Willibald Alexis
Isegrimm
Ein verhängnisvoller Brief.
eingestellt: 25.7.2007Vierzigstes Kapitel.
Ein verhängnisvoller Brief.
Das war etwa um Mitternacht geschehen, und der Kandidat trat aus der Stube des Majors. Was er ihm hätte sagen können, und zaudernd verschloß er es wieder, war nicht, was der Major erwarten konnte, aber sein Herz klopfte doch in der Erwartung? Was ist denn nicht im Reiche der Möglichkeiten, an was glaubt nicht das bange Herz, wenn es hofft, und um welche Stunde ist man mehr aufgelegt, auch das Unglaubliche zu glauben, das Unsichtbare zu sehen, als wenn nach einem schwer bewegten Tage unsere aufgeregten Nerven das Spielen und Wehen der Geisterwelt um Brust und Schläfe zu fühlen wähnen. Der hallende Korridor war dunkel, die rötlich brennende Lampe im Erlöschen – da rauschte es längs der Wand und der Kandidat blieb eingewurzelt an der Mauer. Das war, als die Dorfuhr Mitternacht schlug; wir haben von dieser Nacht noch, was in früheren Stunden geschehen, nachzuholen.
Der Kolonel hatte sich sogleich nach jenem Vorfall in sein Zimmer zurückgezogen. Die Erklärung, daß eine alte Wunde bei der Witterungsveränderung ihm Schmerzen verursachte, welche ihn oft in einen Zustand des Nichtbewußtseins versetzten, entschuldigte ihn beim Wirt und der Gesellschaft. Man ließ ihm die ungestörte Ruhe, die sein Diener in solchen Fällen für wünschenswert erklärt hatte. Still ging es im Zimmer her, aber ruhig nicht. Er, der angeblich Kranke, war die Unruhe, wenn er auf dem Sofa lag, das Gesicht mit den Händen bedeckend, wenn er plötzlich aufsprang und mit verschränkten Armen minutenlang zum Fenster hinausstarrte, als verfolgte er einen bestimmten Gegenstand, wo doch ein schärferes Auge als seines nichts im Dunkel erkannt hätte. Dann warf er sich an den Schreibtisch und schrieb Briefe. Er überlas, zerriß und verbrannte sie an der Kerze, um wieder neue anzufangen.
Das alles geschah, während der Reitknecht und ein anderer Militär, welcher die Rolle eines Kammerdieners spielte, die Felleisen sorgfältig, aber in aller Stille, packten. Der Kammerdiener empfahl dem andern Vorsicht, daß er kein Geräusch mache. Er konnte sie sich selbst empfehlen, denn er gab mehr acht auf die Bewegungen und Mienen seines Herrn, als auf seine Arbeit. Es war einer von den Dienstboten, denen man ansieht daß lange Dienste sie zu Vertrauten oder doch zu Mitwissern der Geheimnisse ihrer Herrschaften gemacht haben. »Diesmal wars Ernst,« flüsterte er dem andern ins Ohr. – »Reisen wir?« fragte der Reitknecht. Der Kammerdiener blieb einen Augenblick die Antwort schuldig, während er schlau nach dem Schreibtisch ausschaute: »Bis jetzt noch, aber ich stehe nicht dafür, daß Contreordre kommt.«
Wieder war ein Brief zerrissen und die Papierstreifen wandelten in die Flammen. Es war natürlich, daß der Kolonel sich verschrieben hatte, denn jetzt dröhnte der Lärm der abziehenden Jagdgesellschaft durch das Haus. Wie sie jauchzten, jodelten, sich anschrien! Er war aufgesprungen und winkte den Kammerdiener heran. »Benutzen Sie den günstigen Augenblick.« Warum flüsterte er ihm ins Ohr die weitere Anweisung: wie er das Gepäck unbemerkt in den Stall schaffen, die Pferde heimlich satteln lassen, zu welcher Stunde er in der Nacht das Tor aufschließen, auf welchem Wege er reiten, was er antworten solle, wenn man ihn frage; wenn er es mit lauter Stimme auf dem Gange draußen gerufen, wer hätte es jetzt im Schlosse gehört! Und doch preßte er die Lippen und senkte die Augenlider. »Herr Kolonel wollen – nicht mitreiten?« fragte der Diener – »Vielleicht – ich schlage auch wohl einen anderen Weg ein – ich habe hier noch viel zu besorgen.« – »Wer soll ihn denn verfolgen!« dachte der Kammerdiener als er mit dem Knecht die Mantelsäcke hinaustrug.
