Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Achtes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Das war, als der Schnee lag auf der deutschen Erde, von den Alpen bis zum Belt, vom Rheine bis zur Oder. Aber als die Pfingstsonne lachte auf die grünen Felder und Rebenhügel, wie anders sah es aus, und was anderes war geschehen, als Die gewähnt, die auf die neue Zeit hofften.

Nicht frohe Geschichten berichte ich Euch von der deutschen Vorzeit. Solche sinds, über die ich lieber fortginge. Aber der Meister, der Euch auf Leinwand eine Eiche malt, gern ließ er sie in die Wolken ragen, in gradem Wuchs und ihre Aeste sich wölben zu einem prächtigen Laubdach, aber er muß sie conterfeien, als sie ist: ihre abgestorbenen Aeste, da den Auswuchs, da den Schwamm, da, wo der Blitz ihre Krone traf; ach, auch den Wurmfraß, der in ihrem Mark zehrt, er darf nicht das Auge davor schließen. Aber eine Eiche wächst lange, der Sturm mag ihre schönsten Aeste zerbrechen, die Fäulniß mag vom Stamme zehren, ihr Wachsthum ist stärker als Würmer und Stürme; sie grünt fort und mag sich wieder kräftigen. Gebe Gott, daß so es die deutsche Eiche auch thut.

Von der Hochzeit am Rhein erzähle ich Euch nicht. Das war eine seltsame Hochzeit; nicht um zu binden war sie geschlossen, um zu trennen. Sie hatte ihre Früchte getragen. Der Pfalzgraf vom Rheine, der treueste Blutsfreund der Baierherzöge, war von ihnen abgefallen. Da sprachen Günthers Freunde: »Nun laß gut sein; sonder ihn vermagst Du die Krone nicht zu halten. Noch bietet Dir Karl gute Bedingungen. Greife zu als lang die Zeit günstig ist.« Aber Günther hatte das Haupt erhoben und zornig gesprochen: »Das rathet Ihr mir, die Ihr mir die Krone aufdrängtet! Weiß Gott, mein Herz lüstete nicht nach ihrem Glanze. Aber ich that es, um mein theures, heiliges Vaterland, um das deutsche Reich, das einen Mann zum Kaiser brauchte, keinen Schleicher und Pfaffengünstling. Ich nahm sie erst, als der Fürsten Mehrzahl feierlich erklärt, daß Karl sie verwirkt und der deutsche Kaiserstuhl erledigt sei. Da bestieg ich ihn getrosten Muthes meiner guten Sache. Kein Gegenkaiser war ich nicht, kein Empörer, der um Anhang feilschte. Wehe dem Land, das keinen Herrn hat! Darum ward ichs. Nun bin ichs, bei Gott, und wills bleiben, als lang er mir Kraft giebt, daß ich den Arm heben kann und das Schwert.«

Ach, die Pfingstsonne beschien einen schwachen Mann, der konnte das Schwert nicht heben, und sein Arm war gelähmt. Die Sonne schien auf Blumen und Kräuter im schönen Rheingau, die Vögel sangen in den Büschen, die Schmetterlinge flatterten im Blauen, aber in die Fenster des Kaiserhauses zu Eltwill drang das Sonnenlicht als zum Spott. Da lag ein siecher Held, blaß, geschwollen im Lehnstuhl, und doch im matten Aug, das nach der warmen Sonne schaute, als voll Sehnsucht, erkanntest du den, der werth war, daß er über Deutschland herrsche.

Betrübten Blickes standen um ihn die Getreuen, die Aerzte aber senkten die Kopfe, und sprachen lateinisch mit einander.

»Verruchte Kunst,« sprach ein Getreuer, »die so was that!«

»Schelmenkunst,« sagte ein Anderer, »die was sie Böses that, nicht wieder gut machen kann.«

Da zitterten die Meister, und Einer wollte dem Kaiser noch einen Trank reichen, den er umgerührt, aber Günther wies ihn fort.

