Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Dreizehntes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Auf einem Stein in der Haide saß der alte Markgraf. Der Himmel war grau und der Novemberwind fegte die trocknen Blätter. Sein graues Haar hing auch im Winde; er stützte das Haupt in der Hand.

Sein Auge folgte dem Spiel der Blätter. Er hatte sie knospen gesehen, grünen, schwellen, prangen und wieder welken. Nun fielen sie ab auf einmal in einer frostigen Nacht; alle Wälder standen kahl und der Nord trieb und fegte das Laub, wie Geisterheere, die nicht enden wollen. Er sah das Bild seines Glückes. Der Hut lag zur Erden, ein gebrochen Diadem; dafür wob ihm der Wind ein anderes um die Schläfen. Gelbe Blätter waren haften blieben in dem Silberhaar.

Es war ein trauriger Anblick. Er war allein, so allein, als ein Mensch sein kann auf Erden, und doch nicht allein. Denn noch standen Hunderte und Tausende auf der Haide, und immer Neue kamen, von links und rechts. Und er war doch allein; wie gehörten die zu ihm! Sieh den Ausdruck ihrer Augen, und seinen Blick. Als der sterbende Löwe, sein Auge rollt furchtbar, und die Thiere des Waldes und der Lüfte, die sein Gebrüll erschreckte, wie noch voll stummen Entsetzen, voll grauender Ehrfurcht blicken sie ihn an!

Das war nicht das stolze Kriegsheer mit Fürstenbannern und Kaiseradlern, das er gen Frankfurt führte. Auch der Fahnen und Zeichen der Städte, die wie hundert Ströme ihm damals folgten, sahst du wenige. Die blinkenden Harnische und wehenden Helmfedern konnte man zählen. Aber nicht die Keulen und Sensen und Morgensterne, die Lanzen und Stangen. Wenige Wämser von Sammet und kostbarem Tuche, aber Lederkoller, Schafpelze und Wolfshäute. Gebräunte Gesichter, rollende Augen, narbige Fäuste, die die Pflugschaar führten; in der Noth schlugen sie zu, wie ein Ritter. Es war der Landsturm, von der Havel und der Elbe, von dem Rhin und der Spree. Aus der Zauche und vom Glyn, vom Lande Bellin und Frisack, aus dem Havellande und den Bisthümern waren sie geschaart herangezogen. Wo die Noth groß ist, wägt man nicht die Namen; wo der Strom durch die Deiche bricht, ist des Diebes Hand, die zur Schaufel greift, ehrlich. Gesichter sahst du, denen du nicht gern auf der leeren Straße begegnet wärst; auch eines, das du schon oft sahest, jetzt aber ist es lange her. Das rothe Haar um das Antlitz, mit Pflastern und Narben gestreift, und verhüllt im zottigen Ziegenmantel, stand er auf seine Keule gestützt, umgeben von den Seinen, daß man ihn nicht sehe; aber sein blitzendes Auge sah Alles.

Abwärts von denen standen etliche Ritter im vollen Eisenkleide. Aber der sie um Kopfesgröße überragte, hielt sich auch zurück hinter einer stämmigen Kiefer. Heinrich wars; auf sein Schwert gelehnt. Ob er sich des Volkes schämte? Gewiß nicht. Er horchte hin, wie sein Auge leuchtete, er sah auf die Männer, was Eindruck die Rede machte; aber wer unter seinen Panzer greifen mögen, der hätte das Herz klopfen gehört, als wolle es die Eisendecke sprengen.

»Sie sagen, ich sei ein Müller«, – so sprach der alte Markgraf zum Volk; seine Stimme klang dumpf, oft aber rollte sie als Orgeltöne, wenn der Zorn sie hob, oft warens zerrissene Worte, als Wetterleuchten und dazwischen ist Nacht. – »Glaubt Ihr das Mährchen? – Mein Haar ist weiß. – Die Sorgen um Euch habens gebleicht. – Zersiebt, zermahlen und zermalmt bin ich – mein Blut, mein Hirn, weil ich mich selbst vergaß um Euch. Wo sammle ich die Körner noch, die Funken – die Mühle meiner Feinde hats zerbrochen und zerstampft. Das Mühlrad der Zeit ist umgegangen. Mich hats gehoben, mich hats geworfen. Ei, der Müller, mein ich, regiert das Rad. – Doch schreien sie, ich sei ein Müller. – Wenn zween Sonnen am Himmel stehn, wenn zween Kometen sich bekriegen, ists um niedere Leute? – Zween Kaiser standen auf und stritten um die Krone. Warum? – Um mich! Das Deutsche Reich vom Nord zum Süd, vom West zum Ost in Gährung und Flammen. Um den alten Mann. Und sie konnten ihn nicht zwingen; die eine Sonne erlosch, die andere wurde fahl. Kann ich die Sonnen regieren; ich hebe kaum das Schwert! Der allmächtige Gott über Himmel und Erden thats. Um einen schlechten Mann, um einen Betrüger; glaubt Ihrs? Aber sie murmeln doch, ich sei ein Müller! – Der müßte eine Mühle haben mit tausend Gängen, Gold schroten und Königskronen, die Winde gehorchten ihm und die Wasser, um den der König der Dänen und Normannen ausrückte; nach Deutschland kam er, um mich zu verreden! Und der König von Schweden aus seinen Eisbergen, mit Riesen und Zwergen droht er. Sagt, bei dem allbarmherzigen Gott, thät ers um einen Müller?«

Er hielt inne. Tiefes Schweigen auf der weiten Haide. Er hub wieder an.