Der Kolonel war allein, er war schon lange allein; es war still geworden, so still, daß er den Holzwurm im Bücherschranke hörte. Es war auch dunkel, die Kohlen im Ofen verglimmt, die Kerzen verdüstert durch die verglommenen, überhangenden Dochte. Er schauerte zusammen, es mußte Licht werden, er putzte die Kerzen. Es war ihm noch nicht hell genug; er nahm noch einen Armleuchter vom Brett und zündete ihn an. Da blitzte etwas Weißes am Boden in der Nähe der Tür – ein Billett. War es durch die Ritze geworfen, von der Decke gefallen, hatte es eine Geisterhand hingeworfen? – Gleichviel – der Inhalt wirkte, als hätte die Geisterhand ihm einen Schlag aufs Herz getan. Nur daß ein Südfranzos wärmeres Blut hat als jene nordischen Herren und Kämpfer, denen das Herz schon auf dem Pferde zusammenbricht, wenn die Elfenhand auf nächtlichem Ritt nur einen Schlag darauf tut. dEspignac las noch einmal die feinen Züge des Billetts, wohlriechend und doch die Schriftzuge von Tränen verwischt: »Mein Gatte vor Gott und seinen ewigen Sternen, die unser Gelübde hörten und unsern Bund besiegelten.« – Er versuchte, sich in eine reflektierende Stimmung zu versetzen, die Arzenei, um den Alpdruck des Gefühls, die Bisse des Gewissens niederzudrücken. »Könnten diese deutschen Frauen nicht die glücklichsten Wesen der Schöpfung sein! Sie geben so viel und fordern so wenig. Zufrieden mit der geringsten Dosis Realität, schweben sie in Seligkeit, wenn man es nur versteht, das Wolkenbild, ihr Ideal, mit sanftem Hauche leis anzuschwellen, mit sanften Farben es immer gefärbt zu erhalten, daß es vor ihren Augen zwar unerreichbar, aber doch schön hinschwebt – es mag dann schweben, bis es verschwebt. Die echten denken ja nicht an ihr Recht, es aus den Wolken zu reißen, es an die Brust zu drücken, oder mutwillig in der Hand zu zerdrücken. Sie wissen ja nichts von der Seligkeit der Caprice, der Tyrannei, des flüchtigen Eigentums. Sie – Sie gibt mich ja preis dem Kriege. Sie schwärmt für die Entsagung und Aufopferung. In edler Märtyrerlust leidet sie, daß ich meiner Ehre, meiner Pflicht genüge; selbst läßt sie sich mit dem Schatten genügen meiner ewigen Liebe, Treue, Sehnsucht, die durch den Pulverdampf über Länder, Berge und Flüsse unverändert, ungeschwächt zu ihr dringt! – Warum denn nicht dies Glück ihr belassen! Kann man denn nicht den Schein von der Realität ablösen? Kann ich denn nicht für sie ihr Gatte vor Gott bleiben; die Millionen Sterne ihre Zeugen, sind stumm, sie plaudern nicht, was sie sehen und hören. Wo ist ein Zauberer, ein deutscher Nekromant, ich will ihn mit Gold bezahlen, der dies Experiment noch einmal im neunzehnten Jahrhundert ausführt! Wir sind ja weiter in der Chemie als in jenen rohen Jahrhunderten, wir lösen, trennen haarscharf die Materie, warum denn nicht die Materie und den Geist – für Visionäre! Sie behält mein Bild – im Herzen, und ich bin frei in der Wirklichkeit.«
Aber er mußte sich doch nicht ganz frei fühlen. Warum zweifelte er an der Kunst, die ihn sein Leben hindurch begleitet? Warum erschrak er jetzt vor der Nachricht, die ihn sonst nur Lust gewähren konnte. Sie glaubte ihn ernstlich erkrankt, sie sprach im Billett ihre Angst aus, daß er in der Nacht noch kränker werden könne, sie müsse ihn sehen, sie bat – er möge die Tür nicht verschließen: sie wolle ihn pflegen, sie müsse seinen Atem fühlen, seine Wünsche hören. Und doch wußte sie schon, daß er abreisen werde, daß er morgen das Schloß verlassen müsse, zur Armee, in den Krieg, wo die ehernen Würfel fallen, wie eine Macht sie schleudert, eine kalte, unerbittliche, die nicht auf die bangen Herzschläge der Liebe hört. Heut am Morgen hatte er ihr die Nachricht gebracht; es war der Inhalt des Briefes gewesene den er in seiner Seligkeit gestern fortgeschleudert. Er rief ihn zu seiner Pflicht, zur Ehre, vielleicht in den Tod, und Karoline war ihm in die Arme gesunken und hatte gerufen: Geh, Geliebter, Du bleibst ja doch bei mir – ewig, ewig!