»Ich trank genug, ihr Meister; laßt nur den lieben Gott walten. Das ist mein Leib und meine Seele. Wenn Menschenkunst nichts mehr ausrichtet, dann ists sein Wille, daß ich von dannen gehe.«

Der Erzbischof Heinrich von Mainz sprach: »Gnade uns Gott, was soll draus werden, so uns der Luxemburger überfällt. Er zieht von Speier her wider uns, als mir eben berichtet wird.«

»Wer soll das Heer anführen, so Du nicht,« rief ein Graf.

»Zu aller Tücke, die er geübt, was wird der Pfaffenkaiser lachen,« sagte ein Dritter.

»Wenn wirs nur geheim gehalten hätten,« sprach der Mainzer. »Es ist schlimm, daß es ins Volk kam und unteres Heer. Wüßten sies nicht, dann setzten wir einen Mann in des Kaisers Rüstung aufs Roß und zögen getrost aus. Sein Name allein schreckt die Feinde.«

Der Kranke richtete sich auf, sein Auge bekam wieder Glanz. »Meint Ihr Lieben, daß mein Name Euch retten kann?«

»Und säßest Du als Todter zu Roß, Karl kriegt das Fieber und läßt zum Rückzug blasen.«

»Wie lange gebt Ihr mir noch Leben, weise Meister?« fragte er die Aerzte.

»Erhabener Kaiser, Du bist siech – das Gegengift hat –«

»Wahrheit, Meister! Ich trete vor Gottes Thron.«

»Das Gift, so abscheulich es ist, aus Krötennestern und bei Mondenschein gepflücktem Samen gekocht, nagt doch umsonst, mein Kaiser: Unsrer Kunst widerstand es, unsere Gegengifte waren zu schwach wider das höllische Gebräu des Mönches; aber an Deiner kräftigen Natur fand es einen unüberwindlichen Widerstand.«

»Wahrheit will ich, nicht Trost. – O es brennt. Wie viele Stunden ich noch zu athmen habe.«

»Stunden! erhabener Herr!« Der Arzt hob die Hände gen Himmel. »Du wirst noch Tage, Wochen, Monde leben. Ja, unsre Kunst erhält Dich vielleicht noch ein Jahr. Und giebt es nicht Reliquien in Fülle, sind nicht wunderthätige Bilder in Deutschland! Wir tragen Dich durch das ganze Reich von Ort zu Ort; eines der heiligen Bilder wirkt doch vielleicht so auf Dich, daß Du ganz genesest.«

Günther hatte ihn nicht ausreden lassen. Er hob sich im Stuhle: »Aufs Pferd! hebt mich aufs Pferd, meine Freunde. Und wills nicht thun, bindet mich drauf fest. Ihr sollt siegen durch meinen Namen, und gerettet werden, um Eures Vertrauens willen. Sterb ich im Schlachtgetümmel, was giebts bessern Tod für einen Kaiser, als daß er stirbt, um seine Getreuen zu retten!«

Also ließ sich der sieche Kaiser aufs Roß heben und zog, der Sterbende, aus unter seinen Völkern zur Schlacht. Derweil die Ritter aus dem Schloß zu Eltwill ritten, traten in das Gemach neben dem, wo der Kaiser gesessen, viele Gesellen von sonderlichem Ansehen. Ihre Wämmser und Mäntel waren nicht als die der Bürger oder Adligen. Wild und scheu waren ihre Blicke und roh ihre Mienen; ihr Haar hing in seltsamen Locken, und an der einen Seite war ein Knoten daran. Waren durchs Nebenpförtlein die Hintertreppe heraufgekommen; aber wer ihnen begegnete, der wich ihnen aus, daß er sie nicht streife. Es waren Freiknechte.