»Das Körnlein, das Ihr in die Erde thut, ist klein, und nach hundert und aber hundert Jahren ists ein Baum, der in die Wolken ragt. Und ich, was war ich? Ein Pilger, der keine Sohle unter den Füßen hatte, das härne Gewand zerfiel mir am Leibe. So kam ich aus dem Morgenlande. Nichts hatte ich als Liebe, ein glühend heißes Herz, für Euch. Und nach einem Monat schon lagen Kaiser zu meinen Füßen, baten, daß sie mich Vater nennten. Was muß das für ein Saamenkörnlein gewesen sein! Meint Ihr eins, das aus der Mühle fiel, und der Wind verwehte es? – Den Saamen hat Der gesäet, der Gerechtigkeit will auf Erden. Und ich sage Euch, ein solches Saamenkörnlein, das Gott streute, geht auf, auf welchen Boden ers warf. Und doch raunen sie: er ist ein Mühlknappe wesen. – Und lag ich auf Stroh, und die Sterne schienen durch das löcherichte Dach, wo lag das Kindlein, zu dem die Könige kamen aus Morgenland? – Ein Müller ist auch ein Zimmermann. Wars denn des Kindleins Vater! Hörtet Ihr nie, daß Geister Kinder in der Wiege umtauschen? – Was kümmert Euch das war! Was wurde, das schaut an. – Schaut mich an! – Bin ich ein bloß Gespenst, daß der Morgenwind verweht, oder bin ich –«

Tausend Stimmen riefen: »Du bist unser Markgraf Woldemar!«

»Bin ichs noch!« sprach er und fuhr mit seiner Hand durch die greisen Haare. »Ihr seht ja keine Krone drauf. Den Gebornen drückt Gott einen Stempel auf; der bleibt auch im Unglück. Und sie sagen, ich sei nun ein gemeiner Mann, weil die Fürsten mich verlassen, weil die Ränkeschmiede mich verredet, weil der Undank, als dreifach Blei, auf mich drückt. – Wo sind sie, die Kämmeriere, die Großen und Herren, die in meiner Vorstub lauschten, ob ich mich rege? Wo sind die stolzen Herren und Meister der Städte, die konnten mir nicht Weihrauch genug streuen, so lang ich ihnen Privilegien schenkte. Meine Hand ist nun leer. Nicht Schlüssel, Spielleut und Fahnen kommen mir entgegen, der trockne Wind, das trockne Land spielt zu meinen Füßen.«

Ein alter Mann, gebückt auf seinen Stab, aber er hatte doch eine Stahlhaube auf dem Scheitel und ein Panzerhemd um das Wamms, trat vor. Es war der greise Aeltermann von Gransee, Andreas Grote.

»Herr«, sprach er, »Du hast Dein Volk. Laß die Großen abfallen, Dein Volk bleibt Dir. Hier stehn wir viel Tausende, und noch Tausende ziehen zu, so Du uns nicht verlassest und Dich selbst nicht. Sie haben arg und schlecht mit uns gespielt; wir trauen ihnen nicht mehr, denn was sie gestern uns sagten, und wir nahmens freudigen Herzens auf, das haben sie heut widerrufen. Verwaiseter ist Niemand, denn sie nahmen uns auch den Glauben; und wer ist unseliger, als der nicht mehr glauben darf. Du bleibst uns allein, und wir wollen zu Dir halten in Elend und Tod, so Du uns bleibst.«

Da stand Woldemar auf, und stützte sich auf eine Streitaxt, die er auf den Granit stemmte.

»Mit wem willst Dus wagen? Die meine Freunde waren, Alle sind meine Feinde nun, der Mecklenburger dräut, der Pommer runzelt die Stirn. Um mich hat der stolze Baier, der neue Ludewig, die schöne Ingelburg von Mecklenburg gefreit. Ich, der Müllerssohn, ward so großer Fürsten Kuppler, und lud mich nicht zur Hochzeit. Der andere Ludewig kommt auch noch mal nach Brandenburg, mit so vielen Freunden hofft er, wirds ihm doch gelingen, des Müllers Herr zu werden. Ruprecht, der stolze Pfalzgraf, mit Baiern und Schwaben, zahllos wie das Meer. In Böheim werben sie Völker über Volker! Der Markgraf von Meißen, der Dänenkönig auch, zu See und Land, ein Völkerheer wälzt wider mich. Und was hab ich? Wo sind meine Heere, meine Städte, an wie viel Schlösser noch kann ich klopfen, und sie lassen ihren Herrn ein! Ihr Hand voll Leute, wollt Ihrs mit einer Welt aufnehmen?«

