Willibald Alexis
Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3
Der Schwarzmüller
eingestellt: 7.8.2007
In einem engen, von steilen Bergwänden eingeschlossenen Tale des bayrischen Oberlandes lag eine einsame Mühle. Sie gehörte zu einem Dorfe, dessen Häuser nach Art der Gebirgsdörfer weit zerstreut an dem Gebirgswasser, dem Sittenbach, lagen. Aber die Schwarzmühle lag noch weiter abseits oberhalb des letzten Gehöftes. Ihre Bewohner hatten wenig Verkehr mit den Bauern des Dorfes, die wie sie Protestanten, aber noch in tiefem Aberglauben befangen waren. In diesem Tale
spukten noch Hexen, Gespenster gingen um, die Geister der Erschlagenen fanden keine Ruhe, und man glaubte an eine unmittelbare Verbindung der Menschen mit dem Teufel und an magische Mittel, durch die man Lebendige töten könne. Wenn der Eigentümer der Mühle nun in dem Verdacht stand, daß er nachts auf die Kreuzwege ginge, um sich mit den Unholden zu verständigen, so wird der Umstand, daß sich die übrigen Dorfbewohner von den Müllersleuten abseits hielten, noch erklärlicher.
Der
Schwarzmüller war ein starker, rüstiger Mann, um das Jahr 1817 gegen sechzig Jahre alt. Sein Gewerbe verschaffte ihm sein gutes Brot, und er besaß ein nicht unbeträchtliches Vermögen an Liegenschaften und Kapitalien. Aber sein Sinn war störrisch, aufbrausend, jähzornig, Man zitterte vor ihm und fürchtete seinen Zorn, Er war ein Despot in seinem Hause, ein unumschränkter Herr auf seinem Besitztum und stolz gegen andere, denn er war reich, der reichste Mann in seiner Umgebung, und der geringe
Umgang mit anderen, die Einsamkeit, die starren Berge um ihn her nährten die Keime der Leidenschaften, bis sie nicht mehr zu beugen waren. Wer die Alpen bereist hat, wird unter den wohlhabenden Wirtsherren der Dorfschenken, die auf ihrem Eigenen sitzen, hochgeachtet und gefürchtet in der Umgegend, ähnlichen Naturen begegnet sein. Schon ihre derbe, hohe, wohlgenährte Gestalt hat etwas Imponierendes, in jeder Bewegung drückt sich das Vollgefühl ihrer Kraft aus, sie herrschen mit ihren Blicken, sie
winken nur, und alles fliegt, sie sind Gastwirte wie nur aus Gefälligkeit und weisen dem Gast die Türe, der etwa mit der herkömmlichen Weise der Bewirtung nicht zufrieden wäre. Sie treten wie Könige auf und können die Tyrannen ihrer Gegend werden, aber auch ihre Propheten. Der Sandwirt Andreas Hofer war ein solcher auf dem Eigenen sitzender, von allen in seiner Gegend hochverehrter Gastwirt, aber nur einer der Abkömmlinge der altgermanischen freien Hofbesitzer, wie sie in Norddeutschland nur
noch in einem Teile von Westfalen vorkommen, in Österreich, Bayern, Tirol und Schwaben dagegen noch in großer Anzahl gefunden werden.
Mit seiner Ehefrau Barbara hatte er in einer dreißigjährigen Ehe zwölf Kinder gezeugt, von denen fünf noch am Leben waren. Der älteste Sohn Leonhard besaß bereits als Müllermeister an einem anderen Orte ein eigenes Anwesen. Der zweite, Konrad, damals achtundzwanzig Jahre alt, lebte noch im väterlichen Hause und versah die Feldwirtschaft. Der
vierundzwanzigjährige Friedrich stand dem Mühlengeschäft vor. Die beiden Töchter Margarete, dreiundzwanzig Jahre alt, und Kunigunde, achtzehn Jahre alt, dienten als Mägde im väterlichen Hause.
Unfern der Mühle, aber noch auf deren Grund und Boden, stand eine Häuslerhütte, in der seit 1817 ein verheirateter Tagelöhner namens Wagner für einen niedrigen Mietzins wohnte. Er hatte seinerseits dafür die Verpflichtung übernommen, auf Bestellung vorzugsweise bei dem Schwarzmüller um
geringen Tagelohn (sechs Kreuzer und Kost) zu arbeiten.
Außer der Müllerfamilie lebte noch ein dreizehnjähriger Pferdejunge auf der Mühle. Er hatte seine Schlafstelle in einem entfernten Pferdestall, so daß er von dem, was des Nachts in der Mühle vorging, nichts hören konnte.
Gegen Mitte August 1817 war der Schwarzmüller plötzlich verschwunden; seit dem 9. August hatte ihn niemand gesehen. Aber erst am 11. Oktober machte seine Frau beim Landgericht davon Anzeige. Sie gab
an, ihr Mann habe sich vor neun Wochen mit allem Baren heimlich entfernt und seitdem nichts von sich hören lassen. Sie trug auf eine öffentliche Vorladung des Entwichenen an und bat um Beschlagnahme seiner ausstehenden Forderungen. Die Vorladung hatte keinen Erfolg, und das Vermögen des Abwesenden wurde in gerichtliche Verwaltung genommen.
Erst ein Jahr nach seinem Verschwinden verbreitete sich das Gerücht, der Schwarzmüller sei auf seiner Mühle erschlagen worden. Es war durch eine
Äußerung jenes Tagelöhners Wagner entstanden, der einmal bei der Arbeit zu einem anderen Tagelöhner während einer Unterhaltung über die Müllersleute gesagt hatte: »Preuß, wenn du wüßtest, was ich weiß, du würdest dich wundern. Wenn ich von den Müllersleuten reden müßte, so würde die Mühle zugesperrt, und sie kämen alle ins Zuchthaus. Wenn ich Geld brauche, so müssen sie es mir geben. Und wenn ich die Häuslerhütte haben will, so müssen sie mir die auch geben.«
Der Gendarm des
Distrikts machte im September 1818 eine Anzeige darüber beim Landgericht. Sein Verdacht, der sich auf die Äußerung des Wagner gründete, schien ihm noch bestärkt zu werden durch den Umstand, daß es in der ganzen Gegend bekannt war, in welchem Unfrieden der Schwarzmüller mit seiner Familie gelebt hatte. Überdies fiel ihm jetzt ein, wie verlegen die Müllersleute sowohl als auch der Wagner und seine Frau gewesen waren, als er bei ihnen wegen des Verschwindens des Schwarzmüllers nachgefragt hatte.
Dem Gerichte selbst war nur zu wohl bekannt, daß seit langem schon eine erbitterte Todfeindschaft zwischen dem Schwarzmüller und seiner ganzen Familie geherrscht hatte. Erst zwei Monate vor seinem Verschwinden hatte der Müller seine eigene Frau und seine Söhne beim Gericht deswegen verklagt, weil sie ihm die Schlüssel zu seinen Zimmern und seinem Geldvorrat fortgenommen, sich in den Besitz der Getreidevorräte gesetzt, sich das ganze Hausregiment angemaßt und ihm sogar mit Schlägen gedroht
hätten. Die Beklagten hatten sich damit verteidigt, daß das ganz in der Ordnung wäre, denn der Müller sei ein liederlicher Hausherr und Verschwender, der alle seine Pflichten vernachlässige; er lebe im Ehebruch und habe neulich erst wieder mit einer liederlichen Dirne ein Kind erzeugt, das ihm viel Geld gekostet habe. Zwar wurde der Frau und den Kindern anbefohlen, dem Hausherrn die ihm gebührende Gewalt wieder einzuräumen; aber schon am nächsten Tage war er abermals klagend vor den Gerichten
erschienen, denn die Seinen hatten sich tätlich an ihm vergriffen. Es mußte eine besondere Kommission in die Mühle geschickt werden, um den Gatten und Hausherrn wieder in seine Rechte einzusetzen; auch da äußerte sich aus beiden Seiten die tiefste Erbitterung, und Frau und Kinder erklärten, sie behielten sich ihre Klage gegen den liederlichen Mann vor, unter dessen Regiment sie ihres Lebens nicht sicher wären.
