Willibald Alexis
Isegrimm
Zwei Anstands-Visiten.
eingestellt: 25.7.2007Dreizehntes Kapitel.
Zwei Anstands-Visiten.
Es schneite immer fort.
»Wenn der Schnee nur endlich liegen bliebe!« sagte Minchen, am Fenster der niedrigen Stube mit einer Näharbeit beschäftigt. Die Stube war nicht unfreundlich. Die Frauen von Ilitz hatten sich behaglich eingerichtet; der Seufzer der gnädigen Frau, die sich umschaute, war vielleicht nur das Resultat einer Vergleichung mit den düsteren Mauern ihres alten Steinhauses. Die Mauern im Deutschen Hause waren zwar etwas krumm, der Fußboden schief, denn das ganze Gebäude hatte sich gesenkt, aber wie hell waren die Wände gestrichen, wie sauber Dielen, Türen, Fenster gescheuert; der Ofen so hübsch warm, und das Schneelicht so hell.
»Ach Gott, Kinder, schweigt doch von dem Ball, mir ist so bang zu Mute, wenn ich dran denke,« sagte die Mutter.
Minchen meinte, es sei auch ganz recht, wenn nichts draus würde.
»Wir haben keine Kleider dazu. Wir müßten sie uns aus Ilitz kommen lassen. Und der Vater würde schöne Augen dazu machen.«
Das sei nun schon der dritte Tag, daß die Botenfrau nicht gekommen, erwiderte die Mutter. Man wisse ja kein Sterbenswort, wie es zu Hause aussieht. – »Und bis der Schnee nicht fest bleibt,« setzte Minchen hinzu, »kommt keine Botenfrau durch den Luch. s ist unergründlich, sagt Frau Rothenmeier, draußen.«
Malchen, die am Ofen schrieb, wischte ihre Feder aus – sie hatte für die Familie in einem langen Briefe an den Vater die Vorfallenheiten berichtet. »Wie sollen wirs denn zu ihm kommen lassen?«
»Schicke doch Deinen Kandidaten hin,« rief Karoline; »wenn Du es ihm aufträgst, läuft er durch Schnee und Sumpf.«
Die Mutter verbat sich die Neckereien. Wo so viel Hader und Zwist in der Welt sei, müßte man wenigstens in der Familie Frieden halten.
»Und was wären wir hier ohne Herrn Mauritz! Er handelt wirklich wie ein Vormund.«
»Und will doch nicht, daß wir bei der Frau Generalin eine Visite machen,« warf Karoline ein. »Alle haben es getan, nur wir noch nicht.«
»Weil sie sich langweilen,« trumpfte Minchen. »Wir langweilen uns nicht.«
»Aber wir kommen wieder ins Gerede, und daran ist diesmal nicht der Vater schuld, sondern der Herr Kandidat.«
»Du hast nicht recht gehört, Linchen,« sagte die Mutter.
»Er hat es auch nicht gerade untersagt –«
»Nun, das fehlte noch, daß Herr Mauritz uns was verbieten soll!«
»Wir sollten nur erst des Vaters Meinung hören, meinte er. Und dann müßten wir doch auch ordentlich vorfahren. Die Kutsche, das ginge schon zur Not, aber wir müßten einen Bedienten nehmen. Und woher die Livree kriegen! Und mit meinem bißchen Französisch –«
Minchen erklärte, das tue nun nichts, die Generalin spreche ja, wenn auch nur aus Gefälligkeit, Deutsch. Die Mutter fand den Ausweg, sie wolle noch einmal mit dem Vetter aus Quilitz darüber reden, der Hofmarschall habe ihr anfänglich zugeredet, nachher ihre Bedenken geteilt und denn versprochen, sich näher nach der Sache zu erkundigen.
Da öffnete sich die Tür, und das Vollmondsgesicht der Frau Rothenmeier blickte mit einem eigentümlichen Ausdruck von Pfiffigkeit herein. Es war gewiß eine gute Frau, und ihre Botschaft auch eine gute, nur konnte sie vor Ueberanstrengung nicht gleich zu Worte kommen. Ihre Gestalt hätte man mit einem Bierfaß vergleichen können, das von zwei Beinchen getragen wird. So war sie die Treppe heraufgestürzt. Das ganze Faß atmete nach Luft, nachdem sie die Worte ausgestoßen: »Der Herr Hofmarschall werden gleich hier sein.« Wenn diese Meldung schon die Familie elektrisierte, was mehr, als ihre Lunge frei ward: »Und nun raten Sie, wen er mitbringt?«
»Den Vater?« rief Minchen.