Darauf hatte die Luft im Schloß ihn wie Blei gedrückt, er war auf seinen besten Renner gesprungen, sich Ruhe zu erreiten.
Das Pferd hatte er zuschanden geritten, die Ruhe nicht gefunden. Das war ihm nie begegnet, und er hatte reiche Erfahrungen. Hatte ihn der Zauber, der im deutschen Lande waltet verstrickt? Um sich Kraft zu schaffen, griff er wieder nach dem Briefe. Den Brief selbst hatte er Karolinen nicht zum Lesen gegeben. Sein Inhalt lautete:
»Freund Raoul! Viktoria! Der Himmel hat sich aufgeklärt. Nicht weil Viktor ausgewechselt ist. Auch er kann uns nicht mehr schaden. Die Sonne brach auf einer anderen Stelle unerwartet durch. Der Kaiser ward über Davousts Cunctatorrolle ungeduldig. Davoust, verdrießlich, eigensinnig, pedantisch, war in der Laune, zu widersprechen, Napoleon war in der Laune sich nicht widersprechen zu lassen. Es kam zum Bruch, Davoust ward ungnädig in sein Hauptquartier geschickt; ostensibler Anlaß, irgend ein Geschenk, das er sich in einer polnischen Provinz offerieren lassen. Der Kaiser wußte längst darum und hatte gelacht, jetzt donnerte er und nannte es eine Erpressung. Daß Murat und unsere Freunde die Gunst des Umstandes genützt, brauche ich es Dir zu schreiben? Wir halben schnell eine lange Sündenrechnung des Herzogs von Eckmühl aufgesetzt, fast zu lang, als daß der Kaiser Zeit und Lust hätte, sie durchzulesen. Ist auch nicht nötig. Voran aber die Namen der verdienten, talentvollen Offiziere, die er aus Mißgunst und kleinlichem Neid von der Sonne entfernt, in deren Strahl sie nur atmen können. In die Arriergarde, an Küstenwachen, wo englische Schmuggler landen könnten, in entfernte Winkel Polens, um ungewaschene Bären zu exerzieren, hat er Männer gestellt, die, vornan, unter des Kaisers Fittichen zu Feldherren sich bilden könnten, wohlgeeignet, des Herzogs Heldenruhm zu verdunkeln. Vergieb uns, Deinen Namen nannten wir nicht obenan; er steht erst als der fünfte. Napoleon wittert überall Koterien und Kabale. Also ward umschichtig ein Offizier genannt, der notorisch nicht zu unseren Freunden gehört, mit einem unserer Intimen. Schadet nichts, wenn ein Bock mit den Lämmern durchschlüpft. – Nummer vier kam ***, mit dem Bemerken: ›verdient und nicht belohnt für seine glänzende Reiterattacke vor Ulm,‹ dann fünf, Du mit der Beischrift: ›auch verdient durch den Kolonnenaufmarsch seiner Reiter vor Piacenza!‹ – Da hättest Du des Imperators Augen sollen funkeln sehen. Er warf das Papier auf den Tisch: ›Das ist eine Verwechselung! Das ist mehr als Verwechselung! Das ist Intrige! Der Kolonel dEspignac vielleicht kein Freund der Herren? Er hat die Reiterattacke bei Ulm ausgeführt, er allein, *** blieb hinter dem Berge, er kam zu spät, er hatte gut nachsetzen, wo die Bataillone schon geworfen waren. Was vor meinen Augen geschehen, bitte ich, mir wenigstens nicht anders darzustellen, als es ist. Mich betrügt man nicht! Verstanden?