Frei Lesen: Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3

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Willibald Alexis

Geschichten aus dem Neuen Pitaval - 3

Der Pfarrer Riembauer

eingestellt: 7.8.2007



Zu Nandelstadt im Landgerichtsbezirk Moosburg in Bayern lebte 1813 ein Pfarrer, der um seiner Gaben und Tugenden willen anderen Geistlichen als Muster vorgehalten wurde. Franz Salesius Riembauer war von kräftigem, stattlichem Wuchs; seine schönen Gesichtszüge, sein ernstes und doch freundliches Wesen sprachen für ihn, nicht minder seine wortreiche und gewandte Rede. Er war der liebreichste, zuvorkommendste Mann und trotz seiner großen Gelehrsamkeit der leutseligste Mensch im Umgange mit Geringeren. Dabei wußte er seine priesterliche Würde überall zu behaupten, und seine Sitten waren in jeder Beziehung untadelig.

Er hatte schon früher, wenn er nicht in seinem Amte tätig war, nur seinen gelehrten Studien gelebt, und den Pfarrherren, denen er als Kaplan beigegeben war, pflegte er, wenn sie seinen Eifer für die Wissenschaft bewunderten, zu antworten, das sei die wahre Bestimmung des Geistlichen; einem Diener Gottes zieme nicht, nach weltlichen Dingen zu streben. Von diesem Grundsatz wich er jedoch ab, als er sich als Kaplan in Pirkwanz ein Bauerngut gekauft hatte und mit demselben Eifer wie früher die Studien nun auch die Landwirtschaft betrieb. Seine Predigten waren voll Feuer und Salbung. Er eiferte in und außer der Kirche gegen die Ruchlosigkeit der verderbten Welt, 6 was die Kirchen, in denen er predigte, füllte und ihm einen immer größeren Ruf verschaffte.

Wer ihn aus der Kirche kommen sah mit seitwärts gesenktem Haupte, die halbgeschlossenen Augen auf den Boden geheftet, mit süßlächelndem Munde und gefalteten Händen, dem erschien er wie ein halbverklärter Frommer, der nur im Vertrauen auf Gott und in der Liebe des Nächsten lebt. Das Volk glaubte geradezu, und er widersprach diesem Glauben nicht, daß er mit der übersinnlichen Welt in näherer, ja in sehr vertrauter Verbindung stehe. Verstorbene machten ihm aus dem Fegefeuer Besuche auf seinem Zimmer, baten ihn um eine Messe und waren für immer beruhigt, sobald diese Messe gelesen war. Riembauer sah dann noch während der Messe den erlösten Geist in Gestalt einer Taube davonfliegen. Wenn er in seinem geistlichen Berufe nachts über Feld ging, traten ihm auch wohl die armen Seelen in Gestalt von Lichtchen in den Weg, wahrscheinlich um seine Benediktion zu erhalten. Sie huschten zur Rechten und zur Linken, je nachdem er seine geweihten Finger dahin oder dorthin bewegte. Sein Ruf beim Volke stieg von Jahr zu Jahr, und er war auf dem Wege, als ein Heiliger verehrt zu werden. Wenn er von einem Stuhle aufgestanden war, drängten sich viele eilig hinzu, um sich auch darauf zu setzen; denn sie hofften, daß etwas von seinem heiligen Wesen auf sie übergehen werde.

Nicht alle sahen aber den aufdämmernden Heiligenschein um sein Haupt: es gab auch Zweifler und Ungläubige. Doch auch die Leute, die eine innere Abneigung vor dem süßlächelnden Manne mit dem gesenkten Haupt empfanden, mußten seinen Eifer als Priester rühmen und wurden wider ihren Willen von seinen Predigten hingerissen. Ein Landmann, dem Riembauer persönlich zuwider war, sagte später von ihm: »Er war ein gar ehrenwerter Prediger und hätte uns alle bekehrt, wenn er noch länger in Hofkirchen geblieben wäre. Er drückte immer die Augen zu und machte es gar kräftig.«

