Frei Lesen: Der neue Pitaval - Band 15

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Vorwort | Fieschi | Alibaud | Francois Ravaillac | Jacques Clement | Damiens | Louvel | Francesco Fava | Papavoine | Mathias Lenchauer | Eine Entführung | George Frederick Manning und Maria Manning | Eine Hinrichtung in Appenzell | Constantin Weise |

Weitere Werke von Willibald Alexis

Der falsche Woldemar | Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3 | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4 | Isegrimm | Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9 |

Alle Werke von Willibald Alexis
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Der neue Pitaval - Band 15) ausdrucken 'Der neue Pitaval - Band 15' als PDF herunterladen

Willibald Alexis

Der neue Pitaval - Band 15

Eine Entführung

eingestellt: 22.7.2007



Das herrschaftliche Schloß der Freiherren – deren Namen der (aus den Acten von Bischoff uns mitgetheilte) Bericht verschweigt, obgleich dieser Name mit dem romanhaften Criminalfall in gar keine sie entehrende Berührung kommt – liegt in einem großen, hie und da mit Buschwerk und Baumgruppen besetzten Garten, an welchen ein nicht unbeträchtlicher Wald grenzt, der durch verschiedene Wege mit dem Garten in Verbindung gebracht ist, sodaß das Ganze einen großartigen Park bildet. Das Schloß liegt am südlichen Ende eines Fleckens, welcher gleichfalls, wenigstens 1837 noch, zur Herrschaft der Freiherren gehörte, der Flecken wird uns Bärwalde genannt, und liegt in Sachsen.

Etwa 200 Schritte vom Schloß entfernt stand, oder steht noch in diesem Park ein Gartenhaus, bestehend aus einem großen Gartensaal, an welchen sich links und rechts Zimmer anschließen. Es war unbewohnt, und der Gutsherr pflegte dasselbe seinen Unterthanen bei festlichen Gelegenheiten herzuleihen.

Es scheint überhaupt ein patriarchalisches Verhältniß, im besten Sinne des Wortes, zwischen dem Freiherrn und seinen damaligen Unterthanen obgewaltet zu haben. Er wohnte den festlichen Gelegenheiten gewöhnlich selbst bei, und bekümmerte sich auch sonst, wohlthätig eingreifend und Hülfe leistend, um die Familienangelegenheiten der Ortsangehörigen.

Die Herrschaft mußte nicht unbedeutend sein. Der Freiherr hatte mehrere Administrativbeamte, auch einen Oberförster – Xaver Bamberger, einen Mann aus guter Familie und in seinen besten Jahren, 36 Jahr alt, noch unverheirathet, in voller männlicher Kraft und ein Muster an Pflichttreue, Kenntnissen, Ordnungsliebe und Mäßigung. Der Freiherr konnte sich glücklich schätzen, einen solchen Mann zur Verwaltung seiner bedeutenden Forsten gewonnen zu haben.

Am 20. Januar feierte der herrschaftliche Tischler, Wilhelm Klett, ein braver junger Mann von 26 Jahren, Hochzeit mit einem ausgezeichnet schönen und liebenswürdigen Mädchen. Rosalie Wiesner, 22 Jahr alt, war die Tochter des herrschaftlichen Brauers Wiesner. In der protestantischen Kirche zu Bärwalde wurden sie getraut. Darauf zog das junge Ehepaar mit den Hochzeitgästen, unter Musikbegleitung, in das Gartenhaus.

Der Gutsherr, die Verwalter, der Oberförster waren mit bei dem Brautzuge und blieben Gäste bei dem feierlichen Hochzeitmahle. Erst als die Tische fortgeräumt und die Anstalten zum Tanz gemacht wurden, entfernten sich der Freiherr und die Verwalter. Der Oberförster ließ sich überreden, oder blieb aus freien Stücken als theilnehmender Gast auch bei dem rauschenden Tanzvergnügen welches weit in die Nacht hin zu dauern bestimmt war.

Nur ein Mal, Nachmittags gegen 5, war der Oberförster in seine Wohnung fortgegangen, aber bald wiedergekehrt. Er unterhielt sich mit mehreren Gästen, speiste auch noch Abends in der Gesellschaft, erschien aber unter den froh Jubelnden wie ein Gleichgültiger, ja verstimmt. Als er mit der Braut tanzte, fiel ihr dies auf, sodaß sie ihn mit theilnehmender Besorgniß fragte, ob ihm etwas fehle? Bamberg drückte ihre Hand an die Brust, indem er ihr sagte, er müsse sie unter vier Augen sprechen. Er habe ihr etwas sehr Wichtiges zu sagen, was nur sie wissen dürft. Es müsse heut Abend noch geschehen, weil es sonst zu spät wäre.

Rosalie war betroffen. Der Oberförster war ein Biedermann. Acht Jahr schon auf seinem Posten, kannte man ihn im Ort, und er mußte die Verhältnisse und Personen kennen. Sie wurde immer bänger, und eine große Angst erfüllte sie, nachdem sie ihm zugesagt, denn was konnte der Ehrenmann Anderes, und so dringend ihr mitzutheilen haben, als Nachrichten, die ihren Ehemann betrafen, in dessen Haus und Besitz sie in wenigen Stunden treten sollte. Konnte er ihr etwas mittheilen, was ihrem Manne nachtheilig wäre, wollte er sie warnen? Aber sie war ja schon verheirathet, der Ehebund am Altar geschlossen.

