Frei Lesen: Der falsche Woldemar

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Willibald Alexis

Der falsche Woldemar

Siebentes Kapitel.

eingestellt: 23.7.2007



Da die Andern gegangen und es still ward im Dorf, hielt Heinrich beide Hände vors Gesicht, wie Einer, der in die Sonne gesehen und kann die Bilder nicht fortjagen, die zuckend und kreisend ihm vorm Gesicht wirbeln. »Es muß so sein«, sprach er, und sprang in den Schuppen, darin seine Schlafstelle, riß den Rock von der Wand, schnürte sein klein Bündel, das er leicht um den Nacken warf und ergriff den Eichenstock, den er selbst im Walde geschnitten. Mit der langen Eisenspitze, die er daran geschmiedet, wars eine gute Waffe, so ein guter Mann sie führte.

So sprang er in den Garten und über die Hecken. Am Saum des Waldes stand er noch einmal still und schaute zurück. Die Nachmittagssonne fing sich auf den ungestalten, vom Wetter geworfenen Schilfdächern; alle gar anmuthig als wie mit grünem Sammet überzogen. Schiens als wiege sich gern das warme Licht auf dem grünen Bette, und sauge sich ein in das schwellende Moos. Die Störche saßen auf ihren Nestern, hoch auf den Firsten und schauten ihren Weibchen entgegen, die ausgezogen waren und heimkehrten mit Atzung. Es war still in der Luft und auf der Erde. Und die Heimchen zirpten und die Bachstelzen hüpften über die Raine, und die viel tausend Fäserchen wirbelten und tanzten im Sonnenschein. Da hätte Manchem das Herz auch getanzt vor stiller Wonne, und es hätte ihn gelockt, da zu weilen, wo so viele Freude schien.

Der Bursch aber schaute gleichgültig drauf hin. Nur wie Einer einer Herberg Valet sagt, darin er über Nacht schlief, und er hat da nichts Liebes gelassen und nichts Liebes geträumt. Er siehts nur noch einmal an, daß er weiß, wie das Haus ausschaute, und zieht fürder seines Weges. Er wollte nicht wiederkehren, aber was er wollte, das wußt er nicht. In der Welt sich umschauen, wo s zu thun gab. Aber zuerst wollte er nacheilen der schönen Reiterin. Da schlug ihm das Herz, wars Lust oder Schmerz? Vor Lust, daß er sie wieder sähe, vor Schmerz beim Gedanken, daß ihr was widerführe. Wie ingrimmig schwang er den Stock in der Lust, als wärs ein Schlachtschwert. So stark fühlte er sich, er hätte es mit Dreien aufgenommen, in Harnisch von Kopf bis Fuß.

Aber wer mit so muthigen Gedanken läuft und so viel Bildern im Kopf, verfehlt leicht den Weg. Was mehr, wenn gar kein Weg da ist! Er folgte den Hufspuren des Pferdes, und die mußt er freilich kennen, da er selber das Eisen geschmiedet. Aber nun kam tiefer, leichter Sand, der zusammen schlägt, wenn der Fuß heraus ist, und dann fester Rasen, da man auch nichts sieht, und ein Wasser, darin sich die Füße waschen! und suche du drüben, wenn es breit und lang ist, wo das Roß wieder den Boden gewann! So war er schon eine halbe Stunde gerannt und hatte manches Volk Rebhühner aufgejagt, manchen Edelhirsch gescheucht, aber kein Roß gesehen und nicht die weißen Federn auf dem Hut der Reiterin. Durch Wiesenwachs und Elsenbüsche, durch braunes Haideland mit Kiefergestrüpp war er in den Hochwald gekommen; und hier war nicht Weg und Steg, hätte Einer aus der Stadt gesagt. Das war dem Burschen gleichgültig, und ihm ward hier erst wohl unter den hohen Eichen und Buchen, die Berg und Thal bestanden. Die kräftigen Bäume, mit ihren Wipfeln himmelan schießend, ließen kein Buschwerk zwischen sich aufkommen. Da blickte die Abendsonne nieder, durch das Laub-Gegitter in tausend und tausend goldnen Würfeln auf den grünen Teppich. Der Abendwind rauschte in den Wipfeln und es war doch still. Nur die Spechte hämmerten gegen die Stämme und die Eichhörnchen schwangen sich von Ast zu Ast, und die dürren Aeste, die sie abbrachen, fielen raschelnd zu Boden.

