Frei Lesen: Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3

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Willibald Alexis

Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3

Dorothea Götterich

eingestellt: 7.8.2007



In Neubrandenburg, einer ansehnlichen Stadt des Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz, lebte um das Jahr 1770 eine Witwe namens Margarete Elisabeth Hoffmann. Sie wohnte mit ihren drei Kindern, von denen das älteste, ein Knabe, acht Jahre, das zweite, ein Mädchen, drei Jahre und das jüngste, wieder ein Knabe, ein Jahr alt war, vor dem Friedlandschen Tore in einem Häuschen, das von einem kleinen Garten umgeben war. Ihr Ehemann, der Papiermachergeselle Gottfried Hoffmann, war das Jahr zuvor gestorben und hatte seine Frau mit ihren drei Kindern in Armut und Dürftigkeit hinterlassen. Sie ernährte sich kümmerlich von dem Ertrag ihres kleinen Gartens und von dem Betrieb einer Schankwirtschaft, außerdem erhielt sie mit Rücksicht auf die herrschende große Teuerung und auf ihren frommen und achtbaren Wandel hin und wieder durch wohltätige Hände kleine Unterstützungen an Geld und Lebensmitteln.

Neben der Hoffmann wohnte der Altflicker Schramm in einem Garten. Als dessen Frau am 23. Oktober 1770 in ihren Garten kam, traf sie dort das Schwein der Nachbarin Hoffmann an, die Läden vor den Fenstern nach dem Garten zu waren noch geschlossen, und der Schramm fiel ein, daß ihr tags zuvor die Hoffmann selber erzählt hatte, sie wolle morgen nach einem auf den sogenannten Heiden liegenden Garten zum Kartoffelausnehmen gehen, und vermutete deshalb, die Nachbarin wäre nicht zu Hause. Sie begab sich also zu einer anderen Nachbarin, der Jägersfrau Otte, einer Freundin der Hoffmann, und bat sie, ihr zu helfen, das Schwein einzutreiben. Die Bemühungen der beiden Frauen waren aber vergeblich, und die Schramm schlug daher vor, die Otte möge über den Zwischenzaun in den Hoffmannschen Garten steigen und den ältesten Sohn der Hoffmann herbeirufen, damit der ihnen helfe, das Schwein anzulocken und in den Stall zu bringen. Die Otte war damit einverstanden, aber kaum war sie in das Haus eingetreten, als sie unter heftigem Geschrei wieder herausstürzte und der Schramm zurief, sie habe aus dem Bett der Hoffmann eine blutige Hand heraushängen sehen. Daraufhin eilte denn auch die Schramm in das Haus hinein. Dort wartete ihrer ein gräßlicher Anblick. Die Hoffmann und ihre drei Kinder lagen, blutig und furchtbar entstellt, tot in den Betten. Voll Entsetzen verließen beide Frauen das Haus wieder; schnell verbreitete sich nun in der Stadt die grauenvolle Nachricht, und noch an demselben Tag verfügte sich das Stadtgericht unter Begleitung der Medizinalpersonen in die Hoffmannsche Wohnung, um den Tatbestand gerichtlich festzustellen. Man fand die Witwe Hoffmann und ihre beiden ältesten Kinder tot im Bett, das jüngste Kind lag ebenfalls tot daneben in der Wiege.

Bei der vorläufigen Besichtigung stellte es sich heraus, daß die Frau mehrere Axt- oder Beilhiebe auf den Kopf erhalten hatte, durch die ein Stück der Hirnschale losgelöst worden war. Außer den Wunden am Kopfe bemerkte man an beiden Armen mehrere Wunden, die allem Anschein nach mit einem scharfen Instrument, einem Pallasch oder dergleichen, hervorgebracht worden waren. Der älteste Knabe blutete aus zahlreichen Kopfwunden. Die Hiebe waren so heftig gewesen, daß die Hirnschale auf drei Seiten gespalten war. An der Leiche des danebenliegenden Mädchens fand man mehrere Verletzungen im Gesicht und am Kopfe, und die Hirnschale war durch mehrere wuchtige Schläge zerquetscht. Das in der Wiege liegende Knäbchen war durch mehrere Hiebe verstümmelt worden; ein Hieb hatte den Kopf in zwei Teile getrennt. Aus der Lage der Mutter und ihrer Kinder wie auch aus dem Zustande des Bettes schloß das Gericht, daß die Unglücklichen im Schlaf überfallen und ohne Widerstand ermordet worden sein mußten.

Dieser vorläufigen Besichtigung folgte eine gründliche Untersuchung durch die Ärzte, deren Ergebnisse ein dem Gericht erstatteter Bericht enthält.

Der Bericht beschreibt jede einzelne Wunde und schließt mit der Bemerkung, daß die Hoffmann und ihre drei Kinder durch eine ungeheure Menge von Axthieben, zusammen gegen siebzig, getötet worden seien und der Mörder außerdem Bettstelle und Kopfkissen mit vielen Axthieben beschädigt habe.

Das Gericht nahm unmittelbar nach Besichtigung der Leichen eine genaue Haussuchung vor. Man fand zwar nirgends Spuren eines gewaltsamen Eindringens, vermißte aber die Schlüssel zum Hause und zu den verschiedenen Behältnissen im Hause. An der Erde neben dem Bett der ermordeten Frau lag ein Beil, von dem festgestellt werden konnte, daß es der Hoffmann gehörte; es zeigte aber an keiner Stelle Blutspuren.

Nachdem die Leichen der Totenfrau übergeben worden waren, versiegelte das Gericht die Türen nach dem Boden und nach der Kammer, stellte eine Wache ins Haus und schritt dann zur Vernehmung des Ehepaares Schramm und der Jägersfrau Otte, »welche zuerst dieses Unglück bemerket.« Der Inhalt ihrer Aussagen ist bereits erwähnt. Darauf wurde die achtzehnjährige Klähn vorgefordert und verhört. Sie gab an, daß sie fast zwei Jahre bei der unglücklichen Hoffmann gedient habe, wegen der jetzigen teueren Zeiten aber am vergangenen Sonnabend abends aus dem Dienst entlassen worden sei. Die selige Hoffmann hätte eine Herberge gehabt, jedoch nicht leicht jemand logiert; so hatte sie am Freitag noch zwei Kerls, von denen der eine in Husarenmontierung gegangen sei und der andere ein ziemlich bepacktes Pferd geritten habe, nebst drei Weibern, die bei ihr hätten logieren wollen, abgewiesen. Ferner sei seit etwa drei Wochen eine Frau, die sich für eine in Sültz abgebrannte Person ausgegeben und des Tages sich allerlei Viktualien, wie Grütze und Backobst, gesammelt habe, bei der seligen Hoffmann bekannt geworden; anfangs hätte sie nur eine Nacht bei ihr geschlafen und wäre hierauf wieder nach Friedland gegangen; nach etwa acht Tagen wäre sie aber wiedergekommen und hätte sich verschiedentlich bei ihrer seligen Frau sowohl des Tages als auch des Nachts, einmal wohl fünf bis sechs Nächte hintereinander, aufgehalten und auf einer Streu in der Stube geschlafen.

Die Frau wäre eine mittelgroße Person gewesen, nicht mehr ganz jung, dick von Leibe und mit schwarzen Haaren und dabei, wie es geschienen habe, etwas liederlich, weil sie mit den dahin zu Bier kommenden Hechelträgern sich sehr dreist gemacht habe. Am Donnerstagabend wäre diese Person, nachdem sie den Tag über bei ihnen im Hause verweilt habe, weggegangen, und die Zeugin habe sie nachher nicht wiedergesehen. Sie wäre übrigens in einem sehr armseligen Zustand gewesen und hätte nichts als einen schwarz- und weißgestreiften Rock und ein ziemlich neues Kamisol von blau-, rot-, grün- und weißgeäugeltem Wollzeuge, eine schwarze Mütze, eine blaugedruckte Schürze und ein rotgewürfeltes Tuch, sonst aber nicht ein Hemd oder sonstiges Paket gehabt; auch sei der Frau bekanntgewesen, daß sie, die Zeugin, von ihrer Herrin wegziehen, letztere also allein sein würde.