Andreas Grote sprach: »Wir fragen nicht, wie viel Feinde Du hast? Wir fragen: ist Deine Sache gut? Ist sies, dann sterben wir auch dafür, wann Gott es fügt.«

Der Markgraf wollte reden. Der Aeltermann fiel ihm ins Wort:

»Deine Rede fließt als Honigseim, wenn Du gütig bist, und zürnst Du, ist sie als der Sturm, der Wälder knickt. Du bist ein gütiger und gewaltiger Herr, so hast Du Dich uns erwiesen. Unsere Herzen schlagen Dir zu. Aber Satans Macht ist auch groß auf Erden, zumal in einem Land, wo die Distel in der Kirche wächst. Satan hat oft zu uns geredet als mit Engelszungen, und uns verführt. So wir aber in den Tod gehen sollen für Einen, da wollen wir wissen, wer da wahrhaftig ist, und schöne Worte und künstliche Rede, die mag gut sein; aber dem schlichten Sinn ist sie nicht genug. Herr, was sie jetzt wider Dich schreien, die Großen, schiert uns nicht, sie haben Dich erhoben, und nun gestürzt. Es ist das Geheul der Wölfe, die um den Schafstall schwärmen. Ein kluger Wirth thut die Thüre nicht auf. Aber Herr, die wir das Sacrament nehmen zum Tode, unser Gewissen soll ruhig sein.«

»Was will der Thor!« Hans Lüddecke blickte ihn grimmig an.

»Zweifelst Du an meiner Wahrheit?« redete ihn der Markgraf an.

»Wenn Du mich anblickst, möcht ich zur Erde fallen vor Ehrfurcht, Deine Thaten haben meine Zweifel überwunden, und doch, Herr, verzeih es Deinem Knechte, er spricht für das treue Volk. Meine Seele ist bald vor Gott – wie Viele, von den Allen hier, wachen morgen nicht auf aus ihrem Schlafe, laß sie nicht mit falschem Schwure vor den ewigen Richter treten.«

»Was will er!« riefen Einige. »Es ward untersucht, es ist beschworen. Der erste Schwur gilt.«

»Das war vor dem Gerichte, da wir keinen Zutritt haben, und wissen nicht, was die Großen und Gelahrten heimlich abgekartet. Vor dem Volke jetzt, unter Gottes freiem Himmel, da Alle es sehen, und er richtet, auf dies heilige Crucifix thue einen heiligen Schwur, daß Du bist Woldemar, Konrads Sohn, der Fürst, den Gott uns gab.«

Heinrich zitterte, als ein Knabe, der Böses beging, und es soll an den Tag kommen. Die Kiefer umschlang er mit seinen eisernen Armen, als wollte er sie zerdrücken und faltete die Hände, die kälter waren als das Eisen darum. Auf dem Steine stand der Markgraf, als fest gebohrt von den vielen Augen, die auf ihn gerichtet, und vor ihm der alte Andreas Grote und hielt das Crucifix und stammelte den Schwur vor. In dem Jüngling zückte es, und brannte, als wäre sein Blut geschmolzen Erz, das rollte und zischte vom Wirbel zur Zeh. Ihn preßte es, daß er riefe: »Schwöre nicht!« aber er konnte den Mund nicht öffnen. Er schloß das Auge.

Da brauste es plötzlich, ein Jubelruf, durch die Luft, zehntausend Kehlen riefen! »Er ists! Woldemar, Konrads Sohn, unser Markgraf und Fürst! Gott gab ihn uns, Gott zeigt ihn uns.« –

Woldemar stand auf dem Steine, als Heinrich das Aug aufschlug, aber das Volk ringsum fiel auf die Knie. Auch der alte Andreas kniete und hob die Arme zum Markgrafen: »Mein Herr, vergieb mir!« Wie wunderbar schaute der fürstliche Greis aus, ein feuerroth Diadem um den Scheitel, sein Gesicht leuchtete und alles umher war grau. Nur einen Augenblick dauerte es, und ein neuer Windstoß trieb und wälzte die Wolken, und die Purpurwolke, die halb geöffnet, den Sonnenstrahl ihm auf den Scheitel goß, schloß sich wieder und alles war grau als vorher. Aber der Augenblick war genug.

Der Markgraf hatte nicht geschworen, der Himmel selber schwur für ihn. Das Geschrei, das Brausen, der Jubel überschütterte die Wolken. Wie die Freudenthränen über die rauhen Backen stürzten, wie sie sich um den Hals fielen und schlugen vor Lust. »Zur Schlacht!« – »Für Dich in den Tod!« »Hussa, neu Futter für die Krähen!« lachte der Mann im Ziegenmantel, schleuderte die Keule in die Luft und fing sie wieder. Um den Stein drängten sie. Alle wollten seine Füße, den Saum seines Kleides berühren, des heiligen Fürsten, für den der Himmel gezeugt.

Einige zu Roß kamen angesprengt, daß feindliche Reiter sich zeigten über dem Walde, als sie recht sähen, eine große Schaar, die im Anzug sei.