Sie konnte kaum den Augenblick abwarten, ihn zu sprechen, um ihrer Ungewißheit ledig zu werden. Es war schnell verabredet, wenn der nächste Tanz begonnen, solle jeder einzeln in den Garten gehen und der Andere an einer bestimmten Stelle treffen; Einer nach dem Andern, damit es Niemand merke.

Um Mitternacht stellten sich die Tänzer zum nächsten Tanze an und die Musik begann. Der Oberförster steckte sich einige Stücke Kuchen in die Tasche und ging in die Kühlung hinaus. Bald darauf trat auch Rosalie in den Garten.

Niemand hatte es bemerkt, oder darauf Acht gegeben. Erst um 1 Uhr vermißte man die Braut. Man rief sie; keine Antwort. Man durchlief den Garten, den Park, ihren Namen laut schreiend; auch da keine Antwort, keine Spur. Man suchte in ihrer Wohnung, bei ihren Freundinnen nach, überall vergebens. Einige Gäste äußerten die Vermuthung, das junge Mädchen könne sich in der Angst, die wol Bräute von reizbarem Nervensystem vor der mysteriösen Nacht ergriffen und überkommen hat, ein Leides angethan und in den Schloßteich gestürzt haben. Man hatte den Freiherrn geweckt, und er war sofort in den Garten gekommen und traf Anstalten, den Schloßteich abzulassen, um nach dem Körper der Verunglückten suchen zu lassen. Denn auch ihm schien diese Vermuthung die wahrscheinlichste.

Nach 4 Uhr Morgens trat der Oberförster ins Gartenhaus, dessen Abwesenheit Niemand bemerkt hatte. Ging er doch oft ab und zu. Er kam gerade zu, als ein herbeigerufener Arzt sich mit der Mutter der Verschwundenen beschäftigte. Sie war in eine andauernde Ohnmacht gefallen, als die Vermuthung, daß ihre Tochter ertrunken sei, laut geworden. Sein Benehmen war theilnehmend, ruhig, unbefangen.

Das allgemeine Wehklagen, Jammern, der Schrei der Verzweifelnden und Neugierigen hatte auch Jemandes Ohr erreicht, der bis dahin hier gar nicht zum Vorschein gekommen ist. Der Kutscher des Oberförsters, Samuel Hänel, der vor kurzem mit dem Geschirr seines Herrn von einer Fahrt durch den Forst zurückgekehrt war, lief plötzlich, von innerer Angst gepeinigt, auf das Schloß. Er wollte beim Freiherrn gemeldet werden. Der Freiherr war im Park; er hatte Befehle zum Ablassen des Teiches gegeben und wollte dabei gegenwärtig sein. Hänel lief in die Oberförsterwohnung zurück; aber er hatte keine Ruhe. Wieder stürzte er ins Schloß. Er beschwor den Kammerdiener Helm, seinen Herrn aus dem Park zu rufen, denn er habe ihm sehr Wichtiges zu melden. Aber er beschwor ihn auch, seinem Herrn es insgeheim zu sagen, und ja Niemand wissen zu lassen, wer den Freiherrn zu sprechen wünsche.

Der Freiherr kam. Hänel stürzte ihm zu Füßen und bat ihn, sich seiner anzunehmen, er verliere sonst Dienst und Brot, und bekomme noch Strafe obenein.

Der Freiherr war durch das, was Hänel ihm mittheilte, nach seinen Worten, wie aus den Wolken gefallen – wir geben hier nicht Hänels Eröffnung, da wir sie aus einer bessern Quelle sofort mittheilen werden – er glaubte, Hänel sei betrunken, denn was dieser von seinem Herrn, dem Oberförster sagte, paßte wie die Faust aufs Auge, es klang wie ein Märchen zu dem Charakter des ruhigen, gelassenen, pflichtgetreuen Beamten, den er seit 8 Jahren kannte, und er hatte nie eine Klage gegen ihn gehabt. Aber Hänel beschwor auf seine Seligkeit, daß es so sei, und er beschwor den Freiherrn noch um etwas, daß er einem andern Wesen Hülfe schaffe, ehe es zu spät sei, und es war die Pflicht des Freiherrn, auf diese Vorstellung einzugehen. Er entließ ihn und befahl ihm die strengste Verschwiegenheit über das, was er ihm mitgetheilt.

Sofort, in der frühen Morgenstunde, ließ der Freiherr den Oberförster aus dem Garten zu sich rufen und übertrug ihm eine, wie er sagte, dringend nothwendige Zusammenstellung der Reinerträgnisse der Waldungen in den letzten 10 Jahren, nebst dem Entwurfe eines gründlichen Gutachtens über die hier und da erforderliche Waldcultur. Der Oberförster mußte sich dem wunderlichen Ansinnen als Untergebener fügen, wahrscheinlich schon ahnend, was es bedeute. Er ging in die Kanzlei. Der Amtsverwalter erhielt Anweisung, ihn nicht eher aus dem Schlosse zu lassen, bis die Bamberger aufgetragene Arbeit vollendet sei, und ihn auch dort zu Mittag speisen zu lassen.