Noch während dieses Verhörs wurde gemeldet, daß tags zuvor, also am 23. Oktober, ganz in der Frühe der Schuster Appel unmittelbar vor der Stadt ein in eine blaue Schürze eingewickeltes Paket, neben dem ein Strohhut gelegen habe, gefunden und diesen Fund durch den Polizeidiener habe ausrufen lassen. Das Paket wurde sofort herbeigeholt, und es fand sich, daß mehrere weibliche Kleidungsstücke, einige Ellen Leinwand und etwas Bettzeug darin waren. Von den Kleidungsstücken mit Ausnahme einer alten schwarzen, blutbefleckten Mütze und eines schmutzigen, zerrissenen Schnupftuches behaupteten mehrere Personen, daß sie der ermordeten Hoffmann gehört hätten, Mütze und Schnupftuch dagegen hatte die Weibsperson getragen, die von der Zeugin Klähn beschrieben worden war. Der Verdacht hatte damit eine ganz bestimmte Richtung gewonnen, und noch am Abend des 24. Oktober gingen Steckbriefe an alle benachbarten Städte ab, in denen gebeten wurde, die des vierfachen Mordes verdächtige Weibsperson festzunehmen. Gleichzeitig machten sich freiwillig mehrere Bürger zu Pferde auf, um die Nachbarschaft zu durchstreifen und auf die Mörderin zu fahnden.

Bei der allgemeinen Teilnahme der Stadt an dem traurigen Schicksal der Witwe Hoffmann, die wegen ihres christlichen Wandels überall beliebt gewesen war, wurde vom Gericht, wie es in den Akten heißt, beschlossen, »den ermordeten Personen durch ein solennes Begräbnis eine Art der letzten Ehre zu erweisen. Ebenso hatten sich auch die Pastoren, sowie die Schulkollegien zur Begleitung der Leichen bereitwillig finden lassen«. Diese feierliche Beerdigung fand denn auch am 26. Oktober statt. Die Leichen waren in zwei Särge gelegt, in deren einem die Mutter mit dem kleinsten Kinde, in deren anderem die zwei anderen Kinder lagen. Die Schützenzunft und die Schusterzunft hatten ihre besten schwarzen und mit Gold besetzten Leichenlaken zur Bedeckung der Särge freiwillig und unentgeltlich hergegeben. Nachdem die Särge aus dem Hoffmannschen Gartenhause am frühen Morgen nach dem am Marktplatz gelegenen Trautschen Hause gebracht worden waren und sich die Trauerversammlung dort gegen zwei Uhr nachmittags eingefunden hatte, wurden vor der Tür zunächst von der ganzen Schule einige auf diesen Trauerfall passende Lieder gesungen und dann von dem Pastor Jacobi eine (später gedruckte und den Akten beigegebene) Trauerrede gehalten. Darauf wurden die beiden Särge von freiwilligen Trägern aus der Schützenzunft aufgehoben und unter dem Gesang des Schulchores und dem Geläut aller Glocken in feierlichem Zuge, in dem sich der gesamte Magistrat, die Schützen-, Schuster- und Schneiderzunft und viele angesehene Personen aus der Stadt befanden, an einer großen Zahl von Zuschauern vorüber durch den Ort getragen. Der Zug bewegte sich über den Marktplatz, an der Apotheke vorbei, nach dem sogenannten wüsten Kirchhofe hinaus, und dort wurden die Särge an der Seite des ein Jahr vorher gestorbenen Ehemanns und Vaters der Ermordeten in die Gruft gesenkt.

Am Tage nach der Beerdigung, am 27. Oktober, und zwar abends gegen sieben Uhr, überbrachte ein reitender Bote vom Bürgermeister Spiegelberg aus Friedland dem Gericht ein Schreiben mit der Anzeige, »daß er in Veranlassung der ihm bekannt gewordenen hier begangenen abscheulichen Missetaten zur Erforschung der Täter in Friedland unterderhand habe vigilieren lassen und infolgedessen in Erfahrung gebracht, daß abgewichenen Dienstag dort eine Weibsperson gewesen, welche sich daselbst ganz und gar umgekleidet, demnächst sich aber, unter Zurücklassung ihres bisher getragenen Kamisols und ihrer Mütze, wieder entfernt habe«.

Noch an demselben Abend gegen zehn Uhr wurden infolge dieser Mitteilung der Bauzunftshauptmann Jacobs und der Viehhändler Schmidt auf deren freiwilliges Anerbieten hin mit Steckbriefen und Requisitionsschreiben abgesandt, um die weiteren Spuren der Mörderin von Friedland aus zu verfolgen und ihre Verhaftung und Einlieferung zu veranlassen. In Friedland erfuhren die beiden Bürger von Neubrandenburg, daß sich eine Frau, die nach der Beschreibung der im Steckbrief gekennzeichneten Person aufs genaueste glich, bei dem Schneider Schultz zwei Nächte lang aufgehalten und sich von ihm ein neues Kamisol, eine schwarzflanellene Mütze und eine blau- und weißgewürfelte leinene Schürze hatte anfertigen lassen und sich auch ein Paar neue rot- und weißwollene Strümpfe in einem Kramladen gekauft hatte, dann aber nach Anklam gegangen war, und zwar unter dem Vorgeben, daß dort ihr Ehemann namens Witt wohne, der als Grenadier dort in Garnison stehe. Jacobs und Schmidt machten sich in Begleitung zweier Bürger aus Friedland, des Viehhändlers Johann Rösing und des eben erwähnten Schneiders Schultz, die sich ihnen freiwillig angeschlossen hatten, sofort zur gemeinschaftlichen Verfolgung der Frau nach Anklam hin auf und trafen dort am 28. Oktober morgens acht Uhr ein. Hier erfuhren sie bald, daß die von ihnen verfolgte Person die Ehefrau des dortigen Grenadiers Götterich sei; sie trafen sie im Quartier des Soldaten Liermann an und veranlaßten, daß sie auf Befehl des Generalmajors Baron von Lobeck sofort festgenommen wurde.

Nach einem vorläufigen Verhör vor dem Stadtgericht in Anklam stellten die beiden Neubrandenburger Bürger den Antrag, daß die Götterich ihnen übergeben werden möge.

Dem Ansuchen wurde stattgegeben, und die Götterich wurde schon am 30. Oktober in das Gefängnis von Neubrandenburg eingeliefert.

Dorothea Götterich war zur Zeit der Untersuchung ungefähr vierzig Jahre alt. Sie stammte aus Stavenhagen, wo ihr Vater Schuhmacher gewesen war. Beide Eltern hatte sie in frühester Jugend verloren und sich seit ihrem zehnten Jahre unter fremden Leuten aufgehalten. Über ihre Erziehung geben die Akten keine Auskunft. Nachdem sie etwa sechzehn Jahre hindurch bei verschiedenen Herrschaften in Dienst gestanden hatte, verheiratete sie sich im Jahre 1756 mit dem damals zu Stralsund in schwedischen Diensten stehenden Artilleristen Götterich. Beide Eheleute lebten in den ersten Jahren in ziemlich verträglicher Ehe. Später wurde dem Götterich der schwedische Dienst lästig, und er beschloß, zu den Preußen überzugehen. Seine Ehefrau war mit diesem Plane nicht einverstanden, es entspannen sich häusliche Zwistigkeiten, die allmählich zu einer völligen Entfremdung der Ehegatten führten. Im Jahre 1768 desertierte Götterich wirklich nach Anklam und ließ sich bei den Preußen anwerben. Als seine Ehefrau ihm dorthin folgte, spiegelte er seinem Kommandeur vor, daß sie ihn verleiten wolle, zu den Schweden zurückzukehren, und brachte es auf diese Weise so weit, daß seine Frau aus der Stadt verwiesen wurde und er in Zukunft von ihr befreit war.

Von dieser Zeit an lebte die Götterich von ihrem Ehemann getrennt und trieb sich bald hier, bald dort arbeitend oder bettelnd herum. Auf diesen Streifzügen ließ sie sich auch verschiedene Diebstähle zuschulden kommen, wurde mehrmals dabei ergriffen und zweimal zu Staupenschlag verurteilt. In der letzten Zeit durchzog sie hauptsächlich Mecklenburg-Strelitz und kam auch wiederholt nach Neubrandenburg, wo sie in der Krugwirtschaft bei der Witwe Hoffmann zu übernachten pflegte. Schon im ersten Verhör vor dem Gericht in Neubrandenburg legte sie das Geständnis ab, daß sie allein den Mord begangen habe. Später widerrief sie diese Angabe und behauptete, daß zwei schwedische Deserteure die Mörder gewesen seien und sie nur Schildwache gestanden habe, aber bald darauf nahm sie auch diesen Widerruf wieder zurück und bekannte, daß sie die Hoffmann und ihre Kinder selbst und ohne Beihilfe anderer umgebracht habe. Bei diesem Bekenntnis ist sie bis zum Schluß der Untersuchung geblieben, und zwar ist nach ihren Erzählungen der Hergang folgender gewesen.

