Willibald Alexis
Isegrimm
Das Ahnenbild stürzt.
eingestellt: 25.7.2007Neununddreißigstes Kapitel.
Das Ahnenbild stürzt.
Ueber das, was an jenem Tage im Hause vorgefallen, gab es nachher verschiedene Gerüchte. Es war so vieles, was man inbezug auf Zeit und Personen untereinander mischte, daß es auch für Bekannte schwer hielt, sich zurechtzufinden. Man hätte sich wohl verständigen können, aber es schien denen, die es näher anging, am besten, daß man es unterließ, und es trat demnächst so vieles Wichtigere und Schwere in die schwere Zeit, daß man darüber das Geringfügigere billig auf sich beruhen ließ.
Der Hofmarschall war noch am hellen Tage abgereist; sie sagten, aus Verdruß über die Antwort, die er auf seinen wohlgemeinten Vermittelungsvorschlag erhalten. Er habe ausgesehen wie einer, der nun das Haus aufgibt, das auf seine Warnungen nicht mehr hören will, und er eilt fort, um unter den Ruinen nicht mit begraben zu werden. Andere sagen, die Art, wie der Baron Eppenstein die unangenehme Nachricht aufgenommen, habe den feinen Mann verletzt; noch andere, er habe die Gespräche der Jagdgenossen nicht mehr anhören mögen, besonders da sie, aller Warnung zum Trotz, auch dann nicht aufhörten, als der Kolonel schon zurückgekehrt war. Einige bringen seine plötzliche Abreise mit dem Fall des Bildes im Flur in Verbindung. Das Rahmenstück nämlich, die Exzellenz Eltermutter mit dem aufgerissenen Munde, hatte sich, wie viele gesehen, an der Wand eine Weile bewegt und den Mund noch weiter aufgerissen, als wolle sie schreien, dann war es krachend zu Boden gestürzt, einen ungeheuren Staubwirbel um sich aufrührend. Der Rahmen war zersplittert, die Leinwand, als man sie aufheben wollte, zerfiel in Plunder.
Richtiger bringt man diesen Vorfall mit der Rückkehr des Kolonel in Verbindung. Als er vom Pferde sprang, sah man ihm eine ungewöhnliche Aufregung an. Einige sagen, er habe schon gezittert, und das keuchende und in Schweiß gebadete Pferd verriet einen anstrengenden Ritt. Beim Eintritt in die Halle blieb er stehen, den Blick auf das Bild gewandt, als erschrecke er vor etwas. Da habe es sich deutlich bewegt mit den erwähnten Grimassen, und als es stürzte, ward dEspignac blaß und wankte. Er mußte sich an die Türpfoste halten und sank auf einen Schemel, der dort für die Dienstleute stand. Nachher erklärte sein Reitknecht, er sei wie ein Rasender durch Heide und Wald gesprengt, und wenn er seinen Herrn befragt, warum das? habe er zur Antwort bekommen, ihn friere. Da habe er wohl gedacht, daß ein Fieber ihn schütteln müsse: denn es war doch laue Luft. Wilhelmine, die in der Nähe war, hatte rasch ein Glas kaltes Wasser gebracht, und hatte es ihm entweder an die Lippen gehalten oder die Stirn damit benetzt. Da hatte er sie angestarrt und von einem Gespenst gesprochen, das ihn nicht verlassen wolle. Der alte Hans schwor, der Offizier sei ganz sinnverwirrt gewesen, denn deutlich habe er das Fräulein Minchen Karoline! genannt.
