Frei Lesen: Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4

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Kapitelübersicht

Vorwort. | Der Buchbindermeister Ferdinand Wittmann | Criminalistische Miscellen aus Nürnbergs Vergangenheit. | Die Fenier-Verschwörung. | Timm Thode, der Mörder seiner Familie. | Der Bootsmann Paulino Torio aus San-Tomas. | Miles Weatherhill. | Der Wildschütz Hermann Klostermann. | Die Selbstanzeige der Witwe Kruschwitz in Gassen. | Der Tod des Rentier Peter Tixier. |

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Willibald Alexis

Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 4

Der Wildschütz Hermann Klostermann.

eingestellt: 8.7.2007



Am 1. October 1867 ritt der Oberförster von Wrede aus Hardehausen im Kreise Warburg in den Wald, um eine Besichtigung seiner Forsten vorzunehmen. Er umritt die Grenzen seines Reviers und begab sich sodann auf den Rückweg. Es dunkelte bereits, als er abends gegen 6 Uhr einen Menschen erblickte, der vor ihm die Flucht ergriff und eilig in den Wald lief. Der Oberförster verfolgte ihn und rief ihm »Halt!« zu, erhielt aber in drohendem Tone die Antwort: »Nicht näher oder ich schieße!« Herr von Wrede ließ sich nicht schrecken, er drang weiter vor, plötzlich fiel ein Schuß, der Reiter und sein Roß brachen zusammen. Zum Glück waren zwei Forstlehrlinge in der Nähe, welche den Verwundeten nach Hardehausen schafften. Es wurde sofort nach dem Dr. Baruch in Rhoden geschickt, dieser kam noch denselben Abend, untersuchte den Patienten und machte folgende Wahrnehmungen: am linken Unterschenkel befanden sich 7 oder 8 runde, tief eindringende und stark blutende Wunden; aus einer derselben entfernte er ein plattgeschlagenes Hagel- oder Schrotkorn. Die Beschaffenheit der Wunden ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Verletzungen von einem in geringer Entfernung abgefeuerten Schrotschusse herrührten. Der Arzt verordnete, was nöthig war, und die Heilung ging, obgleich der Knochen verletzt war und sich jedenfalls im Innern desselben noch verschiedene Schrotkörner befanden, über Erwarten gut von statten. Nach etwa fünf Wochen konnte der Oberförster von Wrede das Bett wieder verlassen und nach einigen Monaten seinen Dienst wieder versehen wie früher. Freilich ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, daß Herr von Wrede vollständig hergestellt sei, denn es blieb immer möglich, daß die im Körper steckenden Schrote eine Entzündung des Knochens oder sonst ein Unwohlsein verursachten. Der Sachverständige bezeichnete mit Bezug hierauf und mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Oberförster längere Zeit krank und dienstunfähig gewesen war, die Körperverletzung als eine schwere.

Der Verletzte hatte den Menschen, der auf ihn geschossen, nicht erkannt. Man erschöpfte sich in Muthmaßungen, die Polizei und die Gerichtsbehörden boten alles auf, um dem Verbrecher auf die Spur zu kommen, die Regierung in Minden setzte sogar eine Prämie von 200 Thlrn. auf seine Entdeckung, aber alles war vergeblich, der verwegene Wilddieb, der sich an dem Forstbeamten vergriffen, wurde nicht entdeckt.

 

Am 1, Februar 1868, nachmittags 3 Uhr, revidirte der waldeckische Forstbeamte Heinemann sein Revier. Er hörte in der Ferne zwei Schüsse fallen, und da er vermuthete, daß Wilddiebe im Walde sein möchten, rief er zwei in der Nähe arbeitende Holzhauer herbei und postirte sich mit ihnen an eine Stelle, welche die Frevler passiren mußten. Es dauerte nicht lange, da sahen sie einen Mann vorsichtig durch die Bäume schleichen, der einen Rehbock auf der Schulter trug. Es war Hermann Klostermann, ein berüchtigter Wilderer und dem Heinemann bereits aus einem frühern Rencontre wohlbekannt.