In der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober schlief die Götterich bei der Hoffmann; am 22. ging sie mit Tagesanbruch fort und bettelte in mehreren Dörfern. Abends kehrte sie nach Neubrandenburg zurück und kam gegen acht Uhr wieder zu der Hoffmann, die sie beim Abendbrot traf. Sie wurde von der Hoffmann eingeladen, mitzuessen, und nahm infolgedessen an der Mahlzeit teil. Nach Tisch wurden die Kinder zu Bett gebracht, der Götterich wurde ein Lager am Ofen zurechtgemacht, und es wurden noch verschiedene häusliche Geschäfte besorgt. Als die Hoffmann damit fertig war, holte sie einen Beutel mit Geld vom Boden herunter und legte das hinzu, was sie den Tag über eingenommen hatte. Bei dieser Gelegenheit sah die Götterich mehrere Speziestaler und ein Goldstück im Besitze der Hoffmannn. Dieser Anblick reizte sie und erweckte den Wunsch in ihr, sich das Geld anzueignen. Sie besaß zwar selbst noch ungefähr zwei Taler, die sie sich soeben erst zusammengebettelt hatte, und litt damals nicht gerade Not; allein sie hätte sich gern verschiedene Kleidungsstücke gekauft und hoffte außerdem, daß ihr Mann sie wieder aufnehmen werde, wenn sie ihm eine größere Geldsumme ins Haus brächte.

Als die Hoffmann zur Ruhe gegangen war, legte sich die Götterich ebenfalls nieder. Aber der Schlaf floh sie, der Beutel mit Geld, die Speziestaler und das Goldstück standen ihr beständig vor den Augen, die Begierde nach diesen Schätzen wurde immer heftiger, sie stand endlich auf, zog sich an und schlich die Treppe nach dem Bodenraum hinauf, in dem sich, wie sie wußte, das Geld befand. Schon glaubte sie sich am Ziel ihrer Wünsche, da knarrte eine Stufe, auf die sie getreten war, das in der Wiege liegende Kind fing an zu schreien, die Hoffmann erwachte, und sie bekam Angst, entdeckt zu werden.

Sie verhielt sich ganz still, dann stieg sie die Treppe leise wieder herunter und suchte ihr Lager auf.

Kaum aber war wieder alles um sie her eingeschlafen, als der Versucher von neuem an sie herantrat. Jetzt tauchte der Gedanke in ihr auf, die Hoffmann zu töten und dann in aller Sicherheit das Geld zu rauben. Anfänglich erschrak sie vor diesem fürchterlichen Gedanken, es wurde ihr heiß und kalt dabei; aber das Gold glitzerte immer verführerischer, der Gedanke verlor immer mehr von seiner Furchtbarkeit, sie stand nochmals auf und holte die Axt herein, die draußen in der Küche stand.

Mit der Axt in der Hand trat sie nun an das Bett hinan, in dem ihre Wirtin, die nichts Böses ahnte, ruhig schlummerte. Schon hatte sie die Axt erhoben, da kam der Mond hinter einer Wolke hervor und warf das bleiche Licht auf die schlafenden Kinder. Die Mörderin schrak zusammen, sie lehnte die Axt an die Tür und legte sich nochmals zu Bett. Wohl eine halbe Stunde lag sie dort, der Kampf zwischen ihrem Gewissen und der teuflischen Gier nach dem Gelde, das sie geblendet hatte, kam nicht zu Ende.

Mehrmals versuchte sie aufzustehen und die Axt von neuem zu ergreifen, aber es war, als wenn sie im Bett zurückgehalten würde und den Arm nicht bewegen könnte.

Der Mond schien hell, und sein Licht jagte der Verbrecherin eine solche Angst ein, daß sie den Kopf tief in die Kissen vergrub und halblaut ein Vaterunser betete, um sich vor dem Bösen zu schützen. Sie schlief wirklich wieder ein, aber nach kurzer Zeit weckte sie ein Traum, daß sie mit einem ganzen Sack voll Geld nach Anklam gekommen sei und ihr Mann sie so zärtlich umarmt habe, wie er es in der ersten Zeit ihrer Ehe getan hatte. Der Mond schien nicht mehr, der stumme Warner hatte sich hinter schwere schwarze Wolken versteckt. Jetzt fuhr sie in die Höhe, ergriff die scharfgeschliffene Axt und erschlug die Mutter und ihre drei Kinder.

Als der erste wuchtige Hieb auf den Kopf der Hoffmann fiel, erwachte der älteste Knabe und rief: »Mütterchen, Mütterchen, was ist denn mit dir?« Aber schon ist die Axt von neuem geschwungen und der Knabe zum Schweigen gebracht. In rascher Folge schlägt nun die Götterich auf die Köpfe ihrer Opfer so lange ein, bis keins von den Kindern mehr am Leben ist.

Nun bückt sie sich über die Leichen, plötzlich scheint es ihr, als fingen sie an, den Mund zu öffnen und die Glieder zu bewegen.

In wahnsinniger Angst dreht sie die Axt um und zerschmettert mit zahlreichen Schlägen die Schädel, die Bettstelle und die Wiege.

Jetzt bemächtigt sie sich der Schlüssel, schließt hastig den Koffer auf, nimmt den Beutel mit Geld an sich, rafft Leinen und Kleidungsstücke zusammen, wäscht sich in der Küche die Hände und eilt durch die Hintertür aus dem Hause.

Ehe sie noch die Landstraße erreicht hat, bricht sie zusammen; bis die Sonne aufgeht, bleibt sie erschöpft an einem Zaune liegen, dann schleppt sie sich mühsam weiter und erreicht endlich Friedland und am folgenden Tage Anklam, wo sie, wie wir wissen, acht Tage nach dem Morde verhaftet wird.

Die Untersuchung wurde noch im Laufe des November mit dem artikulierten Verhör geschlossen. Zuletzt wurde der Götterich, wie es in den Akten heißt, vorgehalten, »wie es fast nicht wahrscheinlich sei, daß sie mit einemmal zu einem solchen Grad der Bosheit hinansteigen könnte, um vier Personen, und darunter drei unschuldige Kinder, um eines so kleinen Gewinstes willen mit Beiseitesetzung alles menschlichen Mitleidens und mit siebzig Axthieben ums Leben zu bringen; man müsse daher fast vermuten, daß sie außer den zugestandenen Diebereien noch durch gröbere Missetaten ihr Herz verhärtet und sich gleichsam zu unmenschlichen Handlungen zubereitet hätte; sie möge daher ein aufrichtiges Bekenntnis darüber ablegen, ob sie nicht vorher schon Räubereien und gewaltsame Diebereien mit Einbrüchen allein oder in Gesellschaft anderer begangen habe«. – »Es will aber Inquisitin hiervon nichts an sich kommen lassen.«

Auf die Frage, »ob ihr nicht diese begangene Tat herzlich gereue«, antwortete sie mit »Ja!«

Auf die weitere Frage, »ob sie etwas zu ihrer Verantwortung und Beschönigung anzubringen wüßte«, antwortete sie, »sie wüßte dergleichen nicht anzubringen. Wäre ihr Mann in Stralsund geblieben, und wäre ihr hiernächst nicht der Aufenthalt bei ihrem Manne in Anklam verboten, hätte mithin ihr Mann sie an sich gehalten, so wäre sie nicht zu dem Herumlaufen und hinfolglich nicht zu dem jetzigen Unglück geraten. Hätte die Hoffmann des Montags abends nicht das Geld heruntergeholt und ihr solches gezeigt, so würde ihr auch nicht der Gedanke beigefallen sein, zu stehlen, noch viel weniger vermittelst eines Mordes solches an sich zu bringen.«

Nachdem sie endlich noch befragt worden war, »ob sie auch einen defensorem verlange und hierzu jemand in Vorschlag zu bringen wisse«, und sie darauf geantwortet hatte, »sie überlasse solches der Verfügung des Gerichts«, wurde ihr vorgestellt, »daß ihr eigen Gewissen sie ja davon überzeugen würde, daß auf ihre geständlich bösen Taten auch ein böser Lohn und eine wohlverdiente Strafe erfolgen müsse, und da sie selbst erkennete, daß sie zu ihrer Entschuldigung nichts vorzubringen wisse, daher auch ein zu bestellender advocatus und Vorsprecher bei dem weltlichen Gerichte nichts würde vortragen können, wodurch sie von der verdienten Strafe möchte freigesprochen werden, so würde sie ihre größte und einzige Sorge dahin gerichtet sein lassen, um bei dem göttlichen gestrengen Gerichte einen solchen vollgültigen Fürsprecher zu erhalten, durch dessen heiliges Blut ihre mit Blut befleckten Hände rein gewaschen werden, und sie bei diesem höchsten Richter Vergebung und Gnade erlangen möge«.

Demnächst wurde »a judicio resolviert, den Herren pastoribus kundmachen zu lassen, welchergestalt das Verhör der Inquisitin vorderhand geendigt sei, und man daher den Herren pastoribus überließe, mit Unterrichtung und Präparierung der Inquisitin den Anfang zu machen, zu welchem Ende auf der Plattenburg eine Stube zubereitet werden sollte«.