‹ – Es kostete einige Mühe, magst Du denken, Contenance zu behalten. Einer sah den anderen offiziell an. O ja, wir erinnerten uns Deiner – Duhamel streute ein sehr kühles Lob ein. Das wärmte und erhitzte erst recht das korsische Blut. Der kleine Korporal wetterte umher, statt des Briefhalters ergriff er die Streusandbüchse und warf sie auf den Tisch. Uns fiel der Sand nicht in die Augen: *** wäre wohl unser Intimus, wir sollten uns in acht nehmen, Leute ohne Verdienst mit dem anderer bekleiden zu wollen. Er wolle nur Wahrheit. Wo Du stecktest? Wir nannten es eine sehr ehrenvolle Mission, denn was könne ehrenvoller sein, als eine Sauvegarde hinter den Rockschößen der Majestät zu bilden. Da knisterte es wie Pelotonfeuer: Schöne ehrenvolle Mission, in abgelegenen Provinzen den Gendarmen spielen, Mehlsäcke und Hornvieh einzählen, auf Fouchés Ordres in den Spelunken und Dornhecken nach Verschwörern umspüren müssen, die nicht da wären! Er brauche keine Sauvegarde hinter sich, nicht in diesem Lande. Seine Hacken wären genug, um sie in Angst und Schrecken zu setzen. Lieber Raoul, der Heros war in dem Augenblicke nicht, was er geworden und immer sein möchte, sondern die Natur, die Du und ich kennst. Wir wurden gerüttelt und in Ungnaden abgewiesen, Du aber – wirst gerufen.
Während diese Deine Berufung den gewöhnlichen Weg durch die Bureaus geht, fliegt mein Expresser, Dich zu avertieren. Benutze den Augenblick; der Bruch kann wieder geheilt werden, und die Wolken können wieder die Sonne verdunkeln, die dem Kaiser nicht heller vor Austerlitz strahlte, als Dir jetzt. – Wir gehen großen Entscheidungen entgegen. Zwinge Dich und höre ein Bißchen Politik; sie hat für Dich einen praktischen Zipfel. Der Staat Preußen ist rettungslos verloren, der Mann in der Uniform, ohne Truppen, ohne Freunde, ohne Ratgeber, und man sagt, sonderbarerweise, auch ohne Furcht und – Angst aus Fatalismus, Stumpfsinn oder Religiosität, uns gleich viel – will mit Zopf und Gamaschen in die Gruft fahren. Die sogenannten Vaterlandsfreunde, Phantasten, Philosophen und intrigierende Charaktere in Königsberg, mühen sich umsonst ab, ihn zu einem Entschluß zu bringen, bei dessen Exekution vielleicht ein paar Nähte der Uniform platzen. Die Königin, in die ein Funke diabolischen Feuers gefahren, bemüht sich, an der Spitze der Illumination ein Licht anzuzünden; umsonst. Seit der Freiherr Stein entlassen ist, geben auch die fanatischen Patrioten die Hoffnung auf, den Staat aus seinem Starrkrampf und seiner Agonie aufzurütteln; die Häupter der alten Adelspartei und der Gutsbesitzer predigen geradezu, mit wenigen Ausnahmen, Unterwerfung unter den Unwiderstehlichen, Frieden um jeden Preis, um unter Napoleons Schutz die Privilegien zu retten, die ihr eingeborener König ihnen nicht retten konnte oder wollte. Dazu – kein Trost aus Rußland. Wenn auch Kaiser Alexander noch immer den galanten, großmütigen Freund und Nachbar spielen möchte, lassen es seine Generale nicht zu; Bennigsen intrigiert gegen Preußen, und unmöglich ist ein Bündnis zwischen Frankreich und Rußland nicht mehr. Kurz, Preußen ist rettungslos unterwühlt, und sobald sein letzter Bundesgenosse, der Kot, fester wird, daß wir darüber können, erhält es den Gnadenstoß. Unsere haben nur einen Wunsch, daß es so lange sich erhalten möge, um mit seinen letzten Kräften noch eine Schlacht zu bestehen. Fällt es unter unserem Halali, so zerstückelt unser Korporal die blutende Leiche, daß jeder aus seiner Meute einen guten Schinken bekommt. Er wird äußerst großmütig sein, weil er äußerst erbittert