Willibald Alexis
Der neue Pitaval - Neue Serie, Band 9
Marschall Bazaine.
eingestellt: 16.8.2007
»Als nach dem Kriege von 1866 ein Kampf zwischen Norddeutschland und Frankreich wahrscheinlich geworden war«, so beginnt die nachher näher zu erwähnende Anklageschrift des Generals Rivière, »sann der Marschall Niel, abgesehen von andern vorbereitenden Maßregeln, darüber nach, wie angesichts dieser ernsten Möglichkeit unsere Streitkräfte zusammengesetzt und vertheilt werden müßten. Schließlich entwarf er den Plan, drei Heere zu bilden, zwei in erster Linie in
Lothringen und im Elsaß, ein drittes in Reserve bei Châlons. Außerdem sollten zwei getrennte Truppenkörper zu Belfort und Lyon gesammelt werden; sie waren bestimmt, der Kern neuer Reserven zu sein. Nach der Ansicht des Marschalls sollte der Oberbefehl über die drei Armeen den Marschällen Bazaine, MacMahon und Canrobert anvertraut werden.«
Bazaine war also von vornherein zu einem Obercommando bestimmt, und zwar vom Marschall Niel, vielleicht dem bedeutendsten Organisator auf dem
Gebiete des Heerwesens, den Frankreich seit langer Zeit besessen hat.
»Leider«, fährt die Anklage fort, »gab man im Augenblicke der Mobilmachung diese weisen Plane auf, vertheilte die Armee in langgestreckter Front an der Grenze, und konnte sogar infolge der Verwirrung, welche in dem kritischen Zeitpunkte des Ueberganges vom Frieden zum Kriege eintrat, der Verzögerungen, welche die Einberufung der Reservemannschaften und die Anordnung des Verwaltungswesens erlitt, und welche man
wohl hätte voraussehen sollen, und der Ungewißheit über die Plane des Feindes die Zusammenziehuug der Corps nicht rechtzeitig bewirken; der Feind überraschte uns, ehe sie beendet waren. So wurden wir, die wir die Herausforderer gewesen waren, überfallen!«
Am 15. Juli 1870 wurde Bazaine zum Commandeur des 3. Armeecorps ernannt und gleichzeitig bestimmt, daß bis zum Eintreffen des Kaisers auch das 4. Corps – General Ladmirault – das 5. – General de Failly
– und das 2. – General Frossard – unter Bazaines Befehl stehen sollten. Am 16. Juli wurden seinem Commando alle an der nordöstlichen Grenze versammelten Corps unterstellt, jedoch immer nur bis zum Eintreffen des Kaisers, der sich den Oberbefehl vorbehalten hatte. Der Kaiser traf am 28. Juli zu Metz ein, Bazaine führte also bis auf weiteres nur den Oberbefehl über das 3. Corps, und mußte am 2. August mit zwei Divisionen die Unternehmung gegen Saarbrücken, diese glänzendste aller
Waffenthaten, stützen, bei welcher es vier französischen Infanterieregimentern, einem Chasseurregiment, einem Bataillon Jäger und sechs Batterien, mit 20000 Mann in Reserve, nach vierstündigem Kampfe gelang, sechs Compagnien preußischer Infanterie, vier Geschütze und eine Hand voll Cavalerie zum ruhigen, unbehelligten Rückzuge zu bewegen. Freilich fochten die Franzosen auch unter den Augen ihres Kaisers und seines heldenmüthigen Söhnleins! General Rivière erwähnt dieses großen Ereignisses nur
mit den etwas kühlen Worten »Eine am 2. August zu Saarbrücken vom 2. Corps bewerkstelligte Recognoscirung hatte nichts Genaueres über die feindlichen Stellungen ergeben.«
Am 5. August wurden das 2., 3. und 4. Corps unter Bazaines Befehl gestellt und am 6. August bei Spicheren gründlich geschlagen. Am 12. August wurde der Marschall zum Oberbefehlshaber der gesammten Rheinarmee, welche den Rhein erst unter sicherer deutscher Escorte wiedersehen sollte, ernannt; die Einzelheiten der nun
folgenden kriegerischen Vorgänge werden später zu erwähnen sein, jetzt mag es genügen, daran zu erinnern, daß die Rheinarmee trotz tapferer Kämpfe in und um Metz stehen blieb, immer fester, immer enger von den deutschen Truppen eingeschlossen, bis endlich am 27. October der Telegraph durch ganz Deutschland die frohe Nachricht verkündete:
Diesen Morgen hat die Armee Bazaines und die Festung Metz capitulirt. 150000 Gefangene, incl. 20000 Blessirte und Kranke. Heute Nachmittag wird die Armee und Garnison das Gewehr strecken. Das ist eins der wichtigsten Ereignisse in diesem Moment. Dank der Vorsehung! Wilhelm.
Und es war in der That ein hochwichtiges Ereigniß, hochwichtig nach drei Richtungen hin. Die größte, stärkste Festung Frankreichs kam in deutsche Hände, die beste, organisirteste und erprobteste Armee des Feindes war kriegsgefangen, und die großen deutschen Heermassen, welche so lange an Metz gebannt waren, wurden frei und konnten gegen die neugebildeten französischen Armeen, welche hier und da in nicht ungefährlicher Stärke und kühn genug aufgetreten waren, auch einige vorübergehende Erfolge erzielt hatten, verwendet werden. Die Franzosen fühlten dies nur zu gut. »Als die Uebergabe bekannt wurde«, so berichtet der metzer Correspondeut der londoner »Daily News«, »wurde das Volk wüthend. Die Nationalgardisten verweigerten die Uebergabe der Waffen, und am 29. October nachmittags erschien ein Dragonerrittmeister an der Spitze eines Haufens von Soldaten, welche schwuren, eher zu sterben als zu weichen, während Albert Colignon, der Redacteur der ultrademokratischen Zeitung ›Journal de Metz‹, auf einem weißen Rosse umhersprengte, ein Pistol abschoß und sie aufforderte, auszubrechen und den Sieg oder den Tod zu suchen, um der drohenden Schmach zu entgehen. Die Thüren der Kathedrale wurden erbrochen und fast die ganze Nacht hindurch die Sturmglocken geläutet. Als General Coffinières erschien, wurden drei Pistolenschüsse auf ihn abgefeuert. Endlich zerstreute er mit Hülfe zweier Linienregimenter den Pöbel, aber das Geschrei der Wuth, der Entrüstung, des Schreckens dauerte die ganze Nacht hindurch. Ehrbare Frauen rannten in den Straßen umher, rauften ihr Haar und schrien wild: ›Was soll aus unsern Kindern werden?‹ Soldaten, betrunken und nüchtern, wankten in unregelmäßigen Gruppen umher, ohne Mützen, mit zerbrochenen Säbeln, heulend, schluchzend, weinend wie Kinder. ›O armes Metz, einst die stolzeste unter den Städten! welches Unglück, welches unerhörte Ereigniß! Wir sind verkauft, alles ist verloren, es ist aus mit Frankreich!‹« Und als Bazaine tags darauf die Reise nach Wilhelmshöhe antrat, da zerschlugen in Ars, wie derselbe Berichterstatter mittheilt, Weiber mit den Fäusten die Fenster seines Wagens und riefen: »Verräther, Schuft, Betrüger! wo sind unsere Männer, die du verrathen hast? gib uns unsere Kinder zurück, die du verkauft hast!« Ja, sie würden den Marschall gelyncht haben ohne die Dazwischenkunft der deutschen Gensdarmen. Ganz ähnliche Scenen ereigneten sich in Paris, als dort die Trauerbotschaft bekannt wurde, und fast hätte schon damals die Commune sich zur Herrin der Stadt gemacht.
Das war schlimm, aber nichts Ungewöhnliches unter einem so leicht erregbaren Volke, und um so eher zu entschuldigen, als die »Regierung der nationalen Vertheidigung« bis zum letzten Augenblick phantastische Siegesberichte, glänzende Schilderungen der Heldenthaten Bazaines in Umlauf gesetzt hatte. Schlimmer war, daß nun dieselbe Regierung ohne Prüfung, lediglich auf Grund von Muthmaßungen und leeren Gerüchten, sich zur Stimmführerin des sinnlosen Geschreies über Verrath hergab. Am 29. October veröffentlichte sie eine Proclamation, welche zum Widerstande bis aufs Aeußerste aufforderte und folgendermaßen begann:
Franzosen!
Erhebet euere Seelen und euere Entschließungen auf die Höhe der erschrecklichen Gefahren, welche über das Vaterland hereinbrechen; es hängt von uns ab, das Unglück zu ermüden und der Welt zu zeigen, was ein großes Volk ist, welches nicht untergehen will und dessen Wuth sich inmitten der Schicksalsschläge nur steigert.
Metz hat capitulirt!!!
Der General, auf welchen Frankreich, selbst nach der Expedition von Mexico, rechnete, nimmt dem schwer gefährdeten Vaterlande mehr als hunderttausend Vertheidiger. Bazaine hat Verrath geübt, er hat sich zum Werkzeuge des Mannes von Sedan gemacht und zum Mitschuldigen der Eroberer, und mit Verachtung der Ehre der Armee, über welche er die Obhut hatte, hat er, selbst ohne eine letzte Anstrengung zu versuchen, hundertundzwanzigtausend Kämpfer, zwanzigtausend Verwundete, seine Gewehre, seine Kanonen, seine Fahnen und die stärkste Citadelle Frankreichs, Metz, bis auf ihn jungfräulich rein von aller fremden Besudelung, den Fremden überliefert. Ein solches Verbrechen steht selbst über den Strafen der Gerechtigkeit; und jetzt, Franzosen, messet die Tiefen des Abgrundes, in welchen euch das Kaiserthum gestürzt hat.
Zwanzig Jahre lang hat Frankreich diese corrumpirende Gewalt ertragen, die in ihm alle Quellen der Größe und des Lebens versiegen machte. Das Heer Frankreichs, seines nationalen Charakters beraubt, ohne es zu wissen ein Werkzeug der Regierung und der Knechtschaft geworden, ist trotz des Heldenmuthes der Soldaten durch den Verrath der Anführer in den Unfällen des Vaterlandes vernichtet worden; in weniger als zwei Monaten sind zweimalhundertundzwanzigtausend Mann dem Feinde ausgeliefert worden. Unheilvolles Nachspiel zu dem militärischen Handstreiche vom December!
Der Aufruf schloß mit den Worten:
Es lebe Frankreich, es lebe die einige, untheilbare Republik!
Die Mitglieder der Regierung.
Crémieux. Glais-Bizoin. Gambetta.
Hiermit war dem wüsten Geschrei über Verrath gewissermaßen eine officielle Berechtigung zutheil geworden, das Urtheil über Bazaine war gesprochen, Frankreich war nicht besiegt, wie könnte es auch je besiegt werden! nein, es war verkauft, verrathen, und die wenigen Stimmen, welche andere Ansichten aussprachen, verhallten wie die des Predigers in der Wüste. Buloy schrieb in der »Revue des deux Mondes« vom 15. März 1871: »Sprechen wir es aus, so grausam es ist. Dieses Unglück Frankreichs, das wir nicht vorausgesehen haben, ist nicht das Werk des Zufalls; dieser Sieg der Feinde ist der Triumph der Ordnung, der Disciplin, der Folgerichtigkeit des Denkens, der Wissenschaft, der Methode über die Verwirrung, den Leichtsinn, den Mangel an Disciplin, die Selbstüberschätzung und die Untüchtigkeit!« Niemand glaubte ihm. Als aber Trochu gleichzeitig das Volk belehrte, daß er die Deutschen unfehlbar besiegt haben würde, wenn sie nur gewagt hätten, ihm statt der Artillerie die Infanterie entgegenzustellen, und daß Chanzys Armee einige zwanzig Siege erfochten habe, fand er begeisterte Zustimmung, er, der während der Belagerung von Paris mit seinem unfehlbaren, aber nie zur Ausführung gediehenen »Plan« fast zur komischen Person geworden war.
Wie in Preußen nach dem unheilvollen Kriege von 1806–7, wie in Oesterreich nach den Niederlagen von 1866, wurde auch in Frankreich nach beendetem Kriege eine Commission eingesetzt »zur Untersuchung der Capitulationen uud sonstigen Ereignisse des letzten Krieges«; so war die Aufgabe der in Preußen ernannten bezeichnet worden. Die französische fand ein noch reicheres Feld vor sich, als die preußische gefunden hatte: zweiundzwanzig Festungen hatten dem Feinde ihre Thore geöffnet, drei Armeen die Waffen gestreckt, eine war auf neutrales Gebiet übergetreten. Diese Commission faßte in ihrer Sitzung vom 12. April 1872 folgenden Beschluß:
In Erwägung, daß der Marschall Bazaine durch seine Depeschen vom 19. und 20. August 1870 bewirkt hat, daß der Marschall Mac-Mahon von Rheims über die Maas ging, um der Armee von Metz zu Hülfe zu kommen, daß die Ausfallsversuche vom 26. und 31. August nicht als hinreichend ernst betrachtet werden können, um eine der Armee von Châlons Nutzen bringende Ablenkung zu bewirken, nimmt die Commission an, daß Marschall Bazaine für die Unfälle dieser Armee großentheils verantwortlich ist.
Die Commission ist der Ansicht, daß der Marschall Bazaine den Verlust einer Armee von 150000 Mann und der Festung Metz verursacht hat, daß die volle Verantwortlichkeit hierfür ihm allein zur Last fällt, und daß er als Oberbefehlshaber nicht gethan hat, was Pflicht und Ehre ihm geboten.
Die Commission tadelt den Marschall, weil er Beziehungen zum Feinde unterhalten hat, welche zu einer in der Geschichte beispiellosen Kapitulation geführt haben.
Wenn die Commission in den bisher erörterten Fällen von Capitulation stets die Festungscommandanten getadelt hat, welche, zur Uebergabe gezwungen, ihr Kriegsmaterial vor Unterzeichnung der Capitulation nicht zerstört und dadurch dem Feinde Hülfsmittel in die Hand gegeben haben, von denen er im Verlaufe des Krieges umfassenden Gebrauch gemacht hat, so verdient der Marschall Bazaine diesen Tadel mit noch größerem Rechte.
Die Commission tadelt ihn, weil er die Clausel der Capitulation angenommen hat, welche den Offizieren gestattete, gegen ihr schriftliches Ehrenwort, während des Krieges nicht mehr gegen Deutschland zu dienen, in ihre Heimat zurückzukehren.
Die Commission tadelt ihn, weil er nicht in Gemäßheit des Art. 257 des Decrets vom 13. October 1863 dafür gesorgt hat, daß in der Capitulation das Los seiner Soldaten verbessert uud für die Verwundeten uud Kranken alle nur zu erlangenden Ausnahmebestimmungen stipulirt wurden.
Endlich tadelt ihn die Commission, weil er dem Feinde die Fahnen, welche er hätte vernichten können und sollen, überliefert, uud so die Demüthiguug tapferer Soldaten, deren Ehre zu hüten seine Pflicht war, auf die Spitze getrieben hat.
Bazaine hatte von vornherein verlangt und verlangte, sobald dieser Ausspruch bekannt geworden war, noch dringender, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. Thiers war dagegen; er nannte den Proceß, dessen Einleitung auch die von den Journalen aller Schattirungen aufgehetzte öffentliche Meinung von ihm verlangte, »ein Unglück für Frankreich, eine neue Schmach«, aber er mußte nachgeben. Durch Beschluß vom 7. Mai 1872 wurde die Untersuchung eröffnet. Bazaine stellte sich am 15. Mai zu Versailles als Untersuchungsgefangener und blieb unter strenger Bewachung in Hausarrest; im September bezog er die für ihn im Schlosse Trianon eingerichteten Gemächer. Der General de Rivière wurde beauftragt, den gesetzlich vorgeschriebenen Bericht über die Ergebnisse der Voruntersuchung abzustatten, und reichte am 6. März 1873 den schon oben erwähnten »Bericht über den Proceß des Herrn Marschalls Bazaine«, die eigentliche Anklageschrift, ein. Auf 276 enggedruckten Octavseiten enthält dieselbe eine Zusammenstellung aller den Marschall irgend belastenden Thatsachen und Aussagen. Welches war im wesentlichen ihre Tendenz?
Dieselbe, welche dem ganzen Processe zu Grunde lag. »Die Tendenz des Processes« – so sagt ein namhafter deutscher Militärschriftsteller, der General von Witzleben – »ist darauf gerichtet, in Bazaine einen Sündenbock zu bestellen, auf welchen die Schuld der Nation und aller Einzelnen abgewälzt wird, um dadurch die Bedeutung der erlittenen Niederlagen in dem Bewußtsein der Nation und in den Augen Europas abzuschwächen.« Er findet diesen Gedanken unumwunden ausgesprochen in der »République française«, dem Organe Gambettas, in welcher es wörtlich heißt:
Für Preußen und für Frankreich ist es von Wichtigkeit, zu erfahren, ob der definitive Erfolg des Feldzuges den klugen Dispositionen des Generalstabes des Herrn von Moltke oder den mehr oder weniger geheimnißvollen Combinationen des Herrn von Bismarck und seinem Einvernehmen mit dem Oberbefehlshaber der Armee von Metz zuzuschreiben ist – ein inhaltsschweres Problem, welches je nach seiner Lösung diesem traurigen Feldzuge von Metz ein ganz anderes Ansehen und der tapfern französischen Armee ihren ganzen Ruf, ihr ganzes Uebergewicht wiedergeben wird, denn es ist niemals eine Schande gewesen, dem Verrathe zu erliegen.
Dem Verrathe! Das war es; man brauchte einen Verräther, und obschon die ganze Voruntersuchung auch nicht den leisesten Anhalt für die Annahme, daß Bazaine Verrath geübt habe, dargeboten, obschon selbst de Rivière, ungeachtet der maßlosen Gehässigkeit seines Berichts, dieses Wort nicht auszusprechen gewagt hat, so war doch die Gruppirung der Thatsachen, die ganze Färbung der Darstellung eine solche, daß sie selbst bei Unbefangenen mindestens den Verdacht des Verrathes zn erwecken berechnet war – und wie viel Unbefangene zählt das französische Publikum?
Nach de Rivières Bericht hat Bazaine, etwa außer Wörth und Weißenburg, so ziemlich alles Unglück des Krieges auf dem Gewissen. Die Schlacht bei Forbach ging verloren, weil er den General Frossard ohne Unterstützung ließ. Mac-Mahon wurde bei Sedan geschlagen, der Kaiser gefangen und Wimpffen mußte capituliren, weil Bazaine, nachdem er den Marsch Mac-Mahons veranlaßt, nicht von Metz durchbrach, um ihm zu Hülfe zu eilen. Die Loirearmee konnte Paris nicht nach den Planen des großen Strategen Gambetta entsetzen, weil Bazaine gerade im rechten Augenblicke capitulirte, um Prinz Friedrich Karls Armee freizumachen. Und dies alles zu beweisen, ist die Tendenz des Berichtes. Abgesehen aber hiervon und von der daraus sich ergebenden durchweg parteiischen Färbung ist der Bericht ein Meisterwerk anschaulicher Schilderung und übersichtlicher Darstellung, und hat noch eine zur Zeit in Frankreich fast allein dastehende Eigenthümlichleit: der Verfasser spricht von den Deutschen in durchaus anständigen Ausdrücken, und beschuldigt sie nicht einmal, Pianos und Pendulen gestohlen zu haben.
Der Gang der Darstellung ist in Kürze folgender:
Nach dem Verluste der Schlacht bei Forbach – ein Anklagepunkt, den der Staatsanwalt später fallen ließ – beschloß der Kaiser, dem diese Trauerpost mit der von den Niederlagen bei Wörth und Weißenburg gleichzeitig zuging, den Rückzug über Metz und Verdun auf Châlons, um dem Sieger den Weg nach Paris zu verlegen. Natürlich wurde dieser Rückzugsplan von mannichfachen Erwägungen durchkreuzt. Es war in der That hart, nachdem man den Krieg hervorgerufen hatte, nach den ersten Feindseligkeiten bis ins Herz des Landes zurückzuweichen. Die Armee setzte sich am 7. August in Marsch gegen Metz; am 8. wurde der Plan infolge der von Ollivier mitgetheilten Vorstellungen des Conseil der Minister über die politischen Gefahren solchen Rückzuges aufgegeben und ein neuer gefaßt. Das 2., 3., 4. Corps und die Garde sollten, auf Metz gestützt, die Armee Friedrich Karls aufhalten, Mac-Mahon und de Failly nicht über Nancy hinausgehen, Canrobert in Paris eine neue Armee bilden. Am 9. Aufstellung des 2., 3., 4. Corps und der Garde an der Ried und Seille. Am 10. Nachricht von der Kaiserin, wonach die beiden deutschen Heere sich vereinigt hätten, Befehl des Kaisers an Canrobert, von Châlons aus mit der Marineinfanterie zu ihm zu stoßen. Depesche des Generalstabs: »Der Kaiser hofft in wenigen Tagen zum Angriff vorzugehen.« Am 10. neue Nachrichten über die bedeutende Ueberlegenheit des Feindes, am 11. Rückzug bis unter die Kanonen der auf dem rechten Moselufer belegenen Forts von Metz.
Am 11. besucht Frau Marschallin Bazaine Herrn von Kératry zu Paris; sie ist nach ihrer Angabe von ihrem Gatten beauftragt, zu erklären, daß die Gegenwart des Kaisers die Operationen des Heeres hemme, daß ihr Gatte die Verantwortlichkeit für dieselben ablehne und zurücktreten werde. Sie hat später versichert, diesen Schritt ohne jeden Auftrag ihres Gatten gethan zu haben. Gleichviel, Herr von Kératry begab sich mit den Herren Jules Favre und Picard zu dem Kriegsminister, theilte diesem mit, was er gehört, und am 12. überträgt der Kaiser Bazaine den Oberbefehl über die Rheinarmce und die Corps, welche sich bei Châlons unter Mac-Mahon sammelten, mit der Anweisung, den Rückmarsch auf Châlons fortzusetzen.
»Unter welchen Verhältnissen übernahmen Sie den Oberbefehl? Wurde Kriegsrath gehalten? Kannten Sie die allgemeine Lage und die vom rechten Flügel der Rheinarmee innegehabten Stellungen?« So wurde Bazaine in der Voruntersuchung gefragt, uud er entgegnete: »Ich erhielt meine Ernennung am 12. nachmittags, ich machte dem Kaiser sofort bemerklich, daß es ältere und dem Oberbefehl in der augenblicklichen schwierigen Lage mehr gewachsene Marschälle gebe, als ich es sei. Es war nicht die Rede von irgendwelcher Einzelheit des Dienstes, noch von den fernern Planen, noch vom Rückzuge des 1., 5., 7. Corps, noch von den Nachrichten, die man vom Feinde hatte. Der Chef des Generalstabes (Leboeuf), der zugegen war, theilte mir darüber ebenso wenig mit. Es war bei dieser Zusammenkunft auch von der Truppenzusammenziehung bei Châlons nicht die Rede, und die auf diese Bewegung bezüglichen Befehle, welche dem Marschall Mac-Mahon zugestellt sind, muß der Generalstab ihm zugestellt haben, ich wußte nichts davon.«
Nun sollte der Uebergang über die Mosel und Seille stattfinden. General Coffinières, seit dem 7. August Gouverneur von Metz, hatte über jeden der Flüsse drei Brücken schlagen lassen, die aber in der Nacht vom 12. zum 13. vom Hochwasser abgerissen wurden. Trotz des Drängens des Kaisers wartete Bazaine auf die Wiederherstellung der Brücken, statt seinen Uebergang auf den vorhandenen drei festen Brücken vom 13. früh an zu bewerkstelligen. Endlich, als er dies am 14. befohlen und der größte Theil der Armee die Brücken passirt hat, greift der Feind die Nachhut an. Schlacht bei Borny, glänzender Sieg. »Er hob den Muth unsers Heeres, aber er» verzögerte unsern Marsch, und da man Metz verlassen wollte, war es wichtiger, Zeit, als eine Schlacht zu gewinnen.« In der That benutzte der Feind diese Zeit, um auf den oberhalb Metz belegenen und auffallenderweise nicht gesprengten Brücken die Mosel und Seille zu passiren, Bazaine zu umgehen und ihm die Rückzugslinie zu verlegen, was um so leichter war, als er den Rückzug, statt auf vier vorhandenen Straßen, nur auf zweien angeordnet hatte, die sich erst bei Gravelotte voneinander abzweigen; Recognoscirungen fanden nicht statt, und so ging denn der Marsch nur sehr langsam vor sich. Am 16. früh verließ der Kaiser Metz, um sich voraus nach Châlons zu begeben. Bazaine sistirte einstweilen den Weitermarsch, bis das 3. und 4. Corps vollständig gesammelt sein würden. Im Laufe des Vormittags wurde die Cavaleriedivision Forton und das zweite Corps bei Rezonville überfallen, da Bazaine dem General Frossard nicht speciellen Befehl zur Absuchung der an seine Stellung anstoßenden Schluchten ertheilt, sondern nur ganz allgemein tägliche Recognoscirungen vorgeschrieben hatte. »Wir erkennen an, daß in dem kritischen Moment dieses plötzlichen Ueberfalls die Kaltblütigkeit und Unerschrockenheit des Marschalls über jedes Lob erhaben waren. In kurzer Zeit bereiteten seine weisen Anordnungen, nachdem sie den schon erlittenen Schaden wieder gut gemacht hatten, den Erfolg des Tages vor, den der Eintritt des 4. Corps in die Schlachtlinie endgültig sicherte.«
Bazaine blieb Herr des Terrains; »in den nacheinander engagirt gewesenen feindlichen Corps mußte große Verwirrung herrschen«, und er hätte sie also entweder angreifen und auf das Moselufer zurückwerfen, oder schleunigst in der Richtung nach Briey abmarschiren können. »Jede Zögerung mußte verderblich sein, denn sie gestattete dem Feinde, sich auf der Rückzugslinie des Heeres festzusetzen. Dies war der entscheidende Moment des Feldzuges.« Er that keins von beidem, sondern berichtete abends 4 Uhr an den Kaiser, er müsse sich wegen Mangels an Munition und Lebensmitteln zurückziehen. Es war jedoch genug von beidem vorhanden und er hat später behauptet, der wahre Grund zum Zurückgehen sei gewesen, daß die einzelnen Corps zu sehr durcheinandergerathen seien uud er erst die Ordnung habe wiederherstellen müssen. Er ging aber nicht, wie er anfangs beschlossen, bis unter die Kanonen der Forts Saint-Quentin und Plappeville, sondern nur bis in die Linie Rozérieulles – Saint-Privat zurück.
Hier wird er am 18. August angegriffen und sein rechter Flügel unter Canrobert wird geschlagen. Letzterer hatte wiederholt um Unterstützung und besonders um Munition gebeten, beides jedoch theils nicht genügend, theils zu spät erhalten. »Es ist klar, daß man einem General nicht daraus, daß er eine Schlacht verliert, ein Verbrechen machen darf. Wenn man aber sieht, wie der Marschall Bazaine ungeachtet wiederholter und immer dringenderer Bitten des Marschalls Canrobert keinen Befehl ertheilt und ihn ohne die geringste Unterstützung vernichten läßt, wie sollte man da nicht von ihm Rechenschaft für seine strafbare Unthätigkeit, für das unnütz vergossene Blut, für die unsern Waffen zugefügte Niederlage, das Vorspiel des schließlichen Mißgeschicks, fordern? Warum bleibt er fern von dem Schauplatze der größten Schlacht neuerer Zeiten, während der König von Preußen, wie der Marschall selbst an den Kaiser berichtete, den Angriff in Person leitet?«
»Aergern Sie sich nicht«, so sagte Bazaine zu den Generalstabsoffizieren des geworfenen 4. und 6. Corps, »die Bewegung sollte morgen früh gemacht werden, jetzt machen Sie sie zwölf Stunden früher.« Er führte die Armee in die Stellung Vigneulles-Lassy zurück. Am 20. August veröffentlichte er, jedoch anonym, eine Note im metzer »Courrier de la Moselle«. Es heißt darin: »Eins der Heere Frankreichs ist jetzt um Metz in den Stellungen, welche der Marschall infolge der Schlacht vom 18. bestimmt hat, concentrirt. Mau kann sagen, daß der Plan, den der Feind am 18. verfolgte, im ganzen gescheitert ist. Indem das Heer des Marschalls sich fest um Metz hält, bietet es den strategischen und politischen Notwendigkeiten die Stirn.«
»Welches«, so fährt der Bericht fort, »konnten diese Nothwendigkeiten sein, da doch die Armee von Metz Befehl hatte, nach Châlons zu gehen, um Paris zu decken? Hatte Herr Bazaine einen Zweck im Auge, der außerhalb der Ausführung dieses Befehls lag? Die Erzählung der Ereignisse vom 12. bis 18. August zeigt diesen Zweck in unwiderstehlicher Klarheit. Herr Bazaine hat Metz nicht verlassen wollen.
»Wenn er nun aber Metz nicht verlassen wollte, warum, so fragt man sich, ohne eine haltbare Antwort finden zu können, warum hat er dann die unnütze Schlacht vom 18. nicht vermieden, welche seinem Heere so viel Blut gekostet, die Anhäufung der Verwundeten in der Festung Metz in gefährlichstem Grade gesteigert und den Muth der Truppen erschüttert hat?«
In welcher Verbindung stand nun Bazaine mit der seinem Befehle unterstellten Armee Mac-Mahons zu Châlons?
Gleich nach den ersten Unfällen hatte man beschlossen, zu Châlons neue Streitkräfte zu sammeln. Am 17. wurde in einem unter dem Vorsitze des Kaisers gehaltenen Kriegsrathe beschlossen, die dort schon versammelten Truppen unter Mac-Mahons Oberbefehl nach Paris marschiren zu lassen. Noch am selben Tage bat der Kriegsminister, Graf Palikao, den Kaiser, diesen Gedanken aufzugeben und statt dessen die Armee, welche in drei Tagen (am 21.) marschfertig sein müßte, nach Norden zu dirigiren, von wo sie Bazaine die Hand reichen könnte; er fügte hinzu, daß die Kaiserin derselben Ansicht sei. Der Kaiser telegraphirte am 18. früh zurück: »Ich füge mich Ihrer Meinung.«
Am selben Morgen traf ein von Bazaine entsendeter Offizier, Major Magnan, in Châlons ein und meldete dem Kaiser, Bazaine beabsichtige nach wie vor, nach Verdun zurückzugehen. Magnan reiste unmittelbar darauf wieder ab. »Augenscheinlich sollte dieser höhere Offizier das Geheimniß der neuen Entschlüsse des Kaisers und dessen Instructionen dem Marschall überbringen. Die Instructionen beschränkten sich zwar, wie Magnan sagt, darauf, daß dem Marschall freie Hand in Betreff der Personalveränderungen in den höchsten Stellen seiner Armee zugestanden wurde. Seine Aussage enthält aber so viel Irrthümer, daß man daraus schließen muß, daß seine Erinnerungen äußerst verwirrt sind.«
Am 20., mittags, erhielt Mac-Mahon die Nachricht, daß die Spitzen der feindlichen Armee nur noch etwa eine halbe Meile vom Lager entfernt seien. Am 21. früh Abmarsch nach Rheims, wo Stellung genommen wird; Mac-Mahon faßt den Beschluß, nach Paris zu rücken, da er glaubt, er werde Bazaine nicht mehr helfen können. Am 22. früh wird der Abmarsch angeordnet, als um 10 Uhr morgens eine Depesche Bazaines, datirt vom 19. abends, eingeht, in welcher es heißt: »Ich beabsichtige noch immer die Richtung nach Norden einzuschlagen und dann über Montmédy auf der Straße von Saint-Menehould nach Châlons herabzurücken, wenn sie nicht stark besetzt ist; in diesem Falle werde ich über Sedan und selbst über Mézières gehen, um nach Châlons zu gelangen.« Nun telegraphirt Mac-Mahon, dessen Plan vom Ministerium, und, wie er glaubt, auch vom Kaiser gebilligt worden war, an den Kriegsminister, unter diesen Umständen werde er nicht nach Paris, sondern über die Aisne (nach Osten) marschiren, und der Minister stimmt wiederum ein. Magnan, welcher Bazaine über alles hätte unterrichten können, ist inzwischen nur bis Diedenhofen gelangt und hat sich am 19., da er erfahren, daß der Weg von da nach Metz gesperrt sei, nach Montmédy begeben; es sind aber verschiedene Personen noch am 20. unangefochten nach Metz gelangt, und da Klugheit und Muth des Majors Magnan über jeden Zweifel erhaben sind, so kann man nur annehmen, daß der Marschall, um freier Herr seiner Entschlüsse zu bleiben, ihm aufgegeben hat, nicht wieder zu ihm zu stoßen. »Die Untersuchung würde vielleicht Scheu getragen haben, eine solche Vermuthung aufzustellen, wenn nicht in ihrem Verlaufe festgestellt wäre, daß Bazaine ganz augenfällig die Gewohnheit hat, falsche Ausreden zu gebrauchen, um die Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen.« In Montmédy werden aber vom 19. bis 25. Vorbereitungen für die dort erwartete Vereinigung beider Heere getroffen.
Inzwischen hat Bazaine am 20. abends eine Depesche folgenden Inhalts an Mac-Mahon erlassen: »Ich habe bei Metz Stellung nehmen müssen, um den Soldaten Ruhe zu gönnen und sie wieder mit Munition und Lebensmitteln zu versehen. Der Feind verstärkt sich immer mehr um mich, uud ich werde höchst wahrscheinlich, um zu Ihnen zu stoßen, die Linie der nördlichen Festungen einschlagen und Sie von meinem Marsche benachrichtigen, wenn ich ihn anders unternehmen kann, ohne die Armee zu gefährden.« Diese Depesche wird von einer Frau von Ars nach Diedenhofen, von da durch den Polizeibeamten Guyard nach Longwy befördert; Guyard übergibt sie den Polizeiagenten Rabatte und Miés, welche sofort Abschrift der Depesche an den Obersten Stoffel zu Rheims telegraphiren; sie treffen dann am 26. im Hauptquartier zu Rethel ein und übergeben dort dem Obersten das Original der Depesche. Weder Abschrift noch Original ist von Stoffel jemals seinem unmittelbaren Vorgesetzten Mac-Mahon mitgetheilt worden. »Unzweifelhaft hatte er Befehle in dieser Richtung erhalten! Aber von wem? Wer vermag das zu sagen?« Freilich hat Mac-Mahon erklärt, er würde, auch wenn er die Depesche erhalten hätte, seinen Marsch nach der Maas doch wahrscheinlich fortgesetzt, und, dort angelangt, überlegt haben, was weiter zu thun sei.
Andererseits wurden verschiedene Depeschen, welche Bazaine von dem Marsche Mac-Mahons benachrichtigen sollten, expedirt, und nach den Aussagen der Obersten Lewal und von Andlau steht fest, daß er eine derselben am 23. erhalten, obschon er dies in Abrede stellt.
Am 25. trifft Bazaine die Vorbereitungen zu einem am 26., diesmal auf dem rechten Moselufer, zu unternehmenden Durchbruche. Die Avantgarde des 3. Corps besetzte Neuilly, Roisseville, Colombey, und alles erwartete das Signal zum Beginn des Kampfes; statt dessen berief Bazaine einen Kriegsrath, in welchem General Soleille sich etwa dahin ausspricht: Paris sei stark befestigt und werde sich wol selbst helfen; die Rheinarmee sei berufen, eine ungeheuere Rolle zu spielen, und diese bisher nur kriegerische Rolle werde sicher eine politische werden. Wenn alles schlecht ginge, so würde die Anwesenheit der Armee in Metz wahrscheinlich doch Lothringen für Frankreich retten. Außerdem sei man mit Munition schlecht versehen und würde sich bei einem Durchbruchsversuche wehrlos zwischen den deutschen Heeren befinden »welche uns hetzen würden wie eine Meute Hunde einen Hirsch«. Man könne auch von Metz aus dem Feinde vielen Schaden zufügen. Er stimmt also gegen den Durchbruch. General Frossard ist derselben Meinung. »Im Heere herrscht eine Art von Erschöpfung, um nicht zu sagen Entmuthigung, welche leicht zu erkennen ist. Wenn man auf gutes Glück losmarschirte, würde man nach der ersten Schlacht, selbst wenn sie glücklich wäre, nicht mehr auf dasselbe rechnen können, ein Fehlschlag aber würde das Heer völlig auflösen.« Die Generale Canrobert, Ladmirault, Bourbaki, Coffinières sind derselben Meinung; Leboeuf erklärt: »Die Rheinarmee intact erhalten ist der größte Dienst, den man dem Lande leisten kann. Aber wovon soll sie leben?«
Hiernach waren alle einig, einen Durchbruch nicht zu versuchen; Bazaine hatte ihnen aber nicht mitgetheilt, daß Mac-Mahon auf dem Marsche sei, und die Generale Soleille und Coffinières, die dies wußten, hatten es gleichfalls verschwiegen.
Am 27. expedirte Bazaine eine Depesche folgenden Inhalts an Mac-Mahon: »Unsere Verbindungen sind abgeschnitten, aber schwach, wir können durchbrechen, wann wir wollen, und erwarten Sie.« Ein Zeuge versichert, diese Depesche dem Marschall Mac-Mahon am 29. behändigt, dieser aber freilich, sie nie erhalten zu haben.
Dagegen erhielt Bazaine am 29. eine Depesche von Turnier, dem Commandanten von Diedenhofen: »General Ducrot commandirt Corps von Mac-Mahon, er muß sich heute 27. zu Stenay auf dem linken Flügel des Heeres befinden, General Douay rechts, über der Maas. Sich bereit halten auf den ersten Kanonenschuß zu marschiren.« Darauf ertheilt er die nöthigen Befehle, um die am 26. unterbrochene Bewegung am 30. wieder aufzunehmen, widerruft sie ohne ersichtlichen Grund und führt erst am 31. vormittags die Armee wieder aufs rechte Moselufer; etwa um 2 Uhr ist sie versammelt, da kommt ihm der Einfall, auf der Straße von Sainte-Barbe eine schwere Batterie aufzuführen. Die Geschütze werden aus dem Fort Saint-Julien genommen, eine Verschanzung zu ihrer Deckung wird aufgeworfen, endlich, um 4 Uhr nachmittags wird das Signal zum Angriff gegeben. Nach hartem Kampfe werden Neuilly und Roisseville genommen, eben hat man Servigny erreicht, als die Nacht dem Kampfe ein Ende macht. Unsere Truppen übernachten in den gewonnenen Stellungen. Am nächsten Morgen, 1. September, Fortsetzung des Kampfes. Da läßt Bazaine den Commandanten des 3., 4., 6. Corps folgende Ordre zugehen: »Je nach den Dispositionen, welche der Feind vor uns getroffen, müssen wir die gestern unternommene Operation fortsetzen, welche 1) uns in den Besitz von Sainte-Barbe bringen, 2) unsern Marsch in der Richtung auf Bethinville erleichtern soll. Andernfalls wird es nöthig sein, in Ihren Positionen standzuhalten, uns dort fortificatorisch einzurichten und dann heute Abend nach Saint-Julien und Queuneu zurückzukehren. Lassen Sie mich durch den Ueberbringer wissen, wie es vor Ihrer Front aussieht.«
»Eine solche Ordre war nur zu bezeichnend, und konnte nur zu einer Rückzugsbewegung führen. Diese fand statt, sie ging in guter Ordnung vor sich, und am Nachmittag war die Armee wieder in ihren Quartieren.
In diesem Augenblick erlag Mac-Mahon, der durch alle Gefahren seinem Chef zu Hülfe geeilt war, den vereinten Anstrengungen der feindlichen Heere.«
Hiermit schließt der erste Theil des Berichtes. Der zweite Theil umfaßt »die Periode der Einschließung bis zum 7. October«. Nach einigen Bemerkungen über den Zustand der Festungswerke und Verschanzungen heißt es unter der Überschrift »Thätige Rolle, welche die in dem verschanzten Lager zurückgehaltene Armee hätte spielen müssen«:
»Man hätte, wie in dem Kriegsrathe vom 26. August erwähnt worden, Schlag auf Schlag große Ausfälle unternehmen, den Feind ohne Unterlaß beunruhigen, ihm durch nächtliche, wenn auch nur simulirte Angriffe alle Ruhe rauben, mit Einem Wort ihn so ermüden müssen, daß die Fortdauer der Einschließung unmöglich geworden wäre.
»Die Lage der Festung in der Nähe der einzigen Eisenbahn, mittels deren die eingedrungenen Heere sich auf Deutschland stützten, bildete eine drohende Gefahr für den Feind. Man hätte davon Nutzen ziehen müssen, um dessen Hauptoperationslinie zu zerstören. – So hätte der Marschall der Erlöser seines Vaterlandes werden können, während er unstreitig eins der Hauptwerkzeuge zu seinem Falle gewesen ist.«
Es folgen Vorwürfe über die Belassung der Fremden, selbst der Deutschen, in der Festung, über die mangelhaften Anordnungen behufs der Verproviantirung, über die Zulassung von 20000 Flüchtlingen aus der Umgegend. Dann wird die Erzählung wieder aufgenommen.
Am 31. August und 1. September erwartete der Marschall stündlich, wie er sagt, den Kanonendonner der anrückenden Armee Mac-Mahons zu hören; die andauernde Stille aber und die raschen Bewegungen des Feindes, die nichts weniger als Unruhe verriethen, erweckten in ihm die Befürchtung, daß der Marsch dieses Heeres irgendwie verzögert worden sei. Am 4. September erfuhr ein als Parlamentär abgesandter Offizier von einem preußischen Generalstabsoffizier von der Capitulation von Sedan und der Gefangennahme des Kaisers. Am 10. wurden diese Nachrichten durch einen ausgewechselten Offizier, am 11. durch ein in die Festung gelangtes Exemplar der »Kreuzzeitung« bestätigt. Bazaine berief die Corps- und Divisionsgenerale in sein Hauptquartier, theilte ihnen mit, was sich ereignet, und erklärte, angesichts dieser Unglücksfälle müsse man auf große Kämpfe verzichten und sich, um die Truppen munter zu halten, auf kleine Operationen je nach dem Ermessen der Corpsführer beschränken. »So müsse man die Befehle der Regierung erwarten.« Auf Befragen hat der Marschall erklärt, wenn er diese letzte Aeußerung, deren er sich nicht erinnere, gethan habe, so habe er die »Regierung der nationalen Vertheidigung« gemeint.
Am 12. September versuchte der Gesandtschaftssecretär Debains, unter falschem Namen durch die preußischen Linien zu kommen, und verlebte den Tag, da er auf die Genehmigung des Prinzen Friedrich Karl warten mußte, in Gesellschaft hessischer Offiziere. Er mußte nach Metz zurückkehren uud arbeitete am 13. einen vertraulichen Bericht für den Marschall aus, in dem er ihm mittheilte, was er in Erfahrung gebracht. Das Résumé desselben lautete: »600000 Deutsche auf französischem Gebiet. Keine reguläre Armee mehr in Frankreich, außer etwa der von Metz. Keine muthige Begeisterung für die nationale Sache in den besetzten Provinzen. Völlige Einheit der Deutschen für den Triumph ihrer Sache. Jede Erörterung über die Staatsform Deutschlands bis nach Beendigung des Krieges vertagt. Keine Aussicht auf bewaffnete Intervention Oesterreichs. Oesterreich und Rußland für den Frieden wirkend, aber ohne bisher Preußen annehmbare Grundlagen eines solchen bezeichnet zu haben. Große Anstrengungen des feindlichen Heeres gegen Paris. Die Belagerung von Metz in 6–8 Tagen, nach Eintreffen schweren Geschützes, bevorstehend.«
Gegen die Bestimmung des Decrets von 1863, wonach der Commandant einer belagerten Festung gegen alle ihm vom Feinde zugehenden Nachrichten taub bleiben muß, am wenigsten aber sie verbreiten darf, theilte Bazaine allen Corpscommandanten Abschrift dieses Berichts mit. Bald darauf traf er bei Besichtigung der Vorposten mit einem ihm ganz unbekannten Offizier zusammen. Er äußerte: »Das Spiel ist für diesmal verloren. Man sollte Frieden schließen, um sich zu erholen, und in zwei Jahren wieder anfangen.« Ein andermal äußerte er, ein Bombardement werde aus dem schon mit Verwundeten überfüllten Metz eine wahre Nekropole (Todtenstadt) machen. »Wir beschränken uns darauf, die Wichtigkeit dieser beunruhigenden Worte festzustellen. Jeder Commentar ist überflüssig.«
Am 14. September erhielt der Marschall durch einen Flüchtling von Sedan einige französische Zeitungen. Darauf erließ er folgenden Tagesbefehl:
An die Rheinarmee.
Nach zwei französischen Zeitungen vom 7. und 10. September ist der Kaiser Napoleon seit der Schlacht bei Sedan in Deutschland kriegsgefangen, und da sowol die Kaiserin als der kaiserliche Prinz am 4. September Paris verlassen haben, hat sich dort eine ausübende Gewalt unter dem Titel einer Regierung der nationalen Vertheidigung gebildet. Ihre Mitglieder sind (folgen die Namen).
Generale, Offiziere und Soldaten der Rheinarmee!
Unsere militärischen Verpflichtungen gegen das gefährdete Vaterland bleiben dieselben. Fahren wir fort, ihm mit Hingebung und mit derselben Thatkraft zu dienen, indem wir sein Gebiet gegen die schlechten Leidenschaften vertheidigen. Ich bin überzeugt, daß euer Geist, wie ihr schon so oft bewiesen habt, auf der Höhe aller Ereignisse bleiben wird, und daß ihr euch neue Ansprüche auf den Dank und die Bewunderung Frankreichs erwerben werdet.
Hauptquartier Baun Saint-Martin, 16. September 1870.
An demselben Tage schreibt er an Coffinières, als in metzer Blättern Schmähartikel gegen die gefallene Regierung erschienen sind: »Man darf nie das Unglück beleidigen und in den Augen der Soldaten diejenigen lächerlich machen lassen, denen wir bis vor kurzem gehorcht haben.« Am 16. übergibt er zwei Kürassieren eine Depesche an den Kriegsminister; gleich darauf läßt er auf den Ernennungen das kaiserliche Wappen und die auf die kaiserliche Regierung bezüglichen Worte aus. Alles spricht von entschiedener Hingabe an die neue Regierung, obschon er sich bei seiner Vernehmung auf das ernsteste hiergegen verwahrt hat.
»Ich betrachtete« – sagt er – »die Regierung der nationalen Vertheidigung als eine thatsächliche Executivgewalt, welche sich an die Organisation des Widerstandes knüpfte, aber nicht als eine politische Regierung, da die Regentschaft immer noch zu Recht bestand. So konnten wir, meiner Ansicht nach, fortfahren, bei der Vertheidigung des Landes mitzuwirken, ohne daß der Eid, der uns an die kaiserliche Dynastie band, aufgehoben oder auch nur abgeschwächt worden wäre.« Mit dieser Erklärung stimmt es freilich nicht, wenn er in den metzer Zeitungen Aufrufe der pariser Regierung abdrucken ließ, worin Stellen vorkamen wie folgende: »Die Macht lag am Boden; was mit einem Attentat begonnen hatte, endete mit einer Desertion. Wir haben nur das unfähigen Händen entglittene Steuerruder wieder ergriffen.« Oder: »Die pariser Bevölkerung hat den Sturz Napoleons III. und seiner Dynastie nicht ausgesprochen, sie hat nur im Namen des Rechtes und der Gerechtigkeit davon Act genommen!«
Bazaine hatte sich aber, schon bevor er den obigen Befehl erließ, mit dem Feinde in Verbindung gesetzt.
Er selbst sagt in seiner Vertheidigungsschrift: »Die Nachricht von der Bildung der Regierung der nationalen Vertheidigung und der Verkündigung der Republik in Paris war uns durch einen Gefangenen zugegangen, welcher aus Ars entwichen war. Die Kunde von diesen Ereignissen machte einen peinlichen Eindruck auf das Heer. Man glaubte an eine Täuschung seitens des Feindes, um den Geist des Heeres zu untergraben, und Generale, Offiziere und Soldaten wiesen den Gedanken als unwahrscheinlich zurück, daß eine Revolution ausgebrochen sein sollte, während der Feind auf französischem Boden stand. Unsere militärische Ehrenhaftigkeit konnte nicht glauben, daß der Ehrgeiz der Führer einer politischen Partei fähig gewesen sei, die heiligsten Interessen des Vaterlandes zu opfern, um zu der ersehnten Macht zu gelangen. Da ich nun keine amtliche Bestätigung der Einsetzung der neuen ausübenden Gewalt erhielt, schrieb ich an den Prinzen Friedrich Karl, um ihn freimüthig nach der Bedeutung und Wichtigkeit der angeblich vorgefallenen Ereignisse zu fragen.«
Also – sagt der Bericht – weil der Marschall glaubt, die Nachrichten könnten auf Täuschung seitens des Feindes beruhen, wendet er sich an den Feind, um deren Richtigkeit festzustellen!
Der Prinz antwortete am 17. in einem vom 16. datirten Schreiben, bestätigt die Capitulation von Sedan und die Gefangenschaft des Kaisers, sagt dann: »Zwei Tage nach der Capitulation erfolgte leider in Paris ein Umsturz, welcher ohne Blutvergießen die Republik an die Stelle der Regentschaft setzte«, fügt hinzu, daß diese Republik bisher weder allgemein in Frankreich noch von den andern Mächten anerkannt worden sei, und schließt: »Uebrigens werden Ew. Excellenz mich bereit und ermächtigt finden, Ihnen alle Ihnen wünschenswerthen Mittheilungen zu machen.«
Wie war der Marschall dazu gekommen, sich in Verbindungen mit dem Feinde einzulassen?
Am 11. September erschien zu Rheims im dortigen » Indépendant« ein »Communiqué« der deutschen Regierung des Inhalts: Man möge nicht glauben, daß, weil dieselbe in dem von den Deutschen besetzten Rheims die Proclamation der Republik und den Abdruck der Erlasse derselben in den dortigen Zeitungen geduldet, sie nun auch dieselbe irgendwie anerkenne. Für sie gebe es immer noch nur die Regierung des Kaisers. Sie werde gern bereit sein, über den Frieden zu unterhandeln, aber mit wem solle sie ihn schließen? »Die deutschen Regierungen würden mit dem Kaiser Napoleon unterhandeln können, dessen Regierung bisher anerkannt ist, oder mit der von ihm eingesetzten Regentschaft. Sie würden auch mit dem Marschall Bazaine verhandeln können, welcher den Oberbefehl vom Kaiser erhalten hat. Es ist aber unmöglich zu begreifen, mit welchem Rechte sie mit einer Behörde unterhandeln könnten, welche bisher lediglich einen Theil der Linken des frühern Corps législatif vertritt.«
Durch diese Erklärung erhielt der Marschall eine Stellung von höchster Wichtigkeit, denn da der Kaiser gefangen, die Kaiserin im Auslande war, war er allein in der Lage, unterhandeln zu können. Er behauptet, von dieser Erklärung erst am 22. September Kenntniß erhalten zu haben. Nachweislich hat er aber schon vorher vielfach mit preußischen Parlamentären verkehrt, und jedenfalls äußerte Herr von Bismarck schon am 19. September bei seiner Unterredung mit Jules Favre zu Ferrières: »Da wir von Metz sprechen, möchte ich Ihnen doch bemerklich machen, daß Bazaine Ihnen nicht angehört. Ich habe gute Gründe anzunehmen, daß er dem Kaiser treu bleibt und daß er Ihnen folglich den Gehorsam verweigern wird.«
»So« – folgert der Bericht – »macht Herr von Bismarck, indem er den Marschall wissen läßt, daß die deutsche Regierung beabsichtige, mit ihm in Unterhandlung zu treten, aus einem General einen Unterhändler, lähmt das von ihm befehligte Heer, verlängert die ergebnißlosen Besprechungen und erwartet ohne Schwertstreich den noch unbekannten Augenblick, in welchem der Hunger dieses Heer feiner Gnade preisgeben wird.«
Nun folgt eine der seltsamsten Episoden, der im Bericht sehr ausführlich vorgetragene »incident Régnier«.
Am 23. September überbrachte ein deutscher Parlamentär dem Vorpostencommandanten Arnous-Riviere einen Brief an Bazaine; etwa zwanzig Schritte hinter ihm zeigte sich ein Fußgänger in bürgerlicher Kleidung, ein an einem Spazierstock befestigtes weißes Taschentuch schwenkend. Der Parlamentär wollte sich empfehlen. »Wer ist der Mann?« fragte ihn Herr Arnous-Riviére. »Ich weiß nicht«, entgegnete jener, und verschwand. Darauf kam der Unbekannte selber, versicherte, einen Auftrag an Bazaine zu haben, und verlangte, sofort zu ihm geführt zu werden. Hauptmann Garcin, der hiermit beauftragt wurde, fragte, wie er ihn dem Marschall anmelden solle. »Melden Sie den Abgesandten von Hastings.« In Metz wußte damals noch niemand, daß die Kaiserin dort ihren Wohnsitz aufgeschlagen habe. Garcin that – nach seiner Aussage – wie ihm geheißen; Bazaine behauptet, ihm sei »ein kaiserlicher Kurier« gemeldet worden. Was nun in Bazaines Cabinet verhandelt worden, darüber weichen dessen und Régniers Aussagen – denn so hieß der räthselhafte Fremde – erheblich voneinander ab.
Régnier – darüber sind beide einig – erklärte, er komme aus Ferrières, habe dort eine Audienz bei Herrn von Bismarck gehabt, den er gefragt habe, ob er vielleicht sofort mit der kaiserlichen Regierung Frieden schließen wolle, zeigte eine Photographie der Wohnung der Kaiserin zu Hastings vor, unter welche der Prinz einige zärtliche Worte an seinen Vater geschrieben hatte, und gab an, schriftliche Vollmachten nicht zu besitzen, weil man so wichtige Documente nicht den bei einer Reise möglichen Unfällen auszusetzen gewagt habe. Régnier sagte aber noch, so behauptet Bazaine: er komme im Auftrage der Kaiserin mit Bismarcks Genehmigung – Régnier bestreitet dies. Régnier schlug darauf vor, General Bourbaki oder Canrobert solle sich nach England begeben, um sich der Kaiserin zur Verfügung zu stellen. Es sei, so äußerte er weiter, sehr zu bedauern, daß nicht nach Sedan Frieden geschlossen worden; die Armee von Metz sei die einzige, welche für den Fall der Unterhandlungen Deutschland für die Erfüllung der zu übernehmenden Verpflichtungen Bürgschaft leisten könne, wenn sie freie Hand hätte; Deutschland werde aber unzweifelhaft Metz als Pfand verlangen. Bazaine entgegnete: Gewiß würde er, wenn er mit Waffen und Bagage ausrücken könnte, die Ordnung im Innern aufrecht erhalten und den Bedingungen eines etwaigen Friedensvertrages Geltung verschaffen, von der Festung Metz könne aber nicht die Rede sein, da deren vom Kaiser ernannter Gouverneur unter dessen unmittelbarem Befehl stehe. »Das Ganze«, sagt Bazaine, »war eine einfache Unterhaltung, der ich nur wenig Werth beilegte, weil Herr Régnier keine Vollmachten aufweisen konnte.« Régnier bekundet weiter, er habe Bazaine mitgetheilt, daß nach Bismarcks Ansicht Jules Favre der Armee von Metz sicher zu sein glaube, und Bazaine habe entgegnet, die Armee stehe keineswegs zur Verfügung Jules Favres; Bazaine erinnert sich der Worte nicht genau, vermuthet aber, daß er entgegnet habe, Jules Favre könne nicht wissen, was in Metz vorgehe, da sie nicht in amtlichem Verkehr miteinander ständen, und das Heer sei vor allem das Heer Frankreichs, durch seinen Eid an die kaiserliche Dynastie gebunden. Nach Régniers Aussage machte ihm Bazaine sehr genaue Angaben über den Bestand der Vorräthe in Metz und erklärte, er würde sich nur mit Noth bis zum 18. October halten können. Bazaine versichert, auf derartige Einzelheiten nicht eingegangen zu sein. Régnier erklärt ferner, Bazaine habe sich bereit erklärt, einen Vertrag zu unterzeichnen, wonach sein Heer mit kriegerischen Ehren ausrücken und sich in ein für neutral zu erklärendes Gebiet Frankreichs zurückziehen sollte, mit der Bedingung, während des Krieges nicht mehr gegen Deutschlaud zu fechten. Bazaine sagt, er würde nie in Bedingungen gewilligt haben, welche die nationale Vertheidigung gespalten hätten. Schließlich bat Régnier Bazaine, auf der Photographie von Hastings seinen Namen neben den des Prinzen zu setzen, was dieser, wie er sagt ohne viel dabei zu denken, that.
Am nächsten Morgen kehrte Régnier nach Corny – innerhalb der deutschen Linien – zurück und fand hier nach seiner Angabe ein Telegramm des Grafen Bismarck, wonach dieser in die Abreise eines Generals aus Metz willigte. Er verabredete nun mit General von Stiehle, daß dieser General mit einigen luxemburgischen Aerzten, welche aus der Festung in die Heimat entlassen werden sollten, reisen solle, damit das Geheimniß bewahrt bleibe, und begab sich wieder nach Metz, wo er mit Bazaine, Bourbaki und Oberst Boyer eine ganz ähnliche Unterhaltung führte als tags zuvor, ihnen auch auseinandersetzte, daß die Deutschen nie mit der pariser Regierung, wohl aber mit der Kaiserin unterhandeln und in diesem Falle weniger lästige Forderungen stellen würden, und schließlich Bourbaki veranlaßte, sofort nach England abzureisen. Derselbe stellte nur die Bedingung, daß sein Posten nicht anderweit besetzt, und die unter seinem Befehl stehende Garde bis zu seiner Rückkehr nicht ins Gefecht gebracht werde. Mit ihm verschwand Régnier und ließ fortan in Metz nichts mehr von sich hören. Dagegen erhielt Bazaine am 29. September eine Depesche aus Ferrières, ohne Unterschrift, folgenden Inhalts: »Wird Marschall Bazaine in Betreff der Uebergabe der vor Metz stehenden Armee die von Herrn Régnier innerhalb der ihm vom Herrn Marschall zu ertheilenden Instructionen festzustellenden Bedingungen annehmen?« Der Marschall antwortete dem Chef des Generalstabes des Prinzen Friedrich Karl, General von Stiehle, er könne nur eine Capitulation annehmen, welche ihm die kriegerischen Ehren gewähre und in welche die Festung Metz nicht mit einbegriffen werde. Hierauf erfolgte keine Antwort.
Wer war Herr Régnier?