Das Landgericht tat nach der Anzeige, die der Gendarm erstattet hatte,
sofort mit anscheinend großem Eifer die nötigsten Schritte zu einer vorläufigen Untersuchung. Der Landrichter begab sich selbst in die Schwarzmühle und vernahm mehrere Zeugen; aber es kam nichts dabei heraus. Der Tagelöhner Preuß wiederholte zwar, was ihm der Tagelöhner Wagner gesagt hatte, aber Wagner nannte das eine leere Rede und behauptete mit den Müllersleuten, der Schwarzmüller sei heimlich davongegangen, niemand wisse es anders. Für das allgemeine Gerücht, daß der Müller erschlagen worden
sei und Wagner geholfen habe, seinen Leichnam in der Sägemühle zu verscharren, fanden sich keine Beweise, und da der Gemeindeälteste Konrad erklärte, er wisse von den Müllersleuten und von dem Wagner nichts Nachteiliges, und auch ein Hirt bezeugte, er habe in der Heuernte 1817 für den Schwarzmüller in dessen Begleitung einen Sack Geld, der wohl an zweitausend Gulden habe enthalten können, in einen entfernten Ort forttragen müssen, so wurde die vorläufige Untersuchung geschlossen und keine
weiteren Nachforschungen angestellt.
Freilich waren von dem Gericht mehrere Unterlassungssünden begangen worden. Der Preuß war nicht eidlich, die Töchter des Schwarzmüllers waren gar nicht vernommen worden. In der Sägemühle hatte man nicht nachgegraben, und der Landrichter unterließ, was seine Pflicht gewesen wäre, die Akten zur Prüfung an das Obergericht einzusenden.
Hiermit schien die ganze Sache beendet, und das Gerücht schwieg. Über drei Jahre hörte man nichts von dem
verschwundenen Schwarzmüller, während die Familie ruhig im Besitz der Mühle und der ganzen Hinterlassenschaft blieb.
Im Jahre 1821 aber entstand gegen den Landrichter, der jene vorläufige Untersuchung geführt hatte, der dringende Verdacht mehrerer Unterschleife und anderer Amtsvergehen. Er wurde suspendiert, und ein Bevollmächtigter des Obergerichts wurde nach dem Sitze des Landgerichts gesandt, um den neuen Verwalter einzuführen und zugleich eine Amtsvisitation abzuhalten.
Während er damit beschäftigt war, brach plötzlich in einer Novembernacht Feuer in der verschlossenen Registratur aus, durch das ein großer Teil der Akten des Gerichts in Flammen aufging und den Eingesessenen ein bedeutender Schaden widerfuhr. Der Verdacht der Brandstiftung fiel sogleich auf den suspendierten Richter, weil das Motiv sehr nahe lag, daß er die Zeugnisse seiner Amtsveruntreuungen hatte vernichten wollen, und es wurde eine neue Untersuchung wegen dieser Brandstiftung gegen ihn
eröffnet.
Der Bevollmächtigte richtete nun seine ganze Aufmerksamkeit darauf, aus den geretteten Akten diejenigen Stücke herauszusuchen, deren Vernichtung für den vorigen Richter ein besonderes Interesse gehabt haben mußte; und während ihm dabei ein Aktenbündel »Die Aufstellung eines Kurators für den abwesenden Schwarzmüller betreffend« in die Hände geriet, erhielt er zugleich von dem Gerücht Nachricht, daß dieser Müller von den Seinen ermordet worden sei. Es wurde ihm zugeflüstert,
daß der vorige Richter von den wohlhabenden Müllersleuten wohl ein Stück Geld müsse erhalten haben, um die Sache auf sich beruhen zu lassen. Dieser Verdacht wurde in den Augen des Bevollmächtigten nur noch bestätigt, als er auch das andere unvollständige Aktenstück mit den Protokollen über die Aussage des Gendarmen und der Tagelöhner auffand.
Sofort wurde eine neue Untersuchung eröffnet. Die schon früher vernommenen Zeugen sagten ungefähr dasselbe aus wie bei der Voruntersuchung.
Nur die Ehefrau des Wagner legte schon beim ersten Verhör ein Bekenntnis ab. Die Söhne des Schwarzmüllers hätten vor vier Jahren ihren Ehemann beredet, daß er ihnen helfen möchte, ihren Vater auf die Seite zu schaffen. Das sei ungefähr im August oder September 1817 geschehen. Sie, die Ehefrau, hätte es nicht leiden wollen, die Söhne hätten aber nicht nachgelassen. Darauf wäre ihr Mann einmal nachts mit ihnen in die Schlafkammer des Müllers gegangen, und sie hätten ihn miteinander umgebracht. Der
Leichnam sei in einer Felsschlucht auf dem Grund und Boden der Mühle vergraben worden.
Der Ehemann der Zeugin, der Tagelöhner Wagner, wurde nun ernsthaft vorgenommen, und es dauerte nicht lange, bis auch er zu einem Geständnis gebracht wurde. Der alte Schwarzmüller sei ein grausamer Mensch und allen Ausschweifungen ergeben gewesen. Frau und Kinder hätten viel von ihm zu erleiden gehabt und in beständigem Hader mit ihm gelebt. Da habe Konrad, der Sohn des Müllers, ihm – im
September 1817 – vertraut, die Familie könne es nicht mehr aushalten. Damit er sie nicht um alles bringe, wollten sie ihn in der nächsten Nacht auf die Seite schaffen. Konrad habe ihn aufgefordert, ihnen dabei zu helfen. Zuerst hätte er nicht dran gewollt, aber auf vieles Zureden habe er sich endlich doch entschlossen. Nun habe ihn Konrad eines Nachts abgeholt, und sie beide hätten dann unter Beihilfe des jüngsten Sohnes Friedrich den alten Vater in der Küche ermordet. Der Leichnam sei
zuerst in der Sägemühle verscharrt worden. Später hätten sie ihn in eine Felsenschlucht auf dem Krummacker geworfen und mit Erde und Steinen bedeckt. Die Müllerin und ihre Töchter wüßten auch von der Tat.
Das Unteisuchungsgericht begab sich darauf ganz in der Stille in das Sittental. Die Herren kamen gegen Abend an, die Schwarzmühle wurde umstellt, und man überraschte die Familie, als sie eben stehend ihr Tischgebet nach dem Abendessen verrichtete. Man ließ sie ruhig das Gebet
aussprechen; dann wurde sämtlichen Mitgliedern der Familie der Arrest angekündigt und jedes in ein gesondertes Gemach eingeschlossen. Noch in derselben Nacht schritt man zum summarischen Verhör der Mutter und beider Söhne. Aber die Überrumpelung blieb ohne Ergebnis. Jeder antwortete ruhig und unbefangen dasselbe, was in den früheren Protokollen stand. Keiner wußte etwas von dem verschwundenen Vater, und jeder glaubte nicht anders, als daß er vor Jahren auf- und davongegangen sei, ohne daß einer
etwas von seinem weiteren Ergehen gehört habe.
Ein ganz anderes Resultat lieferte der folgende Tag. Der Tagelöhner Wagner führte die Gerichtspersonen links von der Mühle eine steile Bergwand hinauf. Dann ging es über mehrere Äcker in einen Felsengarten, in dem sich eine Kluft befand. Hier, erklärte Wagner, sei der Leichnam des Schwarzmüllers von den Söhnen verscharrt worden. Man räumte mehrere lose, nur dürftig mit Moos und Gestrüpp überwachsene Steine hinweg, und als man an eine
Schicht von verwittertem Laub und Steinen gekommen war, rief der Führer: »Nun kommt der Leichnam bald.« Als man auch diese weggetan hatte, kamen wirklich einige Fetzen halbvermoderten Tuches, Schädelknochen, Wirbelknochen, Rippenknochen und andere Knochen zum Vorschein, die von dem Gerichtsarzt als unzweifelhaft für die Gebeine eines Menschen erklärt wurden. Der Tagelöhner Wagner sagte: »Ja, das wird der Schwarzmüller sein. Denn in meiner Gegenwart trugen ihn die Söhne vor vier Jahren hier
herauf und warfen ihn hinein, und wir zusammen haben ihn mit Moos und Laub zugedeckt. Der Schwarzmüller hat auch gerade so schöne Zähne gehabt, wie hier am Unterkiefer sitzen.«
Sämtliche Kinder des Müllers wurden hierauf einzeln zuerst vor die zusammengelegten Gebeine und dann an den Fundort geführt. Die Wirkung beim Anblick der Gebeine war sehr verschiedenartig. Ein deutliches Bekenntnis wurde nicht erreicht, wohl aber wurden die Indizien einer wirklich vorgefallenen Mordtat durch
die Bestürzung und die unwillkürlichen Äußerungen der Kinder nur verstärkt.