Am 28. November wurde die Verteidigungsschrift zu den Akten gegeben. Der Verteidiger gesteht darin zu, »daß die Tat offenbar, und daß sie von der Beschaffenheit sei, daß alles, was Mensch heiße, was irgend menschliche Empfindungen hege, sie verabscheue und zittere. Nichts sei also notwendiger, nichts den natürlichen, göttlichen und positiven Gesetzen angemessener, als daß diese Missetäterin Blut mit Blut bezahle, damit über uns und unsere Nachkommen keine Blutschuld in unserem Lande gehäuft werde. Der notarisch verübte vierfache Mord scheine der Inquisitin primo intuitu nichts anderes als poenam latrocinii eamque exasperatam anzukündigen. Bei reiflicher Überlegung der Sache aber fänden sich tausend Umstände, welche diese Strafe den Rechten nach ungemein zu mildern vermögend und zureichend seien«. Solche Milderungsgründe findet der Verteidiger in dem Umstande, daß die Angeklagte von armen Eltern geboren sei, daß sie ihre Eltern in frühester Jugend verloren habe, daß sie die schlechteste Erziehung, die man sich denken könne, und ganz und gar keinen Unterricht in der christlichen Religion genossen habe und auf diese Weise ihr Verstand nicht entwickelt und ihr Wille nicht gebessert worden sei. Sie sei wie ein Vieh aufgewachsen, und einem unvernünftigen Tiere gleich habe sie während ihrer Dienstzeit nur das getan, was man sie geheißen habe. Dadurch, daß sie sich anno 1756, zu Anfang des vorigen Krieges, an einen schwedischen Soldaten verheiratet habe, sei die erste Grundlage zu ihrem künftigen Unglück gelegt worden; denn sie sei im Kriege ihrem Mann überallhin gefolgt, und wem könnten die Sitten der Soldaten besonders in Kriegszeiten wohl unbekannt sein? Dort sei allen Lastern, allen Verbrechen Tür und Tor geöffnet. »Nulla fides, pietasque viris, qui castra sequuntur«, so schildere schon der alte heidnische Poet Virgilius das Kriegsvolk. Die Angeklagte habe damals nichts anderes als Rauben, Würgen und Morden gesehen und von nichts anderem als von diesen Dingen gehört; das alles habe sie für recht gehalten, und böse Exempel machten böse Sitten. Später seien Uneinigkeiten zwischen den Eheleuten entstanden; ihr Mann habe sie selbst angeklagt, daß sie es darauf angelegt habe, ihn zum Ausreißen zu verführen; sie sei infolgedessen von ihrem Manne getrennt und die Stadt sei ihr verboten worden. Durch solche Umstände sei sie auf die Bahn der Verbrechen, des Diebstahls und des Mordes, gedrängt worden; sie sei einem wütenden Tiere oder einem rasenden Menschen gleich und nicht ihres Verbrechens wegen zu strafen, sondern nur in Sicherheit zu bringen, daß sie hinfüro nicht mehr schaden könne; höchstens müsse sie durch die leichteste Todesart aus dieser Welt geschafft werden. Ihre erschreckliche Einfalt erhelle namentlich auch daraus, daß sie kurz vor der furchtbaren Tat noch – ein Vaterunser gebetet, ferner daraus, daß sie sich nicht nach verübtem Morde durch die Flucht außer Gefahr gebracht, sondern sich in aller Ruhe zu Anklam aufgehalten und sich auch dann nicht weiter vom Schauplatz ihrer Mordtat entfernt gehabt habe, als bereits volle acht Tage seit dem Verbrechen vergangen gewesen seien. Dies bekunde eine mehr als tierische Dummheit. Ferner findet der Verteidiger in dem Umstände, daß die Hoffmann ihr Geld in Gegenwart der Angeklagten aufgezählt habe, einen zugunsten der letzteren zu beurteilenden Anreiz zur Tat, den der geschäftige Teufel selbst herbeigeführt haben müsse. Unmöglich könne man daher einer Person, die durch die stärkste Gelegenheit gereizt worden sei, ihren sinnlichen Begierden Genüge zu tun, die niederzukämpfen sie vergebens versucht habe, ihre Handlungen imputieren. Nicht minder empfehle auch ihr freiwilliges Bekenntnis eine milde Beurteilung und eine milde Bestrafung ihres Verbrechens, so wie zu einer gleichen Folge auch der Umstand führen müsse, daß der größte Teil der geraubten Güter restituiert worden sei. Der Mord sei endlich ohne Bosheit und keineswegs prämeditiert vollbracht. Sie verdiene daher Mitleid, und es müßte ein Barbar, ein offenbarer Unmensch sein, dem in Erwägung aller Umstände nicht zugunsten der Inquisitin das Herz bluten könnte. Die Wehmut verhindere ihn, den Defensor selbst, ein mehreres hinzuzufügen, und er hoffe daher, daß die Inquisitin mit der Strafe des Schwertes begnadigt werden möchte.

Trotz dieser Ausführungen des Verteidigers lautete der Urteilsspruch dahin, »daß die peinlich Angeklagte wegen des an der Witwe Hoffmann und deren drei Kindern verübten und zugestandenen Mordes und Raubes ihr selbst zur wohlverdienten Strafe und andern zum abscheulichen Exempel mit dem Rade von unten auf vom Leben zum Tode zu bringen, auch der Körper hiernächst auf das Rad zu legen sei«.

In den Gründen wurde nachgewiesen, daß dieser Totschlag ein qualifizierter sei, und daß der Götterich, weil sie einen wirklichen Raubmord begangen habe, die Strafe des Rades habe zuerkannt werden müssen. Sodann geht die Begründung auf den Vortrag des Verteidigers ein und widerlegt die von ihm behaupteten Milderungsmomente. In dieser Beziehung wird gesagt, »weil Inquisitin bei dem Pastor Susemihl sieben Jahre lang in Dienst gestanden habe, sei zu präsumieren, daß sie von den Lehren des Christentums und den Pflichten gegen Gott und ihre Nächsten sattsam unterrichtet gewesen sei, überdies aber müsse ihr das siebente Gebot bekannt gewesen sein, da sie wegen der Übertretung desselben bestraft worden sei, und es zeuge daher von der Bosheit ihres Herzens, daß die früheren öffentlichen Züchtigungen nichts bei ihr effektuiert hätten; daß sie nicht beflissen gewesen, der Verhaftung durch die Flucht zu entgehen, müsse als eine Verblendung und als eine Wirkung der göttlichen Strafgerechtigkeit angesehen werden; die Unempfindbarkeit der Inquisitin bei den abgehaltenen Verhören könne nicht genugsam bewundert werden: die speziellen ihr abgefragten Umstände der horrenden traurigen Geschichte habe sie ohne alle Bewegung und gleichsam mit kaltem Blute erzählen können, und daher sei es auch sehr wahrscheinlich, daß sie ohne die Empfindung einer Grausamkeit und mit kaltem Blute das entsetzliche Gehacke verrichtet habe; solches gereiche jedoch nicht zu ihrer Exkulpation, sondern sei vielmehr ein Beweis ihres grundlosen, keines Mitleidens fähigen Herzens und verdiene daher auch kein Mitleiden. Ferner habe sie durch ihre böse Aufführung ihren Mann dahin gebracht, daß er, um ihrer loszuwerden, aus Stralsund desertiert sei. Ferner komme in crimine latrocinii nicht der Wert der gestohlenen Sachen, noch deren Restitution in Consideration, sondern allein die intentio spoliandi. Letztlich könne Inquisitin auch sich nicht auf eine spontaneam confessionem beziehen, inmaßen sie dieses Verbrechen auf andere Komplizen zu verschieben und sich von der wirklichen Handanlegung freizumachen gesucht, auch die Tat nicht eher völlig eingestanden habe, als bis sie der Lügen überführt worden sei. So habe die Inquisitin nichts für sich anführen können, welches die Minderung der gesetzlichen Strafe erwirken könne.

Weiter beschäftigen sich die Gründe des Erkenntnisses mit der Frage, ob nicht wegen des vierfachen Mordes die Strafe des Rades durch Reißen mit glühenden Zangen verschärft werden müsse. Es wird dargetan, daß für die Strafverschärfung allerdings viele Umstände sprächen, vor allem der, daß die Götterich eine grundböse, inkorrigible Person sei und den begangenen Mord auf eine solche horrible, grausame Art verrichtet habe. Andererseits erwägen die Urteilsverfasser, daß die Peinliche Halsgerichtsordnung die Zangenrisse nur in ganz bestimmten Fällen des Verwandtenmordes vorschreibt, und kommen schließlich dahin, man müsse in diesem Falle die mildere und humanere Sentenz wählen.