Ein Mann von 49 Jahren, der eine sehr mittelmäßige Schulbildung genossen, es aber dennoch bis zum Bachelier gebracht , dann etwas Medicin und etwas die Rechte studirt, sich eine Zeit lang auf den Magnetismus gelegt und 1848 eine sehr komische Rolle gespielt hatte, dann als junger Ehemann nach Algier gegangen war, wo er als Hülfschirurg angestellt wurde, sodann, nach Frankreich zurückgekehrt, die Ausbeutung eines Steinbruchs betrieben und endlich in England durch eine zweite Heirath sein Glück gemacht hatte; ein schlauer, dreister Mensch von gemeinem Benehmen, der sich für einen tiefen Politiker hielt und eine Menge Broschüren geschrieben hat. Wie kam er dazu, sich in die Ereignisse zu mischen? Durch eine Monomanie getrieben, wie Zeiten der Unruhe und der Revolution sie leicht mit sich führen , oder war er einfach ein Intrignant, der ein Gewerbe aus seinen Unterhandlungen machte? Das ist schwer zu entscheiden. Festgestellt ist, daß er am 13. September in Hastings war und sich der Kaiserin aufzudrängen versuchte, und am 20. in Ferrières, wo er bei Bismarck Audienz hatte und ihm eine Photographie überbrachte, welche dieser Jules Favre zeigte; sie stellte ein Seebad vor, und darunter stand geschrieben: »Dies ist die Ansicht von Hastings, welches ich für meinen guten Louis ausgewählt habe. Eugenie.« Am 26. taucht er in Bar-le-Duc auf und zeigt dort eine Photographie von Wilhelmshöhe mit einigen von Napoleon daruntergeschriebenen Worten; dann in London, wo er am 28. Audienz bei dem Prinzen Napoleon hat; dann wieder in Kassel, wo er kriegsgefangene französische Offiziere in politische Umtriebe zu verwickeln sucht; in Brüssel, in Versailles, wo er als Mitredacteur des » Moniteur prussien« eine Reihe von Artikeln unter dem Namen Jean Bonhomme veröffentlicht; dann wieder in Brüssel, zur Zeit des Waffenstillstandes. Hier trifft er General Boyer, dem er mittheilt, er begebe sich nach Versailles, um für eine Restauration der kaiserlichen Dynastie zu wirken. Endlich sieht ihn ein Bekannter am 18. Februar in Versailles; »ich weiß nicht«, sagt er, »ob Bismarck mich heute abreisen lassen wird«.
Bourbaki erfuhr in Hastings, daß die Kaiserin der Sache völlig fremd sei, und wurde bei seiner Rückkehr nicht wieder nach Metz hineingelassen. So endete der incident Régnier, welcher dem Berichterstatter wieder zwei schwere Anklagepunkte gegen Bazaine liefert: Erstens, daß er einem hergelaufenen Abenteurer ohne Vollmachten, der, wie er wußte, mit dem Feinde in Verbindung stand, ein wichtiges, folgenschweres Geheimniß verrieth, indem er ihm Mittheilungen über den Bestand der Lebensmittel für Menschen und Pferde machte, ja ihm den muthmaßlichen Endtermin, bis zu dem er sich nur halten könne, den 18. October, benannte. Bazaine bestreitet dies zwar. Gegen ihn spricht aber, daß in dem letzten ihm am 21. September von der Intendantur erstatteten Berichte in der That der 18. October als dieser Termin bezeichnet war.
Zweitens, daß er sich in Unterhandlungen einlassen, ja sich sogar verpflichten wollte, »die Bedingungen des mit dem Feinde zu schließenden Vertrages zur Geltung zu bringen«, d.h. im Nothfalle Gewalt gegen die vaterländischen Heere zu gebrauchen, und dies in dem Augenblicke, da er aus den von ihm selbst veröffentlichten Proclamationen ersehen hatte, daß die neue Regierung einen Krieg bis aufs Aeußerste beabsichtige, daß Paris sich drei Monate halten könne, daß in einer Nationalversammlung die Stimme des Volkes zur Geltung kommen werde. »Wäre dies nicht eher der Zeitpunkt gewesen, sich durch die energischsten Entschlüsse den Bestrebungen der Nation anzuschließen? Hätte er den Agenten, der ihm vorschlug, zu unterhandeln, statt zu kämpfen, nicht, statt ihn anzuhören, vor ein Kriegsgericht stellen sollen?«
Bis zum 20. September herrschte, wie im Berichte nun weiter ausgeführt wird, vollständige Unthätigkeit in Bazaines Heerlager, dann wurden einzelne kleine Ausfälle ohne jede einheitliche Leitung gemacht. Mit der Regierung der nationalen Vertheidigung setzte sich Bazaine zuerst durch eine Depesche vom 15. September in Verbindung, in welcher er seine Lage kurz schilderte und um Nachrichten und Instructionen bat. Es ist jedoch nicht festgestellt, ob diese Depesche ihren Bestimmungsort erreicht hat. Ein Duplicat derselben sendet er am 25. September ab; auch dieses ist verloren gegangen. Endlich übergibt er – der Bericht greift hier der Zeitfolge vor – am 21. October sechs verschiedenen Kundschaftern je eine Ausfertigung folgender Depesche: »Wiederholt habe ich Leute abgesandt, um nach Paris und Tours Nachrichten von der Armee von Metz zu überbringen. Seitdem hat sich unsere Lage nur verschlimmert, und ich habe niemals die geringste Mittheilung von Paris noch von Tours erhalten. Es wäre dringend wünschenswerth, zu wissen, was in Paris vorgeht, denn in kurzem wird der Hunger mich zu entscheidenden Entschließungen im Interesse Frankreichs und dieser Armee zwingen.« Diese Depesche gerieth in Gambettas Hände, aber sie war leider chiffrirt, und die Regierung besaß den Schlüssel nicht!
Es war im September leicht, von außen her mit Metz in Verbindung zu treten, der Marschall hat aber weder von den ihm angebotenen Diensten verschiedener Kundschafter noch von den aus Metz abgelassenen Ballons Gebrauch gemacht. Die Regierung ihrerseits hat alles Mögliche gethan, um Bazaine Nachrichten zugehen zu lassen und von ihm Kunde zu erhalten. Insbesondere ist er benachrichtigt worden, daß in Longwy, Diedenhofen und andern festen Plätzen des Nordens große Vorräthe für sein Heer lagerten; aber auch dies hat ihn nicht zu einer entscheidenden Anstrengung bewogen.
Der dritte Theil des Berichts endlich schildert die Capitulation und was derselben vorausging.
Régnier hatte, wie er behauptet, dem Marschall versprochen, ihm bis zum 30. September Antwort zukommen zu lassen. Der Unterintendant Gaffiot bekundet, daß er am 28. September den Marschall darauf aufmerksam machte, daß die Futtervorräthe zu Ende gingen; Bazaine fragte Boyer, wann wol voraussichtlich »der Internationale« zurückkehren werde, und befahl dann Gaffiot, allen Pferden am 1. October zwei Tagesrationen Hafer zu geben. Am 3. October erhielt die Armee Befehl, sich mit Lebensmitteln auf vier Tage zu versehen, und am 5. alle Kranken aus den Feldlazarethen nach Metz zu schaffen. Bazaine behauptet, unter dem »Internationalen« Bourbaki verstanden zu haben; da jedoch Boyer schon von Régnier erfahren hatte, daß Bourbaki nicht zurückkehren würde, konnte nur Régnier gemeint sein. Die von ihm getroffenen Maßregeln bezweckten aber nicht einen Ausfall, sondern einen mit Genehmigung des Feindes zu veranstaltenden Ausmarsch. Inzwischen mußte er aus Bismarcks und der Kaiserin Stillschweigen wol entnehmen, daß die Verhandlungen gescheitert seien. »In diesem Augenblicke hätte er noch auf den rechten Weg zurückkehren können. Alles gebot ihm, sich mit der Regierung der nationalen Vertheidiguug in Verbindung zu setzen; er mußte den Zusammentritt der Nationalversammlung unmittelbar bevorstehend glauben, denn die Vertagung der Wahlen wurde in der Provinz erst am 10. October bekannt. Die Nationalversammlung hätte in dieser großen Krisis allein das Recht gehabt, über den Frieden und dessen Bedingungen Beschluß zu fassen. Wenn wir nun den Marschall die Initiative zu neuen Verhandlungen ergreifen sehen – wie sollen wir dies Verhalten anders erklären als aus den Berechnungen des selbstsüchtigsten persönlichen Interesses? Der Artikel des ›Indépendant‹ von Rheims hatte ihm eine große politische Stellung dem Feinde gegenüber angewiesen; diese Stellung wollte er nicht verlieren.«
Am 7. Oktober berichtete der Festungscommandant, General Coffinières, daß die Vorräthe fast erschöpft seien. Der Marschall theilte dies allen Corpscommandanten mit und forderte sie auf, schriftlich ihre Meinung über die Lage auszusprechen. An demselben Tage ordnete er eine Unternehmung zur Herbeischaffung von Vorräthen an, welche in verschiedenen Orten der Umgegend lagern sollten. Er hat später behauptet, noch bei dieser Gelegenheit einen Durchbruch beabsichtigt zu haben, der aber, da einzelne Corps ihre Aufgaben nicht vollständig erfüllt hätten, nicht habe unternommen werden können. »Die Schlacht vom 7. October beweist, was der Marschall von dem Muthe seiner Truppen hätte erreichen können, wenn er nur an ihn appellirt hätte. – Ungeachtet der ungünstigsten Bedingungen trieb das tapfere Heer den Feind vor sich her, bis es Befehl erhielt, in das Lager zurückzukehren. Das Heer war also einer großen Anstrengung fähig. Hätte es die feindlichen Linien durchbrechen und das Innere Frankreichs gewinnen können? Man kann hierüber nur Vermuthungen aufstellen, aber wäre der Erfolg auch zweifelhaft gewesen, es hätte versucht werden müssen, denn einige Tage später war das Heer durch den Verlust der Pferde und durch Entbehrungen ohnmächtig geworden und nicht nur jede Aussicht auf Erfolg, sondern auch jede Möglichkeit eines ehrenvollen Kampfes war verschwunden.«
Am 10. October berief der Marschall einen Kriegsrath, ohne daß er jedoch den versammelten Generalen Mittheilung von den bereits gescheiterten Versuchen zu Unterhandlungen gemacht hätte. Es wurde einstimmig beschlossen:
1) solange als möglich bei Metz auszuhalten;
2) keine Unternehmungen mehr in der Umgebung der Festung zu machen, da dieselben voraussichtlich erfolglos sein würden;
3) in spätestens 48 Stunden Unterhandlungen mit dem Feinde zu eröffnen, um eine ehrenvolle und für alle annehmbare Convention abzuschließen;
4) falls der Feind Bedingungen stellen sollte, welche mit unserer Ehre und dem militärischen Pflichtgefühl unvereinbar wären, zu versuchen, mit Waffengewalt durchzubrechen.
Der vierte Beschluß wurde gefaßt, nachdem Coffinières Antrag, zuvor noch einmal das Glück der Waffen zu versuchen, mit Stimmenmehrheit verworfen worden war. Demgemäß begab sich dann am 12. October Boyer nach Versailles, wo ihm, nach seinem Berichte, Bismarck mittheilte, viele Städte im Norden würden den deutschen Truppen keinen Widerstand leisten, andere sie fast freudig begrüßen, Rouen sei ohne Schwertstreich genommen, im Süden herrsche völlige Anarchie u.s.w., ihm aber gleichzeitig verschiedene französische Zeitungen gab, die natürlich von alledem nichts enthielten, und schließlich folgende Bedingungen stellte: Man solle 1) versichern, daß die Rheinarmee der Regierung der Kaiserin treu bleiben werde, 2) eine Kundgebung des Heeres herbeiführen, wodurch es bezeugte, daß es der Kaiserin folgen werde, 3) die Unterschrift der Kaiserin zu den Friedenspräliminarien beschaffen. Wenn diese Bedingungen erfüllt würden, solle der Rheinarmee freier Abzug mit Waffen und Kriegsmaterial zugestanden werden. Boyer kehrt nach Metz zurück; er berichtet, was er von dem Kanzler erfahren haben will, »es ist aber unglaublich, daß Herr von Bismarck ihm jene Mittheilungen gemacht hat, denn abgesehen davon, daß auch die Schlauheit ihre Grenzen hat, wie kann man glauben, daß Herr von Bismarck sich in dieser Weise ausgedrückt haben sollte, während er dem General französische Zeitungen gab, welche weit davon entfernt waren, diese Nachrichten zu bestätigen? Man muß also nothgedrungen annehmen, daß der General dieselben mindestens entstellt hat. Dies aber zugegeben, kann man dann glauben, daß der letztere dem Kriegsrath gegenüber aus freien Stücken, ohne Genehmigung des Marschalls, eine solche Haltung angenommen habe? Nicht für einen Augenblick ist diese Annahme haltbar. Die Untersuchung hat ergeben, daß der Vorpostencommandant Arnous-Rivière dem General Boyer bei dessen Ankunft bei den Vorposten einen Brief zu übergeben hatte«. Es wurde nämlich am 18. October abermals Kriegsrath gehalten, in welchem Boyer Bericht über seine Sendung erstattete. Die anwesenden Generale erklären, sich noch immer durch den dem Kaiser geleisteten Eid für gebunden zu halten, zweifeln aber, ob das Heer, wenn es Metz einmal verlassen habe, ihnen folgen werde; über die zweite Bedingung wird keine Discussion eröffnet, da es nur der Kaiserin zustehe, über die Zweckmäßigkeit eines solchen Schrittes zu urtheilen; in Betreff der dritten ist man darüber einig, daß der Marschall keinen Auftrag der Regentin, über den Frieden zu unterhandeln, annehmen werde, da seine Aufgabe eine lediglich militärische sei. Sodann wird darüber verhandelt, ob das Heer sich jenen Anforderungen noch entziehen könne. Alle sind einig, daß jeder Durchbruchsversuch höchst wahrscheinlich scheitern werde. Einzelne wollen ihn dennoch versuchen, z.B. Leboeuf als »eine ruhmvolle Thorheit«. Endlich wird beschlossen, Boyer nach Hastings zur Kaiserin zu senden. Er reist am 19. früh ab. Am 24. erhielt Bazaine durch den Prinzen Friedrich Karl ein Telegramm Bismarcks, worin es heißt: »General Boyer wünscht, daß ich Ihnen folgendes Telegramm mittheile: ›Die Kaiserin, welche ich gesehen habe, wird die größten Anstrengungen zu Gunsten der Armee von Metz machen, welche der Gegenstand ihrer tiefen Besorgniß ist und mit der sie sich fortwährend beschäftigt.‹« Darauf erklärt aber der Kanzler, da keine der gestellten Bedingungen erfüllt sei, und die ihm von Hastings aus gemachten Anerbietungen völlig unannehmbar seien, sehe er keine Möglichkeit zu weitern politischen Unterhandlungen.
»Da die Unterhandlungen gescheitert waren, so war jetzt der Augenblick gekommen, um jenen letzten Kampf zu wagen , welchen alle Mitglieder des Kriegsgerichts vom 10. October für unerläßlich zur Rettung der Waffenehre gehalten hatten.« Freilich hätte dazu der Geist des Heeres auf seiner Höhe erhalten worden sein müssen, der Marschall hatte aber alles gethan, um dasselbe zu entmuthigen, indem er die von Boyer überbrachten Nachrichten, sowie eine noch dazu sehr übertriebene Darstellung der vom Feinde zur Abwehr jedes Ausfalles aufgeworfenen Verschanzungen den Soldaten bekannt zu machen befohlen hatte, obschon das Decret von 1863 ausdrücklich befiehlt: »Der Oberbefehlshaber einer Festung muß gegen die Nachrichten, welche der Feind ihm zukommen läßt, taub bleiben, und darf seinen Muth und den der Besatzung nicht durch die Ereignisse erschüttern lassen.« Die Presse wurde von ihm in demselben Sinne beeinflußt. Günstige Nachrichten, Artikel, welche sich gegen jede Capitulation aussprachen oder nachzuweisen suchten, daß die Lage noch keineswegs verzweifelt sei, durften so wenig aufgenommen werden als eine Widerlegung der Boyerschen Nachrichten, während andererseits diese sowie alle Nachrichten über die Stärke und die Erfolge des Feindes auf Befehl des Marschalls veröffentlicht werden mußten.
Wenn es aber jetzt zu spät war, zu kämpfen, so war wenigstens noch Zeit, den größten Theil des Kriegsmaterials zu vernichten. In dem am 24. gehaltenen Kriegsrathe war auch hiervon die Rede, ein Mitglied erklärte aber, »es werde würdiger sein, sich nicht auf Zerstörungen einzulassen, welche ernste Unordnungen veranlassen könnten«, und man ließ die Frage fallen; dagegen wurde beschlossen, General Changarnier solle dem Prinzen Friedrich Karl folgende Bedingungen anbieten:
Zunächst: die Armee und das von ihr besetzte Gebiet solle für neutral erklärt, ein Waffenstillstand mit Genehmigung der Verproviantirung geschlossen und die Landesvertretung aufgefordert werden, Friedensverhandlungen anzuknüpfen.
Wenn dies nicht gewählt würde: Internirung des Heeres auf irgendeinem Theile des französischen Gebietes.
Endlich, wenn auch dies nicht zu erlangen wäre: Sendung des Heeres nach Algier.
»Es ist schwer zu glauben, daß Bazaine auch nur einen Augenblick die Annahme dieser Anerbietungen gehofft hätte«, und in der That wurde Changarnier zwar äußerst höflich empfangen, aber alle seine Vorschläge lehnte man auf das bestimmteste ab.
Jetzt mußte auf alle Bedingungen hin capitulirt werden. Schon am 13. waren die Vorräthe der Intendantur erschöpft, und man mußte sich an die städtischen Behörden wenden, um wenigstens etwas Getreide zum Unterhalt der Truppen zu erlangen; gleichzeitig hatte der Marschall die Bildung eines »Ausschusses zur Ueberwachung der Proviantvorräthe« befohlen. »Es konnte wol kaum ernst gemeint sein, daß dieser bis dahin für überflüssig gehaltene Ausschuß in dem Augenblick gebildet wurde, als er nur noch leere Magazine zu überwachen vorfand.« Am 24. zeigte der Intendant Lebrun an, daß er den Truppen nur noch etwas Reis und für einen Tag Kaffee geben könne; danach schien es nicht möglich, den Widerstand länger fortzusetzen, und General Cissey wurde am 25. beauftragt, sich in das feindliche Hauptquartier zu begeben, um zu fragen, welches die Bedingungen einer die Festung nicht mit umfassenden Capitulation sein würden. Er erhielt den Bescheid, daß die Bedingungen dieselben seien als die dem Heere Mac-Mahons auferlegten, und daß das Schicksal der Festung von dem des Heeres nicht getrennt werden könne. Ein am 26. abgehaltener Kriegsrath beschloß, diese Bedingungen, obschon sie für äußerst hart gehalten wurden, doch im allgemeinen anzunehmen, und noch an demselben Tage begab sich General Jarras mit den Oberstlieutenants Fay und Samuel nach Frascati, wo das Hauptquartier des Prinzen sich befand, um den Vertrag abzuschließen. Vor ihrer Abreise meldete der Intendant dem Marschall, daß er noch Brot für drei bis vier Tage gefunden habe; der Marschall schien hierauf kein Gewicht zu legen, sondern ließ seine Bevollmächtigten ohne Aufenthalt abreisen. »Und es wäre doch seine Pflicht gewesen, auch diesen Aufschub zu benutzen, da man nur auf Grund der Erschöpfung der Vorräthe beschlossen hatte, die Unterhandlungen zu eröffnen. Diese Hast war um so strafbarer, als das Reglement jedem Festungscommandanten vorschreibt, bis zum Alleräußersten standzuhalten und nie aus den Augen zu verlieren, daß davon, ob die Uebergabe einer Festung einen Tag früher oder später erfolgt, das Wohl des Vaterlandes abhängen kann. Es scheint, als hätte der Gesetzgeber in diesem Satze die Ereignisse, wie sie sich jetzt entwickeln sollten, vorausgesehen. In der That begann in diesem Augenblicke die Loirearmee ihre Unternehmungen und trat jenen Vormarsch in der Richtung auf Paris an, der nur durch die Ankunft der Truppen des Prinzen Friedrich Karl gehemmt wurde. Ju diesem Augenblicke hatten auch Herr Thiers uud die Regierung der nationalen Vertheidigung Unterhandlungen angeknüpft; man weiß, daß dieselben, bereits ganz nahe am Ziele, nur infolge der in Paris durch die Capitulation von Metz hervorgerufenen Emeute scheiterten. Danach kann man ermessen, welches die Folgen einer Verlängerung des Widerstandes um einige Tage hätten sein können!«
Die Verhandlungen zwischen den Generalen von Stiehle und Jarras begannen damit, daß ersterer seine Vollmachten vorzeigte, während letzterer die seinigen nicht mitgebracht hatte; er zweifelt aber nicht, daß dessenungeachtet seine Unterschrift schon an diesem Tage angenommen sein würde, denn, sagt er, es war leicht zu erkennen, daß der Feind Eile hatte, zum Abschluß zu gelangen. Einige Punkte blieben an diesem Tage jedoch noch streitig; französischerseits verlangte man, daß den Offizieren die Degen belassen würden, und Ausmarsch mit kriegerischen Ehren, d.i. Vorbeimarsch unter Waffen vor dem Sieger, bevor die Waffen gestreckt werden. Jarras kehrte nach Metz zurück und erstattete dem Marschall Bericht, worauf dieser wiederholt und bestimmt erklärte, daß er die kriegerischen Ehren acceptire, aber den Vorbeimarsch verweigere. Hierbei blieb er auch stehen, obschon ihm bemerkt wurde, daß beides unzertrennlich sei. Im Laufe des 27. theilte General von Stiehle mit, der König willige in den Ausmarsch mit kriegerischen Ehren, und wolle denjenigen Offizieren, welche sich auf Ehrenwort verpflichten würden, während des Krieges nicht mehr gegen Deutschland zu kämpfen, die Degen belassen. Am Abend des 27. fanden die Schlußverhandlungen statt, bei welchen der General von Stiehle über die Ablehnung des tags zuvor so entschieden gewünschten Vorbeimarsches sehr verwundert war. Außerdem hatte der Marschall dem General Jarras befohlen, zu erklären, daß es in Frankreich üblich sei, nach einer Revolution die den Truppen von der gestürzten Regierung verliehenen Fahnen zu zerstören, und daß demgemäß einige Fahnen verbrannt worden seien. Jarras sprach seinen Zweifel darüber aus, ob der Prinz dies wol glauben würde, und stieß allerdings auf den entschiedensten, wenn auch in höflicher Form geäußerten Unglauben. Es wurde also bestimmt, daß alle Fahnen, die noch vorhanden seien, abgeliefert werden müßten.
Mit den Fahnen aber hatte es folgende Bewandtniß:
Am 26. theilte der Marschall den Corpscommandanten die Feindlichen Bedingungen mit. »Und die Fahnen?« fragte General Desvaux. »Richtig!« entgegnete der Marschall, und befahl laut, alle Fahnen in das Zeughaus zu schaffen, wo sie verbrannt werden sollten. Die Zeugenaussagen schwanken indessen über diesen Punkt; andere der Anwesenden, z. B. Leboeuf, Ladmirault und Frossard, wollen davon nichts gehört haben, während General Soleille nach verschiedenen Widersprüchen erklärt hat, der Marschall habe ihm mündlich Befehl ertheilt, die Fahnen ins Zeughaus schaffen und dort verbrennen zu lassen. Auch den Truppen wurde ausdrücklich eröffnet, daß die Fahnen verbrannt werden sollten, der Zeughauscommandant, Oberst Girels, erhielt dagegen von Soleille Befehl, die Fahnen sorgfältig aufzubewahren. Einzelne Truppentheile vernichteten dessenungeachtet, theils aus eigenem Antriebe, theils auf Befehl ihrer Vorgesetzten, ihre Fahnen und Adler, die andern wurden abgeliefert und, 53 an der Zahl, dem Feinde übergeben. »Hätte der Marschall die Fahnen verbrennen lassen wollen, so würde er dies dem Zeughausdirector befohlen haben. Es gab noch ein einfacheres Mittel: die Sorge hierfür den Corpsführern zu überlassen. Ein Wort hätte genügt, und die Fahnen der französischen Armee wären nicht nach Berlin gekommen. Dies Wort hat der Marschall nicht gesprochen, und so trägt die Anklage kein Bedenken zu erklären, daß der Marschall in diesem traurigen Falle gegen Pflicht und Ehre gehandelt hat.«
Am 28. wurde die abgeschlossene Capitulation im Kriegsrathe vorgetragen und genehmigt. »So endete die Rheinarmee, ein Opfer der ehrgeizigen Plane ihres Führers; so wurde die Festung Metz mit in ihren Fall hinabgerissen, während sie, sich selbst überlassen, dem Feinde bis zum Waffenstillstande hätte Widerstand leisten können. So wurde Lothringen preußisch. Der Feldzug von Metz, dessen Anfänge durch eine Reihe für beide Heere gleich ehrenvoller Schlachten gekennzeichnet sind, wurde nach dem 1. September durch einen unterirdischen Kampf fortgesetzt. Was die Kraft edel begonnen hatte, wurde von der List beendet.« –
Auch in Betreff der Capitulationsbedingungen macht der Berichterstatter dem Marschall noch verschiedene Vorwürfe, sucht dann nachzuweisen, daß er durch zweckmäßigere Vertheilung der Lebensmittel den Widerstand bis zum 29. November, ja bis zum 1. Januar hätte verlängern können, und schließt mit einer Zusammenstellung der einzelnen Anklagepunkte, die jedoch hier übergangen werden kann, da sie nur eine Wiederholung der Behauptungen des Berichts enthält, auch nicht zur Grundlage der Verhandlungen gedient hat.
Dies war die Anklage, gegen welche sich Marschall Bazaine in dem zum Gerichtssaal umgeschaffenen Lustschlosse zu Trianon im Parke von Versailles zu verantworten hatte. General von Witzleben hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, mit welcher Kunst dieselbe darauf berechnet war, bei keiner politischen Partei anzustoßen. Die Radicalen, sagt er, sahen mit Genugthuung, daß die Verfolgung Bazaines ganz im Geiste der Proclamation Gambettas fortgesetzt, und daß alles vermieden wurde, was das Gouvernement vom 4. September irgendwie compromittiren konnte; die Republikaner aller Schattirungen und die Legitimisten haßten in Bazaine ohnehin einen gefährlichen politischen Gegner; die Bonapartisten, Bazaines Parteigenossen, wurden dadurch gewonnen, daß die Anklage sich nicht nur von jedem Angriffe gegen die gestürzte kaiserliche Regierung fern hielt, sondern sogar die Rechtfertigung derselben unternahm, indem sie alle Schuld des Kaisers und der Regentschaft auf Bazaines Schultern lud und den Patriotismus der verbannten Kaiserin offen verherrlichte. Die Orléanisten endlich wurden mehr als zufrieden gestellt durch die Ernennung des Herzogs von Aumale zum Präsidenten des Kriegsgerichtes. Man muß übrigens zugeben, daß die Wahl eine glückliche war; der Herzog hat sich seiner Aufgabe mit großer Sicherheit und Gewandtheit erledigt, und wenn er nach deutschen Begriffen bisweilen die Pflicht der Unparteilichkeit nicht so streng beobachtet hat, als dem Leiter einer so wichtigen Verhandlung geziemt, so ist er darin nur einem in Frankreich von Fachjuristen nur zu oft gegebenen Beispiele gefolgt. Die Rolle des Staatsanwalts hatte als Regierungscommissar General Pourcet übernommen, der, während des Krieges von Algier nach Frankreich berufen, ein Commando in der Loirearmee geführt hatte. Beisitzer waren die Generale de la Motterouge, ebenfalls von der Loirearmee, de Chabaud-Latour, während des Krieges Befehlshaber des Geniecorps in Paris, Tripier, ebenfalls mit einem Commando in Paris betraut und nachher wackerer Kämpfer gegen die Commune, Princeteau, früher in ägyptischen Diensten, bei dem Kampfe gegen die Commune Artilleriechef der versailler Armee, Martineau-Deschenez und Ressayon von der Loirearmee. Als Vertheidiger fungirte der allen Lesern des »Pitaval« aus dem Traupmannschen Processe, aber auch aus den schmachvollen Processen wegen Ermordung deutscher Soldaten wohlbekannte Lachaud.
Der Angeklagte, Marschall Franz Achilles Bazaine, ist 1811 zu Versailles geboren. Von seinen Aeltern zum Kaufmann bestimmt, fand er an den Anfangsgründen dieses Berufes so wenig Behagen, daß er sich 1831 als gemeiner Soldat bei den Chasseurs dOrléans anwerben ließ, mit denen er wenige Tage später nach Algier eingeschifft wurde. Er zeichnete sich vor Konstantine und bei andern Gelegenheiten aus, avancirte bald zum Lieutenant, trat als Hauptmann zur Fremdenlegion über und kämpfte dann eine Zeit lang im Heere der Königin Christine gegen die Karlisten. Im Jahre 1841 diente er abermals mit Auszeichnung in Algier unter dem Befehle des Herzogs von Aumale, verheirathete sich 1848 zum ersten mal, wurde Oberst und Brigadegeneral, half Sewastopol erobern und kehrte als Divisionsgeneral zurück, um später den unglücklichen Kaiser Maximilian nach Mexico zu begleiten, woselbst er zum Marschall ernannt wurde, und, inzwischen Witwer geworden, eine reiche Creolin heirathete. Daß seine dortige Haltung eine höchst zweideutige war, daß er den Kaiser schließlich in der traurigsten Lage verließ, ist bekannt; ob ihm aber die Schuld zur Last fällt, oder ob er nur Napeleons Befehlen folgte, ist noch nicht aufgeklärt. In Frankreich hörte man seitdem nicht viel von ihm, doch war er, wie oben erwähnt ist, für den Fall eines Krieges von vornherein zu wichtigen Commandos bestimmt. Den Eindruck seiner Persönlichkeit schildert ein deutscher Berichterstatter folgendermaßen:
Dem Gesicht nach ein stets knurrender Bulldog von massivem Bau, breit geschultert, klein, untersetzt, wohlbeleibt, ist die Gestalt des angeklagten Marschalls nicht leicht zu skizziren. Wenn man ihn vor seinem kleinen Tischchen sitzen sieht, auf den Arm des rothen Fauteuils zurückgelehnt, oder die Brille auf der Nase die Papiere durchstöbernd, so muß man eine gute Weile nachdenken, ehe man den richtigen Ausdruck dieser Physiognomie wahrnimmt. Auf den ersten Blick zwar gleicht er einem behäbigen, ziemlich bornirten, aber mit sich selbst und seinem Lose zufriedenen Bürger, der für die Sache, welche sich hier abwickelt, nur das beschränkte Interesse eines Zuschauers bekundet. Beobachtet man aber mit Aufmerksamkeit die kleinen glitzernden Augen, sucht man jeden Strahl, den sie werfen, zu analysiren, weiß man die Bedeutung jeder der nervösen Geberden, deren sich Bazaine besonders anfangs nicht zu erwehren wußte, abzuschätzen, so wird die Vermuthung auftauchen, daß diese phlegmatisch-olympische Haltung eiue bloße Maske ist, und daß, wenn der Angeklagte seinen innern Trieben nachgeben würde, an stürmischen Zwischenfällen und aufregenden Scenen kein Mangel wäre.
Am 6. October 1873, mittags 1 Uhr, rief der dienstthuende Sergeant zum ersten mal sein »Dedout, le Conseil!« durch den Saal. Man hörte vor der Thür das Commando der Wachthabenden: Portez armes! – »Présentez armes!« dann trat das Kriegsgericht in den Saal, alle Mitglieder in voller Uniform, als letzter der Präsident, Herzog von Aumale, Inhaber des ältesten Generalpatents. Gleichzeitig erschien durch eine andere Thür, in Begleitung seines Adjutanten, des Obersten Vilette, und von einem Offizier escortirt, der Marschall Bazaine, ebenfalls in der Marschallsuniform und mit allen seinen Orden geschmückt. Der Präsident und er verneigten sich leicht voreinander; ersterer erklärte die Sitzung für eröffnet. Die Zeugen wurden aufgerufen und meldeten sich; es waren Namen unter ihnen, bei deren Nennung das zahlreiche, großenteils vornehme Publikum in Aufregung gerieth: Rouher, Leboeuf, Stoffel u. a.; General Soleille ließ sich krank melden, Régnier erschien, ein alter Herr mit schneeweißem Haar, aber jugendlich blitzenden Augen, der allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Dann wurden tagelang Schriftstücke verlesen, so Rivières Bericht, der Beschluß des Kriegsministers, durch welchen der Marschall vor das Kriegsgericht verwiesen wurde, eine vom Angeklagten eingereichte Verteidigungsschrift (Mémoire justificatif), und erst am 13. October begann die Vernehmung Bazaines. Zuver aber erklärte Aumale, daß er bei dem Verhöre des Angeklagten wie der Zeugen folgende Eintheiluug beobachten werde:
1) Ueberuahme des Oberbefehls;
2) militärische Operationen vom 13. bis 19. August;
3) Verbindungen mit dem Kaiser, der Regierung, dem Marschall Mac-Mahon u. a.;
4) militärische Operationen bis zum 1. September;
5) Vertheidigung und Verproviantirung von Metz;
6) Vorfälle und Maßregeln während des Septembers;
7) Verbindungen mit der Regierung der nationalen Vertheidigung;
8) letzte Unterhandlungen;
9) Capitulation.
»Kraft meiner discretionären Gewalt«, setzt er aber hinzu, »behalte ich mir vor, geeignetenfalls davon insoweit abzuweichen, als es mir nöthig scheinen sollte, um meinen Zweck, den einzigen, den ich verfolge und verfolgen muß, zu erreichen, nämlich die Erforschung der Wahrheit.« Er bedeutet den Marschall durch eine Handbewegung, daß er sitzen bleiben möge, und das Verhör beginnt.
»Herr Marschall«, so hebt der Präsident an, »Sie sind durch Befehl vom 12. August zum Oberbefehlshaber der Rheinarmee ernannt worden. Von diesem Zeitpunkte an beginnt Ihre Verantwortlichkeit, ich beabsichtige daher auch nur von da ab auf die Ereignisse näher einzugehen.« Doch schickt er einige Fragen voraus, um die Sachlage vor diesem Tage klar zu stellen. Aus denselben und den Antworten Bazaines ergibt sich, daß die Aufstellung, welche die Armee am 5. August genommen, den Zweck hatte, die Offensive zu ergreifen. Ueber den 6. August (Spicheren) wird Stillschweigen beobachtet. Am 7. war nur von einer Concentration der unter des Marschalls Befehl gestellten 2., 3., 4. Corps und der Garde um Metz, aber noch nicht von Châlons die Rede. Am 9. kam der Kaiser in Bazaines Hauptquartier nach Faulquemont, Bazaine rieth zu einem Rückzuge des ganzen Heeres auf Nancy, der Kaiser lehnte dies aber ab, um Paris nicht zu entblößen, und gab Befehl, das Heer solle sich auf eine Defensivschlacht vorbereiten. Am 10. wurde befohlen, die Bazaineschen Corps sollten sich unter die Kanonen von Queuleu und Saint-Julien zurückziehen; dies geschah. Am 12. wurde Bazaine der Oberbefehl übertragen. Er versichert, allen etwa dahin abzielenden Schritten völlig fremd gewesen zu sein und den Kaiser sofort darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß noch ältere Marschälle vorhanden seien. »Marschall Canrobert hatte aber die Güte mir zu sagen, meine Ernennung werde von der öffentlichen Meinung und von der der Armee gefordert; ich dankte ihm herzlich und nahm den Oberbefehl an.« Gegen die Ernennung des Generals Jarras zum Chef seines Generalstabes hatte Bazaine keine Einwendungen zu machen.
Dem zum Commandanten von Metz ernannten General Coffinières hatte der Kaiser befohlen, Brücken über die Mosel und Seille schlagen zu lassen; Bazaine befahl nun den Uebergang, indem er im allgemeinen die Richtung angab, die Ausführung im Einzelnen aber den Corpsführern überließ. Inzwischen erfuhr er, daß der Feind eine Schwenkung mache, und hoffte, die Offensive ergreifen, den Feind über die Nied zurückwerfen und womöglich nach Frouard gelangen zu können. Er schrieb dies am 13. abends 9 Uhr dem Kaiser, erhielt aber um 11 Uhr den Befehl, unter allen Umständen den Uebergang zu bewerkstelligen, der denn auch am 14. stattfand. »Das Heer« – sagt Aumale – »war schon auf dem linken Ufer, nur ein Theil des 4., das 3. und Gardecorps standen noch bei Borny, als der Feind angriff. Sie begaben sich sofort auf den Kampfplatz und ertheilten Ihre Befehle. Ein Granatsplitter zerschlug Ihre Epaulette, Sie achteten die Contusion nicht. Der Kampf war glänzend für unsere Waffen; der Feind mußte sich am Abend auf allen Seiten zurückziehen.« »Aber«, bemerkt der Marschall, »der Kampf hatte den Uebergang um mindestens 12 Stunden verzögert, ohne denselben wäre er am 14. vollendet worden; wenn einzelne Divisionen wegen Verstopfung der Wege nicht an den ihnen angewiesenen Punkten eintreffen konnten, so hatten ihre Führer Fehler begangen. Die Haltung der Truppen bei Borny war vortrefflich, sie waren nur etwas zu leidenschaftlich und verschwendeten zu viel Munition. Noch am 14. abends gab der Kaiser Befehl, einen Theil des Trains zu entlassen, der uns sehr behindert hatte.« Am 16. früh ließ er Bazaine rufen und eröffnete ihm, er beabsichtige, unverweilt den Rückzug nach Châlons fortzusetzen; er stieg zu Gravelotte zu Wagen und fuhr unter Bedeckung der Gardecavalerie ab. »Haben Sie ihm Ihren Plan mitgetheilt?« »Wir waren schon darüber einig geworden, was zu thun sei. Ich sollte mich auf Verdun dirigiren, aber wohl zu bemerken! unter der Voraussicht, daß ich vielleicht auch genöthigt werden könnte, bei Metz zu bleiben, dies könne sich nur nach den Umständen entscheiden. Wir glaubten am 16. früh nicht von so beträchtlichen Streitkräften angegriffen zu werden; man glaubte nur etwa 30000 Mann vor sich zu haben.«
Es folgen einige schmeichelhafte Bemerkungen über die Haltung des Angeklagten in der Schlacht vom 16.: »Selbst in dem Augenblicke angegriffen, als Sie von der Höhe von Rezonville das Schlachtfeld übersahen, zeigten Sie ihre gewohnte Tapferkeit. Sie wurden von feindlicher Cavalerie umringt und mußten den Degen zur Hand nehmen?«
»Das waren braunschweiger Husaren!«
»Glauben Sie nicht, daß es am 16. abends möglich gewesen wäre, Mars-la-Tour und Vionville wieder einzunehmen? Sie hatten gute Resultate erzielt; weshalb zogen Sie die Division Montaudon zurück und schoben sie auf Ihren rechten Flügel?« – »Weil ich den Feind von dieser Seite her fürchtete.« »Glaubten Sie, daß das Endergebniß dieses Tages gewesen sei, Ihnen fortan den Weg nach Verdun zu sperren?« »Auf der Straße über Etain, ja, auf den andern nicht.« »Hielten Sie es am 17. morgens nicht für möglich, die festen Stellungen zu nehmen, die der Feind auf dem Wege aufgeworfen hatte?« – »Nein, Herr Präsident, nein! Wir waren nicht genug in Ordnung. Wir mußten unsere Schlachtlinien, unsere taktische Einheit wiederherstellen.« »Wäre es Ihnen nicht möglich gewesen, den Marsch nach Verdun von andern Punkten aus fortzusetzen?« »Nein, das Terrain war schwierig, und der Feind würde uns unter für uns ungünstigen Bedingungen angegriffen haben.« »Konnten Sie dann nicht wenigstens Ihre Stellungen vom 16. verbessern und verschanzen?« »Ich dachte wol daran, aber das Terrain ist ungefähr, wissen Sie, wie das in Afrika; man sieht die Stellungen nicht recht, und es war schwer für uns, dort zu manövriren.«
Nach einigen Erörterungen über Munitions- und Proviantverhältnisse und über die Vorzüge der von Bazaine anfangs gewählten Aufstellung Vigueulles-Lassy, über welche er eine Abhandlung eines Stabsoffiziers verliest, die er aber schließlich gegen eine andere – Rozérieulles-Saint-Privat – vertauschte, bemerkt der Präsident, die gewählte Stellung lasse nicht auf die Absicht, Metz zu verlassen, schließen, und geht dann zur Schlacht vom 18. über, in Betreff deren Bazaine den Vorwurf, Canrobert nicht ausreichend unterstützt zu haben, im wesentlichen damit zurückzuweisen sucht, daß Bourbaki, Commandeur der in Reserve stehenden Garden und ein äußerst begabter Offizier, selbst hätte wissen müssen, was zu thun sei. Er wiederholt dann, daß er durchaus nicht den ausdrücklichen und bestimmten Befehl gehabt habe, um jeden Preis nach Verdun zu marschiren; alles hätte sich nach den Umständen richten sollen. »Der Kaiser hatte mir sogar ausdrücklich anempfohlen, keine Wagstücke zu unternehmen, mich nicht an der Mosel entlang zu schieben und mich keinem Unfalle auszusetzen. Gewiß wußte der Kaiser, daß ich, wenn ich nicht auf Verdun marschiren könnte, auf Briey und nach Norden marschiren würde, aber immer nur unter günstigen Bedingungen. Da ich diese noch nicht finden konnte, wollte ich das deutsche Heer vor Metz festhalten, bis die militärische Lage mir erlauben würde, insgeheim meinen Marsch wieder zu beginnen.«
»Glauben Sie, Herr Marschall, daß es Ihnen am 19. August, dem Tage nach Saint-Privat, möglich gewesen wäre, die Zugänge der Höhen des linken Ufers zu halten, indem Sie die Stellung von Blémont eingenommen hätten?«
»Diesen Plan mußte ich für den Augenblick aufgeben. Wir hatten keine Cadres mehr. Das Heer hatte sich gut und ruhmvoll geschlagen, es hatte dem Feinde ungeheuere Verluste beigebracht, es hatte aber auch selbst gelitten. Mehr als 12000 Mann waren außer Gefecht gesetzt. Ich hatte Regimenter, die von einem Hauptmann geführt wurden. Ich glaube, es wäre mir unmöglich gewesen, sogleich etwas zu unternehmen, ehe die Cadres wiederhergestellt waren.«
Mit außerordentlicher Gründlichkeit wird der dritte Theil – Communication mit dem Kaiser, Mac-Mahon u. a. – behandelt.
Zuerst erwähnt der Präsident eine telegraphische Depesche vom 17., an den Kriegsminister, welche ganz kurz von den Schlachten von Borny und von Rezonville spricht. »War dies die erste, welche Sie nach der Schlacht von Rezonville abgesandt haben?« Der Marschall hat am 16. abends einen andern Bericht durch den Gesandtschaftssecretär Debains an den Kaiser geschickt. »In letzterm, nicht aber im Telegramm, war von dem Mangel an Lebensmitteln und Munition die Rede. Warum nicht im Telegramm?« Der Marschall hat im Augenblick der Absendung nicht daran gedacht; »übrigens habe ich nie von absolutem Mangel gesprochen; ich sprach von einem gewissen Mangel der Festung, nicht des Heeres«. Am 17. fragt ein Adjutant des Kaisers durch Telegramm bei Coffinières an: »Haben Sie Nachrichten vom Heere? schicken Sie sie sofort an Se. Majestät!« Bazaine antwortet umgehend in längerer Depesche, in welcher es unter anderm heißt: »Ich denke mich übermorgen in mehr nördlicher Richtung wieder in Marsch zu setzen, über die linke Flanke der Stellung von Haudioncourt, falls der Feind die Straße nach Verdun uns verlegt hätte.«
»Glauben Sie nicht, Herr Marschall, daß man hiernach glauben mußte. Sie würden auf Briey marschiren?« – »Das war auch meine Absicht, aber man muß die Depeschen zu deuten wissen. Im Kriege gibt es nichts Bestimmtes.«
Gleichzeitig telegraphirt Coffinières an den Kaiser: »Gestern sehr ernstes Gefecht bei Gravelotte, wir haben gesiegt, aber unsere Verluste sind sehr groß. Der Marschall hat sich bei Metz zusammengezogen und lagert auf den Höhen von Plappeville. Wir bitten um Zwieback und Pulver. Metz ist beinahe eingeschlossen.« Bazaine hatte keine Kenntniß von dieser Depesche, welche seine Ansicht auch nur unvollständig wiedergibt. Sie beunruhigte aber den Kaiser sehr; er telegraphirte sofort an Bazaine: »Sagen Sie mir die Wahrheit über die Lage.« Dieser antwortet, er werde ihm seinen Adjutanten Magnan senden; er hielt dies für sicherer als ein Telegramm; der Kaiser wußte nach seiner Ansicht genau, wie es mit Munition und Lebensmitteln stand, und wollte nur »die taktische Wahrheit« wissen. Magnan überbrachte dem Kaiser einen Bericht, in welchem es unter anderm wieder heißt: »Wenn es möglich ist, breche ich in zwei Tagen wieder auf und werde über Briey marschiren«; beigefügt war ein ziemlich trüber Bericht des Generals Soleille über den Munitionsmangel. Ehe derselbe aber verlesen wurde, erbat sich Marschall Mac-Mahon das Wort und las eine ihm vom Kaiser zugestellte Depesche aus – Konstantinopel vor, in welcher dem Kaiser mitgetheilt wird, die deutsche Armee beabsichtige, auf Châlons zu marschiren, und gewisse Mächte erwarteten nur einen französischen Sieg, um sich sofort für Frankreich zu erklären. Diese Note findet sich nicht in den Acten, bemerkt der Präsident; Bazaine entgegnet, sie sei mit einem Namen unterzeichnet, den er nicht zu veröffentlichen wünsche, und der Kaiser habe sie für besonders wichtig gehalten. Sie wurde darauf unter Geheimhaltung des Namens zu den Acten genommen.
Es folgt eine Depesche vom 19. August, in welchem Bazaine über die Schlacht von Saint-Privat berichtet und hinzufügt: »Ich beabsichtige nach wie vor, die Richtung nach Norden einzuschlagen und mich dann über Montmédy auf die Straße nach Saint-Menehould und Châlons herabzuziehen, wenn sie nicht stark besetzt ist; in diesem Falle werde ich über Sedan und selbst Mézieres marschiren, um Châlons zu erreichen.« »Ich hatte in der That diese Absicht«, bemerkt der Marschall, »Magnan sollte dies auch dem Kaiser mittheilen, aber ich wartete auf Instructionen, man hat wol Plane und Gedanken, aber man steht nicht allein da, um sie durchzuführen, man muß mit dem Feinde rechnen, bei der Ausführung ist man stets zu zweien!« Die Frage, ob Magnan auch dem Marschall Mac-Mahon schriftliche Befehle zu überbringen hatte, verneint Bazaine: »Der Marschall stand unter meinem Befehl, und dies war eine große Ehre für mich, aber er war zu entfernt von meinen Operationen, nnd ich kannte die seinigen zu wenig, als daß ich ihm bestimmte Bewegungen hätte vorschreiben können.«
Mac-Mahon seinerseits hatte verschiedene Depeschen an Bazaine gerichtet, eine am 14.: »Ich bin mit allen meinen Truppen in Neufchâteau; meine Artillerie und meine Reserve sind auf dem Marsche nach Châlons.« Diese behauptet der Marschall nie erhalten zu haben. Dann zwei am 16. und eine am 18; in letzterer zeigt er an, daß er in Châlons eingetroffen sei. Am 18. nachmittags benachrichtigt ihn Bazaine, daß sein Marsch auf Verdun durch die Schlachten vom 14. und 16. aufgehalten sei und er sich zunächst nördlich von Metz halten und dort verproviantiren müsse. Am 20. erhält er eine Depesche Mac-Mahons: »Wenn Sie, wie ich glaube, in nächster Zeit zum Rückzüge gezwungen sein werden, so weiß ich bei der Entfernung zwischen uns nicht, wie ich Ihnen zu Hülfe kommen soll, ohne Paris zu entblößen. Wenn Sie anderer Meinung sind, so lassen Sie mich es wissen.«
Dazwischen die Frage: ob der Marschall dem Adjutanten Magnan den bestimmten Befehl ertheilt hatte, sofort nach Erfüllung seines Auftrages zurückzukehren, um ihm Nachrichten über den Kaiser und Mac-Mahon zu überbringen. Ja, er hatte ihm dies befohlen. »Da aber wieder hierauf die Rede kommt«, erklärt der Marschall, »muß ich bemerken, daß ich mich darüber wunderte, daß kein Offizier aus dem Lager von Châlons zu mir geschickt wurde; man hätte mir, nachdem Magnan dort eingetroffen war, durch einen Adjutanten oder Generalstabsoffizier Nachrichten zukommen lassen sollen; ich glaubte deshalb, daß man die Bewegungen, welche ich angedeutet, aber noch nicht bestimmt beschlossen hatte, nicht für besonders dringlich halte.«
Am 18. August erhielt der Marschall eine Depesche aus Châlons: »Major Magnan reist nach Rheims und Diedenhofen ab. Er wird heute Abend eintreffen.« Er sandte darauf einen Befehl an das Telegraphenbureau: »In Diedenhofen anzufragen, was in der Umgegend vorgeht. Genaue Erkundigungen einzuziehen!« Er that dies, wie er sagt, besonders um Nachricht von Magnan zu erhalten; auf die Frage, wie er es sich erkläre, daß Magnan nicht nach dem damals noch leicht erreichbaren Metz habe gelangen können, entgegnete er: »Er wird ja selbst hierüber vernommen werden.« Keinenfalls erhielt er irgendwelche Nachricht von Magnan, auch nicht vom Obersten Turnier, dem Kommandanten von Diedenhofen, obgleich dieser mit Coffinières correspondirte.
Am 20. sandte er durch den Polizeiagenten Flahaut drei Depeschen ab.
1) An den Kaiser: »Meine Truppen haben noch immer dieselben Stellungen inne. Der Feind scheint Batterien zu errichten, um die Einschließung zu befestigen. Er erhält fortwährend Verstärkungen. Wir haben in der Festung über 16000 Verwundete.«
2) An den Kriegsminister: »Wir liegen unter Metz, und ergänzen unsere Vorräthe an Lebensmitteln und Munition. Der Feind wird immer stärker und scheint anzufangen uns einzuschließen. Ich schreibe an den Kaiser, der Ihnen meinen Brief mittheilen wird. Ich habe eine Depesche von Mac-Mahon erhalten und ihm geantwortet, was ich in einigen Tagen thun zn können glaube.«
3) An Mac-Mahon: »Ich habe bei Metz Stellung nehmen müssen, um den Soldaten Ruhe zu gönnen und sie wieder mit Lebensmitteln und Munition zu versehen. Der Feind verstärkt sich immer mehr um mich, und ich werde wahrscheinlich, um mich mit Ihnen zu vereinigen, die Linie der nördlichen Festungen einschlagen, und Sie von meinem Abmarsch benachrichtigen, wenn ich ihn anders unternehmen kann, ohne das Heer zu gefährden.«
Der Präsident findet diese drei Depeschen erheblich verschieden voneinander. »Gegen den Kaiser erwähnen Sie nur das Anwachsen der feindlichen Streitkräfte und der Einschließung. Gegen den Minister nehmen Sie Bezug auf den Bericht vom 19. an den Kaiser, in welchem von dem Marsche nach Norden und Montmédy die Rede war. Mac-Mahon sagen Sie, daß Sie ihn von Ihrem Abmarsche benachrichtigen werden. Wie erklären Sie diese Abweichungen, Herr Marschall? Ich muß hierbei verweilen; dieser Punkt ist um so wichtiger, als durch ein vielleicht im Laufe der Verhandlungen aufzuklärendes Zusammentreffen von Umständen Mac-Mahon von dieser dritten einen so wesentlichen Vorbehalt enthaltenden Depesche niemals Kenntniß erhalten hat. Wie konnten Sie es unterlassen, diesen Vorbehalt auch in die andern Depeschen aufzunehmen?«
»Dem Kaiser und dem Minister hatte ich keinen Befehl zu ertheilen, der Marschall Mac-Mahon stand unter meinen Befehlen. Jenen ließ ich Nachrichten zukommen, mit diesem hatte ich mich zu verabreden.«
Der Präsident findet es auffallend, daß er einen so wichtigen Vorbehalt nicht der Sicherheit halber in verschiedenen Depeschen dem Marschall Mac-Mahon mitgetheilt hat, und kommt dann auf den gleichzeitig in Metz erschienenen Artikel des »Courrier de la Moselle«, in welchem von einem längern Aufenthalte der Rheinarmee bei Metz die Rede war. Der Angeklagte versichert, diesem Artikel völlig fremd zu sein und damals durchaus nicht daran gedacht zu haben, dort bleiben zu müssen.
Zwei Depeschen an den Kaiser, vom 21. und 22., enthalten nichts von Marschplanen, in der zweiten klagt der Marschall über Munitionsmangel. Am 22. erhielt er jedoch einen Bericht des Generals Soleille: »Ich freue mich. Ihnen eröffnen zu können, daß es glücklich gelungen ist, uns wieder vollständig mit Munition zu versehen, u. s. w.« »Wie halten Sie es für möglich, diese beruhigende Nachricht mit der, welche Sie dem Kaiser zugehen ließen, zu vereinigen?«
»Ich habe dem General wegen seines ersten übertriebenen Berichtes einen Verweis ertheilt.«
Am 23. erläßt der Marschall folgende Depesche an den Kaiser:
»Die neuesten Erkundigungen ergeben eine Bewegung des Gros der feindlichen Streitkräfte; es sollen danach hier nur auf beiden Ufern der Mosel die Armeen des Prinzen Friedrich Karl und des Generals Steinmetz bleiben. Augenzeugen versichern, Brückentrains zwischen Ars und Gravelotte gesehen zu haben. Wenn diese Nachrichten sich bestätigen, so werde ich den früher angekündigten Marsch über die nördlichen Festungen antreten können. Unsere Batterien sind reorganisirt und wieder mit Munition versehen, die Infanterie ebenso.
»Die Armirung der Festung Metz ist beinahe vollendet, und ich werde zwei Divisionen dort lassen, denn die Arbeiten von Saint-Julien und Queuleu sind noch lange nicht fertig.«
»Geht hieraus nicht hervor, daß Sie sich zum Abmarsch vorbereiteten?« »Ja, Herr Präsident!«
»Hatten Sie keine Nachricht erhalten, daß Mac-Mahon sich schon auf dem Marsche befand?« »Nein!« »Keine Depesche?« »Nein!« »Auch nicht eine, die in eine Cigarrette gewickelt war?« »Auch nicht!« »Die Untersuchung wird hierüber Näheres ergeben. Am selben Tage, 23., traf in Diedenhofen eine chiffrirte Depesche an Sie ein. Sie war von Mac-Mahon, er benachrichtigte Sie darin von seinem Marsche und bat Sie, demgemäß zu handeln.« »Ich habe sie nicht am 23. von Diedenhofen, sondern am 30. über Verdun erhalten.«
Der Angeklagte soll nun darüber Auskunft geben, weshalb ihm der Oberst Turnier diese Depesche nicht zugestellt hat, obgleich er ihm andere wichtige Nachrichten am 29. durch den Agenten Flahaut zukommen ließ. Er vermuthet, Turnier werde dies vergeblich versucht haben. »Am 27. vertraut Turnier dem Staatsanwalt Lallemand aus Saargemünd eine Botschaft von Ihnen, an Mac-Mahon oder an irgendeinen beliebigen andern General, an. Wissen Sie etwas von dieser Botschaft?« »Auch nicht das mindeste; erst in der Untersuchung habe ich davon gehört. Die Form des Briefes ist übrigens eine ganz ungewöhnliche, Herr Präsident, man braucht ihn nur zu lesen!«
Auf den vierten Theil des Verhörs übergehend, fragt der Präsident, ob Bazaine nichts habe thun können, um die Verbindung mit Diedenhofen wiederherzustellen, ob er nicht vor dem 25. schon habe Cavalerierecognoscirungen anordnen, ob er nicht den Feind am Bau der Eisenbahn zwischen Rémilly und Pont-à-Mousson habe hindern können. Der Marschall verneint alle diese Fragen; letzteres würde bei der Entfernung dieser Bahn unnütz gewesen sein, denn was man etwa an einem Tage zerstört hätte, hätte der Feind bis zum folgenden wiederhergestellt. Am 25. gab der Marschall detaillirte Ordres für den 26. aus, welche die Absicht des Abmarsches erkennen lassen. »Sie hatten 130000 Mann zur Verfügung?« »Nein, Herr Präsident, gewiß höchstens 100000.« »Aber es wurden doch 150000 verpflegt?« »Ja, aber man muß stets ein halb Nichtcombattanten (non-valeurs) nen.«
»An diesem Tage hatte Prinz Friedrich Karl 200000 Mann und 600 Geschütze zur Verfügung. Sie mußten diesen Bestand kennen und wissen, daß der größte Theil dieses Heeres sich auf dem linken Ufer befand. Auf dem rechten standen nur einige gegen Malroy und Ars detachirte Corps und ein leicht zu durchbrechender kreisförmiger Cordon. Welches war nun Ihr Plan?«
»Ich wollte bis Sainte-Barbe gelangen, dann einen Flankenmarsch an der Mosel entlang machen und auf Diedenhofen marschiren.« Den Brückentrain nahm er nicht mit, weil er die von den Deutschen geschlagenen Brücken zu benutzen gedachte, und die Garde und die Reserve ließ er auf dem linken Ufer, um Stopfungen zu vermelden; sie sollten dann parallel mit den Bewegungen auf dem rechten Ufer vorrücken.
»Erinnern Sie sich nicht, an jenem Tage einzelnen Offizieren gesagt zu haben, Sie beabsichtigten nicht, die Armee wirklich in Marsch zu setzen?«
»Nein, Herr Präsident!«
»Die Bewegung, welche Sie am 25. befohlen hatten, begann erst am 26. nachmittags 3 Uhr. Die Vorhut des 3. Corps besetzte ohne Schwertstreich Neuilly, Noisseville, Colombey. Der Feind entwickelte wenig Streitkräfte, die ganze Armee erwartete nur das Signal zum Angriff; da gaben Sie Befehl, sie nach Metz zurückzuführen. Weshalb dieser Entschluß, oder wenn Sie wollen, weshalb die Zusammenberufung des Kriegsrathes, in welchem dieser Beschluß gefaßt werden sollte?«
»Der Vorstoß auf dem rechten Ufer hatte ergeben, daß der Feind dort nur schwach war. Er mußte folglich auf dem linken Ufer um so stärker sein, und ich fürchtete, einen so wichtigen strategischen Punkt, wie Metz, ohne genügende Deckung zu lassen. Weder die Mittheilung des Generals Soleille, daß wir nur für einen Schlachttag Munition hätten, noch der Wunsch Coffinières, daß wir bei Metz bleiben möchten, hatten Einfluß auf diesen Entschluß. Von einem Kriegsrathe war auch nicht die Rede; es handelte sich nur darum, die Ansichten der Generale zu hören. Außerdem verbot der strömende Regen, der durchweichte Boden jede Bewegung. Ich hätte meine Bewegungen gern fortgesetzt, wenn die Gelegenheit günstig gewesen wäre, aber ich hatte keine Nachrichten von außen, und die Gelegenheit war nicht günstig; so mußte ich denn darauf verzichten. Es schien mir unter diesen Umständen, als nützte die Armee dem Lande am meisten, indem sie vor Metz blieb und ein beträchtliches feindliches Heer dort festhielt.«
»Gut. Wenn Sie aber hiervon überzeugt waren, hätten Sie dies dann nicht dem Kaiser offen erklären müssen?«
»Ich muß immer wieder daran erinnern, daß ich keinen bestimmten Plan haben konnte. Es ist ja ganz klar, daß ich Metz verlassen haben würde, wenn ich nicht auf ernste Hindernisse gestoßen wäre, aber im allgemeinen hatte der Kaiser so gut als ich anerkannt, daß es, abgesehen von besondern Umständen, zweckmäßig sei, das verschanzte Lager nicht zu verlassen und die feindliche Linie mit einem wohlorganisirten Heere von 100000 Mann zu bedrohen. Der Kaiser hatte diesen Gedanken getheilt und ihn besonders in einer Depesche vom 8. oder 9. August ausgesprochen. – Hätte ich am 16. und 18. thatsächlich und vollständig gesiegt, so hätte ich in der That meinen Rückzug nach Verdun fortgesetzt, aber es war mir nicht gelungen, die beträchtlichen Streitkräfte des Feindes zurückzuwerfen, und ich mußte folglich eine abwartende Stellung einnehmen.«
»Haben Sie in der Berathung mit den Generalen, am 26., etwas von Mac-Mahons Bewegungen erwähnt?«
»Soviel mir erinnerlich, habe ich gesagt, daß Mac-Mahon ein Heer bei Châlons zusammenziehe; da ich nicht mehr wußte, konnte ich nicht mehr sagen.«
»Selbst hiervon ist im Protokoll nichts erwähnt.«
»Ein Protokoll ist gar nicht geführt worden. Das Schriftstück, welches so genannt wird, ist nichts als eine Sammlung nachträglich gemachter Notizen.«
Am 29. erhielt Bazaine eine Depesche Turniers: »General Ducrot commandirt Corps von Mac-Mahon; er muß heute 27. in Stenay auf dem linken Flügel der Armee sein, General Douay rechts an der Maas. Sich bereit halten, auf den ersten Kanonenschuß zu marschiren.« Er beschloß also, sich marschbereit zu machen, gab am 30. Befehle, wieder in dieselben Stellungen zu rücken als am 26., »weil die Truppen diese schon kannten«, erhielt darauf am 30. eine Depesche Mac-Mahons:
»– Marschire in der Richtung auf Montmédy, werde übermorgen an der Aisne sein und nach den Umständen verfahren, um Ihnen zu Hülfe zu kommen«, legte den Mittheilungen, welche ihm der Ueberbringer derselben über den Marsch des Feindes und die Colonnen, auf welche er gestoßen, wenig Werth bei, theilte beide Depeschen am 31. den auf dem Schlachtfelde versammelten Generalen mit, und ließ nachmittags 4 Uhr den Angriff beginnen. Er hatte das rechte Ufer gewählt, um die feindlichen Truppen auf dasselbe hinüberzuziehen, und das linke für Mac-Mahon freizumachen. Die Truppen nahmen Noisseville und Neuilly und übernachteten auf dem gewonnenen Terrain.