Sinnverwirrt aber mochten noch andere in der Halle sein. Man hatte den Jägern einen starken Punsch brauen lassen, den sie selbst aus den eigenen mitgebrachten Vorräten noch stärker gemacht, da sie in der Nacht aufbrechen wollten, um mit dem Morgengrauen ein anderes Jagdrevier abzutreiben. Man wollte den Schlaf versingen und vertrinken; in beidem aber versah man sich. Man wollte lustige Jagdlieder singen und geriet in Reiter- und Kriegslieder, solche die damals als Symbol des Franzosenhasses galten. Im Trinken ließ man den König, die Prinzen und die preußischen Generale leben, und wenn ein Glas hie und da über die Köpfe geworfen und zerbrochen ward, galt die dumpfe Verwünschung dabei dem Bonaparte oder seinen Soldaten. Ein Glück, daß die Adjutanten des Kolonel das Haus schon früher verlassen und er selbst jetzt es in einem Zustande betreten, wo er darauf nicht acht haben konnte. Wut und Mut waren aber nicht allein das Produkt des feurigen Getränkes, sondern Erzählungen von brutalen Einquartierungsgeschichten und kannibalischen Grausamkeiten, die französische Soldaten verübt, hatten sie aufgestachelt. Durch jetzt erst heimkehrende Verwundete und Ranzionierte aus Lübeck waren die schrecklichsten Nachrichten von dem Gemetzel, den Mißhandlungen, der Plünderung und Grausamkeit in Land gekommen, welche die Franzosen in der unglücklichen Stadt an preußischen Soldaten und einzelnen Einwohnern bei der Erstürmung begangen. Es war genug, um das ruhigste Blut in Wallung zu bringen, was mehr schon vom Trunk erhitztes. Ein Oekonom verschwor sich, wenn sie den General Viktor, den die Bauern eingefangen, nicht dafür hängen ließen, so wären ja unsere Generale kein Schuß Pulver wert. Ein anderer rief: »Wißt Ihr nicht, sie haben ihn ja schon wieder losgegeben.« – »Er ist los,« nickten sie sich zu, »so machen sies bei uns.«
»Und dafür, daß er sich hat kriegen lassen, hat ihn Napoleon zum Marschall gebacken.« Der dies rief, trommelte dabei die Melodie: Freude schöner Götterfunke! mit dem Glase auf dem Tisch. Es war Baron Eppenstein. »Sie haben nicht die Kourage, einen Franzosen einzusperren; Bonaparte könnte es übelnehmen!« Sein Nachbar, der Johanniter von Quiritz, der sich etwas unbehaglich in der Gesellschaft zu fühlen schien, stieß ihn vergebens an den Ellbogen: »Bedenken Sie doch, der General Blücher ist dafür ausgetauscht.«
Der Baron aus Wüstelang war heute nicht im Zustande, um zu bedenken. Hatte er sich vorhin schon auf der Jagd zu sehr erhitzt, hatte er zu stark dem Glase zugesprochen, während sein Bevollmächtigter für ihn agierte? Er hatte die Botschaft, welche der Hofmarschall ihm zugeflüstert, mit einer mehr als gleichgültigen Miene entgegengenommen. Er trällere ein altes Liedchen, was den Sinn hatte: Ists die eine nicht, so ists die andere! Er schenkte seinem Nachbar, dem jagdlustigen Pastor, das Glas über den Rand voll und raunte ihm ins Ohr: »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wovon sollten denn die Schwarzröcke leben, wenns nicht Kindtaufen und Hochzeiten gäbe! Pereant die Franzosen! Nicht wahr, die glaubens ohne Pfaffen abmachen zu können.«
Das war nicht eigentlich des Barons Art; es gibt aber eine Art, die zuweilen ausschlagen muß, um in der kannibalischen Roheit die wüste Schlacke auszutreiben, damit wieder Brust und Stirn rein werden. Er war mit sich selbst unzufrieden. War der Antrag doch auch nicht sein freier Entschluß gewesen; er hatte nur dem Drängen des Hofmarschalls nachgegeben. Das Schamgefühl über eine Schwäche wirkt deprimierender als die Reue über ein Vergehen. Er hatte sichs ja schon voraus sagen können, schon bei der Ankunft, bei der ersten Begrüßung, daß die Dinge sich hier nicht verändert. Minchen war ihm wie immer unbefangen, gleichgültig, der Vater starr und kühl entgegengetreten. Er fühlte, es war nicht Zeit. Er hatte auch dem Quilitzer einen Wink geben wollen, daß er es jetzt unterlassen möge: aber der böse Gedanke, daß ja doch, was hinter seinem Rücken geschah, zu seinem Glück ausschlagen könne, hatte ihn den rechten Augenblick versäumen lassen.
Je tiefer er den Stachel empfand, um so mehr wollte er den Schmerz bravieren. Daher die Antwort, die er dem Hofmarschall erteilte. Daher wollte er in aller Unbefangenheit und Lustigkeit des Jägers unter die Familie treten. Das war gerade geschehen, als der Kolonel zurückkehrte. Er hatte aus vollem Halse gelacht, als das Bild sich bewegte, er hatte noch gelacht, als es stürzte, aber er lachte nicht mehr, als Wilhelmine dem französischen Offizier zu Hilfe sprang. Hatte der Wein im Kopf ihm mehr gezeigt, als wirklich war?
Von da ab hatte er unter den Zechenden stumm, in sich versunken gesessen, den Kopf auf den Händen. Bald aber war er aufgefahren und hatte von der neuen Bowle hastig ein paar Gläser hinuntergestürzt und mit rauher, erhitzter Stimme in die wilden, unharmonisch gesungenen Chöre eingestimmt.