»O, ganz was anders! – Die Frau Generalin –«
»Die Genera –!«
»Die Frau Generalin von Malcheren in eigener Person!«
Der Strickstrumpf der Frau von Ilitz fiel auf die Erde, sie selbst fuhr vom Sofa und ihre beiden Hände in die Haube. »Mein Gott, doch nicht gleich!«
Karoline, deren Blicke einem Reiter auf der Straße gefolgt, schlug das Buch zu und rollte die Stickerei zusammen; Amalie warf die Papiere in den Schubkasten und rückte den kleinen Tisch in die Ofenecke, und selbst das fleißige Minchen legte mit einem stillen Seufzer: »Wieder eine Unterbrechung!« ihre Arbeit fort. Es war zu spät. Die Wirtin hatte kaum Zeit, sich hinauszureden, als der Hofmarschall schon, die Generalin am Arm, eingetreten war.
»Point dhonneur, point dhonneur!« entgegnete die Eintretende auf die verlegen vorgebrachte Frage der Frau Ilitz, wie sie zu der Ehre komme? »Comment vous portez-vous, ma chère baronne?«
Man schien nur französisch angefangen zu haben, um auf der Stelle ins Deutsche überzugehen. Ehe die Frau Generalin auf dem Sofa Platz genommen, ehe noch die Frau von Ilitz um Entschuldigung gebeten, daß es so hart sei, hatte der Gast die Wirtin embrassiert:
»Das müssen Sie mir schon erlauben, meine liebe gnädige Frau von – wie ist doch gleich Ihr werter Name? Das tut nichts zur Sache. Namen sind eine gute Sache, aber ein gutes Gesicht ist besser. Das Ihrige sagt nur gleich, daß der Ruf nicht gelogen hat. Da konnte ich mir denn auch das Vergnügen nicht versagen, – der Herr Hofmarschall wird meine Dreistigkeit entschuldigen.«
Der Herr von Quilitz erklärte kurz, daß, als er der Frau Generalin seine Aufwartung machen wollte, er sie schon bereit gefunden, ihren Besuch seiner teuren Schwägerin abzustatten, und die Generalin habe ihm erlaubt, sie begleiten zu dürfen. Er mußte dann auf die Bemerkung: »Vermutlich die liebenswürdigen Fräulein Töchter?« diese vorstellen. Die Fremde war charmée und enchantée, sie hatte immer gesagt, daß auf dem Lande die schönsten Blumen blühen; die beautés in der Stadt hätten nicht die rechte fraîcheur.
Die Mutter fühlte, daß sie das Kompliment erwidern müsse; sie tat es mit vieler Feinheit, indem sie sich nach dem Befinden der Komteß, ihrer Nichte, erkundigte, und ihr Bedauern ausdrückte, daß sie den schönen und überraschenden Besuch nicht durch deren Gegenwart verschönert hätte. Ihre Töchter hätten sich schon längst auf die Bekanntschaft der Komteß dAiguillon gefreut.
»Ach, der Wildfang hat die Migräne. Nen parlons pas, ma chère baronne. Wenn ihr etwas im Oberstübchen sitzt, bringt man sie nicht auf die Beine.«
»Mademoiselle la comtesse lebt etwas retirée,« bemerkte der Vetter aus Quilitz. »Man klagt, daß man sie so selten sieht.«
»Das sag ich ja auch. Wozu geht man auf Reisen, als um gute Menschen kennen zu lernen.«
»Man will auch bemerken,« fuhr der Hofmarschall mit einem fixierenden Blick fort, »daß, wo die Komteß hinkommt, sie bald wie der Blitz verschwindet.«
»Sie hat kein Sitzfleisch, monsieur le maréchal. Nur auf dem Pferde, da hält sie aus. Ach, daß ihre Mutter so früh sterben mußte! Sie ist nun mal ein verzogenes Kind. Und Mucken hat sie im Kopf, aber von englischer Güte. Ihre Großmutter war eine Engländerin. Ich sagte oft zu ihrem seligen Vater: mit der Reitpeitsche erzieht man doch nicht junge Fräuleins. Als Kind schon, mit dem Lockenköpfchen, auf dem Pferde. Und die wildesten gingen ihr nicht schnell genug. Hurra mit der Peitsche! Das Reiten, wie gesagt, hat sie von ihrem Vater, und die englische Güte von ihrer Mutter.«
Die Frau von Ilitz fühlte sich zu einem Gegenkompliment gedrungen: die Gräfin werde wohl das beste durch die Erziehung der gütigen Tante abbekommen haben.
