mir. Der sagte, sie liege blaß da im Armstuhl, als wie gestört; hätte ihn nicht angesehen noch ihm geantwortet, nur mit der Hand ihn fortgewiesen. – So fand ich Eure Schwester. Ei sagt, wär sie ne Zauberin, da hätte Er dagelegen.«

»Und was sagte sie?«

»Nichts. Als eine zerknirschte Tulpe richtete sie sich auf. Drückte mit ihrer eiskalten Hand meine, daß ich schauderte, und ging zur Ruhe. Aber ihre Frauen sagen, sie hat die ganze Nacht kein Aug zugethan. Am Tage drauf sprach sie als im Fieber; Ihr kennt ja ihre Art, Ihr Herrn, von Todten und Lebendigen.«

»Still!« rief Graf Ulrich vor sich. »Ist ihre Krankheit; da muß man sie nicht hören.«

»Kam sie nicht wieder zur Vernunft?« fragte der andere Bruder.

»Doch! Aber ihr Wesen ist seltsam, daß michs kalt überläuft. Bei Tage ruht sie, bei Nachtzeit ist sie auf, und liest die Briefe, und schreibt.«

» Euere Briefe, Durchlauchtigster Herr? Traut ihr nicht!«

»Ich traue ihr«, sprach Ludewig mit fester Stimme.

Es schlug grad Mitternacht, als sich die Thür im Täfelwerk öffnete und die Gräfin trat ein. Wer sie lang nicht sah, der hatte wohl Grund zu erschrecken, als die Brüder thaten; die sprangen auf als vor einem Gespenst. So blaß sah sie aus, wie gelb in dem fahlen Kerzenlicht, das auf ihr Antlitz fiel und die schönen Augen lagen tief und hohl. Sie schien größer, als sie sonst war, denn sie ging aufrecht und hatte ein dunkel Kleid an, sonder allen Schmuck und Zier. In der Hand trug sie viele Briefe, offene und versiegelte; die legte sie auf den Tisch, und nickte gleichgültig den Brüdern.

»Ihr hört, Ulrich und Gerhard, daß Ludewig mir traut. Nun geht schlafen, wir haben viel zu sprechen.«

Die Brüder sahen sich an und den Fürsten; sie mochten nicht fort –

»Befiehl Du es ihnen«, sprach die Gräfin zum Herzog. »Einer Schwester gehorchen die Brüder ungern.«

»Beim heiligen Stephan! was solls!« rief Ulrich, »was ein Bruder nicht hören darf!«

»Geht!« sprach der Herzog. Man sahs ihm an, ihm wärs lieber gewesen, so die Grafen blieben.

»Ihr habt nichts zu theilen mit dem, was der Markgraf und ich verhandele«, wiederholte sie. »Oder meint Ihr, Wache stehn zu müssen, daß ein Weib ihm nichts anthut? Seht, ich bin schwach von der Krankheit. Ich führe auch keinen Dolch, noch Messer. Nur diese Schriften; die sind nichts für Euch, meine Brüder.«

Und doch führte sie eine Waffe, schärfer als Dolch und Messer, ihre Augen. Ludewig hätte die Brüder jetzt bitten mögen, daß sie blieben. Ihm war gar unheimlich, mit ihr allein sein.

»Es ist ein Werk der Nacht.«

Er wollte von den Briefen sprechen, die er in die Hand nahm, was sonst nicht seine Art war; er liebte nicht die Schreibereigeschäft und ließ sie gern Andern.

»Davon nachher«, hub sie an. »Laß mich zuerst zu Dir sprechen, als das Herz mir gebietet.«

Ludewig hätte in diesem Augenblick lieber vom Großmogul gesprochen, lieber hätte er gehört die Klagen der Stände. Die waren ihm doch ehedem als eine bittere Arzenei, so der Kranke lieber auf die Erde gießt, als herunterschluckt.