Es sei ja auch, heißt es in dem Urteil, die Strafe des Rades an sich so schrecklich, fürchterlich und schmerzhaft, daß solche schon Abscheu und Furcht erwecken könne, und welcher Bösewicht sich dadurch nicht schrecken und zurückhalten lasse, der werde auch die Zangen nicht scheuen. Die Strafe durch glühende Zangen sei so schrecklich, daß sie nur den grausamsten Missetätern aufbehalten bleiben müsse, und es sei die böse Welt noch nicht so böse, daß dergleichen latrocinia oftmalen vorgekommen wären, um weswillen wegen der Zunahme der grausamen Verbrechen auch grausame Strafen verhängt werden müßten.

Gleichwie inzwischen nicht zu leugnen stehe, daß die Tötung von vier Personen ein schwereres Verbrechen sei, als wenn eine ums Leben gebracht worden, hinfolglich qualitas facinoris in Betracht zu ziehen sei und eine Aggravation stattfinden möchte, und weil in dem Gesetz zwar generaliter die Strafe des Rades, aber nicht specifice determiniert sei, ob der Mörder von oben oder von unten gerädert werden solle und daher solche spezielle Determination dem arbitrio judicantium pro qualitate circumstantiarum heimgelassen zu sein scheine, und das Rädern von unten zwar die Schmerzen vermehre und die Strafe anderen fürchterlicher mache, jedoch diese cruciatus nur von kürzerer Dauer und mit den Zangenrissen nicht zu vergleichen seien, weil letztere eine halbe oder bei einem weiten Wege nach dem Gerichtsplatz eine ganze Stunde zu erdulden seien und dem armen Sünder die guten Gedanken gegen sein herannahendes Ende benehmen und ihn zur Verzweiflung bringen möchten, so würde die Strafe des Räderns dadurch exasperiert werden können, daß Inquisitin von unten auf mit dem Rade zerstoßen und getötet werden möge.

Nachdem das Urteil die landesherrliche Bestätigung erhalten hatte, verfügte sich der Gerichtssekretär am 12. Dezember 1770 zu der Verurteilten und machte sie, wie uns die Akten mitteilen, in Anwesenheit des bei ihr eben gegenwärtigen Pastors Zander damit bekannt, »daß heute über acht Tage das wider sie ausgesprochene Urteil vollstreckt werden und daß solcher Tag der letzte ihres Lebens sein würde, mit angefügtem Wunsche, daß E. E. Gericht es sehr angenehm und erfreulich sein würde, wenn sie zu diesem ihr bevorstehenden erschrecklichen Tage sich so zubereitet hätte, daß sie als eine bußfertige Sünderin vor dem Throne der großen Majestät Gottes erscheinen könne.«

Die Götterich hörte die Eröffnungen des Sekretärs mit stumpfer Gleichgültigkeit an und zeigte auch in den nächsten Tagen nicht die geringste Furcht vor dem Tode. Am 19. Dezember wurde das peinliche Halsgericht abgehalten. Das Protokoll darüber lautet also:

»Nachdem der heutige Tag dazu bestimmt worden, um das wider die peinlich angeklagte Götterichen abgefaßte Urteil vollstrecken zu lassen, so ist das peinliche Halsgericht alten Herkommens und Gewohnheit nach auf dem öffentlichen Markt im Namen Gottes, Sr. Herzoglichen Durchlaucht und E. E, Rats hieselbst gehegt, die Angeklagte vor dasselbe geführet und nach abgenommenen Banden ermahnet worden, ein nochmaliges öffentliches Geständnis ihrer Begangenschaften abzulegen, und hat selbige auf die ihr vorgehaltenen Artikel folgendergestalt geantwortet:

Art. 1. Wahr, daß du in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober die Witwe Hoffmannin und deren drei Kinder mit vielen Axthieben ums Leben gebracht? Resp.: Ja.

Art. 2. Wahr, daß du solches in der Absicht getan, um dich des Geldes und anderer der Hoffmannin gehöriger Sachen zu bemächtigen? Resp.: Ja.

Art. 3. Wahr, daß du das vorgefundene Geld und einige Kleidungsstücke aus dem Hoffmannschen Hause weggenommen? Resp.: Ja.

Hiernächst ist das angelegte Urteil durch den Secretar. Judicii publiziert.

Facta publicatione ist gewöhnlichermaßen der Stab gebrochen und die peinlich Angeklagte dem Nachrichter Mühlhaufen zur Vollenstreckung des Urteils übergeben worden.«

Vor der Abführung der Götterich hielt der Rat Fischer, Vorsitzender des Gerichts, vor versammeltem Volke die folgende Anrede an die dem Henker verfallene Mörderin:

»Götterichen! Ihr gehet nun von diesem Gerichte hinweg, allwo Euch das Leben abgesprochen und eine peinliche Strafe Eurem vergänglichen Leibe zuerkannt ist.

Wie lange wird es dauern, so werdet Ihr vor einem unendlich erhabenern Gerichte, vor dem strengen Richterstuhl des gerechtesten, allwissenden Gottes erscheinen müssen, allwo über Eure unsterbliche Seele ein Urteil ausgesprochen und derselben Zustand für alle Ewigkeit bestimmt werden wird. Möchtet Ihr doch allda einen versöhnlichen Richter finden, welcher Euch von Schuld und Strafe freispricht! Nur alsdann könnt Ihr eine freudige Hoffnung hiezu fassen, wenn Ihr Eure Sünden schmerzlich bereuet, Eure einzige Zuflucht zu den Wunden des Weltheilands genommen, dessen Gerechtigkeit im wahren Glauben Euch zugeeignet und diesen Freund der Sünder, der die Buße eines Mörders in der letzten Todesstunde angenommen hat, auch zu Eurem Freund gemacht habet, damit derselbe Euer Fürsprecher werde und mit seinem heiligsten teuern Blut Eure von Blut triefenden Hände abgewaschen und gereinigt werden.

Ihr habt am abgewichenen Sonntage die geärgerte Gemeinde um Vergebung bitten und ersuchen lassen, sich Euer mit einem herzlichen Gebete anzunehmen. Es wird auch ein jeder Christ in Ansehung Eurer teuer erlöseten Seele den gnädigen Gott, den Vater der Barmherzigkeit, anflehen, daß er Euch Barmherzigkeit widerfahren lassen, Eure Sünden Euch vergeben, Eure Seele zu Gnaden annehmen und in der bevorstehenden schweren Todesstunde Euch mit seinem kräftigen Troste beistehen wolle, damit dieser schmähliche Hingang ein froher Eingang in eine selige Ewigkeit werden möge.

Nun gehet hin und empfanget, was Eure Taten verdienet haben und Urteil und Recht mit sich bringet.«

Darauf wurde die Angeklagte unter dem Geleit der Schützengilde gebunden auf das Schafott geführt und dort das Urteil an ihr vollzogen.

Die Vorbereitung zu der Exekution und die Vorgänge bei der Hinrichtung sind von dem Sekretär auf Befehl des Gerichts in einer besonderen den Akten beigefügten Urkunde zusammengestellt worden, die wörtlich folgendermaßen lautet:

»Obzwar in denen gedruckten, hier beigelegten Nachrichten das mehrste, was bei der an der Maleficantin Götterichen vollenstreckten Executiun vorgekommen ist, bemerket worden, so hat man dennoch für die Nachkommenschaft annoch Verschiedenes zu annotieren für gut befunden und besonders dasjenige schriftlich aufzuzeichnen, was a parte judicii zu Veranstaltung dieser Exerution vorgekehret worden.

Nachdem nämlich der Tag zur Vollenstreckung der Executiun, der 19. Dezember, festgesetzt worden, so mußte darauf Bedacht genommen werden, die hierzu erforderlichen Werkzeuge, an Rädern, Pfosten, Ketten u. dgl., verfertigen zu lassen. Man bemühete sich, solches mit denen Handwerkern auf das wohlfeilste zu verdingen. Allein ohngeachtet denen Zimmerleuten, Rademachern und Schmieden der art. 215 C.C.C. vorgelegt ward und ihnen daraus die Bedeutung geschehn, daß sie ein mehreres als ihr gewöhnliches Tagelohn und resp. der Wert der fertigen Gerätschaften betrüge, zu fordern nicht berechtigt wären, so mußte man dennoch ihnen bei der Vorstellung, daß sie bei anderen auswärtigen Ämtern sich Vorwürfe zuziehen würden, nur einigermaßen nachgeben und es bei den alten Gebräuchen, daß das Gericht den ersten Hieb oder Schlag verrichtete, bewenden lassen. Inzwischen ward denen Zimmerleuten ihr Verlangen, eine neue Art und einen Scheffel Kringel zu erhalten, welches ihnen bei dem Ao. 1752 neu erbauten Galgen gegeben war, abgeschlagen; jedoch bekam der Altermann der Rademacher, der Zimmerleute und der Schmiede ein jeder ein Paar Handschuhe.