Mit der Zeit aber tauchten schon bestimmtere Gerüchte über den wahren Charakter des ehrwürdigen Herrn auf, und immer mehr Leute, Amtsbrüder und Laien, fingen an, ihm zu mißtrauen. In einem Dorfe sagte man sich ins Ohr, der Pfarrer sei durch einen Brief, den er von einem anderen Pfarrer erhalten habe, bei welchem Riembauer früher Kaplan gewesen sei, vor ihm gewarnt worden; er sei ein Wolf in Schafskleidern, und deswegen habe ihn jener Pfarrer möglichst schnell zu entfernen gesucht. Auch unter seinen Beichtkindern meinte der und jener schon, mit einem Menschen, der zu jedermann so süß schmeichelnd rede und dabei niemand ins Auge sehen könne, könne es nicht besonders gut bestellt sein. Ja ein sehr ehrenhafter Hausvater, der sich glücklich schätzte, wenn der junge, fromme geistliche Herr bei ihm einkehrte, glaubte doch auf seiner Hut sein zu müssen, zumal wenn Riembauer bei ihm über Nacht bleiben wollte, weil er seinen Töchtern immer eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmete.

Die Besorgnis des ehrbaren Hausvaters war begründet. Schon vor der Katastrophe, von der wir reden wollen, stellte es sich heraus, daß der heilige Mann wenigstens in einem Punkte kein Heiliger war.

Riembauer war im Jahre 1770 als der Sohn eines armen Tagelöhners geboren. In seiner Jugend diente er als Hirtenknabe. Bei guten Verstandeskräften entwickelte sich aber schon früh in ihm eine große Lernbegierde, und der Gedanke, sich den Studien zu widmen und Geistlicher zu werden, wurde immer mächtiger in ihm. Als er dreizehn Jahre alt war, bat er den Pfarrer in seinem Geburtsorte Langquaid auf den Knieen, daß er ihn zum Gymnasium vorbereiten möchte. Sein Wunsch wurde erfüllt. Er machte reißende Fortschritte, so daß er schon nach einem Jahre für das Studium reif zu sein schien. Aber mit der Lernbegierde war zugleich eine bedrohliche Neigung zum Diebstahl in ihm aufgewachsen. Er selbst erzählte von sich, daß er als Knabe sogar einmal große Lust verspürt habe, einen anderen Knaben totzuschlagen, um ihm sein Geld zu nehmen. Dem Kaplan des Pfarrers unterschlug er dreißig Kreuzer, die er im Kegelspiel verlor. Er wurde dafür tüchtig gezüchtigt und entlief nach Regensburg, wo er sich in das Gymnasium aufnehmen ließ.

Hier indessen war sein Wandel nicht allein unsträflich, sondern ebenso ausgezeichnet wie seine Fortschritte im Lernen. Man erteilte ihm das Lob eines musterhaften Studenten, der sich und seiner Kirche dereinst Ehre bringen werde. In Kirchengeschichte und Kirchenrecht erwarb er sich ungemeine Kenntnisse. Seinen Verstand bildete er durch die Künste der Dialektik, sein Gemüt nach der Kasuistik der Jesuitenmoral aus. Die Priesterweihe erhielt er im fünfundzwanzigsten Jahre, 1795, zu Regensburg und diente dann mehrere Jahre als Kaplan in verschiedenen Pfarreien, schon da hochgerühmt als Prediger, bis er 1807 zu München die Prüfung als Pfarramtskandidat mit großen Ehren bestand und darauf eine Pfarrei zu Priel und 1810 die zu Nandelstädt erhielt.

Während dieser glänzenden Laufbahn blieb aber auch seine geheime Lebensgeschichte nicht arm an Taten und Ereignissen. Er hatte schon mit einer ganzen Reihe von jungen Mädchen fleischlichen Umgang gepflogen. Das war das erstemal zu Hofkirchen der Fall gewesen, wo er 1801 als Kaplan die dortige Pfarrköchin geschwängert hatte, die in Landshut, wohin er sie gebracht hatte, mit einem Knaben niedergekommen war, der aber bald darauf wieder gestorben war. Diese Liebschaften hatte er dann fortgesetzt und mehrere Kinder gezeugt, ohne daß Aufsehen erregt worden wäre.