»Nein, nein! von mir hat sie nichts. Wir beide, meine liebe Frau Baronin, sind aus der guten alten Zeit, das heißt, ich will gar nicht sagen, daß meine gnädige Frau alt wären – Sie sind in den besten Jahren – aber diese jungen Springinsfelds haben andere Gedanken als wir, fragen Sie nur Ihre Fräulein Töchter. Die lachen uns hinterm Rücken aus; wir sind vom alten Register; von uns wollen sie nichts lernen. Haben auch recht. Wir sind ja alle auf der Welt, daß wir vergnügt sein sollen; der eine so, der andere so. Ich will nur froh sein, wenn ich meine Niece bis zur großen Armee –« Sie hielt rasch den Finger an den Mund: »Schelten Sie mich nur, daß ich so ins Plaudern kam, aber unter lieben Menschen geht das Herz mit der Zunge durch.«
Die verschiedenen Personen in der Gesellschaft schienen Verschiedenes zu denken. Karoline hatte mit einem verächtlichen Zucken um den Mund der Sprecherin halb den Rücken gewandt. Der Hofmarschall hatte eine Prise genommen, mit einem gewissen Elan, der auszudrücken schien: Nun weiß ich genug!
Die Frau von Ilitz hätte gern gefragt, ob die Komteß wirklich mit einem der großen Herren aus der Suite des Kaisers verlobt sei, wie es in der Stadt hieß, aber sie getraute sich nicht. Um die Pause zu unterbrechen, drückte sie ihr Erstaunen aus, wie gut die Frau Generalin sich deutsch auszudrücken wisse.
»Frau Baronin sind zu gütig, daß Sie mein Geplapper noch als Deutsch passieren lassen. Meine Mutter war noch eine Deutsche, und mein Großvater war auch einer gewesen, aber ich bin als Kind in Batavia oder Kalkutta geboren, wo sie Sprachen reden, die eigentlich kein Mensch versteht. Gott weiß, was ich für eine reden würde, wäre nicht mein erster Mann von den Wilden gefressen worden.
»Ja, ja« – wiederholte sie und brachte ihr Tuch etwas ans Auge, als die der anderen auf ihr hafteten – »es ist so. Als Oberst von den Holländern, in der Schlacht mit giftigen Pfeilen haben ihn die Karaiben tot geschossen und dann gebraten am Spieß und aufgefressen. Es ist kein Stück von seinem unsterblichen Leibe ins Grab gekommen. Sage ich Ihnen, da grauselte mich unter den Türken und Hottentotten – er war ein Mann so gut, und wie ein Kind – und hätte ich als Bettelweib zurück gemußt, da wäre ich nicht geblieben. Da ließ mich der Himmel meinen zweiten Mann finden, der mir rechtschaffen den ersten ersetzt hat; das kann ich wohl sagen. Damals war er noch nicht General, aber es ist ja alles ganz gut gegangen, und er ist avanciert.«
»Der Herr General sind schon mit nach Preußen vorgerückt?«
»Nein, er kann das Blutvergießen nicht leiden. – Sie sehen mich verwundert an, meine Herrschaften, aber wenn Sie wüßten, was mein lieber Mann für Blut vergossen hat in seiner Jugend! Er war so schrecklich tapfer, daß sie ihn immer zurückhalten mußten, nämlich gegen die Menschenfresser und Wilden. Nun hat ers satt und sagt: Das sind doch Christenmenschen hier und unsere Brüder; wen man heute totschlägt, wer weiß, ob man ihn nicht morgen lieb haben muß. Darum haben sie ihn ins Kommissariat gesetzt. Lieber Himmel, die Strapazen haben ihn auch ein bißchen angegriffen. Und mit was für gemeinem Gesindel muß er sich placken. Da muß er denn schon zuweilen einen über die Lippen nehmen. Aber wenn er hier wäre, die Nauwalker könnten froh sein. Er ist lammfromm und drückt, wo er kann, ein Auge zu. Er sieht mehr auf den guten Willen, was einer geben kann, und zieht den Leuten nicht das letzte Hemde aus. – Der hätte, glauben Sie mir, auch die armen Kerle da nicht totschießen lassen, und dicht am Tore, wo die Herrschaften vorbei passieren mußten. – Apropos, wie befindet sich denn Ihr Fräulein Tochter? Was hat uns allen das leid getan, daß sie vor Schreck krank werden mußte!«