Der Bursch blieb stehen, und ihm war wohl zu Muthe, wie Einem ist, wenn er nach langer Arbeit, die ihn niederdrückte, sich das Blut durch einen Lauf im Freien gerüttelt und geschüttelt, und nun fächelt ihn die kühle Abendluft an. Ihm war wohl, aber auch weh, daß ihm Keiner begegnete. Er hätte es mögen aufnehmen mit Riesen, und da keine Riesen da waren, schlug er mit dem Stocke gegen die Stämme, daß es weit hin hallte. Die schöne Reiterin ereilte er nicht mehr, das sah er nun wohl ein, aber ihm wars, als müsse er ihr ein Zeichen geben, sie aufzusuchen und ihr beizustehn. Da pfiff er aus Leibeskräften; wenn sies nicht hörte, mußtens doch die Räuber hören, und sein Herz lechzte eben so nach denen, seis um seine Kräfte mit ihnen zu messen, oder Brüderschaft mit ihnen zu machen.

Da pfiff es wieder. Aber wie er sich auch umschaute, er sah kein lebend Wesen. Nun pfiff er noch mal, und es antwortete ihm, und zum dritten Mal, da glaubte er zu wissen, von wo es kam. Und als er zuging, regte es sich am Boden. Die helle Sonne, die auf den Fleck fiel, mußte ihn geblendet haben, daß er den Mann nicht früher sah, der dort in seinen Ellenbogen gestützt auf einem weichen Moosbett lag.

»Holla, Gesell, wen rufst Du?« rief ihm der entgegen. Ein jung Blut, so von den Jahren, als er selber, und noch minder; und der Bart, der ihm um Kinn und Mund sproßte, gab dem frischen Antlitz noch nicht viel Schatten. Die Sonne spielte auf den rothen Wangen und um die blauen Augen, daß man sah, wie fein und hübsch er war. Aber wie er auch lachte, er schaute doch zugleich trotzig drein. Sein Wamms war grün, ein wenig verschossen. Ein Hifthorn hing ihm um die Schulter, zween Messer an der Seite, ein langes und ein kurzes, und in der Hand spielte er mit einer Armbrust. Am nächsten Baum gelehnt stand ein kurzer Spieß, wie er im Dickicht gut ist.

Die Frage klang so trotzig, und der Mann regte sich auch gar nicht ein wenig vom Fleck. Darum fand sich der Gesell auch nicht gemüßigt, daß er ihm bescheiden geantwortet. Vielmehr sagte er: »Holla du da, ich ruf mir so, wen ich Lust hab.« Und dabei lehnte er sich auf seinen Stock mit beiden Händen und schaute gar nicht verlegen drein.

»Das ist ein grober Bescheid,« sagte der vom Walde.

»Die Frage klang auch nit fein,« antwortete der von der Schmiede.

»Du bist doch nit ein Goldschmied! Auf grob Eisen schlägt man mit groben Hammer.«

Da überfuhrs den Burschen, und er stampfte heftig mit dem Stocke in den Rasen: »Du hör mal, wer Du auch bist, darum kam ich nicht in den Wald, daß ich Einen finde, der auf die Schmiede schimpft.«

»Wahrhaftig,« lachte der Andre. »Glaubte erst, Du seist ein Köhler. Was hat ein Grobschmied im Wald zu suchen?«

»Der Wald ist Jedermanns,« antwortete Heinrich.

»Der Wald ist mein, Gesell!« rief der im grünen Wamms.

»Bist Du ein Hegereiter?«

Nun flog etwas wie Zorn über des Andern Stirn, und er spannte die Armbrust: »Das bin ich, und nun lauf, was Du laufen kannst. Was in den Wald kommt, ist mein, und ich schieß es.«

So der im grünen Wamms meinte, der Bursch werde laufen, hatte er fehl geschossen. Sprach ohne nur mit den Augen zu blinken, ob der Andre doch that, als legte er an: »So Du ein Hegereiter bist, so bin ich ein Pfaff, und wie der Wald Dein ist, so gehört mir die Sonne zwischen den Bäumen und der Mond, der da oben an der Kiefer vorblinkt. Laß das Ding sein, der Bolzen steckt schief, und schießest doch fehl, so Du denkst mich zu treffen.«

»Meinst Du,« sagte ruhig der Andere und ließ die Armbrust sinken. »Hast recht, zum Schießen stehst Du mir zu nah. Aber schau. Dies Horn ruft gute Leute, und hier die Pfeife. Drauf kommt eine Meute Hunde, die Dir das Fersengeld fordern, so Du nicht auf der Stell Dich umdrehst und Reißaus nimmst.«

»Spür deß keine Lust, Herr Hegereiter,« entgegnete der Bursch. »So Ihr aber ein Gesell seid, der nicht gute Gesellschaft um sich liebt, da nehmt Euren Bratspieß, und Euer Messer dazu und kommt her. Wollens mit einander ausmachen, weß der Wald ist, Herr!«

»Bei allen heiligen Rittern, der Bursch ist frech!« rief der vom Walde und war mit einem Satz auf, und der Spieß war in seiner Hand.