»Glauben Sie, daß man, nachdem man Servigny genommen hatte, den Feind hätte hindern können, es wiederzuerobern?«
»Gewiß, mit etwas mehr Ordnung und Wachsamkeit.«
»Warum haben Sie nicht versucht, es wiederzunehmen?«
»Ich glaubte mich nicht weiter entfernen zu dürfen, da ich annahm, der Marsch Mac-Mahons sei schwieriger, als ich nach jener Depesche gedacht hatte.«
Aus demselben Grunde gab Bazaine auch am 1. September jede weitere Bewegung auf.
»Ich habe jetzt einige Fragen in Betreff der Festung Metz an Sie zu richten«, fährt der Herzog von Aumale nun fort, und Bazaine beantwortet diese Fragen im wesentlichen dahin, daß er dem Präfecten des Departements Befehl gegeben habe, die Nationalgarde zu organisiren, und am 23. die Vollendung der Arbeiten an den Forts und der Armirung der Festung anbefohlen, den nach dem Reglement zu bildenden »Vertheidigungsrath« erst am 13. October zusammenberufen, und die Entfernung der Fremden angeordnet habe, daß hierbei aber nicht streng genug verfahren worden sei; daß er nicht berechnet habe, wie lange die Vorräthe reichen könnten, wenn sie nur zur Verpflegung der Festung, und wie lange dagegen, wenn sie auch für die seiner Armee dienen müßten; daß man die 20–25000 Landleute, welche mit bedeutenden Vorräthen in die Festung geflüchtet seien, nicht habe zurückweisen können, und daß er die Rationirung nicht angeordnet habe, da dies Sache des Festungscommandanten gewesen sei. Der Präsident weist aus dem Reglement nach, daß der Oberbefehlshaber, in dessen Commandobezirk sich eine Festung befindet, die für deren Sicherheit nothwendigen Maßregeln zu treffen hat, und folgert daraus, daß er dieselben nicht nur anzuordnen, sondern auch die Ausführung zu überwachen habe; dann fragt er weiter:
»An welchem Tage und wie erfuhren Sie die Capitulation von Sedan?«
»Am 2. September erzählte mir ein Arzt von der Nationalgarde von der Schlacht von Beaumont und dem wahrscheinlich bevorstehenden Unglück. Erst am 10. September erhielt ich die Bestätigung dieser Gerüchte.«
»Niemand kannte besser als Sie, Herr Marschall, die Organisation der französischen Armee. Sie wußten, daß Ihr Heer aus 63 Regimentern Infanterie, 13 Jägerbataillonen, 27 Cavalerieregimentern bestand. Sie wußten, daß das 1., 5., 7. Corps und der Theil des 6. Corps, welche die Armee von Châlons bildeten, aus 41 Regimentern Infanterie, 11 Jägerbataillonen, 28 Regimentern Cavalerie bestand. Sie wußten, daß letztere Armee bei Sedan unterlegen war. Sie konnten also berechnen, daß außer der Armee von Metz Frankreich dem Feinde nur noch 15 Regimenter Infanterie und 8 Regimenter Cavalerie gegenüberstellen konnte, 4 Regimenter Seesoldaten und 2 Regimenter Cavalerie mitgerechnet, von denen Sie nicht wissen konnten, daß sie auch zur Armee von Châlons gehört hatten. Außer diesen regulären Truppen gab es nur noch Rekruten in den Depots, und eine junge, kaum im Entstehen begriffene Mobilgarde. Haben Sie in diesem Augenblicke nicht bedacht, Herr Marschall, daß Sie auf eine Ihnen zu Hülfe kommende Armee nicht mehr rechnen durften, oder wenigstens, daß dieselbe erst nach langer Zeit eintreffen könne? Sie haben mehrmals, so auch in Ihrem Buche: «Die Rheinarmee» den Satz aufgestellt, daß eine Armee in der Lage der Ihrigen, wie stark sie auch sei, die Einschließung nicht durchbrechen könne, wenn nicht eine Diversion zu ihren Gunsten gemacht werde. Es ist nicht meines Amtes, mit Ihnen hierüber zu streiten. Ich habe auch die Rolle nicht zu erörtern, welche Sie seit dem 26. August Ihrem Heere angewiesen hatten: bei Metz zu bleiben, die Vertheidigung der Festung zu sichern, die Organisation der Vertheidigung im Innern zu erleichtern, indem Sie die feindlichen Streitkräfte dort festhielten. Das Gericht wird zu prüfen haben, ob Sie das Recht und die Pflicht hatten, die Rheinarmee so in Unbeweglichkeit zu erhalten. Wenn dies aber Ihre Ansicht war: mußten Sie dann nicht mehr als je Ihre Anstrengungen verdoppeln, um das concentrische Feuer des Feindes von der Festung fern zn halten, seine Arbeiten zu zerstören, den Umkreis der Einschließung zu erweitern, endlich alles zur Verproviantirung zu versuchen? Welche Maßregeln haben Sie im September in dieser Richtung getroffen?«
»In der ganzen ersten Hälfte des September war das Wetter schlecht, es war den Truppen unmöglich zu operiren. In der zweiten Hälfte haben wir sieben oder acht Versuche gemacht, unsere Vorräthe zu vermehren, und haben nicht wenig hereingeschafft, aber ich konnte nicht so handeln, wie ich gewünscht hätte. Man darf nicht vergessen, daß wir stets 16–17000 Kranke in den Lazarethen hatten; ich mußte die Truppen schonen. Große Schlachten wären in unserer Lage nicht geeignet gewesen, den Muth des Heeres zu beleben.«
Der Marschall erklärt dann, daß er es am zweckmäßigsten gefunden habe, immer einzelne Corps operiren zu lassen, und es nicht möglich gewesen sei, seine Verschanzungen weiter vorzuschieben.
Befragt, wann und wie er zuerst von den Ereignissen in Paris nach Sedan, von der Proklamation der Republik und der Bildung der Regierung der nationalen Vertheidigung erfahren habe, entgegnet er, daß ihm am 11. September ein aus der Gefangenschaft zurückgekehrter Hauptmann, Lejoindre, Mittheilungen hierüber gemacht habe, daß dieser aber zu aufgeregt gewesen sei, um zuverlässig zu sein, und daß dann am 12. der Major Samuel, der als Parlamentär wegen des Austausches von Verwundeten im feindlichen Lager gewesen sei, ihm eine von einem Generalstabsoffizier erhaltene Nummer der »Kreuzzeitung« mitgebracht habe. Diese habe er übersetzen lassen und die Nachricht dann den Corpsführern ohne weitere Erörterungen, nur mit der Erklärung mitgetheilt, man müsse auf die Befehle der Regierung warten; er selbst habe damals beabsichtigt, seinen Abschied einzureichen. Am 16. erließ er dann den oben mitgetheilten Armeebefehl, in welchem der Präsident die Anspielung auf die Vertheidigung der öffentlichen Ordnung unangemessen findet: »Sie wußten ja gar nicht, ob dieselbe bedroht sei, während Sie nur zu genau wußten, daß sich 400000 Fremde auf französischem Gebiete befanden!« »Der Aufstand in Paris war schon eine Drohung«, erwidert der Marschall, erkennt dann an, den Prinzen Friedrich Karl um Nachrichten gebeten, und versichert, bis zum 23. September, abgesehen von einer Verhandlung über die Auslieferung eines Verwundeten, in keinem weitern Verkehr mit dem Prinzen gestanden zu haben. Befragt, wie er jene Anfrage mit dem Reglement in Einklang bringen wolle, entgegnet er: »Ich betrachtete mich nicht wie einen in die Mauern eingeschlossenen Festungscommandanten; infolge der Revolution hatte sich meine Lage geändert.« Dagegen hatte der im Rivièreschen Bericht erwähnte Artikel des »Indépendant rémois«, wie er behauptet, auf ihn keinen Eindruck gemacht; er erhielt ihn von einem Stabsoffizier, legte ihm aber keine Bedeutung bei.
Ueber den nun verhandelten Régnierschen Unterhandlungsversuch ergibt Bazaines Verhör wenig Neues. Bazaine stellt in Abrede, daß er, wie Régnier bekundet zu haben scheint, diesem erzählt hätte, er habe zweimal an den Prinzen Friedrich Karl geschrieben und in dem einen Briefe angefragt, ob die deutsche Regierung noch die kaiserliche Regierung anerkenne, und er habe aus der Antwort des Prinzen entnommen, daß dieselbe nur mit der kaiserlichen Regierung unterhandeln würde; er bestreitet ferner wiederholt, Herrn Régnier irgendwelche Mittheilung über die voraussichtliche Dauer der Proviantvorräthe gemacht zu haben. Er hielt sich für berechtigt, sich mit der Kaiserin in Verbindung zu setzen, welche nach seiner Ansicht noch immer Regentin war, und rechnete zuversichtlich darauf, daß Bourbaki zwischen ihr und den Deutschen einen Waffenstillstand vermitteln und dann nach Metz zurückkehren werde.
»Welche Versuche haben Sie gemacht, Herr Marschall, um sich mit der Regierung der nationalen Vertheidigung in Verbindung zu setzen?« fragt jetzt der Präsident, indem er auf den siebenten Theil des Verhörs übergeht, und erwähnt sodann selbst die oben angeführte Depesche vom 15. September: »Es ist dringend nothwendig, daß das Heer erfahre, was in Paris und Frankreich vorgeht. Wir haben keine Verbindungen nach außen, und durch die uns vom Feinde zurückgegebenen Gefangenen wie durch den Feind selbst werden die seltsamsten und beunruhigendsten Gerüchte verbreitet. Es ist wichtig für uns, Nachrichten und Instructionen zu erhalten. Wir sind von beträchtlichen Streitkräften umschlossen, welche wir nach zwei unfruchtbaren Schlachten am 31. August und 1. September vergeblich zu durchbrechen versucht haben.«
»Sie kannten also die Existenz der Regierung der nationalen Vertheidigung?«
»Ja, aus den Zeitungen. Ich that, was ich konnte. Ich sandte Herrn« (der Name fehlt in dem Sitzungsbericht der »Gazette des tribunaux«) »ab, welcher durchzudringen versucht hat. Es werden Zeugen auftreten, welche bestätigen werden, daß ich wiederholt derartige Versuche gemacht habe. Seit dem 15. habe ich Depeschen an das Kriegsministerium abgesandt.«
»Dann haben Sie am 21. October eine zweite (oben mitgetheilte) Depesche abgesandt, welche am 26. nach Tours gelangte, aber dort nicht dechiffrirt werden konnte. Von andern findet sich nichts in den Acten; die Zeugen werden hierüber vernommen werden. Am 24. September aber bot sich Ihnen ein vortreffliches Mittel, sich mit der Regierung in Verbindung zu setzen; Sie konnten den General Bourbaki hiermit beauftragen. Haben Sie dies gethan?«
»Nein. Da er sich zur Kaiserin begab, so kam es mir darauf an zu erfahren, was die Kaiserin antworten und welche Beschlüsse sie fassen würde. Die Kaiserin repräsentirte für uns noch immer die gesetzmäßige Oberherrschaft. Uebrigens brauchte ich dem General Bourbaki keine Instructionen zu ertheilen; er war intelligent genug, um selbständig zu handeln. Unsere Lage hatte zwei Seiten. Gewiß hatten wir stets dieselbe Hingebung an das Vaterland, aber gleichzeitig erkannten wir immer nur die kaiserliche Regierung an.«
»Da Sie dem General versprochen hatten, die Garde während seiner Abwesenheit nicht zu militärischen Operationen zu verwenden, mußten Sie auf seine schnelle Rückkehr rechnen. Glauben Sie nicht, daß Sie ihn hätten beauftragen müssen, Ihnen Nachrichten von außen zu überbringen?«
»Es wäre schwierig gewesen, ihm zu sagen: Sie haben das oder jenes zu thun. Dies mußte sich nach dem Wege, den er einschlug, und nach dem Gange der Ereignisse richten.«
»Welche Mittheilungen haben Sie von der Regierung der nationalen Vertheidigung erhalten?«
»Keine!«
»Sie haben also die Depesche, welche Oberst Turnier am 18. von der Regierung erhalten hat und an Sie abgesandt haben will, nicht erhalten?«
»Nein!«
»In Ihrem Armeebefehl vom 16. September bezeichnen Sie die Regierung der nationalen Vertheidigung als eine Executivgewalt. Sie erfuhren nachher, daß sie am 16. September die Wählerschaften auf den 10. October zusammenberief, um eine Nationalversammlung wählen zu lassen?«
»Nein, mein Herr, das habe ich nicht gewußt.«
»Aber am 7. October hat doch der ›Courrier de la Moselle‹ die Verordnungen abgedruckt?« – »Ja, man kann sich aber auf die Zeitungen nicht verlassen. Eine amtliche Mittheilung habe ich nie erhalten, den ›Courrier de la Moselle‹ las ich nicht einmal. – Wir erhielten täglich deutsche Zeitungen, welche oberflächlich und verworren von diesen Ereignissen sprachen, und konnten die uns aus feindlichen Zeitungen zugehenden Nachrichten unmöglich für sicher halten.«
»Sie hatten also mehr Nachrichten von außen, als wir glaubten. Wenn Sie denselben nicht Glauben geschenkt, wenn Sie ihnen gemistraut haben, so hatten Sie recht; Sie befolgten in diesem Falle sehr genau unsere alten, weisen, nützlichen und in ihrem Ausdruck sogar beredten militärischen Vorschriften.«
»Außerdem glaubte ich, man werde uns nicht so in Unwissenheit lassen, wie die Regierung vom 4. September es gethan hat. Wäre eine Nationalversammlung einberufen worden, so wären wir davon sicher auf andere Weise unterrichtet worden, als geschehen ist.«
Der Marschall erklärt, daß keiner der Sendboten, welche die Regierung mit der Nachricht von großen in den Festungen auf seiner Marschlinie aufgehäuften Vorräthen au ihn geschickt hat, zu ihm gelangt ist, erinnert sich namentlich nicht eines zu diesem Zweck nach Metz gekommenen und dort in ein Infanterieregiment eingetretenen Herrn Risse, auch nicht, daß er zur Zeit der Operation gegen Ladonchamps mehrern Offizieren gesagt hätte, er wolle nach Diedenhofen marschiren, um sich dort wieder zu verproviantiren, und ebenso wenig, daß er am 2. October den Polizeiagenten Flahaut beauftragt hätte, dem Commandanten Turnier etwas von einem derartigen in den nächsten Tagen auszuführenden Plane zu melden. Daß Vorräthe in den Festungen lagerten, wußte er seit August, und einen Marsch auf Diedenhofen beabsichtigte er in der That zu versuchen.
»Wie verträgt sich dieser Plan mit Ihrer Theorie über die Schwierigkeiten eines Marsches unter dem concentrischen Feuer des Feindes und mit der andern von Ihnen ausgesprochenen Versicherung, daß nach Sedan jeder Versuch, das Schlachtfeld zu behaupten, unmöglich geworden sei und das Heer sich nach zwei Marschtagen aufgelöst haben würde.«
»Erstens treibt der Hunger den Wolf aus dem Walde, und wenn ich hätte aufbrechen können, so würde ich es nicht unterlassen haben. Was ferner die von mir aufgestellte allgemeine Theorie betrifft, auf welche Sie anspielen, so ist das ein bloßer Gedanke, den ich nachträglich ausgesprochen habe, der mir aber keinenfalls die Hände gebunden hatte und mich nie gehindert haben würde, alles zu thun, was möglich gewesen wäre.«
Der Präsident deutet an, Bazaine habe vielleicht, da eben die Régnierschen Unterhandlungen schwebten, erwartet, wenig Widerstand zu finden. Bazaine protestirt entschieden hiergegen, und erinnert an die am 22., 23., 27. September und 1., 2., 6., 7. October stattgehabten Gefechte. Von den von Jules Favre zu Ferrières angeknüpften Verhandlungen will er nur gerüchtweise und ganz Unbestimmtes, von Verhandlungen mit den neutralen Mächten aber durch einen Bericht des Herrn Debains erfahren haben. Wenn er auch nichts Bestimmtes hierüber wußte, meint der Präsident, hätte er doch daraus entnehmen können, daß in nächster Zeit Unterhandlungen bevorständen. Nun sei aber bekanntlich unter Umständen, wie die damaligen, das sicherste, ja das einzige Mittel, eine solche Unterhandlung zu günstigem Abschlusse zu bringen, daß die Festungen solange als irgend möglich Widerstand leisteten. Ob es nun nicht möglich gewesen wäre, die damaligen Operationen mit mehr Ernst, Nachdruck und Ausdauer zu führen? Die Gefechte bei Thieulles, Peltre, Ladonchamps, Bellevue seien doch bei aller Tapferkeit, welche die Truppen und ihr Führer an den Tag gelegt, bloße Fourragirungen, Handstreiche, und für jenen Zweck nicht energisch genug gewesen. Der Marschall erklärt, es sei bei der Stärke des deutschen Heeres, der großen Zahl Verwundeter und Kranker, der schlechten Verpflegung der Truppen, der mangelhaften Bespannung der Artillerie nicht möglich gewesen, mehr zu leisten. Der Präsident verlangt eine bestimmtere Antwort auf die Frage: ob jene Operationen in ihrer Gesammtheit wol das Höchste gewesen seien, was eine solche Armee unter solchen Umständen im Laufe zweier Monate zu leisten vermocht hätte. Der Marschall entgegnet: Ich wollte keine großen Schlachten wagen, welche uns leicht hätten völlig vernichten können. Hätte man nicht einen Monat verloren, bevor man die nationalen Streitkräfte organisirte, so hätte man eine entscheidende Bewegung machen können. Ich habe gethan, was ich thun zu können glaubte.«
Das nun folgende lange Verhör über die Anknüpfung der Unterhandlungen, zunächst mit Régnier, bietet wenig von Interesse, außer etwa einer Aeußerung des Marschalls auf die Frage des Präsidenten, ob er als Heerführer sich denn zum Abschlusse solcher Verträge berechtigt gehalten habe: »Meine Lage war, sozusagen, eine ohne Beispiel. Ich hatte keine Regierung mehr, ich war, sozusagen, meine eigene Regierung. Ich hatte nur noch meinem Gewissen zu folgen.«
»Hätten Sie, Herr Marschall, in dieser Lage nicht zu der unbedingtesten Befolgung der militärischen Vorschriften Ihre Zuflucht nehmen sollen?«
»Gewiß müssen diese Vorschriften unbedingt befolgt werden, wenn die Regierung eine unbedingte, regelmäßige, vom Lande anerkannte ist. Hier aber hatte die Regierung aufgehört zu bestehen.«
»Frankreich bestand immer!«
Einmal scheint der Marschall an einen Vertragsvorschlag gedacht zu haben, wonach sein Heer fortan neutral bleiben sollte, unter der Bedingung, daß ein gleichgroßer Theil des deutschen Heeres sich fortan des Kampfes enthielte. Wichtig für die Veurtheilung seiner Auffassung der Sachlage ist aber die Instruction, welche er dem am 12. October in das feindliche Hauptquartier nach Versailles gesendeten General Boyer mitgab. Sie lautet:
In dem Augenblicke, da die Gesellschaft durch die von einer leidenschaftlichen Partei, deren Bestrebungen nicht zu der von den Gutgesinnten gewünschten Lösung führen können, angenommenen Haltung bedroht wird, zieht der Marschall und Oberbefehlshaber der Rheinarmee, erfüllt von dem Verlangen, sein Vaterland zu retten, und zwar vor seinen eigenen Ausschreitungen zn retten, sein Gewissen zu Rathe und fragt sich, ob das seinem Befehle unterstellte Heer nicht dazu bestimmt ist, das Palladium der Gesellschaft zu werden.
Die militärische Frage ist entschieden, die deutschen Heere haben gesiegt, und Se. Majestät der König von Preußen dürfte kein großes Gewicht auf den unfruchtbaren Triumph legen, den es ihm gewähren würde, wenn er die einzige Streitmacht auflöste, welche heute noch im Stande ist, der Anarchie in unserm unglücklichen Vaterlande Herrin zu werden, und Frankreich und Europa die Ruhe zu sichern, deren sie nach so heftigen Erschütterungen bedürfen.
Die Einmischung eines fremden, selbst eines siegreichen Heeres in die Angelegenheiten eines so reizbaren Landes als Frankreich, und einer so empfindlichen Hauptstadt als Paris, könnte ihren Zweck verfehlen, die Gemüther maßlos erregen und unberechenbares Unglück herbeiführen.
Das Auftreten eines noch vollständig geschlossenen, von gutem Geiste erfüllten französischen Heeres, welches nach ehrlichem Kampfe gegen das deutsche Heer das Bewußtsein hat, die Achtung seiner Gegner errungen zu haben, würde unter den gegenwärtigen Umständen mit ungeheuerer Wucht in die Wagschale fallen. Dasselbe würde die Ordnung wiederherstellen und die Gesellschaft beschützen, deren Interessen die des gesammten Europas sind. Es würde durch die Wirkung dieses Auftretens Preußen eine Bürgschaft für die Erfüllung seiner jetzt zu stellenden Forderungen gewähren, und endlich zum Zustandekommen einer regelmäßigen gesetzlichen Obergewalt beitragen, mit welcher Beziehungen jeder Art naturgemäß und ohne Erschütterungen wieder augeknüpft werden könnten.
Bann Saint-Martin, 10. October.
Der Präsident fragt, ob er nicht bedacht habe, daß ihn dies dahin hätte führen können, an der Seite des Feindes gegen Franzosen zu kämpfen. Etwas Derartiges würde er nie gethan haben, versichert der Marschall.
Es werden demnächst die Gutachten verlesen, welche die einzelnen Corpsführer auf Bazaines Aufforderung vom 7. October erstattet hatten.
Marschall Canrobert erklärt:
Seine Divisionsgenerale hätten sich dahin ausgesprochen, daß man unterhandeln müsse; man habe Ausmarsch mit Waffen und Bagage unter der Bedingung, während eines Zeitraumes von höchstens einem Jahre nicht gegen Deutschland zu kämpfen, zu verlangen. Werde dies nicht zugestanden, so seien sie entschlossen, die preußischen Linien zu durchbrechen, es koste was es wolle.
Er selbst halte letzteres für unmöglich,
1) wegen der numerischen Uebermacht des Feindes und der Stärke seiner Stellungen;
2) wegen der Erschöpfung der Reit- und Zugpferde;
3) weil selbst im Falle des Gelingens eines Durchbruchs die Verluste zu bedeutend und die übrigbleibenden *
Truppen in zu bedenklichem Zustande sein würden;
4) weil ihr Abmarsch von Metz sofort die feindliche Armee gegen Paris disponibel machen würde.
Er schlägt vor, die Capitulation bis zur äußersten Erschöpfung der Vorräthe hinauszuschieben, und wenn dann unannehmbare Bedingungen gestellt werden sollten, mit den Waffen in der Hand zu sterben.
Marschall Leboeuf:
Man müsse das Waffenglück noch einmal auf die Probe stellen, indem die ganze
Armee vereint an einem Punkte durchzubrechen versuche.
»Bisjetzt« – heißt es in dem Bericht – »leidet der Soldat keinerlei Entbehrung, er wird sogar besser verpflegt als in der Garnison. Dank dieser Ernährung, der Sorge der Anführer und der Vorsorge der Militärverwaltung sind die Kräfte und die Gesundheit der Soldaten im besten Stande.«
General Ladmirault:
Cavalerie-, Artillerie- uud Trainpferde seien in schlechtestem Zustande. Die Infanterie zeige
Disciplin und Muth und wäre einer großen Anstrengung fähig, »die Mannschaften aber, welche auf sehr beschränkte Verpflegung reducirt sind, würden nicht mehr schnelle Märsche machen können«. Wie dem aber auch sei, sie würden bereit sein, die von Sr. Excellenz zu fassenden Beschlüsse auszuführen.
General Frossard:
Der Durchbruch könnte vielleicht am ersten Tage gelingen. Der Weitermarsch am zweiten, dritten Tage würde unübersteigliche Schwierigkeiten haben. Auch würde die
Festung sich nach dem Abmärsche nicht halten können. Man muß unter ehrenvollen Bedingungen capituliren, d. h. Abmarsch mit Waffen und Bagage fordern. Die Armee würde dann im Stande sein, überall einzuschreiten, wo die gesellschaftliche Ordnung bedroht wäre.
General Desvaux:
Die Capitulation solange als möglich hinausschieben, dann unter ehrenvollen Bedingungen capituliren oder fechtend fallen.
General Coffinières:
Der Abmarsch der Armee würde
wahrscheinlich deren Untergang, sicher den Fall der Festung zur Folge haben. Mit oder ohne Kampf aber kann sich Festung und Heer nicht länger als bis zum 19. October halten.
Die Generale Deligny und Picard:
Die Verhandlungen müssen schleunigst eröffnet werden, um für den Fall unannehmbarer Bedingungen den Versuch, gewaltsam durchzubrechen, nicht zu lange hinauszuschieben.
Darauf wurde am 10. October Kriegsrath gehalten. Der Präsident wirft dem Marschall vor, daß
er den versammelten Generalen weder von seinen Verhandlungen mit Régnier, noch von Bourbakis Sendung Mittheilung gemacht habe, obgleich ihre Beschlüsse vielleicht anders ausgefallen wären, wenn sie vom Scheitern dieser Unterhandlungen Kenntniß gehabt hätten. Bazaine entgegnet, Bourbakis Abreise sei allen, die Régniers einzelnen bekannt gewesen, übrigens habe diese Angelegenheit einen zu wenig ernsten Charakter gehabt, als daß er weitere Mittheilungen für nöthig gehalten habe.
An
demselben 10. October ließ der Marschall in den metzer Zeitungen Folgendes bekannt machen:
Um den trügerischen Nachrichten zu begegnen, welche in der Stadt verbreitet sind, beschränkt sich der Marschall-Oberbefehlshaber, welcher keine Nachricht von glücklichen Waffenthaten vor Paris erhalten hat, darauf, die Bestätigung dieser Nachrichten zu wünschen. – Er benutzt diese Gelegenheit, um zu versichern, daß er seit der Einschließung von der Regierung auch nicht die geringste Mittheilung erhalten hat, aller Versuche ungeachtet, welche er gemacht hat, um Verbindungen mit ihr anzuknüpfen. Was aber auch geschehen möge, Ein Gedanke muß jetzt alle Gemüther beschäftigen, die Vertheidigung des Vaterlandes, Ein Ruf aus jeder Brust erschallen: Es lebe Frankreich!
»Nachdem dies verlesen worden«, fährt der Präsident fort, »muß ich Sie fragen, Herr Marschall, ob alle Ihre Schritte einzig und allein durch das Gefühl geleitet worden sind, welches Ihnen jene edeln Worte dictirt hat, ob alle Ihre Handlungen wirklich nur Einen Grundgedanken, Ein Ziel gehabt haben, die Ehre des Heeres und das Wohl des Vaterlandes?
»Ja, Herr Präsident. Alle meine Maßnahmen, alle meine Handlungen geschahen zur Ehre des Heeres, zum Wohle des Vaterlandes!«
»Soeben sind die Instructionen, welche Sie dem General Boyer mitgegeben haben, verlesen worden. Finden Sie nicht, daß ein Vertrag, der auf Grund dieser Instructionen geschlossen worden wäre, einen mehr politischen als militärischen Charakter gehabt haben würde?«
»In diesem Falle würde ich ihn nicht angenommen, oder der Regierung der Regentschaft oder der Nationalversammlung vorgelegt haben.«
»Glauben Sie, daß der Wortlaut dieser Instruction mit den vier Punkten im Einklang steht, welche in dem Beschlüsse des Kriegsrathes vom 10. October festgestellt wurden: 1) Metz solange als möglich zu halten; 2) keine Operationen in der Umgegend der Festung mehr vorzunehmen; 3) binnen spätestens 48 Stunden Unterhandlungen anzuknüpfen; 4) falls der Feind uns unehrenhafte Bedingungen auferlegen wollte, einen Durchbruch mit bewaffneter Hand zu versuchen?«
»Nein, aber ich bitte zu bemerken, daß ich Herrn Boyer ermahnt habe, auf der Hut zu sein gegen die an ihn etwa gestellten Forderungen. Bei seiner Rückkehr würde ich dem Kriegsrathe das Ergebniß seiner Unterhandlungen mitgetheilt haben. Ebenso würde ich nichts gethan haben, ohne das Land zu befragen.«
»Also kannten Sie die Lage hinreichend, um solchen Entschluß zu fassen?«
»Aus Zeitungen und Vorpostengesprächen waren mir Gerüchte zu Ohren gekommen. Ich habe loyal und gewissenhaft gehandelt. Meine Lage war ohne Beispiel in der Geschichte; unter einer regelrechten, gesetzlichen Regierung hätte ich mich nie zu solchen Schritten herbeigelassen.«
»General Boyer kehrte am 17. October von Versailles nach Metz zurück. Blieb Ihnen wirklich, wenn Sie bis dahin noch gehofft hatten, einen militärischen Vertrag schließen zu können, noch ein Schimmer von Hoffnung, daß die Deutschen Ihnen den Abzug mit Waffen und Bagage gestatten würden?«
»Ja, Herr Präsident. General Boyer kam mit der festen Ueberzeugung zurück, daß man unter diesen Bedingungen Frieden schließen könnte.«
»Hat er Ihnen nicht eine der ersten Erklärungen Herrn von Bismarcks mitgetheilt: ›Ich muß vornweg bemerken, daß der König Ihnen keine andern Bedingungen bewilligen wird als die von Sedan?‹«
Bazaine erinnert sich dessen nicht, hält es aber für möglich, daß Boyer dies im Kriegsrathe gesagt hat.
Der Schluß des Protokolls über die Sitzung des Kriegsrathes vom 18. October wird verlesen. Er lautet:
Man erörtert nun die Frage, ob die Unterhandlungen zu dem Zwecke fortgesetzt werden sollen, um zu einer ehrenvollen militärischen Convention zu gelangen, dadurch würde die Möglichkeit gegeben sein, zur Gründung einer Regierung beizutragen, mit welcher die deutschen Regierungen unterhandeln könnten.
General Soleille, General Desvaux, General Ladmirault, General Changarnier und Marschall Canrobert bejahen, General Coffinières und Marschall Leboeuf verneinen.
Demgemäß wird General Boyer sich nach Hastings begeben, um zu sehen, ob es möglich ist, einen Vertrag unter den oben angegebenen Bedingungen zu erlangen.
Er wird ferner der Kaiserin die Lage der Armee schildern, und wenn es nicht möglich ist, eine befriedigende Lösung zu finden, Ihre Majestät um einen Brief bitten, durch welchen sie das Heer des dem Kaiser geleisteten Eides entbindet und ihm die Freiheit des Handelns wiedergibt.
Der Präsident macht darauf aufmerksam, daß dieser Schritt zwecklos gewesen sei, da die von Herrn von Bismarck gestellte Bedingung einer Erklärung des Heeres zu Gunsten der Kaiserin nicht erfüllt worden sei. Bazaine erwidert: »Das hatte ich nicht zu prüfen. Hätte die Kaiserin vermittelnd eintreten können, so waren die Schwierigkeiten beseitigt worden. Ich glaubte, die Ankunft der Kaiserin in Metz würde alle Schwierigkeiten beseitigen können.«
In Betreff des Eides bemerkt der Präsident: »Der militärische Eid beruht auf alten Überlieferungen; wir haben ihn vom römischen Heere überkommen. Seit 1848 ist der mündlich von allen Heeresangehörigen zu leistende Fahneneid fortgefallen. Nach der Verfassung von 1852 unterzeichnen die Offiziere nur eine Formel, die schärfer gefaßt ist als der frühere Fahneneid; der Gehorsam gegen die Gesetze ist darin nicht besonders hervorgehoben; meinen Sie aber nicht, Herr Marschall, daß er in den Worten: ›Ich schwöre Gehorsam der Verfassung‹, enthalten ist?«
Der Marschall neigt bejahend das Haupt.
»Da Sie aber schon seit September von Capitulation gesprochen haben, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß unsere französischen Gesetze und Verordnungen nur eine Art von Capitulation, die der Festungen, und auch diese nur unter ganz bestimmten Bedingungen kennen.«
»Ich hatte bereits die Ehre, Ihnen bemerklich zu machen, Herr Präsident, daß mein Brief keine Bedeutung hatte; er war nicht officiell.«
»Ich muß Ihnen ferner ins Gedächtnis; zurückrufen, welche Vorsicht, welche Zurückhaltung unser Armeereglement allen Heerführern und Festungscommandanten in Betreff ihrer Verbindungen mit dem Feinde vorschreibt.«
»In gewöhnlichen Zeiten, ja, aber unsere Lage war eine außergewöhnliche. Keine Mittheilung von der kaiserlichen Regierung, keine von der Regentschaft, keine von der Regierung der nationalen Vertheidigung! Die Regeln passen nicht für alle Fälle. Sie passen für geordnete Zeitverhältnisse, das waren aber die unsern nicht.«
Der Präsident fragt schließlich, ob Bazaine irgendein Gesetz kenne, welches einem Heerführer, wie wichtig auch sein Commando sei oder welche Dienste er geleistet habe, das Recht gebe, solche Unterhandlungen anzuknüpfen, wie er sie mit Régnier angeknüpft habe. »Nein, Herr Präsident«, entgegnet der Marschall. »Noch einmal, unter geregelten Verhältnissen würde ich es nicht gethan haben. Mein Brief hatte nichts zu bedeuten. Wir haben gethan, was wir konnten. Wir haben bis zum letzten Bissen Brot in Metz ausgehalten!«
Es folgt die Geschichte der Capitulation selbst, deren Verlauf in dem Rivièreschen Berichte dargestellt ist. General Changarniers Anerbietungen waren höflich, aber entschieden abgelehnt worden, General de Cissey überbrachte die Nachricht, daß die Bedingungen diejenigen der Capitulation von Sedan sein würden. Der Präsident fragt: ob der Marschall nicht in diesem Augenblicke noch einmal überlegt habe, ob nicht noch ein Ausfall auf jede Gefahr hin versucht werden müsse. Ja, entgegnet der Marschall, er habe wol daran gedacht, auch mit seinen Generalen darüber berathen, man habe den Gedanken aber als unausführbar aufgegeben.
»Haben Sie in den letzten Tagen Nachrichten und Erklärungen verbreitet, welche nachtheilig auf den Geist der Truppen wirken und einen schädlichen Einfluß äußern konnten?« – »Nein!« –
»Glauben Sie insbesondere, daß der auf Ihren Befehl zusammengestellte Bericht, in welchem mit Behagen die Streitkräfte des Feindes, die Wichtigkeit seiner Schanzarbeiten, die Anzahl seiner Mannschaften aufgezählt waren, nicht ohne Ihre Absicht diesen Erfolg haben konnte?«
»Ich hatte den Bericht zum entgegengesetzten Zwecke fertigen lassen, und zwar zu einer Zeit, wo es möglich schien, Gelegenheit zu einem Durchbruche zu finden. Ich wollte, daß jeder wisse, was er zu thun und welche Hindernisse er zu überwinden habe. Es war dies eine reine Dienstangelegenheit; der Bericht war schon vor einiger Zeit entworfen worden.«
»Wurde er nicht den metzer Zeitungen mitgetheilt?«
»Keinenfalls bin ich es gewesen, der die Mittheilung befohlen hat!«
»Meldete Ihnen nicht am 26. October der Intendant von Metz, daß man noch für drei bis vier Tage Lebensmittel entdeckt habe, und glaubten Sie nicht, dieser Meldung Rechnung tragen und die Frist benutzen zu müssen?«
»Das war am 26. und würde uns bis zum 29. geholfen haben. Wir hatten für die Spitäler zu sorgen, das konnte uns nichts nützen!«
Die Capitulation wurde unter den bekannten Bedingungen abgeschlossen. Auf den Vorwurf, gegen die Bestimmungen des Reglements das Schicksal der Mannschaften von dem der Offiziere getrennt zu haben, entgegnet der Marschall, dies sei nur eine vorläufige, im dienstlichen Interesse getroffene Maßregel gewesen, und alle Offiziere seien den Soldaten in die Gefangenschaft gefolgt. Auf den fernern Vorwurf, daß er nicht vor der Uebergabe die Festungswerke und das Kriegsmaterial soviel als möglich habe zerstören lassen, erwidert er, er habe nicht geglaubt, daß die Folgen des Krieges so grausam sein würden, nicht geahnt, daß Metz von Frankreich losgerissen werden würde, und von diesem Gesichtspunkt aus geglaubt, durch solche Zerstörungen gegen das Interesse Frankreichs zu handeln. Auch habe er es vor den Verhandlungen nicht gekonnt, weil er sich sonst wehrlos gemacht haben würde, nach deren Beginn aber es für unehrenhaft gehalten. Endlich würde sich der Feind dafür schwer gerächt haben. Der Präsident fragt, welche Rache der Feind wol noch hätte üben sollen, da die auferlegten Bedingungen doch den äußersten Grad von Härte erreicht hätten. Die Stadt würde darunter zu leiden gehabt haben, erwidert der Marschall; man würde sie wie eine erstürmte Festung behandelt haben.
»Sie meinen, Herr Marschall, nach heutigem Kriegsbrauche würde eine erstürmte Stadt der Plünderung preisgegeben werden? Sie glauben, Metz würde geplündert worden sein?«
»Wahrscheinlich!«
»Das kommt heutzutage nicht vor!«
»Ich weiß nicht! Ich glaube, Beispiele sind dagewesen!«
Schließlich wird die Fahnenfrage ausführlich erörtert; der Marschall entgegnet auf die schwungvolle Anfrage des Präsidenten: was er gethan habe, um zu verhindern, daß diese ruhmvollen Wahrzeichen des Vaterlandes in deutsche Hände fielen: er habe in der Conferenz vom 26. mit lauter Stimme Befehl ertheilt, sie zu verbrennen, General Soleille hätte das Nöthige veranlassen müssen, er selbst habe sich darauf verlassen, daß es geschehen würde, bis es dann nach Unterzeichnung der Capitulation allerdings zu spät dazu gewesen sei, und er nunmehr am 28. die Aufbewahrung habe befehlen müssen. Uebrigens habe er, wie schon erwähnt, geglaubt, bei dem Friedensschlusse würden Festung, Waffen und Fahnen wieder an Frankreich zurückgegeben werden, wie dies 1814 und 1815 geschehen sei.
Zum Schlusse befragt, ob er noch etwas anzuführen habe, beklagt er sich, daß er in der Voruntersuchung nur sehr kurz und oberflächlich vernommen worden sei, und der Verfasser der Anklage das Material zu derselben hauptsächlich aus einem Werke des Obersten von Andlau vom Generalstabe über die Belagerung von Metz geschöpft habe, in welchem er auf die gehässigste Weise angegriffen worden sei. »Wenn aber die Zeit die Gemüther beruhigt haben wird, dann wird die Geschichte die traurigen Ereignisse unparteiischer würdigen, in welche wir verflochten waren. – Noch ein Wort: die Untersuchungscommission hat nie erklärt, daß ich gegen die Ehre gefehlt hätte. Sie hat nur –«
»Herr Marschall, wir können jetzt auf dies Thema nicht eingehen. Später werden Sie und Ihr Vertheidiger volle Freiheit haben, dem Kriegsgerichte alles vorzutragen, was Sie zu Ihren Gunsten anführen zu können glauben. Jetzt aber verhandeln wir nur über Thatfragen.«
»Wenn Sie erlauben, werde ich einen Brief vorlesen, den ich vom Kaiser erhalten habe, als wir in Deutschland kriegsgefangen waren.« Er liest mit bewegter Stimme einen kurzen Brief vor, in welchem folgende Stellen vorkommen: »Lieber Marschall, es ist mir ein wahrer Trost in meinem Unglück, Sie mir nahe zu wissen. – Wir begreifen nicht, wie man solche Anklagen gegen Sie zu erheben vermocht hat.« »Dieser Brief«, fügt er mit noch tieferer Bewegung hinzu, »beweist, daß der Kaiser nie an meiner Treue gezweifelt hat!«
Hierauf richtet der Specialcommissarius der Regierung, General Pourcet , noch einige Fragen an den Marschall. Ob er sich einer ihm angeblich am 7. September zugegangenen, in einem deutschen Werke erwähnten Depesche des Prinzen Friedrich Karl, betreffend die Auswechselung von Gefangenen, erinnere? – Nein! – Er hat am 27. September einen Brief an seine Gemahlin geschrieben und ihn nach Tours adressirt. Woher wußte er, daß sie dort wohnte? – Zuerst las er in der deutschen »Börsen-Zeitung«, daß sie Paris verlassen habe. Später erfuhr er von einem Offizier, dessen Namen er augenblicklich nicht anzugeben vermag und dessen Mutter in Tours wohnt, daß sie in dieser Stadt, im Kloster, sich aufhalte. – Schließlich soll er einige Widersprüche zwischen seinen Angaben im Verhör und denen in seinem sogenannten »Mémoires justificatif« aufklären. Er erklärt, dasselbe habe durchaus keine amtliche Bedeutung, da er es lediglich aus dem Gedächtnisse verfaßt habe; die Archive der Armee habe man ihm nicht zur Verfügung gestellt.
Hiermit schloß am 18. October das Verhör des Angeschuldigten, und es begannen die Zeugenvernehmungen.
Den langen Reigen eröffnet Marschall Leboeuf, weiland Kriegsminister, der die Gesetzgebende Versammlung vor Ausbruch des Krieges mit der berühmten Versicherung: »nous sommes archiprêts«, beruhigt und auf die Frage, worin denn diese »Erzbereitschaft« bestehe, erklärt hatte, man werde, möge der Krieg auch noch so lange dauern, keinen Gamaschenknopf zu kaufen haben. Bei Beginn des Krieges wurde er Chef des Generalstabes, welchen Posten er jedoch bald niederlegte; am 14. August übernahm er an Stelle des bei Borny schwer verwundeten Generals Decaen das Commando des 3. Corps. Als Kriegsminister hatte er viel unter den Sünden seiner Vorgänger zu leiden, als Generalstabschef scheint er nicht viel Ersprießliches geleistet zu haben, als Corpscommandant aber am rechten Platze gewesen zu sein.
Die Verantwortlichkeit Bazaines beginnt nach seiner Angabe erst am 13. August früh, da er dann erst das Commando über die damals aus 178690 Mann und 39500 Pferden bestehende Rheinarmee übernehmen konnte. Der Kaiser selbst theilte dem Zeugen mit, daß Bazaine Einwendungen gegen seine Ernennung erhoben und insbesondere darauf aufmerksam gemacht habe, daß Canrobert und Mac-Mahon ältere Marschälle seien als er. Canrobert war aber der erste, der erklärte, er werde sich glücklich schätzen, unter einem solchen Führer zu dienen. Der Kaiser gab ihm damals keine Befehle und machte ihm keine Mittheilungen über die Lage im allgemeinen, sondern wies ihn an die Chefs der verschiedenen Dienstzweige, und ernannte gleichzeitig Jarras zum Chef seines Generalstabes. Jarras machte gleichfalls einige Einwendungen, indem er diesen Posten für äußerst schwierig erklärte, er äußerte aber keine Abneigung gegen Bazaine, und dieser hatte nichts gegen die Ernennung zu erinnern.
Der Kaiser theilte dem Zeugen am 13. mit, Bazaine habe die Absicht, die Offensive zu ergreifen; Leboeuf war stets dieser Ansicht gewesen und freute sich sehr, dieselbe von einem so hervorragenden Heerführer getheilt zu sehen. Indessen gab der Kaiser aus strategischen Rücksichten diesen Plan bald wieder auf und ordnete den Rückzug nach Châlons an, »ich kann aber nicht behaupten, daß seine Befehle bestimmt gewesen wären; er theilte mir das Project dieses Rückzugs eben nur als Project mit, welches ich keineswegs vollkommen billigte«.
Auf die Frage: ob die Corpsführer vor dem 13. August Befehle direct aus dem Hauptquartier erhielten, erinnert sich der Zeuge nur zweier Fälle. In der Nacht vom 6. zum 7. August wollte der Kaiser, nachdem er von der Niederlage bei Forbach erfahren hatte, die Offensive ergreifen, und die Bewegungen hatten bereits begonnen, als er Kenntniß von dem excentrischen Rückzuge Frossards auf Saargemünd erhielt. Nunmehr entschloß er sich zu der Concentration bei Metz, und diesen Befehl mußte ich Bazaine mittheilen. Der andere Fall betraf den General Frossard.
Daß die Brücken nicht gesprengt wurden, war nach Leboeufs Ansicht vollkommen richtig, da sich auf beiden Ufern Theile der französischen Armee befanden; auch kreuzten sich damals noch stets verschiedene Pläne, bald offensiver Natur, bald zum Rückzuge. »Hätten wir die Offensive ergreifen wollen, so wäre es sogar gut gewesen, wenn der Feind über diese Brücken vorgedrungen wäre; man hätte ihn dann von seinen Verbindungen abschneiden können.«
Auf Befragen des Vertheidigers: Bazaine wußte, daß er ursprünglich zu einem bedeutenden Commando bestimmt war; der Plan, drei Armeen zu bilden, wurde aus Gründen der äußern Politik aufgegeben und er erhielt zunächst untergeordnete Commandos. Es wäre natürlich gewesen, wenn er sich dadurch unangenehm berührt gefunden hätte, er hat aber nie irgendetwas Derartiges merken lassen. Daß er, direct oder indirect, Schritte gethan haben soll, um das Commando über die Rheinarmee zu erhalten, davon hat Zeuge, als er noch Chef des Generalstabs war, nie sprechen hören. »Ich traf am 26. Juli in Metz ein; der Marschall hatte die Festung verlassen müssen, um sein Corps nach Bouley zu führen. Man hat es seltsam gefunden, daß er nicht in Metz geblieben war, um die Befehle des Chefs des Generalstabes entgegenzunehmen; dies war der Grund seiner Abwesenheit, und mit Unrecht hat die Böswilligkeit des Publikums diesem Zufall eine gehässige Deutung gegeben.«
Bazaine bestätigt dies selbst, und versichert, mit Leboeuf stets auf dem besten Fuße gestanden zu haben.
Es folgt General Lebrun, weiland Adjutant des Generalstabs, ein kleiner schmächtiger Herr mit struppigem grauem Bart, sehr lebhaft und anscheinend nicht sehr klar. Er erfuhr am 12., daß Bazaine das Commando erhalten; die vom Generalstabe für den Rückzug getroffenen Vorkehrungen waren durchaus ungenügend, der Rückzug begann zu spät, es waren nicht genug Brücken geschlagen, der Generalstab hatte auch keine speciellen Befehle hierzu gegeben, sondern nur den allgemeinen Befehl, deren soviel als möglich zu schlagen. Klar ergibt sich aus der Aussage dieses Zeugen nur, daß er ungeachtet seiner Stellung im Generalstabe doch so gut als nichts von dem wußte, was vorging.
Als ihm bedeutet wird, er könne sich zurückziehen, erklärte er: »Ich möchte zuvor noch an Sie, Herr Präsident, eine Frage richten.«
»Das ist die verkehrte Welt, aber meinetwegen! Worauf bezieht sich Ihre Frage?«
»Auf die Bewegung vom 14. August.«
»Sie wünschen hierüber etwas zu bekunden?«
»Ja, als Zeuge.«
»Wir haben darüber noch viele andere Zeugen zu vernehmen. Wenn der Herr Vertheidiger aber wünscht –«
Vertheidiger: »Ich wünsche nichts, Herr Präsident, aber es scheint dem Herrn General Freude zu machen, und ich will ihn nicht hindern.«
Der Präsident sieht sich schließlich genöthigt, den hartnäckigen Zeugen sehr ernst und unter lebhafter Theilnahme der Zuhörerschaft zur Ruhe zu verweisen.
General Jarras, der nun vernommen wird, war zweiter Generalstabsadjutant, als er zum Chef des Bazaineschen Generalstabes ernannt wurde. Er hatte bis dahin mit dem Marschall im besten Einvernehmen gestanden, und hatte, als er sich nach längerm Weigern entschlossen, seine neue Stellung zu übernehmen, auf das Wohlwollen des Marschalls gerechnet, welches ihm dieselbe erleichtern würde. Er sah sich getäuscht, der Marschall hielt ihn sich fern, er erfuhr von den wichtigsten Maßregeln nichts, oder doch erst im letzten Augenblicke, und als er seinem Chef einmal hierüber Vorstellungen machte, entgegnete dieser, er pflege es mit der Verwendung der Offiziere zu halten, wie es ihm gut scheine. Der Zeuge macht hierbei so entschieden Front gegen den Angeklagten und mißt denselben mit so zornigen Blicken, daß der Präsident denselben auffordern muß, seine Ansprache an den Gerichtshof zu richten; der Angeklagte entgegnet ganz ruhig, er habe durchaus kein Mistrauen gegen den General gehegt, aber er gestehe »daß unsere Charaktere nicht sympathisirten«, d. h. wol zu deutsch, daß er ihn nicht leiden konnte. Jarras zählt, um nachzuweisen, daß die Schuld nicht an ihm gelegen habe, die Corpsführer auf, bei denen er früher als Generalstabschef fungirt hat, Pélissier, Mac-Mahon, Vaillant, Canrobert; der Präsident findet aber, daß dies nicht zur Sache gehöre.
Die Aussage des Generals Coffinièresy bietet nichts von Interesse, außer etwa daß die Brücken über Mosel und Seille am 14. morgens fertig waren. Ihm folgt
Graf de Kératry, zur Zeit Literat, einst Bazaines Ordonnanzoffizier in Mexico, nach dem 4. September Mitglied der Regierung der nationalen Vertheidigung und Polizeipräfect von Paris:
»Eines Tages vor dem 4. September, gegen 8 Uhr morgens, erwies Fran Marschallin Bazaine meiner Frau und mir die Ehre, uns zu besuchen. Sie sagte: sie komme im Auftrage ihres Gemahls; die Anwesenheit des Kaisers bei dem Heere gefährde den Ausgang des Krieges, ihr Gemahl wolle zurücktreten, wenn der Kaiser den Oberbefehl behalte, und sie bat mich, diese Thatsachen den Herren Mitgliedern der Minorität bekannt zu machen. Ich that dies in einer Sitzung der Linken, und wir beschlossen, Schritte bei dem Kriegsminister Grafen Palikao zu thun, um die Ernennung Bazaines zum Oberbefehlshaber und die Abberufung des Kaisers zu bewirken, obgleich dem erstern Mexicos halber einige Mitglieder nicht gewogen waren. Graf Palikao, zu welchem Jules Favre, Picard und ich uns begeben hatten, kündigten uns an, daß der Oberbefehl in der That dem Marschall anvertraut werden solle, und zeigte uns auf der Karte den Weg, auf welchem Mac-Mahon der Armee von Metz entgegenmarschire.« Auf Befragen erklärt der Zeuge, daß er dem Kriegsminister von dem Besuche der Frau Bazaine nichts gesagt, wohl aber mit seinen Collegen Jules Favre und Picard davon gesprochen habe.
Der Vertheidiger macht ihn darauf aufmerksam, daß er in der Voruntersuchung das Gegentheil behauptet habe. Er erklärt seine jetzige Aussage für richtig und fährt fort:
»Nachdem meine Aussage vor der Untersuchungscommission bekannt geworden war, suchte mich die Frau Marschallin, begleitet vom Obersten Billette, in Marseille auf und erklärte, daß ihr Gemahl ihr nie einen derartigen Auftrag an mich gegeben, daß sie mir auch nie etwas Aehnliches eröffnet und daß sie uns damals nur einen freundschaftlichen Besuch gemacht habe. Ich entgegnete, an ersterm werde nach der Versicherung des Herrn Marschalls niemand zweifeln, letztere Angabe aber müsse ich aufrecht erhalten. Freundschaftliche Beziehungen bestanden schon seit 18 Monaten nicht mehr zwischen uns, weil ich der Opposition angehörte; acht Tage vor dem Besuche hatte ich von der Tribüne aus die Absetzung Napoleons beantragt; auch hatte die Frau Marschallin, welche in das Zimmer meiner Gattin geführt worden war, gebeten, mich allein sprechen zu dürfen.«
Der Angeklagte versichert, daß diese Angaben ihn höchlichst überrascht haben, der Vertheidiger führt an, daß Frau Bazaine stets auf das entschiedenste gegen dieselben protestirt habe, und der Präsident läßt eine schriftliche Erklärung derselben in diesem Sinne verlesen; Graf Kératry bleibt aber bei seinen Behauptungen stehen.
Jules Favre: »Seit dem Beginne des Krieges war ich bestürzt über die Gefahren, in welche die Unzulänglichkeit des Oberbefehls Frankreich stürzte. Ich erklärte auf das bestimmteste, wir müßten nothwendig unterliegen, wenn dem nicht abgeholfen werde. Es ist ganz natürlich, daß meine Freunde und ich zu diesem Zeitpunkte glaubten, das Wohl des Landes verlange, daß der Oberbefehl nicht in unfähigen Händen bleibe.« Er stellte deshalb das Verlangen an den Kriegsminister, daß der Kaiser abberufen und Bazaine zum Oberbefehlshaber ernannt werde. Bazaine war aber nach seiner Ueberzeugung diesem Schritte völlig fremd, und Herr von Kératy theilte nur mit, daß die Frau Marschallin bei einem Besuche gelegentlich geäußert habe, ihr Gatte würde aus Rücksicht auf das allgemeine Wohl den Oberbefehl wol annehmen.
Darauf wird der General Cousin de Montauban, Graf von Palikao, vernommen, welcher bestätigt, daß Herr von Kératry ihm den erwähnten Vorschlag gemacht, aber von einem Auftrage des Marschalls oder seiner Gattin nicht gesprochen habe. »Ich habe schon vor längerer Zeit an Frau Bazaine geschrieben, daß die von Herrn von Kératry vor dem Untersuchungsgericht abgegebene Aussage unwahr sei.«
Die Sitzung schließt unter allgemeiner großer Erregung. In der nächsten erklärt
Der Fabrikbesitzer Schneider auf das entschiedenste, daß er überzeugt sei, Bazaine habe seinerseits nichts gethan, um mit dem Oberbefehle betraut zu werden. »Ich habe bei Ausbruch des Krieges mit vielen hochgestellten Personen gesprochen, aber keiner hat sich bescheidener und vorsichtiger über die Gefahren des Unternehmens geäußert als der Marschall; es scheint mir unbegreiflich, daß derselbe Mann später, als die Lage schon so bedenklich geworden war, nach dem Oberbefehle gestrebt haben sollte.« Auch der zunächst vernommene Zeuge Rouher versichert, daß er nicht anders wisse, als daß der Marschall einfach einem ihm gewordenen Befehle Folge geleistet habe.
Der Vorsitzende geht nun zum zweiten Theile des Verhörs, betreffend die Ereignisse vom 12. bis 19. August, über; zuerst tritt
Der Marschall Canrobert auf, ein kleiner, dicker, alter Herr mit weißem Haar, ungarisch gedrehtem Schnurrbart und äußerst beweglichem Antlitz. Er schildert mit epischer Breite, aber nicht ohne einen gewissen Humor die Thaten seines Corps am 16. und 18. Er hatte am 14. ungefährdet die Mosel passirt, am 15. sein Corps bis Gravelotte geführt und Befehl erhalten, sich bereit zu halten, am 16. früh 4½ Uhr weiter zu marschiren. Um 4½ Uhr war das 6. Corps marschfertig, es wurde 5, 6, 7 Uhr, kein Marschbefehl kam, er wollte eben um weitere Ordre bitten lassen, als ein Generalstabsoffizier ihm den Befehl brachte, sein Lager wieder zu beziehen und die Truppen Kaffee kochen zu lassen. Plötzlich sieht er Reiter in der Ferne: es ist die Cavalerie der Avantgarde, welche sich schleunigst auf das 2. und 6. Corps zurückzieht. Die Schlacht beginnt; Bazaine erscheint, »er hatte die Ordnung auf unserm linken Flügel wiederhergestellt. Er blieb im schärfsten Gefecht und zeigte wie immer unvergleichlichen Muth; ja ich sagte sogar, der Platz des Oberbefehlshabers sei nicht in solchem Schlachtgetümmel. Um 8 Uhr zog sich der Feind zurück. Hatte er uns besiegt? Nein. General Menschikow hat gesagt, der Sieg gehöre demjenigen an, der seine Todten begraben könne. Wir waren auf dem Schlachtfelde, wir haben unsere Todten begraben, wir haben dort bivuakirt, wir hatten folglich gesiegt«.
In der Schlacht von Saint-Privat begann es ihm bald an Munition zu fehlen. Er ließ dies um 2 Uhr nachmittags dem Marschall melden, welcher versprach, ihm Munition und außerdem General Bourbaki mit der Garde zu Hülfe zu schicken, es kam aber nichts, und abends um 7 Uhr mußte er sich, wenn auch, wie er ausdrücklich bemerkt, langsamen Schrittes zurückziehen.