Den 14. Dezember begaben sich sämtliche Gerichtspersonen gegen neun Uhr nach dem Hause des Stellmacher- Altermanns Lützowen, wohin sich die ganze Zunft der Meister und Gesellen versammelt hatte und auf geschehenen Vortrag des Hr. Rat Fischer, daß man altem Gebrauche nach auf Ansuchen der löblichen Zunft bei denen zur peinlichen Execution erforderlichen Gerätschaften von Gerichts wegen den ersten Hieb tun wollte, verrichtete derselbe den ersten Hau nomine Serenissimi in einem zur Nabe des Rades destinierten Block, welchen der Hr. Rat Schroeder, Hr. Rat Wulffleff, Hr. Senator Natrop nomine E. E. Rat und letzlich der Secret. Natrop nom. Serenissimi et Senatus folgten, worauf auch die Meister und Gesellen nach der Reihe von diesem Block einige Späne abhaueten.

Von darob verfügten sich die Gerichtspersonen nach der auf dem sogenannten Stadthofe belegenen Eiche, allwo sich auch die Zimmermeister mit ihren Gesellen paarweise etwa vierzig an der Zahl einfunden, und es ward auf gleiche Art mit Behauung der Eiche verfahren.

Namen auch dieser actus vollendet war, so gingen die Gerichtspersonen nach dem Hause des Altermanns der Schmiedezunft, Meister Fresen, und währender Zeit, daß das Eisen ins Feuer geleget und heiß gemacht ward, hielten selbige sich in der Stube auf, allwo das Amt, um ihre Achtung gegen die Gerichtspersonen zu bezeugen, Zuckerplettchen, Semmel und ein Glas Wein offerierte. Bei dem nunmehr glühend gewordenen Eisen wurden dieselben Zeremonien wie bei denen anderen Ämtern beobachtet. Letzlich ward auch das Haus des Seiler-Altermannes Hinrichs besuchet. Ob nun zwar die zur Execution erforderlichen Linien und Stricke, ohne dergleichen Zeremonien zu adhibieren, hätten gekauft werden können, anmaßen solche nur auf die ordinäre Art gemacht werden, so hat man dennoch auch diesem Amte es nicht versagen mögen, die erste Hand hierbei anzulegen, in Betracht das Amt sich solches lediglich als eine Gefälligkeit ausbat, um keinen Vorwürfen und Spöttereien anderer Ämter ausgesetzt zu werden, dagegen sie auch versicherten, nichts weiter als die ordinäre Bezahlung zu verlangen, welches denn auch geschehen.

Hierbei verdient auch angemerket zu werden, daß dem Scharfrichter kein Seil zur Heraufwindung des Körpers auf das Rad gegeben worden, weilen er ein neues Seil und Kloben bei der Ao. 1752 geschehenen Justifizierung eines Diebes erhalten hat und ihm derzeit auferleget ward, solches zu jedesmaligem künftigen Gebrauch zu asservieren.

Die von sämtlichen Handwerkern verfertigten Gewerkschaften, als

von den Stellmachern

1 großes und 1 kleineres Schlagerad, 5 Bracken und 5 Pfähle;

von den Zimmerleuten

den Pfosten und Leiter;

von den Schmieden

eine drei Klafter lange Kette, 2 Krempen, 1 Beil, 1 Spitzhammer, ein Ellen langer Nagel;

von den Seilern

8 Stränge, 2 Linien, eine Bindschnur,

waren fertig gemacht und wurden am Dienstag, als dem 18. ejusd., nach dem Galgenberge gefahren, der Pfosten ward unter Beihilfe einiger Zimmerleute von vier Tagelöhnern eingesetzt und solcher in der Erde, zu dessen desto längerer conservation, mit Leinen umgeben. Des Nachmittags ließ der Scharfrichter die Leiter an den Radepfosten anstellen und befestigen, und mußte übrigens eine Wache von vier Tagelöhnern auf dem Gerichtsberge die Nacht über verbleiben.

Um an dem Executionstage, dem 19. Dezember, alles in gehöriger Ordnung erhalten zu können, hatte Senatus die Vorkehrung getroffen, daß sämtliche Tagelöhner des Morgens gegen acht Uhr, mit Forken und großen Stöcken versehen, auf dem Berge zur Schließung des äußeren Kreises sich einfinden mußten.

Die sämtliche Bürgerschaft außer der Schützenzunft war Tages vorher bei fünf R. Strafe zitieret worden, um sich gegen neun Uhr auf dem Markte zu versammeln, welche sich auch ziemlich zahlreich einfand und von dem Herrn Senat. Willich und Herrn Senat. Lüdcken zu Pferde nach neun Uhr nach dem Gerichtsberge hingeführet ward, um den engeren Kreis zu machen. Die Schützenzunft hingegen unter der Anführung ihres Capitains, des Zinngießers Nicolai, formierte den Kreis auf dem Markte und um den zu Haltung des peinlichen Halsgerichts neben dem Rathause südwärts destinierten Platz, allwo ein Tisch hingesetzt war, bei welchem die Gerichtspersonen zu Haltung des peinlichen Gerichts sich niedersetzen sollten.

Gegen zehn Uhr mußte ein Commando von der Schützenzunft die Maleficantin an einem Fuße und der Hand geschlossen von der Plattenburg abholen und nach dem Markte bringen.

Es war hierbei a judicio vorausgesetzt, daß die beiden zur Begleitung der Maleficantin bestimmten Hr. Hr. Pastores solche bis zu ihrer Abholung mit geistlichen Unterredung auf der Plattenburg unterhalten würden; und um selbigen eine Erholung zu verschaffen, war mit ihnen verabredet, daß die Maleficantin allein und ohne Begleitung der H. H. Pastorum von der Plattenburg, und zwar aus der Tür südwärts durch die Stargardsche Straße nach dem Markte gebracht werden sollte, dagegen die Herren Pastores über den Kirchhof durch eine andere Gasse nach einem untern Zimmer des Rathauses sich begeben, und ihnen allda zu ihrer Erfrischung etwas von dem Ratskellerwirt Prießen gereicht werden könnte.

Man hat aber hiernächst erfahren, daß der Beichtvater derselben, Hr. Pastor Jacobi, nach vollendetem Akte der Beicht- und Abendmahlshandlung etwa um neun Uhr von der Plattenburg weggegangen sei und der Herr Pastor Stock von dieser Zeit an bis zur Abholung sich bei derselben aufgehalten habe.

Inzwischen hat der Pastor von Schroeder von Anckershagen bei der Meleficantin sich eingefunden, und derselbe begleitete sie bis an den Kreis auf dem Markte.

Kurz vorher hatten die Gerichtspersonen sich an dem Tische niedergesetzt; es mußte aber der Anfang der gerichtlichen Handlung um deswillen verschoben werden, weilen der Scharfrichter nicht gegenwärtig war, und in währender Zeit, daß solcher aufgesuchet ward, unterhielt der Pastor von Schroeder die arme Sünderin mit tröstenden Unterredungen. Man erfuhr hiernächst, daß der Scharfrichter am Kreise gestanden und er um deswillen nicht hereingetreten sei, weil er seine Kinder mit in den Kreis hat hereinbringen, die Wache ihm aber solches nicht hat verstatten wollen.

Als die Maleficantin von dem Polizeidiener nunmehr ihrer Fesseln entledigt werden sollte, so fand es sich, daß die Fußschelle verrostet und aller Mühe ohngeachtet nicht los zu machen war, deshalb nur die Kette herausgezogen, die Schelle aber um den rechten Fuß gelassen werden mußte, welche sie auch anbehalten, die jedoch bei der Zerstoßung des Fußes keine Hinderung gemacht hat.

Übrigens bezeigte die Meleficantin vor dem peinlichen Halsgerichte in ihrem Gesichte keine Furcht oder Angst, sondern ein geruhiges Wesen, welches mit ihrer sonstigen natura einer Unempfindbarkeit völlig übereinstimmte, und als der in dem abgehaltenen Protocollo beschriebene actus vollendet war, so machte sie gegen die Gerichtspersonen eine Verbeugung und sagte: ›Ich bedanke mich für die gnädige Strafe; unser Herr Gott gebe, daß sie an mir ein exempel nehmen!‹ Hierbei mag auch gemerket werden, daß der Stab sich nicht wollen zerbrechen lassen, sondern zuletzt gegen den Tisch gestoßen und dergestalt gebrochen werden mußte. Da solcher etwas kurz und dick, auch nur bloß eingeschnitten, die Spille aber nicht eingekerbet war, so hatte dieser Umstand seine natürliche begreifliche Ursachen, und aus diesem schwerlich gebrochenen Stabe ein omen auf den hiernächst erfolgten schweren Tod zu nehmen, würde nur eine Art eines Aberglaubens verraten.