»Sie ist ja leidlich wieder hergestellt,« erwiderte die Mutter. Als die gute Frau Generalin ihre Teilnahme der Leidenden selbst beweisen wollte, irrte sie in der Person. Karoline entgegnete kurz:
»Ich falle nicht in Ohnmacht, wenn Leute erschossen werden, die ihr Schicksal verdient haben.«
»Ach, das ist ein Heroismus! Eine Heroine! Die muß ich an mein Herz schließen.«
Als sie Karolinen umarmen wollte, rief die Mutter: »Nein, die hat die beste Gesundheit unter uns.«
Malchen hatte sich fast hinter den Ofen gedrückt. Wer ist immer über seine Gefühle Herr und gibt sich Rechenschaft, warum ein Schauer ihn überkommt. Sie fuhr zusammen, als die Generalin ihren Nacken umfassen wollte, und barg an den Kacheln ihr Gesicht; aber die Tränen, die herausbrachen, konnte sie nicht verbergen.
»Ach, das arme Kind friert noch. – Ein Fieberfrösteln hat nichts zu sagen. – Nach Regen kommt Sonnenschein. – Ihre Seelen sind nun im Himmel, liebes Fräulein. Denen tut kein Glied mehr weh, und der liebe Gott wird sie trösten. Aber,« setzte sie hinzu, »wer läßt denn am großen Wege Menschen erschießen, wo anständige Damen vorüberfahren! – Das war ein Massacre, sagt der Herr Intendant, und Monsieur der Receveur-General waren außer sich, wie ers gehört hat. Das wären Betisen, hat er gesagt, und wenns nach ihm gegangen, lebten die armen Kerle noch, denn im Kriege müßte nicht jeder auf seinen Nebenmann sehen, weil er genug zu tun hat, wenn er auf sich sieht. Der neue Colonel will wichtig tun. Das ist ein hoffärtiger und grausamer Mensch, glauben Sie mir, von dem die Stadt und Gegend noch manches leiden kann. Er fährt bei keinem vor, und alle sollen zu ihm kommen. Erlauben Sie mir, meine Herrschaften, Sie vor dem inständigst zu warnen; da müssen Sie sich in acht nehmen –«
Da knarrte die Tür, und dasselbe pfiffige Gesicht der Frau Rothenmeier guckte herein.
»Meine Herrschaften, meine Herrschaften, der Herr Colonel mit der Frau Hofmarschallin – sie kommen schon die Treppe rauf.«
Sie waren im Zimmer. Diesmal zuckte kein elektrischer Funke durch die Anwesenden, nur eine allgemeine Verlegenheit. Nur der Hofmarschall war davon frei. Er half auch den anderen. Wahrscheinlich habe der Herr Colonel ihm die Ehre erzeigen wollen, den Besuch, den er, der Hofmarschall, ihm gemacht, zu erwidern, und er sei der Bitte seiner Gattin nachgekommen, sie zu seiner verehrten Cousine zu geleiten. Er erlaube sich daher, den Herrn Colonel dEspignac der Frau von der Quarbitz vorzustellen. Die Vorstellung der anderen Personen, soweit sie nötig war, folgte.
Der französische Offizier war eine ritterliche Gestalt. Seine Züge sprachen von den Strapazen der Feldzüge. Er mochte in der Mitte der Dreißiger sein oder etwas darüber, sein dunkles Auge aber strahlte zuweilen von jugendlichem Glanze. Mehr als seine Züge sprach sein gesetztes Wesen von dem Stande, den er unter seinen Genossen einnahm. Dies hinderte indes nicht, daß er schon während der ersten Komplimente lebhafte Beobachterblicke auf die Anwesenden umherschweifen ließ.
Wenn er ein Kenner und Liebhaber von Schönheit war, so hatte er wenigstens keine an seinem Arme hergeführt. Die lange und spitze Gestalt der Frau Hofmarschallin war etwa der Gegensatz zu der der Frau Rothenmeier. Als die lange Rike schon als Mädchen bekannt, führte sie noch als reife Fünfzigerin den Namen. Sie mochte deshalb die Gegend und die Menschen nicht leiden, welche letzteren diese ihre Gesinnung redlich erwiderten.