ist. Das Reich der Ideologen soll aufhören, die Provinzen werden als Herzogtümer, Fürstentümer, Grafschaften oder kleine Königreiche in die Taschen seiner Marschälle, Generale und Mignons regnen. Frage Dich selbst, wen der Korporal lieber begünstigt, die alten Korporale von europäischem Ruhme, die ihn noch sahen die Kanone putzen, auch innerlich grunzen, weil sie sich für ebenso groß halten, oder die jungen Kolonels von seiner Mache? Raoul, angesichts dieses packe ein, warte nicht die Ordre ab, mit unterlegten Pferden stürze her. Wenn etwa ein Studium, eine Jagd, eine Liebschaft Dich fesselt, reiße Dich los, fort mit Deinen fatalen Liebhabereien, laß auch Deine Weisheit zu Hause, daß sie nicht zur Unzeit vor dem Imperator herausplatzt. Darin wird er ganz legitim, er liebt nur die Beschränkten. Denn, bedenke es, eine Rolle ist Dir vielleicht zugeteilt auf dem Welttheater, die Du Dir nicht hast träumen lassen, eine tragische Heldenrolle, Schluß eine Krönung! Wenn eine Herzogskrone auf Deiner Stirn glänzte, Du Liebling des Apollo, vielleicht findet sich auch eine junge Herzogin aus napoleonischem Blute. Hat er gleich seine Schwester vergeben, sind doch auch Kousinen da, und Du – sieh in den Spiegel. Komm, sieh und siege.« –
Er harte schon gesiegt, als er vor dem Spiegel stand. Wie elastisch schnellte seine ritterliche Heldengestalt vor ihm im Glase. Wo in der ganzen Armee –! Brauchte er den Vergleich selbst mit Murat zu scheuen? Das Blut pulste jugendlich von der Zeh bis zum Wirbel – als die Fingerspitzen den Degen berührten, schien er aus der Scheide springen zu wollen. Unwillkürlich fuhren beide Hände nach den Schläfen. Sah er im Spiegel auch schon einen Schein darum? »Leben was bist du kurz, Ruhm, was bist du lang! Wenn die Hände, die sich wund geschlagen im stürmischen Applaus für den größten Schauspieler, längst Moder und Erde geworden, lebt des Helden Name, auch sein Bild, und wäre es nur ein blasser Schatten. Gelebt zu haben auch nur wie Sesostris, Odin, Fingal, ein Leben ists doch für die einzige Ewigkeit unterm Monde. Und wem sie winkt – der soll sie hingeben für die Spanne Zeit eines nachtigallumsungenen Philemon- und Baukis-Lebens, für die Süßigkeit eines Anfangs, auf den eine lange, graue Monotonie, ein jähes, schmuckloses Ende folgt! Der Flieder duftet um die Hütte, um wie schnell! zu welken und wieder zu blühen nach dem langen Winter. so wie voriges Jahr und immer wieder. Und knicken eine Blume, wenn sie auch schöner duftete als in Persiens Rosengärten, was ists? Ihre Bestimmung, die Erfüllung ihres Daseins, ihr Glück! Daß wir sie brechen, an die Brust der Geliebten stecken, der Tau des Augenblicks, die Träne der Seligkeit und Wonne, die daran perlt, nicht daß sie verblüht, Samen trägt, den die rauhe Hand des Gärtners abstreift und in Kästen verschließt. – »Ich bin frei, ich bin gesundet!« rief er laut in die Stille des Zimmers.
Von seiner lebhaften Bewegung geriet der lose hängende Spiegel in Bewegung. Das Bild des gelben Fräuleins an der Wand schien darin ihm zuzunicken: Schritt sie selbst leise heran? Er fühlte ein Wehen hinter sich. Rasch hatte er sich umgewandt, und sie stand vor ihm – nein, sie wollte ihm zu Füßen sinken und fiel an seine Brust.