Hiernächst griff der Scharfrichter sie an, und wie ihm untersaget war, derselben die Hände zusammenzubinden, welches sonsten wohl zu geschehen pfleget, solches aber nicht allein unnötig und überflüssig, sondern auch der armen Sünderin bei dem Gehen nur lästig ist, als ward derselben eine Leine um den Arm gebunden, an welcher einer von den Scharfrichterknechten sie führte. Bei dem Hinweggehen aus dem Kreise fing die bestellte Currende- Schule an zu singen, und zugleich ward die kleine Glocke der Marienkirche geläutet, auf welches Zeichen die beiden Herren Pastores Jacobi und Zander sich auf dem Markte wieder einfanden, die arme Sünderin in der Mitte nahmen, und die Schützenzunft begleitete solche, und ward der Weg bei der Apotheke vorbei aus dem Friedlandschen Tor genommen.

Bei dem Weggang der Maleficantin stunden die Gerichtspersonen von dem Tische auf, und obzwar sonsten wohl gebräuchlich gewesen, beim Aufstehen die Stühle umzustoßen, so war dennoch solches dermalen nicht practicable, weil die Menge der Zuschauer sich zu nahe an die Stühle herangedränget hatte und mithin zu deren Umwerfung kein Platz war.

Bei dem Kellerwirt Prießen war zwar auch bestellet worden, eine Bouteille Wein und Glas bereit zu halten und dem Scharfrichterknecht verabfolgen zu lassen; in Betracht es gewöhnlich ist, daß der Knecht eine Bouteille Wein nachträgt, damit auf Verlangen eines matt und schwach werdenden Maleficanten ihm unterwegens ein Labetrunk gereichet werden könne; weilen aber der Scharfrichter vor Anhebung der gerichtlichen Handlung nach der von fremden Zuschauern gänzlich eingenommenen Gerichtsstube nicht gerufen und ihm ein und andere ordres nicht gegeben werden konnte, so ward sogleich verabsäumt, die Abforderung der Bouteille Wein ihm kund zu machen, welche derohalben auch unterblieben ist.

Gewöhnlich sind die Maleficanten, aus dem neuen Tor nach dem Galgenberge geführet worden, von jetzt aber ward darunter eine Veränderung gemacht und diese arme Sünderin aus dem Friedlandschen Tore geführet, damit sie bei dem Hause, worin der Mord geschehen war, vorbeizugehen und sich zu Beugung ihres Herzens der begangenen Tat zu erinnern Gelegenheit haben möchte, welcher sie sich auch in dem Maße bedienet, daß sie in der Gegend des Hauses auf die Knie niedergefallen ist, ihr Verbrechen nochmalen öffentlich bekannt und ihre Reue bezeuget hat.

Weil in Ansehung des tiefen Weges ein Wagen für die Hr. Hr. Pastores nahe am Friedlandschen Tore bereit hielt, so bedienten selbige sich auch dieses Wagens, um vom Tor ab bis an die Scheunen zu fahren, zumalen in solcher Zeit die Currende-Schüler einen Gesang singen mußten; inzwischen ward doch die Maleficantin nicht allein von dem Hr. Pastor Sensen zu Warlin begleitet und bei obgedachtem Niederfallen ihr tröstlich zugeredet, sondern da auch der Hr. Pastor Jacobi bei Aussteigung aus dem Wagen wahrnahm, daß die Maleficantin sich in der Gegend des Hauses aufhielte, so kam er zurück und betete über und für sie.

Bevor sie nach diesem Hause hinkam, zeigte ihr der Sohn des Hr. Pastors Stocken den ohnweit von ihr reitenden Vater der ermordeten Hoffmann, den Schulmeister Benglin aus Gendelin, und frug selbige, ob sie ihn auch zu sprechen verlangte; wozu selbige sogleich willig war, ihn zu sich rief, mit beiden Händen anfassete und mit vielen Tränen bat, ihr diese Beleidigung zu vergeben, und würde sie ihn nicht eher loslassen, bis er ihr solches versprochen. Dieser durch solche unerwartete Anrede sehr gerührte alte Mann konnte vor Wehmut und Tränen nicht sogleich antworten, versicherte aber hiernächst, daß er ihr solches vergebe, wofür sie sich denn bedankte und ihn bat, ein Vaterunser für sie zu beten.

Bei Anlangung auf dem Galgenberge ward die Maleficantin neben dem Kreise von ihrem Beichtvater nochmalen eingesegnet, und ob sie zwar ein Verlangen äußerte und frug, ob nicht noch ein Gesang gesungen werden würde, so ward ihr solches doch ausgeredet und sie ermahnet, ihrem Tode entgegen zu gehen, worauf sie ihr Gesangbuch dem Polizeidiener hingab und von dem Scharfrichterknecht nach dem zum Rädern bestimmten Platz hingeführet ward.

Und dieweil in der Kirchenordnung die Prediger dahin angewiesen sind, daß, wenn sie den armen Sünder nach dem Orte der Rechtfertigung begleitet und ihm auf sein Verlangen nachmalen die absolution daselbst gesprochen und ermahnet haben, sie ihn alsdann dem Herrn Christo befohlen sein und den Scharfrichter weiter mit ihm nach gefällten Urteil handeln lassen sollen, so blieben auch obgedachte beide Hr. Hr. Pastores zurück und näherten sich nicht dem Platz der Execution.

Es brachte inzwischen der Scharfrichter und dessen Gehilfen wohl eine Viertelstunde dabei zu, bevor sie die Ualsticanlin in gehörige Stellung legten, Hände und Füße festbanden und die Bracken darunter brachten, welche etwas zu hoch von Holze zu sein schienen, und weshalb die Erde etwas weggestochen ward.

Alles dieses litt die arme Sünderin mit erstaunlicher Gelassenheit und ohne die Farbe zu verändern oder zu zittern. Bei dem langen Aufenthalt trat der Hr. Pastor von Schroeder wieder zu ihr und redete ihr zu und frug, wie ihr zumute wäre, worauf sie geantwortet: ›Angst, Angst!‹ und als er weiter gefragt, ob sie ihren Heiland noch im Herzen hatte, so erwiderte sie: ›O, wenn ich den nicht hätte!‹

Nachdem endlich alle praeparatorien vollendet waren, so schritte der junge Mühlhausen zur wirklichen Execution und ließ das auf die Schulter gelegte Rad auf das linke Bein fallen; denn man kann nicht sagen, daß er damit eigentlich geschlagen oder dem fallenden Rade noch eine besondere force gegeben hätte (es war solches seine erste Execution, die er verrichtete, und seine jungen und schwacher Körper versprachen nicht viele Kräfte). Der Knochen war nicht sowohl gebrochen als gespalten, und die arme Sünderin schrie heftig: ›Ach Herr Jesu, o mein Bein!‹ Bei den ferneren Stößen auf den rechten Arm, linken Arm und rechten Fuß, auch bei allen übrigen Stößen gab selbige ganz und gar kein Laut von sich, und man hörte kein Seufzen oder Stöhnen von ihr.

Es lasset sich hiervon die Ursache nicht mit völliger Gewißheit entdecken. Von einer Ohnmacht und Unbesinnlichkeit sah man keine Merkmale, Ob nach der Meinung des Hr. Doctor Hempels die Heftigkeit des Schmerzens nach dem ersten Schlage einen solchen unordentlichen Verlauf des succi nervei bewirket habe, wodurch eine Art der Lähmung des organi vociveri entstanden (denn durch den über die Brust angelegten und scharf angezogenen Strang hat die Brust dergestalt nicht beklemmet werden mögen, daß sie nicht schreien können), oder ob sie mit Fleiß und aus vorgenommener Überlegung sich des Schreiens enthalten, bleibt dahingestellet, so viel aber ist gewiß, daß sie die Zähne und Lippen zusammengebissen, und es scheinet fast, daß sie der Natur Gewalt angetan und über die Schmerzen hat siegen wollen.

Weil die auf die Brust gegebenen fünf bis sechs Stöße den sonstigen Erfolg, daß das Blut zum Halse herunterfließet, nicht hatten (welches teils daher entstehen mochte, weil die Maleficantin stark gebrüstet war, teils auch der junge Mühlhausen dem Rade keine force geben konnte), so ward dem Scharfrichter zur Endigung der Pein der Meleficantin zugerufen, daß er an solcher die Genickschläge verrichten solle. Indem hierbei die Stränge, womit die Arme und Beine an den Pfosten festgebunden waren, aufgelöst werden mußten und der Strang um die Brust losgelassen ward, so hatte die Maleficantin noch so viel Kraft, daß sie gleichsam sitzend sich aufrichtete. Sie ward hiernächst auf das Gesicht, die Bracken aber nicht genau unter den Hals gelegt; inzwischen und obzwar der erste Schlag auf die Schulter fiel, so trafen dennoch die übrigen fünf bis sechs Stöße den Nacken; jedoch auch dadurch ward ihr Leben und Empfindung nicht genommen; es ward deshalb selbige übermalen umgekehrt, aus den Rücken gelegt, und es wurden sodann ihr viele Stöße auf die Brust gegeben. In Betracht aber, daß auch diese Schläge nicht den erwarteten Erfolg hatten, so ward abermalen der Versuch gemacht, ihr auf die Art das Leben zu nehmen, daß sie wieder auf den Bauch gelegt und die Stöße in den Nacken zu verschiedenen Malen wiederholet wurden.

