Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Fünfzehntes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



An eines Sees Ufer stand das Häuflein, das dem alten Markgrafen nachfolgte. Kein Heer mehr, einer Leibwache sah es ähnlicher; Reste, zusammengewürfelt aus allerlei Völkern und Schaaren. Ihre Schienen rostig und voll Beulen, ihre Wämmser zerrissen, ihre zerfetzten Gesichter wettergebräunt. Wie lang war nicht die Bürste an ihre Rosse kommen; meinte man doch, die Thiere hätten seit Wochen keine Nacht an der Krippe gestanden. Sonder ihren Führer, du hieltest sie für eine Räuberbande.

Woldemar wies mit dem Arm über den See.

Die um ihn schüttelten den Kopf.

»Wählt lieber den Umweg,« sprach Wilkin Eckebrecht. »Der Sumpf dort ist schon gefroren.«

»Den graden Weg wähl ich!« sagte Woldemar.

»Herr, morgen; heut ist das Eis noch nicht fest,« warf Hans Lüddecke ein. »Hier am Rande hält es schon, aber dort in der Mitte, wo die Sonne glitzert, nimmermehr.«

»Auch, so ich Dir sage: es hält.«

»Ihr wißt viel, gnädiger Herr,« antwortete Hans Lüddecke, »aber wann man dem Wasser trauen kann, das weiß ich aus meinem freien Leben besser. Die Leichten kommen wohl rüber; aber wir in schwerem Eisen, mein Lebtag trägt uns nicht das Eis.«

»Hinüber!«

Wilkin Eckebrecht strich sich den Bart: »Herr Markgraf, versucht nicht den allmächtigen Gott, um schlechter Juden willen. So wir auch rüber können, sonder Schaden, und sie schützen vor dem Gesindel, das sie dort morden will, Ihr rettet die Juden doch nicht. Es kommen ihrer wenige über die Grenze; denn das Volk ist allerwegen wüthig. Und das schadet Euch, zumeist beim Volk, daß Ihr allerwegen sie schirmen wollt.«

»In der Noth ist sich Jeder der nächste,« riefen Viele zugleich.

»In der Noth ist der Herr der nächste; und der der schlechteste, so ihm nicht vertraut!« rief Woldemar.

Sie murrten.

Seine Augen rollten, und er wandte das Roß zum Ufer: »So auch Ihr mich verlassen wollt, der See wird seinem Markgrafen treu sein.«

Das durften sie nicht dulden:

»Wir sind Dir treu bis in den Tod!« sprach Wilkin Eckebrecht, und Hans Lüddecke murmelte:

»Der Tod ist uns Allen gewiß. Ob vor der Klinge oder im Wasser, das kommt auf eins raus.«

»Kleinmüthiger!« redete ihn der Markgraf an. »War Dir der Tod dort im Wartthurm nicht auch gewiß? Da sandte Gott mich, Dich zu retten und zu bekehren. Und nun wankst Du schon wieder! – Wahrlich, ich sage Dir, Ihr Alle hört es, das Eis bricht nicht unter Euren Sohlen, und wäre es nur zolldick. Und bräche es, so Ihr an mich glaubt, Ihr seid gerettet, und sänke ich unter, der heilige Michael faßte mich mit seinem Arme und trüge mich heil und wacker ans Ufer. Mich, seinen Erwählten, läßt der Himmel nicht sinken.«

Sein Auge strahlte, und er wies in das Abendroth drüben: »Kleingläubige! dort seht die heiligen Ritter, sie winken mir. So winkten sie am See von Ascalon, so als die Cedern rauschten auf dem Libanon, so mir an der Küste des gelobten Landes, da ich das Schiff bestieg, das mich zu Euch trug. Ich folgte getrost und siegte. Wohlan, wer an mich glaubt!«

Die Andern sahen nur die Dunststreifen im Abendroth. Aber sie folgten ihm Alle, bis auf den letzten Mann.

Das Eis dröhnte unter dem Hufschlag so vieler Reiter, die Rosse schauderten und drängten einander. Es rollte als Donner unter der Eisdecke. Die Muthigen sahen sich ängstlich an, ängstlicher vor sich auf den Boden. Nur Woldemar blickte freudelächelnd ins Abendroth.