»Glauben Sie, daß es am 17. möglich gewesen wäre, Mars-la-Tour und Vionville wiederzunehmen?«
»Ich glaube, man hätte sie nicht aufgeben dürfen. – Man hat die Rückzugsmaßregeln des Marschalls viel getadelt, aber die Kritik ist leicht, die Kunst ist schwer!«
»Glauben Sie, daß man am 17., nach der Schlacht von Rezonville, Aussicht gehabt hätte, den Feind zu schlagen, wenn man ihn angegriffen hätte?«
»Das ist bedenklich« (nach längerm Nachdenken:) – »ich glaube es, aber ich bin dessen nicht gewiß. Ich glaube es wäre möglich gewesen, zu marschiren, bin aber weit entfernt, dies bestimmt zu behaupten. Es gab auch Gründe, vorsichtig zu sein. Als ich z. B. am 18. meine Front abritt, sah ich wohl, daß es etwas gab, daß die Leute nicht das Gesicht machten, das sie sonst immer auf dem Schlachtfelde machen. Ich fragte sie. Wir haben Hunger, sagten sie, wir haben nichts zu essen, und das war richtig. Man hatte sie für den 14., 15., 16., 17., 18. verproviantirt, aber Sie wissen, wie es der Soldat im Felde macht; sie hatten einen Tag vorweg gegessen. Außerdem hatten sie vom Durst gelitten; es gab zu Saint-Privat kein Wasser. Ich wiederhole: die Fortsetzung unsers Marsches, unter Zurückwerfung des Feindes, wäre schwierig gewesen; ich glaube, sie war möglich, ohne dies jedoch behaupten zu wollen.«
Ebenso vorsichtig beantwortet er die Frage, ob man, wenn der Feind am 17. zurückgeschlagen worden wäre, für den 18. einen Flankenangriff hätte befürchten müssen.
Leboeuf tritt wieder auf, um Bericht über die Theilnahme seines Corps an diesen Schlachten zu erstatten. Am 16. will er etwa 1000 Meter Terrain gewonnen haben; nach der Schlacht erhielt er den Befehl zum Rückzuge. Am 17. mußte er dem Marschall melden, daß ihm die Lebensmittel zu fehlen begannen; am 18. behauptete er seine Stellungen. »Es wäre nicht unmöglich gewesen, Mars-la-Tour wiederzunehmen, die Preußen zurückzuwerfen und den Marsch fortzusetzen, aber es hätte viel Verwegenheit dazu gehört, eine solche Bewegung zu befehlen, und Verwegenheit ist eine Eigenschaft, welche man von einem Oberbefehlshaber, der für die Armee verantwortlich ist, nicht immer verlangen darf. Im Felde ist es schwerer Krieg zu führen als im Zimmer auf der Landkarte.«
General Ladmirault ist am 14., 16., 18. im Gefecht gewesen. Befragt, ob man am 17. hätte angreifen können, entgegnet er: ich würde mich nicht bedacht haben, es zu thun; es hätte fehlschlagen können, aber ich hätte es versucht, wenn ich den Oberbefehl gehabt hatte. Die Folgen eines Sieges wären ungeheuer gewesen.
General Bourbaki: »Ich hatte die Ehre, den Herrn Marschall am 14. und 16. zu sehen. Man kann sich unmöglich einen tapferern und im Feuer ruhigern General denken. Dies war sogar unbequem für uns, denn der Marschall war so muthig, daß wir, seine Generale, nie wußten, wo wir ihn treffen sollten.« Am 18. ließ ihm der Marschall sagen, er lasse ihm freie Hand. Eine Bitte Canroberts um Unterstützung ist ihm nicht zugegangen. Er glaubt, man hätte am 15. weiter marschiren können.
General Frossard weiß nichts Erhebliches zu bekunden, bittet aber, eine Bemerkung machen zu dürfen. Er hat gehört, daß in dem Berichte behauptet wird, er habe dem Marschall in Betreff der Schlacht bei Forbach Vorwürfe gemacht, und wünscht öffentlich zu erklären, daß er dies nie gethan hat.
General Soleille, General der Artillerie der Rheinarmee, kann krankheitshalber nicht erscheinen; seine Aussage wird verlesen. Danach besaß die Festung ausreichende Munition, von derjenigen aber, welche für die Armee bestimmt war, war ein Theil nach dem 8. August der Armee Mac-Mahons zugesandt worden; der große Munitionspark, der zu Toul gebildet werden sollte, kam nie zu Stande, die Verbindungen mit dem Innern waren durch die Zerstörung der Eisenbahn bei Frouard unterbrochen. So mußten die Corps Anleihen beieinander machen, und die Reserveartillerie hat nie die ihr normalmäßig zustehenden Munitionsvorräthe besessen. Daher die Schwierigkeiten und Verlegenheiten, mit denen man seit Beginn des Krieges zu kämpfen hatte. Dies lag weniger an einem Mangel an Vorsorge bei den Vorbereitungen zum Kriege und am Mangel an Hülfsquellen, als an der überwältigenden Schnelligkeit, mit welcher die Preußen ihr Einrücken und die Einschließung von Metz bewerkstelligt hatten, und welche so groß war, daß es unmöglich wurde, die im Innern vorhandenen Hülfsmittel an der Grenze zu concentriren.
Am Abend des 16. August ließ Soleille aus freien Stücken und ohne vorherigen Auftrag Bazaines diesem durch den Obersten Vasse de Saint-Quen melden, daß die Truppen ein Viertel bis ein Drittel ihrer Munition verschossen hätten und daß es zweckmäßig sein würde, noch in der Nacht aus Metz neue Vorräthe zu beschaffen. Einen Bericht an den Kaiser hat er am 17. abends nicht abgefaßt; er war weder gelaunt noch fähig dies zu thun, denn er war von preußischer Cavalerie überritten worden und lag, stark gequetscht, auf seinem Bette, hat auch überhaupt nach dem 12. August nicht mehr an den Kaiser berichtet. Wenn Bazaine in seinem Berichte vom 17. von einem Soleilleschen Berichte über den Mangel an Munition spricht, so kann darunter nur eine am 17. von ihm an den Marschall gerichtete Note gemeint sein.
Oberst Basse de Saint-Quen bestätigt im wesentlichen die Angaben Soleilles. Ob derselbe am 16. und am 17. Depeschen in Betreff der Verproviantirung von Verdun erhalten und ob er dem Marschall dieselben zugestellt hat, weiß er nicht. Vier zwölfpfündige Batterien und sechs Fußbatterien kamen am 18. nicht ins Gefecht.
General Lebrun spricht nochmals sein Mißfallen über die zum Uebergange der Truppen über die Mosel getroffenen Anordnungen aus. Wem er aber die Schuld zur Last legen will, ob dem Generalstabe des Kaisers, ob dem General Coffinières, der vom Kaiser Befehle erhalten hatte, ob Bazaine oder ob dessen Generalstabe, scheint ihm selbst nicht recht klar zu sein.
Civilingenieur Jaumez, Eisenbahnbeamter Renault und Herr Matthieu haben beim Herannahen des Feindes an Novéant, wo sie sich damals aufhielten, am 12. und 13. August, mehrmals in Metz telegraphisch angefragt, ob die Brücke von Novéant nicht abgebrochen werden solle, aber nur zur Antwort erhalten: restez tranquilles! oder noch kürzer: compris. Wer die Depeschen erhalten und wer sie beantwortet hat, wissen sie nicht. Am 16. schlugen die Deutschen bei Novéant noch zwei Brücken, eine Bock- und eine Schiffbrücke. Sie schienen besorgt; ein Offizier sagte zu Matthieu: wenn die französische Armee einen Vorstoß macht, sind wir verloren.
Herr Scal, Inspector der Ostbahn, wurde am 3. September zu Bazaine berufen, welcher ihn fragte, welche Brücke auf dem Wege nach Diedenhofen praktikabel sei. Scal entgegnete, die geeignetste würde die von Longeville sein, doch seien zwei Bogen derselben gesprengt. Der Marschall fragte darauf Coffinières, wie lange deren Wiederherstellung dauern würde. Dieser verlangte drei Wochen Zeit; Scal und ein Freund desselben machten sich anheischig, sie durch Sandschüttungen in drei Tagen wieder gangbar zu machen; Coffinières sagte ihnen, auch er habe hieran gedacht, der Marschall wolle aber darauf nicht eingehen.
Am 22. August schlug Scal dem Marschall vor, bedeutende Proviantvorräthe des Feindes, welche in Waggons verladen auf dem Bahnhofe von Rémilly unweit Metz standen, zu nehmen; die Wegnahme war nach seiner Ansicht äußerst leicht, wenn man, rechts und links von Cavalerie gedeckt, einfach mit Locomotiven hinführe und den Zug abholte. Der Marschall erklärte, dies sei unnütz. Mit diesen Vorräthen aber hätte die Armee sich 31 Tage länger halten können.
Der Angeklagte erklärt, leider habe der Feind diese Vorräthe sehr sorgfältig bewacht, und man würde sich dort nur blutige Köpfe geholt und einige tausend Verwundete mehr nach Metz gebracht haben; ein weiteres Ergebniß würde der Versuch nicht gehabt haben.
Ingenieurhauptmann Boyenval erhielt den Befehl, die Sprengung der Brücke von Ars vorzubereiten. Die Minen waren geladen, als aber der Feind sich näherte, verweigerte Coffinières die Erlaubniß zur Sprengung. Ingenieurhauptmann Compagnons sprengte auf Befehl des Majors Sars, welcher seinerseits mündlichen Befehl von Bazaine erhalten zu haben angab, die Brücke von Longeville. Einige Zeit nachher fragte ihn der Marschall, ob es leicht sein würde, sie wiederherzustellen. Er glaubte, dies in 36 Stunden bewerkstelligen zu können.
Coffinières erinnert sich nicht, am 12. August vom Generalstabe den Befehl zur Sprengung der Brücke von Pont-à-Mousson erhalten zu haben, auch nicht daß ihm von Novéant aus Meldungen über das Herannahen des Feindes gemacht worden wären. Die Genehmigung zur Sprengung der Brücke von Ars konnte er nicht ertheilen; dies war Sache des Oberbefehlshabers. Von der Sprengung der Brücke von Longeville erfuhr er erst, nachdem sie erfolgt war. Er hat auch, nachdem der Rückzug fast beschlossen war, nicht auf die Nothwendigkeit aufmerksam gemacht, die stromaufwärts belegenen Brücken zu sprengen; dies wäre nach seiner Ansicht ein Verstoß gegen die Subordination gewesen, und aus demselben Grunde hat er, wie er auf die Frage eines Beisitzers erwidert, weder sich darum bekümmert, ob die Brücken an geeigneten Stellen geschlagen wurden, noch dem Oberbefehlshaber die sieben verschiedenen Wege nachgewiesen, welche sämmtlich auf die Höhen des linken Ufers führten; er würde ja dann die Leitung der Operation übernommen haben, die ihm doch nicht zustand.
Artilleriehauptmann Sars hörte am 15. August früh Kanonenschüsse aus der Richtung von Longeville und meldete dies dem Marschall; dieser wurde unruhig, besonders weil der Kaiser noch in Longeville war, und befahl, die dortige Brücke zu sprengen. Ein anderes mal, als er den Marschall sah, beklagte sich dieser über die Verlegenheiten, welche ihm die Unentschlossenheit des Kaisers bereite. Der Kaiser wollte den Brückentrain mitnehmen, um über die Maas zu setzen. Der Marschall äußerte: »Wenn ich freie Hand hätte, ginge ich nicht über die Maas.« Gründe hierfür gab er nicht an.
Intendant Wolff hat Vorräthe in Verdun und auf den Höhen zwischen Metz und Verdun aufgehäuft, welche für beide Heere, das von Bazaine und das von Mac-Mahon, wenn sie sich dort vereinigt hätten, ausgereicht haben würden. Er weiß, daß in Montmédy dasselbe geschehen ist. Am 16. August früh wies ihn der Marschall an, sich nach Verdun zu begeben, und sprach von einer beabsichtigten Demonstration gegen Pont-à-Mousson.
Oberstlieutenant Fay, vom Generalstabe, befand sich am 18. August während der Schlacht von Saint-Privat bei dem Marschall zu Plappeville. Erst abends erfuhr man, daß der rechte Flügel geschlagen war. Daß ein Transport Lebensmittel zu Gravelotte zurückgeblieben und verbrannt worden war, erfuhr man gleichfalls erst später, der Generalstab erhielt keine Nachricht von dem, was auf den Höhen vorging, und auch vom Kanonendonner hörte man nichts. Erst als der Marschall Generalstabsoffiziere nach allen Seiten auf Erkundigungen ausgeschickt hatte, erfuhr man vom Gefecht.
Oberst Sars: Bazaine befahl ihm am Abend des 16. August, den General Soleille mit Ausfertigung eines Befehls zu beauftragen, wonach alle Wagen, welche Verwundete nach Metz brächten, sobald dort ihre »kostbare Last« abgeladen wäre, Munition aufladen und den Truppen zuführen sollten. Soleille expedirte diesen Befehl, und der Marschall unterzeichnete ihn. Oberst Basse de Saint-Quen erinnert sich dessen zwar nicht, und in den Befehlbüchern findet sich keine solche Ordre, Sars bleibt aber bei seiner Aussage, obschon der Präsident ihm alle möglichen Befehle vorhält, mit denen er diesen verwechselt haben könnte, und auch General Jarras glaubt sich dieses Befehles zu erinnern; ebenso glaubt Major Fix, dem General Coffinières eine derartige Ordre überbracht zu haben. Am Abend nach der Schlacht von Rezonville, so bekundet dieser Zeuge weiter, gab der Marschall zu unserer aller Betrübniß den Befehl zum Rückzuge auf Metz, wendete sich aber dabei an uns Stabsoffiziere und sagte: »Uebrigens, meine Herren, wenn einer von Ihnen etwas Besseres weiß, so bin ich bereit, es auszuführen. Man muß sich auf Metz zurückziehen, um das Heer zu retten.« Niemand antwortete; ich gestehe, daß es mir auf der Zunge schwebte zu entgegnen: »Herr Marschall, lassen Sie Patronen aus Metz kommen und die Schlacht morgen früh wieder beginnen«; man spricht aber nicht in solchen Augenblicken.
Major Becker verließ mit dem Kaiser am 16. Metz und blieb in Verdun. Am 17. traf ein Handlungsreisender dort ein und erzählte von einem bei Metz erfochtenen gewaltigen Siege; die Bevölkerung gerieth in Enthusiasmus, man erwartete jeden Augenblick die Ankunft des Heeres von Metz und Zeuge erhielt Befehl, Lagerplätze in der Umgegend der Stadt aufzusuchen. Während man aber noch vom Siege schwärmte, stieß schon eine Gensdarmeriepatrouille im freien Felde auf einige feindliche Ulanen. Die Thatsache war sehr bedeutsam, sie bewies, daß jene Nachrichten mindestens übertrieben waren. Am 19. erhielt Zeuge ein Commando nach Montmédy in Verproviantirungsangelegenheiten, und sah unterwegs ebenfalls Ulanen; die Lebensmittel waren bereits nach Longuyon geschafft. – Der Kaiser hatte Befehl gegeben, über die Maas zu gehen.
Bazaine: Der Zeuge sollte dort Lagerplätze aufsuchen, man glaubte also, daß die Armee dort bleiben werde. Als der Zeuge Metz verließ, erwartete man noch keine Schlacht; der Marsch auf Verdun war beschlossen, aber man hätte drei Tage gebraucht, um ihn auszuführen. Wir konnten nur unter guten taktischen Verhältnissen nach Verdun rücken, wir mußten einen Fuß auf der Maas, den andern auf der Mosel haben.
Benoist, Maire von Verdun, empfing am 16. den Kaiser auf dem Bahnhofe; er schien betrübt und unruhig, schwere Sorgen schienen ihn zu bedrücken. Er sagte: »Marschall Bazaine folgt mir, er wird in Conflans übernachten und morgen mit seinem Heere hier sein.« Der Maire erwähnte die großen dort aufgehäuften Vorräthe und fragte, ob Verdun etwa eine Einschließung zu befürchten habe. Nein, erwiderte der Kaiser, Bazaine wird Verdun wieder verlassen und alles mitnehmen, was er hier vorfindet. Er setzte hinzu: »Ich gehe nach Paris, dort werde ich ein neues Heer bilden und wieder die Offensive ergreifen.« Es wurden Karten geholt und der Kaiser und sein Stab studirten die Stellungen bei Verdun. »Ich und meine Adjuncten kannten aber die Gegend besser als die Herren vom Generalstabe, und zeigten ihnen die besten Punkte, besonders zum Brückenschlagen.«
Lewal, Oberst vom Generalstabe, erhielt am 17. abends von Bazaine den Befehl, eine große Recognoscirung vorzunehmen, konnte am 18. aber erst um 11½ aufbrechen, da die andern dazu befehligten Offiziere zu spät am Rendezvous eintrafen. Als er an die Stellungen des 3. Corps kam, begann die Schlacht, die er von den Höhen von Amanvillers übersehen konnte. Die andern Offiziere kehrten zurück, er ersuchte sie, dem Marschall zu melden, was sie gesehen, ritt noch bis Woippy und dann nach Plappeville; während er sich dort ein frisches Pferd satteln ließ, wollte er dem General Jarras Bericht erstatten, dieser wollte aber nichts hören, sondern wies ihn an, schleunigst den Marschall aufzusuchen, den er bei Saint-Quentin antraf. Am Abende wurden dann zu Plappeville die Befehle in Betreff der am nächsten Morgen einzunehmenden Stellungen expedirt.
Präsident: Welchen Charakter hatte die Recognoscirung? Wurden die Stellungen bei Metz von dem Gesichtspunkte aus geprüft und gewählt, als sollten sie im Falle eines Fehlschlages, einer unglücklichen Schlacht das Heer aufnehmen, oder mehr als regelrecht und abgesehen von jedem Verlaufe der Schlacht zu beziehende Stellungen?
Zeuge: Ich glaube, der Marschall suchte die Stellungen für alle Fälle, um im voraus auf alle leider immerhin möglichen Ereignisse vorbereitet zu sein, mit Einem Wort, aus Vorsicht.
Präsident: Er hat Ihnen von seiner Absicht, die Truppen zurückzuziehen, nichts mitgetheilt?
Zeuge: Nein.
Präsident: Hat er Ihnen die Stellung von Bemout und von Woippy bezeichnet?
Zeuge: Ich glaube, ja!
Präsident: Bewies die Wahl dieser Stellungen nicht eher, daß er die Absicht hatte, sich auf Metz zurückzuziehen, als daß er bestrebt gewesen wäre, die Aufgänge der Höhen, welche nach Briey führen, zu beherrschen und sich offen zu halten, und daß er den Vormarsch auf Briey vorläufig aufgab?
Zeuge: Gewiß!
Hauptmann Yung ritt am 18. mit dem Marschall. Ein Weg war auf einen Augenblick von Bauern, Soldaten und Fuhrwerken vollgestopft, unter den Leuten brach eine Art von Panique aus und sie flohen ungeordnet zurück. Da wendete sich Bazaine zu dem Zeugen und sagte: »Was soll man mit solchen Truppen anfangen?«
Hauptmann de Chalus wurde am 18. von Canrobert von Saint-Privat aus zu Bazaine geschickt, um Munition und eine Division Infanterie zu erbitten, fand ihn zu Plappeville, und er sagte: »Kommen Sie mit, ich werde eine Division Garde schicken.« In diesem Augenblick kam aber ein General vom 6. Corps, und er gab den Befehl nicht. Zeuge mußte sich also damit begnügen, dem Marschall Canrobert Munition zuzuführen.
Major de Beaumont: Bourbaki hatte mir am 18. nachmittags befohlen, festzustellen, ob der Feind etwa von der Mosel her vorrücke. Dies war nicht der Fall. Auf dem Rückwege traf ich den Marschall, dem ich meldete, was ich gesehen. Er sagte: Da Sie zu Bourbaki zurückkehren, sagen Sie ihm, er solle mit der ganzen Garde zurückkommen (rentrer) und seine Cantonnements wieder beziehen, er brauche Canrobert nicht mehr zu unterstützen. Ich fand diesen Befehl so ernst, ich sah dessen Wichtigkeit so wohl ein und er überraschte mich dergestalt, daß ich fürchtete, falsch verstanden zu haben, und den Marschall bat, ihn zu wiederholen. Er wiederholte ihn und setzte hinzu: Nun ja, der Tag ist zu Ende, die Preußen haben uns auf die Probe stellen wollen, jetzt ist es vorbei! – Ich kam gegen sechs Uhr wieder zu Bourbaki.
»Wer hat dem Marschall Canrobert den Theil des Befehls überbracht, der ihn betraf, nämlich daß er nicht auf die Garde rechnen dürfe?«
»Er hat ihn nicht erhalten. Als ich zu Bourbaki kam, sah ich, wie ernst die Sache war; er hatte bereits begonnen vorzurücken, und ich habe ihm deshalb von dem Befehle nichts gesagt.«
Bazaine behauptet, der Zeuge irre, er habe nicht gesagt, Bourbaki solle zurückgehen, rentrer, sondern bleiben, rester, nämlich auf dem Schlachtfelde; derselbe stand damals bei Gros-Chêne.
Hauptmann de Mornay-Soult de Dalmatie war am 18. als Ordonnanzoffizier bei Bazaine. »Wir trafen den Hauptmann de Beaumont. Wohin, Hauptmann? fragte der Marschall. Ich kehre zum General Bourbaki zurück, entgegnete jener. Gut, sagte der Marschall, sagen Sie ihm, er solle sich mit Canrobert in Verbindung setzen, und solle ihm bestellen, er möge dort bleiben und vor allem sich nicht leichtsinnig engagiren. Man hörte in diesem Augenblicke schlecht, da Geschütze vorüberfuhren, und der Hauptmann äußerte, er habe nicht recht verstanden. Ich hatte soeben begonnen, ihm die Worte des Marschalls zu wiederholen, als dieser mich unterbrach und sie selbst wiederholte. Ich reichte dem Hauptmann die Hand, und da ich fürchtete, er habe noch nicht recht verstanden, sagte ich ihm den Inhalt des Befehles, den er seinem General überbringen solle, noch einmal, d. h. er solle auf dem Schlachtfelde bleiben, solle sich mit Canrobert in Verbindung setzen, und solle sich vor allem nicht leichtsinnig engagiren. Ich betonte das » vor allem«, weil Bourbaki sich gerade am Morgen beklagt hatte, daß die Reserve nicht immer verwendet werden könne. Herr von Beaumont verließ uns; ich rief ihm zu: ›Viel Glück!‹ Dies Wort beweist schon, daß er nach meiner Ansicht ins Feuer ging und daß der Marschall von rester, nicht von rentrer gesprochen hatte.«
Bei einer Confrontation dieses Zeugen mit de Beaumont bleibt jeder bei seiner Angabe stehen, das gewöhnliche Ergebniß solcher Confrontationen.
Hauptmann de Mornay fährt fort: »Am 16. hatte ich gerade einen Befehl ausrichten müssen, als die braunschweiger Husaren angriffen. Ich konnte den Marschall, der in die Attake gerathen war, lange nicht wiederfinden, endlich sagte mir ein Jägeroffizier, derselbe habe ihm eben einen Befehl ertheilt. Freudig bewegt über diese gute Nachricht, da ich soeben noch für das Leben des Marschalls gefürchtet hatte, fragte ich General Jarras, den ich in Rezonville traf, ob er nicht wieder zum Marschall stoßen wolle. Er gab mir eine Antwort, die mich äußerst betroffen machte. ›Das ist Ihre Sache, Herr Ordonnanzoffizier!‹ entgegnete er. Höchst überrascht wendete ich mich an die andern Offiziere vom Generalstabe. ›Kommen Sie nicht mit, meine Herren?‹ fragte ich. ›Nein‹, antworteten sie, ›der Herr Chef des Generalstabes bleibt ja hier!‹«
Der Präsident fragt, ob der Marschall in dem Augenblicke, da er den Degen ziehen mußte, nicht von den Offizieren des Generalstabes umgeben war. Der Zeuge verneint dies; sie waren 100–200 Meter zurückgeblieben. Er erzählt dann weiter:
»Als ich abends mit dem Marschall nach Gravelotte zurückkehrte, wurden wir auf der Straße plötzlich von einer Schar Soldaten aller Waffengattungen, Landleuten und Wagenführern umringt, welche die Flucht ergriffen hatten. Ich eilte ihnen voraus und rief ihnen zu: »Was gibt es denn? warum lauft ihr? da lohnt es sich auch gerade, gesiegt zu haben!« Als ich wieder zum Marschall kam, sagte er, von gesiegt haben hätte ich nicht sprechen sollen, wir hätten nicht vollständig gesiegt, da wir uns den Weg nicht hatten freimachen können!«
Hauptmann Lacale, Ordonnanzoffizier Bourbakis, traf am 18. etwa um 4 Uhr nachmittags den Marschall, der ihn kannte und ihn fragte: »Wollen Sie den General wieder aufsuchen?« Ich bejahte; darauf sagte er: »Es ist nicht nöthig, die Garde bezieht wieder ihre Bivuaks.« Hauptmann de Sancy, der mit Lacale zusammengewesen zu sein scheint, hörte den Marschall sagen: »Alles steht gut. Wir sind in unsern Stellungen sehr heftig angegriffen worden, haben sie aber behauptet. Der Tag ist so gut als beendet.«
Hauptmann Latour-du-Pin war Adjutant Ladmiraults und bat am 18. Bourbaki um Unterstützung, welche dieser, ohne sich jedoch auf Befehle des Marschalls zu beziehen, verweigerte. Gleichzeitig verlangte Canrobert mit gleich wenig Erfolg Unterstützung. Abends 9 Uhr kam der Zeuge in das Hauptquartier und meldete dem Marschall, das Corps habe seine Stellungen gehalten, die Schlacht sei nicht verloren und man brauche nur am nächsten Morgen wieder anzufangen. »Als ob es sich darum handelte!« sagte der Marschall. »Wir sollten morgen früh abrücken, wir werden heut Abend abrücken, dies ist alles.« Darunter verstand er den Rückmarsch unter die Kanonen von Metz.
Bei Beginn der nächsten Sitzung wird Herr Régnier als Zeuge aufgerufen, ist aber nicht erschienen.
Major Caffarel vom Generalstabe mußte am 18. auf Canroberts Befehl dem Marschall Bazaine melden, daß das 6. Corps zwar Saint-Privat noch halte, aber von sehr überlegenen Streitkräften angegriffen werde. Als er am 29. October dies Corps dem Feinde übergab, unterhielt er sich mit deutschen Offizieren über diese Schlacht, und erfuhr, daß dem 6. Corps mit seinen 60 Geschützen drei feindliche Corps mit 260 Geschützen gegenübergestanden. Abends hatte er dem Marschall zu melden, daß Canrobert Saint-Privat habe räumen müssen, und sprach seinen Schmerz über diesen Rückzug aus. Der Marschall schien gleichfalls betrübt, entgegnete aber: »Trösten Sie sich, Herr Major, die Bewegung, welche Sie heut Abend machen, hätten Sie morgen früh doch machen müssen, die Preußen werden sich also nicht rühmen können, Sie zurückgeworfen zu haben.«
Es folgt eine ganze Reihe von Zeugen, deren Aussagen sich auf die Schlacht bei Forbach beziehen; der Staatsanwalt erklärt zwar deren Vernehmung für überflüssig, da die Anklage nur die Thatsachen zum Gegenstande habe, welche sich ereignet, nachdem der Marschall das Obercommando übernommen; der Vertheidiger macht aber mit Recht geltend, daß der Rivieresche Bericht dem Marschall auch sein Verhalten in Betreff jener Schlacht zum Vorwurf mache, und der Präsident ordnet an, daß die Vernehmung, um die Vertheidigung in keiner Art zu beschränken, erfolgen solle. Sie ergibt, daß Bazaine in der That alles gethan hat, was in seinen Kräften stand, um Frossard zu unterstützen, daß seine Befehle aber theils den Generalen nicht zugekommen, theils nicht ausgeführt worden sind, wie denn Frossard selbst sich wiederholt zu Gunsten des Marschalls ausspricht.
Hauptmann de Locmaria bekundet, daß am 10. August Ladmirault dem Marschall melden ließ, sein ganzes Corps sei zwar bereits auf dem linken Ufer, es habe sich aber tags zuvor geschlagen und sei ermüdet, er bitte also um einen Tag Ruhe, bevor er weiter marschire. »Nein«, entgegnete der Marschall, »ich bedauere sehr, aber wir müssen in vier Tagen in Verdun sein. Die Leute sollen Rationen für vier Tage im Brotbeutel mitnehmen. Wir müssen vorwärts!«
General Arnaudeau, auf die Frage des Vertheidigers, ob nach der Schlacht von Rezonville, am 16. abends oder 17. früh, der weitere Vormarsch möglich gewesen wäre: »Die Landleute benachrichtigten uns, daß die Preußen über Gorze auf die Höhen gerückt seien. Obgleich zurückgedrängt, waren sie doch nicht geworfen. Ich würde es für unvorsichtig, wenn nicht für unmöglich gehalten haben, vorzurücken, ehe man nicht in einer großen Schlacht die deutsche Armee vernichtet und die Preußen in die Mosel geworfen hätte.«
Staatsanwalt: Wäre aber diese Schlacht nicht möglich gewesen?
Der Zeuge: Ja, das ist eine andere Frage. Nur der Oberbefehlshaber, dem alle Nachrichten zugegangen waren, konnte beurtheilen, ob man dem Feinde eine solche Schlacht liefern konnte.
Major Vanson überbrachte am 15. dem General Ladmirault den Befehl Bazaines, sofort mit dem 4. Corps aufzubrechen; es sollte über Doncourt marschiren. Der General bemerkte, seine Truppen seien vom Marsch und dem Gefecht des vergangenen Tages zu ermüdet, er könne nicht marschiren. Der Major berief sich auf den Befehl, Ladmirault entgegnete: »Antworten Sie dem Marschall, daß ich den Abmarsch heut nicht für möglich halte. Er kennt den General Ladmirault, er weiß, ob ich Infanterie zu führen verstehe. Sagen Sie ihm, ich halte den Abmarsch für unmöglich, und er wird Ihnen glauben.«
Major de France wurde am 16. morgens vom Marschall zu den Commandanten des 2. und 6. Corps geschickt, um Erkundigungen über ihre Lage und besonders über ihre Verpflegung einzuziehen. Frossard und Canrobert waren zu Rezonville. Canrobert erklärte: das 6. Corps hat für den 16. kein Fleisch, kaum Zwieback, weder Zucker, noch Reis, noch Kaffee. Frossard: Wir haben kaum Zwieback genug für den 16., und fast nichts anderes. Der Marschall war sehr unzufrieden, als ihm dies gemeldet wurde, und ließ sofort die Intendantur davon benachrichtigen.
General Dubreuil schildert einen Angriff, den seine Kürassiere am 16. auf preußische Infanterie gemacht haben. »Der Marschall, der, wie immer, kaltblütig mitten im Granatfeuer hielt, gab mir den Befehl zum Angriff, die Kürassiere griffen tapfer an, wurden aber von einem mörderischen Feuer empfangen und geworfen. Das Regiment verlor bei diesem Angriff 22 Offiziere, 24 Unteroffiziere, 220 Mann, über 250 Pferde. Seine Ueberbleibsel sammelten sich sofort wieder, und es folgte nun der Angriff der braunschweiger Husaren, in den der Marschall mit verwickelt wurde.
Bazaine: Ich habe den Zeugen hauptsächlich laden lassen, um die glänzende Haltung unserer Kürassiere festzustellen, die sich geopfert haben, um den Vormarsch der feindlichen Infanterie aufzuhalten.
Präsident: Das Kriegsgericht hat mit Interesse den Bericht des Generals vernommen.
General Montarby sah am 16., abends 7½ Uhr, eine Schar von Flüchtigen aller Regimenter, bunt durcheinander, aus Rezonville kommen. In Gravelotte wurde mindestens bis Mitternacht zum Sammeln geblasen.
General de Gondrecourt schildert »eine garstige Verwechselung« am Abende des 16., wo französische Cavalerie einander niederhieb, weil die Lanciers fast dieselbe Uniform trugen als die deutschen Ulanen, und antwortet dann auf die Frage des Vertheidigers, ob es am 16. abends möglich gewesen wäre, Mars-la-Tour zu nehmen: »Meiner Ansicht nach unmöglich! Unsere Pferde waren weder gefüttert noch getränkt, die Leute hatten nichts als einen kleinen Bissen aus freier Faust gegessen.«
Vertheidiger: Wäre der Vormarsch am 17. möglich gewesen?
Zeuge: »Meine persönliche Meinung ist folgende: Am 17. vorzugehen, wäre nach allen strategischen Grundsätzen, die ich aus meinen Studien entnommen habe, ganz verkehrt gewesen. Wenn wir am 17. vormarschirt wären, ohne uns zuvor der Armee des Prinzen Friedrich Karl zu entledigen, welche 240000 Mann, d. i. doppelt so stark war als wir, und mit der Wahrscheinlichkeit, vor uns die Armee des Kronprinzen von Preußen und rechts die des Kronprinzen von Sachsen zu finden, so wäre dies, ich wiederhole es, ein Fehler gewesen. Vielleicht hätte die Schule Condés es gethan, die Turennes aber sicher nicht. Unter diesen Umständen hätte viel Verwegenheit und Verachtung aller Regeln dazu gehört, es zu versuchen.
Major Guioth wurde am 18. morgens von Bazaine geschickt, um zu fragen, ob die Verpflegung der Corps geregelt sei. Leboeuf erklärte, die Lebensmittel seien sehr knapp, die Munition ziemlich vollständig. Am Abend beauftragte ihn Frossard, dem Marschall zu melden, sein Corps habe sehr gelitten, und wenn alsbald ein neues Gefecht stattfinden sollte, so könnten die Offiziere, besonders in zwei Divisionen, für ihre Leute nicht mehr einstehen.
Die Verhandlungen gehen jetzt auf die Verbindungen Bazaines mit der Außenwelt über. Der Telegraphendirector de la Vasselais berichtet über die telegraphischen Verbindungen, in welchen Metz bei Beginn des Krieges stand, die aber am 19. August abends sämmtlich abgeschnitten waren. Er bot Coffinières an, man solle versuchen, die Verbindung mit Diedenhofen wiederherzustellen, was dieser jedoch ablehnte. Am 20. erhielt er noch durch Boten eine Depesche Mac-Mahons vom 19. August und zwei andere an den Marschall und an General Soleille, später hat er keine mehr erhalten. Die Förster Braidy und Fissabre schlichen sich am 19. mit Depeschen aus Verdun glücklich durch die preußischen Linien, wurden auch einmal verhaftet, gaben sich aber für Arbeiter aus, die in Metz Arbeit suchen wollten, wurden wieder entlassen, und Braidy gelangte bis zu Bazaine, der ihm 50 Frs. gab; am 20. erhielten sie von ihm Depeschen nach Verdun, die sie wieder glücklich durchschmuggelten. Der Förster Scalabrino erhielt am 17. August zu Verdun eine Depesche, welche er dem ersten General, den er treffen würde, übergeben sollte. Er gelangte nach manchen Fährlichkeiten am 18. früh nach Saint-Privat und wurde von Canrobert, den er dort traf, zu Bazaine nach Plappeville geschickt, der ihn nach Verschiedenem fragte. Abends bat er, ihm eine Antwort mitzugeben, erhielt aber weder Depesche noch Nachtquartier und mußte in einem Stalle schlafen. Am andern Morgen ließ ihm der Marschall sagen, er habe keine Depesche für ihn, und er schlich sich mit Braidy und Fissabre abermals durch. Am 22. machte er noch einen Versuch, eine Depesche von Verdun nach Metz zu bringen, konnte aber nicht durchkommen. Der Förster Guillemin schmuggelte am 20. die Depesche des Intendanten Wolff ein, worin dieser dem Marschall anzeigte, daß in Diedenhofen Proviantvorräthe angehäuft seien. Der Marschall sagte, als er sie gelesen hatte: Zu spät! Wieder nach Verdun zu kommen, gelang dem Zeugen nicht.
Zwischendurch bekundet der Intendant de Prévas, daß ihm schon am 17. August Bazaine eröffnete, er werde den Weg nach Norden einschlagen, und ihn anwies, als Centralpunkt für die Verpflegungsangelegenheiten Longuyon zu betrachten; der Intendant Wolff hat auf Grund dieser Mittheilung auf der Linie von Metz bis Mézieres Vorräthe aufgehäuft, welche am 29. August etwa 800000 Rationen betrugen; dagegen behauptet der Generalintendant Uhrich, erst am 23. erfahren zu haben, daß jene nördliche Linie verproviantirt werden solle.
Es folgen wieder verschiedene Zeugen über Depeschensendungen.
Unterpräfect Aubanel erfuhr in Montmédy vom Major Magnan, daß derselbe eine Depesche für Bazaine habe, aber nicht zu ihm gelangen könne; es wurde ein Bote mit dieser Depesche abgesandt, welcher bei seiner Rückkehr meldete, er habe zwar auch nicht durchdringen können, die Depesche habe aber der Marschall dennoch erhalten. Major Reboul schickte am 22. August von Montmédy eine Depesche Mac-Mahons an Bazaine; sie wurde in vier Exemplaren je einem Boten anvertraut, von denen einer gar nicht abging, einer bis Longwy und zwei bis Diedenhofen gelangten, wo sie die Depesche an den Commanbanten Turnier abgeliefert haben wollten; am 26. kamen sie nach Montmédy zurück. Bahnhofsinspector Thomas will am 22. eine Depesche Mac-Mahons zur Weiterbeförderung an Bazaine erhalten haben; früher hatte er den 20. angegeben; der Präsident äußert, ihm scheine »mehr Erfindung als Irrthum« vorzuliegen. Förster Fays und Bahnbeamter Lagneau wollten die Magnansche Depesche von Diedenhofen nach Metz bringen. Turnier sagte ihnen, das sei nicht nöthig, er sei in steter Verbindung mit dem Marschall, und theile ihm alles mit, was er erfahren solle. Sie übergaben ihm also die Depesche. Herr André versuchte, einen Brief Magnans über Diedenhofen hinaus nach Metz zu bringen, wurde aber von den Preußen gefangen genommen. Dagegen gelang es noch am 20., nachdem die Bahn schon zerstört war, dem Literaten Renon, Mitglied einer Hülfsgesellschaft für Verwundete, ungefährdet von dort nach Metz zu kommen, freilich unter dem Schutze der Genfer Binde. Ein Zeuge, Guillaume Alexis, bekundet, daß ihm am 20. August der Major Magnan zu Montmédy eine Depesche an Bazaine anvertraut hat, daß es ihm aber nicht gelungen ist, sich durchzuschleichen. Staatsanwalt Serot und Schiffslieutenant Rogués erzählen, wie letzterer mit einem Briefe, wie er behauptet, der Kaiserin an Bazaine, wie Serot angibt, der Kaiserin an den General Bourbaki oder dessen Gattin, am 22. in Rethel eintraf, vergeblich nach Metz zu kommen versuchte und am 25. in Rethel als verdächtig verhaftet wurde, Friedensrichter Guiot und Hauptmann Vasseur berichten gleichfalls von vergeblichen Versuchen, nach Metz zu gelangen, und der Präsident läßt schließlich die tags zuvor vernommenen Förster Braidy, Scalabrino, Fissabre und Guillemin nochmals vortreten, um ihnen den Dank des Gerichtshofes für ihre patriotische Hingebung auszusprechen, »eine Hingebung, welche um so bewunderungswerther war, als Sie allein sich deren nicht bewußt zu sein schienen. Ich schätze mich glücklich, Ihnen die Glückwünsche des Kriegsgerichts auszusprechen!«
Allgemeine Rührung; die Förster, welche den Schauer von Phrasen in militärisch kaltblütiger Haltung über sich haben ergehen lassen, steigen »strahlenden Antlitzes von der Estrade herab, und zeigen durch ihre Haltung, daß sie stolz auf die ihnen zutheil gewordene wohlverdiente Huldigung sind«, bei welcher sich das zahlreiche Publikum durch »zustimmendes Gemurmel« betheiligt hat. Gleich darauf tritt der Major (jetzt Oberst) Magnan unter allgemeiner Spannung auf; man wird sich erinnern, daß der Rivièresche Bericht ihm zur Last legt, nicht wieder zu Bazaine zurückgekehrt zu sein, weil dieser es ihm verboten habe, während er dies sehr wohl vermocht hätte.
Magnan bekundet: »Am 17. abends befahl mir der Marschall, mich nach Châlons zu begeben und bei dem Kaiser einen Auftrag auszurichten. Ich reiste sofort ab, traf am 18. früh dort ein und überreichte dem Kaiser meine Depeschen, nämlich einen Brief des Marschalls, einen bei der Leiche eines preußischen Offiziers gefundenen Armeebefehl, einen Bericht des Generals Soleille über die Bestände des Arsenals von Metz, in welchem derselbe nur 1,800000 Patronen gefunden zu haben erklärte. Ich berichtete dem Kaiser ferner über die Schlacht vom 16., und daß dieselbe ruhmvoll für unsere Waffen, aber erfolglos gewesen sei, daß der Feind immer noch die Höhen besetzt halte, daß die südliche Straße nach Verdun uns durch die Besetzung von Mars-la-Tour gesperrt sei und daß man nordwärts werde marschiren müssen, wobei der Marschall Briey als Zielpunkt betrachte, was jedoch von den Umständen abhängen werde. Ich bat den Kaiser schließlich, dem Marschall Vollmacht zu Beförderungen und Personalveränderungen zu ertheilen, wie dieser mir aufgetragen hatte. Der Kaiser erklärte, daß ihm dies völlig freistehe und daß er Bazaines Plane durchweg billige, ihm aber dringend anempfehle, sich nur mit äußerster Vorsicht in Bewegung zu setzen und alles zu vermeiden, was zum Untergange des Heeres führen könnte, auf welchem die militärische Zukunft und das Heil Frankreichs, beruhe. Darauf suchte ich den Marschall Mac Mahon auf, der seine Hoffnung ans baldige Vereinigung beider Heere aussprach. Er sprach dann von seiner Armee, die noch nicht besonders tüchtig war; er zeigte mir im Vorübergehen ein Regiment, welches zum ersten mal zum Scheibenschießen ging. Wir waren vom Kaiser zum Frühstück befohlen. Nach dem Frühstück fragte ich ihn und den Marschall, ob sie mir nicht noch weitere Befehle mitgeben wollten. Sie verneinten dies. Dies, meine Herren, war meine ganze Sendung.«
Er erwähnt dann, daß das Telegramm, durch welches seine Abreise gemeldet wurde, ohne alle Bedeutung war und lediglich auf seinen Wuusch vom kaiserlichen Secretär Pietri abgelassen wurde, daß er in Charleville nicht zu Mittag aß, weil er sicher darauf rechnete, dies in Metz zu können, daß er um 9 Uhr abends in Hayanges ankam und dort erfuhr, daß die Bahn abgeschnitten sei und daß er deshalb nach Charleville zurückfuhr, von wo aus er sofort dem Kriegsminister seinen Aufenthalt meldete, und folgenden Tages nach Diedenhofen gelangte. Dort wurde ihm wieder mitgetheilt, daß man nicht nach Metz gelangen könne. Er begab sich nach Carignan und suchte einen Boten nach Metz zu erlangen. Es meldeten sich deren viele, vom besten Willen beseelt, aber ebenso unverständig. Einer wollte sich als Ulane verkleiden, verstand aber kein Wort deutsch. Ein anderer forderte 100000 Frs. Er fand endlich Förster, Zollbeamte, gewandte Männer, aber keinem gelang es durchzukommen. Am 29. September erfuhr er von Bourbakis Reise, traf mit ihm in Belgien zusammen, sah nach den ihm von diesen gemachten Mittheilungen ein, daß für ihn in Metz nichts mehr zu thun sei, und stellte sich der Regierung der nationalen Vertheidigung zur Verfügung. »Ich habe in der Loire- und in der Nordarmee gedient, und darf, ohne der Ueberhebung geziehen zu werden, sagen, daß ich mir die Epauletten, die ich trage, erkämpft habe. Ich Protestire gegen gewisse Verdächtigungen, die der Bericht gegen mich angedeutet hat.«
Präsident: Die Klarheit und Genauigkeit Ihrer Aussage sind die beste Antwort, welche Sie, Herr Oberst, hierauf geben konnten.
Nach einigen unbedeutenden Zeugen erscheint Herr Flahaut, ein Bote, welchem Turnier am 28. August eine chiffrirte Depesche an Bazaine übergab. Er umgab sie mit einer Kautschuklösung und verschluckte sie, wurde von den Preußen, natürlich ohne Erfolg, durchsucht, kam glücklich nach Plappeville, entledigte sich seiner Depesche auf natürlichstem Wege, und hatte den Kummer, baß man sie nicht annehmen wollte, sondern ihm mittheilte, man habe dasselbe schon von einem andern Boten erfahren, und sie ungelesen verbrannte. Am 4. September übergab ihm Bazaine eine Depesche, es gelang ihm aber nicht, sich durchzuschleichen. Theilnehmer dieser Expedition und mit derselben Depesche betraut, die er auch ebenso verborgen hatte, war Herr Marchal, dieser hatte aber die Depesche schon unterwegs »evacuirt«, trug sie seitdem im Munde bei sich, und übergab sie dem Marschall, welcher ihn belobte. Der Präsident spricht ihm die Anerkennung des Kriegsgerichts aus. Frau Imbert aus Metz, eine resolute Dame von 29 Jahren, gelangte am 21. August glücklich zu Wagen von Metz nach Diedenhofen, wohin sie eine Depesche zu überbringen hatte. Turnier, dem sie dieselbe am 22. früh übergab, wies sie an, zu warten, da sie eine Depesche nach Metz zurückbefördern solle. Sie wartete bis Mittag, endlich suchte sie Turnier auf und fand ihn in einem Café. »Donnerwetter, ich hatte Sie vergessen!« rief er aus. Sie kam aber nicht mehr nach Metz zurück, sondern mußte umkehren und in Diedenhofen bleiben. Die Zollwächter Hiegel und Simon erhielten am 22. von Reboul, dem Commandanten von Montmédy, Depeschen für Bazaine, für deren Ablieferung ihnen 1000 Frs. versprochen wurden. Sie übergaben dieselben am 23. Turnier, der die Weiterbeförderung übernahm; ebendasselbe that ein dritter am 22. von Reboul abgesandter Bote, Mobilgardist Syndic, nachdem er bis in die Nähe von Metz gelangt war, ohne sich weiter durchschleichen zu können.
Der Maire Lagosse aus Longuyon wurde, da er sich für jede beliebige Dienstleistung zur Verfügung gestellt hatte, am 25. nach Vouziers berufen, wo ihm General Ducrot einen Zettel des Inhalts:
»Vertrauen! Tausend Grüße! General Ducrot.« aushändigte und ihn sodann die bekannte Depesche an Bazaiue: »Mac-Mahon kommt mit 120000 Mann. General Ducrot führt sein Corps. Die Armee wird am 27. zu Stenay sein. Halten Sie sich bereit, auf den ersten Kanonenschuß aufzubrechen«, auswendig lernen ließ. Er sagte ihm dabei, daß diese Nachricht von der größten Wichtigkeit sei, da man von Bazaine und dessen Planen nichts wisse, und daß Bazaine sie durchaus erhalten müsse; Geld »spiele dabei gar keine Rolle«. Lagosse kam nach manchen Fährlichkeiten am 27. zu Turnier, welcher sich die Depesche von ihm dictiren ließ und ihm versprach, sie durch drei sichere Boten, von denen doch mindestens einer ankommen werde, zu befördern. Am nächsten Morgen schickte er ihn zu Mac Mahon mit dein Auftrage, diesem zu sagen, daß er seit dein 22. keine Nachrichten von Bazaine habe. Der Staatsanwalt Lallement aus Saargemünd wurde am 27. von Turnier beauftragt, eine angeblich äußerst wichtige Depesche an die Armee von Châlons zu überbringen. Er übergab sie, ohne ihren Inhalt zu kennen, am 29. zu Sedan dem General Beurmann. Unterwegs, auf der Eisenbahn zwischen Luxemburg und Sedan, fuhr er mit einem Jesuiten zusammen, welcher erzählte, er komme geradesweges aus Metz; als Geistlicher und Belgier habe er vom Prinzen Friedrich Karl einen Passirschein erhalten. Zum Beweise zeigte er einen an Frau Marschallin Bazaine adressirten Brief vor, den er zur Post zu geben versprochen habe.
Der Maschinenheizer Miech will eine Depesche unter vielen Gefahren nach Metz und von dort nach Diedenhofen gebracht haben, erinnert sich aber der Daten nicht, und seine Aussage steht mit denen verschiedener seiner Verwandten, bei denen er Unterkommen gefunden haben will, und mit seinen in der Voruntersuchung gemachten Angaben in bedenklichem Widerspruch.
Endlich erscheint der Oberst a.D., weiland Festungscommandant Turnier, unter allgemeiner Aufmerksamkeit, die er aber gründlich täuscht; er beklagt sich über die schwache und unbrauchbare Garnison, welche man ihm belassen, erzählt, daß ihm verboten worden sei, die Mobilgarde mit alten Flinten zu bewaffnen, da man ihm neue aus Paris schicken werde, daß aber wol die Feinde, jedoch nicht die Flinten gekommen seien, und versichert, weder Misbrauch mit den geheimen Fonds getrieben, noch in irgendwelcher geheimnißvollen Beziehung zu Magnan gestanden zu haben. Sonst aber sind seine Erinnerungen gänzlich verworren; er hat viel Boten geschickt, weiß aber nicht recht wann und an wen, und selbst der Staatsanwalt verzichtet schließlich darauf, etwas Neues von ihm zu erfahren. Doch erklärt Turnier wiederholt, alles gethan zu haben, was Pflicht und Diensteifer nur geboten.
Darauf soll General Coffinières über die Verbindungen zwischen der Festung und der Außenwelt Auskunft geben, sucht sich aber zunächst wegen der von ihm zur Beerdigung der Gefallenen gewährten Waffenruhe zu rechtfertigen. Sodann gibt er an, daß er am 18. an den Kriegsminister geschrieben und Pulver und Brot erbeten, sowie daß er am 20. einen Brief Turniers, wonach der Kaiser durchaus Nachrichten haben wollte, erhalten und beantwortet hat, erinnert sich aber nicht, am 17. an den Kaiser telegraphirt und in der Depesche gesagt zu haben, Metz sei beinahe eingeschlossen. Am 20. August wurden ihm mehrere Briefe Turniers überbracht, unter andern einer, welcher Nachrichten über Magnan enthielt; da der Ueberbringer gleichzeitig Depeschen für den Marschall hatte, schickte er ihn zu diesem, kann aber nicht behaupten, daß er selbst dem Marschall irgendwelche Mittheilung hiervon gemacht hätte.
In einem von ihm geführten Tagebuche findet sich die Notiz: »22. August werden die Corpschefs nach Ban Saint-Martin berufen. Es findet eine Versammlung statt. Man sagte dort, Major Magnan sei zum Kaiser geschickt und die Armee Mac-Mahons sei auf dem Marsche nach Metz.«
So erwartete man also am 22. August zu Metz die Ankunft Mac-Mahons? fragt der Präsident.
Das war meine Ansicht, erwidert der Zeuge. Ich trug meine Ansichten und die vorgefallnen Thatsachen ein, manchmal abends, manchmal einen oder zwei Tage nachher.
Daß am 19. die Telegraphenverbindung auf kurze Zeit wiederhergestellt war, glaubt er dem Marschall gemeldet zu haben; auf den Vorschlag des Telegraphendirectors, die Verbindung durch ein in die Mosel zu versenkendes Kabel wiederherzustellen, ist er nicht eingegangen, weil weder er noch seines Wissens jener 30 Kilometer Kabel besaß.
Wichtiger als diese Aussage ist die des Obersten Lewal. Er erhielt am 23. August, nachmittags 3–4 Uhr, im Hauptquartier eine Depesche, welche er sofort dem Marschall einhändigte; als er sich entfernen wollte, fagte dieser: »Warten Sie, wir wollen sehen, was es ist.« Er rollte die in Cigarettenform gewickelte Depesche auf und las sie vor. Sie enthielt die Nachricht, daß Mac-Mahon in der Richtung nach Metz auf dem Marsche sei. Der Zeuge erkannte sofort, daß Mac-Mahons Heer Gefahr laufe, von der Armee des Kronprinzen von Sachsen in der Front, von der des Kronprinzen von Preußen in der Flanke angegriffen zu werden, und rief: Ah, Herr Marschall, wir müssen sofort aufbrechen. Sofort, das wäre sehr schnell, das können wir nicht, entgegnete dieser, Lewal verbesserte sich: ich meine morgen früh. Auch dies, meinte der Marschall, sei unmöglich. Dann wenigstens übermorgen! Nein, entgegnete der Marschall abermals, wir brauchen wenigstens zwei Tage. Er empfahl darauf dem Zeugen Stillschweigen über das Gehörte. Aus verschiedenen Umständen, insbesondere aus der Unterhaltung und aus den Planen, welche sich hieran knüpften, schließt Lewal mit voller Bestimmtheit, daß diese Depesche nicht etwa am 29., sondern, wie er bekundet, am 23. eingegangen ist. Chiffrirt war sie nicht; woher sie war, weiß Zeuge nicht, und des Wortlauts erinnert er sich nur insofern, daß die Worte »Maas« oder »lAisne« vielleicht auch »Stenay« darin vorkamen. Ob es also die angeblich am 29. eingetroffene: »General Ducrot commandirt Corps von Mac-Mahon, u. s. w.«, oder die angeblich am 30. eingetroffene: »Ihre Depesche vom 19. erhalten. Marschire in der Richtung von Montmédy. Werde übermorgen an der Aisne sein, wo nach Umständen handeln werde, um Ihnen zu Hülfe zu kommen«, oder endlich eine dritte, unbekannte war, weiß Zeuge nicht, doch war die zweiterwähnte chiffrirt, Bazaine hätte sie also nicht ohne weiteres vorlesen können.
Der Angeklagte wird zum ersten mal hitzig. »Ich versichere, daß die Depesche, von welcher der Oberst spricht, nicht am 23. angekommen ist. Ich bin nicht gewohnt, meinen Untergebenen so ausführliche Eröffnungen zu machen. Warum hat der Oberst nicht in der Conferenz am 26. von dieser Depesche gesprochen? Sie (zum Zeugen) verschieben eine Thatsache und bringen Sie inmitten ganz anderer Umstände und Zeitpunkte unter!«
Auch der Vertheidiger wird so lebhaft, daß er sich ein »doucement, maître Lachaud« des Präsidenten zuzieht.
Oberst Andlau, der auf Befragen des Vertheidigers zugibt, der Verfasser eines gegen Bazaine äußerst gehässigen Buches: »Metz, campagne et négotiations«, und der Schreiber eines noch gehässigern, angeblich durch eine »schreckliche Indiscretion« in den Zeitungen veröffentlichten Briefes zu sein, bekundet, daß er am 27. mit Lewal über »die traurige Promenade vom 26. August«, d. i. über den Ausfall, zu dem alles schon ausgerückt war und der dann abbestellt wurde, sprach, und daß dieser sagte: »Lieber Freund, die Sache ist noch trauriger, als Sie denken, denn wir wußten, daß Mac-Mahons Armee uns entgegenmarschirte.« Er erzählte darauf, daß der Marschall am 23. jene Depesche erhalten und infolge dessen den Ausfall angeordnet, und daß er ihm beim Abschiede gesagt habe: »Glauben Sie mir, Herr Marschall, je eher, je besser!« Allerdings sagten aber auch am 31. die Adjutanten, es sei eine Depesche Mac-Mahons angekommen.
Hauptmann Mornay-Soult versichert, Bazaine habe die Depesche: »Ihre Depesche vom 19. erhalten, u. s. w.«, erst am 30. erhalten, er selbst habe sie dechiffrirt. Die andere: »Ducrot commandirt Corps von Mac-Mahon, u. s. w.«, sei am 29. abends in zwei Exemplaren von Marchal und Flahaut überbracht worden. Ersterer hatte sie in der Hand, letzterer sie noch nicht »evacuirt«. Sie war nicht chiffrirt. Der Zeuge hat in der Voruntersuchung von einer am 23. eingegangenen Depesche gesprochen; dies war eine auf irrigen Voraussetzungen beruhende Vermuthung. Der Präsident macht ihm bemerklich, daß man als Zeuge nicht Vermuthungen zu bekunden habe, und fragt dann, ob er sich überzeugt habe, daß die Flahautsche Depesche nur ein Duplicat der Marchalschen gewesen sei; er hatte sie ohne weiteres ins Feuer geworfen.
Zeuge: Es war ein Duplicat, ich wußte es. Ich übernehme die Verantwortlichkeit. Ich gestehe, daß sie dermaßen stank –
Präsident: Unter diesen Umständen hätten Sie den Widerwillen doch überwinden und eine so wichtige Thatsache feststellen sollen.
Ein anderer Zeuge, Kapitän dAiglau, bekundet, daß die auf die Bagage bei dem Ausfall am 26. bezüglichen Befehle am 23. nachmittags 4 Uhr gegeben sind, und Lieutenant Mouth von den Franctireurs fand, als er sich am 22. oder 23. nach Metz durchgeschlichen hatte, vor der Thür des Marschalls eine Gruppe von Offizieren und in ihrer Mitte einen ziemlich großen Mann; er hörte sagen: »Der hat soeben eine Depesche von Mac-Mahon gebracht, der uns entgegenkommt.«
Die nun folgenden Debatten beziehen sich auf die Depesche Bazaines vom 20. August an Mac-Mahon: »Ich habe bei Metz Stellung nehmen müssen; ich werde wahrscheinlich, um zu Ihnen zu stoßen, die nördliche Festungslinie innehalten und Sie von meinem Abmarsch benachrichtigen, wenn ich ihn unternehmen kann, ohne die Armee zu gefährden.« Nur zwischendurch werden noch einige Zeugen aus Metz, »Zeugen, welche von fern her und aus einem für den Augenblick nicht französischen Lande kommen«, vernommen, und bekunden, daß es ihnen gelungen ist, sich während der Belagerung durch die preußischen Linien zu schleichen.
Commandant Turnier erinnert sich, die gedachte Depesche durch Frau Imbert erhalten und mehrere Abschriften davon genommen, auch dieselben sichern Personen zur Weiterbeförderung an Mac-Mahon übergeben zu haben; ob darunter Herr Guyard war, weiß er nicht.
Polizeiagent Guyard brachte diese Depesche mit einigen andern nach Longwy, wo er sie am 22. den Agenten Rabasse und Miés übergab. Diese begaben sich sofort zum Bahnhof und ließen den Inhalt der Depeschen unter der Adresse des Obersten Stoffel nach Rheims telegraphiren, mit dem Bemerken, daß sie die Originale selbst überbringen würden.
Telegraphendirector Amiot versichert, daß die Depesche auch wirklich über Paris nach Rheims expedirt und dort eingetroffen ist.