Der Herr von Quilitz hatte sich vor der Zeit aus dieser Jagdgesellschaft fortgestohlen und war durch die Hinterpforte nach Hause geritten. Die Frau von Ilitz erinnerte sich nachher, daß er beim Abschied zu ihr gesagt: »Ich habe eine Ahnung, daß hier nichts Gutes rauskommt. Sie erhitzen sich immer mehr. Suchen Sie, daß Sie die Herren auf gute Art bald los werden.« – Der Major, dem sies wieder erzählt, hatte entgegnet: »Es ist nie was Gutes, wenn der Mensch zum Tier wird; da der Mensch aber halb Tier ist, muß man ihn sich gebaren lassen. Immer besser noch, wenn die Bestie sich als das gibt, was sie ist, als wenn sie den Engel spielen will.«
Die gute Frau hatte Angst vor dem Baron; wenn er es ihnen nur nicht nachtrüge! Er habe gar so wilde Blicke geschossen und beim Abzuge seine Flinte an sich gedrückt, wie ein liebes Kind. – Der Major hatte aufgelacht: »Glaubst Du, daß er mich, Dich oder gar Menschen erschießen will? Ein Mensch, der spekuliert, hat aufgehört zu fühlen und empfinden wie die andere Kreatur, die Gott gemacht hat.«
Als die Jäger um Mitternacht das Haus verließen, hatten die Damen sich längst zurückgezogen. Man konnte wirklich sagen – die wilde Jagd zog aus. Die Fackeln, die ihnen den Weg zum Walde beleuchten sollten, wurden gegen die Bäume geschlagen, daß die Funken das Laub der entblätterten Aeste zu bilden schienen. Noch als sie verloschen, brüllte aus der Nacht ihr Gesang zurück, oder ein wildes Jauchzen, das dann und wann in ein Kreischen und den Versuch überging, die Stimme dieses oder jenes Tieres nachzuahmen.
»Wenn sies auch nicht jagen, werden sies doch verjagen,« brummte der alte Hans, als er die Flügel des Hoftores verschließen wollte. Der Leibdiener des Kolonel aber forderte ihm den Schlüssel ab, da sein Herr noch in dieser Nacht eine Stafette absenden dürfte.
Als der Kandidat, der am Tor gestanden, dies dem Major mit einiger Besorgnis hinterbrachte, schüttelte der Hausherr den Kopf: »Sie sollten den Charakter schon aus dem Auftreten eines Menschen erkennen. Sie haben doch sonst eine so gute Beobachtungsgabe. Vom Kolonel haben wir nichts zu besorgen.
Der Kandidat wünschte, daß der Major in seinem Gast sich nicht getäuscht habe.
»Er ist Franzos, und gewisse unaustilgbare Schwächen habe ich auch an ihm bemerkt, aber er ist vom Blute jener ausgestorbenen Chevaliers sans peur et sans reproche. Und das schützt mehr als Siegel, Brief und Schwur vor gemeiner Gesinnung und Verrat.«
Herr Mauritz erfuhr bei dieser Gelegenheit. daß auf dem Gesicht des Barons, so hübsch es von Natur sei, so viel der Eigentümer dazu getan, es elegant und kavaliermäßig auszubilden, schon das ganze Sein und das Wesen des Emporkömmlings, ohne eigene Schuld, ausgeprägt liege.