»Ludewig«, hub sie wieder an, »nimm meinen vollen heißen Dank, um das Vertrauen, daß Du mir bewiesest, um die Liebe, die Du mir wieder geschenkt. Ich verdiente sie nicht. – Lasse mich ausreden, Lieber! Von Verbrechen und Sünden rede ich nicht, für die ist ein anderer Richter; aber daß ich zweifeln konnte an Dir, und Du hast nie an mir gezweifelt. Auf den stillen Bergen und am rauschenden Fürstenhofe hast Du an mich gedacht, im Arm der Gattin, am stillen Abend und wenn der klare Morgenschein Dich röthete, in Liebe meiner gedacht und ich blieb Dir, was ich Dir gewesen! Und Du wußtest meinen Verrath, was ich an Dir gefrevelt, und im Uebermaß des Unglücks, in das mein Wahnsinn Dich gestürzt, vergeltest Du es mir so! Niemand auf der Welt, nicht Kind, Bruder, nicht die Mutter selbst ehrte mich so als Du, der Du in meinem Arme ruhtest und wußtest nicht, ob er nicht heimlich den Dolch zückte. Dein wundes Haupt legtest Du in meinen Schooß und schliefst unbekümmert, ob nicht die Rachegeister doch in mir erwachten. Ein Wink, ein Blick, ein unwillkürlich Zucken, ein unbewachtes Wort konnte Dich verderben, und doch trautest Du mir, mehr als Kinder der liebenden Mutter. Das war groß, nein mehr als groß, es war ein Hingeben, um das ich Dein bin, mit ehernen Ketten an Dich gefesselt, Dein als Sclavin, die Dir durch Dornen und Wildnisse, durch Brand und Nacht, ja, sei es in die Schrecken der Verdammten, durch die Schwefelpfühle folgen muß.«

Wie da ihr Auge ihn so glühend und zärtlich anblickte, und die Lippen, die sonst voll Seligkeit schwelgten, von einem Schmerze, oder wars vom Fieber, zitterten, durchschauerte es den Fürsten. Aber gar nicht als einen Liebesglühenden, von dem die Geliebte nur einen Schritt entfernt steht, und er braucht nur den Arm auszustrecken, um sie zu umfangen; den treulosen Buhlen, dem die Geliebte als ein Gespenst erscheint, mag es durchfrösteln. Aber sie lebte ja; das war derselbe Mund, auf den er tausend Küsse gedrückt, dasselbe Auge, in dessen Spiegel er eine Welt gesehen, dieselben Arme, in denen er die Welt vergaß. Ludewig war ein Ritter und sprang auf. Er sprach von den Pflichten gegen schöne Frauen und ein Wort, das sollte zärtlich klingen, und wollte den Arm um sie schlingen. Aber sie wies ihn fort.

»Nein, Ludewig«, sprach sie, »einen Schritt zurück, die Flammen sind ausgebrannt. Unser Bund ward ein anderer. Keine Last will ich Dir sein, wenn Du die Adlerschwingen wieder erhebst. Du bist frei. An meinen Sünden hast Du keinen Theil; nur, was ich aus ihnen rettete, gehört Dir. Die Liebe hat mit der Lust der Sinne nichts gemein. Betrachte meinen Leib als gestorben, aber meine Seele ist bei Dir, mein Geist folgt Dir und begleitet Dich fortan.«

»Mathilde!« rief er. »Was ists? Warum wardst Du mir eine Andere? Ich will Dich nicht anders, als Du mir warst.«

Sie lächelte schmerzlich: »Das kann ich nun nicht ändern, Geliebter; ich ward eine Andere.«

»Seit wann?«

»Seit Er zu mir sprach.«

»Alle guten Geister! was hat er Dir gesagt?«

»Erlasse mirs, um Deiner Liebe willen. Oder befiehlst Dus? Wohlan, Du bist der Herr und ich gehorche; ich will mich überwinden, wills versuchen. Aber wer beschreibt Blitze, wer malt den fürchterlichen, sengenden, durchbohrenden Blick – ach, und der Ton seiner Stimme!«

»Du hattest die Nacht an meinem Bett gewacht, ein Fieber schüttelte Dich, als Du zu ihm gingst, Du sahst eine Erscheinung, so Dein erhitzt Blut aus dem Nichts hervorrief.«

»Ich sah die Wahrheit, Ludewig! Ich hörte ihre Stimme mit dem Donnerorgelton des Gerichtes.«

»Die Wahrheit!«

»Ludewig, die nackte, baare Wahrheit.«

»Weib! Mathilde, Du glaubst an ihn?«

»An den Richter, der vor mir stand und, als eine Gerichtete, mich niederschmetterte; jeder Blick ein glühend Eisen, das mir durchs Herz fuhr, jedes Wort ein zückender Schlag. Könnte ein Geräderter sprechen, wenn man den zerschmetterten Leichnam vom Rade flicht, er würde sprechen, wie mir zu Muthe war. Ja, ich war, ich bin vernichtet. Die Mathilde, mein Freund, die im glühenden Leichtsinn an Deinen Lippen lebte, ist todt. Die reuige Sünderin blieb übrig; ach, aber eine Sünderin, die der Himmel in seinen Rathschlüssen noch nicht zur Buße lassen will; sie muß weiter sündigen