Sodann wird eine Aussage des Marschalls Mac-Mahon, Präsidenten der Republik, welchen Aumale in seiner Wohnung hat vernehmen lassen, verlesen. Er erklärt: die eine Depesche Bazaines, datirt vom 19. August, eine Schilderung der Schlacht vom 18. enthaltend und mit dem Schluß: »Ich beabsichtige noch immer, die Richtung nach Norden einzuschlagen und dann über Montmédy auf der Straße von Sainte-Menehould nach Châlons herabzurücken, wenn sie nicht stark besetzt ist; in diesem Falle werde ich über Sedan und selbst über Mézières gehen, um nach Châlons zu gelangen«, habe er am 22., 10½ Uhr früh, erhalten und sei dadurch veranlaßt worden, den Marsch nach Paris aufzugeben und den Befehl zum Aufbruch nach Montmédy zu ertheilen. Später habe keine Depesche von Bazaine, und insbesondere nicht die obenerwähnte: »Ich werde Sie von meinem Abmarsche benachrichtigen –« erhalten. »Ich erinnere mich nicht, diese Depesche erhalten zu haben; es scheint mir unmöglich, daß ich sie vergessen haben sollte, wenn ich sie empfangen hätte, da sie mir gestattet haben würde, den Marsch der Armee nach Osten einzustellen.«
Darauf schildern Rabasse und Miés, beide schon als Agenten der Geheimpolizei mit einem gewissen mysteriösen Nimbus umgeben, wie sie die Originale der Depeschen in Mac-Mahons Hauptquartier gebracht haben. Dasselbe befand sich damals zu Rethel und sie langten in der Nacht vom 24. zum 25. August dort an. Mit Mühe gelingt es ihnen, Eintritt in den Gasthof zu erhalten, in welchem der Marschall übernachtet, mit noch mehr Mühe, einen Offizier zu wecken, der sie auf ihre Nachricht, sie seien Ueberbringer wichtiger Depeschen, an das Schlafgemach eines andern Offiziers führt und diesen weckt. Er öffnet die Thür: »Was gibt es?« »Depeschen von Bazaine«, entgegnet Miés, und übergibt dem Offizier, als welchen beide mit voller Bestimmtheit nachher den ersten Adjutanten und Vertrauten Mac-Mahons, den Obersten dAbzac, wiedererkannt haben, die Depeschen, welche Rabasse inzwischen aus der Tasche gezogen hat. Der Offizier sieht sie flüchtig durch. »Ach, das wissen wir ja schon seit zwei Tagen!« Darauf tritt er in sein Zimmer zurück und schließt die Thür.
Oberst dAbzac, eine imposante kriegerische Erscheinung, wird vorgerufen. Er kennt die beiden Agenten nicht, erinnert sich nicht, sie je gesehen oder gar Depeschen von ihnen empfangen zu haben, aber sie bleiben auf das entschiedenste bei ihrer Aussage. Der Offizier aber, welcher sie zu dAbzac geführt hat, kann nicht vernommen werden, denn wie die sofort angestellten Ermittelungen ergaben, befindet er sich augenblicklich in Ostindien. »So bleibt diese dramatische Scene ohne Entwickelung und ohne Schluß«, sagt ein deutscher Berichterstatter.
Die gewünschte Entwickelung sollte auch durch die Vernehmung Stoffels nicht herbeigeführt werden, wenn dieselbe auch zu einer andern dramatischen Scene führte.
Ein unbarmherziges Verhör war es, dem der Oberst unterworfen wurde, und schlecht genug hat er es bestanden.
Wie schon erwähnt, war er mit der Organisation des Kundschafterdienstes betraut. Er erzählt, daß er die eingehenden Depeschen nie selbst geöffnet, sondern stets dem Marschall ausgehändigt, daß er die beiden Agenten aus Paris verschrieben uud ihnen 20–25000 Frs. versprochen habe, wenn es ihnen gelänge, nach Metz zu Bazaine zu kommen und Nachricht von ihm zu bringen; daß sie bald telegraphirt hätten, dies sei ihnen nicht gelungen, und daß sie darauf am 22. August durch Telegramm zurückberufen worden seien. Er sah sie darauf am 26. zu Rethel, und seitdem hat er sie nicht wiedergesehen. Damit schließt seine Aussage, und beginnen die Fragen des Präsidenten.
Er hat ihnen, so antwortet er, nicht gesagt, daß sie nach Longwy gehen sollten; er weiß nicht, ob er ihnen auf ihre Depesche, wonach sie nichts ausrichten könnten, geantwortet hat; er weiß nicht, ob er oder irgendein anderer ihnen telegraphirt hat, sie sollten zurückkommen; er würde nie auf die Adresse dieser Depesche »agents télégraphiques de létat-major« gekommen sein; er weiß nicht, wann sie die Depesche erhalten, auch nicht wer ihm gesagt hat, daß dieselbe abgesandt sei, noch woher man die richtige Adresse »Longwy« wußte. »Wenn man die schrecklichen Ereignisse von 1870 durchlebt hat, so bleibt nur eine verworrene Erinnerung an alle Einzelheiten zurück.« Außer Mac-Mahon und ihm hatte niemand das Recht, im Namen des Marschalls zu telegraphiren.
»Sie haben nichts von einer zu Rheims eingetroffenen, von diesen beiden Agenten abgesandten Depesche gehört?«
»Nicht das mindeste!«
»Die an den Obersten Stoffel adressirte Depesche ist Ihnen nicht behändigt worden?«
»Nein!«
»Auch nicht einem andern Offizier in Ihrem Namen? Sie wissen nichts von einer Depesche der Agenten, außer von der, worin sie anzeigten, daß sie nichts ausgerichtet, und von der Sie weder Ort noch Datum wissen? Wissen Sie, an welchem Tage die Agenten zurückgekommen sind?«
»Meine Erinnerungen waren nicht genau; erst aus dem Bericht habe ich gesehen, daß es am 26. war.«
»Erinnern Sie sich an Ihre Unterredung mit ihnen?«
»Durchaus nicht!«
»Rabasse und Miés haben Ihnen Schriftstücke vorgelegt?«
»Ich sprach mit ihnen und sie gaben mir ein Bündel Papiere und einen Brief; ohne zu wissen, um was es sich handle, besah ich den Brief. Es war eine Empfehlung für einen Herrn Guyard. Ich sagte ihnen, der Marschall habe jetzt nicht Zeit, sich damit zu beschäftigen. Die andern Papiere habe ich nicht einmal angesehen, ich weiß nicht, was ich damit gemacht habe. Ich legte sie in meine Cantine, und bei Sedan ist mir alles genommen worden!«
Was ihm die Agenten gesagt, ob sie von Bazaine und Coffinières gesprochen, wie es gekommen, daß er die Papiere nachher völlig vergessen, weiß er nicht, trotz allen Fragens, und ob er die am 22. abends 9½, von Rheims eingetroffene Depesche dem Marschall behändigt hat, ebensowenig. Er rechtfertigt sich schließlich, daß er den Agenten nicht 2OOOO Frs. ausgezahlt, weil sie nach seiner Ansicht nichts geleistet, und als der Präsident ihn anweist, abzutreten, sagt er:
»Erlauben Sie mir ein Wort, Herr Präsident? Ich weiß, daß ich als Zeuge erscheine, und werde als solcher stets Hochachtung vor dem Gericht beweisen, aber ich möchte mich einen Augenblick in eine andere Lage versetzen.«
»Ein Zeuge darf nicht plaidiren.«
»Ich werde aber angeklagt, eine Depesche unterdrückt zu haben!«
»Vor dem Kriegsgerichte sind Sie nicht angeklagt. Wenn eine solche Anklage gegen Sie vorliegt, wovon ich nichts weiß, so protestiren Sie auf andere Weise dagegen!«
»Ich beabsichtige nicht, den Bericht anzugreifen. Was den Berichterstatter betrifft, so theile ich die Gefühle der ganzen Armee –«
»Die Debatte kann hierauf nicht eingehen!«
»Das Kriegsgericht wird mir doch gestatten, mich gegen eine Beleidigung und Verleumdung zu vertheidigen! Der Berichterstatter hat die Armee verleumdet. Ich empfinde gegen ihn nur die tiefste Verachtung!«
Der ganze Wortwechsel wird rasch und erregt geführt; auf die nochmalige entschiedene Aufforderung Aumales verläßt der Zeuge langsam den Saal, nachdem er sich vor dem Gerichte und dem Angeklagten verneigt hat.
Darauf werden Rabasse und Miés nochmals einzeln vernommen, und zwar, wie anerkannt werden muß, äußerst ernst und eingehend. Der Präsident macht sie darauf aufmerksam, daß sie von ihrem ersten Zusammentreffen mit dAbzac früher nichts erwähnt haben. Auf ihre Bemerkung, dies sei ihnen erst wieder eingefallen, nachdem sie sich miteinander besprochen, erinnert er sie daran, daß es verwerflich sei, wenn Zeugen miteinander über ihre Aussagen sprächen, um sie in Einklang zu bringen, und fragt, ob etwa dies eine üble Angewohnheit der Polizeiagenten sei, was sie vielleicht nicht ganz wahrheitsgemäß verneinen. Er spricht sein Erstaunen aus, daß sie die für den Obersten Stoffrl bestimmten Depeschen einem fremden Offizier, Herrn dAbzac, zum Lesen überlassen, und als Miés einmal auf eine etwas bedenkliche Frage entgegnet: Ich habe nicht recht verstanden, äußert er: »Ich soll wol die Frage wiederholen, damit Sie Zeit haben, die Antwort zu überlegen? Den Kunstgriff kenne ich!« Sie geben aber überall ziemlich befriedigende Auskunft und bekunden schließlich übereinstimmend, daß sie am 26. früh den Obersten Stoffel beim Kaffee getroffen, daß er ihnen die Depeschen abgenommen, sie durchgesehen, sein Messer daraufgelegt und gesagt hat: »Das sind die Depeschen, welche wir erhalten haben«; darauf zahlte er jedem 250 Frs.
Die Sitzung wird hierauf unterbrochen, die Pause dauert aber weit länger als gewöhnlich, und nachdem endlich nach fast einer Stunde der Gerichtshof wieder eingetreten ist, wird Oberst Stoffel wieder vor die Schranken gerufen. Tiefe Stille; endlich beginnt der Präsident:
»Oberst Stoffel, als ich Ihnen nach Beendigung Ihrer Aussage das Wort entzog, haben mehrere Mitglieder des Gerichtshofes Worte von Ihnen zu hören geglaubt, welche ich nicht verstanden habe, nämlich: ›Was den Berichterstatter betrifft, so theile ich die Gefühle der ganzen Armee, und empfinde gegen ihn nur die tiefste Verachtung.‹ Ich frage Sie, Oberst, ob Sie diese Worte gesprochen haben, und wenn dem so ist, ob Sie dieselben, falls sie Ihnen entfahren sein sollten, aufrecht erhalten oder zurücknehmen wollen?«
»Ich habe so gesagt!«
»Nehmen Sie diese Worte zurück?«
»Ich kann sie nur aufrecht erhalten!«
»Sie nehmen sie nicht zurück?«
»Das kann ich nicht!«
Der Präsident verliest zwei Artikel des Militär-Strafgesetzbuches, wonach in solchem Falle das Kriegsgericht sofort entscheiden und eine Beamtenbeleidigung mit Gefängniß von zwei bis fünf Jahren ahnden kann, und dictirt dem Gerichtsschreiber jene Worte mit dem Nachsatze zu Protokoll: »Vom Präsidenten aufgefordert, diese Worte zurückzunehmen oder zu erklären, äußert er, daß er dieselben aufrecht erhalte.«
Von einer Aufforderung zu einer Erklärung will der Oberst nichts gehört haben. Er gibt dieselbe etwa dahin: Er sei kein Kind mehr und wisse sehr wohl, daß er ungerechterweise beschuldigt werde, eine Depesche unterdrückt zu haben. Seine Ehre sei angegriffen, er sei verleumdet worden und habe in sehr begreiflicher Aufregung gesprochen.
Der Präsident dictirt: »Zeuge gibt Erklärungen, welche nicht genügend erscheinen.«
»Ist dies correct? Haben Sie etwas über die Fassung des Protokolls zu sagen? Wünschen Sie dieselbe geändert?«
»Ich habe keinen Wunsch auszudrücken!«
Der Vertheidiger Bazaines, Herr Lachaud, ergreift das Wort, obgleich der Präsident ihm bemerklich macht, daß ihn dieser Vorfall nichts angehe, und bittet Herrn Stoffel, in sich zu gehen und jene Worte zurückzunehmen. Stoffel entgegnet: »Ich habe es stets als eine Kinderei betrachtet –« »Um Kindereien handelt es sich hier nicht. Nehmen Sie Ihre Worte zurück?« unterbricht ihn der Präsident.
Nach noch längerm Hin- und Herreden bleibt der Oberst dabei stehen, er könne nichts zurücknehmen.
Nachdem der Telegraphendirector Amiot nochmals erklärt hat, die fragliche Depesche am 22. August von Longwy mit Stoffels Adresse expedirt, Miés, ihm das Original behändigt zu haben, wird er abermals vorgerufen. Auf nochmalige kurze, präcise Fragen erklärt er wiederum, das Telegramm nicht erhalten, die ihm von Miés übergebenen Papiere nicht gelesen zu haben. Darauf erhebt sich der Staatsanwalt: »Sie haben die Aussagen der Zeugen gehört. Daraus ergibt sich zur Genüge, daß der Zeuge Depeschen, welche für den Marschall Mac-Mahon bestimmt waren, vorsätzlich unterschlagen hat. Wir behalten uns vor, deshalb gegen ihn einzuschreiten, und bitten das Kriegsgericht, hiervon Act zu nehmen.«
Dies geschieht, nachdem der Vertheidiger noch bemerkt hat: »Ich habe gegen diesen Vorbehalt nichts einzuwenden. Nur eine Bemerkung möchte ich mir erlauben: Man darf vom Gedächtniß der Menschen nicht mehr verlangen, als es leisten kann. Ich hatte es mir vorgenommen, nichts über diesen so ernsten Zwischenfall zu sagen, aber ich kann mich nicht enthalten, zu fragen: Ist denn Oberst Stoffel der einzige, der etwas vergessen hat? Wenn ein Mangel an Gedächtniß ein Fehler ist, so müssen Sie gleichmäßig gegen alle diejenigen einschreiten, welche einige Gedächtnißschwächen gezeigt haben!« –
Wenig Tage darauf wurde der Oberst Stoffel von einem andern Kriegsgericht wegen Beleidigung des Generals Rivière, unter Annahme mildernder Umstände, zu dreimonatlicher Haft verurtheilt; die gegen ihn wegen Unterschlagung der Depesche geführte Untersuchung hat nicht hinreichendes Material zu einer Anklage ergeben.
Der am folgenden Sitzungstage zuerst vernommene Zeuge ist der letzte Kriegsminister des Kaiserreichs, General von Palikao. Den Plan, von Châlons nicht nach Paris, sondern nach Metz zu marschiren, nimmt er als seine Erfindung in Anspruch, doch schwankte lange die Wage zwischen beiden Marschrichtungen, und am 21. August war der Marsch nach Paris fest beschlossen, als Mac-Mahon die Depesche Bazaines erhielt, wonach dieser nordwärts ausbrechen wollte, und nun sofort nach Montmédy aufbrach. Nach Palikaos Ueberzeugung wäre die Vereinigung beider Heere die Rettung Frankreichs gewesen; dies bewies die Bestürzung der Deutschen, als sie Mac-Mahons Marschrichtung erfuhren. Ein preußischer höherer Offizier schrieb an seine Frau: »Soeben erhalte ich Befehl zum Abmarsch nach der Marne, die französische Armee hat uns umgangen, verfluchter Krieg!« Und in Sedan äußerte ein bairischer Oberst: »Sie haben uns schön Furcht gemacht, wir glaubten uns umgangen!« »Und« – sagt der Zeuge – »so mögen denn jene Stubenstrategen, die Hunderttausende auf dem Papiere manövriren lassen, aber nie vier Mann im Felde geführt haben, sagen was sie wollen, ich glaube doch, daß mein Plan gut war.« Mac-Mahon hatte einen bedeutenden Vorsprung vor der deutschen Armee, aber leider wurde sein Marsch durch verschiedene Umstände verzögert, sonst hätte er Bazaine von seiner Ankunft benachrichtigen, dieser hätte auf den Kanonendonner losmarschiren und die beiden vereinigten Heere hätten die schon bei Gravelotte geschlagenen Preußen in die Mosel werfen können und müssen. Die Depesche Bazaines an Mac-Mahon: – »Ich werde Sie von meinem Abmarsch benachrichtigen u. s. w.«, hat Palikao aus Longwy erhalten, aber natürlich Mac-Mahon nichts davon mitgetheilt, weil er voraussetzen mußte, daß dieser sie selbst erhalten habe.
Der Bahnhofsinspector Sabatier bot dem Major Magnan, als dieser in Diedenhofen ankam, an, ihn auf einer Locomotive nach Metz zu befördern; die Maschine war bereit und die Bahn in kürzester Frist wiederhergestellt, denn noch selbigen Tages kam ein Zug aus Metz. Auch zu Fuß oder zu Wagen konnte man damals noch ohne besondere Gefahr passiren.
Der Schneider Marcherez beförderte am 24. August drei Briefe aus Metz nach Verdun, welche ihm Jarras übergeben hatte: einen an den Kaiser, einen an Frau von Jarras, einen an Frau Bazaine. General Guérin, welchem er am 27. diese Briefe übergab, befahl sofort einem Ordonnanzoffizier, sich nach Stenay zu begeben, wo er Mac-Mahon treffen werde, und händigte dem muthigen Schneider eine Depesche für Bazaine ein, welche er als höchst wichtig bezeichnete. Ein Stabsoffizier fragte ihn, ob er etwas von der Stellung der beiden Heere bei Metz wisse. O ja, entgegnete er, die französischen Truppen, welche die Anhöhen besetzt hatten, haben sich nach Metz zurückgezogen und der Feind hat jetzt die Höhen besetzt. Der Offizier schlug mit der Faust auf den Tisch: Das ist unmöglich! Entschuldigen Sie, Herr Lieutenant, entgegnete der Zeuge, ich weiß es, und weiß, was ich sage! Er kam endlich am 30. nach Ban Saint-Martin und übergab dem Marschall seine Depesche, empfing die besten Glückwünsche und hörte, wie derselbe zu den Offizieren sagte: »Ausgezeichnete Nachrichten, so gut als vier Divisionen!« Jarras aber sagte im Hinausgehen, seinen Spazierstock kriegslustig schwingend: »Na endlich! wie wollen wir sie verhauen (les schlaguer)! wir wollen ihnen eins versetzen!« »So gibt es Neuigkeiten?« fragte ein Oberst. »Gewiß«, rief Jarras, »und welche, die ein Armeecorps werth sind!«
Der Vortrag macht des Redners Glück. Der wackere Schneider hatte nicht nur die gesammte Zuhörerschaft in fortwährender Heiterkeit erhalten, und erhielt vom Präsidenten nicht nur die übliche Anerkennung seines Patriotismus, sondern der letztere schloß sogar mit den Worten: »Außerdem danke ich dem Zeugen für seine Aussage. Wenn deren Form auch naiv war, so wäre es doch sehr wünschenswerth, daß alle, die hier vernommen werden, sich ebenso klar und genau ausdrückten!« Und das Publikum murmelte Beifall.
Einige andere Zeugen sind glücklich nach Metz gelangt, andere haben umkehren müssen. Präsident Darnis aus Metz sprach nach der Schlacht von Servignv (also wol nach dem 31.) mit Bazaine, der sich beklagte, nichts von Mac-Mahon erfahren zu haben, und dem Zeugen dann eine Depesche zeigte, wonach die Armee Mac-Mahons nicht weit und der Kaiser in den Ardennen war. »Wir waren nahe daran zu siegen!« fügte er hinzu. Der Zeuge erlaubte sich einige Bemerkungen über die Langsamkeit des Ausfalls und darüber, daß man nach einer so glänzenden Waffenthat Servigny aufgegeben habe; der Marschall erwiderte nur: »Ich glaubte selbst, daß wir zum Ziele gelangen würden!«
General Melcion dArc erhielt am 29. von Herrn Lallemand eine Depesche, welche äußerst wichtig war und welche er sofort dem General Beurmann zustellte; er weiß aber von deren Inhalt nicht mehr, als daß sie Nachrichten von Bazaine enthielt. General Beurmann, der inzwischen verstorben ist, hat in der Voruntersuchung erklärt, daß er sich dieser Depesche nicht mehr erinnere. Der Spinnereibesitzer Hulme aber empfing am 29. eine Depesche von Beurmann mit dem Auftrage, sie schleunigst an Mac-Mahon zu befördern. Er wußte sich ein Pferd zu verschaffen, wäre bei Autrecourt beinahe den Preußen in die Arme geritten, kam aber plötzlich zu Raucourt an und überreichte seine Depesche dem Kaiser, der ihn damit an Mac-Mahon verwies. Er händigte sie diesem ein; derselbe las sie und fragte dann nach den Wegen nach Montmédy. Zeuge hat die Depesche auch gelesen; sie schloß mit den Worten: »Wir sind eingeschlossen, aber nur schwach, und können durchbrechen, wenn wir wollen.« Mac-Mahon seinerseits hat freilich in der Voruntersuchung wieder erklärt, sich dieser Depesche durchaus nicht zu erinnern, doch werden Hulmes Aussagen fast in allen Einzelheiten durch andere Zeugen bestätigt.
Die nun folgende Gruppe von Zeugen soll über die Ereignisse zwischen dem 19. August und 1. September Auskunft geben. General Coffinières bekundet nichts Neues, nur bestreitet er die Angabe Bazaines in dessen Buch »Die Rheinarmee«, daß er am 26. erklärt hätte, Metz könne sich nur noch ganz kurze Zeit halten. General Soleilles Aussage wird verlesen. Danach erklärte er zwar am 22. die Armee für genügend mit Munition versehen, und in der That wäre die Bewegung, die man damals beabsichtigte, über Briey, mit 84000 Schuß für die Artillerie möglich gewesen, aber über Thionville, Longwy und die Ardennen zu marschiren war mit diesem Bestände nicht möglich; Napoleon I. verlangte für des Geschütz 400 Schuß, und es waren kaum die Hälfte hiervon vorräthig, obschon jetzt die Artillerie noch viel stärker in Anspruch genommen wird als damals.
Marschall Canrobert beschreibt, wie er am 26. früh aus seiner guten Stellung bei Woippy über die Mosel rückte; um 9½ Uhr war der Uebergang vollendet. Als aber die Truppen die Höhen des rechten Ufers hinanmarschirten, brach ein schreckliches Unwetter los, bei welchem die Franzosen im Nachtheil waren, da der Wind ihnen entgegenwehte. Die Commandeure wurden nach Grimont zur Berathung befohlen und waren darüber einig, daß der beabsichtigte Vormarsch verschoben werden müsse, obschon Canrobert, wie jetzt alle Generale, erklärt, ein unüberwindliches Hinderniß sei dieser Sturm doch eigentlich nicht gewesen. Der Marschall theilte ihnen aber außerdem mit, daß Coffinières gemeldet habe, Metz sei in sehr unvollkommenem Vertheidigungszustande, Soleille, die Artillerie habe nur noch für eine Schlacht Munition, und darauf hin wurde beschlossen, unter allen Umständen vorläufig bei Metz zu bleiben und von dort aus fortwährend kleinere Schläge gegen den Feind zu führen. Von Mac-Mahons Armee war nicht die Rede, niemand glaubte, daß sie schon organisirt sei. Einige Tage darauf sagte Lewal dem Zeugen, Bazaine habe damals schon gewußt, daß Mac-Mahon auf dem Marsche nach Metz sei. Das machen Sie einem andern weis, erwiderte Canrobert, und fragte später, in Kassel, einmal Bazaine hiernach, der ruhig, aber entschieden erklärte, am 26. gar nichts von Mac-Mahon gewußt zu haben. Am 30. kam Befehl, dieselben Stellungen wieder einzunehmen; am 3l. theilte Bazaine den Corpsführern mit, daß Mac-Mahon anrücke, und appellirte an die Entschlossenheit eines jeden von ihnen: man müsse nothwendig durchbrechen.
Die Schilderung der Schlacht bietet nichts Neues; am Mittag des 1. September erfolgte der Befehl zum Rückzüge.
Marschall Leboeuf macht eine Ausnahme von der großen Mehrzahl der übrigen Zeugen. Er hat am 31. gesiegt, hat Roisy und Roisseville trotz tapferer Gegenwehr genommen und sich auch Servignys auf kurze Zeit bemächtigt, ist jedoch wieder hinausgeworfen worden und erkennt offen an, daß er am 1. besiegt worden und erst Roisseville räumen, dann um 10½ den Rückzug antreten mußte. Er spricht ferner wiederholt und entschieden die Ueberzeugung aus, daß es Bazaine an diesen Tagen voller Ernst mit seinem Durchbruchsversuche war, bedauert aber gleichzeitig, daß man ihm das Commando der beiden räumlich so weit getrennten Armeen übergeben habe; diese Aufgabe sei eine zu kolossale gewesen. Wenn jede für sich und ohne Rücksicht auf die andere operirt hätte, würden bessere Ergebnisse erzielt worden sein. Munition war nach seiner Meinung genug vorhanden, für die Artillerie für 3–4, für die Infanterie für 7–8 Schlachten, obschon in den ersten Schlachten der Infanterist auf französischer Seite durchschnittlich 15–16, auf deutscher 7 Patronen verschossen hatte.
Frossard bringt nichts Neues. Daß die Bewegung am 26. aufgegeben wurde, war schlimm, denn als man am 31. dieselben Stellungen wieder einnahm, hatte der Feind alle bedrohten Punkte verschanzt. Das Wetter war freilich sehr ungünstig, aber »der Regen fiel doch am Ende für alle Welt«!
Der Ingenieur vom Platz und die Commandanten der einzelnen Forts werden sehr ausführlich über die Widerstandsfähigkeit von Festung und Forts vernommen; sie geben hierüber eine Menge technischer Einzelheiten; das Gesammtergebniß läßt sich dahin zusammenfassen, daß die Werke bei Beginn des Krieges sehr viel zu wünschen übrigließen, schließlich aber doch in vertheidigungsfähigen Zustand gebracht waren. Ebenso wenig interessant sind die detaillirten Mittheilungen verschiedener Offiziere über die Munitionsvorräthe und deren Vertheilung, doch ergibt sich daraus, daß ein wirklicher Munitionsmangel wol nicht vorhanden war. Dann tritt Herr Champigneulles, Glasmaler und Photograph aus Metz, auf, welcher behauptet, es seien stets genügende Lebensmittelvorräthe in Metz vorhanden gewesen, sie seien nur schlecht vertheilt worden; es sei notorisch, daß nach der Besetzung von Metz die Preußen sechs Monate lang Massen von Speck verkauft haben. Der Marschall stand in Verbindung mit dem Feinde; Beweis: ein Brief, den die Frau des Zeugen an ihre Verwandten im Elsaß schrieb, ist dort durch Vermittelung des Bazaineschen Generalstabs und mit dem Siegel der Commandantur dort eingetroffen. Herr Girard, ein sehr geschickter Metallarbeiter, erbot sich, Munition zu fabriciren. Ein General erklärte ihm, dazu müsse man auf der Polytechnischen Schule gewesen sein. Nach der Capitulation besah sich Herr Champigneulles die vielgerühmten Schanzarbeiten der Deutschen, sie schienen ihm aber sehr unbedeutend und schlecht angelegt.
Der Zeuge hatte am 22. September einen Brief an den Marschall geschrieben, den er ursprünglich in 200000 Exemplaren verbreiten lassen wollte; kluge Leute riethen ihm, dies lieber zu unterlassen, und er hat nur einzelne Exemplare vertheilt. Derselbe enthält die schätzbarsten Ermahnungen und Nachschlage: »Die deutsche Armee ist um die Hälfte zusammengeschmolzen; wenn Sie wollen, Herr Marschall, so können Sie jedes Corps derselben einzeln vernichten, natürlich indem Sie Maßregeln treffen, so rasch damit fertig zu werden, daß sie einander nicht zu Hülfe kommen können.« Metz als Operationsbasis behalten, die Viaducte von Fontoy, die Tunnel von Liverdun, die Arbeiten bei Remilly zerstören, Metz neu verproviantiren, die deutsche Armee zwingen, von ihrer Operationsbasis abgeschnitten den Winter in Frankreich zuzubringen, würde unfehlbar deren Untergang und den von ganz Deutschland herbeiführen. – Es ist verzeihlich, wenn ein Stratege von dieser Bedeutung gereizt wird, wenn seine Rathschläge nicht angenommen werden, und der patriotische Glasmaler hatte seinem Herzen denn auch zunächst durch eine sehr bösartige Broschüre Luft gemacht, aber auch seine Zeugenaussage trug noch den Ausdruck gerechtfertigter Entrüstung.
Jarras hat keinerlei Maßregeln angeordnet, welche auf die Vertheidigung Bezug gehabt hätten, er hatte nicht das Recht hierzu. Welche Befehle Bazaine gegeben, dessen erinnert er sich nicht mehr, doch hat derselbe die Ausweisung der Fremden und der unnützen Esser angeordnet, seine Befehle sind nur nicht befolgt worden. Coffinières behauptet, daß er alles gethan habe, was die Reglements für die Vertheidigung fester Plätze vorschreiben, und daß Festung und Forts am 15. und noch mehr am 26. August vollkommen vertheidigungsfähig waren. Oberstlieutenant von Villenoisy: Es wäre leicht gewesen, vorgeschobene Werke zu errichten; die von den Preußen aufgeführten Arbeiten waren nicht von Bedeutung, auch hatten dieselben schwere Verluste erlitten, sie hatten sogar Posten verlassen müssen, und wer die preußische Disciplin kennt, kann daraus entnehmen, wie schwierig ihre Lage gewesen sein muß. Man hätte also jedenfalls etwas unternehmen können. Der Zeuge erkennt schließlich an, daß er eine Petition an die Nationalversammlung um strafrechtliche Verfolgung Bazaines verfaßt hat, er behauptet, dadurch eine strenge, religiöse Pflicht erfüllt zu haben.
Der Intendant de Cevilly erklärt, ohne die Armee hätte Metz Lebensmittel für acht Monate gehabt; das Recht zu requiriren sei der Intendantur bei Beginn des Krieges vom Kaiser nicht verliehen worden, sonst hätte man besser vorsorgen können. Es wäre übrigens nicht möglich gewesen, sich auch nur einen Tag länger zu halten, als man gethan hat. Intendant Mony, der an der Spitze des Verpflegungswesens stand, bekundet: Vom 11. August ab seien alle Verbindungen abgeschnitten und nur der Weg über die Ardennen noch offen gewesen; die Verproviantirung sei durch die Stopfungen auf allen Straßen und die Kleinheit des Bahnhofs sehr erschwert worden. Am 19. habe man für 41 Tage Brot und für 25 Tage Wein gehabt; an Fleisch habe es gefehlt und nach der Schlacht bei Servigny (1. September) habe man angefangen Pferdefleisch zu essen; dies habe der Marschall unter der Bedingung gestattet, daß man erst die Pferde der Stadt verzehre, ehe die der Armee an die Reihe kämen. Zeuge entnimmt daraus, daß der Marschall seine Cavalerie unversehrt erhalten wollte. Am 7. September hatte man noch für 29 Tage Brot und für 7 Tage Hafer, und fing am 13. an, die Rationen herabzusetzen und die Pferde mit Getreide zu füttern. Am 28. fragt der Marschall: ob er am 1. October Hafer für 2 Tage erhalten könne. Man schloß daraus, daß er die Festung verlassen wolle; der Hafer wurde geschafft, aber da bis zum 7. nichts vorfiel, anderweit verwendet. Bei der Uebergabe hatte man noch 300 Ctr. Mehl, gerade genug für die Kranken und Verwundeten. Speck war noch vorhanden.
General Laveaucoupet erhielt am 14. August Befehl, mit seiner Division in Metz einzurücken. Dieselbe wurde zur Besetzung der Wälle und der Forts verwendet, und stand folglich unter dem Festungscommandanten Coffinières. Der Zeuge hatte nichts zu thun und suchte sich in der Krankenpflege, dem Verpflegungswesen und sonst nützlich zu machen; in seinen Mußestunden studirte er das Reglement, und überzeugte sich, daß vieles nicht geschehen war, was darin vorgeschrieben war. Als er Coffinières vorschlug, einen Vertheidigungsrath zu bilden, erklärte dieser, er wisse selbst, was er zu thun habe. Am 13. October erhielt er einen Brief Bazaines, worin dieser ihn in den Vertheidigungsrath berief. Er lehnte die Theilnahme daran ab, weil er nach dem Reglement als bloßer Divisionsgeneral nicht dazu berechtigt war, und weil er die Verantwortlichkeit für alle Unterlassungssünden, die er wahrgenommen, nicht übernehmen wollte. Am 14. October eröffnete ihm Bazaine, er beabsichtige, ihn statt Coffinières zum Platzcommandanten zu ernennen. Anfangs sehr erfreut, merkte er bald, daß er nur die Polizei in Metz handhaben solle, und sagte dem Marschall »ohne Umschweife«: »Die Unordnung in Metz hat ihren Höhepunkt erreicht. Sie sind unbeliebt, man verabscheut Sie, Ihr Name wird von den Zeitungen in den Koth gezogen, und ich würde außer Stande sein etwas zu nützen.«
Zwei Mitglieder des frühern Gemeinderaths von Metz, Proste und Bouteiller, schildern unter allgemeiner Rührung die Leiden der Bevölkerung von Metz auf der einen, ihren Patriotismus auf der andern Seite. Die Einschließung kam zu rasch, sagt Herr Proste; man konnte sich nicht verproviantiren, man konnte nur berechnen, was man vorräthig hatte. Am 12. September sagte Bazaine zum Maire von Metz: »Meine Stellung ist mir aufgedrängt worden, ich kann sie nicht aufgeben, ohne die Dynastie zu gefährden.« »Die Erklärung: die Armee werde uns nicht verlassen, wurde nicht günstig aufgenommen.« Um dieselbe Zeit erklärte Coffinières, daß das Bombardement nahe bevorstehe. Im October begann man von Capitulation, von Restauration des Kaiserreichs zu sprechen. Alle möglichen falschen und beunruhigenden Nachrichten wurden verbreitet. Das Mistrauen gegen den Marschall war allgemein. Wir hatten ihm eine Adresse überreicht, in welcher wir uns bereit erklärten, alles zu erdulden, wenn wir nur nicht der Kaufpreis des Friedens sein sollten. Ach, das Wort war prophetisch, wir sind in der That der Kaufpreis des Friedens gewesen.« »Unsere Seelenleiden waren größer als unsere körperlichen«, sagt Herr Bouteiller. »Die Bevölkerung fand sich in alles, selbst in den Genuß von Pferdefleisch. Der Gesundheitszustand war traurig, Kummer und Aufregung verschlimmerten die Krankheiten, Typhus, Ruhr, und Pocken richteten furchtbare Verheerungen an, die kleinen Kinder hatten keine Milch mehr zu trinken, aber die Hingebung und Vaterlandsliebe der Bevölkerung waren bewunderungswerth. Wir verlangten, daß man ohne Schonung über uns verfüge, wenn nur die französische Fahne nicht aufhöre über unsern Häuptern zu wehen.«
Wenn diese Zeugen mehr elegisch gestimmt waren, so sind die folgenden um so hitziger. Der frühere Municipalrath Baudin beginnt seine Aussage mit den Worten: »Marschall Bazaine hat vorgegeben, nur aus Mangel an Lebensmitteln capitulirt zu haben!« Der Präsident bittet ihn, ruhig bei der Sache zu bleiben. Nun versichert der Zeuge, in der so äußerst fruchtbaren Umgegend von Metz seien Lebensmittel in großer Menge vorhanden gewesen, Bazaine habe nur nichts zur Verproviantirung der Armee und der Festung gethan. Man hätte sich nur an den Handel und an die Landwirthe der Umgegend zu wenden brauchen; haben sich doch die Einwohner mit leichter Mühe 20000 Ctr. Mehl verschafft. Der Zeuge sucht durch Zahlen zu beweisen, daß Metz sich bis zum 15. November hätte halten können, wenn man sofort die nöthigen Maßregeln getroffen; man habe aber im Gegentheil die Lebensmittel verschleudert. Nicht einmal aus den vielen im Schußbereiche der Forts belegenen Dörfer habe man Lebensmittel beschafft, sondern auf unerklärliche Weise den Feind sich den Forts nähern lassen. »Ich bin nicht Soldat, aber es springt in die Augen, daß man schreckliche Fehler gemacht hat. Ich habe nachgewiesen, daß in Borny, Ladonchamps u. a. 35000 Ctr. Lebensmittel zu haben seien, man hat aber mit einer Armee von 150000 Mann nicht gewagt, sie zu holen; erst am 27. September machte man einen schüchternen Versuch hierzu, ohne ein Mehreres mitzubringen als etwa auf die Bajonnete gespießtes Federvieh. In Summa: Ich fasse meine Aussage in vier Worte zusammen, die Vertheidigung war eine unwürdige Posse, die Politik allein hat dabei eine Rolle gespielt, der Einfluß militärischer Erwägungen war gleich Null!«
Der Präsident ersucht den Zeugen, der immer leidenschaftlicher geworden ist, sich nicht zu Urtheilen hinreißen zu lassen.
Zeuge bittet um Entschuldigung, wenn er sich zu sehr habe hinreißen lassen; »wenn man gewisse Dinge gesehen hat, bleibt man nicht Herr seiner selbst«! Er setzt darauf noch längere Zeit hindurch auseinander, was alles hätte geschehen sollen und müssen, und der Vertheidiger erklärt schließlich: »Ich hätte wol mehrere Fragen an den Zeugen zu richten, aber sein Schmerz ist zu natürlich, als daß ich ihn nicht achten sollte, und ich habe es mir zur Pflicht gemacht, an ihn und seine Landsleute keine Fragen zu richten.«
Herr Magnin, früher Vorsteher des Landwirthschaftlichen Vereins zu Metz, kritisirt ebenfalls auf das schärfste die Unterlassung geeigneter Maßregeln zur Verproviantirung, und erzählt, wie Coffinières eines Tages im Gemeinderath erklärt habe: die Armee werde abziehen, aber dann werde Metz wol bombardirt werden. Man entgegnete ihm, man werde auch das ans Patriotismus ertragen, darauf sagte er: »Ah! Sie haben also Patriotismus! Sie!« Allgemeine Regung des Unwillens unter den Zuhörern. Der Zeuge spricht dann sehr geringschätzig von den von den Preußen aufgeführten als so schrecklich geschilderten Schanzarbeiten, und erzählt von mehrern Personen, welche mit leichter Mühe nach Metz hinein- und wieder hinausgelangt sind.
Zeuge Viauson, früher Maire von Plappeville, hat gesehen, wie die Ulanen im Schußbereiche des Forts Lebensmittel fortführten.
Kaufmann Vilgrain begab sich am 9. October zum Marschall, um ihm Vorschläge in Betreff der Verproviantirung zu machen. Er wurde nicht vorgelassen und ein junger Offizier sagte ihm bei dieser Gelegenheit, es sei doch nichts mehr zu machen. Die Soldaten wollten nicht mehr marschiren. Einige Tage später wurde er zum Marschall beschieden, der sich bitter über einen anonymen Schmähbrief beklagte, welchen er erhalten, und ihn dann fragte, wie viel Lebensmittel denn in der Stadt noch vorhanden seien. Zeuge meinte, mit der gewöhnlichen Nahrung werde man noch bis 24. oder 25. reichen; wenn man sich dann entschließe, die Stiefelsohlen zu essen, könne man sich vielleicht noch bis 27. oder 28. halten.
Die Aeußerung jenes jungen Lieutenants stammte unzweifelhaft nicht von ihm selbst, er sprach nur ein gegebenes Losungswort nach. »Wenn wir unsere Gefühle in Betreff gewisser Namen nicht verhehlen können, so werden wir doch auch diejenigen an den Tag legen, welche wir für jene tapfern Soldaten, jenes tapfere Heer empfinden, welches einen seiner würdigen Führer verdient, und wenn es ihn gehabt hätte, uns vor so vielen Demüthigungen bewahrt haben würde, die wir erlitten haben.«
Dem Militärgeistlichen Dumolard sagte am 22. August der General Mamchee zu Metz: sie seien gefangen wie in einer Mausefalle, und hätten nur noch für anderthalb Schlachttage Munition.
Dr. Grellois, Oberarzt von Metz, versichert, daß Bazaine und Coffinières sich sehr besorgt um die Verwundeten und Kranken gezeigt haben. Wären noch mehr Verwundete eingebracht worden, so hätten sie weder Unterkommen noch Pflege gefunden, und er ist überzeugt, daß diese Rücksicht den Marschall von weitern Ausfällen zurückhielt. Lebensmittel waren nicht mehr vorhanden; von Speck kann man nicht leben, er ersetzt das Fleisch, aber nicht das Brot.
Dr. Moffre war Oberarzt in Metz und mußte dem Marschall täglich über deu Gesundheitszustand der Festung Bericht erstatten.
Der Angeklagte: Man hat behauptet, ich hätte die Verwundeten nicht besucht; ich bin zu ihnen gegangen, so oft ich es für nöthig hielt, es gab aber 20 Lazarethe und 20 Hospitäler, die ich unmöglich alle zugleich besuchen konnte.
Dr. Moffre ist einmal mit ihm in einem Feldlazareth zusammengetroffen; er ging durch die einzelnen Zelte und am Abend ließ er Decken für die Kranken schicken. Der Zeuge hat bei einer frühern Vernehmung erklärt, der Marschall habe nichts gethan, um den kriegerischen Geist seiner Soldaten anzuregen. Er erklärt, er habe den Marschall nach Kassel in die Gefangenschaft begleitet und sei nach seiner Rückkehr verhaftet worden; man habe ihm, den »Moniteur« in der Hand, die seltsamsten Fragen vorgelegt, z. B. nach den Steinbrüchen von Jaumont, in welche die preußische Armee geworfen sein sollte, und er könne in der That nicht für das, was er in dieser Situation gesagt habe, verantwortlich gemacht werden.
Der frühere Präfect Odent bekundet, daß die von andern Zeugen als so bedeutend geschilderten Vorräthe der Umgegend von Metz gerade 1870 äußerst gering waren. Die Nationalgarde war schon am 22. September vollständig organisirt. Am 13. September erschien eine vom Zeugen verfaßte, von Coffinières mitunterzeichnete Proclamation, in welcher es hieß: »Die Armee wird uns nicht verlassen, sie wird bleiben, um dem Feinde, der uns umringt, die Stirn zu bieten und der Regierung die Mittel zu gewähren, Frankreich zu retten.«
Der Maire von Ars, André, sah am 22. August einen Bauern, der eine Depesche des Kriegsministers nach Metz einschmuggeln sollte, weiß aber nicht, ob derselbe je angekommen ist. Am 14. September schickte er den Unteroffizier Pennetier mit einer Depesche und einigen Zeitungen nach Metz, gab ihm auch die berühmte Erklärung Jules Favres mit: »Keinen Zoll von unserm Gebiet, keinen Stein von unsern Festungen« (Zischen im Zuhörerraum). Später beförderte er durch die Wasserleitung von Gorze öfters Zeitungen nach Metz. Der Verkehr zwischen Ars und dem Innern von Frankreich hatte keine Schwierigkeiten, da die Deutschen, schon um Ars verproviantiren zu lassen, viele Passirscheine ausstellten. Pennetier versichert, Depesche und Zeitungen an Bazaine abgegeben und demselben Bericht über die Schlacht bei Sedan, welche er mitgemacht hatte, sowie über Stellungen und Schanzarbeiten der Deutschen erstattet zu haben.
Gasdirector Servier zu Metz bot am 3. September demjenigen, der ihm eine neue pariser Zeitung verschaffen würde, 1000 Frs. Elf Personen meldeten sich zu dem Unternehmen, er hat aber keinen von ihnen wiedergesehen.
Literat Meyer redigirte zu Metz den »Indépendant de la Moselle«. Die Zeitung hatte die Censur des Generals Coffinières zu bestehen; ein Artikel, in welchem er die Hoffnung aussprach, das Wort Capitulation, welches jedem die Schamröthe ins Gesicht treiben müsse, werde nicht wieder gehört werden, wurde gestrichen, dagegen stellte ihm die Commandantur einen andern zum Abdruck zu, in welchem dieselbe erklärte, man werde hoffentlich aufhören alle Operationen der Armee zu kritisiren und den Irrthum fahren lassen, als seien die feindlichen Linien leicht zu durchbrechen; und einige Zeit später einen andern, wonach preußische Gefangene bestätigt hätten, daß die Einschließungsarmee sehr stark sei. Als Zeuge versuchte, die schlimmen Nachrichten Boyers und Debains zu dementiren, wurde der Artikel gestrichen und ein Adjutant Bazaines äußerte: »Was wollen Sie? Die Truppen halten nicht mehr stand.« Wenige Tage vor der Capitulation wurde die Nachricht von dem Siege bei Orleans gestrichen. Er druckte den Artikel des Militär-Strafgesetzbuchs ab, wonach jeder Truppenführer, der im freien Felde capitulirt, und jeder Festungscommandant, welcher capitulirt, ehe Bresche geschossen und gestürmt ist, mit dem Tode bestraft wird, schilderte auch Carnots Vertheidigung von Antwerpen, Massénas Vertheidigung von Genua, »es hat aber nichts geholfen«!
Bei dem Gastwirth Bauzin zu Ars lagen preußische Offiziere in Quartier; einer derselben theilte ihm eines Tages mit, er werde abmarschiren. »Sie geben Metz auf?« fragte der Zeuge. »Metz können wir haben, wenn wir wollen.« »Aber die Forts?« »Wenn Sie die Forts haben, so haben wir dafür Bazaine.«
Major Samuel wurde, da er fertig deutsch sprach, häufig zu Parlamentärdiensten verwendet; »man begab sich dann mit einer großen Weißen Fahne vor die Linien und ließ ein bestimmtes Signal blasen, was nicht hinderte, daß man fast immer von beiden Seiten Feuer bekam; erst gegen das Ende hörte dies auf«. Zeuge erhielt am 11. September von einem deutschen Offizier ein Exemplar der »Kreuzzeitung« über die pariser Ereignisse und theilte sie Bazaine mit; die »Katastrophe von Sedan, wie die Preußen selbst sie nannten«, kannte er schon durch Gefangene, nicht aber die von Paris. Régnier hat der Zeuge nicht gesehen, Bazaine sprach aber nach dessen Abreise die Befürchtung aus, derselbe möge ihn wol betrogen haben, und erklärte, er habe ganz vergessen, ihn nach irgendwelcher Legitimation zu fragen. Ein Spion, Namens Hölty, wurde zum Tode verurtheilt, Zeuge bat den General Jarras, die Execution aufzuschieben, damit er denselben über die Organisation der deutschen Spionage vernehmen und nöthigenfalls verwenden könne, denn »die besten Spione sind die doppelten, das sind die besten«. Jarras aber ließ ihn sofort erschießen, um ein Exempel zu statuiren.
Die Aussage des Redacteurs Réau vom »Courrier de Meurthe et Moselle« stimmt mit der seines Collegen Meyer vollständig überein. Als Bourbaki abgereist war, bot man Changarnier das Commando über die Nationalgarde an. Er nahm dies Anerbieten sehr kühl auf und erklärte, er werde dann die Jäger bei Ladonchamps, welche täglich schwere Verluste erlitten, von einem Bataillon Nationalgarde ablösen lassen. Die Abgeordneten der Nationalgarde erklärten: Nicht nur ein Bataillon, sondern die ganze Nationalgarde werde diesen Posten wünschen.
Gegen den Oberstlieutenant Beaulieu äußerte der Marschall gelegentlich einmal, man habe den Krieg begonnen, ohne dazu gerüstet zu sein, und sollte Frieden schließen und nach zwei Jahren wieder anfangen. Dem Bureauchef Dehau ließ Bazaine am 15. September die Proclamation der Regierung der nationalen Vertheidigung zugehen. Der Zeuge fragte an, ob fortan in den Offizierspatenten das Wort »Kaiser« und »kaiserlich« sowie das kaiserliche Wappen fortfallen solle. Der Marschall bejahte dies, führte aber das Wappen schon am 17. wieder ein.
Es folgt nun eine ganze Reihe hervorragender Persönlichkeiten, welche theils zum ersten mal auftreten, theils zwar schon früher vernommen worden sind, jetzt aber über die Ereignisse vom 1. September bis 8. October und vor allem über den Régnierschen »incident« Auskunft geben sollen. Die militärischen Operationen waren während dieser Zeit ohne Bedeutung; sie beschränkten sich auf ziemlich schüchterne Verproviantirungsversuche von französischer, auf nicht besonders ernst gemeinte Fühler und Vorstöße von deutscher Seite.
Zuerst tritt Marschall Leboeuf wieder auf. Am 12. September, so bekundet er, ließ Bazaine die Corpsführer ins Hauptquartier zusammenrufen und theilte ihnen die traurigen Nachrichten mit, welche er erhalten. Diese Ereignisse, fügte er hinzu, bringen das Heer in eine schwierige Lage und machen neue Bestimmungen nöthig. Ich glaube nicht, daß es wohlgethan wäre, einen Ausfall zu wagen, wir müssen uns auf kleinere Operationen beschränken, um den Feind zu ermüden. Diese Worte wurden mit tiefster Betrübniß und ohne jede Einwendung hingenommen. Es verbreitete sich bald im Lager das Gerücht von einem nahen Waffenstillstande, und infolge dessen herrschte auf den Vorposten tiefe Stille; Bazaine aber befahl die strengste Handhabung des Vorpostendienstes, es sollte auf alles geschossen werden, was sich zeigte, und dies geschah denn auch. Am 28. erstattete Leboeuf dem Marschall Meldung über ein Gefecht und fragte darauf, welche Bewandtniß es mit Bourbakis Sendung habe. Bazaine entgegnete, das sei vielleicht eine Gelegenheit, zum Frieden zu gelangen, die Kaiserin wolle darüber berathen, wenn sie die Friedenspräliminarien genehmigt haben würde, sollten sie der Nationalversammlung vorgelegt werden. Ich glaubte aber nicht an den Erfolg, sagt der Zeuge, weil ich überzeugt war, daß der Feind Gebietsabtretungen verlangen werde. Bazaine fügte aber hinzu: »Unsere militärische Lage ist dadurch nicht geändert; fahren wir fort, unsere Pflicht zu thun.«
Der Präsident fragt, ob es nicht zweckmäßiger gewesen wäre, statt kleiner, vereinzelter Operationen größere mit der ganzen Armee vorzunehmen. Leboeuf lehnt es zuerst höflich ab, ein Urtheil über die Maßnahmen seines Vorgesetzten abzugeben, erklärt aber dann, daß dies nach seiner Ansicht wol möglich gewesen sei. Er glaubt ganz entschieden, daß der Marschall zu wiederholten malen sehr ernstlich beabsichtigt habe durchzubrechen, und erklärt, die Verschanzungen, welche man angelegt, beweisen durchaus nicht das Gegentheil, »sie waren dringend nothwendig, damit unsere Soldaten schlafen konnten, denn sie wurden allnächtlich vom Feinde beunruhigt«. Die von Debains überbrachten Nachrichten hat der Marschall nur den Corpsführern vorlesen lassen, veröffentlicht worden sind sie nicht, man fand aber bei Gefangenen und Gefallenen Zeitungen in Menge. Die Nachrichten haben keinen merklichen Einfluß auf den Geist der Truppen geübt. »Eins aber muß ich sagen, was vielleicht viel Anstoß geben wird. Nach der Sendung Bourbakis beschäftigten sich die Truppen sehr viel mit ihrer Lage und viele Offiziere betrachteten diese Sendung mit Befriedigung; sie hofften, daß dadurch ein für Heer und Land ehrenvoller Frieden zu Stande kommen könne.«
General Ladmirault bestätigt, daß man die vom Marschall mitgetheilten Nachrichten großentheils schon vorher kannte. General Frossard: »Man hat viel von der Leichtigkeit des Verkehrs mit der Außenwelt gesprochen. Ich habe oft versucht, Unteroffiziere und Gemeine auszuschicken, zwei der Schlauesten sind von den Preußen gefangen genommen worden, die andern sind unverrichteter Sache zurückgekehrt.« Der Marschall sprach oft sein Bedauern aus, daß er keine Mittheilungen »von dem, was man die Regierung der nationalen Vertheidigung nennt« erhielt; er betrachtete sich als geopfert, und war gekränkt hierüber, hat dies aber nie ausgesprochen. Auf die Frage des Staatsanwaltes, ob der Geist unter den Truppen bis zuletzt ein guter gewesen, entgegnete der Zeuge: »Ende September hatte der Geist nicht gelitten, aber der Körper. Die armen Leute! sie hatten nichts zu essen und waren allen Unbilden des Wetters ausgesetzt!«
General Desvaux schickte einmal auf Befehl des Marschalls zwei Kürassiere mit einer Botschaft an die Regierung nach Tours: »Ich habe verschiedene Boten ausgeschickt, aber keine Nachricht erhalten; die traurigsten Gerüchte im Umlauf.« Diese Depesche ist zum Ziele gelangt.
Canrobert versichert ebenfalls, die aufgeführten Werke seien durchaus nicht derartig gewesen, daß man daraus auf die Absicht des Marschalls, vor Metz zu bleiben, habe schließen dürfen, im Gegentheil seien sie nach seiner Ueberzeugung nur aufgeführt, um die Vertheidigung von Metz auch nach dem Abzüge der Armee zu ermöglichen, und den Abzug beabsichtigte Bazaine bis zur Schlacht bei Sedan; dieses Unglück aber war sehr geeignet, Einfluß auf alle Pläne zu haben, und nachdem man erfahren, daß die Armee von Sedan vernichtet sei, mußte man die Angriffsplane wol aufgeben.
Am 23. oder 24. September wurde Canrobert zu Bazaine berufen; derselbe erwartete ihn im Garten und fragte ihn, ob er einen höhern Beamten des Hofstaats der Kaiserin, Namens Régnier, kenne. Canrobert verneinte dies, und lehnte die ihm dann angetragene Sendung ab. Er sah darauf Régnier im Zimmer des Marschalls. Derselbe schwatzte über alles Mögliche, nur nicht über Politik, und misfiel dem alten Haudegen außerordentlich, »er sah gemein aus und hatte eine unangenehme Dreistigkeit«. – »Man sagt«, schließt der Zeuge, »er habe ein Buch geschrieben und darin sei auch von mir die Rede. Ich habe es nicht gelesen, wenn er aber etwas anderes erzählt hat, so hat er gelogen.«
Bourbaki beginnt seine Erzählung mit den Worten: »Vor allem muß man sich unsern Zustand am 24. September vergegenwärtigen. Die Pferde der Cavalerie waren großentheils zur Ernährung der Menschen verwendet worden, und die nicht geschlachtet wurden, fielen vor Hunger. Es herrschte allgemein großes Elend. Wir waren machtlos; ich bin überzeugt, daß kein Pferd mehr im Stande gewesen wäre, einen halben Tagemarsch zu machen. Außerdem hatten wir jede Hoffnung auf Hülfe verloren. Dijon war besetzt, unsere Braven darauf angewiesen, entweder zu capituliren oder eine letzte Kraftanstrengung mit sehr zweifelhaftem Erfolge zu machen.« Er wurde zu Bazaine berufen. Nach Régniers Vorspiegelungen schien ihm seine Reise im Interesse des Heeres wie des Landes geboten, er reiste also ab. Die Kaiserin sagte ihm, daß Régnier allerdings bei ihr gewesen sei, daß sie ihn aber nicht empfangen habe. Er schilderte ihr die Lage; sie war tief betrübt über die Leiden des Heeres, sagte aber, sie werde mit niemand unterhandeln, um die Schritte der Regierung der nationalen Vertheidigung nicht zu durchkreuzen. Bourbaki bat sie nur, ihm zur Rückkehr nach Metz behülflich zu sein. Sie ließ auch an Lord Granville schreiben, und dieser telegraphirte an Bourbaki, daß Prinz Friedrich Karl selbst ihm den Wiedereingang erleichtern wolle.
Von Luxemburg aus schrieb Bourbaki am 6. October an den Kriegsminister Gambetta und eröffnete ihm, das Heer werde zu Grunde gehen, wenn nicht Frieden geschlossen würde; als Antwort erhielt er den Befehl, nach Tours zu kommen. Er begab sich dorthin und setzte den Mitgliedern der Regierung auseinander, wie unnütz all ihr Thun sei: »Ich sagte, ich sei ein Mann vom Fach; gewiß ist, daß ich sie nicht überzeugt habe. Ich wendete mich an Lord Lyons, Fürst Metternich und Chevalier Nigra, erinnerte sie, wie hochherzig wir uns, besonders in Rußland England gegenüber, gezeigt, und die drei Diplomaten versprachen mir, bei Herrn von Bismarck Schritte zu Gunsten eines Waffenstillstandes zu thun, ich bin auch überzeugt, daß sie Wort gehalten haben. Das ist alles. Dann habe ich eine Armee organisirt.«
Nachdem ihm der Präsident einiges Schmeichelhafte über sein Verhalten gesagt, erklärt er noch auf Befragen, er würde ganz sicher nach Metz zurückgekehrt sein, wenn er nicht nach Tours befohlen worden wäre.
»Der Zeuge Régnier« wird wieder aufgerufen, erscheint aber zur großen Enttäuschung des Publikums nicht; weniger enttäuscht dürfte der Präsident gewesen sein, denn Herr Régnier hatte ihm bereits vor mehrern Tagen angezeigt, er werde nicht erscheinen, da er gehört habe, er solle verhaftet werden. Wenn man ihm aber die Zusicherung gebe, daß er nur im Falle erwiesenen Landesverraths zur Haft gebracht werden würde, so werde er sich stellen.
Seine in der Voruntersuchung abgegebene Aussage wird verlesen, ergibt aber nichts Neues, ebenso wenig ist die nun folgende Aussage Coffinières von Interesse. Die Nachricht von Sedan war, wie er bekundet, schon am 3. September durch Mitglieder des »Internationalen Hülfsvereins« nach Metz gebracht und am 7. und 9. durch ausgewechselte Gefangene bestätigt worden. »Die Preußen wählten stets solche Gefangene zum Auswechseln, die Zeugen der Ereignisse gewesen waren, welche sie uns wissen lassen wollten.« Die mehrerwähnte Proclamation, in der es hieß: »die Armee wird uns nicht verlassen«, war von Coffinières ohne Bazaines Mitwirkung abgefaßt worden. Herr von Kératry hat als Regierungsmitglied die verschiedensten Versuche gemacht, sich mit Metz in Verbindung zu setzen, aber ohne Erfolg.
Major Lamey gehörte dem Hofstaate der Kaiserin an und befand sich mit ihr in Hastings. Am 14. September wurde ihm gemeldet, ein Franzose bitte um eine Audienz bei der Kaiserin. Er ließ denselben eintreten; es war Régnier, welcher etwa Folgendes sagte: »Die Kaiserin ist infolge einer Revolution der Regierung entsetzt worden; sie muß eine Proclamation erlassen und die Kammern einberufen. Die Preußen wollen die Regierung der natiotionalen Vertheidigung nicht anerkennen. Wenn die Kaiserin vom französischen Gebiete verbannt wird, so mag sie sich auf die Flotte zurückziehen und von dort aus ihre Befehle dictiren.« Lamey bemerkte, diese Handlungsweise entspreche den Ansichten der Kaiserin durchaus nicht, dieselbe wolle der Regierung der nationalen Vertheidignng kein Hinderniß in den Weg legen. »Gut«, entgegnete Régnier, »dann werde ich nach Wilhelmshöhe gehen, bei dem Kaiser werde ich energischere Männer finden. Dazu bedarf ich aber eines Passes. Ich habe Ansichten von Hastings gekauft, und wenn der Prinz seine Unterschrift auf eine derselben setzen will, so werde ich mich damit bei dem Kaiser einführen.« Lamey weigerte sich, dies dem Prinzen vorzuschlagen, und begab sich zur Kaiserin; diese Zeit benutzte Régnier, einen zufällig anwesenden Freund Lameys zu bereden, daß er ihm die Unterschrift des Prinzen verschaffe. Der Prinz erklärte, er sei bereit, einem patriotischen Franzosen seine Unterschrift zu geben, und schrieb auf die Photographie: »Lieber Vater, ich glaube, daß Du Dich freuen wirst, eine Ansicht unsers Wohnhauses zu sehen.« Régnier setzte es durch seine Hartnäckigkeit durch, daß die Kaiserin ihn vorließ; er schilderte die Lage in ziemlich verworrener Weise, die Kaiserin entgegnete ihm aber: »Ich weiß nicht, wer Sie sind, und habe kein Vertrauen zu Ihnen; übrigens würde es in der gegenwärtigen Lage Frankreichs ein Verbrechen sein, im dynastischen Interesse Spaltungen hervorzurufen.« Als die Kaiserin von der Photographie erfuhr, telegraphirte sie an ihren Gemahl, es werde sich ein Individuum mit einer Photographie bei ihm einführen, habe aber keinen Auftrag, irgendwie für sie aufzutreten. Nach einigen Tagen antwortete der Kaiser durch die Post. Es hieß in dem Briefe: »Dein Individuum kommt nicht.« Die Angelegenheit war vergessen, als am 27. Bourbaki eintraf. Lamey fragte: was gibt es? Hat Metz sich ergeben? Bourbaki erbleichte und sagte: »Man hat mich betrogen!« Lamey versichert, es sei nicht wahr, daß die Kaiserin Régnier die Photographie mit der Unterschrift: »Dies ist die Ansicht von Hastings, welche ich für meinen guten Louis gewählt habe. Eugenie«, gegeben habe. Derselbe schrieb nachher noch fünf- bis sechsmal an die Kaiserin, erhielt aber keine Antwort.