Der Punkt, wo die Sonne glitzerte, lag noch ferne, denn er wich vor ihnen: »Jesus, mein Heiland, laßt uns umkehren!« flüsterte der Eckebrecht zu seinem Nachbar. »Reißet den Markgrafen zurück; es knackt, es birst!« rief ein Anderer. – »Auseinander, um aller Heiligen willen!« ein Dritter. »Wir sind zu schwer, zu viel auf einem Punkt.« – Zu spät. Es dröhnte, barst, krachte, viel tausend Mal, als Blitz, Donner, Sturm zuckte es in einander. Die Pferde gleiteten aus. – Das stürzte mit den Vorderfüßen, das rücklings.

»Maria! Joseph!« schrie Wilkin Eckebrecht. Ein Krachen und Rauschen. Seitwärts stürzte er vom Roß. »Hülfe!« Wer sollte ihm helfen! Hans Lüddecke sahe nur den Markgrafen, der war vorauf, und sahe nicht den Weg vor sich, er schaute in die Wolken. Sein zitternd Roß aber hängte den Kopf und nun brach es ein.

Der treue Mann rief nicht um Hülfe. Abwärts hatte er sein Thier gelenkt, wo das Eis noch fest war. Da stieg er aus dem Bügel, Helm und Schild warf er von sich und mit der Lanze schritt er selbst und still zur Hülfe. Er war ein schwerer Mann und sein Eisenkleid noch schwerer. Unter ihm wankte es und riß es. Er sank. Da schleuderte er die Lanze weit hin zum Markgrafen: »Rettet Euch! – Gnade Gott mir armen Sünder!« Hätte sich wohl retten mögen, so er die Lanze behielt. Häßlich war Hans sehr; aber so du seine letzte Miene sahst im Abendroth, weiß nicht, ob du nicht die Wimper dir gedrückt und hättest gesprochen: »Schad um den treuen Mann!«

Woldemar kam mit dem Leben davon. Ein anderer treuer Mann, in schlechtem Kleid, rettete ihn. Das war der hinkende Thürmer von Gransee, der war sieben Jahr in seinem Trosse mitgezogen, that Dienste als ein gemeiner Knecht bei den Pferden und beim Gepäck, und wachte Nachts oft an seiner Schwelle, und bewachte die Mienen und behorchte die Reden des Gesindes. Das will ich nicht loben wo es Einer um Lohn thut. Er thats, weil er seinen Herrn liebte, aus Dank, daß er ihm das Leben gerettet. Der große Markgraf hatte ihn in den sieben Jahren kaum einmal angesehn in Gnade; aber des Thürmers Gesicht leuchtete vor Freuden, wenn er den Markgrafen ansah, und hatte keinen andern Sinn, als daß er ihm vergelte, was der Fürst in seiner Gnade an ihm gethan.

Nun fügte der Himmel, daß ers konnte. Länglings hingestreckt kroch er über das Eis und warf dem Sinkenden Lüddeckes Lanze hin, daß er sich dran halte. Das treue Roß mocht er nicht retten. Das streckte den Kopf auf nach seinem Herrn, als wollt es ihn noch einmal sehen, den es sieben Jahr getragen, dann sank es unter.

Es sank und viele waren mit ihm gesunken. Das war ein herzbrechend Schauspiel. Die berstenden Schollen, die klatschenden Wellen, die Rosse und Männer, wie Einer nach dem Andern griff. Einer zog den Andern hinab. Der hielt sich an eine Scholle und schrie aus Leibeskräften, Der stieß einen Fluch aus, Der betete. Der rief um Gottes Barmherzigkeit die Andern, daß sie ihm beisprängen. Ja, das war wohl das Traurigste für so tapfre Männer, die also lange zusammengehalten in Freud und Leid. Keiner sprang dem Andern bei. Wo zwei zusammen standen, war der Tod gewiß. Ja, Keiner sah das Schreckliche, denn wer sich retten wollte, sah und eilte dahin, wo das Eis noch fest war. Die Thiere drängen doch zusammen in der Noth; die liefen auseinander, als in der Pest, wo der Bruder des Bruders Nähe findet. Als wärs eine schmachvolle Niederlage, da flogen die Helme, Schilde, Waffenstücke, was Einer Schweres an sich trug, so weit ers werfen konnte. Der schlich zitternd mit weiten Schritten, Der hatte sich hingelegt, und sein Herz pochte gegen das Eis, als bitte es die nackte Rinde, daß sie ein Erbarmen habe.