»Mathilde – Er wäre es!«

»Den der Himmel sandte, mich zu strafen.«

»Was kümmert michs«, fuhr Ludewig auf, »was er Dir predigte. Ist ers, glaubst Du es. Können Todte lebendig werden, dann ists des Himmels Werk.«

»Warum nicht auch der Hölle? Ludewig, wir Beide –«

»Gegen die Hölle will ich streiten. Antwort, Mathilde, auf meine Frage! Nichts will ich wissen, als Deine Ueberzeugung. O, Du blicktest ja sonst so klar ins Herz. Einen Betrüger erkennt Dein Auge. Ist er keiner? Oder ein Heiliger, ein Wunder Gottes? Dann legen wir die Hände in den Schooß. Wer wollte gegen den Herrn streiten!«

Die Gräfin schwieg, den Blick zu Boden. Plötzlich richtete sie sich auf: »Nein, ein Heiliger hätte milder auf eine Sünderin geschaut. Der triumphirende Blick, das stolze Lächeln kam nicht von oben. So erhebt sich selbst Keiner, den die Engel senden. Das war aus der Hölle.«

Er faßte teilnehmend ihre Hand. »Armes Weib, was hat der Beschwörer Dir angethan, daß ich meine kluge, klar blickende Mathilde nicht wieder erkenne? Dein Sinn geht irr, oder Du sprichst in Räthseln. Setze Dich zu mir.«

»Wohl ein Räthsel, Ludewig, wo der Himmel durch der Hölle Mund zu uns redet. Vom Himmel kam das, ich sah ihn offen, und aus der ewigen Klarheit schmetterten seine Blitze gegen mich, – und doch, doch, das Werkzeug, nein. – Sie sagen freilich: die Weihe der heiligen Sacramente bleibt ungeschwächt, auch wenn ein sündhafter Priester sie uns reicht. Aber das Warum – Mein Kopf ist heiß.«

»Geh zur Ruhe.«

»Nein, zur Arbeit, Ludewig! O wir müssen thätig sein, keine Stunde verlieren, keine Minute! Arbeiten, arbeiten, daß wir kein Ohr leihen den Stimmen der Sünde, die uns umschwirren. Zur Buße ist noch nicht Zeit, für mich nicht. Ich habe mich Dir geweiht, ganz und durchaus. – Ich wollte wohl, Du siehst, ich kann nicht. Herzinnig flehte ich die Jungfrau an, mich zur Buße zu lassen. Sie hat mich nicht erhört. »Du hast noch Kraft in Dir«, sprach sie. »Tobe aus, wildes Weib.« Leben, handeln muß ich, ich fing an, ich muß enden. Für mich nicht mehr, für Einen muß ich doch leben. Was ist ein Leben ohne einen Gedanken, der das niedere Dasein hebt! Für meine – für Deine Tochter wollte ichs. Man hat sie mir fortgerissen, oder sagt: ich habe sie verstoßen. Sie war zu unschuldig für solche Mutter. Da führten die Geister der Nacht Dich zu mir. Wir gehören zusammen. Du bist mein Leben nun, Du sollst mein Gedanke sein, Du allein. Als wie der Rahmen das Bild umschließt, bin ich um Dich, webe, schaffe, denke nur für Dich! Ich, Deine Sclavin, und doch bist Du mein Eigenthum. Die Hölle will ich Dir vernichten. Ich lasse Dich nicht, Du sollst triumphiren, denn eine Sache muß siegen, wo Einer mit reinem Bewußtsein sich für sie opfert. Ich will es. Der Himmel muß das Opfer gütig annehmen; es ist ja nicht für mich.«

Hätte ein Roß dagestanden, gezäumt und gesattelt, das ihn in die Weite, seis ins Elend, trug, ich glaube, der Baier-Herzog wär lieber in den Sattel gesprungen, und auf und davon geritten. Die Winde heulten wieder draußen, und rüttelten an den Mauern, die Fenster klirrten und die Bilder an der Wand bewegten sich.

Sie hielten ihre Hände in einander, aber es war kein warmer Druck, ein kalter Schweiß feuchtete die Hände.

Da stand sie auf, setzte sich an den Tisch und legte die Papiere aus einander. Ihm bedünkte, es sei jetzt nicht Zeit zu Staatsgeschäften; aber die Gräfin sprach: »Noch diese Nacht muß der Bote ab, sein Roß stampft schon im Hof.«

»Wohin?« fragte er.