Da hob Woldemar die Streitaxt: »Und wärs ein groß Heer, je mehr so besser. Wahrlich, ich sage Euch, der Sieg ist in meiner Hand!«

Und es ward so; ein blutiger Sieg. Wie mancher blanke Harnisch ward da zerschmettert von des Bauern Keule; wie mancher Ritter mit hohem Helmbusch und stolzem Schilde floh vor der aufgerichteten Sense. Der sank und mußte sich schlechtern Leuten ohne Namen ergeben; dem war der Zügel abgehauen, und sein wund Roß jagte im Kreis, und schleuderte ihn in die Dornen. Die versanken mit dem schweren Rüstzeug im Morast. Einige kamen kläglich um, Andere zogen die Sieger mit Stricken schimpflich heraus, und wurden ihre Gefangene. Die Ritter fochten aus Abenteuer und um Sold, die Märker fochten für ihren Heerd und Herrn.

Die Geschlagenen, die sich sammelten in Brandenburg, sprachen ungern von dem Tage; darum ist er nicht in den Geschichten erzählt. Aber sie trösteten sich, daß nicht die Bauern sie geschlagen; sondern, da sie sich in Ordnung stellen wollten zum allgemeinen Angriff, davon das Volk vernichtet worden, seien Reiterschaaren mit den Zeichen von Dessau herangesprengt; davor hätten sie Kehrt gemacht, denn die wären unerwartet kommen. Weiß nicht, obs ehrenvoller ist, von Bauern im heißen Kampf geschlagen werden, oder vor Rittern fliehn, und es kam nicht zum Schwerterkreuzen.

Auf beiden Seiten hatte die heiße Schlacht getobt; am Himmel kämpften indeß die Winde. Da trieb der West, als Sieger, die blutgetauften Wolken über das Firmament und ein dunkelrother Streif säumte den Abend und die Nebel, die von den Wiesen qualmten. So roth gefärbt die Wahlstatt und die Sieger, und die Besiegten, und die Todten, und der Sand, der ihr Blut schlürfte.

Und Markgraf Woldemar schaute ins Abendroth: »Dort zog der Cherub, dort flimmert noch sein Schwert!« rief er, die Arme ausstreckend. »Seht Ihr, meine Völker, wie er aus den Wolken rauschte in Silberrüstung! Der Erzengel Michael und seine Ritter Sanct Gürgen, Sanct Florian und Sanct Martin. Nun schimmern sie im Abendroth – hört Ihr die Hufen ihrer Rosse? Sie reiten fort, daß sie sich unserm Dank entziehen. Wenn ich rufe, kommen sie wieder. Wer ist noch muthlos!«

Heinrich hatte sein blutig Schwert im Sand gereinigt und stieß es in die Scheide. Er sah nicht hin als die Andern.

»Der Graf von Dessau wars und seine Ritter!« seufzte er für sich. »Wohl halfen sie uns in der Noth, und wollen doch nicht unsern Dank. Sie schämen sich unser.«

Der blasse Mond, als er aufging, hörte manches Todesröcheln, er sog die letzten Seufzer manches tapfern Mannes ein.

Auch Andreas Grote lag sterbend aus der Erde. Ueber ihm hatte der Markgraf gekniet; es war auf des Alten Wunsch geschehen. Der greise Fürst schritt nach seinem Zelte. An Heinrich ging er vorüber; er bemerkte ihn nicht, ein stilles Lächeln schwebte über das bleiche Gesicht. Als ein Gespenst erschien dem Jüngling der greise Mann; er schauderte als im Fieberfrost.

Da er des sterbenden Andreas Hand faßte, der ihm immer lieb gewesen, hub sich der noch einmal auf und sah klar den Jüngling an: »Glaube mir – ich sprach mit ihm – ich weiß Alles – er ist – wahrhaftig –«

Der alte Andreas war todt. Heinrich sah feuchten Blickes in den Himmel: »Und mein Vater ist er doch nicht.«

Da schoß ein Stern herunter.

Ein Feuer, ehe es verlöscht, flackt noch einmal hell auf. Der alte Fürst zog durch die Marken, als ein Sturm wüthet. Burgen öffneten sich ihm und Burgen schlossen sich. Sie kamen ihm jubelnd entgegen, und sie flohen vor ihm. Sie flohen vor dem Schrecken seines Namens und vor dem Schrecken seiner Völker. Wo die wilden Banden auf den Heiden einbrechen, Gnade Gott den Edelleuten und Bürgern. Nur wo der Markgraf hinsah, herrschte sein Name und Blick, wo er den Rücken wandte, war Unordnung, Raub, Brand und Mord. Die wenigen Edlen, die bei ihm hielten, mußten das Aug zudrücken.

Sie flohen aber nicht allein vor ihm und den Räubern, auch vor der Pest, die über die Grenze gekommen, und Dörfer verheerte und über die Mauern der Städte kletterte, und Greise und Kinder, Männer und Weiber in Schaaren fortraffte. Eine schreckliche Seuche, die von Asien herkam und über das ganze Abendland wüthete bis Castilien und Portugal; und sie hieß: der schwarze Tod. In der einen Stadt Lübeck, an der See, starben an einem Tag tausend Menschen; in einem Sommer ihrer neunzigtausend. Hätte man doch denken sollen, sie müsse der Mark vorübergehen, da sei nichts mehr zu finden für das heißgierige Unthier.