Sie wäre gern immer in Berlin gewesen, und ihre Nachbarn hätten sie gern immer dort gewußt, denn ihre spitzen Reden stachen auch durch harte Haut, und die Salbe, welche ihr Ehegatte darauflegte, heilte nicht immer die Wunde. Von einigen wurde das Paar auch deshalb der Dornstrauch und die weiße Salbe genannt. Was man in Berlin Witz nennt, drang jener Zeit auch in die Provinz. Aber auch in Berlin hielt die lange Rike es selten lange aus. Zwar inkommodierte ihre stachlige Zunge weniger, wo so viele schlicht sind, aber in Berlin wußte mans nicht, daß sie auch die Allodialerbin der Klostergüter Schmachtenhagen und Schwanebük war, die Erbtochter der Queiste, welche jene Güter in der Reformation an sich gebracht. Mit ihr erlosch das vielgenannte Geschlecht, das im siebenjährigen Kriege zweiundsiebzig Kombattanten gestellt hatten die alle fürs Vaterland geblutet hatten, und, was noch merkwürdiger, alle als Kornetts, Fähnriche und Leutnants. Nur einer war Kapitän geworden, als er den Abschied nahm.
In Berlin wußte mans nicht, und wenn mans gewußt, es hätte ihr damals nichts geholfen. In der Provinz wußte mans zu schätzen; darum heiratete sie ein Quarbitz aus Quilitz, was für die Queiste als Ehre galt, denn ihr Stammbaum war jenseits der Reformation sehr dunkel, für die Quilitzer aber als eine vorteilhafte Partie, denn was im Verlaufe der Zeit von den Dukatenkoffern der polnischen Gräfin abhanden gekommen, die Lücke füllten die Klostergüter der langen Rike. Aber es bedurfte der wunderbaren Wirkungen eines alles erschütternden Krieges, daß man die Frau Hofmarschallin ans Quilitz im Besuchszimmer der Frau Majorin von Ilitz sah: denn wenn die letztere vor Gott beteuern zu können glaubte, daß sie alle Menschen liebte, so wäre sie doch rot geworden, wenn eine Stimme aus dem Himmel gefragt: Auch die lange Rike? Es schrieb sich so von Jugend her. Deshalb konnte die ehrliche Frau von Ilitz auch nicht einmal die gewöhnlichsten Formeln von ungemeinem Erfreutsein stammeln; ja, sie war erschrockener über den Besuch ihrer Cousine mit der spitzen Zunge, als die gute Generalin über den des Mannes, den ihre breite Zunge eben gelästert hatte.
Die Unterhaltung ward jetzt natürlich nur französisch geführt. Der Colonel sprach wenig, die Frau Hofmarschallin zwar perfekt, aber mit einer so unangenehm betonenden Aussprache, daß des Colonels Ohr selbst lieber auf das mangelhafte, aber weiche Französisch der Frau von Ilitz zu hören schien. Die Generalin streute nur einzelne Komplimente für den Obristen ein; ihre Bemühung, freundliche Aufmerksamkeit von seiner Seite zu erwecken, scheiterte aber an seiner gänzlichen Gleichgültigkeit. Die weiße Salbe bewährte sich übrigens; als vollkommener Hofmann wußte der Herr von Quilitz die Konversation, solange sie des Stoffes bedurfte, ebenmäßig hinzuleiten, daß sie eben nichts berührte und doch fortlief.
Es war nur eine Anstandsvisite. Man sah schon an der Art, wie der Colonel den Hut faßte, daß sie zu Ende ging, und wunderfroh war die gute Frau von Ilitz, daß die Torszene nicht berührt ward. Bei der Präsentation hatte der Colonel geäußert: »Ich hatte schon die Ehre, die gnädige Frau zu sehen.« Aber der feine Mann hatte rasch abgelenkt, als er ihr Erröten bemerkte. Da mußte die Hofmarschallin die Unterhaltung aus dem Geleise bringen.