Der Freiherr hatte inzwischen anspannen lassen, er fuhr am Brauhaus vorüber, tröstete die inzwischen dahingeschaffte, kranke Wiesner mit der Hoffnung, daß ihre Tochter am Leben, daß sie wahrscheinlich bald wieder bei ihr eintreffen werde, und forderte den Vater, den Brauer Wiesner, auf, sich zu ihm in den Wagen zu setzen. Sie fuhren dann an der Oberförsterwohnung vorüber. Der Freiherr ließ sich vom Kutscher Hänel den Schlüssel zum Reinecksthurm und Bambergers Doppelterzerol ausfolgen, und die Rosse mußten in Galopp – nach dem Forste fahren.

Im tiefen Forste, 3 Stunden etwa von Bärwalde, liegt der Reinecksthurm, der Ueberrest eines ehemaligen Raubschlosses, ein uraltes, viereckiges, hohes Gebäude, welches nebst dem Walde umher zur Herrschaft Bärwalde gehört. Eine steinerne Wendeltreppe führt im Innern hinauf, und in der obersten Etage hatte Bamberger schon früher, unter Zustimmung des Freiherrn, ein Stübchen einrichten lassen, in welchem er wohnte, wenn Amtsgeschäfte seine längere Anwesenheit in diesem Forste erforderten. Die ganze Einrichtung bestand nur in einem Schemel, einem Tische, einer Matratze und einer wollenen Decke. Sie ward vor Dieben durch eine, unten am Thurm angebrachte und mit einem Riesenschloß versehene, alte, eiserne Thür geschützt. Das Stübchen war 14 Fuß im Geviert, 13 hoch, und hatte nur 4 kleine Fenster, welche ganz oben, nahe an der Decke, angebracht sind und das Stübchen nur sparsam erhellen. Die tiefe Einsamkeit ringsum braucht nicht geschildert zu werden. Der Angstschrei aus diesen Mauern trifft kein menschliches Ohr, wenn nicht der Zufall einen Jäger oder Holzhauer in die Nähe führt. Eine Ruine in der Waldeinsamkeit, die der Romantik angehört, und doch ist sie nur aus den Criminalacten abgeschrieben, und Gewährsmann dafür ist der Großherzoglich Sächsische Justizrath Dr. Bischoff.

Was der Freiherr und der Brauer hier gefunden, davon nachher. Als sie ins Schloß von Bärwalde zurückgekehrt, ließ der Freiherr den Oberförster verhaften, einstweilen ins Amtsgefängniß sperren. Dem Criminalgericht ward sofort Anzeige gemacht, und es traf schon am nächstfolgenden Tage mit einem Physicus und einer Hebamme in Bärwalde ein. Nachdem die Zeugen vernommen waren, die nöthigen Besichtigungen stattgefunden, ward der Oberförster Bamberger und sein Kutscher Hänel, als angeschuldigt des Verbrechens der gewaltsamen Entführung, zur Criminalhaft und Untersuchung nach der nächsten Kreisstadt abgeführt.

Bamberger verbarg, sobald die Sache ruchbar geworden, sein Verbrechen nicht, und legte vor dem Criminalgericht ein so vollständiges Bekenntniß ab, als man es nur verlangen konnte.

Er hatte schon früher, wie er sagte, »die blühende Rosalie immer gern gesehen.« An jenem Hochzeittage kam sie ihm schöner als je vor. Er tanzte viel mit ihr, und eine nie gefühlte Sinnlichkeit bemächtigte sich seiner. Es war etwas Dämonisches, was ihn überkam. Unter der rauschenden Musik, im Wirbel des Tanzes, vielleicht auch angeregt durch erhitzende Getränke, entstand, wuchs und war der Entschluß fertig, das schöne Weib zu besitzen, sie in seine Arme zu schließen. Koste es, was es wolle, er wollte, ehe ihr junger Gatte sie umarme, seine Begierde befriedigen.

Er fühlte sich plötzlich ein Anderer geworden. »Stets hatte ihm die Vernunft gesagt, es sei die Pflicht des Mannes, sich selbst zu überwinden,« heute sagte ihm die Raserei der Leidenschaft, um das erwünschte Ziel müsse man sich selbst vergessen. »Früher ehrlich, offen, mitleidig, ward er hinterlistig, versteckt, grausam.« Als er Nachmittags gegen 5 Uhr nach Hause ging, war der ganze Plan schon in seinem Kopfe fertig. Er befahl seinem Kutscher Samuel Hänel, Nachts 12 Uhr Pferde und Chaise hinter dem Schloßgarten, am Teichwege, bereit zu halten und dort seiner weitern Befehle gewärtig zu sein. Er selbst steckte ein geladenes Doppelterzerol zu sich und kehrte in den Speisesaal zurück.

Hier erfolgte nach dem Abendessen das Zwiegespräch zwischen Bamberger und Rosalie: Wäre sie weniger befangen gewesen, würde die wilde Glut, mit welcher er Rosaliens Hand an seine Brust drückte, sie bald auf den richtigen Gedanken geleitet haben, in welcher Absicht er um die Unterredung bat.