Sie zehrte als eine Heerde Wölfe, die einen Friedhof umwühlen. An den Straßen und in den Heiden lagen ihre Opfer. In ein Haus, das leer stand, trat Keiner ein; der Pesthauch wehte daraus. Die Gesunden verschlossen ihres. Was hatte auch noch diesen Zorn des Himmels herabgerufen! fragten die Klugen und die Thoren, und Jeder gab eine andere Antwort. Der schob es auf die Ketzer, der auf die Tücke und Arglist des Geschlechtes, das mit den Todten spiele und keine Verträge wären ihm heilig. So schuldigte Einer den Andern an, und der gab es ihm wieder. Darum wurden sie einig hüben und drüben, und schuldigten mitnander die Juden an, daß die die Brunnen vergiftet und die Flüsse; davon sei die Pest entstanden. Die Juden schrieen auch, daß sie unschuldig seien, aber die hörte Niemand, ihr Geschrei ward übertäubt. Denn nicht in der Mark allein, durch ganz Deutschland rief das Volk: »Steinigt die Juden und verbrennt sie!« Sie stürmten in ihre Häuser, sie brachen in ihre Keller, sie schlugen Kasten und Läden ein, sie schleppten sie vor die Richter und jagten sie in die Wälder. Die Obrigkeiten mußten gehorchen, und die Richter waren schwach. So vieler Juden Urtel ward gesprochen, so viele starben grausamen Todes durch Henkershand; aber die Viele waren Wenige gegen die, so nicht durch Urtel und Recht und nicht durch den Scharfrichter, die unter den Händen ihrer grausamen Verfolger starben.

Auch so in der Mark. Vergebens sträubte sich Ludewig der Römer, wo sie ihm gehorchten, gegen des Pöbels Andringen. Umsonst suchte Woldemar, wo sie ihm gehorchten, dem Wüthen Einhalt zu thun. Nicht Jener, nicht Dieser durfte strenge sein; sie hätten die Zahl ihrer Anhänger kleiner, ihrer Feinde größer gemacht. Ist das Unglück freilich eine große Schule, aber die Wenigsten lernen daraus, was der Herr will, der es über sie verhängte. In der Hölle werden die Teufel fertig, in solchem Kriege unterliegt der Mensch. Die armen Geschlagenen wollen doch einmal wiederschlagen. Da schlugen sie auf die Juden los.

Nach rechts und links zogen die Feindesheere, oft sich vorüber, nur durch schmalen Raum getrennt, und ihre Bolzen und Pfeile erreichten sich nicht.

So ging es im alten Kriege. Als beim »Haschen am Bäumchen« suchte Jeder, daß er dem Andern zuvorkam, wo volle Speicher noch waren und ein gesunder Fleck. Trafen sie sich in der Hast, so gabs ein Treffen.

Der alte Markgraf war seinen Gegnern zuvor gekommen. Er lag vor dem treuen Brietzen. Sein Lager war weithin ausgedehnt über die Wiesen, und die Feuer brannten aus den Wäldern. Das Gesindel, das zukam und ablief, je wie das Glück war, lechzte vor Gier, in dem treuen Brietzen die Speicher und Keller zu erbrechen. Der Markgraf, hieß es im Heer, hätte der Stadt den Untergang geschworen.

Die Abendglocken hatten lange ausgeläutet in der Stadt, als Woldemar allein in seinem Zelte saß. Nur eine Kerze brannte auf dem Feldtisch. Da weckt ihn ein Luftzug aus seinem Sinnen und vor ihm stand Einer, den er nicht erwartet.

»Was willst Du hier?« halb fuhr er auf; doch er setzte sich wieder, in stolzer Haltung und schaute groß und ruhig den Eindringling an.

»Du weißt wohl nicht, daß ich in Deinem Heere der Dienstmann bin.«

»Ein Feldherr kennt nicht jedwed Gesicht, das seines kennt«, sprach der Fürst.

»Meines kennst Du doch noch?« lachte höhnisch der Mann. »S ist hübsch von Dir, daß Du Dich Deiner alten Bekannten nicht schämst nach Art der großen Herren, die sich ungern erinnern lassen, daß sie mal klein waren.«

»Du sprichst mit Deinem Fürsten.«

»Weiß, mit wem ich spreche.«

»Wer ließ ungeladen Dich zu mir?«

»Hadre mit Deinen verschlafenen Wächtern. Dein treuer Eckart, Dein Sohn, oder nicht Dein Sohn, was gehn mich die neugebackenen Grafen an, an den alten hab ich zum Ueberdruß – Deinen Heinrich, der kein Aug von Dir läßt, ein verfluchter Junge, den schicktest Du ja selber fort nach Wurfgeschossen aus Plauen.«

»Was willst Du von mir?«

»Ha, Ha! Hast Du Furcht?«

»Ich fürchte Niemand.«

»Den Teufel fürchtet doch jeder Christenmensch!«

»Ueber meinem Zelte hält der Cherub Wache.«

»Hast Du so fürnehme Leibtrabanten! Als das Rad an Deiner Wiege klapperte, hast Dus gewiß nicht geträumt. Ja, sieh, Jacob, so unterschiedlich sind des Menschen Wege. Mir träumte auch nicht an Vaters warmem Heerd, daß ich in den Heiden liegen und mein Name ein Schrecken der Welt würde. Auf Dein Wohlsein, Jacob!«

Der wilde Mensch hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, nicht allzufern dem Markgrafen, und schenkte sich aus dem Weinkrug.