»Ich muß noch bemerken«, schließt der Zeuge, »daß Régnier mir Mittheilungen gemacht hat, und daß ich, auf Pflicht und Gewissen, nicht sicher bin, dieselben wortgetreu wiederzugeben. Ungefähr aber lauteten sie so: ›Ich kann Ihnen sagen, daß der Marschall nur noch bis zum 18. und wenn er die Rationen beschränkt, bis zum 22. October Lebensmittel hat. Ich kenne seine Lage besser als irgendein anderer.‹«
Darauf berichtet Herr Soulié über die Persönlichkeit Régniers: schon vor etwa zehn Jahren habe sich derselbe ihm einmal als alter Schulfreund vorgestellt und ihn an vergessene Jugendgeschichten erinnert. »Ehrlich gesagt, ich habe ihn nicht wiedererkannt.« Am 18. Februar 1871 besuchte er den Zeugen wieder und derselbe erkannte ihn abermals nicht. »Ich bin Régnier, Sie haben sich meiner nicht erinnert, ein Tag wird kommen, da Sie mich nicht mehr vergessen werden. Am Tage ihrer Beerdigung werden Sie sich unserer Jugendfreundschaft erinnern, und ich werde dabei sein!« Der Zeuge sagt nicht, ob er dies ganz verstanden hat. Schließlich gab ihm sein vergessener Freund ein Exemplar seiner im October 1870 gedruckten Broschüre: »Merkwürdigerweise hatte er beinahe vorausgesehen, daß Bourbaki sich vor den Kopf schießen werde. Dieser Mensch weiß nicht, was er thut, und ich wundere mich nicht über die Unbefangenheit, mit der er die tollsten Streiche begeht. Er ist einer von denen, denen ihr unabhängiges Vermögen erlaubt, eine Menge Dinge zu treiben, und die davon reichlich Gebrauch machen; dabei hat er einen etwas intriguanten Charakter.«
Herr Pozzo di Borgo erzählt, daß Régnier im November 1870 zu Metz mit seinen Thaten renommirte, Hauptmann Yung, daß er im November zu Kassel von der Wiedereinsetzung Napoleons schwärmte.
Der Schneidermeister Modéré wurde am 26. September zu Bazaine bestellt, um ihm Civilkleider anzumessen. Als er fertig war, sagte ihm der Marschall, er solle zu Boyer gehen, der seiner auch bedürfe. Boyer ließ sich gleichfalls Civilkleider anmessen: »Wenn wir bei den Preußen vormarschiren müssen«, sagte er, »so will ich es wenigstens nicht in Uniform thun.« Modéré sah den Marschall bald wieder und sprach mit ihm über die Lage; »ich sagte ihm, er sei unsere einzige Hoffnung, und wenn wir nur erst aus dieser Klemme befreit wären, so würden, Sieg und Ruhm wieder bei uns einkehren«. »Das ist nicht so leicht«, entgegnete der Marschall und fragte: »was er schuldig sei«.
Es folgen einige Klatschgeschichten. Zur Witwe Gilbert in Straßburg sagte ein preußischer Offizier am Tage nach der Capitulation (28. September): am 19. October werden wir in Paris sein, und Bazaine mit uns; Bazaine ist ein Verräther! und ein andermal: Bazaine, Napoleon und andere Generale müßten erschossen werden! Die Witwe Royer scheint dieser Unterhaltung beigewohnt zu haben, oder hat eine ganz gleiche geführt, und zum Maire von Bar-le-Duc sagte ein preußischer Offizier, Bazaine werde noch in Frankreich von sich reden machen, er liebe die Millionen. »Auf solche Niederträchtigkeiten habe ich nichts zu erwidern«, bemerkte der Angeklagte.
Dann tritt Jules Favre auf, der bekannte Advocat, Redner und Staatsmann. »Das Kriegsgericht weiß«, beginnt er, »daß ich mich am 18. September zu Ferrières befunden und dort mit Herrn von Bismarck conferirt habe. Eine zweite Besprechung fand am 19. September statt, welche von Bismarck, sozusagen, damit eröffnete, daß er mir eine Photographie von Hastings mit der bekannten Unterschrift der Kaiserin Eugenie zeigte; auf meine Frage erklärte er, es sei dies eine Art von Paß, deren sich ein Unbekannter bedient habe. ›So wollen Sie also das Kaiserthum wiederherstellen; ich hatte recht, als ich Ihnen dies gestern sagte?‹ Er entgegnete: Diese innern Angelegenheiten interessirten ihn gar nicht, er wolle nur mit einer dauerhaften Regierung Frieden schließen; die Person, die ihm jene Karte überbracht habe, sei ohne jede Bedeutung, er werde sie auch nicht mit dem Kaiser in Verbindung treten lassen, denn Deutschland sei demselben auch Schutz gegen Zudringliche schuldig, und die Sache sei so wenig ernsthaft, daß er den Unbekannten habe ablaufen lassen. Später habe Bismarck ihn gefragt: ›Sind sie denn völlig sicher, daß Bazaine Ihnen gehorchen wird?‹ Auf seine Erwiderung, es sei unmöglich, daß ein solcher Heerführer seine Pflicht verletzen und der bestehenden Regierung, welches auch ihr Ursprung sein möge, untreu werde, habe Bismarck entgegnet: ›Sie haben unrecht, ich habe Gründe zu glauben, daß Bazaine Ihnen nicht angehört.‹«
Der Angeklagte: Ich protestire gegen diesen Bericht. Ich habe nie meine Pflicht als Soldat von dem Interesse Frankreichs geschieden!
Jules Favre: Ich habe die Wahrheit gesagt; mein Urtheil hat nur die Bedeutung einer persönlichen Ansicht.
Abermals wird der Zeuge Régnier aufgerufen, und abermals erscheint er nicht. Gegen ihn wird zunächst eine Geldstrafe von 100 Frs. festgesetzt, sodann beantragt der Staatsanwalt:
In Erwägung, daß genügende Anzeigen vorliegen, daß Herr Régnier sich im September 1870 schuldig gemacht habe:
1) Einverständnisse mit dem Feinde unterhalten zu haben, um dessen Unternehmungen zu begünstigen;
2) sich in die französischen Linien eingeschlichen zu haben, um dort Geheimnisse und Plane zu erlauschen und sie dem Feinde zu verrathen;
3) dem Feinde Nachrichten und Documente verschafft zu haben, welche den Operationen des französischen Heeres schaden konnten:
davon Act zu nehmen, daß der Staatsanwalt sich die Verfolgung gegen denselben vorbehalte.
Dies geschah; auch Herr Régnier scheint aber hiervon Act genommen zu haben, denn er weilt nach den neuesten Nachrichten in London.
Nachdem darauf ein Ingenieur, Herr Combier, über die Wiederherstellung der Brücke von Longeville Auskunft gegeben und erklärt hat, in drei Tagen lasse sich wol ein Laufsteg für Fußgänger, aber nicht eine Eisenbahnbrücke wiederherstellen, am wenigsten im feindlichen Feuer, gibt der General Leflô, einst französischer Gesandter in Rußland, und 1870 eine Zeit lang Kriegsminister, Auskunft über die Versuche, mit Bazaine in Verbindung zu treten: »Ich hatte 10–15000 Frs. geboten, wenn jemand nach Metz ginge und mir von dort Nachrichten zurückbrächte; viele haben sich gemeldet, ich habe aber nichts mehr von ihnen gehört, sie müssen gefangen genommen oder erschossen worden sein.« Am 13. oder 14. September benachrichtigte ihn Herr von Kératry, daß er einen ganz sichern Boten ausfindig gemacht habe. Leflô gab ihm einen Brief mit, in welchem er Bazaine von den Ereignissen, der politischen und militärischen Lage, und dem Entschlusse, Paris bis auf das Aeußerste zu vertheidigen, Nachricht gab, und äußerte, man dürfe jetzt nur Ein Ziel, die Organisation des Kampfes, anstreben. Er bat ihn, sich dieser patriotischen Bewegung anzuschließen. »Erlauben Sie mir hier eine Bemerkung. Es könnte überraschen, daß der Minister, welcher das Recht hat, zu befehlen, von Bitten spricht, aber ich hegte bereits unbestimmte Besorgnisse und hielt es für klüger, so zu verfahren. Ich that dies nicht allein aus Hochachtung vor der Würde des Marschalls, sondern ich dachte auch, es sei zweckmäßiger, an das Herz des Soldaten und des Bürgers zu appelliren.« Derselbe Bote nahm auch einen Brief der Frau Marschallin an ihren Gatten mit. »Ich habe keinen bestimmten Beweis dafür, daß der Marschall meinen Brief erhalten hat. Hat er aber den seiner Gemahlin erhalten, so muß er auch den meinigen erhalten haben, denn beide wurden zusammen abgesandt.« Spätere Versuche, eine Verbindung herzustellen, sind stets fehlgeschlagen.
Der Angeklagte: Aus einer deutschen Zeitung, nicht aus jenem Briefe, den ich nie erhalten, habe ich gesehen, daß meine Gattin in Tours angelangt war. Hätte ich Befehle erhalten, so hätte ich sie auch ausgeführt.
Jetzt folgte eine der spannendsten Episoden des langen Dramas, die Vernehmung Gambettas, des kühnen Advocaten, der am 10. October 1870 Paris im Luftballon verlassen hatte, um von Tours aus als Kriegsminister und Minister des Innern an die Spitze der Regierung der nationalen Vertheidigung zu treten, der Generale ein- und absetzte, Kriegspläne entwarf und verwarf, der nicht müde wurde, den Krieg bis aufs Messer zu predigen, und schließlich zähneknirschend erdulden mußte, daß man über ihn hinweg zu Paris Frieden schloß und ihm das Misgeschick der Loirearmee, der Nordarmee, der Armee Bourbakis zur Last legte, und daß Thiers ihn als fou furieux, als wahnsinnigen Thoren brandmarkte, dem aber doch niemand eine glühende Vaterlandsliebe, eine rastlose Energie abzusprechen vermag.
Léon Gambetta wird eingeführt. Die Menge ist so erregt, daß die Sitzung thatsächlich während einiger Minuten suspendirt ist.
Präsident: Welche Maßregeln ergriffen Sie in Ihrer Eigenschaft als Mitglied der Regierung, um sich mit der Rheinarmee in Verbindung zu setzen?
Gambetta: Vom ersten Tage an versuchte die Regierung der Nationalvertheidigung zu Paris, sich mit Metz in Verbindung zu setzen; wir beauftragten den Polizeipräfecten, Leute aufzusuchen, um der Rheinarmee und ihrem Obercommandanten das mitzutheilen, was in Paris vorgegangen war. Unserer Ansicht nach war diese Armee eine der größten Hülfsquellen Frankreichs. Die Regierung theilte in diesem Augenblick das absolute Vertrauen des Landes in die Talente und den Patriotismus des Obercommandanten der Rheinarmee. Man kannte den Werth der metzer Armee. Frankreich hatte selten eine so mächtige. Der erste Gedanke der Regierung war deshalb auch, diese Armee von den stattgehabten Ereignissen in Kenntniß zu setzen. Eine ganze Armee war gefangen worden, der Kaiser war im Auslande. In diesem Augenblicke ertönte im ganzen Lande nur Ein Ruf, nämlich der, aufs äußerste Widerstand zu leisten. Dieser Widerstand mußte zwei Stützpunkte haben: die metzer Armee und die neuen Streitkräfte, welche man bilden konnte. Die Regierung des Stadthauses hatte nur Einen Gedanken: Frankreich zu vertheidigen. Dieser Gedanke wurde in mehrern Depeschen ausgedrückt, welche wir durch ausgewählte Boten absandten. Ich habe ein Exemplar dieser Depeschen bewahrt. Man kann dasselbe vorlesen. Der Kriegsminister war seinerseits beauftragt, militärische Nachrichten nach Metz gelangen zu lassen. Ich machte den Marschall Bazaine mit dem Charakter der Revolution, dem Entschluß des Landes, bis aufs Aeußerste zu kämpfen, dem Vertrauen, welches wir in seine Festigkeit und seine Vaterlandsliebe setzten, bekannt. Bis zum 10. October, dem Tage, wo ich Paris verließ, habe ich unsere Versuche nur erneuern können. Ich weiß nicht, ob sie gelungen sind. Man hat gesagt, daß sie nicht gelangen. Nach dem 10. October war meine erste Sorge, mich mit der Armee von Metz in Verbindung zu setzen, über deren Schicksal wir nichts wußten; aber alle Nachrichten aus dem Auslande sprachen von der Vertheidigung der Festung. Man sagte, daß fast täglich Kämpfe stattfänden. Bis zum letzten Tage veröffentlichten wir, was wir erfuhren. So erklärt sich der Widerspruch zwischen den Nachrichten, welche wir mittheilten, und dem Schreck, welchen wir empfanden, als wir die ganze Wahrheit hörten. Seit dem 12. September hatte die Regierung die Präfecten aller Grenzdepartements beauftragt, Nachrichten nach Metz gelangen zu lassen. Herr Tachard, französischer Gesandter in Brüssel, schickte über Luxemburg Boten nach Metz. Er sandte Agenten ab, um die Armee zu benachrichtigen, daß Millionen von Rationen auf den Straßen über Montmédy aufgespeichert seien. Bis zum letzten Augenblick wiederholten wir diese Versuche. Warum gelangen sie nicht? Es ist hier nicht der Ort für mich, es zu sagen. Am Vorabende des tragischen Ereignisses, als düstere Gerüchte sich verbreiteten, telegraphirte ich dem General Bourbaki: »Tours, 26. October. Das Interesse Frankreichs erheischt es, den Marschall Bazaine zu benachrichtigen, daß Frankreich gerettet werden kann, wenn er noch standhält.« Aber als ich diese Depesche abgesandt, erhielten wir die traurigsten Nachrichten über die Lage von Metz. Herr Tissot, französischer Gesandter in London, schickte uns am 27. eine herzzerreißende Mittheilung, welche uns keinen Zweifel mehr ließ. Sie bewies klar und deutlich das Vorhandensein von Unterhandlungen mit dem Feinde, nicht allein auf militärischer, sondern auch auf politischer Grundlage. Sie gab genau die bereits im September nach Versailles gebrachten Vorschläge an. Wir hatten vor unsern Augen das Bild eines mit dem Feinde abgekarteten politischen Unternehmens, und wir stießen einen Schrei der Entrüstung aus, der, obgleich er lebhaft war, für mich doch der Ausdruck der Wahrheit bleibt. (Erregung.)
Präsident: Sie spielen auf eine Proclamation an, über die ich hier keine Bemerkungen zu machen habe. Ich wünschte indeß zu wissen, auf welche Thatsachen Sie sich stützten, um das Auftreten des Obercommandanten in der Weise zu beurtheilen, wie Sie es gethan?
Gambetta: Lesen Sie die Depeschen des Herrn Tissot vom 26. und 27. October. Sie befinden sich auf dem Ministerium des Aeußern. Sie werden darin die Darstellung der Verhandlungen des Marschalls Bazaine und des Generals Boyer mit dem Feinde finden. Die drei Abgesandten des Marschalls bestärkten uns in unserer Ueberzeugung. Wir erhielten den Schlüssel zu ihren Depeschen erst später. Der eine war der Träger von Mittheilungen der ernstesten Art, welche von den später in Tours angekommenen Offizieren nicht in Abrede gestellt wurden. Wir zeigten ihnen diese Berichte. Keiner erklärte sie für unrichtig. Was unserer Ueberzeugung eine officielle Bekräftigung gab, waren die Einzelheiten, die wir später von London und Paris erhielten. Sie werden übrigens Herrn Tachard vernehmen. Ich habe keinen Zweifel über die Schuld eines Befehlshabers, der unterhandelte, anstatt zu kämpfen.
Staatsanwalt: Im August 1871 veröffentlichten Sie das Schreiben eines Offiziers der Rheinarmee?
Gambetta: Ja! Es war ein Brief des Generals Frossard. Ich kann ihn mittheilen. In demselben befindet sich die Phrase: »Man hat uns in Metz auf unwürdige Weise getäuscht, als man uns Frankreich als der Anarchie preisgegeben darstellte.«
Vertheidiger Lachaud: Als Herr Gambetta im October Bourbaki sah, welche Auskunft gab ihm da derselbe über die Lage der Armee von Metz und die Möglichkeit, noch ferner standzuhalten?
Gambetta: Ich sah Bourbaki den 14. oder 15. October. Der General sprach von seiner Entmuthigung und sagte mir: »Wenn wirkliche Soldaten nichts zu thun vermochten, so ist nichts mehr zu machen.« Ich antwortete ihm: »General! Wenn man im Lande Männer von Muth hat, so kämpft man.« Er sprach davon, daß es keine Cadres mehr gebe, und beklagte sich, daß man am Tage nach der Schlacht von Gravelotte den Kampf nicht wieder aufgenommen habe. Er sagte mir, daß die Armee von Metz sich keine 14 Tage halten könne. Aber bald erhob er sich und sagte: »Wohlan! wir werden den Kampf fortsetzen.« Er verlangte von mir ein Commando im Norden, um einen Marsch nach Sedan zu machen. Später sah ich ihn wieder. Die Entmuthigung hatte ihn wieder erfaßt. Man hatte unwürdigen Verdacht auf ihn geworfen. Ich glaube, daß die bittere Reue, seine Garde verlassen zu haben, der Wunsch, seinen militärischen Ruhm nicht zu compromittiren, auf ihn Einfluß ausübten und ihn jenes »Diable au corps« beraubten, welcher ihn zum glänzendsten Divisionsgeneral der französischen Armee machte. Von ihm kann man sagen: »Ehre dem unglücklichen Muthe.«
Vertheidiger: Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich darf jetzt nicht auf Erörterungen eingehen, ich frage: Was hat Bourbaki gesagt? Hat er gesagt, es müsse schleunigst Waffenstillstand geschlossen werden, man müsse die einzelnen Tage zählen?
Gambetta: Ich hatte darauf schon zuvor geantwortet. Von Waffenstillstand war nicht die Rede. Zwischen Bourbaki und mir wurde nur davon gesprochen, daß die Armee bis zum Ende, noch vierzehn Tage, aushalten werde.
Er verwahrt sich schließlich gegen die in der Behauptung, daß Bourbaki sich für Waffenstillstand oder Frieden ausgesprochen habe, liegende Verdächtigung; Lachaud entgegnet: »Wir werden Wichtiges zu erörtern haben; wenn ich von Herrn Gambetta zu sprechen genöthigt sein werde, so wird das, was ich dann zu sagen habe, sehr einfach sein, ich werde dann alles sagen, was ich sagen will, und zwar deutlich genug, um mich aller Welt verständlich zu machen!
Major Guyhot führte etwa am 15. September einen Boten aus Metz bis durch die Vorposten; demselben hatte der Marschall zwei Briefe mitgegeben, einen an die Regierung und einen an seine Gemahlin; Guyhot glaubt sich zu erinnern, daß dieser letzte Brief nach Tours adressirt war, der Bote selbst aber, Magnin, hat sich von Kameraden die Adresse vorlesen lassen und behauptet, daß sie nach Versailles gelautet habe; er wurde von den Preußen gefangen genommen und wäre fast erschossen worden. Hauptmann Laferté erhielt Ende October einen Brief von seiner Mutter aus Tours, worin diese ihm unter anderm mittheilte, daß Bazaines Gemahlin sich dort in einem Kloster aufhalte. Er theilte dies dem Marschall mit; dieser dankte und äußerte, das sei die erste Nachricht, welche er von seiner Frau erhalte; er habe sie in Spanien vermuthet. Der Matrose Donzella brachte am 18. September eine Depesche Kératrys an Bazaine bis Diedenhofen und erbot sich, wenn ihm Turnier einen Führer in die nächste Umgegend mitgebe, die Depesche schwimmend nach Metz zu befördern. Turnier erklärte dies für unmöglich, versprach ihm, die Depesche anderweit zu befördern, und sandte ihn mit einer andern Depesche an die Regierung, welche, wie er sagte, durch Luftballon aus Metz gekommen war, nach Tours. Turnier erinnert sich wie gewöhnlich des ganzen Vorganges nicht, nur das bestreitet er entschieden, daß er je eine Ballondepesche mit politischen Nachrichten aus Metz erhalten habe.
Intendant Richard und Oberst Massaroli berichten über die Ansammlung von Proviantvorräthen für die Bazainesche Armee in Diedenhofen und Longwy, wissen aber nicht, ob Bazaine jemals hiervon benachrichtigt worden ist.
Frau Antermet, Kunstreiterin, erhielt am 8. September zu Metz einen Brief Bazaines an seine Gemahlin zur Beförderung. Um sie durch die deutschen Linien zu schmuggeln, ertheilte man ihr eine Ausweisungsordre. Sie wurde nach dem deutschen Hauptquartier gebracht, und da sie nicht merken ließ, daß sie deutsch verstehe, hörte sie, wie ein Offizier äußerte: »Wenn ich ihr traute, gäbe ich ihr eine Bestellung an Bazaine mit.« Sie wurde darauf zurückgeschickt, nachdem man einige deutsche Worte auf die Ausweisungsordre geschrieben und ein Offizier ihr aufgetragen hatte, Bazaine zu sagen: Wenn er eine Unterredung wünsche, so möge er auf der Straße über Ars nach Corny kommen, es werde ihm nichts geschehen. Als sie Bazaine Bericht erstattete, sagte dieser: »Sie haben mehr Ehre gehabt als ich, Sie haben mit dem Prinzen Friedrich Karl gesprochen.« Er fügte hinzu: »Sie wollen gern capituliren, aber ich habe noch für einen, wenn nicht für zwei Monate Lebensmittel.« Der deutsche Vermerk auf der Ordre besagte nur, daß derartige Schriftstücke nicht mehr respectirt würden.
Zwei Kürassiere, Henri und Marc, berichten über ihre Heldenthaten; sie wollen mit einer Depesche aus Metz gefangen genommen und zum Tode verurtheilt, aber durch einen Kamin entkommen und so wieder nach Metz gelangt sein, nachdem sie zuvor auf einer Brücke eine preußische Schildwache ins Wasser geworfen.
Darauf tritt Bazaines Bruder, Ingenieur Dominique Bazaine, auf, dem der Präsident eröffnet, daß er zwar seiner Verwandtschaft halber nicht als Zeuge vernommen, jedoch »zur Aufklärung der Sache« gehört werden solle. Frau Marschallin Bazaine hat gegen Ende October beschlossen, vom Könige von Preußen die Erlaubniß zu erbitten, sich nach Metz zu ihrem Gatten zu begeben, obschon ihre Entbindung nahe bevorstand. Er richtete in ihrem Auftrage und mit Wissen des Grafen Chaudordy, damals Minister des Aeußern, und Gambettas ein Gesuch an Bismarck, welches Thiers corrigirt hatte. Thiers eröffnete ihm bei dieser Gelegenheit, daß er eine sehr ernste Katastrophe voraussehe und nur hoffe, daß Bazaine sich noch acht bis zehn Tage halte, da dann vielleicht durch die Bemühungen der neutralen Großmächte ein Waffenstillstand zu Stande kommen würde. Am 23. oder 24. October erhielt aber Gambetta eine Depesche Bazaines, worin ihm dieser eröffnete, die Armee habe nur noch für zwei Tage Lebensmittel; der Kundschafter, welcher sie überbracht hatte, theilte ihm auch mündlich noch Näheres mit.
Ein anderer gleichzeitig eingegangener Bericht war in Chiffren geschrieben, deren Schlüssel man in Paris vergessen hatte. Jedenfalls wußte aber Gambetta besser als irgendein anderer, wie es um Metz stand; er wußte, daß die Armee ihre Pferde geschlachtet und nichts mehr zu leben hatte, er hatte Bourbaki gesehen und gesprochen, der Kundschafter hatte ihn von allem unterrichtet und selbst die Kaiserin hatte eine Depesche deshalb an ihn gerichtet. Gambetta schrieb nun an Bazaine, die Regierung werde sich bemühen, einen Waffenstillstand zu erlangen, er gab sich also keinen Täuschungen mehr hin; dessenungeachtet wurde jene Proclamation erlassen, welche die Acht über den Marschall aussprach, ohne auch nur mit einem Worte der Leiden der Rheinarmee und ihrer glorreichen Waffenthaten zu gedenken. Der erste von Gambetta selbst gefertigte Entwurf wurde nicht angenommen, dann redigirte Cremieux einen andern, der von allen Regierungsmitgliedern unterzeichnet wurde, »nur der Admiral Fourichon darf es sich zur Ehre rechnen, seinen Namen nicht unterschrieben zu haben«. – »Ich war in Verzweiflung; hätte ich eine Pistole gehabt, so hätte ich mich auf der Stelle erschossen. Ich fragte Gambetta: Wie kann man so von einem Heere sprechen, zu dessen Unterstützung man nichts gethan hat?« »Das konnte ich nicht«, entgegnete er; »ich wünschte, er hätte den Boden des Vaterlandes mit Leichen bedeckt.« »Aber Sie wußten doch, daß jenes Heer nur noch ein großer Kirchhof war?« – »Ich mußte meine Familie jetzt gegen die Ausbrüche der Leidenschaft in Sicherheit bringen, welche von Verleumdern gegen Männer aufgestachelt worden waren, die ihrem Vaterlande vierzig Jahre lang mit dem größten Muthe, der größten Hingebung gedient hatten!«
Herr Bazaine, der mit tiefer Bewegung gesprochen hat, dankt dem Kriegsgericht, daß es ihm Gehör geschenkt, und tritt ab. Im Zuhörerraum herrscht heftige, lange anhaltende Aufregung »deren Natur schwer zu erkennen war«, sagt der Berichterstatter der »Gazette des Tribunaux«.
General Schmitz, Generalstabschef Trochus, berichtet über Magnans Aufenthalt in Paris und erzählt, daß derselbe plötzlich von dort abgereist sei, weil, wie er angegeben, im belgischen Lager zu Beverloo ein Kundschafter Bazaines mit einer wichtigen Depesche auf ihn warte; Magnan selbst erklärt, er wisse nicht mehr, was diese Depesche enthalten habe, keinenfalls aber sei sie von Bazaine gewesen. Dem Major Maujeon hat Bazaine einmal mitgetheilt, er unternehme die kleinen Operationen hauptsächlich zur Beruhigung der Civilbevölkerung von Metz, welche sich über die Unthätigkeit der Armee gewundert habe.
Dann werden eine Anzahl Entlastungszeugen vernommen. Dr. Lefort bekundet, der Gesundheitszustand von Metz sei äußerst traurig gewesen, der Marschall aber habe den Verwundeten und Kranken alle mögliche Sorgfalt gewidmet. Hauptmann Waldijo ist längere Zeit Kriegsgefangener gewesen und hat die deutschen Offiziere stets mit höchster Achtung von Bazaine sprechen hören; sie sagten wol gelegentlich: Wir haben Bazaine, er thut uns nichts mehr, das sollte aber nur heißen: Wir halten ihn fest, Metz muß sich ergeben. »Wer gehört hat, wie sie auch gelegentlich beim Glase riefen: Heiliger Gambetta, bitte für uns! der weiß, was er von solchen Redensarten zu halten hat.« Hauptmann de Mornay-Soult und verschiedene andere Offiziere, am energischsten General de Place versichern, daß Bazaine nie über die preußischen Vorposten hinausgegangen sei und nachts nie sein Quartier verlassen habe; der letztere erklärt dies für unmöglich, auch würde es in einer halben Stunde allgemein bekannt geworden sein. Er hat wol später dergleichen gehört, dies aber stets für lächerliche Volksmärchen gehalten. Der Brief, welchen Arnous-Riviere dem General Boyer aushändigte, stammte nicht vom Marschall, sondern von de Placè, welcher Boyer gebeten hatte, seiner Familie Nachrichten zukommen zu lassen, und sehr erstaunt war, als er später erfuhr, daß man diesem Briefe irgendwelche Wichtigkeit beigelegt habe.
Der Präsident erklärt, nunmehr zu den Zeugen der achten, vorletzten, Gruppe übergehen zu wollen, und beginnt mit dem Arbeiter, frühern Militärsträfling und Deserteur Paquin aus Moulielles-Metz, welcher den Marschall Bazaine zweimal, am 7. und 22. September, die preußischen Vorposten passiren sah. Der Rentier Meyer aus Metz sah am 11. September in Frascati drei Reiter ankommen. Sie hielten an, einer sagte: Herr Marschall, hier müssen wir absteigen; sie stiegen ab, eine Ordonnanz nahm die Pferde in Empfang und Meyer hörte einen Wagen abfahren. Rentier Fournier aus Nancy ließ sich im November 1870 im Schlosse Corcy, in welchem Prinz Friedrich Karl residirt hatte, umherführen; ein Diener zeigte ihm ein Zimmer mit dem Bemerken: »Hier hat der Prinz den Marschall Bazaine empfangen, er hat ihm nicht sonderlich viel Ehre erwiesen und ihn nur bis an die Thür begleitet.« Dem Zollbeamten Dallet haben Artilleristen erzählt, sie hätten öfters den Marschall die deutschen Vorpostenlinien passiren sehen und sich gewundert, was er bei den Preußen zu thun haben könne. Der Feldhüter Housseille sah am 18. October den Marschall, begleitet von deutschen und französischen Reitern, in einen schwarzen Mantel gehüllt, mit gestickter Uniformsmütze, bei Schloß Corcy vorfahren. Der Kammerdiener Straff sah eines Tages im October zu Corcy einen Mann in einen Wagen steigen, von dem ihm ein anderer sagte, es sei Bazaine. Er war maskirt, d.h. auf Befragen: Er trug ein Cache-nez und die Augen waren ihm verbunden. Bildhauer Guépratte sah den Marschall am 25. oder 26. September, nachts, Trompeter und weiße Fahne voran, über die Brücke von Moulins-les-Metz zu den Preußen reiten. »Die Franctireurs haben den Trompeter auch blasen hören.« Wachtmeister Delamarre war bei Saint- Privat auf Vorposten und hielt einen in der Nacht aus Metz kommenden Wagen an. Der Kutscher rief: »Wir sind nicht gewohnt, angehalten zu werden.« Der Zeuge leuchtete mit einem Zündholz in den Wagen, es saßen zwei Männer darin, an denen er nichts Uniformartiges entdecken konnte, aber in diesem Augenblicke hieb der Kutscher auf die Pferde, Herr Delamarre flog seitwärts zu Boden, der Wagen fuhr von dannen, und ob ihn die nachgesandten Kugeln getroffen haben, weiß der Zeuge nicht.
Aus dem Gebiete der »lächerlichen Volksmärchen« führt der nächste Zeuge, General Boyer, wieder in das der höhern Politik, doch bietet seine Aussage nichts Neues. Bei der am 10. October gehaltenen Zusammenkunft der Corpsführer erklärten alle, bis auf einen, die revolutionäre Regierung nicht anerkennen, sondern ihrem dem Kaiser geleisteten Eide treu bleiben zu wollen. Während er am 27. October in Chislehurst mit der Kaiserin verhandelte, erhielt diese einen Brief aus Tours vom 24. Darin wurde ihr mitgetheilt, daß die Loirearmee nicht kaiserlich gesinnt sei, daß sie schon einige Bedeutung erlangt habe, und die Kaiserin wurde ausdrücklich gebeten, der nationalen Begeisterung nicht in den Weg zu treten und die Unterhandlungen in Betreff der Armee von Metz abzubrechen. Sie antwortete umgehend, diesen Nachrichten gegenüber wolle sie ihren liebsten Hoffnungen entsagen, um die Vertheidigung nicht zu hemmen, man müsse sich aber beeilen, denn die Capitulation von Metz sei nach Stunden vorauszuberechnen. Dem Zeugen war von deutscher Seite mitgetheilt worden, man werde, wenn man mit der Regentschaft unterhandle, mildere Anforderungen stellen als einer andern Regierung gegenüber. Sonst wiederholt der Zeuge im wesentlichen nur, was in dem Riviereschen Bericht über seine Sendungen gesagt ist. Als er zum Schlusse bemerkt, daß er stets, Bismarck gegenüber, als Capitulationsbedingung »die kriegerischen Ehren« verlangt habe, fragt der Staatsanwalt, was man darunter verstanden habe; unter Umständen könne diese Bedingung doch sehr hart sein. Der Vertheidiger entgegnet, es sei ja unbestritten, daß dies den Ausmarsch mit Waffen und Gepäck bedeute. Ja, entgegnet der Präsident, es frage sich nur, bis zu welchem Punkte man dieselben behalten dürfe.
Dem Maire von Versailles, Rameau, eröffnete Bismarck am 21. October, er irre, wenn er glaube, daß Napoleon III. keinen Anhang mehr im Lande habe, die Armee sei noch für ihn und General Boyer habe soeben Friedensunterhandlungen in seinem Namen angeknüpft. Auch werde sich Metz bald ergeben, und dann werde man noch 200000 Mann mehr zur Verfügung haben.
Dann folgt der frühere Gesandte in Brüssel, Herr Tachard, jetzt Gutsbesitzer im Ober-Elsaß:
»Ehe ich meine Aussage beginne, will ich mich unter den Schutz einer einzigen Persönlichkeit, meines Vaters, stellen!«
Das Publikum geräth in ein verzeihliches Erstaunen, welches in lebhafte Heiterkeit übergeht, als der Zeuge gelegentlich erwähnt: »Ich liebe meine Frau sehr; sie ist zwar eine Deutsche, aber ich habe sie schon vor funfzehn Jahren geheirathet.« Er schildert dann, wie Bourbaki mit seiner Gattin zu ihm nach Brüssel kam. »Ich wiederholte ihm stets: ›Gehen Sie, schlagen Sie, geben Sie mir den Elsaß wieder.‹ Er war entmuthigt, er hatte den Kopf verloren. ›Soll ich bei Gambetta Dienste nehmen?‹ In diesem Augenblicke war Frau Bourbaki schön vor Begeisterung, und sie ist doch eigentlich nicht schön, die Frau Bourbaki –«
Das Publikum lacht von neuem.
»Ich lache nicht! ich begreife nicht, wie man vor einem Elsasser lachen kann!«
Stürmische Heiterkeit, die der Präsident endlich beruhigt.
»Frau Bourbaki also rief: ›Bourbaki, wenn man deinen Namen trägt, so läßt man sich an der Spitze von sechshundert Mann tödten, aber man verreckt nicht in seinem Bette!‹ Darauf hin ging er; das ist die reine Wahrheit.«
Dann kommt er auf Régnier zu sprechen, der auch ihn in Brüssel besucht hat. Mittheilungen von Interesse hat ihm derselbe nicht gemacht; er kam ihm vor »wie ein komischer Macchiavelli oder ein philiströser Vitrelles, sein Lebenslauf ist der eines politischen Seiltänzers. Mit Einem Wort, er machte mir den Eindruck eines Narren, der in einem Charivari, in welchem alle Welt falsch spielt, auch eine Note abgibt«.
Frau Marschallin Bazaine sagte ihm eines Tages:
»Das größte Unglück für meinen Mann ist jetzt fort, ich meine den General Boyer. Auf dem Schlachtfelde ist mein Mann ein Löwe, weil er da seinem Herzen folgt, aber wenn General Boyer da ist, dann ist es anders, und dann« – Nun, dann, gnädige Frau –? »Dann wäre es besser, daß diese Herrschaft nicht stattfände.« Ich photographire, Herr Präsident!
»Eines Tages kam ein großer Mann in Fra Diavolo- Tracht zu mir. Es war Herr Arnous-Rivière. Alle, die ihm nahe gekommen waren, sagten, es sei ein Polizeispion (mouchard). Von hundert Offizieren, die nach der Capitulation zu mir gekommen sind, haben alle, bis auf drei oder vier, von Verrath gesprochen.«
Nach dieser angenehmen Unterbrechung der Eintönigkeit des Verfahrens versichert wieder Herr Lapérière, er habe von deutschen Offizieren die Worte gehört: »Wir haben Bazaine für uns«, und Dr. Grandjean hatte einen preußischen Ingenieurmajor im Quartier, der sich stets, wenn ein Ausfall stattfand, ehe er ausrückte, das Mittagessen auf eine bestimmte Stunde bestellte und stets zu rechter Zeit eintraf. Die preußischen Schanzarbeiten hielt Zeuge nicht für bedenklich; »man hat von einem dreifachen erzenen Gürtel gesprochen, aber es gab nichts Derartiges«. Ein deutscher Oberst sagte eines Tages: »Bazaine ist eine Canaille, er hat uns mehr Menschen getödtet, als verabredet war.«
Es handelt sich nunmehr um die Berathungen vom 10. und 18. October. Canrobert sagt: »Bei dem Kriegsrath vom 10. October wußten wir nicht, wie es mit den Lebensmitteln im allgemeinen stehe; unsere reichten etwa noch 10 Tage, und es ist ein Wunder, daß wir bis zum 27. ausgehalten haben. Wenn man abergläubisch wäre, so könnte man glauben, der Himmel sei gegen uns gewesen, denn der Regen hat während des ganzen Octobers nicht einen Tag lang aufgehört. Unsere unglücklichen Soldaten standen bis an die Knie im Koth. Auf jenem Morastboden war alles ein Brei; der Soldat war sehr unglücklich unter den kleinen Zelten, welche Sie, Herr Präsident, in Afrika gesehen haben; die Leute lagen auf der Erde und aßen, um sich zu erhalten, Pferdefleisch. Pferdefleisch ist gerade nicht schlecht, aber wenn es von magern Pferden stammt, und man kein Salz dazu hat, erzeugt es die heftigsten Magenleiden; man möge die Aerzte fragen, ob sie nicht, wenn sie einen armen Teufel secirten, am Magen gleich sahen, ob er zur Armee von Metz gehört habe. Unter diesen Umständen glaubten wir, es sei unsere Pflicht, um das Heer zu retten, einen Vertrag zu schließen; ich betone dies Wort, weil niemand an eine Capitulation dachte, und man, wenn kein ehrenvoller Vertrag bewilligt wurde, sein Leben theuer hätte verkaufen können.«
»Boyer wurde nach Versailles geschickt, kehrte am 17. wieder, erstattete den bekannten Bericht, und es wurde anderweit Kriegsrath gehalten.«
»Von sieben Stimmen waren sechs dafür, unsere Bemühungen fortzusetzen, um zu einem ehrenvollen Vertrage zu gelangen, der uns gestattete, dies sterbende Frankreich zu retten, für welches man jetzt in extremis einen Arzt suchen mußte; Boyer hatte uns gesagt, dieser Arzt sei die Kaiserin, die einzige Regierung, mit welcher der Feind unterhandeln wollte, die einzige rettende Planke. Es regnete fortwährend, unsere Soldaten starben dahin; es hätte noch ein anderes Mittel gegeben, nämlich das Schwert zu ziehen, aber wir fragten uns aufs Gewissen, ob die militärische Ehre uns gestatte, unsere Soldaten wie Schafe zur Schlachtbank zu führen, um sie hinschlachten zu lassen, und ob Wir nicht, ohne materiellen Nutzen für das Vaterland, den Preußen, welche uns nie in augenfälliger Art geschlagen hatten (denn ich wiederhole, sie haben uns keine Fahne, kein Geschütz genommen), Gelegenheit gäben, uns in einem scheinbaren Siege Fahnen und Kanonen zu nehmen. Alle, die dort waren, waren tapfere Männer, der Stolz des Vaterlandes. Es gab, wie immer, verschiedene Ansichten. Diejenigen, welche nicht in die Lage eingeweiht waren, und auch andere, sagten, man müsse ausharren; ich will glauben, daß dies in der That ihre Meinung war; uns alle beseelte ein glühender Patriotismus, ein außerordentliches Pflichtgefühl, aber schließlich gab es doch auch einige, die um so heftiger nach einem Ausfall schrien, je fester sie überzeugt waren, daß man keinen machen würde.«
Der Staatsanwalt fragt, ob der Zeuge nicht die von Boyer mitgebrachten Zeitungen erhalten habe. Ja, entgegnet Canrobert, ich habe deren zwei gelesen und daraus wol gesehen, daß man sich nicht auf alles verlassen könne, was im Kriegsrathe vorgetragen war, aber was darin stand, war auch eben nicht erfreulich!
Nach dieser Aussage bietet die ebenso ausführliche Leboeufs wenig Neues. Er erkennt an, daß der Aus- fall, den er noch am 10. für eine »ruhmvolle Thorheit« erklärt hatte, am 18. keinen weitern Erfolg gehabt haben würde, als an Stelle von 20000 Verwundeten, welche schon in Metz lagen, deren 50000 zu liefern. Auch Ladmirault führt nichts von Interesse an. Frossard scheint der Vater des Gedankens gewesen zu sein, für die Armee den Abmarsch nach einem für neutral zu erklärenden Gebiete zu verlangen. Er behauptet, dies sei schon oft vorgekommen, und führt das Beispiel von Mainz an, dessen Besatzung 1793 unter der Bedingung, sich auf ein anderes Gebiet Frankreichs zurückzuziehen und nicht gegen die Alliirten zu kämpfen, freien Abmarsch erhielt, sich nach der Vendée begab und dort den Aufruhr niederwarf. »Hätte die Armee von Metz nicht eine ähnliche Aufgabe erfüllen können? Hätte man sie nicht dazu verwenden können, die so schwer gestörte sociale Ordnung wiederherzustellen? Dies war die Rolle, die man ihr anweisen konnte, und es war keine politische Rolle, die man sie spielen lassen wollte!«
Der Präsident: Sie haben von der Capitulation von Mainz gesprochen; ich will Ihnen nur Eins bemerklich machen. Die Besatzung von Mainz hat erst nach einer langen, ruhmvollen Belagerung capitulirt, und sie war nicht das einzige Heer Frankreichs!
Frossard berichtet, daß er Boyer einen Brief an die Kaiserin mitgegeben, in welchem er diese bat, einen Vertrag in dem angegebenen Sinne zu Stande zu bringen, »ein Schritt, der von dem Lehrer ihres Sohnes wol nichts Auffallendes haben konnte«. Er hat erst während seiner Gefangenschaft Antwort erhalten. Die Kaiserin schrieb ihm, man habe ihre Unterschrift zu Friedensverhandlungen in blanco verlangt, und darauf einzugehen habe ihr die Ehre verboten. Er erwähnt dann schließlich des von ihm während der Gefangenschaft geschriebenen Briefes und citirt eine Stelle daraus: »Von allen Offizieren waren diejenigen, welche die schwersten Anklagen gegen ihre Vorgesetzten erhoben haben, die, welche den meisten Grund gehabt hätten, mit sich selbst unzufrieden zu sein.«
Auch die Aussage des Generals Desvaux bietet wenig von Interesse. Als der obengedachte Plan erörtert wurde, sagte Bazaine: »Die Armee hat mit der Politik nichts zu thun; sie ist nur die Schildwache, welche an der Thür der Versammlungen wacht, um die Freiheit ihrer Berathungen zu sichern.« Boyer hat ausdrücklich erklärt, Bismarck werde keine andern Bedingungen zugestehen als die von Sedan.
Coffinières erinnert sich wieder nicht an die Einzelheiten, nach welchen er gefragt wird. Auf die Frage, wann er eine bestimmte Unterhandlung mit dem Obersten Villenoisy geführt, entgegnet er: »Ich entsinne mich des Datums nicht; es war in der That kein besonderes Ergebniß, wenn man den Obersten de Villenoisy sah.«
Der damals dreiundsiebzigjährige General Changarnier hatte sich als Freiwilliger der Rheinarmee angeschlossen und übernahm am 24. aus Patriotismus das traurige Amt, mit dem Prinzen Friedrich Karl Unterhandlungen anzuknüpfen. »Er empfing mich mit einer Höflichkeit, die ich elegant nennen möchte; er hatte mir seine Adjutanten entgegengeschickt und antwortete mir in Ausdrücken, welche bewiesen, welche Hochachtung er vor der Rheinarmee empfand.« Changarnier suchte ihm den Zustand des Heeres möglichst günstig zu schildern; der Prinz führte ihn an ein Fenster: »Sehen Sie jenen Wagenzug auf der Eisenbahn? Das sind Lebensmittel für Ihre ausgehungerte Armee!« Der Ausgang der Verhandlung ist bekannt. Changarnier sah den Prinzen über seine eigene Bewegung tief gerührt »Einen Augenblick standen ihm Thränen in den Augen, er machte mir aber keine Hoffnungen.«
Die Aussage Rouhers, der als Entlastungszeuge geladen ist, ist nicht von Bedeutung.
Schließlich wird der Oberstlieutenant Villette, welcher dem Marschall und Herrn Lachaud gewissermaßen als militärischer Sachverständiger zur Seite steht, »der Aufklärung halber« über einige Abweichungen zwischen dem von ihm redigirten Protokoll der Conferenz vom 26. und der gleichfalls von ihm verfertigten Reinschrift desselben vernommen, erklärt die letztere für die richtigere und macht darauf aufmerksam, daß er den Entwurf wol vernichtet haben würde, wenn er beabsichtigt hätte, die Wahrheit zu entstellen.
Dann folgen endlich die Zeugen des neunten und letzten Abschnitts, welcher die Capitulation selbst betrifft.
Auch sie bekunden wenig Neues. General Jarras gibt an, der König habe sich deshalb anfangs geweigert, den Offizieren die Degen zu belassen, weil ein höherer Offizier das bei Sedan gegebene Ehrenwort gebrochen habe. Er erwähnt wiederholt, mit welcher Achtung die preußischen höhern Offiziere von der Rheinarmee gesprochen. Ueber die Fahnenangelegenheit gibt seine Aussage wenig Licht; aus eigener Wissenschaft kann er nur bekunden, daß der Marschall ein Circularschreiben an die Corpsführer erlassen habe, wonach sie die Fahnen in das Zeughaus schicken sollten, wo dieselben verbrannt werden würden, und daß der Marschall ihm befahl, den Entwurf dieses Schreibens aus den Acten zu entfernen, weil die Archive in Feindeshand fallen könnten und ihm daran liege, daß der Prinz keine Kenntniß von diesem Befehle erhalte. An die Fabel, daß die Fahnen nach jeder Revolution verbrannt zu werden pflegten, hatte der Prinz bekanntlich nicht geglaubt. General von Stiehle hatte erklärt, besondere Bedingungen über die Behandlung der Kriegsgefangenen in das Protokoll aufzunehmen sei nicht nöthig, aber Lebensmittel und Stroh für dieselben versprochen; Zeuge glaubt auch, daß, wenn dies nicht alles gehalten worden, es nicht absichtlich, sondern im Drange der Umstände vergessen worden ist. Der Präsident ist übrigens mit seinem Verhalten bei der Capitulation nicht sonderlich zufrieden und gibt dies unverhohlen zu erkennen.
Major Samuel befand sich am 26., abends 5 Uhr, bei Bazaine, dem er verschiedene deutsche Zeitungsartikel übersetzte. Plötzlich trat der Intendant Lebrun ein und sagte: »Herr Marschall, gute Nachrichten! Ich habe noch für vier Tage Lebensmittel!« Gleich darauf ward der Zeuge zum General Jarras berufen und fuhr mit diesem nach Frascati. Nachdem die Artikel der Capitulation verlesen waren, zeigte General von Stiehle seine Vollmacht vor, Jarras hatte die seine aber nicht bei sich: wäre dies der Fall gewesen, so wäre wahrscheinlich sofort unterzeichnet worden. Während die Zusammenkunft für den nächsten Tag verabredet wurde, sagte Samuel, der Lebrunschen Mittheilung eingedenk: »Herr General, bestimmen Sie keine Stunde!« Dies geschah aber doch, und am 27. abends erfolgte die Unterzeichnung. Bei dieser Gelegenheit erklärte Jarras, er sei von Bazaine beauftragt, dem General von Stiehle mitzutheilen, daß im Falle eines Regierungswechsels die Fahnen verbrannt zu werden pflegten und daß es infolge dessen nicht viele Fahnen in Metz gebe. »Nein, Herr General«, erwiderte von Stiehle, »das kann ich nicht zugeben, jedenfalls gehören diejenigen uns, welche nicht vernichtet worden sind.«
Canrobert: Nachdem Changarnier und de Cissey aus dem deutschen Hauptquartier zurückgekehrt waren, waren wir alle einig, daß wir nicht mehr im Stande wären, unser Leben theuer zu verkaufen. Wir mußten capituliren. O weshalb ist keinem die Eingebung geworden, die Erklärung vorzuschlagen: »Vom Hunger besiegt, von Seuchen decimirt, zerbrechen wir unsere Waffen, nun thut, was ihr wollt!«
Am 27. erhielten die Corpsführer einen Befehl, gezeichnet: Soleille, wonach die Fahnen ins Zeughaus geschafft werden sollten. Bald darauf erschien ein zweiter vom Marschall gezeichneter Befehl desselben Inhalts, aber mit dem Zusatze: wo sie werden verbrannt werden. Sie hielten dies für würdiger, als wenn die einzelnen Truppentheile sie zerrissen hätten, und führten den Befehl aus. Von einer Vernichtung des übrigen Materials war nie ernstlich die Rede; man glaubte, es werde inventarisirt und nach dem Frieden zurückgegeben werden. Bazaine bestand bis zuletzt, aber vergeblich, darauf, das Geschick der Festung von dem des Heeres zu trennen.
Leboeuf, Frossard, Devreux bekunden dasselbe. Erst am 28., nach Unterzeichnung der Capitulation, erfuhren sie, daß die Fahnen nicht verbrannt worden waren, was nun allerdings nicht mehr möglich war.
Coffinieres theilt mit, daß erst in der Berathung vom 24. der Beschluß gefaßt wurde, das Schicksal der Festung nicht von dem des Heeres zu trennen; bis dahin war diese Frage immer noch unentschieden geblieben. Der Präsident erwähnt das Sitzungsprotokoll vom 26., in welchem es heißt: »Der Commandant bemerkt, daß Metz, sich selbst überlassen, bis zum 5. November ausdauern könne, und daß er in Anbetracht des besondern Eides, den er als Festungscommandant geleistet, die Festung nicht übergeben könne.« Coffinieres glaubt nicht, daß er etwas Aehnliches geäußert, zumal er einen solchen besondern Eid nie geleistet. Er stellte dem Zeughausdirector am 37. abends einen Befehl zu, in dem es hieß: die Adler werden nach dem Zeughause gebracht werden, und der Zeughausdirector wird sie in Empfang nehmen. Der Präsident fragt, wie er diesen Befehl verstanden habe. »Ich hatte ihn nur zu übersenden, nicht zu deuten«, entgegnet der Zeuge; er hat seiner Angabe nach geglaubt, die Fahnen würden verbrannt werden, wozu es freilich eines besondern Befehls bedurft hätte.
Die Aussage des Generals Soleille, der noch immer krank ist , wird verlesen. Ihm ertheilte der Marschall am 26. den Befehl, die Fahnen nach dem Zeughause bringen zu lassen, wo sie verbrannt werden sollten. Er theilte diesen Befehl den Corpsführern mit, welche sich theilweise weigerten, dem Folge zu leisten. Wie er nun darauf gekommen ist, dem Zeughausdirector gleichzeitig den Befehl zur Aufbewahrung der Fahnen zugehen zu lassen, weiß er nicht, doch vermuthet er, auch dies werde ihm wol befohlen worden sein.
Oberst Nugues sagt: »Am 27. October, während General Jarras abwesend war, brachte eine Ordonnanz mir einen Brief, wonach man aus Versehen vergessen hatte, in einem vorher abgeschickten Befehle zu erwähnen, daß die nach dem Zeughause gebrachten Fahnen verbrannt werden würden. Diese Mittheilung und deren Form befremdeten mich; ich suchte den Herrn Marschall auf und machte ihm bemerklich, daß es vielleicht gut sein würde, einen neuen Befehl zu erlassen. Er erkannte dies an und erließ einen Befehl, wonach die Fahnen in Bagagewagen nach dem Zeughause geschafft werden sollten. Es ist möglich, daß ich gesagt habe, es sei schwierig, dies in der Nacht zu bewerkstelligen, und daß ich vorgeschlagen habe, es bis zum nächsten Morgen zu verschieben. Der Marschall befahl mir, den General Coffinières von dem erlassenen Befehle zu benachrichtigen, und behielt sich vor, dem General Soleille unmittelbar Befehl zukommen zu lassen. Erst am Morgen sah ich den General Jarras, der mir sehr erstaunt sagte: «Der Befehl ist gegen die Capitulation, die ich soeben unterzeichnet habe.«
Major de France erhielt vom General Jarras Befehl, die Ordre, wonach die Fahnen verbrannt werden sollten, aus dem Correspondenzregister zu entfernen.
Die Aussagen verschiedener Generale, welche dem Befehle nicht Folge geleistet, sondern ihre Fahnen zerrissen oder verbrannt haben, werden mit außerordentlichen Beifallsbezeigungen belohnt. Ganz besonders erhebend aber wurde es, als General Laveaucoupet dasselbe berichtet und dann fortfährt: »Mehrere meiner Kameraden waren nicht so glücklich; ihre Fahnen sind in Berlin, ein trauriges Siegeszeichen, denn wenn wir auch dem Feinde nur Eine Fahne genommen haben, so haben wir sie doch genommen, wie die Franzosen sie zu nehmen verstehen, im Granatfeuer, und von einem Sieger, von dem man sagen kann, daß er sich auf den Schlachtfeldern mehr Feinde gemacht, als er Opfer gefällt hat!«
Etwas klarer als diese Tirade ist die Aussage des Generals Lapasset. Er erzählt kurz, daß er die Fahne des 3. Lancierregiments verbrannt hat, und fährt fort: »Ich habe meiner Aussage noch etwas hinzuzufügen. Am 22. ahnte ich, was geschehen würde, und hatte beschlossen, mir mit meiner Brigade einen Weg zu bahnen. Ehe ich aber das Leben von 5000 Tapfern aufs Spiel setzte, wollte ich die Absichten des Oberbefehlshabers kennen lernen. Ich ging zum Herrn Marschall, der mich mit gewohntem Wohlwollen empfing. Er schien meine Gedanken zu errathen, denn er sagte: ›Hören Sie, Lapasset, keinen tollen Streich! Vertrauen Sie mir!‹ In diesem Augenblicke trat Marschall Canrobert ein, und ich wollte mich entfernen. Der Marschall Bazaine sagte: ›Bleiben Sie, Lapasset, Sie stören uns nicht!‹ Dann nahm er eine Karte und wendete sich an Canrobert: ›Ich bin in der äußersten Verlegenheit; keine Nachricht von Boyer, keine von der Kaiserin, wir haben nichts mehr zu leben, wir müssen ausbrechen. Sie, Marschall, nehmen den rechten Flügel, Leboeuf den linken, ich werde mit der Kaisergarde und der gemischten Brigade Lapasset das Centrum bilden und Ihnen beiden im Nothfalle zu Hülfe kommen. Wir dürfen aber nur auf unsere Beine rechnen, müssen den Tag 60 Kilometer zurücklegen, und was fällt, bleibt liegen; wir müssen die Richtung nach Château-Salins einschlagen.‹ Diese Worte entsprachen meinen Ansichten so sehr, daß ich meiner Aufregung nicht Herr werden konnte. Ach, Herr Marschall, rief ich, wie schön ist Ihr Beschluß! Wenn wir besiegt werden, so soll wenigstens die Nachwelt den Hut abnehmen, wenn sie unserer gedenkt. ›Nein‹, entgegnete der Marschall, ›wir werden nicht besiegt werden, wir werden uns mitten durch sie durchschlagen. Ich brauche Ihnen, meine Herren, nicht erst Stillschweigen anzubefehlen. Erwarten Sie meine Befehle.‹ Die Befehle sollten am nächsten Montag ergehen – das Gericht weiß, was an diesem Montag geschah!«
Herr Buisson aus Moulins-lès-Metz, in dessen Hause nach irgendeinem Mythus Bazaine eine Conferenz mit dem Prinzen Friedrich Karl abgehalten haben sollte, versichert, daß ersterer oft, letzterer niemals bei ihm gewesen sei. Oberst de Villenoisy berichtet, daß bei der Uebergabe so schreckliche Scenen vorgekommen seien, daß ihm eine sehr glaubwürdige Dame erzählt habe, ihre Tochter sei vor Entsetzen darüber gestorben; General Henri fand, als er die Uebergabe des Materials und dessen Inventarisirung zu leiten hatte, daß man in den Capitulationsbedingungen die Franctireurs vergessen hatte, und erlangte glücklich, daß man sie als Mitglieder der metzer Nationalgarde behandelte und laufen ließ; er klagt, daß die Preußen die Munitionswagen ihm unter den Händen fortnahmen, noch ehe sie inventarisirt waren, um sie zur Belagerung von Montmédy zu verwenden; Oberst Raymond bekundet, daß er bis znr Uebergabe an den Festungswerken arbeiten ließ, um die Soldaten zu beschäftigen, und daß eine Zerstörung des Materials nicht ausführbar gewesen wäre, ohne die gefährlichste Aufregung unter der in den letzten Tagen ohnehin schwierigen Bevölkerung hervorzurufen. General Bonneau de Martroy hat einen Theil der Archive verborgen und nach der Uebergabe verkleidet auf einem Gemüsekarren abgeholt; noch einige Generale schildern, wie sie die Fahnen verbrannt haben, und damit schließt endlich, am 1. December, die Zeugenvernehmung.
Die französischen Staatsanwälte pflegen sich nie, und am wenigsten in causes célèbres, durch ruhige, objective Darstellung der Sachlage, durch unparteiische Würdigung auch der zu Gunsten des Angeklagten sprechenden Momente auszuzeichnen, sie führen gern alle Künste der Rhetorik ins Gefecht, wenn es eine schwache Anklage zu halten gibt, sie ziehen Schlüsse aus Thatsachen, welche ebenso gut der entgegengesetzten Deutung fähig wären, sie lieben es, ihre Vermuthungen den Geschworenen als Gewißheit hinzustellen und weitere Folgerungen darauf zu gründen, bis jene vergessen haben, auf wie schwankendem Grunde der ganze Bau ruht. Niemals aber hat ein Staatsanwalt von Beruf in allen diesen kleinen Künsten mehr geleistet als der Dilettant auf diesem Gebiete, Regierungscommissar General Pourcet; nie sind mit dreisterer Stirn Vermuthungen als erwiesene Wahrheiten, Möglichkeiten als feststehende Thatsachen in Umlauf gesetzt worden, nie hat man alle zu Gunsten eines Angeschuldigten sprechenden Umstände mit unbefangenerm Achselzucken beiseitegeschoben, als dieser improvisirte »Vertreter des öffentlichen Ministeriums« gethan hat.