Der Kandidat hatte dem Hausherrn aber noch etwas anderes mitzuteilen. Sie waren in Isegrimms Stube getreten, wo dieser sagte: »Mein lieber Mauritz, ich halte am Spruch, wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten.« Nachdem Herr Mauritz sich umgeblickt, und auch die Tür nach dem Korridor vorsichtig geöffnet, ob draußen kein Lauscherohr sei, sagte er: »Und sie ist schon da, wenn der Major von der Quarbitz sie ergreifen will. Ich halte es nicht für nötig, über etwas, was für jedermann sonst ein Geheimnis bleiben muß, Ihnen das Versprechen der Verschwiegenheit abzufordern.«
Der kurzgefaßte Inhalt seiner Mitteilung war: der unter dem Namen Walter hier eingeführte Fremde, der Sohn des reichen Kaufmanns und Bankiers van Asten in Berlin, hatte eine nicht unbedeutende Summe in des Kandidaten Hände niedergelegt, weil er bei seinen Streifzügen, welche im letzten Augenblick eine Flucht geworden, sie nicht mit sich schleppen konnte, und er dieses Haus, namentlich aber jetzt unter dem Schutze des französischen Kommandeurs, für den sichersten Aufbewahrungsort hielt. Ob die Summe aus Walters eigenen Mitteln herrührte, ob sie eine zusammengeschossene Kasse der in Verbindung getretenen Vaterlandsfreunde war, wußte Mauritz nicht, aber das Geld war bestimmt, ein Stock zu sein für den Notfall, sei es nun einer Bewaffnung von Soldaten, einer Rettung von Patrioten, königlichen Effekten, einer Befreiung Gefangener, oder für ein Erkaufen von wichtigen Nachrichten, denn die französischen Employés waren zu erkaufen. Der Deponent hatte den Depositar ermächtigt, in ihm dringend erscheinenden Fällen ohne weitere Nachfrage nach eigenem Ermessen zu handeln und das Kapital anzugreifen. Lag hier nicht die Rettung eines Patrioten vor? Der Major war nur in augenblicklicher Verlegenheit, aber vielleicht benutzten seine Feinde oder andere, die seinen Einfluß fürchteten, dieselbe, um ihn anzugreifen, unschädlich zu machen. Es war unbezweifelt, daß, wenn der Major auf Ilitz sich für eine Sache erkläre, mit dem ganzen Nachdruck seines Namens und Ansehens, ein Teil wenigstens der Provinz ihm folgen würde. Es galt also die Rettung eines Mannes, dessen Ansehen für den Staat, die gute Sache, die Patrioten, erhalten werden mußte. Mauritz deutete auf das immer lebhafter werdende Gerücht hin, daß eine Erhebung, ein Versuch, das Volk in den alten Provinzen für den König in die Waffen zu rufen, bevorstände. Für diesen Moment, wenn er eintrete, wenn der König rufe, müsse der Mann in Tätigkeit und in seinem Berufe erhalten bleiben, von dessen deutschem Wort und Willen so viel abhänge. Er glaube sich vollkommen berechtigt, dem Major aus dieser Kasse beizuspringen.
Der Major hatte aufmerksam zugehört; seine Stirn legte sich in Falten. Doch fuhr er nicht auf, als er nach einigem Schweigen den Kopf schüttelte: »Wußte ich doch nicht, welche wichtige Person ich die Ehre hatte, in meinem Hause zu herbergen, den geheimen Tresorier einer geheimen Gesellschaft – wohl mit einem Blankett versehen, um Mitglieder aufzunehmen! – Nicht für ungut,« rief er herzlicher und reichte dem Kandidaten die Hand. »Ich liebe nicht das Walten unsichtbarer Mächte und Verbindungen, lieber Mauritz. Als ich noch in Romanen blätterte, da las es sich recht hübsch graulich am warmen Ofen. In Natura, ich meine in der deutschen Wirklichkeit, haben sie auch gespukt. Leider! Und leider haben auch sonst treffliche Menschen sich verführen lassen, dem Wesen ihre Hand zu bieten. Es ist nie etwas gescheites rausgekommen, weder aus Freimauerei, noch Illuminaten, Rosenkreuzern und wie sie geheißen, vielmehr nur Verwirrung und dummes Zeug.«
»Werfen Sie, Herr Major, dies nicht mit jenen zusammen. Es ist hier von nichts Mystischem, keiner Geheimniskrämerei, nicht von Symbolen und Glaubensartikeln die Rede; es sind Männer, wie Sie, wie ich, die nur das Rechte und Gute wollen.«
»Das glauben alle zu wollen.«
»Die Namen der edelsten Männer –«