Als sie im nächtlichen Garten sich trafen, reichte der Oberförster ihr den Arm, und sie gingen schweigend durch den Garten nach dem Teichwege. Die junge Frau zauderte mehrmals und suchte stehen zu bleiben, indem sie ihn bat, sie doch nicht zu fern vom Gartenhause zu führen, damit sie hören könne, wenn man sie rufe. Er antwortete nicht, er ließ sie nicht los. Sie waren am Teichwege, Bambergers Kutsche stand davor. Der Oberförster umschlang mit kräftigem Arm seine erschrockene Beute und trug sie in den geöffneten Wagen. Sie bat, flehte, schrie um Hülfe. Vergeblich, die rauschende Musik aus dem Gartensaal übertönte ihre Stimme.

Der Oberförster schlug die Wagenthür zu und hieß dem Kutscher, die Pferde in Carriere nach dem Reinecksforst zu treiben.

Im Wagen kaum zur Besinnung gekommen, bat Rosalie unter Thränen, sie loszulassen, damit sie zu ihrem Manne, zu den Gästen zurückkehren könne. Dann versuchte sie mit Gewalt zu entkommen. Sie stieß mit dem Fuß die Wagenthür auf, sie schrie aus allen Kräften nach Hülfe, sie wollte sich hinausstürzen. Der kräftige Arm des Oberförsters umfaßte sie und zog sie zurück. Nun flehte sie den Kutscher um Erbarmen an. Auch der blieb unerbittlich.

Bamberger, der bis da in nicht minderer Benommenheit und Sinnentaumel als sein Opfer gesessen, fand jetzt Worte für seine Begierden. Er erklärte ihr: er könne, er werde nicht dulden, daß ein Anderer sie besitze, bevor er nicht seinen Zweck erreicht habe.

Sie ahnete noch nicht – heißt es in den Acten nach Rosaliens Angabe – was er eigentlich beabsichtige. Sie bat ihn, den Kutscher halten zu lassen, indem sie ja dem Oberförster Alles zu Gefallen thun wolle, was er nur verlange, wenn er sie vorher zu den Ihrigen zurückkehren lasse. Statt Antwort schloß er sie in seine Arme und preßte glühende Küsse auf ihren Mund. Aber sein Versuch, ihr Busentuch und den Rock aufzureißen, scheiterte an der äußersten Kraftanstrengung, welche sie entwickelte, um ihn daran zu hindern. Sie klagte, drohte, das sei schändlich, lästerlich von ihm, abscheulich, sie von Gatten und Eltern fortzulocken. Wenn er davon nicht ablasse, wenn er sie nicht augenblicklich zurückführe, stürze er ja sie und sich in ein unübersehbares Unglück. Er hörte nicht, sie schrie wieder um Hülfe. Welches menschliche Ohr sollte sie hier in Nacht und Wald hören! – Da drohte ihr Bamberger: wenn sie nicht stillschweige, werde er sie und sich erschießen; sie könne und dürfe keinem Andern angehören. Er zog sein Doppelterzerol aus der Tasche und sprach: »Das macht Deinem und meinem Leben ein Ende, wenn Du mir nicht zu Willen bist. Ich liebe Dich leidenschaftlich, und Du mußt mich lieben lernen, wo nicht, so stehen wir Beide am Rande des Grabes.«

Die Drohung ward in einem Tone gesprochen, die jeden Zweifel entfernte, daß er entschlossen sei, sie auszuführen. Jetzt schwieg Rosalie, ihre innere Angst hatte keine Worte mehr, selbst die Besinnung fing ihr an zu schwinden.

Morgens gegen 2 Uhr hielt der Wagen am Reinecksthurme. Der Oberförster sprang hinaus, schloß mit dem mitgebrachten Schlüssel die eiserne Thür auf und trug seine jetzt schon halb besinnungslos in der Wagenecke sitzende Beute die Wendeltreppe hinauf in das oben beschriebene Stübchen. Er legte sie auf die Matratze, zündete ein Licht an und sprach dann:

»Das ist Dein Brautbett, ich bin Dein Bräutigam! Wirst Du thun, was ich will, so ist es gut; thust Du es nicht, so ist es Deine und meine letzte Stunde.«

Dabei legte er das Doppelterzerol auf den Tisch.

Rosalie wußte kaum mehr, was mit ihr vorging, als er sie auf die Matratze niederdrückte, die Brust ihr entblößte und die Kleider aufriß. Die Acten sagen es und Bischoff wiederholt es, daß, nachdem er seinen Zweck erreicht, er in Zeit von einer halben Stunde noch zwei Mal seiner wilden Lust fröhnte.

Jetzt, völlig befriedigt, zog er die mitgebrachten Stücke Kuchen aus der Tasche, legte sie auf den Tisch, eilte die Treppe hinunter, schöpfte in einem Kruge aus dem Brunnen des Thurmes frisches Wasser, sprang dann wieder hinauf, stellte ihn auf den Tisch und stürzte hinunter. Er verschloß die Eisenthür und sprang in die Kalesche. Nach Haus! Auf einem Seitenwege durch das Holz flog die Chaise über Stock und Block, sodaß er schon nach 4 Uhr Morgens im Forsthause war.