»Ein Marschall von Frankreich steht vor Ihnen, angeklagt, seine Pflichten als Oberbefehlshaber nicht erfüllt und 150000 Mann und einen Waffenplatz ersten Ranges dem Feinde ausgeliefert zu haben.
»Frankreich erwartet Ihr Urtheil.
»Es will wissen, ob ein Oberbefehlshaber seine Pflicht verletzt, ob er gegen die Reglements und Gesetze verstoßen, ob er unredlich gehandelt, ob er seinen Generalen stets die Unterstützung, die er ihnen schuldig war, gewährt, ob er heimlich verbotene Verbindungen mit dem Feinde angeknüpft, ob er sich unter dem Einflüsse verwerflicher Vorurtheile von den Grundsätzen der Ehre entfernt hat, welche die Sicherheit des Landes, die Kraft und den Ruhm der Heere ausmachen.
»Es will endlich wissen, ob die Handlungen des Oberbefehlshabers der Rheinarmee nichts zu den auf den andern Kriegsschauplätzen erlittenen Unglücksfällen beigetragen haben, oder ob im Gegentheil sein Verhalten auf die gesammte Kriegführung von 1870 unheilvoll eingewirkt hat.
»Zu einem schrecklichen Amte berufen, mußte ich mich der mir angewiesenen Aufgabe unterziehen, und will heute nach gewissenhafter Untersuchung, nach feierlicher Verhandlung vor Ihnen erklären, daß die gegen den Marschall Bazaine erhobenen Anklagen völlig begründet sind und die strenge Anwendung des Gesetzes gegen ihn fordern.«
Zunächst spricht General Pourcet dem tapfern Heere seine Anerkennung aus: »Gott allein entscheidet das Los der Schlachten und der Völker. Frankreich ist nach so vielen Siegen einem jähen Wechsel des Schicksals nicht entgangen. Nachdem es die Welt so oft und noch vor kurzem durch den Glanz seiner Siege geblendet, hat es sie jetzt durch die Größe seines Unglücks in Erstaunen gesetzt.
»Ich habe nicht zu prüfen, mit wie bedauerlicher Leichtfertigkeit die kaiserliche Regierung das Land in einen schrecklichen Krieg gestürzt hat, ohne die Mittel zu dessen Durchführung vorbereitet zu haben.« Dies und die Unzulänglichkeit des Oberbefehls führten die Unglücksfälle herbei, welche mit einem schmerzlichen Friedensschlüsse endeten. Die Capitulation von Metz aber war es schließlich ganz besonders, welche diesen grausamen Frieden unvermeidlich machte.
Infolge dieses Ereignisses erhob der Hauptdelegirte der Regierung vom 4. September gegen den Marschall Bazaine öffentlich die Anklage des Verraths. »Gewiß stand es ihm zu, dem Schmerze der Nation in energischen Worten Ausdruck zu verleihen. Die Aufregung des ersten Augenblicks, der Mangel genauer Nachrichten erklären die Bitterkeit der Vorwürfe, die dem Feldherrn gemacht wurden, welcher der Vertheidigung des Landes einen so schrecklichen Streich versetzt hatte, aber es hieß weit über das Ziel hinausgehen, wenn man alle Führer dieses unglücklichen Heeres in die Anschuldigung mit hineinzog.« Sie hatten muthig und mit Aufopferung gekämpft bis zum letzten Augenblick; Beweis die 2152 gefallenen oder verwundeten Offiziere, unter denen 26 Generale.
Schon im December 1870 ernannte der Kriegsminister die Untersuchungscommission, welche die Capitulation von Metz zuerst prüfen sollte. Die Fortdauer des Krieges aber und die traurigen Ereignisse, welche demselben 1871 folgten, bewirkten, daß dieselbe erst im April 1872 zusammentreten konnte. Nachdem sie einstimmig das Verhalten Bazaines für tadelnswerth erklärt hatte, ordnete der Minister die Untersuchung an.
Die Bestimmungen des Militär-Strafgesetzbuches, auf welche die Anklage sich gründet, sind folgende:
Art. 209. Ein Festungscommandant, welcher, nachdem er auf Beschluß einer Untersuchungscommission vor Gericht gestellt worden ist, schuldig befunden wird, mit dem Feinde capitulirt und die ihm anvertraute Festung übergeben zu haben, ohne vorher alle ihm zu Gebote stehenden Vertheidigungsmittel erschöpft und ohne alles gethan zu haben, was ihm Pflicht und Ehre geboten, wird mit dem Tode und Degradation bestraft.
Art. 210. Ein General oder Befehlshaber einer bewaffneten Truppe, welcher im offenen Felde capitulirt, wird bestraft:
1) wenn die Capitulation das Ergebniß hatte, daß seine Truppe die Waffen streckte, oder wenn er, ehe er mündlich oder schriftlich in Unterhandlung trat, nicht alles gethan hat, was Pflicht und Ehre ihm geboten, mit dem Tode und Degradation;
2) in allen andern Fällen mit Absetzung.
Die Anklage wirft dem Marschall vor:
1) mit dem Feinde capitulirt und Metz übergeben zu haben, bevor er alle Mittel zur Vertheidigung, die ihm zu Gebote standen, erschöpft hatte, und ohne alles gethan zu haben, was ihm Pflicht und Ehre geboten;
2) eine Capitulation im offenen Felde abgeschlossen zu haben, infolge deren seine Armee die Waffen strecken mußte;
3) bevor er Unterhandlungen anknüpfte, nicht alles gethan zu haben, was Pflicht und Ehre geboten.
Der Staatsanwalt läßt zuerst den frühern militärischen Verdiensten Bazaines sowie seiner persönlichen Tapferkeit alle Anerkennung zutheil werden. Indem er dessen Laufbahn kurz skizzirt, bemerkt er: »Vielleicht ist sein langer Aufenthalt in Algier, seine Vertrautheit mit den krummen Pfaden arabischer Politik nicht ohne Gefahr für ihn gewesen.« Er erwähnt sodann Massénas zu Genua, der freien Abzug mit Waffen und Gepäck, mit fliegenden Fahnen erlangte, indem er drohte, sonst mit seinen 8000 halbverhungerten Soldaten auszubrechen und bis zum letzten Mann zu kämpfen; Brenier zu Almeida, der sich, nachdem er alles Material zerstört und die Wälle gesprengt hatte, mit 1500 Mann durchschlug, und citirt endlich den Art. 235 des Decrets vom 13. October 1863, wonach kein Festungscommandant je vergessen soll, daß er ein Bollwerk des Staates vertheidigt und daß das Heil des Vaterlandes davon abhängen kann, ob eine Festung sich einen Tag länger hält oder nicht; »er darf ferner nicht vergessen, daß die militärischen Gesetze den Festungscommandanten mit dem Tode bestrafen, welcher capitulirt, ohne den Feind zu langsamen, allmählichen Belagerungsarbeiten gezwungen und wenigstens einen Sturm durch eine praktikable Bresche abgeschlagen zu haben«.
Metz aber ist nicht angegriffen worden und konnte es auch nicht werden, weil das Heer eine lebende Mauer um dasselbe bildete; Bazaine hätte also die die Festung einschließende Armee durch fortwährende Angriffe ermüden und so schließlich durchbrechen müssen. Indem er »in verhängnißvoller Unthätigkeit« verharrte, hat er nicht nur die Mittel zur Vertheidigung nicht erschöpft, sondern nicht einmal ernstlich Gebrauch davon gemacht. In Betreff des ersten Anklagepunktes hält der Staatsanwalt seine Schuld hiermit für erwiesen.
In Betreff des zweiten – Capitulation im freien Felde – führt er zunächst verschiedene Beispiele aus der Geschichte an und gibt dann eine vollständige Entstehungsgeschichte des Art. 210. Derselbe ist einem Decret Napoleons I. vom 1. Mai 1812 entnommen. Bei den Debatten über dieses Gesetz sagte der Kaiser:
»Was soll nun aber ein Feldherr thun, der von überlegenen Streitkräften eingeschlossen ist? Wir können nur mit dem alten Horaz antworten: eine außerordentliche Lage fordert einen außerordentlichen Entschluß. Je hartnäckiger sein Widerstand ist, desto größere Aussicht hat er, Unterstützung zu erhalten oder durchzubrechen. Wie viele Dinge, die unmöglich schienen, sind von Männern vollbracht worden, welche keine andere Aussicht mehr hatten als den Tod! Je mehr Widerstand man leistet, desto mehr Mannschaften tödtet man dem Feinde und desto weniger hat er am folgenden Tage, um sie gegen die andern Armeecorps zu führen.« Die Erklärer des Militär-Strafgesetzbuchs erkennen indessen an, daß nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes anzunehmen ist, daß auch hier zunächst eine Untersuchungscommission das Verhalten des Feldherrn zu prüfen habe. Dies ist geschehen. Bazaine hat im offenen Felde capitulirt, die Commission hat gegen ihn entschieden, folglich ist auch in Betreff dieses Punktes seine Schuld erwiesen.
Ist nun die Verurtheilung des Marschalls hiernach unausbleiblich, so könnte es fast überflüssig scheinen, noch den dritten Anklagepunkt zu prüfen, nämlich ob er vor der Capitulation gethan hat, was ihm Pflicht und Ehre geboten, »wir haben aber nicht das Recht, uns diesem schwierigsten Theile unserer Aufgabe zu entziehen«. Der Staatsanwalt erörtert nun Bazaines ganzes Verhalten vom Tage der Uebernahme des Commandos an; seine Ausführungen wiederholten im wesentlichen die Angaben des Rivièreschen Berichtes, und es wird genügen, einzelne Punkte hervorzuheben.
War der Marschall dem Drucke, der auf den Kaiser geübt worden, um ihn zur Uebergabe des Commandos an Bazaine zu bewegen, in der That ganz fremd geblieben? Man darf dies wol bezweifeln, wenn man sich des von der Frau Marschallin bei Frau von Kératry gethanen Schrittes erinnert. Die Lebhaftigkeit, mit welcher der Marschall die Beweggründe dieses Schrittes bestreitet, die seltsame Reise der Frau Marschallin, um Herrn von Kératry zum Widerruf seiner ersten Aussage zu bewegen, sind, wenigstens für das öffentliche Ministerium, ein Beweis für das Interesse, welches man hat, den wahren Charakter jenes Besuchs zu entstellen.
Die Verzögerung des Uebergangs über die Mosel, die unpraktischen Anordnungen am linken Ufer, welche zur Stopfung der Straßen führten, werden erwähnt und dabei anerkannt, daß – außer dem Angeklagten – auch der Generalstab seine Pflicht nicht gethan; Jarras hätte sich nicht so, wie nach seiner Angabe geschehen, beiseiteschieben lassen dürfen. General Soleille wird wegen seiner übereilten Meldung in Betreff des Munitionsmangels streng getadelt und daraus, daß Bazaine nicht entweder am 16. seinen angeblichen Sieg weiter verfolgte oder doch, was vielleicht besser gewesen wäre, am 17. den Feind in die Schluchten von Gorze und von da in die Mosel warf, geschlossen, daß er gar nicht die Absicht hatte, Metz zu verlassen.
Dies soll auch aus der von Lewal auf seinen Befehl ausgeführten Recognoscirung folgen. Dann werden ihm seine Unthätigkeit in der Schlacht vom 18., der er fast ganz fern geblieben, vorgeworfen, seine Dispositionen, soweit er deren getroffen, getadelt, und vor allem hervorgehoben, daß er Canrobert ohne Unterstützung gelassen. Der Umstand, daß er nur seinem linken Flügel, der eine fast uneinnehmbare Stellung innehatte, seine Aufmerksamkeit zuwendete, beweist, daß er nur fürchtete, von Metz abgedrängt zu werden; daß er Bourbaki befehlen ließ, zu » rentrer«, nicht zu » rester«, gilt als festgestellt und die Aussage von de Mornay-Soult für wenig glaubwürdig. Mit besonderer Bitterkeit wird erwähnt, wie er bei dem Anblicke einiger flüchtiger Nachzügler und Trainsoldaten ausgerufen: »Was soll man mit solchen Truppen anfangen!« während gleichzeitig der König von Preußen, der das feindliche Heer in Person befehligte, laut seine Bewunderung über die heroische Tapferkeit seiner Gegner ausgesprochen habe. Den Befehl zum Rückzuge gab der Marschall, ehe er noch wußte, daß sein rechter Flügel geworfen war.
Wenn er nun den Plan gefaßt hatte, den ihm vom Kaiser seiner Angabe nach nicht einmal bestimmt anbefohlenen Marsch nach Verdun aufzugeben, so hätte er wenigstens den Kaiser und Mac-Mahon hiervon benachrichtigen müssen. Aber auch durch Magnan ließ er sie hierüber nicht aufklären. Daß Magnan absichtlich nicht zurückgekehrt, obschon er es bei seiner Umsicht und Entschlossenheit wohl gekonnt hätte, wird als ebenso erwiesen angenommen, als daß Bazaine die Depesche, welche ihn vom Marsche Mac-Mahons benachrichtigte, am 23. und nicht am 29. erhalten. Wenn er deren Inhalt aber den Mitgliedern der berathenden Versammlung am 26. mitgetheilt hätte, so wären deren Beschlüsse ganz anders ausgefallen. Aber während er dem Minister meldete, er könne wegen Munitionsmangels und der Stärke der feindlichen Verschanzungen nicht durchbrechen, ließ er gleichzeitig Mac-Mahon, der Wahrheit gemäß, wissen, daß er nur schwach eingeschlossen sei und jeden Augenblick durchbrechen könne. Zwar bestreitet er, diese Depesche abgesandt, und Mac-Mahon erinnert sich nicht, sie empfangen zu haben, aber es ist durch Zeugen, besonders Herrn Hulme, erwiesen, daß dieser sie dem Marschall überbracht hat; sie war zwar nicht unterschrieben, aber wenn Turnier nicht gewußt hätte, daß sie von Bazaine herrührte, würde er sie doch nicht abgesandt haben.
Die am 26. begonnene, aber wieder abbestellte Operation wurde am 31. wieder aufgenommen, angeblich infolge der von Turnier übersandten Depesche: »General Ducrot commandirt Corps von Mac-Mahon –« u.s.w. Diese Depesche war Turnier am 27. zugegangen. Aber die Depesche vom 22., in welcher Mac-Mahon seinen Marsch gegen Osten ankündigte, hatte Turnier schon vier Tage früher erhalten. Diese gab er den Kundschaftern, welchen er jene Depesche anvertraute, nicht mit. Daraus folgt, daß er sie schon früher abgeschickt und die Gewißheit erlangt hatte, daß sie angekommen sei, ein neuer Beweis dafür, daß Bazaine früher, als er eingesteht, vom Marsche Mac-Mahons unterrichtet war.
Der Kampf wurde am 31. erst um 4 Uhr begonnen. Bei Sonnenuntergang hatte die Armee überall gesiegt, der Marschall sich selbst mit gewohnter Tapferkeit an die Spitze eines Regiments gestellt; aber die Nacht machte dem Kampfe ein Ende, als es gerade nur noch einer letzten Anstrengung bedurft hätte, um die feindlichen Linien zu durchbrechen, und man mußte auf Flintenschußweite vor dem Feinde liegen bleiben, der im Besitz von Sainte-Barbe, dem Schlüssel der Stellung, geblieben war, lediglich weil man den Kampf zu spät begonnen hatte. Während der Nacht nahm der Feind Servigny, griff tags darauf, erheblich verstärkt, von neuem an, und Bazaine erließ den bekannten vertraulichen Befehl an die Corpsführer: je nach den Dispositionen des Feindes die Bewegung fortzusetzen oder sich zu halten und abends unter die Kanonen von Saint-Quentin und Queuleu zurückzugehen. Auch hieraus folgt, daß es ihm nicht Ernst war, durchzubrechen.
Es folgen Erörterungen über die Einwirkung Bazaines auf die Presse von Metz, über sein Streben, eine politische Rolle zu spielen, und über die Régnierschen Verhandlungen. Es wird behauptet, daß die von ihm für den 4. October gegebenen Befehle sicher erkennen ließen, daß er nicht einen gewaltsamen Durchbruch beabsichtigte, sondern mit der Genehmigung des Feindes auszurücken hoffte. Auch der Ausfall vom 7. October soll nicht ernstlich gemeint gewesen sein. Vielleicht wollte er beweisen, daß die Truppen nicht mehr kampffähig seien; dies mislang ihm, denn sie warfen den Feind überall, aber auf seinen Befehl mußten sie in ihre Stellungen zurückkehren.
Dann sucht die Anklage zu beweisen, daß Bazaine sich, wenn er gewollt hätte, sehr wohl mit der Regierung der nationalen Vertheidigung hätte in Verbindung setzen können, daß er aber gerade seine angebliche Isolirung als Vorwand benutzen wollte, Unterhandlungen anzuknüpfen.
In Betreff der Unterhandlungen und der mit den andern Generalen gepflogenen Berathungen, bei welchen er den Stand der Dinge verschwiegen und die er nur zu dem Zwecke abgehalten haben soll, um die Verantwortlichkeit von sich ab auf ihre Schultern zu wälzen, endlich der Capitulation selbst, der Ueberlieferung des Materials, welches er die Pflicht gehabt hätte zerstören zu lassen, des verweigerten Vorbeimarsches, der Fahnenangelegenheit wiederholt der Staatsanwalt im wesentlichen nur, wenn auch theilweise in höchst schwungvoller Rede, die Behauptungen und Vorwürfe des Rivièreschen Berichts, ohne neue Gesichtspunkte aufzustellen, und schließt endlich mit dem Antrage:
den Angeklagten in Betreff aller drei Anklagepunkte für schuldig zu erklären und die bezüglichen Strafbestimmungen gegen ihn zur Anwendung zu bringen.
Der Vortrag hatte vier Sitzungstage in Anspruch genommen.
Am 7. December erhielt endlich Bazaines Vertheidiger, der berühmte Lachaud, das Wort. Fast alle Berichterstatter sind darüber einig, daß seine Rede bei weitem nicht auf der Höhe seiner sonstigen Leistungen gestanden, daß er wesentliche
Punkte mit Stillschweigen übergangen, unwesentliche viel zu breit behandelt und viel überflüssiges Pathos entwickelt hat, welches auf gewöhnliche Geschworene vielleicht Eindruck gemacht hätte, bei den alten Generalen aber nicht angebracht war. »Ist der ruhmreichste unserer Soldaten ein Verräther? Hat der Marschall Bazaine gegen Pflicht und Ehre gefrevelt?«
»Die Anklage verlangt, daß Sie dies erklären, daß Sie allem unsern Unglück noch diese Schmach hinzufügen. Hat denn Frankreich noch
nicht genug durch schreckliche Unfälle gelitten? Ist es nicht genug an dem Verluste jener so theuern Provinzen, welche ein mitleidsloser Sieger uns so grausam entrissen hat? Mußten wir nach drei Jahren noch das Schauspiel unserer innern Zwietracht geben und unsern Feinden beweisen, daß wir nur unter Haß und Zorn zu leben wissen?
»Mannhafte Völker hegen keinen beleidigenden Verdacht gegen die Feldherren, welche, zu ihrer Vertheidigung berufen, der Uebermacht erlegen sind. Sie
beschuldigen ihre unglücklichen Generale nicht des Verraths. Die schwachen Völker dagegen suchen stets ein Opfer, und wenn sie dies dahingeschlachtet, scheint ihr Schmerz ihnen nicht mehr so bitter.
»Ich werde mich dieser patriotischen Schwäche meines Vaterlandes nie fügen. Die Wunden Frankreichs sind tief und grausam, aber Frankreich lebt noch. Lassen Sie uns doch muthig und entschlossen eingestehen, daß wir unglücklich gewesen sind! Möchten wir hierzu Kraft genug besitzen, möchten
wir endlich aufhören, uns an kleinlichen Kämpfen mit unfruchtbaren Erinnerungen an die Vergangenheit aufzuregen, und uns auf die Zukunft vorbereiten!«
Lachaud klagt dann über die unerhörte Erbitterung, die sich in dem Berichte Rivières, in dem Plaidoyer Pourcets ausgesprochen. Er schildert die glänzende militärische Laufbahn Bazaines, protestirt mit beredten Worten gegen die Andeutung, als habe er in Algier sich an »die krummen Pfade arabischer Politik« gewöhnt, und verliest zwei sehr
anerkennende Briefe Cavaignacs und Mac-Mahons aus jener Zeit, sowie einen Pélissiers, der ihm von Sewastopol aus zu der Einnahme von Kinburn Glück wünscht. Dann geht er auf Bäzaines Dienstleistungen in Mexico über, in Betreff deren er auf das unwürdigste verleumdet worden sei. »Er soll sich dort bereichert haben; ja, er hat dort ein großes Glück, eine reizende Frau gefunden, dies ist der einzige Schatz, um den er sich bereichert hat.« Lachaud verliest verschiedene anerkennende Schreiben, welche
der unglückliche Kaiser Maximilian, die Kaiserin Charlotte, Napoleon und Marschall Niel an Bazaine gerichtet, und fährt dann fort:
»1870 wurde Preußen der Krieg erklärt, dieser Krieg, den das Land wollte und von allen Seiten mit großem Geschrei begehrte. Heute, nachdem wir besiegt worden, ist es leicht, gegen diesen Krieg zu protestiren, der 1870 nothwendig, unvermeidlich war; hat man etwa zufällig die Kundgebungen in Paris und den Provinzen, hat man vergessen, daß seit Sadowa die
Opposition der Regierung ihre Schwäche, ihre Haltung Preußen gegenüber zum Vorwurf machte? Ueberall fanden Kundgebungen statt, welche die Regierung mit fortrissen. Zahlreich sind die, welche gesagt haben, daß dieser Krieg ein Fehler war, nur zwei kenne ich, die es auf der Tribüne gesagt haben, die andern haben sich mit thörichter Zuversicht hineingestürzt. Mau muß anzuerkennen wissen, daß das Nationalgefühl diesen Krieg forderte.«
Die Behauptung, daß der Marschall mit den ihm anfangs
ertheilten untergeordneten Commandos unzufrieden gewesen, wird durch die Aussage Leboeufs, die, daß seine Gattin Schritte gethan, um ihm zum Oberbefehle zu verhelfen, durch die Aussagen Jules Favres und Palikaos widerlegt. »Die Frau Marschallin hat sich nach Marseille begeben, um Herrn von Kératry zu bewegen, eine Erklärung zurückzunehmen, welche sie als unwahr kannte: wie würde, wenn sie diese Reise nicht gemacht hätte, ihr Stillschweigen gegen den Marschall ausgebeutet worden sein!«
»Der Marschall übernimmt den Oberbefehl, es folgen Tage des Ruhms und der Ehre für unsere Waffen, dann folgt die Einschließung, man schlägt sich, man kämpft. Eines Tages bricht die Hungersnoth aus, da sieht der Oberbefehlshaber, der für so viele Menschenleben verantwortlich ist, ein, daß er seine Soldaten nicht unnütz abschlachten lassen kann; gab es doch nur noch diese einzige Armee, welche dem Vaterlande übrigblieb. Ein Zeuge hat gesagt, man hätte eine letzte Anstrengung machen müssen, dies
wäre eine glorreiche Thorheit gewesen. Und wenn nun jene 150000 Mann bei dieser glorreichen Thorheit zu Grunde gegangen wären, wer hätte dann die Commune besiegt? Wie stände es jetzt mit uns? Die Barbarei würde jetzt in Frankreich herrschen! Danken wir Gott für die Erhaltung dieser Truppen, welche die Gesellschaft gerettet haben!
»Man sagt, der Marschall habe den Kaiser verrathen, und dann, er habe Frankreich zu Gunsten des Kaisers verrathen, ein für mich unlösbarer Widerspruch.
Hören Sie, wie der Kaiser über diesen Verrath denkt.« Lachaud verliest zwei in sehr wohlwollenden Ausdrücken abgefaßte Schreiben des Kaisers, aus Kassel und Chislehurst, und geht dann zu dem Beweise über, daß Bazaine selbst nach der Capitulation stets darauf gedrungen hat, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden; er verliest ein Telegramm Gambettas an Crémieux vom 25. December 1870: »Wer hat eine Untersuchungscommission gegen Bazaine eingesetzt? Ich bin nicht befragt worden und widerspreche
ausdrücklich; ich bitte damit sofort innezuhalten. Sofort zu beantworten!« »So sprechen die Diktatoren«, setzt Lachaud zur Erheiterung des Publikums hinzu, führt dann einige Aeußerungen Trochus, Thiers, Canroberts an, welche die Verleumdungen beklagen, die gegen Bazaine erhoben worden, und geht zu dem berüchtigten Briefe des Obersten dAndlau über, welcher am 22. December 1870 in der »Indépendance belge«« erschien und worin von dem Marschall geradezu erklärt wird, »er wollte seine Schande zum
Schemel seiner Größe, unsere Schmach zur Grundlage seiner Dictatur machen«, »er gab seine Waffen, seine Geschütze, seine Fahnen hin, um seine Kasse und sein Silberzeug zu retten«, und Aehnliches. Andlau erzählt dann, wie sich ein Complot gebildet habe, um den Marschall zu zwingen, entweder zu marschiren oder abzudanken, wie aber kein Divisionsgeneral Muth genug gehabt habe, sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen. »Jetzt« – so schließt Andlau – »jetzt verstehe ich beinahe das
Gemetzel von 1792, die Schrecken der Revolution, und ich habe aufs tiefste bedauert, daß in Metz nicht jene Conventscommissare von damals erschienen, welche die Köpfe der Generale fallen ließen, sodaß denselben keine andere Wahl blieb als zu siegen oder zu sterben.« Andlau hat behauptet, er habe den Brief nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt; dann hat er seine Correspondenten schlecht gewählt. Lachaud erwähnt ein Buch: »Metz, campagnes et capitulation«, welches ebenso gehässigen Inhalts
ist, und gegen welches sich Changarnier in der Nationalversammlung sehr entschieden ausgesprochen; endlich kommt er auf Herrn von Villenoisy zu sprechen, der im Kriege nichts gethan, sondern denselben, obschon Offizier und Lehrer an der Kriegsschule zu Metz, doch nur »en amateur« mitgemacht und wegen Veröffentlichung einer an den Kriegsminister 1871 gerichteten Denunciation gegen Bazaine vierzehn Tage Arrest erhalten hat. Dies waren diejenigen, welche die Führerschaft bei dem Verleumdungskampfe
gegen Bazaine übernommen haben!
Der Marsch nach Verdun war nicht unbedingt befohlen. Auch kann ein Oberbefehlshaber, wie Napoleon I. anerkannt hat, nie durch solche Befehle gebunden werden. Die Schlacht von Borny wird kurz erwähnt und der von allen Generalen gerühmten Tapferkeit Bazaines gedacht: »Die Verräther aber lassen sich gewöhnlich nicht tödten.« Die Berichte Bazaines über die Schlacht vom 16. waren vollkommen richtig; wenn Soleilles Bericht über den Munitionsmangel übertrieben
war, so trifft den Marschall keine Schuld, und ebenso wenig dafür, daß Magnan nicht zurückkehrte. Man hat gesagt, Bazaine habe ihm dies verboten; wäre es nicht einfacher gewesen, ihn gar nicht abzuschicken? In Betreff der Frage: ob der Kampf am 17. wieder aufgenommen werden konnte, wird Gondrecourts Ausspruch, vor allem aber das geflügelte Wort Leboeufs citirt: »Auf dem Schlachtfelde sind die Feldzüge bisweilen schwierig, im Zimmer mit der Karte vor sich und keine Feinde gegenüber machen sie
sich viel leichter.«
Bazaines Verhalten in der Schlacht vom 18. wird als untadelhaft dargestellt. Dann folgen Erörterungen über Mac-Mahons Depesche vom 22.: »Ich werde morgen in der Richtung nach Montmédy aufbrechen.« Lachaud sucht zu beweisen, daß Lewal sich irrt, wenn er behauptet, dieselbe sei am 23. angekommen; vorzugsweise legt er darauf Gewicht, daß diese Depesche erwiesenermaßen chiffrirt war, und daß Bazaine sie also Lewal nicht ohne weiteres vorgelesen haben kann, und darauf,
daß Lewal früher stets angegeben hat, in der Depesche sei das Wort Stenay vorgekommen, welches nicht in dieser Depesche, wohl aber in der »Ducrot commandirt Corps u. s. w.«, welche am 29. anlangte, steht. Räthselhaft ist das Verschwinden der Bazaineschen Depesche an Mac-Mahon: »Ich werde Sie von meinem Marsche benachrichtigen.« Wenn aber Stoffel sie unterschlagen haben sollte, so kann dies doch Bazaine nicht zur Last fallen? Die dritte: »Wir können durchbrechen, wenn wir wollen«, ist nicht von
Bazaine erlassen. »Die Anklage behauptet dies zwar, aber andererseits sagt dieselbe Anklage, der Marschall habe es vermieden, sich mit der Armee von Châlons in Verbindung zu setzen. Ja, meine Herren, das ist einer der zahlreichen Widersprüche der Anklage; ich werde sie nicht alle aufdecken, fürchten Sie das nicht, ich hätte sonst zu viel zu thun!« Auch hat Mac-Mahon diese Depesche nie erhalten.
Daß der Marschall am 26. Kriegsrath hielt, war natürlich; freilich lag es ihm allein ob,
Beschlüsse zu fassen; »aber wer von solchen Generalen berathen ist, wie er es war, und wer dann ihren Rathschlägen nicht folgen, wer so thöricht eitel sein sollte, nur seine eigenen Pläne zu verfolgen, der wäre nicht würdig, freie Männer zu leiten und ein Heer Frankreichs zu befehligen. Die Anfrage Bazaines an den Prinzen Friedrich Karl erklärt Lachaud für völlig gerechtfertigt, hebt dann hervor, daß Bazaine in der Periode vom 25. August bis 8. October 47 Befehle, in Betreff der Operationen
von Peltre, Ladonchamp, Colombey, Servigny u. a. erlassen habe und daß man ihm also nicht Unthätigkeit vorwerfen dürfe; berührt den durch die Aerzte widerlegten Vorwurf, daß der Marschall sich nicht um die Verwundeten bekümmert habe, und geht zu den Verhandlungen mit Régnier über. »Régnier war ein Abenteurer, ein Spion, – ich weiß nicht was; vielleicht wäre er ein großer Mann gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, dem Kriege ein Ende zu machen.« Keinenfalls hat der Vorfall etwas in der Lage
des Heeres geändert. Und warum hätte der Marschall, dessen Armee Hungers zu sterben begann, nicht ihn als Mittel benutzen sollen, möglicherweise einen ehrenvollen Frieden zu schließen? Marschall Leboeuf hat erklärt, daß viele Offiziere über Bourbakis Abreise erfreut waren, in der Hoffnung, daß sie dadurch in ehrenvoller Weise aus ihrer schrecklichen Lage befreit werden würden.
Dann schildert der Vertheidiger die Schwierigkeiten, welche sich jeder Verbindung zwischen Bazaine und der
Nationalregierung entgegengestellt, wenn es auch hin und wieder einem Kundschafter gelungen sei, sich durchzuschleichen, erwähnt einen Ausspruch Trochus gleich nach der Capitulation: Metz mußte fallen, da man ihm nicht zu Hülfe kam, und fährt fort:
»Herr Gambetta kannte die Zustände in Metz besser als irgendein anderer. Ich will darauf antworten, was er hier gesagt hat, als er von Verdächtigungen sprach, die, gottlob, nicht zu meinen Gewohnheiten gehören. Die Politik hat mein Herz
nicht geschädigt, und ich erinnere mich der langjährigen Freundschaft zwischen mir und Herrn Gambetta. Ich habe ihn stets gegen die erbitterten Angriffe, die er erfahren, vertheidigt; ich glaube, daß er viel Unheil gestiftet hat, aber er besaß eine glühende Vaterlandsliebe, er war kein gemeiner Ehrgeiziger, das wird ihn vor der Geschichte entschuldigen. Aber lassen wir das jetzt; sehen wir, was sich in Tours begab.
»Bis zum letzten Augenblicke fand man dort nicht beredte Worte genug,
um den Marschall zu preisen, man sprach von nichts als von seinen Siegen, er war der ruhmreiche Bazaine, dessen glänzende Waffenthaten bis zum Ueberdruß gefeiert wurden. Sie haben die edeln, schmerzlichen Worte seines Bruders gehört, welcher mit erlebt, was zu Tours vorging; die Regierung wußte sehr wohl, daß der Marschall seine Pflicht that; sie wird von der verzweifelten Lage seines Heeres benachrichtigt. General Bourbaki sagt, als er nach Tours kommt, in welchem Zustande sich das Heer von
Metz befinde, wie nutzlos die Anstrengungen der Regierung seien, den Widerstand fortzusetzen; er sagt ihnen, daß Heere sich nicht improvisiren lassen, daß sie das Unglück Frankreichs nur vergrößern würden, da sie schmachvoll geschlagen werden würden, daß es nur ein Heer gebe, das von Metz, daß man sich aber beeilen müsse. Seit dem 15. October war Herr Gambetta überzeugt, daß die Armee von Metz sich in der schrecklichsten Lage befinde; Bourbaki hatte es gesagt, man hatte es nicht geglaubt, und
diese von der Regierung verlorenen zehn Tage führten die Capitulation herbei. Ja, diese Männer werden vor der Geschichte strenge Rechenschaft abzulegen haben; während sie die Wahrheit kannten, wagten sie in ihrem politischen Nothstande die Ihnen bekannte Proclamation zu veröffentlichen; die Herren Crémieur, Gambetta, Glais-Bizoin riefen Frankreich zu: Bazaine ist ein Verräther! Nach diesem Aufrufe gab es nicht einen General, der sich bei dieser Capitulation nicht mit Schmach bedeckt hätte;
nicht allein Marschall Bazaine hatte Verrath geübt, sondern alle Marschälle, alle Generale. Und doch wußte Herr Gambetta seit vierzehn Tagen, daß nichts mehr zu hoffen, daß Metz verloren war!«
Lachaud führt dann aus einem Buche Jules Favres eine Stelle an, wonach Thiers berichtet hätte, der König von Preußen sei anfänglich einem ziemlich günstigen Friedensschlusse nicht abgeneigt gewesen, seine Stimmung sei aber plötzlich umgeschlagen, und Bismarck habe erklärt, der König sei über
jenen Aufruf, in welchem seiner Ansicht nach der einzige Offizier, der tapfer seine Pflicht gethan, verleumdet worden sei, höchst erzürnt gewesen. Er fährt fort:
»Der König von Preußen ist unser Feind, aber er ist Soldat, und als solcher zürnt er über die Verleumdung des Marschalls. Diese Entrüstung des Königs von Preußen hätte ich gern im Herzen des Herrn Commissars der Regierung gefunden.
»In seiner Rede kam ein Satz vor, den ich gern nicht gehört,hätte, den ich aber
nicht unbeantwortet lassen kann. Er lautete: ›Gewiß, es stand Herrn Gambetta zu, der Entrüstung der Nation in energischen Worten Ausdruck zu verleihen.‹
»O! der Herr Regierungscommissar findet also, daß Gambetta befugt war, solche Dinge einem Marschall von Frankreich zu sagen! Aber wohin sind wir denn gekommen? Großer Gott! es genügt also, sich die Macht anzumaßen, um über alles abzuurtheilen, was es Großes und Edles in unserm Vaterlande gibt! (Lange, lebhafte Bewegung
und einzelne Beifallsbezeigungen im Zuhörerraum.) Eine solche Proclamation wird ein unauslöschlicher Schandfleck sein! Aber nein, es genügt dem Herrn Commissar, daß Herr Gambetta nach drei Jahren sich verbessert, um von ihm zu sagen: »Wir schätzen uns glücklich, gesehen zu haben, daß der Verfasser jenes Aufrufs den Argwohn zerstreut hat, den er über den Charakter unserer tapfern Generale geäußert zu haben schien.» Argwohn! Der Herr Commissar hat uns an so gemäßigte Ausdrücke nicht gewöhnt. Ja!
ein Mensch darf von unsern Marschällen sagen: Das sind Verräther! und dann kann er nach drei Jahren kommen und den Argwohn zerstreuen, den diese gehässigen Worte erzeugt haben, und man wird sich glücklich schätzen, das unangenehme Mißverständniß in dieser Weise aufgeklärt zu sehen!
»Was mich betrifft, der ich nicht General bin, ich halte dies für eine Niederträchtigkeit, und würde mich glücklich geschätzt haben, nicht der erste zu sein, der dies sagte!«
Lachaud geiselt dann
mit bittern Hohne »die ehrlosen, schmuzigen Klatschgeschichten« über Zusammenkünfte des Marschalls mit dem Feinde, über angebliche Aeußerungen deutscher Offiziere u. a. »Diese Aussagen sind so albern, diese Zeugnisse so unsinnig, daß das öffentliche Ministerium selbst erklärt hat: ›Ich glaube nicht daran‹, und der Herr Commissar hat gesagt: ›Ich werde mich dabei nicht aufhalten.‹ Wie! man schleudert solche Worte in die ganze Welt hinaus, man sagt: Der Marschall Bazaine
ist an dem und dem Tage zu der und der Stunde ins feindliche Hauptquartier gegangen; man läßt dies durch drei, vier Zeugen wiederholen, und wenn man dies traurige Schauspiel gegeben hat, so ruft die Anklage: Ich glaube nicht daran! O, Herr Commissar, wenn Sie nicht daran glauben, so hätten Sie diese Menschen nicht als Zeugen auftreten lassen dürfen!
»Als ich hörte, wie der tapfere General Changarnier von den feindlichen Generalen sprach, als ich von ihm lernte, wie man die Feinde
achten muß, wenn sie es verdienen, da glaubte ich, meine Herren, daß die Stimme des Prinzen Friedrich Karl das Recht habe, hier gehört zu werden.
»Nun wohl, meine Herren, Folgendes habe ich von ihm erhalten:
›Ich erkläre durch gegenwärtiges Schreiben, daß Herr Marschall Bazaine während der Belagerung von Metz niemals in mein Hauptquartier zu Corny gekommen ist. Ich habe Herrn Marschall Bazaine am Abende des 29. October, in dem Augenblicke, als er nach der Capitulation
Metz verlassen hatte, zum ersten mal gesehen.
Berlin, 28. September 1873.
Friedrich Karl,
Prinz von Preußen, Generalfeldmarschall.«
»Und vor kurzem habe ich abermals einen Brief erhalten, vom 6. December datirt, um den ich nicht gebeten hatte, den mir der Prinz aus freiem Antriebe und von einem edeln Gefühle getrieben zugesandt hat. Er lautet:
»Ich erkläre, daß ich die vollkommenste Hochachtung vor der Rheinarmee und dem Marschall Bazaine hege, besonders um der Energie willen, welche der letztere an den Tag gelegt hat,
um die Rheinarmee solange als möglich einer unvermeidlichen Capitulation zu entziehen.
Friedrich Karl,
Prinz von Preußen, Generalfeldmarschall.«
»Nun, diejenigen, welche behaupten, man habe das Recht, bei seinem Feinde die niedrigste Gesinnung vorauszusetzen, mögen es sagen; sie mögen auftreten und sagen, es sei ein Mitschuldiger Bazaines, der dies geschrieben habe. Ich meinerseits behaupte, daß es überall Ehre gibt, und daß, wenn Prinz Friedrich Karl
aus freien Stücken solche Thatsachen bestätigt, dies eine Handlung ist, die ihm und dem Marschall Ehre macht!«
Lachaud erklärt dann, daß auch die Einwohner von Metz in ihrem Schmerze häufig ungerecht gegen den Marschall gewesen seien; er weist aus einem Buche des verurtheilten Communemitgliedes Rossel nach, daß unter Bürgern und Offizieren eine Verschwörung gegen Bazaine bestand, daß man von Haftbefehlen gegen ihn, Leboeuf und Frossard sprach, welche das »Vertheidigungscomité« in der
Rolle von Delegirten der Regierung der nationalen Vertheidigung erlassen wollte, daß der greise Changarnier, als ihm der Oberbefehl von den Verschworenen angeboten wurde, erwiderte: »Unselige, verlangen Sie, daß ich meine weißen Haare schände?« und daß somit der Marschall mit allen nur denkbaren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Die Berathung vom 10. October, die Sendung Boyers wird erörtert; beiläufig spricht Lachaud sein Bedauern aus, daß der Regierungscommissar nicht von der erhabenen
Selbstverleugnung der Kaiserin gesprochen habe, was nur ein dem Unglück gebührender Act der Gerechtigkeit gewesen wäre. Er behauptet unter Berufung auf das Zeugniß der Generale, daß schließlich kein anderer Ausweg gewesen wäre, als auf die vom Feinde aufrecht erhaltenen Bedingungen einzugehen.
»Die beredten Worte des Herrn Regierungscommissars könnten in manchen Gemüthern den Wahn erzeugen, als wäre die Hinopferung der Armee der Capitulation vorzuziehen gewesen, als hätte die Ehre der
Fahne durch diese Hekatombe gewonnen. Aber wenn ein Oberbefehlshaber kaltblütig und ohne Nutzen seine Soldaten abschlachten läßt, so sage ich: er ist ein Mörder!«
Das Kriegsmaterial durfte nicht zerstört werden. Erstens konnte man bis zum letzten Augenblick nicht wissen, ob man es nicht noch brauchen werde, zweitens war dies gegen allen Kriegsgebrauch. Beweis die Capitulation von Calais 1558, von Carmagnolles 1691, von Saragossa 1809, von Baida und Tortosa 1810, überall fand man
bedeutende Vorräthe an Waffen, Munition und Geschützen. Der Vorbeimarsch vor dem Feinde ist die schrecklichste Demüthigung, welche eine tapfere Armee erfahren kann: man denke, 100000 Mann vor dem Prinzen Friedrich Karl vorübermarschirend, die Marschälle Frankreichs ihn mit dem Degen salutirend, wer sollte bei dieser Vorstellung nicht erröthen! Man hat behauptet, die Capitulation habe zwei Tage hinausgeschoben werden müssen. Was hätte man dabei gewonnen? den Hungertod für eine Anzahl
Unglücklicher, sonst nichts!
Dann wird die Fahnenfrage erörtert. General de Cissey, welcher in seiner Eigenschaft als Kriegsminister nicht vernommen worden ist, hat schriftlich erklärt, er erinnere sich mit voller Bestimmtheit, daß Bazaine den Befehl zum Verbrennen der Fahnen gegeben habe; General Soleille hat nach langem Zögern, nach manchen Widersprüchen und ausweichenden Antworten anerkennen müssen, daß Bazaine ihm befohlen, die Fahnen nach dem Arsenal schaffen und dort verbrennen
zu lassen, und was Soleille bewogen haben kann, Gegenbefehl zu geben, dem Obersten Girels zu schreiben, die Fahnen sollten aufbewahrt werden, ist unerklärlich, den Marschall aber trifft hierüber keine Schuld.
Es folgt eine Erörterung darüber, ob die Capitulation als im offenen Felde, en rase campagne, abgeschlossen zu betrachten sei. Lachaud verneint dies natürlich. Er schildert die Verschanzungen des deutschen Heeres, welche einen dreifachen Ring bildeten, er zählt dessen Stärke
auf:
»Am 15. October, es ist schrecklich, aber es war so, bestand dasselbe aus 184 Bataillonen, 96 Schwadronen, 692 Geschützen, worunter 50 Belagerungsgeschütze, 23 Pionniercompagnien. Das war das seindliche Heer vor Metz, gedeckt durch Verschanzungen, welche augenblicklich ein solches Hinderniß bildeten, daß von einer Capitulation im offenen Felde schon deshalb nicht die Rede sein kann. Ebenso hatte sich aber die französische Armee verschanzt; eine Armee im verschanzten Lager aber
ist keine Armee im offenen Felde. Dies ist auch amtlich anerkannt worden, denn die Ernennungen, welche ein General im offenen Felde vornimmt, sind ungültig, die er als Festungscommandant vornimmt, gültig, und alle von Bazaine vorgenommenen sind von den vom Minister eingesetzten Specialcommissionen gültig befunden worden.«
Nachdem Lachaud erklärt, er hoffe ausreichend erwiesen zu haben, daß Bazaine, bevor er capitulirt, alles gethan, was Pflicht und Ehre geboten, behauptet er unter
Hinweis auf den gänzlichen Mangel an Lebensmitteln, daß auch die Mittel zur Vertheidigung völlig erschöpft gewesen seien, und schließt:
»Die Geschichte wird sagen, daß Bazaine ein großer Feldherr war, treu, ehrenhaft, voller Hingebung; die ganze Welt sagt es schon jetzt. Wird die Geschichte hinzufügen müssen, daß man eine solche Hingebung mit dem Tode, und was das Schrecklichste ist, mit Entehrung belohnt hat? Nein, Sie werden nicht den Spruch fällen, den das öffentliche Ministerium
von Ihnen verlangt, Ihre Ehre als Soldaten, Ihre Liebe zu Frankreich verbieten es Ihnen. Ich will Sie nur noch daran erinnern, was aus den Anklagen wegen Hochverrats wird, wenn Leidenschaft und Zorn, welche sie herbeigeführt haben, erloschen sind. Sie wissen, was die Urtheile der Gegenwart dann für die Nachwelt bedeuten! Das ist das Verhängniß, welches über allen politischen Processen waltet, daß der Verbrecher von heute morgen zum Helden werden kann, und daß man ihm auf seiner Richtstätte
später ein Standbild errichtet.«
Es folgt noch ein erbittertes Wortgefecht zwischen Anklage und Vertheidigung, dann wird Bazaine selbst gefragt, ob er noch etwas zu seiner Vertheidigung anzuführen habe.
Er erhebt sich:
»Auf meiner Brust trage ich die Worte: Ehre und Vaterland! Ich bin diesem edeln Spruche während der zweiundvierzig Jahre, während deren ich dem Vaterlande treu gedient habe, niemals untreu geworden, weder zu Metz noch anderswo, das schwöre ich bei
Christus!«
Präsident: Das Gericht zieht sich zur Berathung zurück.
Um 4 Uhr 35 Minuten nachmittags war das Gericht abgetreten und hatte alsbald eine Abtheilung Gensdarmerie im Saale Posto gefaßt. Der Marschall war von dem Major Thiriet hinausgeleitet worden, um vor dem Gerichte nicht mehr zu erscheinen. In dem dichtgedrängten Zuhörerraum verließ niemand seinen Platz; alles stritt auf das lebhafteste über den Ausfall des Urtels. Endlich, nach vier langen
Stunden, um 8 Uhr 35 Minuten, ertönte zum letzten mal das »Debout, le Conseil!« des dienstthuenden Feldwebels. Die Richter treten in den Saal, wo sie sich bedeckten Hauptes an ihre Plätze stellen. Tiefe Stille; nur noch ein kurzes Commando, die Gensdarmen und alle Wachen präsentiren das Gewehr, der Präsident entblößt auf einen Augenblick das Haupt:
»Im Namen Frankreichs!«
dann bedeckt er sich wieder und liest:
»Geschehen heute am 10. December
1873, vor dem ersten Kriegsgericht der ersten Division, nach gesetzmäßiger Berathung bei verschlossenen Thüren.
Der Vorsitzende hat folgende Fragen gestellt:
1) Ist Marschall Bazaine schuldig, am 28. October 1870 an der Spitze eines Heeres in offenem Felde eine Capitulation unterzeichnet zu haben?
2) War das Ergebniß dieser Capitulation, daß dieses Heer die Waffen strecken mußte?
3) Hat Marschall Bazaine mündlich oder schriftlich mit dem Feinde
unterhandelt, ohne zuvor alles gethan zu haben, was ihm Pflicht und Ehre geboten?
4) Ist Marschall Bazaine schuld, am 28. October 1870 mit dem Feinde capitulirt und die Festung Metz, über welche er den Oberbefehl hatte, übergeben zu haben, ohne vorher alle Mittel der Vertheidigung, welche ihm zu Gebote standen, erschöpft und ohne alles gethan zu haben, was ihm Pflicht und Ehre geboten?
Nachdem einzeln abgestimmt worden, und zwar von dem dem Grade nach jüngsten Richter
zuerst, vom Vorsitzenden zuletzt, erklärt das Kriegsgericht:
Auf die erste Frage: Ja, einstimmig.
Auf die zweite Frage: Ja, einstimmig.
Auf die dritte Frage: Ja, einstimmig.
Auf die vierte Frage: Ja, einstimmig.
Hiernach und in Anbetracht der Anträge des Specialcommissars der Regierung hat der Vorsitzende den Text des Gesetzes verlesen und noch einmal in der obenerwähnten Form über die Anwendung der Strafe abstimmen lassen.
»Infolge dessen und angesichts der Artikel 210 und 209 des Militär-Strafgesetzbuches, welche also lauten: (Folgen die oben schon mitgeteilten Artikel)
Verurtheilt das Gericht François Achille Bazaine, Marschall von Frankreich, einstimmig zum Tode und zur Degradation.
Angesichts ferner des Artikels 138 des Militär-Strafgesetzbuches, welcher also lautet:
›Wenn der Verurtheilte Mitglied des Ordens der Ehrenlegion oder Inhaber der Militärmedaille ist, so
erklärt das Gericht in den vom Gesetze vorhergesehenen Fällen, daß er aufhört, Mitglied der Ehrenlegion oder Inhaber der Militärmedaille zu sein‹,
erklärt das Gericht, daß François Achille Bazaine aufhört, der Ehrenlegion anzugehören und Inhaber der Militärmedaille zu sein,
Verurtheilt ihn außerdem nach Artikel 139 zu den Proceßkosten, und beauftragt den Specialcommissar der Regierung, gegenwärtiges Urteil in seiner Gegenwart dem Verurtheilten vor der ins Gewehr
getretenen Wache vorlesen zu lassen und ihn zu benachrichtigen, daß das Gesetz ihm 24 Stunden zur Einlegung der Revision bewilligt.
Die Sitzung ist geschlossen!«
Die Mitglieder des Gerichts entfernen sich, die Zuhörer verlassen erst nach längerer Zeit sichtlich ergriffen und in tiefstem Schweigen den Saal.
Bazaine unterhielt sich indessen in einem benachbarten Salon ruhig mit den Seinigen, und als sein Freund und ehemaliger Adjutant Billette schreckensbleich
eintrat und ihm ins Ohr flüsterte:
»Zum Tode!« äußerte er nur:
»Was wollen Sie? ein politischer Proceß mußte so enden!« dann plauderte er weiter, bis ein Unteroffizier ihm meldete, daß man ihn in einem andern Salon erwarte. Er folgte dem Unteroffizier dorthin; ein Wachtcommando von zehn Mann, von einem Lieutenant befehligt, stand dort bereits aufmarschirt und präsentirte das Gewehr, während der Gerichtsschreiber Alla im Beisein des Generals Pourcet das Urtel verlas. Als
er geendet, sagte der Marschall ruhig: »Gut, wenn es Ihnen gefällig ist, mich erschießen zu lassen, ich bin bereit.« Pourcet eröffnete ihm, daß er 24 Stunden Zeit habe, Berufung einzulegen. »Ach so!« erwiderte er, »und von wann läuft diese Frist?« Von heute Nacht zwölf Uhr! – »Gut, ist das alles?« Pourcet verneigte sich, Bazaine grüßte ihn höflich, begab sich wieder in seine Gemächer, speiste mit bestem Appetit, unterhielt sich mit seiner Familie und seinen Freunden bis Mitternacht, und
begab sich dann zur Ruhe.
Tags darauf richtete er folgendes Schreiben an Lachaud:
Mein theuerer, muthiger Vertheidiger!
Vor der letzten Stunde will ich Ihnen noch von ganzem Herzen für die heldenmüthigen Anstrengungen danken, welche Sie zu Gunsten meiner Sache gemacht haben. Wenn die Laute der erhabensten Beredsamkeit, welche Sie aus dem Gefiihle der Wahrheit und aus der Hingebung Ihres edeln Herzens geschöpft haben, meine Richter nicht überzeugen konnten, so war
dies nur, weil sie überhaupt nicht überzeugt werden konnten, denn Ihre bewundernswerthe Rede hat mehr geleistet, als menschliche Anstrengung vermag.
Ich lege nicht Berufung ein. Ich will nicht vor aller Welt das Schauspiel eines so schmerzlichen Kampfes erneuern, und bitte Sie, keinen Schritt zn meinen Gunsten zu thun. Nicht mehr von den Menschen fordere ich ein Urtheil, sondern von der Zeit, von der Besänftigung der Leidenschaften hoffe ich meine Rechtfertigung. Fest und
entschlossen, stark durch mein Gewissen, welches mir nichts vorwirft, erwarte ich die Vollstreckung des Urtheils.
Triatton-sous-Bois, 11. December 1873.
Marschall Bazaine.
Durch die Zeitungen ging noch eine Aeußerung, die der Marschall an demselben Tage gethan haben soll. Er unterhielt sich mit seinen Freunden über alles Mögliche, nur nicht über seinen Proceß, und als bei einem Gespräch über die Neubildung des Heeres zufällig Gambettas Name genannt wurde, fragte jemand, ob er diesen nicht auf das tiefste hasse.
»Hassen? Bewahre!« entgegnete Bazaine, »ein Kind, welches beißen will, haßt man nicht,
sondern faßt es höchstens an den Ohren. Uebrigens stehe ich noch hoch in seiner Schuld, denn nur einmal hat er mich Verräther genannt, bis dahin war ich ihm stets Bazaine der Held, der unüberwindliche, der siegesgewohnte Bazaine. Sie sehen aber aus meinem Processe, daß es heutzutage ungefährlicher ist, Advocat, als Marschall von Frankreich zu sein.«
Inzwischen aber hatten, gleich nach der Publication des Urtels, die sämmtlichen Richter folgendes Gnadengesuch an den Kriegsminister
unterzeichnet:
Herr Minister!
Das Kriegsgericht hat sein Urteil gegen den Marschall Bazaine gesprochen. Als Geschworene haben wir die uns gestellten Fragen entschieden, indem wir nur die Stimme unsers Gewissens hörten. Wir wollen auf die lange Debatte, welche uns aufgeklärt hat, nicht zurückkommen. Gott allein sind wir für die Gründe unsers Spruches Rechenschaft schuldig. Als Richter mußten wir ein unbeugsames Gesetz zur Anwendung bringen, welches keinen mildernden Umstand
für ein Verbrechen gegen die militärische Pflicht zuläßt. Diese Umstände aber, welche in unserm Verdict anzurufen das Gesetz uns untersagte, haben wir das Recht, Ihnen zu bezeichnen. Wir wollen Sie daran erinnern, daß der Marschall Bazaine das Commando der Rheinarmee inmitten unerhörter Schwierigkeiten übernommen und geübt hat, daß er weder für den unglücklichen Beginn des Feldzugs noch für die Wahl der Operationslinien verantwortlich ist. Wir wollen Sie daran erinnern, daß er sich im Feuer
stets als der Alte bewährte, daß bei Borny, bei Gravelotte, bei Noisseville niemand ihn an Tapferkeit übertroffen, und daß er am 16. Augnst durch die Festigkeit seiner Haltung das Centrum seiner Schlachtlinie behauptete. Bedenken Sie die Laufbahn des Mannes, der im Jahre 1831 als Freiwilliger in die Armee getreten war, zählen Sie die Feldzüge, die Verwundungen, die Waffenthaten, welche ihm den Marschallsstab eingetragen haben! Gedenken Sie seiner langen Haft! Gedenken Sie der Qual jener zwei
Monate, während deren er täglich über seine Ehre streiten hören mußte, und Sie werden sich mit uns vereinigen, um den Präsidenten der Republik zu bitten, daß er das von uns gefällte Urtel nicht vollstrecken lasse.
Empfangen Sie, Herr Minister, die Versicherung unserer Hochachtung:
Heinrich von Orléans, Präsident. General von Lamotterouge. General Baron Chabaud Latour. General J. Tripier. General Princeteau. General Ressayre. General von Malroy, Richter.
Mac-Mahon soll von vornherein geäußert haben, er werde die Vollstreckung des Todesurteils nicht gestatten. Als ihm gemeldet wurde, daß Bazaine weder ein Rechtsmittel einlegen noch um Begnadigung bitten wolle, äußerte er: »Ich würde es ebenso machen.« Als ihm nun schon am 11. das Gnadengesuch des Kriegsgerichts vorgelegt wurde, gewährte er dasselbe sofort, indem er die Todesstrafe in zwanzigjährige Einschließung umwandelte, und die Vornahme des Actes der Degradation, Abreißen der
Epauletten vor versammeltem Kriegsvolk, untersagte, deren Wirkungen aber, Verlust des Grades und der Uniform, Unfähigkeit im Heere zu dienen, Verlust der Orden und der Pension, bestehen ließ.
Der Adjutant, der dem Verurtheilten noch im Laufe der Nacht diese Ordre überbrachte, fand ihn in tiefem Schlafe. Als er geweckt und ihm die Begnadigung bekannt gemacht worden war, sagte er: »So! ich glaubte ich sollte zum Erschießen abgeführt werden«, streckte sich dann wieder auf sein Lager und
schlief ruhig weiter. Am folgenden Tage aber schrieb er an den Präsidenten der Republik:
Trianon-sous-Bois, 12. December 1873.
Herr Marschall!
Sie haben sich der Zeit erinnert, da wir Einer neben dem Andern dem Vaterlande dienten. Ich fürchte, daß Ihr Herz die Staatsraison besiegte. Ich wäre ohne Bedauern gestorben, denn das Gnadengesuch, welches meine Richter Ihnen vorgelegt haben, stellt meine Ehre wieder her. Genehmigen Sie, Herr Marschall, die Versicherung
meiner Hochachtung.
Bazaine.
Unweit der ligurischen Küste, dem Cap de la Croisette gegenüber, welches den Golf de la Napoule bei Cannes von der Bucht von Antibes scheidet, erheben sich die Iles de Lèrius, eine kleine Gruppe felsiger Eilande, aus dem Meere. Die größte derselben ist die Insel Sainte-Marguerite, hoch emporragend, in ihrem östlichen Theile mit schönen Laub- und Nadelholzwaldungen bedeckt. In alten Zeiten soll dort eine Stadt, Namens Vergoanum,
gestanden haben. Plinius erwähnt derselben aber schon mit dem Zusatze, daß sie längst zerstört sei. Später wurde dort ein Mönchskloster gegründet, dessen Insassen gegen die Angriffe der Seeräuber und Sarazenen ein festes Castell errichteten und oft muthig vertheidigten. Richelieu ließ auf der Nordküste der Insel ein Fort erbauen, welches später von Bauban erweitert und verstärkt wurde, und schon manchem zu unfreiwilligem Aufenthalte gedient hat; seine berühmtesten Insassen waren der räthselhafte
»Mann mit der eisernen Maske«, später der Satiriker Lagrange-Chancel, welcher den Ahnherrn aller Gründer, den Schotten Law, und dessen Beschützer, den Regenten Philipp von Orléans, in seinen Gedichten etwas zu treu geschildert hatte, endlich 1814 der Bischof von Gent, Fürst Moritz von Broglie.
Am 25. December 1873 führte ein geschlossener Wagen Bazaine mit seinem ältesten Sohne und dem Obersten Billette von Trianon nach Villeneuve-lEtang; der Tag der Abreise war zur Vermeidung aller
Kundgebungen sorgfältig geheimgehalten worden. Von dort brachte ein Extrazug den Verurtheilten nach Antibes; hier lag ein Dampfaviso bereit, der ihn ohne Verzug nach seinem Bestimmungsorte, Sainte-Marguerite, übersetzte. Und hier büßt nun der tapfere Soldat, mittelmäßige Feldherr und schlechte Politiker in anscheinend nicht allzu strenger Festungshaft für seine eigenen Sünden, für die seines Kaisers und seines Vaterlandes.