Heinemann trat vor und ging auf Klostermann zu, dieser ließ ihn bis auf fünf Schritte herankommen, dann legte er sein Gewehr an, zielte und gab Feuer. Der Schuß drang durch den Oberarm in die Brust und verletzte die Lunge. Heinemann stürzte nieder, die beiden Holzhauer sorgten dafür, daß er nach Hause transportirt wurde. Der Arzt, derselbe Dr. Baruch, welcher den Oberförster von Wrede behandelt hatte, ließ sich über seinen Befund und den Verlauf der Krankheit vor Gericht dahin vernehmen: An der vordern Seite des linken Oberarms in der Höhe der Achselhöhle zeigte sich eine Wunde mit Substanzverlust von der Größe eines Thalers in ovaler Form, die im Grunde den Delta-Muskel bloßlegte. Von dort aus führte eine flaschenförmige Oeffnung unterhalb des Schlüsselbeins etwa 3¼ – 4 Zoll lang zwischen der Haut und dem musculus pectoralis in den Wundkanal, in welchem sich bei der ersten Untersuchung Papier und wollene Fäden sowie ein Schrotkorn vorfanden.

Auf der Haut der Brust unterhalb des Schlüsselbeins bemerkte man zwei 4–5 Zoll lange Hautabschürfungen, welche offenbar von zwei Hagel- oder Schrotkörnern herrührten, die zwischen Bekleidung und Haut durchgegangen waren und letztere gestreift hatten. Heinemann war demnach durch einen in nächster Nähe abgefeuerten Schrotschuß verwundet, ein oder mehrere Schrotkörner hatten die Brusthöhle geöffnet und die Lunge getroffen. Die Verletzung war eine schwere, das Leben in hohem Grade gefährdende.

Heinemann wurde auf ein hartes, drei Monate andauerndes Krankenlager geworfen. Er schwebte dreimal am Rande des Grabes und nur seiner kerngesunden Natur und besonders günstigen Wirkungen der Arzneimittel war es zuzuschreiben, daß sein Leben gerettet wurde. Die Wunde eiterte aus, die fremden Körper wurden ausgeschieden, und Heinemann konnte wieder aufstehen. Seine volle Kraft und Gesundheit erlangte er indeß nicht wieder. Abgesehen davon, daß seine Lunge empfindlich und reizbar blieb, war auch der Oberarm in seiner wesentlichen Thätigkeit gestört und verstümmelt. »Heinemann«, so schloß der Arzt sein Gutachten, »kann die linke Hand, aber nicht den linken Oberarm gebrauchen, er ist ein hinsiechender Mann, der mit Einem Fuß im Grabe steht.«

Diesmal war der Thäter bekannt und man machte die größten Anstrengungen, ihn zu ergreifen. Es wurden Steckbriefe erlassen und die Sicherheitsbeamten befehligt, sich seiner zu bemächtigen. Die Regierung in Minden sowol als die Regierung des Fürstenthums Waldeck verhießen demjenigen, der Klostermann ergreifen würde, bedeutende Belohnungen. Ein Militärcommando besetzte das Dorf Westheim, wo er sich gewöhnlich aufhielt, und unternahm Streifzüge, ihn zu fangen, allein Klostermann hatte sich in die Wälder zurückgezogen, wo er jeden Schlupfwinkel kannte, und entging allen Verfolgungen. Er trieb sein Handwerk nach wie vor und fand auch Absatzquellen für das Wild, welches er erlegt hatte. Man mußte sich entschließen, die Wälder zu besetzen und zu durchsuchen. Militär, Gensdarmen und Forstbeamte wurden aufgeboten und die Treibjagd begann. Mehrere Monate lang kam ihnen Klostermann nicht zu Gesicht, sie hörten wol, daß er da und dort aufgetaucht sein solle, sie vernahmen auch mitunter einen Schuß und sahen die Spuren von kunstgerecht ausgenommenen Hirschen und Rehen, aber den kecken Wilddieb trafen sie nicht. Endlich am 24.Mai 1868 morgens zwischen 4 und 5 Uhr standen sie wieder im Orpethale auf Wache, es knallten zwei Schüsse und gleich darauf kam Klostermann mit einem Begleiter durch das Dickicht. Er hatte augenscheinlich seine Feinde, die im Gebüsch verborgen standen, nicht bemerkt. Ein Soldat pflanzt sein Bajonnet auf, dies verursacht Geräusch, die beiden Wilddiebe horchen und im nächsten Augenblick fliehen sie in großen Sätzen über eine nahe Wiese in den Wald. Man ruft ihnen zu, sie sollen stehen, aber sie eilen flüchtig von dannen, man schießt hinter ihnen drein, aber die Kugeln fehlen, sie erreichen die schützenden Bäume und stellen sich dort, als ein Soldat, Namens Struck, sie verfolgt, kampfbereit zur Wehr. Beide schlagen auf den Soldaten an, und einer von ihnen schießt, Struck wirft sich hinter einen Baum und das tödliche Blei saust an ihm vorüber. Nun feuert auch er und mit einem Schrei stürzt der eine Wilddieb zum Tode getroffen zu Boden, der andere rettet sich in den Wald.