In dem Gemache lag auf dem Boden eine Leiche, von Gift geschwollen; schreckhaft sah sie aus, blau und schwarz, und wie er hingestürzt, der Mensch, der einst in diesem Körper gelebt, und sich gewälzt in seinen Todeskrämpfen, also lag er da. Es hatte keine Hand ihn angerührt, Keiner war ihm beigesprungen. Die Freiknechte rührten ihn auch nicht an; sie stießen ihn mit den Füßen zurecht; dann knüpften sie Knoten und eine Schlinge in den Strick, und warfen dem Leichnam die um den Hals. Der oberste Freiknecht trat mit dem Hacken zu, daß er sie festziehe, und so schleiften sie den Körper zur Thür hinaus und zogen ihn die Treppe hinunter. Wars kein Schauspiel, zu dem sich ein guter Mann drängt.

Nur zween in der Fensterbrüstung hatten von fern zugesehen. Der Eine, ein Kaiserbote, der erst vor einer Stunde angekommen, sprach nun zum Andern, der der Kastellan des Schlosses war:

»Sagt mir nun in Bälde, derweil mein Roß verschnauft, wie der Hergang der schrecklichen Geschichte gewesen, daß ich sie Kurfürst Ludewig, zu dem ich reiten muß, des getreuesten wieder berichte.«

»Als sie grauenhaft ist und unerhört, lieber Herr, so ist sie kurz. Der Kaiser fühlte sich unwohl gestern. Da brachte ihm Freidank, sein Medicus – ich hätte ihm nie getraut – einen Trank. Den rühmte er über die Maaßen, da sei wunderbare Heilkraft darin. Was ziemt das einem Arzt, aber also verräth sich die Hölle selbst. Das fiel dem Kaiser auf, der sonst sorglos ist. Sein Schutzheiliger gab ihm ein, daß er dem Mönch – denn das war Freidank – scharf ins Gesicht sah. Was er gesehen, ich weiß es nicht. Aber nun forderte der Herr, daß der Medicus zuerst davon koste. Der zauderte. Da heischte es der Kaiser mit einem Blick, dem widersteht man nicht. Er mußte trinken, und die Hälfte leeren. Dann griff Günther die Schaale – so ist seine Art – und stürzte sie rasch aus. So ist der wahrhafte Verlauf, lieber Herr. Was draus geschah, weiß man nicht. Als Lärm ward im Schloß, und wir zustürzten, sahen wir den Teufelsmönch auf der Erde liegen, und er hauchte unter gräßlichen Zuckungen seine Seele aus. Wer achtete auf ihn, da er seinen Kaiser leiden sah, der als ein Held mit seinem Schmerze kämpfte, und die Aerzte gaben ihm ein Gegengift nach dem andern. Aber das ist Satans Werk, daß das Böse, und wög es auch nur eine Unze, schwerer ist als das Gute, und wög es viele Pfunde. Diese kleine Schaale, bis hier, trank der Kaiser von Gift, und zwei große Kannen Gegengift, und die habens doch nicht fortgetrieben.«

»Und der Mönch starb, ohne zu bekennen?«

»Wer achtet auf den Hund, der verreckt, so man Den heilen will, den er biß.«

»Und auf wen ahnet man?«

Der Kastellan sah sich erschrocken um: »Vorsicht, lieber Herr. Die Wände haben Ohren, und wer weiß, wenn der Graf – wenn der Kaiser stirbt, was Kaiser Karl – S ist besser nicht von sprechen. Das wird wohl nimmermehr ans Tageslicht kommen, und ein Räthsel bleiben für alle Zeiten. Ist auch vielleicht so besser.«

Am Rheine kam es zu einem halben Treffen. Auf der einen Seite waren Wenige; ihrer Viele auf der andern. Die Wenigen führte ein sterbender Mann, bei den Vielen commandirten Fürsten, die fürnehmsten des Reichs und voran der gewählte und gekrönte Kaiser. So wurden die Vielen geschlagen von den Wenigen, daß Karl der Kaiser fast selber gefangen wäre, da er über den Fluß wollte. Nur Eberhard von Württemberg, der tapfre Graf rettete ihn. Der kam als ein Sturmwind mit seinen Reitern dem Kaiser zu Hülfe und schlug ihn raus; sonst hätte ein todter Kaiser einen lebendigen gefangen. Deß hatte der edle Graf nachmalen großen Dank, und viele der wackern Reiter, die ihren Kaiser gerettet, schlug er zu Rittern.