Das war ein Schlachtfeld, wo man doch kein Blut sah und keine Leichen. Als, die sich gerettet, das Ufer erreicht, war es still und ruhig auf dem See. Der letzte Sonnenstrahl schien nur auf zerrissene Eisschollen, auf quellendes Wasser; nur eine Feder, ein verloren Tüchlein schwamm oben. Der Abendwind hörte keinen Todesseufzer mehr; der Nachtwind glättete die Spiegelfläche wieder, der Morgenwind strich über ein starres Eisfeld, ein großer Leichenstein über tapfren Herzen.

Kaum über die Hälfte des Häufleins kam drüben an, mit Mühe und Noth. Das war Woldemars Macht, des Alten. So lagern Zigeuner in der Heide, nicht ein großer Markgraf, dem die Herzen seiner Völker zuschlugen, und sieben Jahr gaben sie ihr Herzblut für ihn.

Am Strauch auf einem Sandhügel lag er, daß der schneidende Wind ihn nicht treffe. Sein Lager welkes Laub und Moos und Kiefernadeln. Der treue Thürmer hatte Decken und Mäntel auf ihn gelegt. Unten hatten die Gefährten ein mächtig Feuer entzündet. Schaurig leuchtete es den Fichtenwald an und sein Rauch wirbelte in die Wolken.

Des Mondes blasse Scheibe sah traurig auf den verlassenen Mann. Er sprach nicht, er regte sich nicht, er schlief nicht; er saß, das greise Haupt im Arm gestützt. Ich wette, er hätte viel drum gegeben, so eine Thräne über seine Wimpern gelaufen wäre. Sein Schmerz war kalt und still, als das Eis auf dem See.

Es war Mitternacht. Die dürftige Speise, so die Getreuen aufgetrieben, lag unberührt neben ihm. Die Andern schnarchten. Nur der Thürmer wachte.

»Herr, lieber Herr, s ist Gottes Schickung. – Nach schlimmen Tagen kommen wieder gute. – Wos zum Allerärgsten ist, da kommts immer unverhofft. Ich war ja auch gerichtet und saß im Thurm.«

»Dich richteten Menschen; mich hat Gott gerichtet.«

»Weil Ihr ihn versucht. Ach, gnädigster Markgraf, als Ihr da über den See die Cherubs sahet und den heiligen Martin und Gürgen und Florian, eiskalt schauerte es uns.«

»Sie haben doch für mich gestritten.«

»Im Himmel vielleicht. Hier auf Erden, ach Gott, um solche Sünder als wir, da steigen die Hochgebenedeiten nicht herunter. Das war Dunst, nichts als Nebelstreifen. – Eure Augen waren krank.«

»Krank? – Und wie hätt ichs vollbracht, das große Ungeheuere – wider Kaiser und Könige ein alter, gebrechlicher Pilger –«

»Ich meine so, gnädiger Herr. Die Brandenburgischen haben Euch gewünscht, ja von ganzem Herzen, ich meine solchen Herrn, als Ihr seid; gebetet haben sie drum laut und heimlich. Da mußte doch der Herr im Himmel, der die Noth des Volkes auch sah, sich erbarmen. Und weil Ihr kamt, so habt Ihr gesiegt, weil Ihr just das thatet, was das Volk wünschte. Ihr wart immer eins mit unsereins, da gings. Denn mit den Baierschen gings nicht, weil die immer anders wollten.«

»So hat der Herr mich doch gesendet.«

»Das hab ich immer gesagt. Denn was des Teufels Werk ist, hält nicht aus. Ihr kommt vom Herrn und nicht vom Satan, wie sie uns wollen glauben machen. Aber Ihr fielt in Stricke und Versuchung. Das sagten sie auch: Ihr überhöbt Euch, und da mußt ich stille sein; denn Herr, mit den Cherubs, die Ihr in den Schlachten sahet, das war nichts. Ich hab ein scharf Auge von meinem Dienst her. Das waren immer gute Märkische, die zuschlugen. Die Cherubs sah ich nie; aber die Märkischen kenn ich.«