Erst unterweges hatte er überdacht, was denn nun weiter zu thun sei. In einem Dorfe, 10 Stunden von Bärwalde entfernt, hatte der Oberförster einen kleinen Freihof, den er als Eigenthümer besaß. Zu seinem Pächter, auf den er sich ganz verlassen zu können glaubte, wollte er Rosalie in der nächsten Nacht bringen. Dann, die Mittel wie, schwebten ihm wol nur dunkel vor, wollte er Alles anwenden, den jungen Ehemann Klett dahin zu bewegen, daß er gegen seine Ehefrau wegen böswilliger oder nicht böswilliger Entfernung auf Scheidung klagen solle. Er hatte vielen Einfluß auf den Tischler, und ihn dahin zu bringen schien ihm eben so leicht, als Rosalien durch liebevolle Behandlung und Geschenke für sich zu gewinnen. Auch mochte er denken, daß ihre Eltern noch leichter zu gewinnen seien, wenn sie statt des herrschaftlichen Tischlers den Oberförster des Freiherrn zum Schwiegersohn erhielten. So – meinte er – sei Alles wieder gut gemacht.

Unter harter Androhung befahl er dem Kutscher, von Dem, was er gesehen, gegen Niemand ein Wort zu sagen. Hänel versprach es. Nachdem er Thurmschlüssel und Terzerol in einen Tischkasten gelegt, eilte er in den Schloßgarten, um zu sehen, wie die Sachen dort ständen, und um jeden Argwohn abzuwenden, indem er sich selbst zeigte.

Möglich, daß es ihm gelungen wäre und die Sache einen andern Ausgang genommen hätte, wenn im Kutscher Hänel das Gewissen nicht so mächtig erwacht wäre. Was hierauf erfolgte, ist oben erzählt.

Um 6 Uhr Morgens sehen wir den Freiherrn mit dem Vater der entführten jungen Frau in Galopp nach dem Reineckforst fahren. Sie waren schon eine Viertelstunde vor 7 vor dem Thurme. Kein Laut kam ihnen entgegen, als sie das Eisenthor öffneten. Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf und fanden Rosalie mit geschlossenen Augen auf der Matratze im obern Stübchen liegen. Der Vater hatte unterweges vom Freiherrn gehört, was der Kutscher Hänel diesem mitgetheilt. Er trat zu ihr heran, rüttelte sie, und hob sie endlich auf, sie liebkosend und streichelnd. Sie konnte nicht zu sich gebracht werden. Der Freiherr nahm Wasser aus dem Kruge und besprengte ihr Gesicht. Endlich schlug sie die Augen auf, that einen heftigen Schrei, stieß ihren Vater von sich und fiel wieder auf die Matratze zurück.

Der Vater traf endlich die rechten Worte: »Komm, Rosalie, eile zu Deiner Mutter; sie stirbt, wenn Du ihr nicht bald Trost bringst.«

Da erhob sie sich, reichte ihrem Vater die Hand und sagte: »Besser die Mutter stirbt, als daß sie mich so wiedersieht.«

Auch der Freiherr wandte sich jetzt zu Rosalien: man wisse, daß sie ganz unschuldig sei, daß der Oberförster ein großes Verbrechen an ihr begangen, und sie werde nun von ihrer Mutter und ihrem Gatten mit Sehnsucht erwartet, ja, Alle in Bärwalde bedauerten sie herzlich.

Sie antwortete unter Thränen: Der Oberförster habe ihr Gewalt angethan, er habe sie entehrt; sie getraue sich nicht mehr nach Bärwalde zurückzugehen, sie schäme sich, sie wolle hier bleiben und hier sterben, am Ort ihrer Schande, wo der Oberförster auf so schändliche Weise ihre Unschuld geraubt.

Es kostete viele Mühe, sie in den Wagen zu bringen. Unterweges erholte sich ihr Schmerz und ihre Erstarrung in einem ununterbrochenen Thränenerguß. Am Brauhause gegen Mittag angekommen, mußte sie aus dem Wagen gehoben werden, sie zitterte an allen Gliedern. Man führte sie an das Bett der Mutter, sie fiel ihr um den Hals, konnte aber kein Wort sprechen.

Da trat ihr junger Gatte ins Zimmer, schlich leise ans Bett und faßte ihre Hand, aber sie riß sie fort und sprach:

»Rühr mich nicht an, ich bin entehrt. Das Schicksal hat uns auf ewig geschieden.«

Man brachte sie zu Bett; man hielt ihre Lage für gefährlich und besorgte, daß sie nicht allein psychisch, sondern auch physisch gelitten habe. Mit dem Wortlaut des Untersuchungsberichts, welchen Physicus und Hebamme über sie zu Protocoll gaben, behelligen wir unsere Leser nicht. Sie war in Folge der angewandten Gewalt verletzt. Die Verletzungen waren zwar an sich nicht gefährlich, konnten es aber doch in Folge der ungewöhnlichen Gemüthsaufregung werden. Ihr Puls ging fieberhaft.

Ihr Fieberzustand währte so fort, daß sie erst nach 4 Tagen, am 26. Juni, gerichtlich vernommen werden konnte. Ihre Aussage stimmte in Allem mit Dem überein, was Bamberger später und der Kutscher Hänel schon früher ausgesagt. Ueber das Thatsächliche des Verbrechens schwebte durchaus keine Dunkelheit. Nachdem der Oberförster aus dem Thurm fortgestürzt, hatte sie die Matratze nicht mehr verlassen, und war in den Ohnmacht ähnlichen Zustand versunken, aus welchem sie durch ihren Vater und den Freiherrn erweckt worden.