Nun waren sie Beid auf Manneslänge an einander getreten, und maaßen sich mit den Augen. Der vom Walde war klein und von zartem Bau; fast zierlich hätte man ihn heißen mögen. Aber an keckem Blick gab er dem Andern nicht nach.

»Also auf Schimpf und Glimpf,« sprach er. »Gehört eigentlich zu solchem Einzelkampf, daß die Gegner vorher sich messen, so an Stand und Waffen. Du bist ein Schmiedegesell.«

»Wars,« rief Heinrich. »Will jetzt ein freier Mann sein. Ihr seids doch auch? Also sind wir gleich.«

»Da hast Du recht, darin sind wir gleich. Nun muß man fragen, weshalb wir uns schlagen?«

»Thut das Noth, wo zwei aneinander wollen?«

»Das ist gute Sitte.«

»So. Nun das ist ja leicht. Dir behagts nit, daß ich Dir in den Weg lief, und mir behagts nit, daß Du mir derquer kamst, wo ich hin will.«

»Wo willst Du denn hin?«

»Das kannst Du fragen, wenn Du mich unter hast, eher nicht; weiß auch, was Sitte ist.«

»Nun gilts noch die Waffen messen. Ei sieh, ich habe einen Spieß mit Widerhaken, und Du nur einen glatten Stachel an Deiner Bohnenstange. Das geht nicht nach guten Sitten, da Du so drauf hältst.«

»Deß kümmert Euch nicht,« sagte der Schmied. »Mit der Bohnenstange hab ich schon Manchen gestachelt, der zehn Widerhaken hatte und größer war als Ihr.«

»Bist Du ein so gefährlicher Kämpe, da will ich Dir einen Vorschlag thun. Wirf Du Deinen Spieß fort, und ich werfe meinen fort. Dort hinterm Baum hängt ein andrer Spieß, der wird für uns Beide recht sein, und was weiter Noth thut, das machen wir nachher aus.«

Der Schmied verstand nicht, was der Andre wollte; als der aber wohlgemuth seine Waffe von sich warf, mußte er doch auch so thun, und dann folgte er ihm so unbekümmert, als der Andere unbekümmert vor ihm herging; gar nicht, als wenn Einer hinter ihm wäre, mit dem ers eben auf Tod und Leben aufnehmen wollte. Ein dicker Eichbaum, daß ihn drei Menschen nicht umspannten, stand ein paar Schritt entfernt, und als sie darum waren, sah er an seiner hohlen Seite ein Feuer schwelen, und über dem Feuer stak auf zween Gabeln von Holz ein Spieß, und an dem Spieße röstete ein fetter Rehbock.

»Sanct Hubertus!« rief der im grünen Wamms und sprang hastig auf das Feuer los. »Da war bald um das dumme Zeug der schönste Braten zu Kohle worden.«

Er drehte ihn um, und stieß die Brände zurecht und dann winkte er dem Gesellen, daß er ihn ablöse, und warf sich wieder, als sei gar nichts vorgefallen, daneben hin: »Nicht wahr, Kumpan, unsere Sache hat Zeit bis der Braten fertig ist. Ihr seid doch auch hungrig?«

Heinrich konnte das nicht abstreiten; sein Magen sprach laut, und der Braten am Spieß duftete gar zu lieblich.

»Zudem, wenn man satt ist, schlägt sichs besser,« sagte Jener.

»Aber dann ists dunkel,« meinte der Gesell und hielts für gute Sitte, daß ers sagte.