Woldemar schwieg, – Der Thürmer fuhr nach einer Weile fort:

»Was der böse Feind Macht hat, ach, das kann Keiner besser wissen als ich. Sah ihn gar oft in leibhaftiger Gestalt. Wann die Feinde um meinen Thurm lagerten, Nachts, und ihre Wachtfeuer brannten, Jesus mein Erlöser, und ich zählte sie und dachte, so die vielen Feuer eins wären, was gäbe das für eine Flamme! Der Angstschweiß lief mir über den Leib und mein Auge ward trüb. Da sah ich den bösen Feind im rothen Flammenkleid, mit goldenen Tressen, die Hahnenfeder auf dem Hute, durchs Lager schreiten, wie eine Kiefer hoch. Wo er hintrat, da brannte das Gras. Schritt von Feuer zu Feuer, von einem Trupp zum andern und klopfte die Wachtmänner auf die Schulter und flüsterte ihnen ins Ohr. Dann wies er mit dem Zeigefinger nach mir, und das war ein grinsender Blick! Er sprachs nicht mit menschlicher Stimme, und kein Ohr konnts hören, ich aber verstand jede Sylbe. »Gebenedeite Mutter Gottes, all Ihr Heiligen! erbarmt Euch mein,« betete ich; »macht die Kriegsmänner taub, daß sie ihn nicht verstehn.« Und nun sahen sie zu mir rauf, und dann auf die lodernden Brände. Nur Einer brauchte aufzustehen und den Feuerbrand an den Thurm zu werfen. Der brannte freilich nicht, aber einem bösen Beispiel folgt der Schlechte gern. Da rang ich umsonst die Hände, da ward mir die Kehle trocken, konnte keinen Laut raus pressen; aber der Menschenfeind erhob sich auf seinen Hacken und wuchs, bis seine Augen an die Zinnen ragten und konnte das Höllenfeuer in seinem gähnenden Rachen sehn: »Du armseliger Erdenwurm. Dein Heiliger hört dich nicht, er gab dich in meine Macht. Was bietest du mir, daß du nicht in Qualm erstickst und gebacken wirst von dem Flammenzünglein, langsam, als der Vogel im Nest, darunter sie Feuer gemacht.« Ach, gnädiger Herr, die Stimme des Menschenfeindes ist furchtbar.«

»Und er hat Dir nichts angehabt?«

»Weil ich ihn ins Aug faßte und recht erkannt habe. Ja, so man den Teufel nur sieht, als er ist, so schrecklich er sei, dann braucht ihn das Menschenkind nicht zu fürchten. Aber das Uebel ist das, wenn er schöne Kleider anlegt und glatte Worte spricht; daß man den Pferdefuß nicht sieht und den Höllengestank nicht riecht. Ach, gnädigster Herr, davon kann ich auch reden. So in meiner Einsamkeit auf dem Thurme, was schlichen da böse Gedanken an mich, in allerhand Form und Gestalt. Die nehmen Miene an von Tugenden, und wir sind schon verstrickt und gefangen von ihnen, wo wir meinen, fromm und gottgefällig zu sein. Schwer ists zu wachen für uns selbst, daß wir nicht in Stricke und Anfechtungen fallen, aber schwerer ists, stehen und wachen müssen für Andere.«

Woldemar seufzte.