»Apropos, Herr Colonel haben neulich ein paar Filous füsilieren lassen. Dafür müssen wir Ihnen ja dankbar sein.«
»Klagen Sie den Krieg an, Madame.«
»I, lassen Sie immer ein paar mehr erschießen. Es schadet nichts.«
»Madame sind eine böse Feindin meines Kaisers.«
»O, ich gönne Ihnen auch von unseren. Gesindel genug, das in den Schenken liegt und die Gutsbesitzer plagt. Zum Aufräumen, dazu ist der Krieg.«
»Aber ich bedaure, wenn er zarte Damen aus ihrer Sphäre versetzt.«
»Ich habe starke Nerven; aber es ist wahr, Ihre Töchter, liebe Cousine, kriegten ja wohl Konvulsionen. Sind alle drei in Ohnmacht gefallen? – Warum haben Sie nicht zu mir nach Eau de Cologne geschickt? Na, das Nauwalker Straßenpflaster wird sie schon wieder zu sich gebracht haben.«
»Meine Töchter, gnädige Frau –«
»Können einen Puff vertragen,« fiel die Gnädige ein. »Sie sehen ja auch schon wieder ganz robust aus. Beim Ball tüchtig geschwenkt, und der Schreck ist raus.«
Der Colonel hatte den Stuhl gerückt und sich mit einer lauten Frage an den Hofmarschall gewandt. Dieser verstand zwar, was der Frager unter Kerbeließ meinte und bejahte, daß er Besitzer des Dorfes Querbelitz sei, ohne doch den Sinn zu erraten.
»Die Bauern Ihres Dorfes haben uns einen Dienst geleistet, indem sie die Marodeure einfingen, aber warnen Sie Ihre Leute vor Konsequenzen. Die Fouriere melden, daß es Zänkereien mit der Einquartierung gibt. Ich gönne den Leuten ihren Stolz, sich selbst geholfen zu haben, das kann aber gefährlich werden – unter Umständen.«
»Ich gönne ihnen, daß sie mal tüchtig in die Patsche laufen,« fiel die Frau von Quilitz ein. »Störriger Volk gibt es im ganzen Kreise nicht. Sie haben keinen Respekt vor der Herrschaft, weil mein Mann zu gut ist. Es sind wahre Republikaner.«
»Kommt die Torheit auch hier vor!« sagte der Colonel.
»Was meinen Sie mit dem Wort: unter Umständen?« fragte der Hofmarschall.
Der Colonel war aufgestanden.
»Ich habe keinen Grund, ein Geheimnis daraus zu machen. Versprengte Soldaten Ihrer Armee aus Lübeck, andere aus Kolberg, führen jenseits der Oder einen kleinen Krieg gegen unsere Truppen. Ein gewisser Skill oder Skiel, ein Aventurier, kommandiert sie; sie überfallen Transporte und unternehmen auch Anfälle auf schwache Garnisonen. Diese Neckereien schaden nicht viel, aber sie erbittern. Sie können nur gefährlich werden, wo die Bevölkerung unruhig ist. Ich hoffe doch, daß wir hier nichts zu besorgen haben –«
»Sie werden sich doch nicht über die Oder wagen!«
»Es ist nicht wahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Wenn ich hoffte, daß wir nichts zu besorgen haben, so meinte ich unsere freundlichen Wirte in dieser Provinz. Wir lieben nicht den kleinen Krieg, aber fürchten ihn auch nicht. Wenn er Ernst würde, würden wir ihm einen Ernst zeigen, der ihm schnell ein Ende macht. Dazu bin ich hier.« Sein Degen rasselte dabei an der Seite, wohl unwillkürlich.
Die Damen sahen sich erschrocken an. Der Hofmarschall war es mehr als sie, aber er hatte seine weiße Salbe zur Hand. Er protestierte für die Friedfertigkeit und Loyalität der Kreisbewohner und schloß:
»Wir lieben unseren König aufs innigste, wir beten für sein Glück, und darum für den Frieden, aber –«
»Sie billigen keine Torheit,« unterbrach ihn der Obrist. »Ich nehme Ihr Wort als Pfand; Ihre Bauern werden vernünftig sein und sich dabei gut stehen. Unsere Offiziere werden jeden Exzeß, den unsere Truppen begehen, exemplarisch bestrafen, aber wehe dem, der sich zu Exzessen und Revolten gegen des Kaisers Truppen hinreißen läßt. Geben Monsieur mir auch das Wort, daß Ihre Edelleute hier ihre Schuldigkeit tun werden?«
Der Hofmarschall versicherte, daß die Edelleute zu guter Gesinnung und zu klug wären, um einen solchen Wahnsinn zu begünstigen.