»Nach der Pfalz.«

»Die ist hundert Meilen weit. Was hab ich nach der Pfalz zu schicken.«

»An den Pfalzgrafen Rudolf, mein Fürst; sein Schreiber wartet auf Antwort.«

Sie gab es ihm, er überlas es, und seine Augen waren doch nicht auf der Schrift.

»Das sind weitläufige Dinge, das hat Zeit. Was soll der Pfalzgraf Rudolf uns?«

»Brandenburg Dir wieder gewinnen. Lies! Er kocht vor Wuth über den Schimpf, den ihm der Kaiser anthat, um seine Tochter zu werben, und, da es verabredet, wirbt Karl im Geheim um die Prinzessin von Jauer.«

»Ein glühend Eisen knistert, bis Einer Wasser drauf gießt. Karl weiß seine Feinde kalt zu machen. Ich habe keine Freunde.«

»Drum das Eisen geschmiedet, so lange es heiß ist. Du hast den Brief nicht gelesen; Rudolf ist mit den Erzbischöfen im Einverständniß.«

»Bis Karl mehr bietet. Mir hilft nichts.«

»Dir ist geholfen, wenn Du wagst.«

»Mein Recht steht leuchtender als die Sonne am Himmel.«

»Und ein Bund der Hölle warf Dich nieder. Kämpfe mit den Waffen, Fürst Ludewig, mit denen sie Dich angriffen.«

»Der Mann ist nicht zu überwinden, Du erfuhrst es ja selbst.«

»So überwinde Den, der ihn schuf.«

»Bin müde, Mathilde, kann Dein Räthsel nicht lösen.«

»Karl von Böheim ist Dein Feind, kein Anderer. Schaffst Du ihn Dir vom Hals, mit den übrigen wird Ludewig der Baier fertig. Das Gespenst hier sinkt von selbst zusammen, wenn der Athem fehlt, der das Luftbild anblies.«

»Thörin! rang ich nicht schon mit dem Kaiser, that es nicht mein kaiserlicher Vater? Was will der Löwe gegen den, der Fuchs, Schlange und Adler in eins ist. Wo saß ich ihn, der jedem Griff entweicht?«

» Da wo er Dich faßte. Nicht indem Du in diesen Heiden mit ihm scharmützelst, indem Du ihn selbst angreifst, sein eigen Sein und Leben, seine Krone fassest, ihn so erschütterst, daß er auf dem Boden wankt, auf dem er steht. Da vergißt er nach andern zu greifen. Das Mittel ist gefunden, Dank den finstern Geistern, die es mir eingaben. Grad wie ich Dich stürzen wollte, so stürzen wir ihn. Puppe wider Puppe. Verrath wider Verrath. Er stellte Dir einen andern Markgrafen gegenüber, so stelle Du ihm einen andern Kaiser gegenüber.«

Ludewig zückte auf, es war wieder seine Mathilde, die das gesprochen. Aber das Leuchten ihres Auges konnte seines nur auf einen Augenblick entflammen. Er sank wieder zurück und schüttelte den Kopf.

»Eitle Träume.«

»Mehr als Traum, halbe Wirklichkeit; morgen, wenn Du willst, Wahrheit. Du hast nicht gelesen Ludewig. Der Böhme hat zu klug gespielt, daß ihn nun die Dummheit überlistet. Sein Spiel hat der Deutschen ehrlichen Sinn empört. Sie murren und sind schwierig in allen Kreisen; selbst die seine eifrigsten Freunde waren. Auch den geistlichen Fürsten gefällt er nicht mehr. Sie sind bereit, der deutschen Nation zu beweisen und zu beschwören, daß er nicht mit Rechten gewählt ward. Alles das schreibt Rudolf. Nur eines Anstoßes braucht es, und der verhaltene Unwille bricht auf. Nur eines Mannes, der sich an die Spitze stellt.«

Ludewig ließ den Kopf auf den Ellenbogen sinken. Vor sich hin sprach er leis: »Ich bin nicht der Mann. Ja, ehedem, vielleicht.«