Über diese Sünden hatte sich Riembauer zu seiner Gewissensberuhigung eine eigene Moral erfunden. Es waren ihm Verirrungen der Zärtlichkeit, aber nicht Sünden, und wenn Sünden, nicht seine, sondern »die Sünden des Zölibats«. Er hatte die volle Beruhigung, daß er sie nicht allein trug. Aber aus seiner Philosophie und theologischen Moral hatte er sich zugleich eine ganze Reihe der triftigsten Beweise dafür herausgeklaubt, daß er durch das Erzeugen von unehelichen Kindern nichts Sträfliches, sondern sogar etwas dem Himmel Wohlgefälliges begehe, indem er dadurch zur Erweiterung des Reiches Gottes wesentlich beitrage.

Diese jesuitische Moral drückt er selbst in folgenden Worten aus: »Ich überlegte erstens, daß es nicht unerlaubt scheinen könne, ein Kind zu zeugen; denn eine vernünftige Kreatur, die ewig dauern soll, hervorzubringen, ist etwas Gutes. Dadurch wird der Mensch auf eine besondere Weise Gottes Bild, daß er zur Hervorbringung eines Menschen beiträgt, wie der heilige Clemens von Alexandrien sagt. Zum zweiten kann es auch nicht gegen Gottes Anordnung sein, weil dadurch die Zahl der Auserwählten einen Zuwachs erhalt. Drittens geschieht es durchaus nicht zum Schaden der Kirche, wenn nur dieser Mensch zu einem rechtschaffenen Christen gebildet wird. Endlich aber verstößt es nicht gegen die Belange des Staates, wenn ein solches Mitglied sittlichen und bürgerlichen Unterricht bekommt und so zu einem guten Staatsbürger und treuen Untertan erzogen, und wenn außerdem die beteiligte Mutter nicht verlassen wird. Mit diesen Gedanken ging ich öfters um; auch die Kirchengeschichte und die Erfahrung unterstützten meine Grundsätze. Und so wurde es meinem Inneren leicht, mich zu solchen Zölibatsfehlern hinreißen zu lassen.«

Wenn er diese Verbindungen schloß, verfuhr er nichts weniger als leichtsinnig. Sowohl um das Gewissen der armen Geschöpfe zu beruhigen, als auch um sich ihrer Treue zu versichern, pflegte er durch eine feierliche Handlung, bei der er Priester und Bräutigam in einer Person vereinigte, eine Art Ehe mit ihnen zu schließen. Was die Förmlichkeiten betrifft, die dabei vorgenommen wurden, so bestritt er manches, was die Zeugen angaben, gestand jedoch, daß er seine Beischläferinnen über die gegenseitigen Pflichten der Ehegatten belehrt und ihnen ein förmliches Versprechen darauf gegeben und abgenommen habe, diese Pflichten treu zu erfüllen. Er ging mit der raffiniertesten Spekulation eines ausgemachten Wollüstlings zu Werke, indem er schon als junger Kaplan vor allen Dingen in den Häusern umherschlich, in denen junge aufblühende Mädchen waren. Den Eltern pflegte er dann zu empfehlen, sie sollten sie zu Pfarrköchinnen erziehen, weil das für die armen Dinger die beste Zukunft sei. Den jüngeren Mädchen, die bei ihm Religionsunterricht erhielten, suchte er den Lehrsatz praktisch begreiflich zu machen, daß sich ein Mädchen mit einem geweihten Herrn gewisse kleine Sünden wohl erlauben dürfe. Feuerbach, der diesen Kriminalfall unter dem Titel »Tartuffe als Mörder« berichtet, zitiert hier Molière, da ja Riembauers ganze priesterliche Laufbahn nichts anderes sei als ein verkörpertes Beispiel des bekannten und beliebten Grundsatzes aller Scheinheiligkeit:

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