»Ei was, morgen ist auch ein Tag, und wer geschlafen hat, schlägt noch besser. Der Wald ist ein großes Bett und, so Dus noch nicht weißt, da schläft sichs vortrefflich.«

Der Gesell wußte dagegen nichts einzuwenden, vielmehr hielt ers für Pflicht, nun auch zu thun, was an ihm war, daß der Braten von allen Seiten gut geröstet würde. Das schöne Fräulein, dachte er, wird nun wohl in Sicherheit sein. Darum blies er die Kohlen aus voller Lunge an, bis der Andere, sein Jagdmesser rausziehend, in den Braten stach und erklärte, nun sei er gut. Darauf kehrten sie, was von Kohlen und Asche da war, weg, legten Rasen und grüne Zweige auf die heiße Stelle und setzten sich zur Mahlzeit darum. Denn da Teller und Schüssel fehlten, konnte der Braten nicht besser bleiben als am Spieß; und obschon Beide tüchtig einschnitten, sah der im grünen Wamms doch mit besondere Wohlgefallen, wie der Andere immer herzhafter mit dem Messer in das Fleisch ging. Dachte vielleicht, wer so drauf losgeht, mit dem muß Lust sein auch loszugehn.

Aus seiner Jagdtasche brachte er vor Brod, Salz und was die Mahlzeit würzt, und griff dann in den hohlen Baum. Das machte sie erst vollständig und köstlich. Ein schwerer Henkelkrug wars mit Wein, davon er in einen Becher goß und es dem Gesellen auf dessen Wohlsein credenzte. Der besann sich auch nicht lange und leerte den Becher wieder auf das Wohlsein des Andern. Und so ging es mit einem zweiten, dritten und ich weiß nicht wie viel mehr. Dem Gesellen, der lang nicht Wein über die Lippen gebracht, dünkte es ein herrlich Getränk, und zumal im Wald. Der schien ihm nun noch einmal so grün und er schnalzte mit der Zunge und trank jedem Baum und Busch, durch den die Sonne glitzerte, ein Willkomm zu. Nun wurden die Schatten immer länger, und immer feuriger glühten die Wipfel der Bäume, und die Nachtigallen oben in den dichten Kronen begannen ihren wollüstigen Sang. Dem Gesellen war lang nicht so wohl zu Muth gewesen.

Da waren sie unvermerkt in ein Gespräch gerathen. Es klang nicht, als obs zwei Feinde führten, so froh wars. Denn das hat der Wein an sich, im Walde, wie in vier Wänden, er macht das Herz lustig, und was drinnen schlummert, das wacht auf und will hinaus. Der Gesell meinte, es sei hier Alles von selber wohlgemuth, so alle Creatur, die da kriecht und fliegt und läuft, als wie der Baum, der da wächst, und weiß nicht, daß es anders sein könnte. Und fühle sich hier nichts von dem Jammer und der Verwüstung draußen, als wie der Staub von den Straßen hier auch nicht herkommt.

Mit Lust hörte ihm der Andre zu!

»Nun Gesell ists itzo an der Sitt, daß ich Dich frage, wohin Du willst?«

Heinrich fuhr sich über die Stirn, und sah den Andern scharf, aber doch gut an:

»Du bist kein Hegereiter nicht.«

Der lächelte: »So ichs bin, so bin ichs auf eigne Hand.«

»Schaute Dirs sogleich an, daß anders hinter Dir steckt, als Du fürgiebst.«

Der Andere lachte nun noch herzlicher: »Bist Du so gescheut? So kluge Kinder mögen wir bei uns brauchen. Sieh, und ich schaus Dir auch an; Du kommst in den Wald und willst nicht zurück.«

Der Bursch schnellte die Finger zusammen: »S gefällt mir nicht mehr da draußen.«

»Mir auch nicht,« sagte der Grüne. »Auf die Weis finden sich gar Manche hier zusammen, denen s da zu eng und zu wüst.«

Und da verstanden sich Beide sonder viel Worte, und sprachen noch Etliches davon, wie es in dem Lande schlecht hergehe, daß der Mensch arbeiten müsse als ein Ochs, und so er was meine zu haben, nimmts ihm ein Anderer, und daß keine Gerechtigkeit sei und kein Glück, als läge Gottes Fluch auf der Mark Brandenburg, und Heinrich fragte, obs denn wohl immer so schlecht gewesen sei?