Der älteste Sohn Konrad brach, als er die Gebeine sah, ohne gefragt zu werden, in die Worte aus: »Ja, das ist mein Vater. Aber ich bin der Täter nicht«, setzte er nach einigem Bedenken hinzu.
Der zweite Sohn Friedrich blickte trotzig, ohne Zeichen der Verlegenheit und stumm auf die Gebeine. Erst auf die Frage, was das wäre, antwortete er: »Nun, was wirds sein? Knochen sind es. Ob aber
Menschenknochen oder Tierknochen, das weiß ich nicht. Ich kenne weder Menschenknochen noch Tierknochen.«
Die jüngste Tochter Kunigunde rief auf dem Wege nach der Schlucht ängstlich aus: »Davon weiß ich nichts. Ich weiß wohl das von meinem Vater; aber von dem hier oben weiß ich nichts. Ich bin unschuldig, ganz gewiß unschuldig.«
Die älteste Tochter Margarete rief ebenfalls aus: »Ich bin unschuldig an der Tat, ich bin unschuldig. Ich habe von der Sache nicht eher gewußt,
als bis mein Vater angefangen hat fürchterlich zu schreien. Aber da war es zu spät, Ich habe seitdem keine ruhige Stunde gehabt. O Gott! was wird noch aus uns werden!«
Nun wurde gegen die Familie des Schwarzmüllers und gegen Wagner die Kriminaluntersuchung eröffnet. Ein ungeheures Verbrechen lag vor, eins, das zu den allerseltensten in der menschlichen Gesellschaft gehört: ein Vater- und Gattenmord, ein Komplott zum Meuchelmord, in dem Gattin, zwei Söhne und zwei Töchter sich
verschworen und einen Meuchelmörder gedungen hatten, der die Tat für Bezahlung in ihrem Namen und unter ihrem Beistände ausgeführt hatte. Über die Motive und die Vorgänge selbst geben die Bekenntnisse der einzelnen Beteiligten den genauesten Aufschluß, so daß die Geschichte des Kriminalverfahrens in diesem Falle ganz in den Hintergrund tritt und wir uns allein mit der Erzählung des historischen Hergangs und der psychologischen Seite des Verbrechens beschäftigen können.
Die Ehefrau,
zur Zeit der Tat einige fünfzig Jahre alt, auch eine Müllerstochter und von Eltern stammend, die, wie der Pfarrer sich ausdrückte, ebenso arm an Geist wie an Herz waren, soll schon in der Jugend einen gänzlichen Mangel an Gedächtnis- und Auffassungskraft gezeigt haben. Durch die unausgesetzten Mißhandlungen durch ihren Mann in der über dreißigjährigen Ehe sanken ihre Geisteskräfte noch tiefer hinab, und sie befand sich bisweilen in einem Zustand von Stupidität, der an Blödsinn grenzte. Der Mann
klagte beständig über sein dummes Weib; sonst galt sie überall für eine höchst gutmütige, verträgliche, wohlwollende Frau von untadeligem Lebenswandel.
Das letztere Lob traf auch ihre Kinder, die Söhne wie die Töchter. Der Pfarrer des Ortes und alle Zeugen bekundeten, daß sie von jedermann ihrer Frömmigkeit, Rechtschaffenheit, Güte, Sanftmut, Ordnungsliebe und Arbeitsamkeit wegen gerühmt worden seien. Dagegen waren auch sie alle geistig beschränkt, unkundig und unwissend in allem,
was sie nicht zunächst betraf, und dem albernsten und finstersten Pöbelaberglauben ergeben. Sie sahen überall um ihre einsame Mühle Gespenster und witterten das Treiben von Hexen. So galt ihnen die Frau des Tagelöhners Wagner für eine Unholde, und der jüngste Sohn Friedrich gab sich während der Untersuchung alle Mühe, den Richter davon zu überzeugen. Er hatte ihr einst etwas abgeschlagen, und dafür empfand er in der nächsten Nacht ein entsetzliches Drücken, die Hexe lag auf ihm. Ein andermal zog
sie, wie er berichtete, um einen Heuschober, den sie vom Platze bewegen wollte, Kreise mit ihrem Rechen und sprach unverständliche Worte. Da erhob sich ein Wirbelwind, faßte den Heuschober, hob ihn hoch in die Luft und führte ihn so weit mit sich fort, als seine Augen reichen konnten. Da alle übrigen Heuschober auf ihrem Platze blieben, so mußte das offenbar durch Zauberkraft bewirkt worden sein.
Ganz anders wurde über den toten Müller geurteilt. Im Gegensatz zu seiner Familie stand
er im Rufe eines verständigen und seinen Verhältnissen nach ziemlich gebildeten Mannes. Er hielt seine Kinder zur Schule an und empfing des Jahres regelmäßig zweimal das Abendmahl. Er galt bis zu einem gewissen Punkte für sehr wirtschaftlich. Aber auch in seinen Gemütsanlagen war er das gerade Gegenstück seiner gutmütigen Frau und seiner wohlgearteten Kinder. Seine Rauheit, Herrschsucht, sein unbezähmbarer Jähzorn sind schon angedeutet worden, und aus der später folgenden Erzählung werden wir
ein vollständiges Bild dieses gefährlichen Mannes gewinnen. Seine knickerhafte Sparsamkeit erfuhr nur in einem Punkte eine Ausnahme, da nämlich, wo es die Befriedigung seines wollüstigen Kitzels galt, der ihn noch im späten Älter nicht verlassen hatte.
Er war von menschenfeindlicher Gemütsart, und man will die Keime dieser Anlage schon früh an ihm wahrgenommen haben. Als undankbarer Sohn hatte er oft frevlerisch die Hand gegen den eigenen Vater erhoben. Wenn er zornig war, hatte
sogar mehrmals das Leben des alten Mannes in Gefahr geschwebt, und dieser hatte sich hinter Schlössern und Riegeln gegen den bösen Sohn schützen müssen. Der böse Sohn wurde ein ebenso böser Gatte und Vater. Er behandelte Frau und Kinder nur wie Geschöpfe, die bestimmt waren, ihm zu dienen und unter seiner Willkür zu leiden. Wie treu und fleißig ihm die Kinder auch dienten, sobald sie aus der Schule entlassen waren, so behandelte er sie doch mehr wie faule Knechte und schlechte Mägde als wie
Glieder seiner Familie. Sie gingen in zerlumpten Kleidern einher und litten oft am Nötigsten Mangel, wenn er ausging und mehrere Tage fortblieb, ohne ihnen Geld zu ihrem Unterhalt zurückzulassen. Sein durch jede geringfügige Kleinigkeit erregter Zorn äußerte sich in Mißhandlungen, die, alle Grenzen hausväterlicher Rechte überschreitend, in wirkliche Verbrechen ausarteten.
Ein Tagelöhner, der vor vielen Jahren bei dem Schwarzmüller gedient hatte, bekundete, der Meister habe keinen Tag
vorübergehen lassen, ohne daß er mit seiner Frau oder seinen damals noch unerwachsenen Söhnen Streit angefangen und auf sie zugeschlagen habe, wobei er sich des ersten besten Werkzeugs bedient habe, das ihm in die Hände gekommen sei. Einst habe er seine Frau mit der Axt so getroffen, daß sie den Arm vierzehn Tage lang in der Binde tragen mußte, Die Tochter Margarete versicherte, daß ihre Mutter seit einer vor fünfzehn Jahren von ihrem Vater erlittenen Kopfverletzung ihren halben Verstand
verloren habe. Selbst des alten Müllers Lustdirne, die Kunigunde Hopfgärtner, mußte gestehen, der alte Mann sei einmal so zornig gewesen, daß er vor ihren Augen ein Handbeil nach seinem Sohne Friedrich geworfen habe. Er würde ihn getötet haben, wenn der Wurf nicht fehlgegangen wäre; so traf er nur die Ferse. Ein Schullehrer hatte gesehen, wie er einst Frau und Kinder mit einer Stange Eisen schlug.
Es war natürlich, daß die Kinder, die von der Barbarei Zeugen waren, mit inniger Liebe
an ihrer Mutter hingen. Als sie heranwuchsen, bildete sich zwischen ihnen und der Mutter von selbst ein Komplott gegen den grausamen Vater. Sie waren verbunden zu gegenseitigem Beistande, und die Furcht vor dem Vater ging mit den Jahren in Haß und Verachtung über. Sie wußten außerdem von ihm, wie er, der alte Mann, sich fortwährend mit den gemeinsten Dirnen abgab, uneheliche Kinder zeugte und die Seinen darben ließ, um jene Personen mit großen Geldgaben abzufinden.