Günther hatte gesiegt. Das aber war ein Spott auf den Sieger, wer ihn danach sah auf seinem Lager. Was ich Euch Schönes und Rühmliches gemeldet, ach, könnt ich das allein, und das Andere dürft ich verschweigen. Aber das wäre untreu und die Geschichte wäre falsch; und der da als Dichter die Geschichte wieder beschreibt in seiner Art, er darf die Dinge doch nicht anders erzählen, als die Wahrheit ist. Denn die geht über Alles. So schön und groß ein Mann sei, er ist doch nur aus Staub geknetet, und wenn der Staub zerfällt, daß er wieder Erde werde, dann wird die unsterbliche Seele wieder schwach.

Auf seinem Lager ruhte Kaiser Günther, und viel Fürsten, Grafen, Herren und Geistliche standen um ihn; und in den Vorsälen, auf den Treppen und Fluren war des Gedränges viel. Da sah man Herren mit einander flüstern und sprechen, so die Schwerter noch vor wenigen Tagen gekreuzt; Farbe, Wappen und Schilde von Feinden. Jeder wollte wissen, was drinnen vorging.

Günther hatte ein Pergament unterzeichnet, das ihm der Kanzler Kaiser Karls vorgelesen. Sein Name stand darunter, sein Geheimschreiber drückte das Siegel in Wachs darauf, und die andern edlen Herren, so Zeugen waren, gingen, einer nach dem andern, an den Tisch und schrieben ihre Namen. So viele im Zimmer waren, es war still als in einem Leichenhaus.

Auf dem Pergamente stand, daß Günther, der erwählte Kaiser, auf das Reich Verzicht leiste. Das war in wenig Worten gesagt. Aber mit desto mehr Worten war geschrieben, was Karl ihm dafür leiste. Entschädigung versprach er ihm für das Reich 20,000 Mark Silbers; und zur Sicherheit deß verpfändete er ihm die Städte Nordhausen und Goßlar, nebst den Reichsgefällen zu Mühlhausen. Dazu versprach er ihm bei seinem Kaiserworte, daß er, Karl, alle Kosten und Schulden bezahlen wolle, so Günther zu Frankfurt am Main gemacht, um seiner Krönung als auch der Zehrung willen. Die beliefen sich auf 1200 Mark. Und zu deren Sicherheit gaben zween Bürger in Frankfurt Silbers und Goldes in Versatz; das solle verfallen sein, wenn Karl es nicht in vier Wochen einlöse. Das Uebrige in der Schrift verhieß den Anhängern des Kaisers, und allen Ständen, die zu ihm gefallen, Vergebung und Vergessenheit und Schutz ihrer Rechte und Privilegien, und was sonst noch Vieles darin geschrieben stand.

Keiner war froher als Erzbischof Heinrich von Mainz. Der hatte viele Kämpfe gehabt mit seinem Gegenbischof Gerlach von Nassau, und Kaiser Karl hatte dem sein eidlich Wort gegeben, sagen die Historici, daß er ihm das Erzbisthum gewähre. Aber in der neuen Handfeste hatte er es dem Heinrich bei seinem Kaiserwort zugesagt, darum daß er vom Schwarzburger lasse, und ihn zu dem Vertrage überrede.