»Nur nicht Deine fürnehmen Worte und hohe Redensarten. Die spar fürs Volk; mir macht das Bauchgrimmen, seh ich Einen sich so blähen.«

»Elender, dank es der Sendung, die mich durchglüht, daß ich Deine Frechheit nicht höre.«

»Ich sags Dir noch Mal, komm mir nicht damit. Bin nicht die Gräfin Mathilde. Das war ein Meisterstreich von Dir. Wahrhaftig, muß Dirs lassen, hast gut gespielt. Möchte nur wissen. wies in Deiner Haut aussieht.«

»O, daß ich durchsichtig als Glas wäre, und Jeder könnte schauen, wie mein Denken nur Er ist, der mich schuf.«

»Macht Dir das Denken solche Lust! Mir hats immer nur Verdruß gemacht. Ja, wer solche ausgepolsterte und fein gebürstete Gedanken hat von Sammt, Gold, Edelmuth, Fürstenliebe und Kaiserkaressen; aber unsereins, der mit den Thieren im Walde um die Knochen sich zerrt, dem sie die Fetzen noch vom nackten Leibe abziehn, so der auch noch die hungrigen Gedanken füttern müßte! – Jacob, denkst Du noch daran, als wir an jenem regnigten Abend im Graben auf den Boten lauerten? Es goß wie mit Mollen, kein trockner Faden am Leibe, wir wären versoffen, so wir platt liegen blieben. Da steckten wir Beide die Köpfe unter eine Lattichstaude.«

»In weß Diensten lauertest Du auf den Boten der Verräther, die ihn an die Landesfeinde sendeten?«

»In Markgraf Woldemars.«

»Und wer lag neben Dir im Graben?«

Am Stellmeiser war itzo das Verwundern. Er sah groß auf. Sein Gelächter kam nur halb heraus. »Du, oder –«

»Oder den Deine Augen sahen. Ich schelte Dich nicht; denn das Licht seiner Erkenntniß schenkt der Herr nur seinen Erwählten. – Still, Räuberhauptmann! Den Mann kannte ich wohl, weiß sein Thun und seine Gedanken, als meine. Er hatte meine Stimme, meinen Gang, mein Gesicht, mein Blut – und doch ist er mir so fremd, als Du mir bist. Fremd als ein Todter dem erleuchteten Geiste, der den Leib abstreifte und in des Himmels Herrlichkeiten schwelgt.«

»Schwelge Du zu, mich verlangt nicht nach den Herrlichkeiten. Will die Spanne Zeit bis zur Grube noch genießen. Darum kam ich zu Dir.«

»Was willst Du?«

»Theilen. Mit Dir theilen, verstehst Du, halb Part machen, und könnte doch von Rechtswegen noch mehr fordern.«

Woldemar sah ihn ruhig an: »Wo ist Dein Mordwerkzeug? Greif in die Brust, zieh das Messer! Vor mit der Keule unterm Mantel! Stich, schlage! Heb Deinen Hammer unterm Wamms, mein Schädel ist nicht härter, als ein anderer. Du siehst, ich reiße nicht an dieser Schnur, noch schrei ich um Hülfe. – Du bleibst ruhig sitzen?«

»Bin nicht so hitzig.«

»Weil des Cherub flammend Schwert über mir schwebt. Er hielt Deinen gehobenen Arm auf, als er im Walde Deinen Finger lähmte.«

»Ja, hätte ich damals losgedrückt! Was galts? Einen todten Pilger. Kein Hahn hätte darum gekräht.«