Die schon erwähnte
Kunigunde Hopfgärtner, eine nichtswürdige Dirne, die bald nach des Schwarzmüllers Verschwinden ins Zuchthaus wandern mußte, war jahrelang von ihm unterhalten worden. Als sie ihn im April 1817 als Vater ihres neugeborenen Kindes angab und die neue Schmerzensnachricht in der Mühle bekannt wurde, erhoben sich voll Entrüstung und Zorn alle seine Kinder gegen den schlechten Vater, nur die jüngste Tochter nicht. Mit den beiden Söhnen geriet er sich in die Haare. Als er auf die Tochter Margarete
losgehen wollte, ergriff diese, wie ein Zeuge versicherte, eine Ofengabel und hielt sie ihm mit den Worten entgegen: »Alter Spitzbube! Wenn du herkommst, stoße ich sie dir in den Wanst!«
Rührend ist es anzuhören, wie die unglückliche Mutter und Gattin sich in den Verhören über ihr Verhältnis zu ihrem Manne ausließ. »Sie glauben gar nicht,« sagte sie, »was mein Mann für ein böser Mensch war. Er hat mir den Kopf ganz zerschlagen und zerschellert, so daß ich ein böses Gedächtnis habe.
Er hat mich zum Boden herabstürzen wollen. Ich und mein Friedrich lagen eine Nacht mit blutigen Köpfen im Heustock. Er hat mich mißhandelt, wie man kein Vieh mißhandelt, und alles ohne die geringste Ursache. Vor allem um die heilige Zeit gegen Weihnachten und Ostern war er ganz besonders toll und hat dann gegen jedermann gewütet. Er ist früherhin des Nachts auf die Kreuzwege gegangen, wo man, wie gesagt wird, dreierlei Dinge erlangen kann: Geld, Beistand im Streit und noch etwas. Und deshalb
glaube ich, daß mein Mann allenfalls mit dem bösen Feind mag in Verbindung gestanden sein.«
Nach der Aussage des älteren Sohnes Konrad hatte der wilde Vater seine Kinder nie als Kinder behandelt und sie nur Diebe und Spitzbuben genannt. Wegen einer kleinen Ungeschicktheit hatte er den zwölfjährigen Knaben so geschlagen, daß er bewußtlos in der Mühle liegen geblieben war und dabei zeitlebens eine Narbe davontrug. Ein andermal schlug er diesen Sohn auf dem Ackerfelde dermaßen, daß er
die Pferde stehen lassen und nach Hause kriechen mußte. Er mußte zwei Tage krank liegen, und der Unmensch von Vater verbot der Mutter, dem Knaben währenddessen zu essen zu geben, weil er nichts verdiene. Kein Dienstbote konnte es bei ihm aushalten, weshalb er jährlich drei- bis viermal die Knechte wechselte. Beide Söhne arbeiteten desto unverdrossener. Sie brachten zu dem Vermögen tausend Gulden zu; dem Vater war es aber doch nie recht und nie genug, er schalt, daß sie mehr brauchten, als sie
verdienten.
Auch nach der Aussage des Sohnes Konrad schimpfte der Schwarzmüller seine Frau immer nur »Sauleder«, »Mistluder« und richtete sie unzählige Male so mit Schlägen zu, daß sie mehrere Tage im Bett liegen mußte. Oft mißhandelte er sie so, daß sie über und über voll Blut war und man sie nicht mehr erkennen konnte. »Weder die Mutter noch wir Kinder waren vor ihm unseres Lebens sicher. Zudem hat er drei uneheliche Kinder in die Welt gesetzt und unserer Mutter ebenso wenig Geld
als uns in die Hand gegeben, obgleich das Vermögen von unserer Mutter hergekommen ist und er es zu Hunderten an seine Menscher ausgab. Wir Kinder hätten längst unser Brot auf eine andere Weise gesucht, wäre es uns nicht um unsere Mutter zu tun gewesen, die wäre dann ganz allein und hilflos bei dem Vater geblieben. Wir suchten endlich Hilfe gegen unseren Vater auf dem rechten Wege (vor Gericht), aber wir fanden sie nicht. Hätten wir einen Vater gehabt, mit dem nur etwas auszukommen gewesen wäre,
so hätte er eine Freude an seinen Kindern haben können; denn wir waren treu, fleißig und ordentlich, wie jedermann weiß. Aber unser Vater war ein Unmensch.«
Dann erinnerte der Sohn daran, wie sein Vater in alter Zeit schon seinen Vater geprügelt und geschlagen habe. Noch könne man in der Mühle sehen, wie der Großvater sich durch sechsfache Riegel und Schlösser vor seinem Sohn zu schützen gesucht habe. An der Tür zu dem Gemach, in dem sich der alte Schwarzmüller damals eingeschlossen
hatte, sah man wirklich noch drei Hiebe von der Holzaxt, die entstanden waren, als der böse Sohn die Tür hatte aufhauen wollen, um dem Vater zuleibe zu gehen.
Der jüngere Sohn äußerte sich über den toten Vater und sein unmenschliches Wesen ebenso, nur noch heftiger. Der Tod des Vaters hatte nicht im geringsten die bösen Eindrücke verwischt oder gemildert. Auch Friedrich hatte er einst mit der Hacke einen Schlag auf den Kopf gegeben, daß das Blut bis in den Stiefel lief und die
Wunde nach dreiviertel Jahren noch nicht zugeheilt war. Einst, als Friedrich nach Hause kam, hörte er schon von weitem ein jämmerliches Geschrei. Er fand die Mutter in der Holzecke, und der Müller schlug mit einer zerbrochenen Holzaxt ununterbrochen auf sie los, indem er dabei rief: »Luder, ich bringe dich um, ich bringe dich um! Ich kann dich nicht mehr im Hause leiden.« Ohne die Dazwischenkunft des Sohnes wäre damals die Mutter wahrscheinlich umgebracht worden; sie blutete bereits
fürchterlich. Aber der Sohn entwand dem Vater die Holzaxt und hielt ihn so lange, bis die Mutter entsprungen war. Doch war es nicht ohne eigene Gefahr für ihn abgegangen; auch er mußte sich flüchten und konnte wegen der Schläge auf Kreuz und Arm, die er im Kampf erhalten hatte, fünf Tage lang nicht arbeiten. Das war die Nacht, von der die Mutter ausgesagt hatte, daß sie mit ihrem Sohne Friedrich im Stall auf dem Futter gelegen habe. Der Sohn forderte den Richter auf, seine Mutter durch den
Doktor visitieren zu lassen, da werde man an ihrem Leibe eine Menge Wunden finden, die alle der Vater geschlagen habe. Von dem schändlichen Lebenswandel berichtete Friedrich noch, daß Frau und Kinder ihn nicht selten bei der Magd im Bette angetroffen hätten und er eine Menge Geld für heimliche Arzneien ausgegeben habe, um der Magd das Kind, das sie von ihm hatte, abzutreiben. Friedlich schloß seine herzergreifende Anklage gegen den toten Vater mit den Worten:
»Und von seiner Jugend an
führte er den schlechten Lebenswandel. Seinem Vater hat er das Geld weggestohlen und liederlich durchgebracht, und er hat, wie ich mich noch wohl erinnere, seinen eigenen Vater, kurz ehe er starb, bei den Füßen angepackt, ihn die Stiege herab- und vor die Mühle hinausgeschleift. Und dem Alten sein Kopf war jämmerlich zerschlagen, und er hat über und über geblutet. Solch ein Unmensch war unser Vater! Ach, solange wir auf dieser Welt sind, haben wir noch keine Ruhe und keine Freude gehabt. Vor
unseres Vaters Tode wurden wir gepeinigt von ihm, und nach seinem Tode peinigt uns unser Gewissen!«
Zwar stammen alle diese Aussagen von solchen, in deren Interesse es lag, den Ermordeten so schwarz als möglich zu schildern, um die Motive ihrer Tat in den Augen ihrer Richter so stark und zwingend als möglich erscheinen zu lassen; aber die Aussage eines jeden Einzelnen hatte in der Schlichtheit der Darstellung, in der Folgerichtigkeit, mit der sie vorgetragen wurde, in der Wärme des
Gefühls, das oft durchbrach, die Wahrscheinlichkeit innerer Wahrheit für sich. Diese Wahrscheinlichkeit wurde durch die Übereinstimmung aller einzelnen Aussagen verstärkt und durch die Aussagen unbeteiligter Zeugen in den Augen des Richters über allen Zweifel erhoben. Der Schwarzmüller war der Wüterich, wie Frau und Kinder ihn schilderten, der Unmensch, dessen Tod eine Wohltat für alle wurde, die mit ihm in Berührung getreten waren; er, der als ruchloser Sohn die Mörderhand gegen seinen Vater
erhoben hatte, mußte unter der Mörderhand eines von seinen Söhnen gedungenen Meuchelmörders sterben. Es war ein fatalistisches Trauerspiel – merkwürdig, daß zur Zeit des Nachspuks der fatalistischen Romantik kein Dichter zu diesem Stoff gegriffen hat, der überdies in der einsamen Gebirgsmühle mit seinen Felsen und Gespenstern einen so vortrefflichen szenischen Hintergrund bot – ein Trauerspiel, das um so erschütternder wirkt, als die vernichtenden Folgen der Tat die vor dem
moralischen Richtelstuhl Unschuldigen trafen.