»Gott sei gelobt!« sprach der Erzbischof Heinrich zu seinen Freunden, »daß die schlimme Sache noch solchen Ausgang nimmt.«

Keiner aber war trauriger als Günther. Da sprach ein geistlicher Herr zu ihm von der Gegenpartei, als er ihn so traurig sah:

»Edler Fürst, einer Krone entsagen ist schwer, ich glaubs. Aber gedenke jenes Rudolf, der auch Gegenkaiser war in der alten Zeit; und da ihm in der Schlacht die Hand abgehauen ward, und Einer sie ihm zeigte, sprach er: »»Das ist die Hand, die meinem Kaiser Treue schwor, und die brach ich; darum ists recht, daß ich sie verliere.«« Also sei Dir das ein Trost, daß Du zur Erkenntniß Deines Unrechts kommst, und als jener Rudolf selig starb in der Buße, wirst auch Du sterben mit reinem Herzen.«

Zürnend schaute ihn Günther an: »Das lügst Du Mönch! Ich schwor nie dem Luxemburger, hielt treu am Haus Baiern und bin mit Rechten erwählter Kaiser. Kein gebrochener Eid drückt mein Herz, und ich traure nicht darum, noch bedarf ich deß der Buße, was Recht an mir war. Darum traure ich, daß Gott es gefügt, daß ich dem deutschen Reiche nicht helfen konnte, als ich gewollt, daß die Arglist siegt, und darum traure ich, daß das mein Ausgang ist, daß ich nur sorgen kann für meine Freunde. Um die gab ich mein Recht hin, mein heilig theures Recht. Gott helfe ihnen fürder, und dem verwaisten deutschen Lande, daß sein Blut nicht die Zwietracht sättige und seine Eingeweide kein Raub werden dem römischen Geier. Ich kanns nicht: bin ein schwacher Mann. Gnade Gott Dem, ders gesagt. Ich verzeihe ihm als Christ.«

Sie baten ihn, daß er ruhen möge, er habe genug gethan. Dadurch daß er zu Roß gestiegen und sich überangestrengt, sei das Gift, das zurückgeblieben, und sich gesetzt hatte, wieder lebendig worden.

»So tragt mich auf einer Bahre gen Frankfurt,« sprach er. »Da wo ich Kaiser ward mit Rechten, will ich sterben als Kaiser.«

Als sie den Kaiser fortgetragen und die Herren waren ihm barhäuptig gefolgt, blieben noch zwei im Saal. Zwei Brüder, die hatten sich seit länger nicht gesehen, und hier waren sie beim sterbenden Kaiser zusammen getroffen. Der eine Markgraf Ludewig von Brandenburg, der andere sein Bruder, der auch Ludewig hieß, aber weil er in Rom geboren, nannten sie ihn den Römer. Zwei verschiednere Brüder magst du selten sehn. Der Brandenburger, wohl an zwanzig Jahr älter, und manches graue Haar stahl sich aus seinen braunen Locken vor, hatte doch nichts von dem Ernst, der den Jahren Würde giebt. Sein Gesicht war etwas roth angehaucht, so auch der Backenbart; und das Aug, das einmal schön gewesen, lachte dir noch immer entgegen, so auch die Sorge tiefe Runzeln auf das Gesicht grub. Du mochtest denken, der wäre ein guter Kumpan und Zechgenoß. Der Andere aber, der Römer, er zählte kaum zwanzig Jahr und du hättest ihn mögen einen Milchbart nennen; aber es war etwas in seinem Blick, das ihn um vieles älter machte. Scharf und aufmerksam schaute sein Auge und um die Lippen spielte ein strenger Zug. Leichtfertig war gar nichts an ihm, nicht Aug, nicht Miene, nicht Tritt und Bewegung. Der trat jetzt auf seinen Bruder zu, nicht als der jüngere zum ältern, sondern als wäre er der Erstgeborne, und hätte ein Recht für den Jüngeren.

»Ich sah Dich lange nicht, mein Bruder. Desto mehr hörte ich von Dir. Wollte Gott, es wäre Besseres gewesen.«

Der Brandenburger stand mit verschränkten Armen, und hatte vor sich gesehen, dann lachte er auf.