Als man den Verwundeten aufsucht, liegt neben ihm das noch geladene Gewehr, das Zündhütchen ist mit wollenen Lappen verdeckt, er also ist nicht derjenige gewesen, welcher auf Struck geschossen hat. Der in seinem Blute schwimmende Wildschütz, ein gewisser Lohoff aus Oesdorf, starb nach wenigen Stunden, vorher aber theilte er noch mit: Klostermann habe ihm eingestanden, daß er auf den Oberförster von Wrede geschossen habe.

Im Lande waren alle erstaunt, daß Klostermann wieder entwischt war. Er wurde nachgerade zur mythischen Person, von der man Fabeln über Fabeln erzählte. Dieser wollte ihn in der Nähe des Dorfes, jener gleichzeitig mehrere Meilen davon gesehen haben. Man erzählte sich wunderbare Geschichten von seiner Geschwindigkeit und wie er die Polizei an der Nase herumgeführt habe. Es war zur Ehrensache für die Behörden geworden, den Wilderer, der ihrer so frech spottete, festzunehmen. Die Telegramme flogen hin und her, die Gensdarmerie war Tag und Nacht auf den Beinen, die Wälder wurden unermüdlich durchstreift und die Leitung der Verfolgung einem besonders gewandten Polizeiinspector Namens Schnepel übergeben, der eigens zu diesem Zwecke nach Westheim gesendet wurde. Wiederum verging Woche um Woche, und Klostermann war noch immer frei und lebte von des Königs Wild – es hieß, daß er die Hetzerei nun satt habe und nach Amerika auswandern wolle.

In der Nacht vom 13. zum 14. Juni pochte jemand an die Thür des Büchsenmachers Lutter in Brilon. Auf die Frage, wer denn da sei? gab sich Klostermann zu erkennen. Lutter ließ ihn ein, schloß die Hausthür zu und führte ihn in sein Schlafzimmer. Klostermann bat um eine Tasse Kaffee, Frau Lutter versprach, ihm die gewünschte Erquickung zu bereiten, stieg aber durch das Fenster der Wohnstube auf die Straße und eilte zum Polizeisergeanten Aust, dem sie Anzeige machte von dem Fange, den er thun könnte. Aust nahm zwei Polizeidiener mit und schlich sich mit ihnen auf den Knien rutschend bis an die Fenster des Lutterschen Hauses. Lutter, dem seine Frau vorher einen Wink gegeben hatte, öffnete die Thür, die Polizeibeamten eilten durch das Haus in die Schlafstube, wo sie Klostermann auf dem Rande des Bettes sitzend bei einer Tasse Kaffee antrafen. Er war so vollständig überrascht, daß er weder zu fliehen noch Widerstand zu leisten versuchte. Er ward gefesselt und ins Gefängniß gebracht. Am andern Morgen meldete der Telegraph die frohe Kunde, daß Klostermann gefangen sei. Der größern Sicherheit wegen transportirte man ihn bald darauf nach Paderborn.

Charakteristisch für die damalige Stimmung der Bevölkerung ist eine Stelle aus einem Briefe Lutters an den Oberförster von Wrede, sie lautet: »In der Zeit von einer Stunde, die Klostermann bei mir war, wurde mir viel erzählt, welches mir noch jetzt graust, wenn ich daran denke. Namentlich glaubte er doch in Freiheit zu entkommen, denn es war sein Vorsatz, so wie er dort in Paderborn und Waldeck die Leute in Respect gesetzt hatte, so sollte es bei uns im Sauerlande auch gehen. Es fiel mir ein bei den Reden Napoleon in Rußland, ein Gott im Himmel und ein Kaiser auf Erden, da wurde er geschlagen. So ging es auch Rinaldo Klostermann, auf diese Weise wurde er gefangen. Wäre er aber nochmals znr Freiheit gekommen, so hätte es noch Wild und auch Menschenleben gekostet.«

Es wurde gegen Klostermann Criminaluntersuchung eingeleitet und er am 17.Juni zum ersten mal gerichtlich vernommen. Er stellte alle Verbrechen, die man ihm zur Last legte, in Abrede und behauptete: er sei am 1.October 1867 und am 1.Februar 1868 den ganzen Tag über in Westheim gewesen, mithin sei er unschuldig an den Wunden des Oberförsters von Wrede und des Forstaufsehers Heinemann. Seine Flucht durch das Orpethal räumte er ein, leugnete aber, auf den Soldaten Struck geschossen zu haben.