Der Kutscher Hänel konnte über den Vorfall nur aussagen, was vor seinen Augen davon vorgegangen. Er hatte nichts von der Absicht seines Herrn gewußt, als dieser ihn um Mitternacht auf den Teichweg beorderte. Hier sah er, wie sein Herr die Rosalie in den Wagen hob. Bei der nächtlichen Fahrt wollte er die größte Angst ausgestanden haben. Manchmal hatte er gedacht: sein Herr sei närrisch geworden, weil er »das hübsche Geschöpf« so barbarisch behandelte. Die Klett habe ihn herzlich gedauert; sie habe ihn auch um Erbarmen gebeten; aber er habe gefürchtet, der Oberförster, wie er war, jage ihm eine Kugel durch den Kopf, wenn er etwas thue, um sie frei zu machen. Er hatte sich beim Fahren nicht umgesehn, wußte also auch nicht, was im Wagen vorgegangen, und auch nicht eigentlich, was oben im Thurm geschehen war, aber gehört hatte er einige Mal beim Fahren die »junge Person jämmerlich aufschreien.« Er wollte aber durchaus nicht wissen, was die Fortschaffung der Klett zu bedeuten gehabt. Auch er ward wegen thätiger Beihülfe bei der Entführung zur Criminaluntersuchung gezogen.

Der Oberförster blieb in allen seinen Verhören seiner ersten Aussage getreu. Er gestand unumwunden, daß er in seiner damaligen Leidenschaft Rosalien und sich erschossen haben würde, wenn er nicht zu seinem Zweck gekommen sei. Er habe bestimmt zu dieser Absicht das Terzerol zu sich gesteckt. Er sei wie verwirrt, bezaubert gewesen. Man fand das betreffende Terzerol auch wirklich mit Pulver und Kugeln scharf geladen; die Cylinder der Percussionsschlösser waren mit Zündhütchen besteckt. Ueber Bambergers Antecedentien wurden die genauesten Recherchen angestellt, obgleich es deren nicht bedurfte, da sein Leben klar zu Tage lag. Er war aus einer sehr angesehenen Familie, sein Vater war Steuerrath, seine Mutter aus einem adeligen sächsischen Hause, sein Bruder Kammerassessor. Er hatte eine sorgfältige Erziehung genossen, auf der Forstakademie studirt, und, seit 8 Jahren als Oberförster auf der Herrschaft des Freiherrn, zur größten Zufriedenheit desselben sein Amt verwaltet. Nach der gerichtlichen Aussage desselben hatte er durch Kenntnisse, Ordnungsliebe, Diensttreue und Fleiß dessen ganze Achtung erworben. Alle Zeugen gaben ihm das Lob eines ruhigen, friedliebenden und bedächtigen Mannes, dem, wie einer der Zeugen, ein Schullehrer, sagte, Niemand in der Welt ein Verbrechen zugetraut haben würde.

Die Untersuchung, so einfach sie schien, ward durch den lange fortdauernden Krankheitszustand der Rosalie Klett verzögert. Wäre sie gestorben, in Folge der Brutalität, so hätte sich das Schuldmaß des Angeklagten weit anders gestellt. Ihre Leiden, Nervenzufälle in Folge der psychischen Erschütterung, dauerten mehre Monate fort. Im November endlich ging das ärztliche Attest ein, daß für ihr Leben keine Gefahr mehr zu besorgen sei. Zugleich hatte sich herausgestellt, daß Bambergers That keine Schwangerschaft zur Folge gehabt.

Die Untersuchung ward geschlossen, Bamberger blieb getreu bei seinen Geständnissen und sagte in einer Schlußvernehmung: »Ich hätte Manches leugnen und Manches in einem mildern Lichte darstellen können, wovon das Gegentheil nie gegen mich erwiesen worden wäre; allein ich habe die reine Wahrheit, ja jeden Gedanken dem Gericht offenbart, den ich in jener unglücklichen Nacht hatte. Und ich hoffe, daß das Gericht sich überzeugt haben werde, daß die von mir begangene That gewiß abscheulicher ist, als ich selbst bin.«