»So nun die Feinde abzogen und die Gefahr war vorüber,« fuhr der Thürmer fort, »ach Gott, was pochte da das Herz. Ich kniete wohl nieder und betete. Aber dann dachte ich, wozu betest du? Die Heiligen haben sichtlich der Feinde Ohr taub gemacht und ihren Arm gelähmt um dich; sie wollen nicht dein Verderben. Da schwoll das Herz vor Stolz, ich ließ die Hände los; ich sah, auf die Zinne gelehnt, den abziehenden Schaaren nach und lachte wohl gar in mich hinein: Kommt nur wieder, mir könnt Ihr nichts anhaben. Die Heiligen müssen mich schützen. – Seht, Herr, das war schon wieder der Teufel, nur merkt ich ihn nicht, weil er ein ander Kleid trug. Kam als Hochmuth. Ach, er kam nur zu oft wieder. Daß ich es war, der die Stadt bewachte, und wenn ich ein Aug zuthäte, so waren sie verloren, das stieg mir auch oft zu Kopfe. Nicht bei Sturm und Nacht, da lernt man zittern und beten; aber bei schönem Wetter, und unten war Alles grün und oben blau und lau, und die Lerchen sangen um meinen Kopf und die Adler wiegten sich im Sonnenschein. Ja, da meint ich wohl: was wärt Ihr Bürger ohne mich; und als Ihr vor dem Bürgermeister den Hut zieht, so müßtet Ihr ihn, wenn Gerechtigkeit ist, vor mir abnehmen. Ja seht, durchlauchtigster Markgraf, es kamen noch gar andere absonderliche Gedanken über mich. Ihr solltet sie von einem so schlechten Manne, der nichts gelernt hat, nicht erwarten. Da fiel mir Dies und Jenes ein, worüber die Bürger murrten, zumal die kleinen Leute. Sie hatten wohl Recht. Und nun dacht ich mir, wärst du im Rath, dann würdest dus so und so machen, und gewiß immer besser. Und dann dacht ich weiter vom Stadtregiment an das Landregiment, und calculirte mir so aus, wenn ich Landesherr wäre, dann sollte das so und so werden. Und das ging so fort. War ich nicht mal ganz sicher bei mir, dann sprach ich: das soll Gott entscheiden, und sagte, wenn der Habicht da über den Wald fliegt, dann hab ich Unrecht, wenn er aber übers Brachfeld fliegt, dann hab ich Recht. Nun kams immer, daß ich Recht hatte, da wuchs mein Dünkel, als die Pilze, wenns geregnet hat. Und da steckte wieder der Teufel hinter. Der hieß mich, und nicht Gott, daß ich die Zeichen fragen sollte. Denn seht, nun in den sieben Jahren, daß ich mit Euch ziehe, als ein schlechter Knecht, und thu nicht den Mund auf, aber die Augen hatte ich allezeit offen, und lernte Vieles, da habe ich gelernt, daß Alles, was ich dazumal dachte über das Regiment, und wie Einer es führen müsse, albern und ungeschickt war, denn es war grad umgekehrt, als Ihr es angefangen und thatet.«

»Und doch sitz ich hier,« lächelte Woldemar bitter.

»Das hat wohl andern Grund, als Ihr mir erlaubt, es zu sagen.«

»Mich hat Gott verworfen,« murmelte Woldemar.

»Nein, Herr, gewiß nicht, aber Ihr habt ihn versucht. Der Herr läßt sich nicht spotten.«

»O, wenn diese Zeichen täuschten!«

»Herr, s ist mit den Zeichen ein eigen Ding. Ihr saht oft den heiligen Ritter Sanct Gürgen zehn Schritt von Euch; ja, einmal habt Ihr gar den Erzengel Michael gesehen in goldener Rüstung aus den Wolken steigen. Warum hat ihn denn aber kein Anderer gesehn! Warum Ihr allein? Weiß wohl, daß die Heiligen nicht einem Jeden erscheinen; das müssen fromme Leute sein, die sie sehen. Aber unter Allen wird doch noch ein Frommer außer Euch gewesen sein. Das, mein ich, in meinem schlechten Sinn, hätte Euch müssen Wunder nehmen, daß Keiner das Wunder sah. Da dachtet Ihr aber: ich bin allein fromm und gut. Haltet mirs zu Gnaden, daß ichs sagen thue. Es ist aber so. Denkt Einer erst das, dann hat der Teufel ihn weg.«