Ueber sein früheres Leben ist Folgendes zu bemerken: Klostermann war 29 Jahre alt, evangelischer Religion und zu Retzin im Regierungsbezirk Potsdam geboren. Sein Vater war Müller, starb aber schon, als der Sohn erst vier Jahre alt war, seine Mutter verheirathete sich zum zweiten male an den Förster Dalchov. Bis zu seinem vierzehnten Jahre besuchte er die Schule, später hütete er im Sommer die Kühe, im Winter spaltete er Holz. Ein Handwerk lernte er nicht. In seinem siebzehnten Jahre zog er mit seiner Mutter in das Dorf Scherfede, wo letztere starb. Mit seinem Stiefvater lebte er in Unfrieden und zerfiel zuletzt mit ihm ganz und gar.

In den Jahren 1857 – 59 erfüllte Klostermann seine Militärpflicht bei dem 15. Infanterieregiment. Er war jedoch ein unfolgsamer, schlechter Soldat und wurde 23 mal gestraft. Später erwarb er sich seinen Lebensunterhalt als Handarbeiter in Essen, Altenbeken und Bonenburg. Das Arbeiten gefiel ihm indeß nicht, und er fing an, auf fremdem Gebiete zu jagen und das erlegte Wild zu verkaufen. Jetzt war er in seinem Element, er wurde ein trefflicher Schütze und trieb den Wildprethandel en gros. In Westheim und in Oesdorf hatte er sein Hauptquartier, jedoch nur im Winter, denn den größten Theil des Jahres lebte er im Walde. Hier wußte niemand so gut Bescheid wie Klostermann. Sein Revier vergrößerte er immer mehr und am glücklichsten war er, wenn er die Büchse im Arme und die Pfeife im Munde einem Wilde nachspürend in heller Mondnacht durch die Wälder strich. Er hatte nur zwei Leidenschaften: Jagen und Rauchen. Umgang mit dem schönen Geschlecht pflog er selten, indeß war er bei Tänzen und andern Lustbarkeiten gern gesehen, denn es gab keinen flottern und flinkern Tänzer als ihn und stets hatte er eine offene Hand. Es hieß, daß er auch eine Geliebte habe, die mitunter wochenlang mit ihm in den Wäldern sich aufhalte; möglich, daß es wahr ist, aber eine sonderlich heftige Neigung hat er nicht gehabt. Ueber seiner Pfeife und dem Pürschgang vergaß er die Mädchen und die Zechgelage der andern Burschen.

Seine Schnelligkeit grenzte an das Wunderbare, er lief mit den Thieren des Waldes fast um die Wette und einzelne Fälle, in denen er wirklich Erstaunliches geleistet hatte, wurden actenmäßig festgestellt.

Natürlich konnte es nicht fehlen, daß er bei seinen Wilddiebereien mit den Forstschutzbehörden in Conflicte gerieth, und auch, daß er sich einen falschen Bart zulegte, der ihn ziemlich unkenntlich machte, schützte ihn nicht immer. Er war bereits sieben mal bestraft, als die letzte große Untersuchung begann:

1) Am 19. September 1862 vom Kreisgericht in Arolsen wegen Betretens eines fremden Jagdreviers mit einem Gewehre mit 5 Thlrn. Geldstrafe gleich 10 Tagen Gefängniß;

2) am 25. September 1862 von derselben Behörde wegen Vermögensbeschädigung mit 3 Thlrn. Geldstrafe gleich 3 Tagen Gefängniß;

3) am 7. November 1862 von der Gerichtsdeputation in Büren wegen gewerbmäßigen Jagdvergehens mit 6 Monaten Gefängniß, Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeiaufsicht auf ein Jahr;