»Dem Himmel sei Dank,« entgegnete der Franzose; »wir finden hier nur sehr vernünftige Leute. Aber die meisten Landedelleute, sagt man mir, waren Offiziere. Im alten Militär revoltiert oft das Ehrgefühl gegen die Vernunft. Man nennt mir einen Major von Kar – Quar – verzeihen Sie, Ihre Namen sind unserer Sprache zu schwer –«
»Ein Mann von der loyalsten Gesinnung und Treue, der nichts tun würde, was ihm nicht sein König ausdrücklich befiehlt; dieser König hat ihn aus dem Dienst entlassen. Uebrigens hat er das Podagra; er ist mein Vetter. Herr Colonel befinden sich im Hause seiner Gemahlin. Meine Cousine wird Herrn Colonel versichern, daß ihr Gemahl niemals Aufrührer werden kann.«
Die arme Frau von Ilitz! Wie war alles Blut aus ihrem Gesichte! Wie hatte sie unwillkürlich die Hände gefaltet und wollte sprechen, aber sie brachte keinen Laut heraus. Sie sah schon ihren Mann auf die nächste Festung geschleppt. Der Obrist kam ihr freundlich zu Hilfe.
»Mögen andere Nationen nur Männer zur Bürgschaft zulassen, uns genügt die der Damen für ihre Männer. Vermelden Sie, Madame, Ihrem Herrn Gemahl unbekannterweise meinen Respekt. – Ich würde,« setzte er hinzu, »schon um deswillen hier keinem Argwohn Raum geben, weil ich Ihre jungen Offiziere in so kameradschaftlichem Verkehr mit den unseren sehe. Ja, mein Adjutant sagte mir, einer habe sich unter der Hand erkundigen lassen, ob und unter welchen Bedingungen man in der großen Armee preußische Offiziere aufnehmen würde? Das ist in der Tat mehr, als ich erwartet hatte.«
Vielleicht war es, um die Stimmung zu prüfen, vielleicht auch ohne Absicht hingeworfen. Er sah eine Wirkung, die er nicht erwartet hatte. Selbst dem Hofmarschall entfuhr es: »Der Junge wird doch nicht verrückt sein!« Sogar die Generalin zuckte zusammen: »Hat sies so weit getrieben!«
Die Disharmonie, die er hervorgerufen, lag nicht in der Absicht des Colonel.
»Meine Damen, sollte der junge Mann Sie näher angehen, meine Versicherung daß ich nichts Näheres weiß. Mag es doch auch nur Plaisanterie seiner Kameraden sein. Und bekümmerte Sie sein Entschluß, so beruhige es Sie, daß, wer sich bei uns zum Dienst meldet, noch nicht angenommen ist.«
Der Colonel war gegangen. Die Generalin fand auch für nötig, nach Hause zu eilen.
»Der stört uns noch hier die Assiette, Mesdames, wenn man sich da nicht vorsieht,« hatte sie beim raschen Abschied gesagt. Der Hofmarschall führte sie hinaus, aber es war eine andere Manier.
»Madame,« sagte er an der Treppe, »sprechen ja wohl am besten holländisch?«
Sie sah ihn zweifelhaft an:
»Quälen Sie sich nicht.«
»Weil mein lieber Mann, der doch in holländischen Diensten stand, und wir sind, wie Sie wissen, jetzt französisch –«
»Drum werd ich mir erlauben, Frau Generalin heut nachmittag auf ein Stündchen zu besuchen, wo wir ehrlich holländisch und ehrlich deutsch miteinander reden wollen.«
»Es wird mir zur größten Ehre gereichen.«
»Und zu Ihrem Vorteil, meine Frau Generalin, wenn wir uns verstehen. Ihre Komtesse Niece –«
Sie sah ihn fragend an.