Der Vorgang des Verbrechens, wie er sich aus den Zeugenaussagen ergab, war folgender:
Schon früher war es den unglücklich Leidenden manchmal zu arg geworden. Finstere Gedanken waren in ihnen aufgestiegen, das heiß aufwallende Blut hatte böse Wünsche erzeugt. Da sie zu sehr Naturmenschen und Verstellung nicht gewöhnt waren, hatten sie diese Wünsche nicht einmal vor anderen verbergen können.
Als ein Jahr etwa vor der
Tat ein wegen seiner Kunst berühmter Schütze eines Abends als Mahlgast in der Mühle einkehrte, in der gerade die Müllerfrau und ihre beiden Söhne anwesend waren, äußerte einer der letzteren: »Schuster!« – so hieß der Jäger – »wenn du doch einmal unseren Alten für einen Rehbock hieltest!« Die Mutter setzte rasch hinzu: »Du dürftest dir dann für eine gute Weil kein Mehl zum Brotbacken kaufen.« Der Jäger wußte nicht, ob das Scherz oder Ernst war. Er ging fort, ohne etwas darauf zu
erwidern.
Ein andermal schnitzte ein Tagelöhner abends Schleußen für die Müllersleule. Auch da äußerte der eine Sohn, wie vor sich hin: »Wer unsern Vater wegräumte, bekäme einen guten Lohn.« Der Arbeitsmann verstand das besser als der Jäger. Er antwortete: »Ich kann den Alten nicht wegräumen, er würde meiner ja Herr werden.«
Die Schuldigen räumten solcher Art Äußerungen zwar ein, der Vorsatz eines Mordes sei jedoch noch nicht zum bewußten Willen in ihnen geworden. Es seien
nur Stoßseufzer ihrer fürchterlichen Angst gewesen, wenn sie auch glücklich gewesen wären, wenn sie jemand von einem solchen Vater befreit hätte.
Der unreife Gedanke, der dunkle Wunsch in den Unglücklichen erhielt Nahrung und eine bestimmtere Richtung durch eine seltsame mindestens unvorsichtige Äußerung des vorigen und jetzt abgesetzten Landrichters. Sooft sie sich nämlich über die Unmenschlichkeit und den liederlichen Lebenswandel ihres Vaters beklagten, erhielten sie die
Antwort, daß die Gesetze ihnen nicht helfen könnten, und gewöhnlich sagte der Landrichter: »Euch ist nicht zu helfen noch zu raten. Ihr habt nun mal einen bösen, streitsüchtigen Vater; es wäre am besten, wenn er weg wäre.«
Mutter und Sohn erklärten später, diese Reden hätten den tiefsten Eindruck auf sie gemacht; sie hätten ihnen den Ausweg gezeigt, der ihnen allein noch offen stand. Durch diese Reden des Richters sei ihnen klar geworden, daß für sie von den Gesetzen und dem Rechte
durchaus nichts zu hoffen sei. Nur in dem Tode des Vaters liege ihre Rettung; sein Tod sei also notwendig und durch die Notwendigkeit gerechtfertigt.
Auch diese Vorstellungen hatten noch nicht zur Tat geführt, es gehörten dazu noch viele andre verführerische Umstände. Das Ärgernis mit der letzten Beischläferin des Schwarzmüllers, der Kunigunde Hopfgärtner, war als ein neuer Luftzug in die glimmende Asche gefahren. Jetzt zum ersten Male hatten sich die Söhne Tätlichkeiten gegen den
Vater erlaubt. Die Gerichte waren wieder angegangen worden und hatten ihnen ihre Ohnmacht gezeigt. Da trat ein neuer Mitspieler hinzu – der Mephistopheles des Trauerspiels, der Tagelöhner Wagner.
Johann Adam Wagner war ein Vagabund. Er war der Sohn eines Dorfhirten, hatte von Jugend auf eine empörende Hartherzigkeit gezeigt und allerlei schlechte Streiche verübt. So hatte er als Knabe eine besondere Lust, Hühner einzufangen, ihnen die Augen auszustechen und sie dann wieder
laufen zu lassen. Er hatte früher im Kontingent einer Reichsstadt, dann über zwanzig Jahre in dem preußischen Heere gedient. Nachdem er im Jahre 1807 an Bayern abgegeben worden war, hatte er sich abwechselnd in Berlin, Hannover und Böhmen umhergetrieben und war endlich nach einem liederlichen Leben in seine Heimat zurückgekehrt und darauf in das Sittental gekommen. Nachdem er sich mit Weibern umhergetrieben hatte, hatte er seine jetzige Frau, eine Witwe mit zwei Kindern, geheiratet und mit
ihr noch zwei andere Kinder gezeugt, deren Versorgung ihm bei seinem geringen Tagelohn schwer genug fiel. Seine bisherigen Herren hatten ihm zwar kein schlechtes Zeugnis gegeben, aber er hatte infolge seines langen Soldatenlebens nicht gern gearbeitet und eine merkwürdige Gefühllosigkeit in allen Dingen verraten. Sein Richter machte bei den Verhören dieselbe Wahrnehmung. Er erzählte seine blutigen Taten in der Mordnacht mit derselben Umständlichkeit und Kaltblütigkeit, mit der etwa ein
Tagelöhner seinem Herrn Bericht abgestattet hätte, wieviel Klötze er an einem Tage gefallt und wieviel Schweiß und Mühe es ihm gekostet habe. Ein gut bezahlter Mord, der verschwiegen blieb, galt ihm so viel wie jede andere Tagelöhnerarbeit. Das Jahr 1817 war außerdem ein Hungerjahr. Wagners Verdienst reichte nicht aus, ihn und seine vier Kinder zu ernähren; er war mehr als einmal genötigt, sich mit den Seinen hungernd niederzulegen.
Am Walpurgisabend jenes Jahres arbeitete der älteste
Sohn Konrad mit ihm in der Schneidemühle. Der Sohn klagte dem Arbeiter seine Not und die seiner Familie. Wieder war der Vater in der letzten Nacht mit vielem Gelde fortgegangen. Mutter und Kinder hatten nichts und wußten nicht, was sie anfangen sollten. Wagner sagte ohne viel Bedenken: »Da wäre es am besten, wenn man Eurem Vater nachginge, schlüge ihn tot und nähme ihm sein Geld ab. Man könnte ihn gehen lassen bis in den hinteren Hof« – ein finsteres Tal, eine Stunde von der
Schwarzmühle entfernt – »dort könnte man ihn niederschlagen und ihm sein Geld nehmen. Man ließe ihn dann liegen, und es krähte kein Hahn danach.« Konrad antwortete: »Traut Ihr Euch das zu?« »Allerdings traue ich mir das zu,« war die Antwort. Der Sohn wendete weiter nichts ein, als daß er glaube, ein auf diese Art umgekommener Mensch, zumal so ein böser Mensch, habe im Grabe keine Ruhe, und er müsse als Gespenst umgehen. Wagner lächelte pfiffig: da wisse er schon Rat; er habe gelernt, wie
man es machen könne, daß der Alte ruhen müsse.