4) am 15. April 1864 vom Kreisgericht in Warburg wegen Bruchs der Polizeiaufsicht mit 8 Tagen Gefängniß;

5) am 18. October 1864 von demselben Gericht wegen gewerbmäßiger Jagdcontravention im Rückfalle und versuchter Bestechung mit 7 Monaten Gefängniß, Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte und Stellung unter Polizeiaufsicht auf 2 Jahre;

6) am 10. Juni 1865 vom Kreisgericht in Arolsen wegen unbefugten Betretens eines fremden Jagdgebietes mit einem Schießgewehr mit 14 Thlrn. Geldbuße gleich 14 Tagen Gefängniß;

7) am 27. Juli 1866 vom Kreisgericht in Brilon wegen wiederholter gewerbmäßiger Jagdcontravention im wiederholten Rückfalle, wegen Zwanges eines Beamten zur Unterlassung einer Amtshandlung durch Drohung, und wegen Zwanges einer Person zur Unterlassung einer Handlung durch Drohung mit Verübung eines Verbrechens zu einem Jahre Gefängniß, Untersagung der bürgerlichen Ehrenrechte auf 1 Jahr und Stellung unter polizeiliche Aufsicht auf 3 Jahre. Die Strafe wurde durch Cabinetsordre vom 17. December 1866 auf 9 Monate ermäßigt und bis zum 23. April 1867 verbüßt.

Die Strafen hatten den Wildschützen Klostermann nicht gebessert, sondern ihn nur trotziger und entschlossener gemacht. Er knirschte mit den Zähnen, wenn er seinen geliebten Wald verlassen und in das Gefängniß wandern mußte. Vor Gericht gestand er niemals; so oft er eine Strafe erlitten hatte, kehrte er zu seinem Gewerbe zurück und beschloß, bei dem nächsten Rencontre sich nicht wieder gutwillig verhaften zu lassen. Seine Verwegenheit war bereits vor seinem Zusammentreffen mit Herrn von Wrede so hoch gestiegen, daß es ihm auf Blutvergießen nicht ankam. So sah ihn der Flurschütz Brune am 20. Juli 1865 aus dem Cansteiner Walde kommen und mitten durch die Fruchtfelder laufen. Sein Anrufen: »Halt! Bleib stehen!« beantwortete Klostermann damit, daß er sein Gewehr unter dem Kittel hervorzog, es auf Brune anlegte und ihm zurief: »Bleib stehen, oder du kriegst die Kugel!« Als Brune sich nicht abschrecken ließ, sondern sich näherte, drohte er ihm alles Ernstes: »Zurück, oder du stürzest zu meinen Füßen!«

In ähnlicher Weise verfuhr Klostermann am 28. Februar 1866 dem Holzhauer Vahle gegenüber im fürstlich waldeckischen Forstorte Mühlenberg. Der Wildschütz war gerade damit beschäftigt, einen von ihm erlegten Rehbock auszuweiden. Ein Forstbeamter überraschte ihn und befahl dem Vahle, das Wildpret in Beschlag zu nehmen. Der Holzhauer sprang hinzu, aber Klostermann hatte nicht Lust, sich seine Beute entreißen zu lassen. Er schlug auf Vahle an mit den Worten: »Wollen Sie abtreten oder nicht?« Erst das Herannahen des Forstbeamten nöthigte ihn, den Rehbock im Stiche zu lassen und die Flucht zu ergreifen.

Einige Zeit nachher traf Klostermann um Mitternacht mit dem Ackersmann Stratmann in Westheim zusammen. Er legte sein Gewehr an und rief: »Zurück, oder ich schieße!« Stratmann eilte in sein Haus. Auf die etliche Tage nachher an Klostermann gerichtete Frage: ob er wirklich geschossen haben würde? erwiderte er kaltblütig: »Gewiß hätte ich das gethan!«

Im Volksmunde circuliren eine große Zahl von Geschichten, Charakterzügen und Anekdoten über Klostermann, sodaß es schwer hält, die Wahrheit von der Dichtung zu unterscheiden. Wir theilen nur einiges mit, was wir aus völlig zuverlässiger Quelle geschöpft haben. Der Dr. Baruch in Rhoden, selbst ein Jagdliebhaber, hatte ihn ärztlich behandelt. Klostermann bat sich, nachdem er genesen war, die Rechnung aus, Baruch sagte ihm, daß er von armen Leuten keine Zahlung annehme, hierauf erwiderte Klostermann: »Nun, dann bleibt mir nichts übrig, als mich in anderer Art erkenntlich zu zeigen. In Ihrem Jagdreviere steht ein Rehbock, den werde ich Ihnen lassen.«