»Dein einfältiger Sinn, mein Lieber, begreift nicht die großen Wunder Gottes.«

»Da habt Ihr gewiß Recht. Die großen Wunder sind nur für große Herren. So der Herr einen Kometen an den Himmel hängt, als eine Zuchtruthe für die Welt, das geschieht nicht um kleine Dinge, und unsereins faßt es nicht. Das verstehn nur die Bischöfe und Cardinäle. Aber was die kleinen Zeichen anlangt, die wir uns selber setzen für unser eigen Treiben und Thun, ach Herr, das weiß ich, ist eitel Betrug. Daß ichs Euch gestehe, Herr, wenn ich so die Frage stellte, heimlich bei mir, so ich mirs auch nicht gestand, ich wußte es doch immer vorher, wohin der Vogel fliegen, wohin der Schatten oder der Stein fallen würde. S ist kein Mensch so ehrlich, er betrügt sich doch selbst.«

Der alte Markgraf stöhnte tief auf und barg das Gesicht an der Erde. Da schwieg der Thürmer. Aber nach einer Weile schaute er ihn freundlich an und faßte seine Hand:

»Fahre fort. Ich höre Dich gern an.«

»Hättet Ihr nur immer gehört, was die Leute sprachen. Nicht Alles muß man hören, denn es wird viel Dummes gesprochen. Aber was ists mit einem Fürsten, der sein Ohr verschließt, und nicht hört, was sein Volk wünscht und denkt. Oder ist das ein Fürst, der blind ist, und nichts sieht, als was er sich einbildet, daß ers sieht. So war der Baier, der hielt die Ohren zu und die Augen auf, wußte nicht Steg und Weg in seinem Lande außer zu seinen Liebschaften. So waren nicht die alten Herren von Anhalt; hörten uns an und verstanden uns. Darum ist ihr Andenken als eine Eiche mit tausend Wurzeln im Lande. Und so wart Ihr Anfangs auch, darum hielten wir Euch für echt. Aber als Euch Alles glückte, da wurdet Ihr stolz; versteht, nicht hochfahrend, wie der Sachsenherzog, aber innerlich stolz. Ihr glaubtet nur an Euch und an keine anderen Menschen. Da verschloßt Ihr Euch vor den weisen Räthen, und beriethet nur mit Euch selbst. Da kamen die Gesichter und Erscheinungen, die Euch irrten und zum Narren hatten. Und wenn Ihr ausrittet und auf den Söller tratet, da blitzte Euer Auge, verzeiht mir, daß ichs sage, von dem Feuer, als in den Augen des Menschenfeindes. Da bekam ich Angst und Bange, und dachte an meinen Thurm, da ich allein war, denn Ihr wart nun auch allein. Ihr hörtet nur auf Euch; und was Euch in den Sinn kam, das war Eingebung Gottes. Der Versucher ist bei ihm, sprach ich, helfe ihm Gott, dem guten Herrn; denn der führt ihn aufs Eis.«

»Und es brach und ich versank.«

»Ihr lebt noch, lieber Herr, Ihr seid gerettet. So als ich es ward damals durch Euch. Da ging ich in mich und ward ein anderer Mensch.«

Der Fürst schwieg und blickte starr vor sich in die Sterne. Und plötzlich raffte er sich zusammen und stand auf und hob die Arme gen Himmel:

»Und doch, vor deinen klaren Himmelslichtern, die mich anschaun, wahrhaft, bin ich nicht mehr vor dir? Ein Sünder, ein großer Sünder und ein schwacher Mensch, der strauchelte, aber war es nicht deine Sendung? Sie ist noch nicht vollbracht, die Stürme beben, die Elemente brechen, der Boden unter mir reißt, ich wanke, soll ich wieder den Pilgerstab ergreifen? – Kurz nur noch ist meine Wallfahrt! Darf ichs, Herr? Klagt mich Keiner vor deinem Throne der Feigheit an, daß ich verzagt, zu früh das große Werk verlasse, o, ich ginge gern. Herr, nur noch um ein Zeichen flehe ich dich an, ein einziges gewähre deinem Knechte.«

Der große Himmel mit seinen tausend und tausend Sternen blieb ruhig. Keiner schoß herab, kein Blitz zückte durch die Nacht, kein Luftzug rauschte in den Wäldern, noch rührte er die Asche der verglimmten Feuer auf. Auch die Flammen waren schlafen gegangen.

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