Bambergers Defensor ergriff eine, von diesem offenen und würdigen Geständniß sehr abweichende ungeschickte und verletzende Vertheidigungsweise, indem er zwei Umstände erfand. In Rosaliens Zustimmung, dem Oberförster in den Garten zu folgen, erblickte er ein geheimes Einverständniß derselben mit ihrem Verführer zu einer ehebrecherischen Umarmung. Sie sei nach derselben so lüstern gewesen als er selbst, nur habe sie diese Umarmung irgendwo im Garten, in der Nähe des Tanzlocals gewünscht, um, wenn sie gerufen würde, sofort zur Hand zu sein. Von Seiten des Oberförsters sei also nur in der Art ein Gewaltact vollbracht worden, daß er, um den Genuß vollständiger zu haben, die junge Frau in seinen Wagen geworfen und in den Thurm geschleppt habe. Dies sei aber von ihm in trunkenem Zustande geschehen, damit also dieses Verbrechen des Raubes und der Entführung gesetzlich sehr gemildert. Da der Angeklagte selbst nicht vorgegeben, daß er in trunkenem Zustande gewesen, da kein Zeuge dieses Umstandes erwähnt, bekam der Defensor von Gerichtswegen für diese willkürliche Angabe eine Rüge. Fast noch strafbarer erscheint jene Annahme, daß Rosalie in die Umarmung gewilligt und in sträflicher Lust dem Verführer in das Dunkel des Gartens gefolgt sei; denn kein einziger Zeuge gibt zu einer solchen Auslegung Anlaß, es widerspricht der eigenen Aussage des Oberförsters, Rosaliens Angabe, aus welchen Motiven sie dem angesehenen Ehrenmanne in den Garten gefolgt sei, hat etwas innere Wahrscheinlichkeit für sich, es constirt, daß sie als reine Jungfrau in die Arme des Verführers fiel, und ihr ganzes nachfolgendes Benehmen legt für ihre Aufrichtigkeit und tugendhafte Gesinnung Zeugniß ab. Ganz willkürlich erfindet also hier der Vertheidiger eine Annahme, durch welche er den Ruf einer bis da ganz unbescholtenen, arglosen jungen Frau verunglimpft, um die Strafbarkeit seines Clienten zu mildern, ohne Auftrag desselben, und aller Wahrscheinlichkeit nach, wie sich aus dem Folgenden ergibt, ganz gegen den Willen desselben.

Im Januar 1838 ward das Straferkenntniß gefällt, welches Xaver Bamberger, wegen Entführung der verehelichten Rosalie Klett, in Betracht: – daß dieses Verbrechen wider den Willen der Entführten, unter Anwendung großer Gewalt und unter Bedrohung der Entführten mit augenblicklicher Ermordung im Falle des Widerstandes begangen wurde, auch – mit Nothzucht, welche unter Anwendung von Gewalt und unter Bedrohung mit augenblicklicher Ermordung, im Falle des Widerstandes, wirklich ausgeführt wurde, verbunden war; endlich auch – daß die Entführte in Folge der erlittenen Gewaltthätigkeit so gefährlich erkrankte, daß sie über 5 Monate daniederlag und ärztlich behandelt werden mußte, – mit lebenslänglicher Zuchthausstrafe belegte.

Der Kutscher Hänel ward, weil er sich der Theilnahme am Verbrechen insofern schuldig gemacht, daß er, obgleich wissend, daß die der Klett zugefügte Gewalt rechtswidrig war, auf ihren Hülferuf nicht achtete, die Pferde, trotz ihres Angstgeschreies und ihrer Bitten, nicht anhielt, sondern bis zum Reinecksthurm fortfuhr, jedoch mit Beachtung der mildernden Umstände, daß er nicht gewußt, was die Fortschaffung der Klett bedeute, und daß er, aus Gewissensdrang, seinem Gutsherrn sofort Anzeige gemacht, zu 3 Monat Strafarbeitshaus verurtheilt. Bamberger bat um eine Unterredung mit dem Freiherrn. Er bezeugte ihm die tiefste Reue wegen des begangenen Verbrechens und bat ihn um seine Verzeihung. Er liebe noch jetzt die von ihm so tief Beleidigte mit derselben Leidenschaft, die ihn zum Verbrechen getrieben; mochte es dem Freiherrn gelingen, ihm die schriftliche Verzeihung der so schwer Gekränkten, ihres Gatten und ihrer Eltern zu verschaffen. Er hoffe mit diesen Schriftstücken in zweiter Instanz ein milderes Urtheil zu erlangen.

Der Freiherr erklärte sich bereit, soviel an ihm, seinen Wünschen zu entsprechen. Die schriftliche Verzeihung des jungen Ehegatten konnte er ihm aber nicht mehr verschaffen. Wilhelm Klett, der sich schon seit dem 21. Juni 1837, in Folge des unglücklichen Ereignisses, Rosaliens Willen gemäß, ganz von ihr zurückgezogen hatte, war am 17. Juni 1838, zwei Tage vor Publication des Erkenntnisses, gestorben – ob in Folge des Grams? – und am 21., zwei Tage nach demselben, beerdigt worden.

Ein Strahl der Hoffnung fiel – sagt das Protocoll – bei diesen Worten sichtlich in das Gemüth des gebeugten Mannes. – Rosalie selbst war völlig wieder hergestellt. »O könnte ich sie selbst und ihre Eltern sprechen!« rief Bamberger, »sie würden Mitleid mit mir haben.«

Der Freiherr entfernte sich, nachdem er dem Gefangenen wiederholt versichert, er werde Alles für ihn thun, was er vermöge. Es waren keine leeren Verheißungen. Der Oberförster hatte ihm nicht allein treue, er hatte ihm auch wichtige Dienste geleistet. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er den »nächtlichen Vorfall«, wie er bei seinem Verhältniß zu dem Brauer und dem jungen Tischler wol gekonnt, nicht auf andere Weise behandelt hatte. Er machte sich Gewissensbisse, daß er den sonst so braven Mann, den tüchtigen Beamten, durch sein zu gewissenhaft rasches Einschreiten dem Criminalgericht und zu ewiger Gefangenschaft überantwortet habe.