Es kam damals weder zum Beschluß noch zum bestimmten Willen, Das Gespräch zwischen beiden wurde aber oft wieder angeknüpft. Wagner verstand die Mordgedanken so geschickt und so bequem zuzurichten, daß man gar nicht mehr vor ihnen zu erschrecken brauchte. Er war eine Person, wie sie durchaus zu Menschen paßte, die, ohne Bösewichter zu sein, eines Bösewichts zu der entsetzlichen Tat bedurften, zu deren Ausführung sie sich sonst zu schwach
gefühlt hätten. Wagner stellte dem Sohne die Tat so leicht als möglich vor, und Konrad hatte nichts einzuwenden, als seine Furcht, daß die Tat doch nicht verschwiegen bleiben und der tote Vater als Gespenst umgehen wurde.
Endlich war man sich darüber einig, daß der Schwarzmüller aus der Welt müsse, aber – auf feine Weise. Wagner schlug ihnen also vor, als ihm Konrad abermals gesagt hatte, wie gut es doch sein würde, wenn ihr Vater nicht wiederkehre, den Alten durch Sympathie
umzubringen. Er und seine Frau wüßten ein Mittel, durch das der Müller innerhalb von vier Wochen »ausdorren müsse wie ein Bild«. Was konnte der Familie willkommener sein? Konrad rief erfreut aus: »Es wäre freilich am schönsten, wenn mein Vater auf diese Weise wegkäme.« Die alte Müllerin hatte sich inzwischen mit der Ehefrau des Wagner, der gefürchteten Hexe, darüber besprochen, und man war übereingekommen, den Schwarzmüller vermittelst eines Paares seiner langen wollenen Strümpfe, die der
Wagner in seinen Rauchfang hängen wollte, langsam auszudorren. Die Strümpfe wurden ihm übergeben, aber das Mittel wirkte nicht, vermutlich weil der Wagner so gescheit war, die guten Strümpfe nicht in den Rauch zu hängen, sondern für sich zu brauchen. Der SchwarzmüIIer, statt zu verdorren, strotzte in alter Gesundheit und Wildheit, und betrübt kam Konrad zum Wagner und sagte, daß sein Zaubermittel gar nicht wirken wolle. Wagner war kein Mann, der leicht in Verlegenheit geriet, er antwortete
vielmehr, wie Konrad behauptete: »Nun, wenn die Zauberei nichts hilft, so räume ich ihn Euch auf andere Art weg.«
Die Notwendigkeit, den Unmenschen fortzuschaffen, wurde immer dringender. Der Vater hatte beim Gericht darauf angetragen, daß seinen Söhnen der Befehl erteilt werde, binnen drei Wochen das Haus zu verlassen und auf Wanderschaft zu gehen, da das bei ihrer Widersetzlichkeit das einzige Mittel sei, wieder die natürliche und ihm vom Gericht zugesprochene Herrschaft in seinem
Hause zu erhalten. Wenn dies geschah, so war die arme Mutter verloren; die Söhne waren ihre einzige Stütze. Die Mutter sah das ein, die Söhne, die, wie gesagt, in der innigsten Liebe an ihrer Mutter hingen, sahen es ebenfalls ein, und einig, wie sie immer waren, faßten sie den Entschluß, es koste, was es wolle, ihre Mutter nicht den Unmenschlichkeiten ihres Vaters preiszugeben. Dazu kam noch, daß die Hopfgärtnerin sich gerühmt hatte, der Schwarzmüller werde alle seine Leute fortschaffen und
sie zur Haushälterin nehmen.
Der Schwarzmüller schloß sich zu Anfang August oft in seine Stube ein und schrieb dort viel. Die Familie argwöhnte Böses. Am 9. August schlich sich der Sohn Friedrich, als der Vater fort war, an sein Schreibpult und fand ein von der Hand seines Vaters verfaßtes Schreiben an die Gerichte, in dem der Müller unter Aufführung vieler Gründe, besonders aber der Gewalttätigkeiten, die er von seinen Söhnen zu erleiden gehabt habe, den Antrag stellte, Frau und
Kinder von der Mühle entfernen zu dürfen. Ob damit ein Antrag auf Ehescheidung verbunden war, ist nicht ermittelt worden, da die Kinder den Aufsatz später vernichtet haben. Friedrich eilte mit dem Papier in die obere Stube und las es der Mutter und Konrad vor. Die unglückliche Frau klagte darüber, daß sie noch in ihren alten Tagen einer Dirne Platz machen müsse. Man beratschlagte und war sogleich einig, daß ohne Aufschub ein entscheidender Entschluß gefaßt werden müsse. Er wurde gefaßt: man
wollte jetzt das Anerbieten des Wagner annehmen. Schon in der folgenden Nacht sollte der Müller umgebracht werden. Wer den Vorschlag zuerst ausgesprochen, wer ihn zuerst angenommen hat, ist nicht ausgemacht, aber gewiß ist, daß alle auf ihn vorbereitet waren und, sobald ihn nur einer aussprach – man vermutet, die Mutter – die anderen zustimmten. Auch beide Töchter, die erst später in die Stube kamen, widersprachen wenigstens nicht und ließen die übrigen walten.
Konrad lief
sogleich aus der oberen Stube hinunter und beschied den Tagelöhner in den Schuppen; hier verabredete er mit ihm die Tat, versprach ihm dafür zweihundert Gulden und daß die Familie ihm jedes Jahr etwas geben und ihn niemals verlassen würde.
Nachmittags gingen beide aufs Feld zur Arbeit. Hier wurde die Sache aufs neue und im einzelnen besprochen und gesagt, daß sie bestimmt in der nächsten Nacht ausgeführt werden müsse. Konrad äußerte noch immer einige Besorgnisse: Ob es auch
wirklich angehe? Ob denn der Vater und sie selbst vor ihm nach der Tat Ruhe haben würden? Ob es ihnen nicht selbst ans Leben gehen könnte, wenn die Sache nicht verschwiegen bliebe? Er wünschte – ein charakteristisches Zeichen seines Gemütszustandes und seiner Verstandeskräfte –, Wagner möchte doch vorher noch einmal mit seiner Frau darüber sprechen, was die dazu meine. Wagner redete ihm alle diese Angst aus dem Sinn.
Am 9. abends verzehrte der Schwarzmüller noch in Ruhe
mit allen den Seinen und in Gesellschaft der Wagnerschen Eheleute das Abendessen. Dann ging das Tagelöhnerehepaar in seine Hütte, der Müller aber in seine Schlafkammer, zu der einige Stufen aus der Küche hinaufführten. Um zehn Uhr, nachdem Mutter und Töchter zu Bett gegangen waren, schlich sich Konrad zu dem Tagelöhner und sagte ihm, nun sei alles bereit. Wagner nahm seine Holzaxt und ging ruhig, wie zu jedem anderen Tagewerke, nach der Mühle, um sich die zweihundert Gulden zu verdienen.
Der Mord war bis aufs kleinste genau überlegt. Wagner stellte sich in der Küche neben der kleinen Treppe mit seiner Holzaxt auf, und Friedlich ging »auf Wagners Verlangen und Konrads Zureden« in die Mühle. Er ließ diese »leer gehen«, damit durch das Läuten der Glocke der Müller geweckt werde, aufspringe und herauskomme. Konrad ging in seine Kammer und setzte sich hier auf sein Bett. Wagner stand mit aufgehobenem Beil, als die Mühlglocke heftig zu läuten anfing. Der Müller kam alsbald
im bloßen Hemd aus der Kammer, er war ungefähr auf der letzten Stufe, als Wagner mit dem Rücken der Axt einen weitausholenden Streich nach ihm führte. Aber in der Dunkelheit irrte sein sicherer Arm. Statt auf den Kopf traf er anderswohin. Der Müller taumelte und erhob ein entsetzliches Geschrei, das von der Mutter und den Schwestern in ihren Betten gehört wurde. Wer sollte es glauben: die Töchter, oder wenigstens die eine derselben, hatten fest geschlafen, obgleich sie wußten, was vorgehen
werde. Auch jetzt blieben sie ruhig in ihren Kissen liegen. Der Angefallene wollte in seine Schlafkammer zurückflüchten, aber Wagner hatte rasch das Beil weggeworfen und faßte ihn um den Leib. Der Müller wehrte sich und packte gleichfalls zu. Beim Ringen rief er mehrmals mit kläglicher Stimme: »Ach Gott, ach Gott, laßt mich gehen! O weh, o weh, lieber Bub, laß mich los. Ich will dir auch mein Lebtag nichts mehr zuleid tun.«
Die furchtbare Mordszene sollte noch eine ganze Weile dauern.