Es behielte jedoch die arme Sünderin noch immerhin Leben und Empfindung, welches offenbarlich zu erkennen war, da selbige wiederum auf den Rücken geleget ward.

Indem nun dieselbe mehrere Schmerzen und Pein empfinden mußte, als sie nach der Absicht des Urteils leiden sollte, so vereinbarten der Hr. Rat Fischer und der Hr. Rat Wulffleff sich dahin, den Vorschlag des Hr. Doctor Hempel befolgen und ihr den großen zur Befestigung des Kopfes auf dem Rade destinierten Nagel in den Kopf treiben zu lassen.

Denn obzwar hierdurch eine ganz ungewöhnliche Handlung vorgenommen ward und es den Anschein einer Grausamkeit hatte, dieser lebenden Person diese Marter zuzufügen, daß ihr ein Nagel in den Kopf getrieben werden sollte, überdem auch solches dem Urteil zu widersprechen scheinet, nach welchem sie mit dem Rade vom Leben zum Tode gebracht werden sollen, so war hiergegen auch zu erwägen, daß es gleichfalls ein ganz ungewöhnlicher und außerordentlicher Fall war, daß so viele Nacken- und Bruststöße nicht vermögend waren, ihr das Leben zu nehmen, und es waren nichts als Triebe des menschlichen Mitleids, welche es veranlaßten und zur wirklichen Notwendigkeit machten, durch eine kürzere Pein die längeren Schmerzen und den Tod zu befördern.

Es ward sonach dem Scharfrichter anbefohlen, den Nagel der an der Erde auf dem Rücken liegenden Maleficantin in den Kopf zu schlagen. Der Knecht mußte deshalb solchen nebst den Spitzhammer von dem Rade herholen, und dieser setzte solchen Hammer mitten auf den Kopf und trieb ihn mit dem Beile ziemlich tief herein, welchen er hiernächst herauszog und den Nagel dergestalt hereinschlug, daß er eine Handbreit noch hervorragte. Bei dieser schmerzhaften Handlung bemerkte man nicht, daß die arme Sünderin sich im mindesten regte; desto mehr aber mußte man erstaunen, daß sie kurz nachher beide Arme in die Höhe hob und mit den Händen sich in die Haare nahe bei dem Nagel fassete, gleichsam als ob sie solchen wieder herausziehen wollte. Ja, ihre Empfindung war noch so lebhaft, daß sie mit der einen Hand einiges aus der Nase nach dem Munde laufende Blut abwischte. und ob zwar die Knochen der Unterarme wirklich gebrochen waren, so fand sich dennoch, daß sie, durch die Heftigkeit des Schmerzens angetrieben, allemal den Oberarm mit der größten Geschwindigkeit in die Höhe hob, wodurch der geschmetterte Unterarm, der sonst wirklich ohne Bewegung war, zum Kopf hingeschlenkert ward, die Hände hingegen, deren tendines nicht verletzt waren, konnte sie bewegen.

Und als nach eingeschlagenem Nagel man vermuten konnte, daß sie tot wäre, und dieserhalb der Hr. Doctor Hempel, um sich von der Gewißheit des Todes zu überzeugen, der Maleficantin nahe ins Gesicht sähe, so hat zu seinem größten Entsetzen selbige nicht allein die Augen wieder geöffnet und den so oft mit dem Rade gestoßenen Nacken und den Kopf, worin der Nagel steckte, in die Höhe gehoben, sondern auch das Blut aus dem Munde gespucket und vorgedachtermaßen den Mund abgewischet.

Der Scharfrichter fing übermalen an, ihr einige Stöße auf die Brust zu geben, und nach dessen Versicherung hat die Maleficantin, sooft sie das Rad auf die Brust fallen gesehen, die Augen zugemacht und hiernächst wieder eröffnet.

Jedoch auch auf diese wiederholten Stöße wollte der Tod nicht erfolgen, dieserwegen mußte nach dem Consililo des Herrn Doctor Hempel der Nagel noch tiefer und dergestalt eingeschlagen werden, daß die Spitze dem Kinne nahe bei der Gurgel hervorkam: und nunmehro veränderte sich die Gesichtsfarbe, sie ward blaß und lag ganz stille, daher man vermuten mußte, es wäre das Lebenslicht ausgegangen, und der Herr Pastor Jacobi fing die Grabrede an. Nichtsdestoweniger ist bemerket worden, daß unter der Rede des Hr. Pastor Jacobi sich der Leib stark beweget, gleich einem, der stark Odem holt, der Scharfrichter legte ihr auch die Hand aufs Herz und versicherte, daß es noch schlüge.

Nach geendigter Rede ward der entseelte Körper nach dem Pfosten hingeschleppt und aufs Rad geleget. Der Scharfrichter hatte zwar ein Brett gefordert, welches auch auf die Leiter in der Absicht geleget war, daß der Körper auf dieses Brett nach dem Rade hinaufgeschleifet werden sollte: es hatte aber der Scharfrichter das Geschirr, mit welchem ein Delinquent an den Galgen hinaufgezogen wird, an die Leiter angebracht, den Körper darin befestiget und dergestalt aufs Rad ziehen lassen, daß daher das Brett zum Überfluß von ihm verlanget worden ist. Den Nagel zog der Knecht aus dem Kopfe der Maleficantin heraus, setzte ihr die Mütze auf und schlug hiernächst den Nagel wieder durch und in den Pfahl feste, schlang auch die Kette um die Beine und den Körper und befestigte die Enden der Kette durch eingeschlagene Krampen.

Übrigens ist noch zu bemerken, daß einigen Altermännern der Zimmerzunft auf ihr Ansuchen verstattet worden, auf dem Gerichtsberge ein Gerüst zu errichten, welches von ihnen nicht allein vollkommen sicher, sondern auch so groß angeleget war, daß solches wohl sieben- bis achthundert Menschen fassen konnte und ihnen siebzig bis achtzig Taler eingetragen hat; und diese Veranstaltung hatte den sehr guten Effekt, daß der großen Menge der Menschen und Zuschauer ohngeachtet genügsamer Platz im Kreise blieb, und wenig Gedränge zu spüren war.

Damit auch, wenn die Schuldigkeit oder die Neubegierde den größten Teil der Stadteinwohner nach dem Gerichtsberge hingezogen hatte und die Stadt gleichsam leergelassen war, keine Unordnung und Gewalttätigkeit entstehen konnten, so hatte nicht allein Senatus die Verfügung gemacht, daß sämtliche Altermänner in der Stadt bleiben und sowohl auf dem Markte als in denen Gassen umhergehen mußten, sondern es war auch der Herr Hauptmann von Kahlden ersuchet worden, während der Zeit der Execulion nicht allein die übrigen Tore bis auf das Neue und Friedländische Tor sperren und nichts Verdächtiges herauspassieren, sondern auch in den Gassen fleißig patrouillieren zu lassen, worunter derselbe denn auch alle Vorsicht angewandt und überdem die Hauptwache nach dem Friedländischen Tor verleget hatte, und war die Wache bei Anlangung der Maleficantin unter der Begleitung der Schützenzunft ins Gewehr getreten. Es hatten sich ein paar bettelnde Kerls in denen Gassen betreten lassen, welche vielleicht die Absicht gehabt haben mochten, von dieser Gelegenheit der von Einwohnern entblößeten Häusern zum Stehlen zu profitieren, welche auch durch die Patrouillen arritieret und in die Wache geführet, hiernächst aber und bei befundener Richtigkeit ihrer Pässe und Kundschaften demittieret worden.

Es wolle der allmächtige Gott dieses schreckliche Exempel seiner strafenden Gerechtigkeit einen lebhaften kräftigen Eindruck in den Herzen boshafter Menschen machen lassen, damit ihnen solches zur Warnung dienen und sie die Wege der Sünde, welche bei erfolgender Verstockung auch zum zeitlichen Verderben führen, meiden und das hiesige Gerichts-Collegium mit dergleichen traurigen Beschäftigungen verschonet bleiben möge.«

< Das letzte Bekenntnis des Mörders John Lechler



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