»Wird Ihnen doch Ordre parieren, wenn Sie mit ihr auch holländisch sprechen?«
»Ach, sie ist zuweilen rabiat. s ist nicht mit ihr auskommen. Hat sie sich was in den Kopf gesetzt, o Jemine. Ich sage ihr ja, mit dem Kornett, Du bringst uns alle ins Unglück. Das geht hier nicht so, wie – und wozu? Da möchte sie Kobold vor Lachen schießen –«
»Das soll der Komtesse dAiguillon freistehen, aber erstens, den Kornett muß sie loslassen, zweitens, die Franzosen brauchen keine Werber. Verstehen Sie mich? Hier gibts Gerichte und Obrigkeiten. – Verstehen Sie mich?«
»Ich glaube den Herrn Hofmarschall zu verstehen.«
»Und drittens, will es mich bedünken, als hätte ich meine Frau Generalin schon im Leben gesehen. – Still, mäuschenstill wollen wir beide bleiben, das ist so am besten, um Ihre Niece, die Komtesse, nicht zu alterieren. Wenn das liebe Kind etwa Zutritt hätte beim Herrn Intendanten, vielleicht ist sie mit ihm verwandt, und ein Wort einfließen lassen könnte in Dingen, die ich Ihnen lieber holländisch sagen werde, dann, meine Frau Generalin, kann alles nach Ihrem Wunsch, verstehen Sie mich, in der Assiette bleiben. Bis dahin, meine Frau Generalin, habe ich die Ehre, mich Ihnen ganz gehorsamst zu empfehlen.«
Er verbeugte sich sehr tief an der Treppe, sie knickste noch tiefer; er hielt dafür, daß die Generalin den Weg nach Hause jetzt ganz gut allein finden werde.
Malchen war unbemerkt aus dem Zimmer verschwunden, als die anderen sie suchten. Die Frau von Ilitz war weinend auf das harte Sofa gesunken. »Wenn mein Mann das erfährt!«
Die Hofmarschallin adjustierte ihre Toilette vor dem Spiegel. In der Kristalleinfassung, die sie zu vielfach widerspiegelte, mußte ihre gerötete Nase sie unangenehm ansehen. Sie wandte sich verdrießlich ab.
»Ja, ja, meine liebe Frau Majorin, das kommt davon, wenn man Töchter mit roten Backen hat, die die Leute hübsch nennen, und nicht vorsichtig ist. Warum hat man den jungen Hurlebusch so verzogen, die Leute haben sich genug darüber aufgehalten. Undank ist der Welt Lohn. Die Malchen ist ja noch ein Kind, und so ernst wirds nicht gewesen sein, ich wills wenigstens hoffen. Hasenscharten und Liebeswunden wachsen mit den Jahren aus! Und bis sie unter die Haube kommt, ist das Gerede auch vergessen. Was die Leute reden, Sie haben recht, das ist Wind, aber s ist ein unangenehmer Wind, und wer steht denn gern und läßt sich anblasen, wenn er in der warmen Stube sitzen könnte. Das hätten wir können, nehmen Sie mirs nicht übel, wenn Cousinchen Karolinchen den Herrn von Quiritz genommen; da saßen wir so warm, daß der Wind gar nicht zu blasen wagte. So was kommt nicht alle Tage wieder. Aber Cousinchen hatte recht; ästhetisch war er nicht gebildet und stotterte auch etwas. Und man will seinen Mann doch auch in der Gesellschaft präsentieren – nicht wahr, Minchen, der französische Obrist, das wäre ein Mann, der sich präsentieren läßt! Nehmen Sie sich in acht, er warf ganz besondere Blicke auf mein Cousinchen. Oder irrte ich mich, wars auf Sie, Karolinchen?«
»Mich dünkt,« sagte Minchen, »er sah immer die gnädige Tante an, oder wars die Generalin?«
»Ach, Kinder, wenn nur nicht Krieg wäre und die Franzosen!« jammerte die Frau von Ilitz; »es war alles so hübsch bei uns.«
»Und wird schon wieder hübsch werden,« sagte die Hofmarschallin, als ihr Gatte eintrat, um ihr den Arm zu bieten. »Und wenn Sie die Malchen nicht kurieren können, schicken Sie sie zu uns nach Quilitz. Meine Jungen sollen mit ihr tollen, daß sie wieder ein Kind wird.«
»Und alles, Mesdames, wird sich schon arrangieren, wenn man nur vorsichtig zu Werke geht,« setzte der Herr von Quilitz hinzu. »Aber beim Ball dürfen Sie nicht fehlen.«
Die Luft war frei. Alle fühlten es und atmeten auf. Der Mutter stürzten die Tränen aus den Augen: »Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Wenn man noch solche Reden hören muß!«
Karoline kehrte sich vom Fenster um: »Warum hören wir sie! Vater sagt, die Queiste sind ein Kammerdienergeschlecht, und keiner verleugnet seinen Ursprung.«
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