Der geschlagene Müller war noch so stark, daß dem Mörder beim Ringen mit ihm bange wurde, er selbst möge am Ende dem stärkeren Manne erliegen. Da kam ihm sein Taschenmesser in den Sinn, das in seiner Weste steckte. Er ließ mit dem rechten Arm den Müller ein wenig los, griff dann in die Tasche, langte das Messer vor, öffnete es mit einem Druck an seinen Körper und stieß dem Müller während des Ringens die Klinge in den Leib.
Der Schrei des Vaters ließ den älteren Sohn vermuten, daß der
Schlag daneben gegangen sei. Er sprang auf, aber nicht an den Ort der Tat, um zu helfen, sondern vor die Mühle, und lief um die Sägemühle herum, vielleicht vor innerer Angst, vielleicht aber auch um zu sehen, ob niemand in der Nähe sei. Aber der Vater schrie immer lauter und entsetzlicher um Hilfe. Jetzt eilte Konrad zurück in die Küche. Der Vater hatte eben den Messerstich erhalten, aber er hielt sich noch unter furchtbarem Gestöhn aufrecht. Konrad griff in die Holzecke, er nahm ein Scheit
Holz und reichte es dem Wagner von hinten. Er wartete aber nicht ab, was damit geschähe, sondern lief sogleich wieder auf die Straße hinaus, jetzt mit der bestimmten Absicht, zu sehen, ob auch alles sicher sei. Wagner hatte nun auch das Messer fallen lassen, aber er schlug mit dem Holzstück wiederholt den Müller auf den Kopf, bis dieser endlich rückwärts auf den Herd niederstürzte.
Aber der Müller lebte noch immer und stöhnte entsetzlich. Wagner entschuldigte seine Ungeschicklichkeit
damit, daß er dem Müller doch zu nahe gestanden habe. Der kaltblütige Bösewicht ergriff nun einen auf dem Herde liegenden Backstein und schlug mit ihm mehrere Male mit aller Gewalt auf den Kopf des halb Ermordeten, bis – der Backstein in mehrere Stücke zersprang. Jetzt erst verstummte des Müllers Stöhnen und Wimmern.
Konrad war währenddessen in seine Kammer zurückgegangen und hatte sich in dumpfem Sinnen auf sein Bett gesetzt. Wagner öffnete die Tür, sagte ihm, mit seinem Vater
sei es nun aus, und er möchte Licht anmachen. Konrad holte seinen Bruder Friedrich aus der Mühle ab, in der dieser noch immer hatte läuten lassen. Nachdem sie Licht angezündet hatten, traten beide in die Küche. Der Vater lag in seinem Blute und röchelte noch. Wagner verlangte von Friedrich eine Schnur, um ihn völlig zu erdrosseln. Der Sohn gab ihm ein Stück Faden, das er zufällig in der Tasche trug. Es war aber nicht nötig, die Schlinge zuzuziehen, denn der Schwarzmüller atmete nicht mehr.
Wagner und Konrad schleppten den Leichnam in die Schlafkammer des Müllers, und der Sohn verschloß die Türe. Der Tagelöhner forderte ein Glas Branntwein, trank es und ging dann, um von der sauren Arbeit auszuruhen. Konrad ging zu seiner Mutter hinauf, jammerte und rief: »O Mutter, wenn es nicht geschehen wäre, so geschähe es nimmermehr!« Die Mutter vergoß keine Tränen, »weil der Mann sie immer so arg mißhandelt habe.« Sie war der Überzeugung, Gott selbst habe ihr und den Kindern den
Entschluß eingegeben, ihren Mann ermorden zu lassen. Noch in ihrem Schlußverhör antwortete sie auf die Frage, ob sie denn glaube, daß es ihr nach ihrem Tode Wohlergehen werde: »Ich glaube allerdings, daß ich von Gott in Gnaden aufgenommen werde; denn ich habe auf dieser Erde so viel ausgestanden, daß es gar keine Gerechtigkeit gäbe, wenn es mir nicht nach dem Tode sollte vergolten werden.«
Am folgenden Tage, es war ein Sonntag, wurde die Frau des Wagner herübergeholt. Sie mußte das
Blut aufwischen und erhielt zur Belohnung dafür den Wasserständer, den sie dabei verwendet hatte, zum Geschenk.
Am Nachmittag gingen die Söhne auf den Jahrmarkt nach Petersau, nicht aus Roheit und frecher Lust nach einer solchen Tat, sondern weil sie schon längere Zeit von ihren Mahlgästen eingeladen waren und ihr Fortbleiben hätte Verdacht erwecken können. Der wilde Jubel schnitt ihnen ins Herz; sie schlichen sich, sobald sie konnten, fort und gingen auf einen nahen Berg, fielen dort
auf ihre Kniee nieder und riefen Gott um Vergebung ihrer Sünden an.
Am Montag in der Frühe schritt man zur Beerdigung. Der Tagelöhner Wagner wickelte den Leichnam in ein Leinentuch, steckte ihn in einen groben Sack und grub hinter der Sägemühle ein Grab. Erst gegen Mittag trugen Konrad und der Tagelöhner den Körper dahin. Die Ehefrau des letzteren half beim Verscharren. Friedrich stampfte die lockere Erde über dem Grabe seines Vaters fest. Währenddessen stand die Müllerin unter der
Haustür und begleitete die Handlung mit einem Gebete.
Erst ein Jahr und einige Monate später war die Leiche wieder ausgegraben und in die Felsenschlucht gebracht worden, in der die Gebeine später vom Gericht aufgefunden wurden. Das geschah auf die erste Untersuchung hin, die von dem Landgericht auf Grund des dunklen Gerüchtes einer Ermordung des Schwarzmüllers im Jahre 1818 eröffnet, dann aber schnell wieder abgebrochen worden war. Beide Brüder hatten die verweste Leiche auf einer
Bahre dorthin getragen, und der Tagelöhner Wagner hatte für seine Beihilfe abermals hundert Gulden erhalten.
Hiermit ist die Geschichte dieses Kriminalfalles, so weit sie zu unserer Aufgabe gehört, zu Ende. Von einer besonderen Nachgeschichte, aus welche Weise etwa der böse Dämon der Familie, der Verführer, Lohnmörder und nunmehrige Mitwisser der Mordtat, der Tagelöhner Wagner, seine Wissenschaft ausgebeutet hat, davon erfahren wir weiter nichts als allgemein das, daß er, wie Leute
dieser Art, es nicht daran fehlen ließ, sich allerlei Vorteile zu erpressen, und daß er nie mit der Bezahlung zufrieden war. Durch eine solche gelegentliche Äußerung kam die Tat heraus; da er aber trotzdem in seinem Verhältnis als Tagelöhner blieb, so mögen seine Erpressungen nicht gerade dem Wert seiner Wissenschaft gleichgekommen sein. Ebensowenig wissen wir, welche Wirkung die Tat auf die Familienmitglieder ausübte. Die beiden Brüder beteten am folgenden Tage auf einem Berge in tiefer Reue,
während das Volk umher lustig war. Friedlich sprach es vor Gericht aus, daß sie die Tat oft gereut habe. Bei dem weiblichen Teil der Familie scheint der Stumpfsinn, der allen eigen war, ganz besonders ausgeprägt gewesen zu sein. Das Gefühl, nicht mehr vom Vater tyrannisiert zu sein, mag das böse Gewissen ganz betäubt haben, und die Mutter sprach es noch im letzten Verhör aus, daß sie glaube, die Tat sei ihnen von Gott eingegeben worden. Mit einem bißchen Gebet ließ sich der böse Eindruck
verwischen.
Die eigentliche Prozeßgeschichte ist ebenfalls einfach, da die Teilnehmer bald zum vollen Geständnis gebracht wurden. Dagegen bot der Fall der richterlichen Beurteilung mehrere erhebliche Schwierigkeiten, die hier nicht erörtert werden können, da sie nur die Juristen in genügendem Maße interessieren würden. Unseren Lesern, denen der psychologische Tatbestand der wichtigere ist, wird es genügen, das Urteil zu erfahren, das die bayrischen Gerichte gegen die Vater- und
Gattenmörder fällten.
Der Tagelöhner Wagner und der älteste Sohn des Müllers, Konrad, wurden zur Kettenstrafe, d. h. zu lebenslänglicher, mit bürgerlichem Tod und vorhergehender öffentlicher Ausstellung verbundener einsamer Gefangenschaft in schweren Ketten mit Kugel verurteilt, Friedrich, der zweite Sohn, als Gehilfe ersten Grades zu fünfzehnjährigem Zuchthaus, die Ehefrau des Ermordeten, Barbara, als Gehilfin zweiten Grades zu achtjähriger Zuchthausstrafe. Gegen die älteste Tochter
Margarethe erkannte das Gericht, daß die Untersuchung wegen mangelnden Beweises einzustellen sei; die jüngste, Kunigunde, wurde von aller Strafe freigesprochen. Die Anna Wagner, des Tagelöhners Frau, kam für ihre Beihilfe wegen mehrerer Milderungsgrunde mit einer einjährigen Arbeitshausstrafe weg.