»Worüber denkst Du nach?«

»Was wohl der Fürstenhut von Brandenburg werth sei.«

»Das müßtest Du wissen, der Du fünf und zwanzig Jahr das Land beherrscht hast.«

»So lange schon! Bei Gott, ich hättes beinah vergessen. Ludewig, mein Herz, wenn man die Kaiserkrone von Deutschland um 20,000 Mark und eine Zeche in Frankfurt verkauft, sag was gilt Brandenburg?«

Die Stirne des Römers runzelte sich: »Laß uns schweigen von der Schmach. Das that nicht unsers Vaters Freund, der gesunde Günther. Der unglückliche, kranke, von Gift zerstörte, der von Geist und Kraft Verlassene thats. Laß uns nicht seiner Schwäche gedenken, vielmehr seiner Stärke. Und sorgte er nicht auch da noch, als er es vermochte, für seine Freunde –«

»Was will ich mehr,« rief der Brandenburger, »habs urkundlich, zwanzig Zeugen habens gegen gezeichnet. Karl ist mein Freund, der Luxemburger, der Böhme mein bester Freund. Alles will er thun, auf Händen mich tragen, mein Busenfreund sein, mich zurückführen in mein Land, judiciren will er und richten, seine Puppe abthun. Ists nicht zum Todtlachen, so viel Glück aus Unglück, solche Versöhnung an der Todtenbahre!«

Er hatte sich in einen Stuhl geworfen. Der Römer lachte nicht; sein Gesicht ward immer ernster.

»Und was willst Du thun?«

»Ich, Bruderherz? Laß mir Zeit. Bin müde.«

»Zum Ausruhn ist nicht Zeit. Die günstige Stunde kommt nicht wieder.«

»Weiß ich, ob der Fuchs nicht mit falscher Dinte geschrieben hat. Morgen ist sie vielleicht ausgelöscht, und es steht was Anders drunter.«

»Drum greife heute zu. Laß satteln, noch heute zurück. Nach Brandenburg, Du sei Dein eigner Bote. Mit dem kaiserlichen Mandat an die Stände erscheine in Deinem Lande. Das hatten sie nicht erwartet, es trifft sie als ein Blitz. Die große Masse erschrickt, die Guten bekommen neue Kraft, der Muth der Aufsessigen wankt. Mit Ernst und Milde zugleich tritt Du auf, mit zorniger Stirn, mit gezücktem Schwerte, und doch vergieb den Reuemüthigen.«

»Du kennst die Brandenburger nicht.«

»Aber eines Fürsten Pflicht.«

»Die Pestilenz über das Land; fünf und zwanzig Jahr meines Lebens hats mich schon gekostet.«

»Bruder Ludewig, ist das Dein fürstlicher Sinn?«

»Laß mich, Bruderherz, ich kann, ich mag – mindestens jetzt noch nicht. Karl wird nach Spremberg, und gehts da nicht, nach Bautzen ein Fürstengericht rufen. Wenn sies da untersucht haben, und ihn abgesetzt, zieht er mit mir in die Mark.«

»Und Du willst lieber, als ein Knabe von seinem Vormund, als ein Vogt von seinem Herrn, an seiner Hand Dich zurückführen, einsetzen lassen durch den Schreck seines Namens, denn als freier Fürst selbst und durch eigne Kraft! Du willst Deine unglücklichen Getreuen so lange preisgeben fremden Gewalthabern, dem Betrüger? Willst dem Gericht Dich unterwerfen, das, Du weißt nicht von wessen Tücke geleitet wird, ihm unterwerfen, also anerkennen, daß er zu entscheiden hat, ob Dein Besitz einem verruchten, offenkundigen Betrüger oder Dir gehört?«

»Ei, Ludewig,« sprach der Markgraf, »weißt Du, wenn er mich recht schön bäte, ich schenkte ihm das Heidenland. S ist ausgesogen, nichts mehr zu holen.«

Zornig wandte ihm der Römer den Rücken zu und ging heftig einige Schritte auf und ab.