»Verlorenes Geschöpf, Du thatest nur und thust, was der ewige Wille Dich hieß.«

»Durchlauchtigster Markgraf,« hub der Stellmeiser nach einer Weile an, »ich glaube, Du lästerst ein Bischen in Deiner himmelherrlichen Erleuchtung. Doch, das magst Du mit Deinen Heiligen und Cherubs ausmachen, mit denen Du Unterhaltung pflegst, mich schierts wenig; gönne Jedem, woran er Lust hat, so ich keine Lust dran habe. Also, durchlauchtigster Markgraf Jacob, oder wie Du heißen willst, die Müller zum Teufel und die Cherubs zu Deiner Leibwache, als Dir beliebt! Schon damals, als wir Beide so geheime Dienste für den Woldemar sonst ausrichteten – der war grad kein Heiliger, fällt wir bei – ich und Du, sage ich, das heißt, ich und der Mann, den Du begraben hast, seit Du ein Heiliger wurdest: schon damals wars mir gar nicht um die Ehre zu thun, nach der Du geiztest: Du spreiztest Dich als ein Pfau und besahst Dich im Spiegel, wenn er Dir auf die Schulter klopfte; ja, ich überraschte Dich mal, als Du seinen Purpurmantel um die Schulter gethan und im Zimmer auf- und abgingst, daß die Dielen knackten. Halts mir zu gut, und daß ich damals hell auflachte; wer dachte, daß Dus so weit bringen würdest. Mich lüstete gar nicht nach. Ich strich lieber das geprägte Geld ein, das er zahlte. Auch als die Noth in Stralsund war, und der Markgraf konnte den Bürgern doch nicht zu Hülfe kommen, ward ich denn neidisch drauf, daß er Dich in Nacht und Nebel hinschickte mit seinen Stiefeln und seiner Stahlhaube? Was kannte das Volk da an der See den Markgrafen! Wer ihnen Hülfe brachte, der war ihr Abgott, und wenns ein Affe war. Hätt ich nicht so gut als Du den Markgrafen spielen können? Ich ließ es Dir. Was hattest Du davon? Freilich, nun kam spät die Erndte für die Aussaat. Der alte Herzog von Dessau hat geschworen, daß Du der echte seist! Zum Teufel mit seiner Seele, was schierts mich. – Und dann, vor sieben Jahren, als sie auf die Suche gingen nach einem Auferstandenen, konnt ich nicht so gut auferstehen als Du? Wußt ich nicht auch Geheimnisse? Mit einem Küchenmesser hätt ich mir eine Narbe geschnitten noch tiefer als Deine. Ich habs nicht gethan, ließ Dir die Ehre.«

»Hast Du ausgesprochen?«

»Habs.«

»Dort steht ein blanker Schild. Schau Dich an. Ist auf Deinem Antlitz nur ein Zug von Gottes Ebenbild? Du, Wurm, aufgeschwollen von Selbstsucht, von der Sünde gebrandmarkt, vom Laster ausgezehrt, ein Scheusal dem reinen Blicke, ein Ekel Dir selbst, und mit mir wolltest Du ringen um einen Preis!«

»Ehedem haben wir oft gerungen und gespielt.«

»Das Ehedem, sag ich Dir, ist Asche, die Lumpen sind abgefallen, Moder, und wie aus der Puppe der Schmetterling, steh ich vor Dir, ein neues Wesen, ein andrer Mensch, den Du nicht begreifst. Jetzt hebe Dich weg, Versucher.«

»Schade, daß mich Dein Lichtglanz nicht blendet, als das andere Volk. Meine alten Augen sehn schärfer, und ich schau in Dein Inneres, als wärst Du von Glas. Als ruhig Du scheinest, so wallt und gährt es in Dir. Die Lüge, mit der Du als junger Bursch Versteck spieltest, ist aus einem winzigen Ding ein Riese worden. Weiß auch drum, wie es geht, hab auch gespielt, aber unglücklich. Das allein ist der Unterschied zwischen Dir und mir. Meinte auch, weil ich die Welt schlecht und ungerecht fand, wollte ich die Gerechtigkeit herstellen. Aus einem Richter ward ich ein Räuber. S ist so Bestimmung. Als Du geboren wardst, stand der Wind gut; mit vollen Segeln fuhrst Du, hast viel andre Kähne umgefahren. Bist aber doch nicht in den Hafen kommen. Wardst wieder auf offne See geschleudert. Es stürmt. Du dringst nicht durch. Schad um den schönen Anfang. Nun lügst Du Dir von neuem vor, was Dir gefällt. Daß der Herrgott Dein Schiff lenke und seinen Athem in Deine Seele bläst. Sei klug Jacob, leg bei und such Dir ein sicher Plätzchen. Trotz dem, daß Du durchsichtig bist von himmlischem Lichte, und die Cherubs ziehn vor Dir und die heiligen Ritter hinter Dir, bist Du doch in der Reichsacht, als ich bin. Wie lange kann der Betteltanz noch dauern? Die von Dessau und Wittenberg zittern schon vor Himmelangst, und ihr Geld ist längst aus. Ueber Nacht wirst Du mal geweckt, in Ketten nach einer Reichsstadt geschleppt, ins Loch geworfen, torquirt, judicirt und am Ende als Zauberer auf den Scheiterhaufen gesetzt. Lüstet Dich so sehr, als ein heiliger Lorenz zu rösten? Sei gescheut, pack ein, so lang das Volk Dir glaubt, ich helfe Dir; wir schlagen uns sächtgen nach der See zu. In Stralsund, in Lübeck packen wir still ein, segeln einmal über Nacht in die Nebelländer, wo wir uns verbergen. Der Tag taugt für uns Beide nicht.«

Der alte Markgraf fuhr ihn nicht zornig an. Er erhob sich, sein Auge leuchtete von einer andern Gluth:

»Ein Scheiterhaufen! Da fielen ja ab der letzte Staub und Moder in den reinigenden Flammen. Giftwurm, in Deinen Mund legte der Herr einen Gedanken, um den ich Dir Deine Lästerung vergebe.«