Der Andre hatte sich an den Eichstamm gelehnt und schaute, die Arme unterschlagen, in den Wipfel, als lausche er auf den Vogelsang:

»Ei nicht doch,« sagte er nach einer Weil. »So es immer gewesen wäre, als es ist, wie wüßten wir denn, daß es besser sein kann. Wir meinten dann wohl, es sei so von Anbeginn, und strebten nicht nach Anderm. Sieh, Gesell, ehedem in diesen Landen war viele Lust. Da sang der Bauer, wenn er am Pfluge ging, und der Schmied auch, wenn er das Eisen hämmerte. Das Singen hast Du nun verlernt. Nicht wahr? Und das waren andere Zeiten, und andere Fürsten, die alten! Stolzere sah man nicht im ganzen deutschen Lande. Die brachen Lanzen, wo was zu kämpfen war, in Schimpf und Glimpf! Herr Gott! Was haben die von Anhalt auf die Welschen losgehauen! Und was waren Ritter an ihren Höfen und schöne Frauen! Da gabs Bankette und Ringelrennen, und die Wälder hallten vom Jagdlärm wieder. Solche Waldlust, Gesell, die giebts nicht mehr. Wenn die Bauern mit bunten Bändern und Schellen durch die Büsche trieben; unter dem Wilde war Walpurgisnacht, die Hirsche wußten nicht wohin, und die Rehe liefen den Jägern in die Hände. Und da der Stahl blinkte in des Ritters Faust, bat eine edle Frau, daß er des Thieres schone. Einer Frauen Bitte schlug kein Ritter ab. Das war Maienlust, wenn das Tagewerk vorbei, und sie lagerten im Kreis auf grünem Rasen. Da waren Zelte umher aufgeschlagen mit bunten Wimpeln und Fahnen, und Feuer brannte an Feuer, daß sie das Jagdmahl dran bereiteten. Und unter den schattigen Bäumen saßen die schönen Frauen und Fräulein, und die Pokale mit köstlichem Wein kreisten und klangen auf ihr Wohlsein, und mit ihren rosigen Lippen tranken sie wieder auf das Wohl der kühnen Jäger. Und wenn die Schwüle des Tages nachließ, dann bliesen die Hörner auf zum Tanz, und auf dem grünen Rasen schwenkten sie und lachten und haben auch geküßt. Nicht wahr Gesell, das war ein lustig Leben?«

»Ja, wer da mittanzen konnte – und küssen!« seufzte der Gesell.

»Und wenn der Mond aufging,« fuhr Jener fort, »da führten sie die Frauen sittig in die Zelte, und die Pfeifer und Geiger mußten süße Weisen spielen, daß sie sanft einschliefen. Und die Ritter fanden überall ein so schön weich Bett als Du und ich heut.«

»Es mag gar lustig gewesen sein.«

»Und Du glaubst nicht, Gesell, wie sichs unterm grünen Baume träumt nach solcher Waidlust, der schöne Frauen zusahen, und die Elfen tragen Dir ihre geheimen Seufzer zu. Da gaukeln Dir die Lieder um die Ohren, die Du nie gehört, und wenn Du aufwachst, singst Du sie, als müßt es so sein. Ja Lieder wurden gesungen, so süße Lieder, daß der Wind schwieg, und das Laub nicht raschelte, um sie zu hören. Das machte die Fürsten und Herren zu Dichtern. Da griffen sie beim frühen Morgenschein in die Zither und besangen den König Mai, der Alles bezwingt und Blumen ausstreut über die Erde; und die Bächlein, die im Walde rauschen, besangen sie und die Lüfte, so mit den Locken der edlen Frauen spielten. Vor allem aber, und da klang erst hoch ihr Lied, das Lob der schönen blauen Augen. Die funkelten herrlicher, denn Gold und edel Geschmeid, und ein Blick daraus sei dem Ritter als ein Trunk am Waldquell einem Dürstigen, der schon verschmachtet.«

Der Gesell hatte stumm vor sich hingesehen in das Waldgrün, wo der Goldanhauch schon roth worden, und das Roth ward auch schon blaß: »Ach das sind wohl sehr alte Wunderzeiten, davon Ihr sprecht,« sagte er.