In Frankreich wurde die Verurtheiluug Bazaines fast allenthalben mit grausamer Freude begrüßt, und nicht nur unter dem Pöbel wurde der Wunsch ausgesprochen, die Hinrichtung auf ein Jahr zu verschieben, damit sie in dem wiedereroberten Metz vorgenommen werden könne. Mit der Begnadigung war man natürlich nicht einverstanden, namentlich weil man sich sagen mußte, daß der Mann, den die Richter in dem von ihnen allen unterzeichneten Gnadengesuche geschildert, nicht gerade wie ein »Verräther« im gewöhnlichen Sinne des Wortes aussehe. Darüber, daß es mit dem erschlichenen Siegesruhm der Deutschen nun für alle Zeiten ein Ende habe, daß die Welt sich alsbald überzeugen werde, daß die Franzosen auch diesmal sowenig als sonst jemals besiegt worden, sondern nur der List und dem Verrathe, wie bei ihrer ritterlichen Geradheit und Offenheit zu entschuldigen, unterlegen seien, herrschte unter ihnen kein Zweifel mehr. Gambettas »République française« schrieb:
»Durch die Verurteilung Bazaines ist das nationale Gewissen von einer großen Last befreit, die Armee hat nichts gethan, was gegen Pflicht und Ehre stritte, sie geht gereinigt aus dem Proceß hervor«; ein nanziger Blatt »Le Progrès dEst«, schrieb: »Wenn Bazaine schuldig ist, so ist es Frankreich nicht«, und das »Mémorial des Vosges« zu Epinal erklärte: »Der Tod Bazaines wird uns weder Metz und Straßburg wiedergeben, noch unsere verhungerten Soldaten, noch unsere fünf Milliarden, aber er gibt uns das Vertrauen zurück und vor allem die legitime Hoffnung auf die nationale Revanche. Die Verurtheilung Bazaines ist überdies eine Demüthigung Preußens und eine Rechtfertigung der Regierung der nationalen Verteidigung.«
Damit waren aber die klerikalen Zeitungen nicht einverstanden, und noch weniger die bonapartistischen. Der klerikale »Univers« schrieb: »Die ›République française‹ triumphirt zu früh über das gefällte Verdict. Zwar verspricht ihr dieses des Marschalls Blut, es rechtfertigt aber nicht die Gesammthaltung Gambettas, und die Proclamation dieses traurigen Farceurs gegen den Marschall und seine Offiziere ist und bleibt eine Infamie.« Herr Paul de Cassagnac aber begann einen Leitartikel in dem bonapartistischen »Pays« mit den Worten: »Der Marschall Bazaine ist zum Tode verurtheilt. Wie schmerzlich auch unsere Ueberraschung sein mag, wir werden schweigen und uns mit Achtung vor dem Urtheil verneigen«, und schloß folgendermaßen: »Nun denn, dieser Proceß ist ein großes Unglück für die französische Armee, ein großes Unglück an und für sich, mochte er nun mit einer Verurtheilung oder mit einer Freisprechung endigen. Und all dieser Jammer, alle diese Schande, alle die patriotischen Demüthigungen, welche ein jeder von uns im Laufe des Processes herunterwürgen mußte, ja auch das Blut, welches fließen wird, muß auf das Haupt jenes Elenden zurückfallen, jener Memme, jenes Gambetta, der niemals den Feind gesehen, niemals sein Leben eingesetzt, sich niemals in Gefahr begeben, der Frankreich zu Grunde gerichtet und uns ausgesogen und der mit seinen Proklamationen die öffentliche Meinung aufgehetzt und diesen traurigen Proceß nothwendig gemacht hat, einen Proceß, traurig für Frankreich, traurig für die Armee, traurig für die Richter selbst und traurig für den Angeklagten.«
Auch die Hoffnung, daß das Ausland die verlorene Ueberzeugung von der Unüberwindlichkeit der französischen Nation wiedergewinnen werde, schlug fehl. Ob Bazaine schuldig sei, ob er mehr hätte leisten können und sollen, darüber waren die Meinungen getheilt, daß aber seine Ausbruchsversuche, namentlich die vom 16. und 18. August und 31. August sehr ernstlich gemeint waren und ungeachtet aller deutscherseits nie unterschätzter Tapferkeit seiner Truppen nur durch die Ueberlegenheit des deutschen Heeres zurückgeschlagen worden sind, ist, soviel bekannt, von den franzosenfreundlichsten Zeitungen des Auslandes nie bestritten worden.
War das Verfahren gegen Bazaine, war das gegen ihn gefällte Urteil ein gerechtes?
Ungerecht war vor allem, daß er vor Gericht gestellt wurde, er allein, und nicht alle die Commandanten der zweiundzwanzig französischen Festungen, welche unsern Heeren 1870 und 1871 die Thore geöffnet haben, nicht alle die Oberbefehlshaber der drei Armeen: der von Sedan, die im offenen Felde die Waffen streckte und die Festung übergab, der von Paris, endlich derjenigen, welche sich auf schweizer Boden entwaffnen ließ.
Ungerecht und bis zur Albernheit unwürdig war das Verfahren, welches das öffentliche Ministerium beobachtete und der Präsident duldete. Daß Bazaine capitulirt hatte, stand fest, ja jeder Schritt, den er in dieser Richtung gethan, lag offenkundig da, daß man aber nun Weiber über hingeworfene Aeußerungen deutscher Offiziere, die sie noch dazu höchstens halb oder gar nicht verstanden hatten, metzer Spießbürger und desertirte Soldaten über die einfältigsten Klatschgeschichten von räthselhaften Zusammenkünften im Schlosse Corny und anderswo, Eisenbahnbeamte und andere Strategen gleichen Ranges, deren Rettungs- und Schlachtplane Bazaine zu ihrer Kränkung nicht ausgeführt hatte, über das, was der letztere hätte thun sollen und nicht thun sollen, vernahm, das hatte nicht mehr den Zweck, den Angeklagten zu überführen, sondern ihn in den Augen des Publikums anzuschwärzen. Und was soll man von den Argumenten sagen, welche Herr de Rivière und Herr Pourcet theils offen, theils in leichtverständlichen Andeutungen ins Feld geführt haben? Magnan kehrte nicht zurück, er hätte aber zurückkehren können, folglich hat Bazaine ihn angewiesen, nicht zurückzukehren. Stoffel erhielt eine wichtige Depesche, er lieferte sie nicht ab, folglich wird ihm wol Bazaine dies verboten haben. Bazaine bestreitet, um den Besuch seiner Gattin bei von Keratrh gewußt zu haben uud seine Gattin reist nach Marseille, um den letztern zu bewegen, seine nach ihrer Versicherung (und den Aussagen der andern Zeugen) falsche Angabe zurückzunehmen, folglich hat man ein Interesse, den wahren Charakter dieses Besuchs zu entstellen. Turnier übersendet eine nicht unterzeichnete Depesche an Mac- Mahon, behauptet wenigstens Herr Hulme, Turnier weiß nichts davon, Mac-Mahon auch nicht, aber wenn Turnier nicht gewußt hätte, daß sie von Bazaine war, so würde er sie doch nicht abgeschickt haben. Turnier gibt einigen Emissaren eine Depesche an Bazaine, eine andere, vier Tage früher erhaltene gibt er ihnen nicht, folglich muß er sie schon früher abgeschickt und Bazaine sie schon früher erhalten haben.– Genug dieser Beispiele, die sich ins Unendliche vermehren ließen. Wer aber zu solchen Beweisen seine Zuflucht nimmt, der richtet sich, nicht den Angeklagten.
Das Urteil aber konnte nicht anders ausfallen.
Daß Bazaine capitulirt und daß sein Heer infolge dessen die Waffen gestreckt hat, steht fest. Diese Capitulation war aber auch eine im freien Felde.
Das Gesetz kennt nur zwei Arten von Capitulation, die einer Festung und die en rase campagne. Es ist von vornherein nicht anzunehmen, daß irgendeine Art von Capitulation mit Stillschweigen übergangen und somit straflos gelassen werden sollte, man geht daher nicht zu weit, wenn man annimmt, daß jede Capitulation, die nicht der einen Art angehört, nothwendig der andern angehören, daß also jede, die nicht eine Festung betrifft, eine im freien Felde sein muß. Sehr unglücklich ist eine Anführung Lachauds. Er erwähnt ganz richtig, daß das Gesetz aus einem Decret Napoleons I. hervorgegangen ist, und führt dann eine Erklärung Napoleons an, wonach derselbe unter einer Capitulation im freien Felde beispielsweise die einer Armee oder eines Theiles einer solchen verstand, welche, durch Zufall (accidentellement) in einem Gehölz oder einem Kirchhof eingeschlossen, wenn es zum Kampfe Mann an Mann kommt, die Waffen strecken. Ein Gehölz, ein Kirchhof sind nicht freies Feld im gewöhnlichen Sinne; es sind dies gedeckte Stellungen, und dennoch soll das Gesetz hier Anwendung finden. Wurde ja doch auch Bazaines Lage dadurch, daß er sich in einem verschanzten Lager befand und auf die Festung stützen konnte, lediglich eine günstigere, als sie ohne diese Umstände gewesen sein würde. Daß er verschanzte Stellungen vor sich hatte, welche er mit bewaffneter Hand stürmen mußte, ändert in der Sache auch nichts; von Witzleben, der dieselbe Ansicht vertritt, sagt ganz richtig: »Wenn die Rheinarmee zum Angriffe gegen die Cernirungsarmee schritt, so fand sie zwar vorbereitete Vertheidigungsstellen zu überwinden, aber sie kämpfte dann doch im freien Felde.«
Für die Capitulation im freien Felde mit Streckung der Waffen kennt aber das Gesetz nur eine Strafe, den Tod. Selbst die Hoffnungslosigkeit des Versuchs, die Einschließung zu durchbrechen, hat das Gesetz nicht als Strafmilderungsgrund anerkannt. Männer, sagt Napoleon, die keine andere Aussicht haben als den Tod, haben oft unmöglich Scheinendes vollbracht, und je mehr Widerstand man leistet, desto mehr Mannschaften tödtet man dem Feinde. Der Commandant einer Festung kann den Feind nicht hindern, ihn einzuschließen; außerhalb einer Festung darf sich ein Befehlshaber nicht einschließen lassen, und ist es ihm dennoch durch einen unglücklichen Zufall widerfahren, so darf er doch unter keinen Umständen capituliren, sondern muß durchbrechen oder fechtend fallen, nachdem er dem Feinde soviel Schaden als möglich zugefügt hat. Dies ist unzweifelhaft der Sinn des Gesetzes.
Diesen Durchbruchsversuch war er aber auch der Festung Metz schuldig. Das mehrerwähnte Reglement »über den Dienst in festen Plätzen« sagt in §. 255:
»Der Commandant darf nicht vergessen, daß die militärischen Gesetze zum Tode und zur Degradation den Commandanten verurtheilen, welcher capitulirt, ohne den Feind gezwungen zu haben, die langsamen, allmählichen Belagerungsarbeiten durchzumachen, und bevor er nicht wenigstens einen durch gangbare Breschen auf die Hauptfestung unternommenen Sturm zurückgeschlagen hat.« Von dem allen war nichts geschehen, es war dies auch nicht möglich, da die Rheinarmee die Festung gegen den förmlichen Angriff schützte. Dafür schwächte sie aber auch die Vertheidigungsfähigkeit des Platzes, indem sie dessen Lebensmittel um mehrere Monate kürzte. Der Platz war, wenn auch nicht von vornherein, so doch jedenfalls von Mitte September ab in vertheidigungsfähigem Zustande, Bazaine hätte also schon im Interesse des möglichst langen Widerstandes von Metz sich mit der Armee von der Festung trennen müssen; er hatte dies ja schon am 31. August beabsichtigt, denn daß sein damaliger Durchbruchsversuch ernst gemeint war, haben die besten seiner Generale anerkannt, und derselbe scheiterte nur an der Ueberlegenheit der deutschen Heeresleitung und der unleugbar größern militärischen Durchbildung und Tüchtigkeit der deutschen Truppen. Dadurch hätte er den Feind »zu den langsamen, allmählichen Belagerungsarbeiten« gezwungen. Keinenfalls aber wird man sagen können, daß er im Laufe des Septembers alle Vertheidigungsmittel erschöpft hätte, die ihm zu Gebote standen. Selbst ein warmer Vertheidiger Bazaines, der Generallieutenant z.D. von Hannecken, machte ihm schon vor Beginn des Kriegsgerichts seine Unthätigleit zum Vorwurf. Er sagt, in den großartigen Schlachten um Metz sei die französische Armee nur auf Metz zurückgedrängt worden, eine eigentliche Niederlage habe sie nicht erlitten und es habe sich jetzt im wesentlichen darum gehandelt, dem Heere das Selbstvertrauen und das Vertrauen in die obere Leitung wiederzugeben, den Soldaten beizubringen, daß ihnen die nöthige Ruhe und Kaltblütigkeit im Gefecht fehle, deren sie den Deutschen gegenüber bedürften. Das beste Mittel hierzu wären stets wiederholte kleine Gefechte gewesen, die aber unter der beständigen Leitung oder doch Controle des Marschalls hätten stattfinden müssen; statt dessen habe er sich von dem persönlichen Verkehr mit den Truppen so fern gehalten, wie wol kein Oberbefehlshaber unter ähnlichen Umständen gethan haben würde. Von Hannecken fährt dann fort:
Wenn dann durch wiederholte kleine Ausfälle, zu denen aber immer ganze Truppentheile, etwa Divisionen, aber nicht, wie es zum Theil geschah, freiwillige Abteilungen zu verwenden gewesen wären, sich der Geist der Armee gestärkt hätte, dann hätte der letzte entscheidende Versuch zum Durchbruch gemacht werden müssen. Die vorhandenen Vorräthe an Lebensmitteln ließen genau die Zeit berechnen, bis zu welcher die Armee noch gut und vollständig verpflegt werden konnte. Wahrscheinlich würden bis zum Anfang October die Vorräthe dazu ausgereicht haben. In dieser Zeit war also der letzte große Ausfall mit der ganzen Armee zu unternehmen, das Durchschlagen zu versuchen. Selbst wenn das Resultat das möglichst ungünstige gewesen wäre: unglücklicher als die Capitulation konnte es nicht sein. Nur wäre die Entscheidung einige Wochen früher erfolgt, und damit die deutsche, sehr überlegene Armee um dieselbe Zeit früher für die Verwendung zum Kriege freigeworden.
Aber doch wol nicht die ganze, denn die Belagerung von Metz hätte doch, mochte die Entscheidung fallen wie sie wollte, schwerlich aufgegeben werden können. Generallieutenant von Witzleben erklärt ebenfalls, unter voller Anerkennung der Schwierigkeiten, die es für eine Armee von 150000 Mann haben mußte, sich durch eine Armee von 200000 Mann durchzuschlagen, und die nach seiner überzeugenden Ausführung weit größer sind, als wenn es gilt, mit 3000 Mann eine Blokadearmee von 25000 Mann zu durchbrechen, daß Bazaine wenigstens von dem Augenblicke an, wo er einsah, daß alle Verhandlungen an dem unbeugsamen Willen des Feindes scheiterten, thätig in den Gang der Ereignisse hätte eingreifen müssen. Von Witzleben sagt:
Diese Krisis fiel in die ersten Tage des Octobers. So groß die Schwierigkeiten und Gefahren eines Durchbruchsversuches auch sein mochten, in ihm lag jetzt die einzige Chance für die Rettung der Armee. Bazaine kam auch jetzt nicht zu klarer Einsicht und energischem Handeln. Nach mehrtägigem Schwanken erstarb seine Thatkraft in dem partiellen Ausfallsgefechte von Ladonchamps (7.October).
Und weiterhin:
Wir sind hiernach außer Stande zu sagen, daß Bazaine alles gethan hat, was Pflicht und Ehre geboten, um der Notwendigkeit zu entgehen, dem Feinde die Festung auszuliefern. Wenn wir auch nicht die außerordentlichen Schwierigkeiten der Lage verkennen, in welcher sich Bazaine befand, und welche ihm auf eine nachsichtige Beurtheilung in der Geschichte vollen Anspruch geben, so können wir doch, angesichts der Bestimmungen des französischen Militär-Strafgesetzbuches, seine Verurtheilnng durch das Kriegsgericht, nachdem er einmal vor ein solches gestellt war, nicht verwerfen.
Schuldig also war er vor dem Gesetz. Daß er ein Verräther gewesen, daß er aus niedrigen, eigennützigen Beweggründen zum Nachtheile seines Vaterlandes gehandelt, hat ihm nicht einmal General Rivière in seinem Berichte, nicht einmal General Pourcet in seiner Anklage vorzuwerfen gewagt. Daß er ein tapferer Soldat, daß er vom unbeugsamsten, kaltblütigsten Muthe beseelt war, erkennen alle an, die ihn im Kugelregen gesehen haben. Einen Vorwurf aber kann er nicht zurückweisen: er trieb Politik, statt zu kämpfen, und seine Politik war weder ehrlich, noch consequent, noch klar. Nicht ehrlich, denn er erkannte die Regierung der nationalen Vertheidigung an, er ließ ihre Aufrufe bekannt machen und erklärte, den Beschlüssen einer Nationalversammlung Folge leisten zu wollen, und gleichzeitig knüpfte er mit der Kaiserin Unterhandlungen an und erklärte, dem Kaiser treu bleiben zu wollen. Nicht consequent, denn am 15. September betrachtete er sich nicht mehr als kaiserlichen Feldherrn und befahl, aus den Ernennungsdecreten und Ehrenlegionsdiplomen den kaiserlichen Namen und das Wappen des Kaisers fortzulassen, und wenige Tage darauf befahl er, beides wieder anzubringen. Nicht klar, denn er wollte nach dem Friedensschlusse mit seinem Heere den Staat retten, er wollte dafür sorgen, daß die vom Feinde auferlegten Bedingungen erfüllt würden, und auf die sehr sachgemäße Frage des Präsidenten: Ob er nicht bedacht habe, daß er dann an der Seite des Feindes gegen Franzosen zu kämpfen gehabt haben würde, hat er nur die Antwort: Das würde ich nie gethan haben. Und daran, daß er statt zn kämpfen, Politik trieb, eine Politik, die weder ehrlich, noch consequent, noch klar war, ist er zu Grunde gegangen.
Nachtrag.
Die vorstehende Darstellung hatte die Presse noch nicht verlassen, als am 11. August 1874 der Telegraph die Nachricht brachte, daß weder die Naturschönheiten der Insel Marguerite noch die Vaubanschen Mauern ihres Fort den Marschall Bazaine dauernd festzuhalten vermocht hatten. Am 10. August fand der Gefängnißdirector Marchi das Gefängniß Bazaines leer, am 17. August war derselbe in der erfreulichen Lage, mit seinem tapfern Gegner, dem General von Kummer, dessen Division den Ausfall vom 7. October 1870 so wacker zurückgeschlagen hatte, in Köln Höflichkeitsbesuche wechseln zu können, und wir wissen zwar nicht, wo er in diesem Augenblicke weilt, jedenfalls aber ist er ein freier Mann.
In Frankreich zweifelte anfangs niemand, daß er mit geheimer Bewilligung Mac-Mahons die Insel verlassen habe. Bald aber brachten die Zeitungen Berichte über seine Flucht, welche etwas romantisch gefärbt zu sein schienen. Danach hätte seine Gattin seit langer Zeit versucht, ihn zur Flucht zu bewegen, er habe aber in der Hoffnung, daß seine Haft gelindert werden würde, jeden Versuch abgelehnt. Endlich habe sie eine Audienz bei Mac-Mahon nachgesucht, um denselben um Erleichterungen des strengen Gefängnißreglements zu Gunsten ihres Gemahls zu bitten. Der Präsident der Republik habe jedoch jedes derartige Ansuchen zurückgewiesen, und nunmehr habe sie an Bazaine geschrieben, sie sei von dem Erfolg ihrer Audienz »parfaitement« befriedigt. Dies sei – da alle Briefe geöffnet wurden – das verabredete Wort gewesen, aus welchem der Gefangene gesehen, daß er nichts zu hoffen habe, und darauf hin habe er sich zur Flucht entschlossen.
Von seinem Salon aus – so wurde weiter aus authentischen Quellen berichtet – mußte der Gefangene, welchem drei Zimmer und eine kleine mit einer Mauer umgebene Terrasse zur Verfügung standen, um auf die letztere zu gelangen, eine auf beiden Seiten von einer Mauer begrenzte kleine Brücke überschreiten; auf einer dieser Seitenmauern stand eine Schildwache, konnte aber die Brücke nicht übersehen, weil sie zum Schutze gegen die Sonne mit einem Zeltdache überspannt war. Auf der Terrasse, zu welcher ven der Brücke einige Stufen hinabführten, hatte der Marschall einen kleinen Garten angelegt, und in diesem entdeckte er eines Tages eine verschüttete Gosse, welche in früherer Zeit durch den Felsen gebrochen worden war, um dem Regenwasser Abfluß zu verschaffen. Allmählich gelang es ihm, die Gosse zu räumen. An dem zur Flucht bestimmten, mit seiner Gattin durch Briefe, die mit Sympathetischer Tinte geschrieben waren, verabredeten Abende bewog er den Gefängnißdirector Marchi, der ihn sonst stets von der Terrasse in den Salon geleitete, ihn am Fuße der zu der Brücke führenden Treppe zu verlassen. Der Posten hörte ihn die Thür öffnen und schließen; daß er nicht eintrat, sondern über die Mauer hinabsprang, wurde durch das Zeltdach verdeckt, und so gelangte er, während die Thür von außen von einem Wärter verschlossen wurde, glücklich auf die Terrasse und an die Gosse, in welcher er eine Strickleiter verborgen hatte. Diese ließ er nun hinab, nachdem er sie an eine quer vor die Gosse gelegte Eisenstange befestigt, sich aber mit einem Gürtel, wie ihn die Steiger der Feuerwehr tragen, umgürtet hatte, dessen Haken ihn an den Knoten des Seiles festhielt. Nun begann die Niederfahrt, den 80 Fuß hohen Felsen hinab. Ein Licht flammte unten auf: es zeigte ihm, wo seine Gattin mit einem Boote auf ihn warte. Er antwortete, indem er ein Streichholz anzündete. Vom Sturm fast an den Klippen zerschmettert, erreichte er endlich das Ende des Seiles, sprang hinab und erreichte schwimmend das Boot.
In diesem befanden sich seine Gattin und deren Neffe, ein Mexicaner, Don Alvarez de Rull. Die Marschallin hatte schon am 3. August in Genua einen Vergnügungsdampfer, den »Baron Ricasoli«, gemiethet, der zu ihrer ausschließlichen Verfügung stand und in der bestimmten Nacht im Golf von Juan anlegen mußte. Sie und ihr Neffe ließen sich in La-Croisette ans Land setzen, angeblich um aus einer benachbarten Villa einen Diener abzuholen. Dort mietheten sie ein Boot, und mit diesem ruderten sie beide allein an den Fuß des Fort, wo sie den Marschall aufnahmen, dann kehrten sie in das Boot des Dampfers zurück, welches sie am Ufer erwartete, und landeten tags darauf in Genua.
Frau Bazaine behauptete in einem am 16. August aus Spaa an den französischen Minister des Innern, General Chabaud-Latour, gerichteten Briefe, keine Mitschuldigen gehabt zu haben. Dasselbe erklärte Bazaine selbst in einem Briefe aus Köln. Niemand glaubte daran, außer etwa der Redacteur des ultramontanen »Univers«, welcher das Gelingen der Flucht hauptsächlich einem geweihten Scapulier und einem Stück des Gewandes der Heiligen Jungfrau zuschrieb, das Bazaine um den Hals getragen. Der Oberst Villette, welcher Bazaines Gefangenschaft aus freien Stücken getheilt und am Montag Morgen, nachdem seine Flucht bekannt geworden, die Insel verlassen hatte, wurde bald darauf in Marseille verhaftet, und die von General Lewal und den Justizbehörden geführten Untersuchungen ließen es immer unwahrscheinlicher erscheinen, daß Bazaine weder Mitwisser noch Helfershelfer gehabt habe. Wie man erfuhr, sprach General Lewal die Ueberzeugung aus, daß der Flüchtling das Fort auf dem bequemsten Wege durch irgendeine Pforte verlassen habe und auf einer Treppe an den Strand hinab gelangt sei. Dieser Ansicht schloß sich jedoch die Staatsanwaltschaft nicht an; der Staatsanwalt zu Grasse erhob vor dem dortigen Zuchtpolizeigericht Anklage: 1) gegen Alvarez Rull (flüchtig), 2) gegen Villettte, 3) gegen Bazaines Diener Barreau, 4) gegen den frühern Hauptmann Doineau: die Flucht Bazaines befördert zu haben, und gegen den Gefängnißdirector Marchi und vier Unterbeamten, dieselbe durch Nachlässigkeit erleichtert zu haben. Die Verhandlungen, welche am 14. September zu Grasse begannen, boten wenig Interesse. Die erste Erzählung über die Art des Entweichens scheint im wesentlichen richtig zu sein. Daß es für einen kräftigen Mann möglich war, an dem vorgefundenen Seile Hinabzugelangen, wies ein junger Offizier nach, welcher daran ohne sonderliche Mühe in sechs Minuten hinabkletterte. Das Seil war theils aus Stricken, mit denen Bazaines Koffer geschnürt waren, theils aus den zu einer Schaukel seiner Kinder, welche früher seine Haft getheilt hatten, gehörigen Stricken gefertigt. Die Zeugen behaupteten, Bazaine sei nicht geschickt genug gewesen, das Seil hieraus zu fertigen, wohl aber Villette. Ferner wurde die Eisenstange, an welcher Bazaine angeblich das Seil befestigt hatte, nicht vorgefunden; dasselbe schien anderweit befestigt und von jemand gehalten worden zu sein, und dies konnte, wie der Staatsanwalt behauptete, nur Villette gethan haben, für den die Terrasse auch zugänglich war. Marchi behauptete, Bazaine habe sein Ehrenwort gegeben, nicht zu entweichen, und Villette, bei keinem Fluchtversuche behülflich zu sein, was dieser entschieden bestreitet. Doineau, der als Chef eines der berüchtigten »Bureaux Arabes« wegen Raubmordes zum Tode verurtheilt, von Napoleon aber begnadigt worden war, erkennt an, Botschaften zwischen Bazaine und seiner Gattin vermittelt, bestreitet aber, deren Inhalt gekannt zu haben. Barreau wird beschuldigt, bei der Anfertigung des Seils geholfen zu haben. Die Angaben in Betreff des gemietheten Dampfers wie überhaupt der Betheiligung der Frau Bazaine und des Don Alvarez erwiesen sich als richtig. Schließlich werden ungeachtet einer äußerst schwungvollen Vertheidigungsrede Lachauds Villette, Rull und Gefängnißwärter Plantin – letzterer anscheinend wegen vernachlässigter Aufsicht – zu sechsmonatlichem, Doineau zu zweimonatlichem, Kerkermeister Gigoux zu einmonatlichem Gefängniß verurtheilt, die andern Angeklagten freigesprochen.
Eins wird man wol als festgestellt annehmen dürfen: daß die Entweichung nicht, wie man anfangs glaubte, im Einverständnisse mit der Regierung stattgefunden hat. Wer alles darum gewußt und dabei geholfen, scheint zweifelhaft, die Flucht aber in der That in der geschickten und waghalsigen Weise, wie hier beschrieben worden, ausgeführt und die Aufopferung und der Muth der Frau Bazaine über alles Lob erhaben zu sein.
Inzwischen aber hatte Bazaine seinem Herzen durch einen Brief, den er am 6. September von Lüttich aus an den Eigenthümer des » New-York Herald«, Herrn Bannet, gerichtet und anscheinend gleichzeitig deutschen und englischen Zeitungen zur Verfügung gestellt hatte, Luft gemacht. Er enthält die vernichtendste Kritik des gegen ihn beobachteten Verfahrens nicht nur, sondern des ganzen Krieges, er enthält alles, was der alte Haudegen zu seiner Vertheidigung anzuführen vermag, aber er veranlaßt uns nicht, das am Schlusse der Darstellung des Processes über ihn gefällte Urtheil zurückzunehmen. Mit diesem Briefe wollen wir von unsern Lesern scheiden. Er lautet:
Die Unparteilichkeit, die Ihr geehrtes Blatt bezüglich der schweren Schicksale, die ich vor kurzem durchzumachen hatte, an den Tag legte, und die Beweise gütiger Theilnahme, die mir von Ihren Vertretern in Europa zutheil wurden, veranlassen mich, Ihnen öffentlich zu danken. Die englische, russische und amerikanische Presse ließen sich im allgemeinen nicht irreführen in ihrem Urtheil über das fürchterliche Drama, in dem, zunächst dem Kaiser Napoleon, ich am meisten gelitten habe. Mit Ausnahme der » Times«, deren vollendete Selbstsucht sattsam bekannt ist und deren deutsche Neigungen schon am ersten Tage des Krieges zu Tage traten, kann ich die englischen Zeitungen nur loben. Die russische Presse, für deren Gesinnungen ich aufrichtig dankbar bin, brachte mir oft willkommenen Trost. Unter den amerikanischen Journalen schließlich fand ich Vertheidiger und unparteiische Beurtheiler, ohne daß, soviel mir bekannt, ein einziges derselben mich systematisch angegriffen hätte, wie dies anderwärts geschehen ist. Als ich vor kurzem durch Köln reiste, besuchten mich viele Amerikaner, um mich ihrer Theilnahme zu versichern. Unter ihnen Offiziere des großen Secessionskrieges, die mir die Hand drücken wollten. General Sherman hatte dies schon in Versailles gethan.
Ich liebe öffentliche Kundgebungen nicht, mein Charakter als Soldat sträubt sich dagegen, aber ich muß gestehen, daß das Benehmen jener Amerikaner bei dieser Gelegenheit mich tief gerührt hat. Ich ersah daraus, daß Ihre Landsleute nicht gleich den meinigen Republikaner von gestern sind, und daß nordamerikanische Bürger nicht, gleich französischen Demagogen, der Ansicht huldigen, daß der höchste Act von Vaterlandsliebe in der Schmähung besiegter Soldaten bestehe.
Es wurde als eine kluge Politik angesehen, mich zum Sühnopfer der Armee und der Nation zu machen; man beschuldigte mich aller begangenen Fehler und Schwächen, aller Sünden Israels, und ich wurde als Opfer dargebracht. Mich bewegt nicht der Wunsch, hier Klage zu führen gegen meine Verurtheilung, die einzig dasteht wegen ihrer Regelwidrigkeit und Formlosigkeit, eine Verurtheilung, die nichtig ist schon wegen der Zusammensetzung des Tribunals, das sie aussprach. Ein altes Gesetz, dessen Ursprung in die Nacht der Zeiten sich verliert, schreibt vor, daß jedweder Angeklagte durch seinesgleichen gerichtet werden sollte. Mir wurde diese Bürgschaft geweigert: an der Spitze derer, die mich richteten, stand ein Divisionsgeneral, ein Prinz von Geblüt, den die zweite Republik von 1848 ans den Reihen des Heeres gestrichen hatte, der gezwungen worden war, sich von da bis 1871 in das Privatleben zurückzuziehen, der niemals wichtige militärische Operationen als Oberbefehlshaber geleitet hatte und, soweit sich aus dem Gegentheile ein Schluß ziehen läßt, in unsern Augen keine andere militärische Berechtigung besaß als die, der Sohn seines Vaters, des Königs Louis Phi-* lipp und, dank seiner Geburt, seit seinem Alter von 22 Jahren ein Oberst gewesen zu sein.
Ich hoffe nicht mehr, daß mir rasch Gerechtigkeit widerfahren werde. Mir waren nur zwei Stützen beschieden, deren hohe Stellung, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit mich in dem langen Kampfe aufrecht hielten gegen alle jene, die da glaubten, daß sie mich opfern oder meine Opferung gestatten müßten, um den Parteigeist und den Volkszorn zu versöhnen. Diese zwei Stützen waren Kaiser Napoleon III. und Herr Thiers. Jener ist todt, der zweite wurde gestürzt und durch meinen frühern Kameraden, den Marschall Mac Mahon, ersetzt. Nur zu bald fehlten mir diese beiden Stützen. Jählings wurde ich in den schrecklichen Wirbel der Ereignisse hineingestoßen, der mich verschlang an dem unheilvollen Tage, als das Commando der Rheinarmee mir aufgebürdet wurde – ein Commando, das ich, wie männiglich bekannt, niemals angestrebt, das von andern zum Glück für sie dazumal entweder aufgegeben oder vermieden werden konnte; zu dem aber ich, dessen erinnere ich mich ganz gut, durch die öffentliche Meinung in Uebereinstimmung mit der des Kaisers erkoren wurde. Endlich war alles vorbei. Ich hatte den Kelch bis zur Neige geleert, und von Rechts wegen steht mir nicht einmal eine Klage darüber zu, da mein Herr, der Kaiser, selber Thron und Leben einbüßte, Frankreich drei seiner Departements verlor. Genützt hat diese fürchterliche Katastrophe nur den Deutschen und denen, die fern vom Schlachtfelde blieben, um die Leidenschaften des Volkes desto besser anzustacheln, um aus dessen Verlusten desto bessern Nutzen ziehen zu können. Die Commune selber gewann nichts dabei. Allerdings wurde ihr Gelelegenheit geboten, sich Waffen zu verschaffen und militärisch zu organisiren, aber ihrem Eintagssiege folgte die vollständigste Niederlage auf dem Fuße nach.
Wol könnte ich, den alten Römern gleich, sagen, daß Gerechtigkeit blos ein Name sei, doch ziehe ich, gleich dem Kaiser, vor, alles der Zeit und der Geschichte anheimzustellen. Nicht einmal aus der Haft wäre ich entflohen, hätte mein früherer Kamerad Mac-Mahon, den die Laune des Schicksals auf die höchste Machtstufe erhob, während man mir sogar meine bürgerlichen Rechte entzog, die Strenge meiner Gefangenschaft gemildert. Im Verlaufe meines Processes hätte ich gegen Mac-Mahon dieselben Waffen gebrauchen können, die gegen mich gebraucht worden waren. Ich hätte zu meiner Vertheidigung anführen können, daß Mac-Mahon sich im Elsaß überraschen und schlagen ließ, ohne mehr als andere die gegen ihn im Anzuge begriffene Uebermacht in Rechnung gezogen zu haben; daß er den Rückzug angetreten, ohne eine Vertheidiguug der Vogesen anzustreben, ohne den Feind auch nur einen Tag in deren Défilés festzuhalten, ohne die Eisenbahnen zu benutzen, und schließlich, daß er den Elsaß zu hastig geräumt habe, ohne, wie besondere Vorschriften es erheischten, in den befestigten Plätzen dieser Provinz hinreichend starke Besatzungen für eine lange und kräftige Vertheidigung zurückzulassen; daß er sich auf Châlons zurückgezogen statt hinter meinen Rücken, ohne auf das 5. und 7. Corps und auf die Vertheidigungslinie der Seille Rücksicht zu nehmen, wodurch meine rechte Flanke entblößt und überflügelt wurde, trotz der ihm zugemittelten Ordre, sich nicht über Nancy hinaus zurückzuziehen; daß durch seine Unkenntniß über die Stärke und die Bewegungen des Feindes, durch seine Anmaßung, blind eine Schlacht anzunehmen, durch seine Unklugheit, den Ruf aller seiner gestählten afrikanischen Truppen auf das Ergebniß eines einzigen Streiches zu wagen, durch seine persönliche Tapferkeit, die ihn verleitete, Soldaten- statt Befehlshaberdienste zu leisten: daß durch alle diese Fehler er als eine der ersten Ursachen unserer Niederlagen angesehen werden könnte.
Die eine Anerkennung aber wird man mir widerfahren lassen: daß ich dem Beispiele des Kaisers folgend niemals jemand angeklagt und in keiner Weise getrachtet habe, meine Verantwortlichkeit andern zuzuwälzen. Trotzdem war ich Zeuge vieler Fehler, Schwächen, Misgriffe, Versäumnisse, Zögerungen und Verworrenheiten; wenn irgendeiner zu Klagen und Recriminationen berechtigt war, dann war es gewiß ich. Mac-Mahon war bei Sedan ebenso unglücklich als ich bei Metz, Trochu und Ducrot bei Paris, Bourbaki und Clinchant im Osten. Das vergaß er, als er Präsident der Republik wurde, und ich bedauere es nicht, da sein Mangel an Gedächtniß mir die nöthige Energie zur Flucht verschaffte und ich nun frei bin.
Nur um Ein Ding beneide ich Mac-Mahon: um die Wunde, die er vor Sedan empfing und die ihm gestattete, sein Commando in ehrenhafter Weise einem andern, oder richtiger gesagt, mehrern andern zu übergeben; denn in jener unglücksvollen Schlacht commandirten drei Oberbefehlshaber nacheinander, trotzdem unsere Truppen nie zuvor einer guten Führung in höherm Maße bedurften, insofern als sie gegen eine doppelte Uebermacht ankämpfen mußten und die beiden vereinigten deutschen Heere durch Feldmarschall von Moltke geführt wurden. Der General, welcher die Capitulation von Sedan unterzeichnete, wünschte die Verantwortlichkeit auf den Kaiser zu schieben, der sie großmüthig übernahm. Wie sehr hätte ich jene preußische Kugel, die bei Borny platzend einen Theil meiner Epaulette zerriß, gesegnet, wenn sie, statt mir eine Contusion einzubringen, doch wenigstens mein Schulterblatt zertrümmert hätte! In diesem Falle hätte ich mein Commando gleichfalls einem andern übergeben können! Wie schlecht berathen war ich, daß ich das Heer nicht verlassen wollte, um mit einigen Cavaleristen zu entwischen! In diesem Falle hätte ich wie General Trochu das Capituliien einem andern überlassen können. Weshalb besaß ich nicht, wie General Bourbaki, die moralische Schwäche, im Selbstmord eine Vertheidigung gegen meine Ankläger zu suchen? Ich weiß nicht recht, was besiegten Generalen im nächsten Kriege geschehen wird, aber alles stimmt mich zu der Annahme, daß sie, gleich türkischen Paschas, sich vermittels einer ad hoc ihnen zugesandten Schnur werden erwürgen, oder gleich japanischen Adelichen werden den Bauch aufschlitzen müssen. Nicht jeder wird, wie General Trochu, die Geistesstärke besitzen, sich ohne Einsprache die Abzeichen seiner Würde durch Barrikadenführer abnehmen zu lassen. Andererseits steht der militärische Selbstmord noch nicht in unserm Sittengesetze, und nicht alle, die ihn wünschen, werden blos verwundet. Marschall Leboeuf, der frühere kaiserliche Kriegsminister, blieb freiwillig unter meinem Commando, nachdem er zu spät unsere vollständige Schwäche erkannt und sich dafür selber als den in erster Linie Verantwortlichen getadelt hatte. Zehnmal stürzte er sich ins Feuer, suchte den Tod, forderte ihn inmitten der größten Gefahr heraus und betete, daß er ihn ereilen möge, während sein Stab um ihn durch Geschosse niedergemäht wurde, ohne daß sie ihn auch nur geritzt hätten. Weit entfernt, irgendjemand anzuschuldigen, halte ich dafür, daß jeder sein Möglichstes that. Meine Landsleute, die an das Verzeichnen von Siegen gewöhnt waren, glaubten aufrichtig, daß sie nicht geschlagen werden könnten. In diesem Punkte waren sie durch den Feldzug in der Krim und, stärker noch, durch den in Italien verwöhnt worden. Zudem hatte man in Frankreich unsere afrikanischen Siege überschätzt.
Unsere Niederlagen erklären sich aus der numerischen Ueberlegenheit des Feindes und den Mängeln unserer eigenen Organisation. Wären Mac-Mahon und ich in der Lage gewesen, den deutschen Truppen gleich tüchtige und taktisch geschulte Leute entgegenzuführen, dann hätten wir unter gleichen Chancen fechten können, trotz der Begabung des Feldmarschalls von Moltke und der Ueberlegenheit der preußischen Geschosse. Ich grolle niemand, nicht einmal dem Herzoge von Aumale, der mein Urtheil fällte. Ich bin nur der Meinung, daß es von seiner Seite kaum anständig war, sich bei dieser Gelegenheit in den Vordergrund zu stellen, um einen Marschall von Frankreich von meinem Kaliber zu richten. Dieser junge Soldat zählt in seiner Laufbahn blos eine einzige Waffenthat. Vermittels eines kühnen und geschickten Marsches überrumpelte er das Lager Abd-el-Kaders und schleppte die Frauen und Heerden des Emirs davon. Diese That aber und der Umstand, daß er einige Monate in Algier zugebracht, genügen nicht zur Heranbildung eines Soldaten oder zum Verständnisse der militärischen Handlungen eines Obercommandanten der kaiserlichen Garde. Man könnte mir entgegenhalten, daß der Herzog von Aumale schmerzliches Bedauern fühle, weil es ihm, als einem Verbannten, nicht gestattet gewesen sei, an unsern ruhmreichen Feldzügen theilzunehmen; worauf ich jedoch einfach erwidern würde, daß seine Verbannung sowol wie seine lange Unthätigkeit Thatsachen sind, und ferner, daß er, wie Mac-Mahon, um ein Commando gegen die Commune hätte ansuchen können, dies jedoch aus Sorge für seine zukünftige Popularität unterlassen habe. Dennoch hätten dazumal seine Pflichten als Soldat nicht minder wie seine Interessen als Conservativer ihn zur Bekämpfung dieser Demagogen vermögen sollen. Solchergestalt hätte er zum ersten male eine europäische Campagne mitmachen und bis zu einem gewissen Grade die traurigen Erinnerungen an die Haltung seiner Vorfahren in unsern Revolutionen abschwächen können. Statt dessen kehrte er lieber zum activen Dienst zurück, indem er den Vorsitz bei dem gegen mich einberufenen Kriegsgerichte übernahm. Alles, was ich dem Herzoge wünsche, ist, daß er nicht gezwungen werde, den Oberbefehl einer gegen von Moltke und deutsche Uebermacht gesandten Armee zu übernehmen, am wenigsten unter so beklagenswerthen Umständen als ich, d. h. mit einer erst in Bildung begriffenen Armee, die sich durch die Führer noch nicht recht handhaben ließ, deren Ausrüstung noch nicht vollständig und deren rechter Flügel schon gänzlich aufgerollt war; in solcher Verfassung oft gegen die doppelte deutsche Uebermacht ankämpfen zu müssen und schließlich in eine Festung, in ein verschanztes Lager eingeschlossen zu werden, deren Werke und Ausrüstung noch nicht vollendet waren; alles dies, während obendrein die legale Landesregierung, welche von Europa anerkannt und durch die er mit dem Commando betraut worden war, hinter seinem Rücken gestürzt worden ist. Weil dies mir passirte, möchte ich es dem Herzoge von Aumale nicht wünschen, diesem »jungen Soldaten«, der Krieg hätte führen und lange Zeit commandiren müssen, bevor er den Anspruch erheben durfte, daß man seinen nominellen Generalstitel ernst nehmen solle.
Man hat mir politische Parteinahme zum Vorwurf gemacht. Wenn ich denn wirklich schuldig bin, dann geschah sie gegen meinen Willen, weil die Männer der Revolution es vor mir thaten und damit Tag für Tag hinter meinem Rücken fortfuhren. Ich war eingedenk, daß ich meinen Eid dem Kaiser, seiner Familie und der neuerdings durch das Volksvotum bestätigten kaiserlichen Verfassung geleistet hatte. Wenn es politische Betheiligung gescholten werden darf, daß ich daran dachte, mein Commando vom Kaiser erhalten zu haben, nicht aber von jener aufrührerischen, ungesetzlichen und dictatorischen Regierung, die der ältere Bruder der Commune war und den Broschürenschreiber Rochefort unter ihren Mitgliedern zählte; daß ich empört war gegen eine Faction, die aus unsern Niederlagen Nutzen herausschlagen wollte, in Abwesenheit des Kaisers und der Armee in den Gesetzgebenden Körper einbrach, die Volksvertreter verjagte, alles in Beschlag nahm, sich mit Litzen herausputzte und Soldat spielte, statt die wirklichen Kräfte des Landes behufs Durchführung praktischer, vernünftiger und gemeinsamer Maßregeln zu organisiren; daß ich die Ueberzeugung gewann, wie wenig der Kaiser von Rußland, der einzige, der etwas für uns hätte thun können, zu Gambetta und dem in Tours eingenisteten politischen Gelichter jemals freundliche Beziehungen Pflegen werde; wie wenig Victor Emanuel sich zu einem Zuge über die Alpen beeilen werde, um den Herren Glais-Bizoin und Crémieux den Dank heimzuzahlen, den er seit Magenta und Solferino dem Kaiser Napoleon schuldete, – wenn schließlich politische Betheiligung gescholten werden darf, daß ich nach dem ersten pariser Aufstande die Commune voraussah, dann allerdings bekenne ich mich ihrer schuldig. Das Sonderbare dabei ist nur, daß dieselben Leute, die mir daraus ein Verbrechen machen, genau dasselbe thaten, ohne dazu durch die Nation ermächtigt zu sein, während ich unter den Mauern von Metz verblieb, und daß sie sich in den Aufstand des 4. September eingemischt haben.
Als das Absonderlichste in meinem Processe erscheint mir aber weder die Zusammensetzung des Tribunals noch der Umstand, daß ich überhaupt angeklagt wurde, sondern das richterliche Urtheil. Das Kriegsgericht fand Mittel, mich gleichzeitig zu verdammen und freizusprechen. An demselben Tage, an dem das Urtheil gefällt worden war, wurde es wieder umgestoßen. Das Gericht degradirte mich und dankte mir, erklärte mich in Einem Athem schuldig und unschuldig, todeswürdig und der Verzeihung werth, nannte mich einen Verbrecher, einen Helden und war schließlich gütig genug, mir meine Ehre zu lassen.
Entweder war ich schuldig oder nicht. Im erstern Falle hätte, wofern die Richter von meiner Schuld überzeugt gewesen wären, die Todesstrafe in ihren Augen noch immer nicht als streng genug erscheinen sollen. Statt dessen erbaten sie für mich eiligst Pardon von dem, der während des Krieges mein Untergebener war, und erklärten in einem ewig denkwürdigen Schreiben, »daß Marschall Bazaine das Commando unter unerhörten Schwierigkeiten übernahm..., daß er sich im Feuer jederzeit aussetzte, daß ihn in persönlicher Tapferkeit niemand übertraf« u.dgl.m. Offenbar wußten die Richter nicht, was sie thun sollten. Ihre Pflicht verlangte von ihnen Anwendung eines drakonischen Gesetzes, welches von Leuten gefordert wurde, die einen Fall wie den meinigen nimmer vorherzusehen vermochten; dagegen sagte ihr Gewissen ihnen, daß ich nicht schuldig sei. Auch außer dem Abschluß gab es bei dieser Anklage absonderliche Dinge. Ihr zufolge konnte ich weder auf Verrath noch auf Verschwörung angeklagt werden: deshalb gebrauchte man den Vorwand, daß ich meiner Soldatenpflicht nicht Genüge geleistet habe. Dergestalt wurde nach drei Jahren durch Untergeordnete und Untergebene das Verhalten eines Heerführers beurtheilt, der seine Truppen so lange erhalten und seine Stellungen so lange behauptet hat, als ihm ein Bissen Brot zur Verfügung stand, während das umliegende Land gemäß den officiellen Zeugenaussagen der Heeresintendanten bis zum Aeußersten ausgesogen wurde.
Wol gibt es, wie ich weiß, Advocaten, welche behaupten, daß Armeen zum Sterben geschaffen seien (Crémieux Aeußerung in Tours), aber das Gewissen eines Heerführers verbietet ihm, die ihm anvertrauten Soldaten nutzlos hinzuopfern, und dieses Gewissen wiegt schwerer als bloßer Wortschwall.
Nach Unterzeichnung des Friedens fühlten alle, groß und klein, Soldaten und Generale, Royalisten und Republikaner, das Bedürfniß in sich, ihre Wuth gegen irgendjemand loszulassen. Ein Opfer, wurde gesucht. Der entthronte Kaiser befand sich weit vom Schusse, so fiel die Wahl denn auf meine Person. Die albernsten Anschuldigungen wurden gegen mich laut. Nicht allein sollte ich Frankreich für preußisches Gold verkauft und die Republik verrathen, sondern mich auch gegen das Empire verschworen haben. In diesen gemeinsamen Verdächtigungen zeichneten sich ganz besonders die Deputirten und Journalisten aus, welche vor Ausbruch des Krieges die Beurlaubung der ganzen Armee uud Entwaffnung verlangt hatten und ganz Frankreich zum Aufstande aufgefordert hätten, wenn der Kaiser auch nur den Versuch gewagt hätte, das System der preußischen Armeeorganisation einzuführen, wie sie jetzt vollständig angenommen ist. Allerorten, selbst unter der Umgebung des Kaisers, begegnete ich wirklichem oder geheucheltem Hasse. Jeder verleumdete mich dem Monarchen. Seine Freunde, Diener und Blätter riethen ihm, mich der Volksrache zu überlassen und selber den Glauben zu nähren, daß ich die Schuld alles Unglücks gewesen. Zum Lohne für solche Handlung wurden ihm die verschiedensten Vortheile angeboten; der Kaiser aber – ich gestehe es freudig und dankbar –, der wohl wußte, wem er trauen durfte, und von jeher mit Recht Vertrauen in meine Loyalität gesetzt hatte, fand es nicht für recht, mich im Stiche zu lassen.
Auch dem Herrn Thiers bin ich Dank schuldig dafür, daß er wagte mich zu vertheidigen, wie er früher bei meiner Rückkehr aus Mexico gethan und dadurch seine Popularität aufs Spiel gesetzt hat. Wäre er am 24. Mai vorigen Jahres nicht gestürzt worden, dann hätte er ohne Zweifel eine Lösung ausgedacht, um diesen unbilligen Proceß zu verhüten. Aber das Unglück verfolgte mich so sehr, daß die Monarchisten, die Hebel meiner Vernichtung triumphirten. Statt die wahren Ursachen der Niederlagen zuzugestehen, dünkte es sie gerathener, die Schuld an dem Verluste von Elsaß und Metz auf mich zu wälzen. In Wahrheit war Elsaß schon in den ersten Tagen nach der Schlacht von Reichshofen und dem übereilten Rückzuge der mit seiner Vertheidiguug betrauten Armee für Frankreich verloren. Metz aber ging verloren, weil unter dem Vorwande der Vaterlandsliebe und um die Erinnerung an die Revolution zu vernichten, Narren und Abenteurer, die ihre eigene Person nie einer Gefahr aussetzten, es für angezeigt erachteten, einen unsinnigen Kampf zu verlängern, durch Vorschiebung zusammengeraffter, schlecht bewaffneter und schlechter noch ausgerüsteter Rekruten, denen es an der hinreichenden Anzahl von Offizieren fehlte, gegenüber 800000 wunderbar ausgerüsteten und befehligten deutschen Soldaten, von denen Frankreich überschwemmt war. Meine Anwesenheit in Metz wurde nicht einmal zu einem Versuche ehrenhafter Friedensunterhandlungen benutzt, wogegen man mich bis zum letzten Bissen Brot verkommen ließ. Selbst nach meinem Unglücke hätte Metz vielleicht noch gerettet werden können, wenn Thiers, der einzige, der dazumal bei Verstand geblieben war, mit Friedensvorschlägen ausgesandt worden wäre. Hätte man damals auf seinen weisen Rath gehört, wir wären mit dem Verluste des Elsaß und der Milliarden davongekommen. Immerhin traurige Opfer, deren Vermeidung jedoch nicht mehr möglich war. Man hätte sich die Lehre bei zeiten zu Herzen nehmen sollen, dann stände Frankreich heute schon wieder auf den Füßen. Statt dessen setzten sie den Kampf fort, um die Dictatur aufrecht zu halten und Frankreich an der Constituirung einer definitiven Regierung zu hindern. Ich kann nimmermehr zugeben, daß diese Verrückten die Hoffnung besessen haben sollen, die feindlichen Armeen vermittels der unorganisirten schwächlichen Truppentheile zu erdrücken, die Frankreich zu jener Zeit besaß. Paris ging natürlich verloren, dazu der Osten, die Linie der Loire und viele Festungen, eine Schlappe folgte auf die andere, und als sie dem Feinde keinen Widerstand mehr leisten konnten, waren sie seiner Gnade preisgegeben. Deutschland befand sich in der Lage, die Bedingungen zu dictiren, und Frankreich gezwungen, sie anzunehmen.
Um krankhaften Leidenschaften zu schmeicheln und die Armee zu brandmarken, wurde behauptet, daß durch den letzten äußersten Widerstand zum mindesten die Nationalehre gerettet worden sei. Auch dies ist eine Unwahrheit, aus der Kapital geschlagen wurde und ein Vorurtheil sich herausgebildet hat. Durch die Rheinarmee wurde die Nationalehre gerettet, lange bevor die Demagogen daran gedacht hatten. In einem einzigen Tage brachte meine Armee den Deutschen schwerere Verluste bei, als sämmtliche in Paris angesammelten Truppen binnen vier Monaten vermochten. Ich verlor den dritten Theil meiner effectiven Mannschaft durch Pulver und Blei, hatte in den Ambulancen von Metz nicht weniger denn 25000 Verwundete. Die Cadres litten am ärgsten, und nachdem ein Regiment von drei Bataillonen seine sämmtlichen Oberoffiziere verloren hatte, blieb es unter dem Commando eines Kapitäns. Bei Sedan waren 14000 unserer Truppen gefallen, bevor die Schlacht verloren gegeben wurde. Mac-Mahon und ich hatten zuweilen Unglück, machten uns aber niemals lächerlich, und meines Wissens hat kein deutscher General viel gelacht, wenn er mir im Kampfe gegenüberstand.
Wenn irgendetwas den Verlust der Nationalehre hätte herbeiführen können, dann war es das Schauspiel von Paris und Tours. Ersteres durch seine innern Zerwürfnisse angesichts des Feindes, seine Angriffe auf das Hôtel-de-Ville, seine Regierungsalbernheiten, seine Kundgebungen durch eine anmaßende und lärmende Miliz, das Blut und die Barrikaden in seinen Straßen und seine schließliche vollständige Hülflosigkeit. Das zweite durch seine Dictatur der Zufälligkeiten, seine Reden, Beschwörungen, militärischen Ansprüche, seine gar zu komische Strategie, seine schmählichen Contracte für Rüstungsgegenstände und seine Ankäufe unbrauchbarer Waffen, seine Verschleuderung aller Kräfte, seine ohnmächtigen Hülfsmittel, die das Land leider zu rasch bereit war, den Dictatoren zur Verfügung zu stellen!
Ich bin ein alter Soldat, der nichts von Politik versteht. Ich habe Feldzüge mitgemacht, aber keine Reden gehalten, und lasse mich nicht, gleich vielen andern, durch hochklingende Worte fangen. Ein Mitglied jener Abenteurerregierung – wenn ich nicht irre, war es Jules Favre – gab mir im Namen seiner Collegen eines Tages den Beinamen »unser Ruhmgekrönter«. Offenbar geschah dies, um mir zu schmeicheln; aber ich gestehe, daß er seine Wirkung auf mich verfehlte. Bald nachher beliebte sein College, Herr Gambetta, mich in entgegengesetztem Sinne zu charakterisiren. Er erklärte mich zum Hochverräther und befahl, mich als den schlimmsten aller Verbrecher zu betrachten. Die großen Phrasen Gambettas machten auf mich nicht mehr Eindruck als die Schmeicheleien seines Freundes und Collegen Jules Favre.
Die öffentliche Meinung täuschte sich über mich genau so wie nach der mexicanischen Expedition. Im allgemeinen wurde nicht zugestanden, daß ich Mexico auf Geheiß meiner Regierung verlassen habe. Dem Kaiser blieb die Wahl zwischen der Räumung Mexicos und der Möglichkeit eines Conflicts mit den Vereinigten Staaten. Um diese zu vermeiden, ertheilte er die Ordre zn meiner Heimkehr. Wurde mir doch sogar der Tod des Kaisers Max zum Vorwurf gemacht, und geschieht dies mitunter noch bis auf den heutigen Tag! In Amerika müssen alle diese Umstände richtig gewürdigt worden sein. Kaiser Max, welcher aus hier fern liegenden Gründen nicht nach Oesterreich zurückzukehren wünschte, wollte sich nicht gleichzeitig mit meinen Truppen einschiffen. Er gestand jedoch zu, daß Kaiser Napoleon nicht im Stande wäre, ihn gegen den Willen der Vereinigten Staaten und der öffentlichen Meinung Frankreichs zu halten, welche letztere einer Occupation Mexicos mit jedem Tage ungünstiger wurde. Statt den Rathschlägen meiner gereiften Erfahrung zu gehorchen, warf er sich in das Innere des Landes, woselbst er mit seinen besten Generalen wenige Monate nach der Abfahrt meiner letzten Soldaten eines ehrenhaften Todes starb. Dies ist die Wahrheit, und möge jeder seine eigene Verantwortlichkeit tragen! Ich könnte mich für manche bittere Angriffe mit dem Gedanken trösten, daß Ihr unsterblicher Washington auch nicht gänzlich gefeit war gegen Beleidigungen der Gattung, die gegen mich geschleudert wurden, und daß sein Freund Lafayette noch fürchterlichere Prüfungen als ich durchzumachen hatte. Letzterer erlebte die Hinrichtung seines Souveräns, Ludwigs XVI. Seine eigenen Truppen klagten ihn an und weigerten ihm den Gehorsam. Um einem Urtheile, wie es mir beschieden war, zu entgehen, sah er sich zur Flucht in das Lager des Feindes, unter die Soldaten des Kaisers von Deutschland, gezwungen. Gott sei Dank, ich war minder unglücklich als der große Patriot!
Ich bin nichts weniger denn reich, dennoch besitze ich außer meiner Freiheit unschätzbare Reichthümer. Ich habe zur Lebensgefährtin eine amerikanische Frau, welche mir die größten Beweise von Hingebung gegeben hat, die sich einer Frau zumuthen lassen. Ich habe Kinder, die ich anbete, einen vortrefflichen Bruder, der mir Muth einflößte, wenn ich dessen bedurfte, und einige Freunde, die so treu wie je zu mir stehen. Meine Lage ist demnach keine verzweifelte. Ich beklage mich selber nicht, wünsche ebenso wenig von andern beklagt zu werden. Wenn es sein muß, will ich einem Ihrer Landsleute, dem berühmten General Lee, dem Besiegten von Richmond, nachahmen und in der Arbeit Mittel zur Erhaltung meiner Familie suchen. Ich lasse mich nicht durch das Schicksal beugen und habe meine niedrige Abkunft nicht vergessen. Ich war gemeiner Soldat, trug Tornister und Muskete und fühle mich durch Arbeit weder eingeschüchtert noch erniedrigt. Noch sehe ich meine Soldatenlaufbahn nicht als abgeschlossen an, noch fühle ich mich voll Kraft nnd Gesundheit. Ich habe noch Pflichten zu erfüllen, und ich werde sie erfüllen, wenn der Augenblick gekommen sein wird. Dann wird das Schicksal, welches zuletzt so grausam gegen mich gewesen, mir ohne Zweifel das letzte Lächeln gönnen, das es alten Soldaten so oft gewährt.
Genehmigen Sie u.s.w.
Marschall Bazaine.
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