»Hast Lust ein Märtyrer zu werden? Sah manchen vor meinen Augen rösten. Versichre Dich, s nicht so lustig, als am Fürstentische schmausen. – Die Zeit ist kurz, besinne Dich.«

»Ich sterbe als Fürst für mein Volk.«

Der Stellmeiser reckte sich in seinem Stuhle und gähnte: »So zu dem Unglück noch die Dummheit kommt und zur Eitelkeit der Wahn, so Einer nicht genug hat am Zwicken, ohne das dies heillose Leben nicht abgeht, und noch geschunden und gebraten sein will, für einen Fetzen Glorienschein ums hirnlose Haupt, so hol doch der Teufel diese Welt voll Pest und Unsinn. Was ist ein Volk? Dein Volk, erlauchter Markgraf, sauft Judenblut, Deiner christlichen Gesinnung zum Trotz; die Juden werden von den Christen gefressen, die Christen, da frißt einer den andern, und wer überbleibt, ist gut genug für die Pest. Du also bleibst für den Holzstoß?«

Der Markgraf winkte ihm mit dem Arme, daß er ginge.

»Noch nicht. Wir müssen noch abrechnen.«

»Geh frei von dannen. Aber nie laß Dich wieder vor meinen Augen sehen; sonst –«

Der Stellmeiser lachte höhnisch auf: »Machst die Zeche ohne den Wirth. So wohlfeil, hoher Herr, laß ich Dich nicht. Mich dürstet nicht nach Deiner Märtyrerkrone, ich will gemünztes Geld; das ich in den Taschen davon tragen kann.«

»Der Heller, den ich um Dich meinem Volk entziehe, soll als siedend Erz auf meinen Scheitel träufeln im ewigen Schwefelpfuhl.«

»Behalte Deine Heller in dem Sack.«

»Und Du, zurück in Deine Wälder, zu Deinen Genossen, wild als die reißenden Thiere. Knurre und heule mit ihnen wider Gottes Weltordnung.«

»Pah! Etwas von der schönen Weltordnung drang auch schon in die Wälder. Es sind nicht mehr die alten Stellmeiser. Der Junker von Habenichts kamen mir zu viele dazwischen. Sie klimpern schon mit den Sporen. S wird bald ein freier Ritterbund, als die im Reiche. Für ne reine Gottescreatur ist da nichts mehr zu suchen.«

»Geh zu dem Sündenweib. Laß Dich auszahlen um Deine Wissenschaft.«

»Sie hat auch Lust, eine Heilige zu werden. Kniet und casteit sich. Will in ein Kloster gehn.«

»So lauf Deiner Tücke nach, bis Dich der Rächer faßt.«

»Wills. Aber vorerst meinen Stock zu Münze machen. Hör, Jacob, ich lasse mich billig finden. Du hassest das treue Brietzen, und ich hasse es nicht minder. Schenk mirs! Morgen, wenn wir stürmen, laß mir und meinen Leuten das Ausräumen. Das schickt sich weder für den Fürsten, noch für den heiligen Mann. Mir die Keller und Läden, Dir die Stadt.«

»Und die Bürger.«

»Deine Feinde.«

»Von meinem Volk. Hebe Dich weg, Satan!«

Mit einem Schlangenblick blinzelte der Hauptmann den Markgrafen an. »Jacob, Du sagtest, ich soll mir meine Wissenschaft von der Gräfin auszahlen lassen. Was, meinst Du, gäben mir die Baiern dafür? Zum letzten Male, besinne Dich.«

Der alte Woldemar rang einen innern Kampf. Sein Leib zitterte. Der Stellmeiser sah es mit teuflischer Lust. Aber er horchte auch aufmerksam draußen auf ein Geräusch. Als wärens Hufe eisentragender Rosse, oder fernes Glockengeläut.

»Allmächtiger! ich bin dein Sendbote, deine Ruthe und dein Palmenzweig; du wirst mich führen auch durch Nacht, Wildniß und Abgründe, verlaß mich nicht, ich folge dir. Und Du, züngelnde Natter, schrei es aus auf dem Kreuzweg, in die Kirche hinein, und auf den Märkten. Ich fürchte Dich nicht.«

So hatte der Greis gerufen, auf den Zehen stehend, die Arme empor hebend. Der Stellmeiser war verschwunden, aber herein stürzten ins Zelt Heinrich und der Graf Woldemar von Anhalt. Sie erschraken, als sie den Greis sahen, aber ihre Meldung war eilig.

»Hörst Du nicht, mein Vater –«

»Um der Heiligen willen, Fürst Woldemar,« fiel ihm der Graf von Anhalt ins Wort. »Sturm in der Stadt, Pechfackeln auf allen Thürmen. Sie machen einen Ausfall und das Lager schläft.«

»Sturm!« schrie Heinrich zum Zelt hinaus. »Trommeln! In die Trompeten gestoßen! Wir sind überfallen.«

Ruhig lächelte der Greis: »Es war sein Fingerzeig. In meine Hand gab sie der Herr, nicht in seine. Still, meine Söhne, Ich werde siegen.«

< Zwölftes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel. >



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