»Auf, Sohn der Wittelsbacher, auf, Ludewig der Baier«, rief sie, »es gilt um eine Krone, stähle Deine Kraft, erwecke den gesunkenen Muth. Vier Kurfürsten sind auf Deiner Seite, vier sind die Zahl, die rechtmäßig einen Kaiser wählen. Der Böhme, erblassen wird er in seiner Schlauheit. Auf alles ist er gefaßt, nur nicht auf diese Kühnheit. Vor blankem Widerstand schlottern ihm die Knie. Rathlos rennt er in der ersten Angst mit der Stirn gegen die Wand. Er bietet Dir die Hand, o, es kommt ihm nicht darauf an, er sinkt wohl vor Dir nieder, bricht Verträge und Schwüre, verräth Blutsfreunde und Getreue, Brandenburg schenkt er Dir, die Lausitz, was Du willst, seine Puppe liefert er Dir aus, wenn Du nur vom Gegenkaiser abfällst.«

»Ich abfallen!« fuhr Ludewig auf. – »Sieh das! Ich meinte, Du wolltest mich zum Gegenkaiser machen. Laß Kaiser sein wer Lust hat, mein ists nicht.«

»Nein, Du nicht, Ludewig!« sprach sie weicher, fast klangs mitleidig. »Die Last noch möcht ich Dir nicht aufbürden. Wen wir ihm entgegenstellen, vergieb, das muß ein reiner und ein großer Mann sein. Makellos vorm deutschen Volke, mit einem Schein um die Stirn, den Du und ich nicht machen. Tapfer und beredt. – Ludwig!« – sprach sie, ihn bedeutsam anblickend – »so wie Der. Das Volk muß an ihn glauben. Das ist sein Sieg.«

»Aus welcherlei Metall gießt die Hölle ihre Heiligen? – Ein Gegenkaiser! Weib! Satan selbst gab Dir den Gedanken ein. Einen Brand schleuderst Du in die Welt, ganz Deutschland lodert auf!«

»Und in dem großen Brande erlischt der kleine, der meinen Freund verzehrt. So wills die Hölle.«

»Hörst Du die Eule draußen? Sie lacht, die Hölle, über das Meisterstück eines Weibes. Schade nur, es fehlt der Mann. Das vergaßt Ihr, edle Gräfin. Wo im römischen Reiche findet Ihr Einen, der es wagte, Gegenkaiser zu werden?«

»Er ist da.«

»Glück auf dem Muthigen! Falsch gerechnet, doch falsch, Weiberklugheit. Karl kauft ihn aus. Wer von Deutschlands Fürsten widersteht seinem Golde?«

»Den ich gewählt. Achtung, Baiernherzog, vor dem einzigen Manne, den ich achte, vor meinem hohen Vetter und Deinem treuen Freunde, dem edlen Grafen von Schwarzburg.«

»Günther!« rief Ludwig erstaunt.

»Günther von Schwarzburg wird Gegenkaiser.«

»Der kleine Graf!«

»War Rudolf von Habsburg größer? Nicht auf Macht kommt es an, auf Ansehn und Ehre.«

»Er wagt es nicht für mich.«

»Für Dich nicht, aber für Deutschland. Lies was ich schrieb. Wär ich der Fürbitten der Heiligen so gewiß!«

Ludewig las die Schrift, er las wieder und ließ sie auf den Tisch fallen.

»Weib! gab die Hölle Dir Engelzungen, mit denen Du Worte aufs Pergament hauchtest? Ja, ich glaube – hol mich der Teufel, er wird! Gnade Dir Gott, bete zu den Pfaffen, Herr Karl von Luxemburg! Er wird Dir am Bart zausen und ich reiße mit.«

»Unterschreibe!« sprach sie und hielt ihm die Feder.

»Da stehts! Mordio! der Teufel hat sich selbst betrogen. Mein liebes deutsches Reich, zwei Kaiser bringt Dir dieser Federzug, und einen Betteltanz, da werden die Fackeln gen Himmel sprühen, daß den Heiligen vor Rauch die Augen weh thun.«

Er ging stürmischen Schrittes einher, während sie die Papiere zusammen that.

»Und wir!« rief er. Es war eine häßliche Freude, da er der Gräfin den Arm um die Schultern legen wollte. Sie wies ihn sanft aber entschieden fort.

»Wir sind dann quitt.«

»Mathilde!«

»Ich rief den Sturm, der Dich umwerfen sollte, nun hab ich den beschworen, der Deinen Feind niederwirft. Du hast freie Luft, handle als Mann, Ludewig!«

»Und Du?«

»Mich giebst Du frei dann? Nicht wahr?«

»Was willst Du dann?«

»Auch die andern Bande sprengen, als die Heiligen mir Kraft leihen, um ganz frei zu werden, mein Freund, wenn er mich ruft.«

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