Ob irgendein anderes Gericht, mit gelehrten Richtern besetzt, anders geurteilt hätte, bezweifeln wir. Wäre die Tat die unmittelbare Folge der Brutalität, der lebensgefährlichen
Mißhandlungen des Wüterichs gegen die arme Frau gewesen, hätten sich die Söhne in gerechter Furcht, daß diese Mißhandlungen fortdauern würden, daß sie ihrer armen Mutter, wenn sie selbst aus dem Hause gestoßen worden wären, nicht mehr würden beistehen können, hätten sie sich da zum Äußersten entschlossen und, um das Leben der Mutter oder das eigene zu retten, den Vater geopfert, so wurden die ewigen, geschriebenen und ungeschriebenen, Gesetze über die Notwehr ein bedeutendes Gewicht in die
richterliche Wagschale gelegt haben. Es wäre ein Fall gewesen, der dem von den zwei Ertrinkenden auf einem Brett ähnlich gewesen wäre. Aber diese nächste Gefahr, konnte der Richter erwidern, war vorüber. Es stand jetzt nicht mehr Mord und Totschlag, sondern Ausweisung aus dem Hause bevor, der böse Vater ergriff nicht das Beil, sondern die Feder, es handelte sich nicht mehr um Blut, sondern um Geld. Die Mutter und die Söhne fürchteten, der Müller werde seine Frau ausstoßen, sich von ihr scheiden
lassen und mit einer liederlichen Dirne das ihnen zukommende Erbe durchdringen. Es war also nicht mehr allein die gerechte Leidenschaft, das empörte Gefühl, nicht mehr die grausame Frage nach Sein oder Nichtsein, sondern das Interesse, das hier mitsprach, und mit kalter Überlegung schritten die Verschworenen an ihr Verbrechen.
Dennoch kann unser Gefühl sich mit dem Urteil schwer versöhnen. Es ist einer der Fälle, wo die beste menschliche Gesetzgebung nicht ausreicht, um dem ewigen in
der Brust ruhenden Rechtsgefühl zu genügen. Die Gesetze, für die große bürgerliche Gemeinschaft gegeben, mischen sich da, wo die Völker noch dem Naturzustande nahe sind, so wenig wie möglich in das, was im Innern der Familie vorgeht. Der Hausherr, der Patriarch richtet. Läßt sich nicht auch denken, daß über ihn gerichtet werden darf, wenn die ganze Familie einig ist, daß er die Gesetze der Natur übertreten hat? Unser modernes Gesetz, das die Familienbande gesprengt hat und die einzelnen
Glieder als Glieder des Staates betrachtet, darf das freilich nicht zugeben. Vor ihm sind alle gleich berechtigt, gleich straffällig, es muß sie alle in gleicher Art schützen. Und dennoch hat es Ausnahmen gelassen. Es kann das Auge zudrücken zum Hausdiebstahl, wenn der Bestohlene nicht als Kläger auftritt, zum Mord sogar, wenn der Ehemann die Ehebrecher in flagranti betrifft. Auch der altpatriarchalische Zustand des Familienrechts läßt sich in modernen Zuständen wiederfinden. Wäre der Vorfall in
Amerika, in einer Hinterwäldlerfamilie, vorgefallen und er käme zur Kenntnis der Gerichtsbehörden, hätten sich dort, gesetzt, es wäre alles so zugegangen wie hier, die Geschworenen gescheut, über die Söhne und die Ehefrau – der gedungene Meuchelmörder wäre freilich nirgendwo der Strafe entgangen – das Nichtschuldig auszusprechen? Aber noch andere Bedenken machen sich geltend. Wem half diese Nemesis? Konnte sie bessern oder abschrecken? Das allgemeine Gefühl in der Gegend war für die
gute, unglückliche Familie, deren Wohlstand, Glück und Einigkeit vernichtet wurde. Sie wurde weit härter gestraft als der Wüterich, der dreißig Jahre hindurch die Seinen gemordet hatte, wofür ihn nur der Todesschmerz weniger Minuten traf. Die innere Strafe hatte sich außerdem schon eingestellt: die Gewissensbisse peinigten beide Brüder, die äußere Strafe erschreckte die Menge nur deswegen, weil sonst gute und friedliche Menschen, die aus einem moralischen Impuls zu handeln geglaubt hatten,
leiden mußten wie gemeine, ruchlose Verbrecher.
Der Zwiespalt zwischen dem empfundenen und dem geltenden Rechte tritt aber noch in einer anderen Unvollkommenheit unserer Zustände zutage. Was machte es der Familie unmöglich, sich Ruhe und Sicherheit vor dem Bösewicht zu verschaffen? Die Richter sagten: Es steht in den Gesetzen nichts, daß wir eine Frau und Kinder vor den Brutalitäten ihres Gatten und Vaters schützen könnten. War das aber der Fall, so trat für die Familie das
Naturgesetz wieder ein, und die Staatsgesetze hörten auf. Sie mußte sich selbst ihr Recht schaffen. Aber dieser Schluß ist dennoch falsch. Die Gesetze konnten helfen, wenn man ihnen die richtige Auslegung gab und sich die Mühe nicht verdrießen ließ: wenigstens ließ sich die Entmündigung des Müllers durchsetzen. Aber andrerseits ist leicht einzusehen, welche Schwierigkeiten die Durchführung dieser Maßnahme gemacht hätte.
Überlegungen dieser und ähnlicher Art bestimmten auch das
Verhalten der Familienmitglieder nach dem Urteilsspruch. Als dem jüngeren Sohne Friedrich am 12. August 1822 das Urteil vorgelesen wurde, rief er aus: »Ich kann mich nicht dabei beruhigen, ich kann die Strafe nicht aushalten. Lieber will ich mir gleich das Leben nehmen lassen, als fünfzehn Jahre ins Zuchthaus! – Ich kann – ich kann mich nicht überzeugen, daß ich wegen eines so schlechten Menschen, als mein Vater war, zu so harter Strafe verurteilt werden kann. Solange mein Vater
lebte, war schon mein Leben ein Zuchthausleben; und nun noch fünfzehn Jahre Zuchthaus dazu, da ist mir der Tod lieber!«
Auch seine Mutter Barbara wollte appellieren, beide entsagten jedoch später freiwillig der weiteren Verteidigung, Friedrich äußerte dabei: »Ich tue es, damit ich doch endlich aus der peinlichen Ungewißheit herauskomme und bald Hoffnung haben kann, wieder frei zu werden, wenn sie aus meinem Betragen gesehen haben werden, daß ich ein verirrter, aber kein verdorbener
Mensch bin, und daß ich einst Anspruch machen darf auf die königliche Gnade.«
Nachdem das Oberappellationsgericht das erste Erkenntnis bestätigt hatte, wurden der Tagelöhner Wagner und der älteste Sohn Konrad am 16. November auf öffentlichem Markte mit einer Tafel auf der Brust in Ketten geschmiedet, in denen sie sterben sollten. Die Knechte des Scharfrichters stellten sie eine Stunde lang am Pranger aus, um sie dann zu einsamer Einsperrung ins Zuchthaus abzuführen. Konrad ertrug die
Strafe, wie man es von ihm erwarten durfte. Seiner Schuld bewußt, litt er ruhig, schweigend und mit gesenktem Haupte. Wagner dagegen blickte frech und trotzig auf die zahllos versammelten Zuschauer. Einmal machte er sogar Miene zu sprechen. Er hob die Schandtafel vor der Brust in die Höhe, um sie der Menge in frechem Hohn noch besser zu zeigen.
Jener nahm mit dem Abscheu vor seiner Tat zugleich das allgemeine Mitleid, dieser zugleich das Entsetzen vor seiner Verworfenheit mit in den
bürgerlichen Tod hinüber. Es ist uns nicht Friedirch, der nicht in Ketten Geschmiedete und nicht zum bürgerlichen Tod Verurteilte, gab sich dieser Hoffnung hin – eine Aussicht, die das Gefühl wenigstens einigermaßen über die schreckliche Strenge dieses Urteils hinwegführen kann.
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