Der Freiherr berathschlagte mit der Familie des Verurtheilten, mit dem 68jährigen Vater desselben, dem Steuerrath, und dem Bruder, dem Kammerassessor. Der Defensor, hinzugezogen, rieth von einem Begnadigungsgesuche ab, weil davon weniger zu erwarten sei, als von einem Gesuche einer Strafverwandelung. Vor Allem sei die Verzeihung der Beleidigten und deren Eltern zu beschaffen. Der Landesherr, welcher die Ehen sehr begünstige, werde, wenn alle Verwandte des Beleidigers und der Beleidigten zugleich diesen Antrag stellten, und ihn dahin erweiterten: daß mit der Strafverwandlung zugleich die Erlaubniß zu Eingehung der Ehe zwischen dem Entführer und der Entführten nachgesucht werde, günstiger gestimmt werden.

Der Brauer Wiesner war vom Freiherrn ohne große Mühe zu einer Einwilligung gestimmt, aber er konnte für seine Tochter nicht bestimmt zusagen. Diese erklärte: sie könne unmöglich glauben, daß ein Mann sie liebe, der sie so schrecklich behandelt habe. Sie zittere schon vor dem Gedanken, daß sie jemals im Leben mit diesem Manne allein zusammentreffen solle. Verzeihen wolle sie ihm gern die That, obgleich durch dieselbe ihr ganzes Leben vergiftet sei.

Dies war eine abschlägige Antwort. Der Freiherr ermüdete nicht. Als noch der Familienrath beisammen war, ging er selbst zur jungen Witwe. Er brauchte alle Ueberredungskunst, die zu einem guten Zwecke erlaubt ist: der Oberförster werde sich selbst im Gefängnisse für den glücklichsten Menschen halten, wenn er höre, daß Rosalie ihm ihre Hand anvertrauen wolle; sein ganzes Leben hindurch werde er bemüht sein, durch treue Liebe zu vergüten, was er durch wilde Leidenschaft verschuldet. Nur der Gedanke, daß sie die Gattin eines Andern werden solle, hätte ihn zu der Raserei verführt, er sei in dem Augenblick sinnlos gewesen. Er könne nicht tiefer bereuen, und neben der Reue glühe noch immer seine Liebe für Rosalien. Wenn Rosalie unerbittlich bleibe, werde wahrscheinlich der alte, gebeugte Vater des Oberförsters seinem Gram erliegen.

Einem solchen Freiwerber mußte Rosaliens Standhaftigkeit weichen. Sie weinte, und fragte endlich: ob denn, wenn sie ihn heirathe, der Oberförster frei werde? Der Freiherr konnte nur antworten: er glaube es. Da sprach Rosalie endlich:

»Es ist ein schwerer, wichtiger Schritt, gnädiger Herr, zu dem Sie mich bestimmen. Aber ich will Ihrem Willen nachgeben. Gehe es denn, wie Gott will.«

Die weitern Schritte, die geschahen, werden uns ausführlich mitgetheilt. Es ist nicht nöthig, sie herzusetzen, da sie nur Formalien betrafen, wo die handelnden Parteien im Wesentlichen einig waren.

Am 29. Januar erbaten sich Rosalie und ihr Vater eine Unterredung mit dem Gefangenen. Bamberger ward vorgelassen. Er stürzte der zitternden Rosalie zu Füßen, hub die Finger und sprach: »Ich schwöre, Dir Dein Leben zu verschönern, wenn Gott und mein Landesherr mir gnädig ist.«

Rosalie reichte ihm stillweinend die Hand. Der Vater Wiesner ließ sich seine Rechte von ihm drücken.

Die Bittschrift ward günstig aufgenommen, der alte Steuerrath erhielt selbst eine Audienz beim Landesherrn, der ihn trostreich empfing, und Mitte Februar erging das landesherrliche Rescript, welches: in Anbetracht des frühern, musterhaften Lebenswandels des Verurtheilten, seiner tiefen Reue, seiner mehr als siebenmonatlichen schweren Gefangenschaft, der zwischen Entführer und Entführten stattgefundenen Versöhnung, der beschlossenen Heirath, endlich der vielseitigen Anträge achtbarer Personen, insbesondere aber in favorem matrimonii die Zuchthausstrafe in (wie der Antrag lautete) eine Geldstrafe von 2000 Thalern, 1000 für die Armencasse und 1000 für die Kirchencasse zu Bärwalde, verwandelte. »Seine Königliche Hoheit versehen sich übrigens,« heißt es zum Schluß, »zu Bamberger, daß derselbe die Heirath mit der Klett zu seiner Zeit vollziehen und sein ganzes Leben hindurch keine Gelegenheit unbenutzt lassen werde, der ihm widerfahrenen Gnade sich würdig zu bezeigen.«

Der Oberförster ward entlassen, zahlte seine Strafe und ward vom Freiherrn wieder in sein Amt eingeführt. Es gelang ihm, wird in einer Nachschrift versichert, nach und nach Rosaliens Liebe zu erwerben, und die Hochzeit fand am 21. August 1838 statt.

< Mathias Lenchauer
George Frederick Manning und Maria Manning >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.