Im Jahre 1864 hatte Klostermann dem Restaurateur auf dem Schützenfeste in Warburg eine große Anzahl Rehe geliefert. Ein Gerichtsbeamter machte die Bekanntschaft des damals schon sehr renommirten Wilddiebes und erfuhr zu seinem Leidwesen, daß wahrscheinlich mehrere von den Rehen, die verspeist wurden, in seinem Jagdbezirke erlegt worden seien. Er machte dem Klostermann deshalb Vorwürfe und dieser bat ganz gemüthlich um Entschuldigung, mit dem Hinzufügen, in Zukunft wolle er dieses Revier schonen, es komme ihm darauf nicht an, da ihm ja die ganze Gegend zur Verfügung stehe. Kurz darauf wurde Klostermann wegen gewerbmäßiger Ausübung der Jagd in Warburg verhaftet. Derselbe Beamte führte bei dem Untersuchungsrichter das Protokoll; als letzterer sich einmal auf einige Minuten entfernte, machte er den Angeschuldigten, der frech alles in Abrede stellte, was man ihm zur Last legte, darauf aufmerksam: das Leugnen werde wol vergeblich sein, er habe ihm doch auf dem Schützenfeste eingestanden, daß er Wild in fremden Jagdbezirken geschossen habe. Klostermann antwortete sichtbar erregt: »Herr, ich halte Sie für zu nobel, als daß Sie von unsern Privatgesprächen Gebrauch machen werden.«

Er verlor, wenn er verfolgt wurde und die Häscher dicht hinter ihm waren, niemals die Gegenwart des Geistes. In der Nacht vom 4. zum 5. Februar 1868 hatten Polizeidiener und Gensdarmen das Haus in Oesdorf, wo er übernachtete, umringt, er wollte durch das Fenster springen und sich durch die Flucht retten. Ein Gensdarm faßte ihn beim Fuße und rief: »Ich habe ihn schon.« Klostermann riß sich los, lief an ein anderes Fenster, schoß hinaus und machte dadurch glauben, daß er dort entfliehen wolle. Im Nu war er wieder an einem andern, nun unbewachten Fenster; blos mit einem Hemde bekleidet sprang er hinaus und stürmte fort in den Wald. In der Tasche seines Rockes fand man ein Exemplar des wider ihn erlassenen Steckbriefs nebst Signalement. Schon nach zwei Tagen war Klostermann von Kopf bis zu Fuß neu bekleidet, mit Gewehr und Jagdtasche versehen.

Ein andermal war die Polizei ihm wieder auf den Fersen, er trug einen frischerlegten Rehbock und wollte ihn nicht preisgeben. Da sieht er mehrere Bauern, die Dünger auf einen Wagen laden; rasch wirft er das Wild auf den Wagen, borgt sich von einem der Bauern einen Kittel, den er im Fluge anzieht, und antwortet auf die Frage des gleich darauf an den Wagen tretenden Polizeidieners: ob sie Klostermann nicht gesehen hätten? keck: »Den kennen wir nicht.«

Als im Frühjahr 1868 ein Militärcommando das Dorf Westheim besetzte, um ihn zu arretiren, war er wirklich im Dorfe. Ein Signalschuß gab das Zeichen, daß die Durchsuchung der Häuser beginnen sollte. Klostermann verließ seine Wohnung und ging in den anstoßenden Garten; hier kroch er in eine leere Kalkgrube, ein Mädchen deckte sie mit Bretern zu und legte oben darauf Unkraut, welches sie schnell zusammengerafft hatte.

Endlich hatte ihn das Schicksal doch erreicht, er saß hinter Schloß und Riegel, die Untersuchung wider ihn begann und Klostermann, auf diesem Felde wenig gewandt, wußte nichts anderes zu thun, als mit dreister Stirn alles zu leugnen. Wir theilen die Resultate der umfangreichen, mit Fleiß und Scharfsinn geführten Criminalprocedur in drei Abschnitten mit, die sich von selbst ergeben, weil ihm ein dreifacher Angriff auf Forstbeamte schuld gegeben wurde.

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