»Beim ruhmstrahlenden Namen der Wittelsbacher frage ich Dich, willst Du nach Brandenburg? Um Deinetwillen nicht, um unsers Hauses Ehre? Und wäre es eine Bettlerstätte, verbrannt die letzte Hütte, kein Dach über Deinem Haupte zum schlafen, die Ehre der Wittelsbacher heischt, daß wirs uns nicht so, nicht auf diese Weise entreißen lassen.«

Der Markgraf ließ den Kopf sinken. »Magst Recht haben. Nur ich nicht – ich kehre nicht zurück in das Land der Hexen und Wehrwölfe.«

»Fürchtest Du Gespenster?«

»Vielleicht. Denken allein daran, Bruder, lieber, an diese Nächte, der Kiefern ewiges Rauschen und die Schneewirbel, es überrieselt mich! Die Todten, die aus den Gräbern sprechen. Das Weib –«

»Was kümmern einen Fürsten Weiber!«

»Dich nicht, man sagt Du seist – genug; sie hats mir angethan.«

»Die plötzlich ihren Haß umgewandelt, die für Dich –«

»Ja, wenn sie mich noch haßte. O Bruder, Du weißt nicht, was der Haß schöner Weiber süß ist. Aber – genug, genug. Doch vor ihrer Liebe – o, sie ist noch schön – aber die unheimlich funkelnden Augen, die hohen, dunkeln Reden. Komm mit mir in unsere Berge, laß uns tiroler Wein trinken, und das Land und seine Menschen vergessen, die unser Unglück wurden.«

»Ja, vergessen hast Dus schändlich, niederträchtig vergessen,« sprudelte Ludewig der Römer aus. »Unser Unglück schilt nicht, Deine Thorheit, Deine Lüste und Deinen Leichtsinn. Ein solch Land, solch Kernvolk, solche ausdauernde Treue, so zu verschlingen, zu vergeuden bis auf die Hefen. Muthlos zu werden, wo ein Ritterherz sich stählen sollte in Noth und Gefahr. Ist das Deines Vaters Erbtheil, der mit jedem Zoll, den ihm die Tücke des Schicksals entriß, um einen Zoll wuchs? Soll ich ihn rufen aus seiner Gruft in München, daß seine Geisterstimme in Deine verzagte Seele Muth hauche! Jetzt oder nie ist die Wahl. Nach Brandenburg zurück als Fürst, oder gehe zu Deinem Weib, zurück in die Berge. Verkrieche Dich in eine Mönchskutte, hetze Dich mit den Geisböcken, trinke Dich sinnlos in Feuerwein. Dann aber erwache nicht, mein Bruder, denn es ist zu spät.«

»Es ist zu spät. In dem Mann steckt der Teufel. Wir kriegen ihn nicht unter.«

» Den Teufel kenne ich, sah ihn in Speier, Gesicht ins Gesicht. Er selber, der Böhme, will die Mark, nicht für Die von Anhalt, für sich arbeitet er. Jetzt oder nie ist der Augenblick für unser heiliges Recht.«

»Laß fahren dahin.«

»Ich nicht. So Du zu matt bist, ich bin noch frisch, mit dem bösen Glück zu kämpfen. Bruder Ludewig, wir Brüder wurden zu gesammter Hand mit Brandenburg belehnt. Weiß es, s ist keine Lust, eine Last ists. Ich schwöre Dir, nicht rauschende Kiefern, noch liebäugelnde Weiber, nicht Wölfe noch Gespenster sollen Ludewig den Römer einen Schritt abbringen von seiner Fürstenpflicht. Willst Du? Ja oder nein? Unter Brüdern vor Gottes Augen, gilts mehr als hundert Zeugen.«