»Sind für mich keine Bürgschaft. Auf das Schild wird Gott gemalt und seine Heiligen; wie der Teufel nachher hineinrutscht und präsidiert, ist seine Sache. Wissen Sie, was sein bestes Reitpferd ist? Die Ideen derer, die sich berufen glauben, die Welt besser zu machen, so oder so. Hat einer sich erst auf eine Idee eingeritten, so sitzt der Verführer schon mit ihm im Steigbügel. Das ist der Hochmut der Kreatur, daß sie aus ihrer subjektiven Erkenntnis die Zukunft, Welt, Menschen, Verhältnisse regeln will, als wäre die Schöpfung nichts und sie der Schöpfer. Diese auch – ich sehe das schon voraus – konstruieren sich ein Thema, die Vaterlandsrettung, wie das Menschen am Tintenfaß und den grünen Tischen können – schnurgerade Prinzipien, weg über alle Obstakel, über natürliche Grenzen, Berge und Flüsse. Was tuts? Das Papier ist geduldig, die Prinzipien Götzen, die keinen Widerspruch vertragen. Viel Philosophie, ein wenig Mystik, aufflackernde Begeisterung, und nun drauf los. Da wird denn von diesen Herren Gelehrten und ihrem Zutrab weidlich auf uns Menschen von nüchternem Verstande geschimpft, die wir meinen, wenn man auch nach den Sternen seinen Weg sucht, bleibe man doch mit den Füßen auf der Erde, und die erste Regel ist, vorzusehen, daß man nicht über Stock und Block stolpert.«
»Wenn Herr Major den Mann näher kennten, würden Sie vielleicht anders urteilen. Mit einer Wunde im Herzen, die sein Glück und seine Hoffnungen getötet, hat er, an Erfahrungen und Mitteln reich, unabhängig, mit allen Aussichten auf ein glänzendes Dasein, seines einem Gedanken geopfert. Für sich erstrebt er nicht mehr, sein ganzes Ich ist aufgegangen im Vaterlande.«
»Desto schlimmer! Die Fanatiker für einen Glauben sind gerade die Gefährlichsten. Zum Henker, wer gab ihnen ein Recht, aufzugeben, was Gott ihnen gab! Wer so leichtsinnig ist, seine eigenen Ansprüche und Rechte fortzuwerfen, ist in der Stimmung, mit derselben Großmut auch über die anderer zu schalten. Ich liebe diese Verschwender so wenig als die Spekulanten. Jeder steht auf seinem Posten wie eine Schildwacht. Der ist vorgeschrieben, bis wohin sie ausschreiten, vigilieren, wen sie anrufen, wen anhalten soll. Das ist eine schlechte Schildwacht, die darüber hinausguckt und anruft. Der Könige Dienstvorschrift geht schon weit genug, vielleicht zu weit, wenn aber simple Bürger und Untertanen sich vermessen wollen, ebenso weit und noch weiter hinaus zu observieren, so . . . Gerade Ihrem Freunde, diesem klugen, feinen, abgeblaßten, halb Schulfuchs, halb Diplomaten, sah ich auf der Stelle den Ideenjäger an. Wenn diese Sippschaft ans Regiment käme, würden sie uns ins Fleisch schneiden, denn was ist zu teuer für eine Idee. Nehmen Sie sich vor ihm in acht. Diese Kerle gehen mit allem durch, was ihnen nicht in den Kram taugt.«
»Er ließ zurück, was sein war.«
»Wer weiß, aus welcher königlichen Kasse er es ge— wir wollen zu seiner Ehre hoffen, daß er es saldiert hat.«
»Er schätzt Ihren ritterlichen Charakter. Von solchen Charakteren erwartet er die Rettung Preußens.«
»Was hilft der Charakter, wenn der ganze Mensch an Arm und Bein gebunden ist. Schöne Redensarten von Aufruf, Aufstand, Bewaffnung des Volks! Ja, zur Zeit des großen Kurfürsten, zur ersten noch, bis das Volk ihm geholfen, den Schweden aus dem Lande schlagen, da konnten wir was tun. Mein Ahnherr hats bewiesen. Was ist denn jetzt ein Landedelmann! Soll er mit dem Kuhhorn, mit der Nachtwächterpfeife seine Bauern rufen? Würden sie ihm folgen? Unser Einfluß ist aus; man hat uns die Sehnen zerschnitten. Nun helft Euch selbst.«
»Und der Major von der Quarbitz wäre doch der erste –«
»Der ein Narr wäre und satteln ließe! Vielleicht, es ist auch viel Narrenblut in jedem Menschen.«
»Sie weisen mein Anerbieten zurück?«
»Wir wollens bis morgen beschlafen. – Ich wollte lieber –«
Der Kandidat sah ihn fragend au.
»Lieber gehe ich den Kolonel an. Wenn ich Ihr, ich meine sein Geld nähme, müßte ich bis über die Ohren rot werden. Von dem – das wäre doch nur – es wäre doch etwas anderes. Gute Nacht, Herr Mauritz – was sehen Sie mich so an?«
»Ich hätte vieles auf dem Herzen – Lassen wir die Nacht vorübergehen.«
»Haben Sie mir – Sie meine ich, persönlich, mir etwas zu sagen, vielleicht etwas zu erbitten? Heraus damit. Ihnen zürne ich nicht; ich erzeigte Ihnen heut gern einen Gefallen. Sie sind ein braver Mensch. Ich erkenne jeden Tag mehr Ihren Wert. Schade, daß Sie nicht – Ach was! die Zunge muß nicht mit dem Herzen durchgehen. Wir wollenes beschlafen – auch das – Ihre Geschichte da; vielleicht überlege ich es mir anders.«
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