»Ei nicht zu alt, daß nicht alte Leute ihrer noch gedächten.«

»Fürsten haben selber gesungen! Das ist doch nicht Sitte, als ich weiß, daß Fürsten Spielleute sind.«

Der im grünen Wamms schaute etwas seltsam vor sich hin: »Die Sitte ist itzund ein alt Weib worden. Das hüllt sich in sieben Röcke und stellt sich hinter den Ofen. Fürchtet jeden rauhen Wind, daß es sich nicht erkälte. Als die Alte jung war, da war sie ein schön Weib, das mit dem jungen Volk spielte und hatte kein Arg. Da kränkt es auch die Fürsten nicht, daß sie Spielleute waren und im Zwielicht sangen unter den Fenstern ihrer Schönen. Hörtest Du nie vom Markgrafen Otto mit dem Pfeil? Das war die Blume der Ritterschaft, er brach Lanzen mit dem Stärksten und war beim Sturme der erste auf den Mauern; aber Minnelieder hat er gesungen mit der Lerche um die Wette.«

Dunkel entsann sich der Gesell, daß er davon gehört. Dem Andern aber war das Herz so voll, daß der Mund nicht enden konnte von den großen Fürsten der Anhaltiner und Ascanier, den Albrechts, den Johannes und Ottos und deren Herrlichkeit; wie sie geherrscht mit großer Kraft und brüderlichem Sinne, und über weite Länder, die sie mit starkem Arm zusammen hielten, und jetzt sind sie zersplittert und gehören hierhin und dorthin. Die Worte zuckten wie Blitze; so folgte er ihnen in Jugendlust, hinauf auf die Thürme, wo sie ihre Fahnen aufpflanzten, und in die dunklen Verließe, darin sie gefangen saßen, aber ihr Sinn war frei; auf schäumendem Rappen wie der Sturmwind in die brausende Schlacht und zu manchem kühnen und stillen Abenteuer, wo man keine Begleiter mitnimmt.

»Die Ritterzeit ist nun vorbei!«

Der Schmiedegesell meinte, solche Harnische, als sie dazumal geschmiedet, könnten die Fürsten heute nicht mehr tragen.

»Sie schmieden selber,« fuhr der Andere auf. »Nicht Lanzenspitzen, sondern Ränke. Erbverträge und Bündnisse, die dauern grad so lang, bis sie sich zanken. Die Freundschaft wird abgewogen, wie die Juden die Goldgülden wiegen. Die Fürsten und Edeln verkaufen die Kaiserkrone an Den, der zum Meisten bietet, das nennen sie wählen. Und hinterm Ofen geschiehts am Schreibetisch, eine Karte vor sich, da messen sie sich Landes zu, und der Teufel steckt im Dintefaß, und ein Pfaff in jedem Gänsekiel. Daher ist keine rechte Eintracht mehr und keine rechte Feindschaft. Wo sie auf einander losgehn, denken sie dran, daß sie sich wieder vertragen können, und wo sie sich wieder vertragen, daß es wieder losgeht. Haben einen wälschen Namen für die Klugheit, der gar seltsam klingt; immer besser, als daß sie einen deutschen dafür hätten.«

»Ihr sprecht ja sehr gelehrt. Habt Ihr das im Walde gelernt?«

»Daß ichs vergesse, darum bin ich hier. Trink noch eins, Gesell. Hörst Du die Nachtigall über uns? Das ist ein Lied aus voller Kehle. Ist des Menschen Kehle nicht voller? Gott gab sie uns, damit wir Lieder singen sollen. Aber, wo soll man singen, wo uns die verdammte Klugheit in den Gliedern steckt. Sie thun das Maul nicht auf aus Furcht, daß es ihre Gedanken verräth.«

Der vom Walde forderte nun den Andern auf zu singen. Aber er wußte kein Lied. Nun sang er selber eins, was der Bursch mit großer Lust anhörte, und noch ein zweites und drittes, und da brach es wie Eis, das sich unmerklich im Frühling löst. Es sang in ihm und nun wurdens Laute und Worte. Ein Lied kam raus, das er in seiner Knabenzeit gewußt und hatte es wieder vergessen. Und wo die Worte ihm fehlten und er stockte, half der Andere aus. Nun sangen sie Beide, und leerten dazu den Krug und waren sehr froh. Da war es dunkel geworden in den Büschen, aber der Mond warf seine Silberfunken durch das junge Eichenlaub nieder, und tausend Wohlrüche dufteten von der Erde und tausend und aber tausend summende Käfer und Insekten stimmten ein Schlummerlied an, und sie horchten darauf. Sie hatten sich Beide angefaßt, aber ehe sie sichs versahen, waren Beide, den Kopf auf dem Pfühl von Moos sanft eingeschlafen. Das letzte, was Heinrich hörte, war ein Kukuk in der Ferne. Gott weiß, warum der so spät sang. Er fragte ihn, wie lang er noch leben werde, und wollte zählen, wie oft der Kukuk antworten würde, aber darüber schlief er ein, und der Kukuk rief noch immer.

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