Der Aeltere saß einige Augenblicke, das Gesicht in den Händen. Dann sprang er rasch auf. Wars ein tiefer Seufzer, wars ein Hohngelächter? Er drückte dem Bruder die Hand: »Wollen davon reden. Draußen am Rheinufer, hier drückt mich die Luft. Mich dünkt, die Decke bricht auf uns ein.«

Auf einer Tragbahre trugen sie den sterbenden Günther nach der Kaiserstadt Frankfurt. Das war ein anderer Zug, als da er mit tausend stolzen Rossen zur Wahl ritt, und vor den Thoren lag. Freilich, dazumal lag Schnee auf den Feldern und Bergen, und die Bäume waren dürr, und jetzt hing der Blüthenschnee an den Aesten; von viel tausend Blumen blitzten die Wiesen, und die Maikäfer summten in den Lüften; aber sein Aug war gebrochen, und wo sie damals jauchzten und schrieen, jetzt schluchzten sie und wandten die Köpfe ab. Aber noch war er Kaiser. Zwanzig Drommeter bliesen vor dem Zuge, und das Reichsbanner trugen vier Edelknechte ihm vor.

Da er über das Feld kam, wo die Fürsten ihn gekrönt – denn das geschah unter Gottes freiem Himmel in alten Zeiten – ließ er die Bahre niedersetzen, und schaute sich um, als freue er sich der Erinnerung. Da leuchtete zum letzten Male sein Auge auf und fuhr ein flüchtig Roth über seine Wange; Bürgerkinder, die auf der Wiese spielten, pflückten Blumen und warfen sie ihm zu, daß die Decke, darunter er lag, ganz bestreut wurde. Er sprach leis: »Die Kindlein, die Kindlein denken schon, ich sei eine Leiche. Gottes Segen über die nach uns kommen, daß sie eine Hoffnung werden dem theuren Vaterland!«

Karl sandte viel Boten an ihn und ließ sich erkundigen, wie es stehe um seinen lieben Getreuen, der sein Diener geworden. Schmerzlich lächelte Günther und sprach: »Der kanns nicht abwarten.« Drei Tage vor dem Tode legte Günther den kaiserlichen Titel und alle Würde ab, entsagte feierlich seinem Rechte auf das deutsche Reich, und entließ die Stadt Frankfurt der Eidespflicht, so sie ihm geleistet. Darauf ist er am 12. Juni des Jahres 1349 selig in dem Herrn entschlafen.

Als Karl es erfuhr, hatte er nichts Eiligeres zu thun, als er ritt von Mainz nach Frankfurt. Da hätte man meinen sollen, sein bester Freund sei gestorben. Das war ein feierlich Leichenbegängniß, als es Frankfurt nicht wieder gesehen. Karl selber folgte zu Fuß mit allen Kurfürsten, Herzogen, Grafen, Freiherren und Rittern, die in der Stadt waren, auch viele von den edlen Geschlechtern. Zwanzig Grafen trugen die Leiche, und es waren Exequien in der heiligen Bartholomäuskirche, davon und dem Reichthum und der Pracht, erzählten Kind und Kindeskind. Die Ehrenzeichen und Geprängstücke so beim Hochaltar zum Opfer gebracht wurden, darunter Günthers fünf Leibrosse, die löseten seine Freunde nachmalen von der Kirche um 200 Gulden, als Angedenken an den theuren Herrn. Die von Frankfurt aber setzten ihm ein Denkmal in der Kirche unfern dem Gemache, da wo die Kurfürsten sich sonst zur Wahl versammelten.

Karl der Vierte aber, und das scheint verwunderlich, ließ sich nachmalen von Neuem zum Kaiser wählen, und in Aachen zum zweiten Male krönen.

Also erkannte er an, daß er mit Rechten abgesetzt worden und Günther mit Rechten ein Kaiser von Deutschland gewesen. Haben auch Günthers Verordnungen nachmalen im Reiche Gültigkeit gehabt. Einige sagen, er thats aus Klugheit, Andere aber, aus Buße und Zerknirschung um das, was er an Günther versündigt.

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