»Du bist frei, Du bist gesundet!« mehr konnte die Ohnmächtige nicht sprechen.
Sollte er Karolinen sanft auf das Ruhebett sinken lassen und, die Gunst des Augenblicks nutzend, entfliehen? Er war ja schon frei gewesen, es war schon vorher sein Entschluß; der Abschiedsbrief an sie, an den Vater war geschrieben, alle Präparationen waren getroffen. Er hatte sie schon verlassen, ohne sie wiedergesehen zu haben, als das Billett ihm in die Hände fiel. Nur einen Kuß auf die blassen Lippen, süß klingende Worte: Auf Wiedersehen! ihr ins Ohr gehaucht, und dann mit leisem Tritt zur Tür hinaus. Vielleicht schwebte dann wieder ein Lächeln um die Lippen der Bewußtlosen, er hatte einen lieblichen Traum erweckt – das letzte Andenken für die Verlassene. Raoul dEspignac hatte den Wert der Illusionen schätzen gelernt.
Er mußte zu lebhaft, zu lange seine warmen auf ihre kalten Lippen gedrückt haben. Sie schlug ihre glänzenden Augen auf und sah ihn durchdringend, aber zärtlich an:
»Raoul, ja Du bist frei. Ziehe hin, Du gehörst dem Schlachtengott – so sah ich Dich heut morgen, als endlich der Schlaf meine müden Lider schloß. O wie herrlich Du warst! Du stürzest, blutetest; ich schrie: helft! laßt mich zu ihm! Sie hoben Dich aus dem Getümmel, und dann – aus der Wolke Pulverdampf, wie Du Dich von neuem erhobst, selbst ein Gott. Hinbraustest Du – ich lag knieend auf einem dunklen Punkt der Erde und betete für Dich. Da fiel Dein schönes Auge, das den Feind niederschmetterte, auf mich, es strahlte Dankbarkeit und Liebe: Du nicktest mir zu, Du reichtest mir den Arm. Ich weiß nicht, wie mir geschah, ich rollte hin an Deiner Seite, und alle neigten sich vor uns, und Friede wars und alles gut –«
»Prophetin!« lispelte er. »Schließe wieder die Augen.«
»Dann willst Du verschwinden. Das sind Deine heimlichen Gedanken Böser! Warum mich täuschen, ich bin ja Dein ander Ich. O gehe fort, Du sollst, Du mußt fort, aber nicht heimlich von mir. Ich begleite Dich ja, Du weißt es, auf allen Stegen und Wegen bin ich nun bei Dir. Beim Kaiser auch. Auch wenn Du sein Marschall, wenn er Dich zum Fürsten erhebt, eine Prinzessin zur Gattin Dir gibt, ich bin ja doch Dein treues Weib; Du mußt es aber niemand sagen, denn ich, sei gewiß, ich werde Dich nie verraten.«
Es fröstelte ihn. Sie schlang ihren Arm um seinem Hals:
»Du mußt Dich nicht fürchten, Raoul. Ich dachte es wohl, als das Bild der bösen alten Frau stürzte. Sie scheucht niemand mehr fort. Ihr Wächteramt für unser Haus ist nun aus. Nun ziehen bessere Geister ein.«
»Bessere Geister!« atmete er.
»Nun fort, fort, mein Gemahl! Aufs Pferd, aufs Pferd! Ins Feld, in die Freiheit gezogen!« aber sie ließ die Arme nicht los.
»O Raoul, ein klein Bißchen nur mußt Du mich lieb behalten; Deine große, reiche Liebe gehört der Welt,« seufzte sie unter seinen Küssen, »die verlange ich ja nicht. – Nur das Bild von Dir gönne mir. Kein Maler malt es, wie es in mir lebt. Das drück ich an mein Herz, wenn Du fort – o, es wird Dir keinen Schmerz verursachen und mir – mir – Was weiß ichs – was sagens Worte, was Du mir wardst – ich ging verloren, um in Dir aufzugehen –«
Beim ersten Hahnenschrei war Raoul noch im Bann des Schlosses.
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