Willibald Alexis
Isegrimm
Schemelbeine.
eingestellt: 25.7.2007Fünftes Kapitel.
Schemelbeine.
Der Kandidat war aus der dampfenden Stube getreten, und der Baron lud ihn, mit einem Schlag auf die Bank, ein, neben ihm Platz zu nehmen.
»Sie müssen rauchen lernen, Herr Kandidat. Sie sind ganz blaß drin geworden. Es geht nicht anders auf dem Lande; vor allem ein Pastor.«
»Warum gerade der?«
»Weil er nichts zu tun hat. Sie gewöhnen sich gar zu leicht das Saufen an, und der Branntwein kann nen Geistlichen um sein Brot bringen, wo nicht um mehr.«
»Ich habe nie ein Bedürfnis nach – Ihrem Trinken empfunden.«
»Das glaube ich Ihnen schon. Aber wenn die Langeweile kommt, muß man doch was tun.«
»Ich glaube Beschäftigung in mir selbst zu finden.«
»So sagen alle, wenn sie von der Universität kommen. Ich kann Ihnen davon ein schrecklich Beispiel erzählen, bei meinem eigenen Bruder in Oberschlesien. Der hatte einen Hauslehrer für seine Jungen genommen, der hieß Woyte; einer von den Feinen. Ein Schulfuchs, ich glaube, er hatte sich nicht ein einziges Mal gepaukt. Nun, was tats! Er unterrichtete seinen Stiefel weg, und sie waren mit ihm zufrieden. Mein Bruder ließ ihn auch predigen in seinem Filial. Wenn ihn die Bauern auch nicht verstanden, das schadete nichts; er konnte sich doch die Lunge ausschreien. Der rauchte nicht, aber er war ein guter Schütze. Auf dem Anstand machte er seine Predigten. Mein Bruder ließ ihn alle vierzehn Tage Sonntags nach Tamsel fahren; so hieß das Dorf. In einem Päckchen im Schnupftuch lag der schwarze Rock und die Beffchen, und die Büchse stand daneben; und wenn die Predigt aus war, ging er mit der Büchse zu Fuß zurück. Unterwegs in nem Kretscham – so nennen sie dort die Schenke – hatte der Knecht eine Liebschaft; darum futterte er jedesmal da. Dem Woyte war das auch ganz recht, denn da simulierte er noch einmal die Predigt. Aber weil er nicht rauchte, ließ er sich eins einschenken. Das ging nun Sonntag um Sonntag so. Sie trinken da alle, und man merkts nicht. Mein Woyte merkte auch nicht, wie viel er getrunken, nämlich, wie hoch er beim Wirt in der Kreide stand; denn er ließ es anschreiben. Als der Wirt ihn einmal mahnte, hatte er nicht soviel Geld bei sich und sagte: das nächste Mal. Ja, es gingen viele nächste Male vorüber. Und eines Tages, wie er meint, es ist Zeit, lacht der Knecht, denn der Wirt kommt vom Wägelchen draußen, sein Päckchen unterm Arm und fragt ihn: Werden Sie nun bezahlen, Herr Kandidat? – Ja, das nächste Mal ganz gewiß! – Damit Sie sich dran erinnern, sagte der Wirt, der auch ein feiner Mensch war, werde ich Ihren schwarzen Rock und die Beffchen bis dahin bei mir verschließen. Nun ging ein Bitten los und ein Beteuern, ja, Prostmahlzeit, der Wirt hatte Haare auf den Zähnen; er hatte ihn oft hingezogen, er glaubte ihm nicht mehr aufs Wort. Was wollte er machen! Im gelben Fraus konnte er nicht auf die Kanzel. Die Kerle im Kretscham lachten sich den Hals aus: die Büchse wäre ihm ja geblieben; wenn er kein Prediger, könne er ein Jäger sein vor dem Herrn. Dem armen Menschen stürzte eine Träne aus dem Auge, und blutrot war er, wie er die Tür hinter sich zuschlug. Kaum ne Viertelstunde verging, da hörten sie nen Schuß. Nun, die Geschichte können Sie sich denken. – Er hatte sich den Stiefel ausgezogen, die Büchse gegen die Erde gesetzt und mit dem großen Zehen abgedrückt. Das war das Ehrgefühl bei ihm, er hätte es nicht ertragen können. Meinem Bruder kostete es ein schmähliches Geld; erst die Gerichtskosten, die Obduktion und dann das Begräbnis. Und die Kinder heulten, daß es ein Jammer war; sie hatten den Woyte sehr lieb gehabt.«
Eine leichte Röte war über das Gesicht des Zuhörers geflogen:
»Ich weiß nicht, was der Herr Baron mit der Erzählung beabsichtigen.«
»Keine Anspielungen auf Sie, denn Sie haben ja noch keine Flinte in die Hand genommen. Ich meine es gut mit Ihnen.«
»Es sind hier andere Verhältnisse.«
»Da haben Sie auch wieder recht. Wäre der arme Woyte ein Katholischer gewesen, hätte er bei seinen Wasserpolacken trinken mögen, so viel er wollte. Es ist mein Ernst, Herr Mauritz. Der Priester muß mit seinen Bauern sein und darum auch trinken. Wenn er sich für besser hält, was Apartes sein will, ists um seine Autorität geschehen. Der protestantische Pfarrer weiß mehr und will immer vornehmer sein. Wo soll das herkommen, wenn er sich in der Welt nicht umgesehen hat? Die meisten Pfarrstellen sind räsonnabel schlecht. Mit der Gutsherrschaft soll er sich auch besonders stellen. Ist er ein gehorsamer Diener, ists mit dem Respekt bei den Bauern aus; besteht er auf seinen Kopf und ist widerbellerisch, dann kommt all der Krakeel, den Sie in Ilitz kennen lernen werden. Sie tun mir leid, Herr Mauritz. Sie werden einen schweren Stand haben.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme, Herr Baron. Einstweilen bin ich dem Pfarrer Faßbinder nur auf ein Jahr adjungiert, und nur fürs Predigen, nicht für die Seelsorge. Ob der Herr Major mich auch als Informator in sein Haus ziehen will, ist noch unbestimmt und hängt vielleicht von dem Eindruck ab, den ich heut auf ihn machen werde.«
»Werden Sie sich das Er gefallen lassen? Das soll ja der erste Stein des Anstoßes mit dem alten Pastor gewesen sein. Der taube Mann, der den Donner nicht mehr hört, hört doch jedesmal das Er raus, wenn der Major ihn anredet.«
»Herr von der Quarbitz wird mich nicht Er nennen. Wir sind darüber schon einig geworden.«
Ein Donnerwetter! entfuhr sehr hörbar des Barons Lippen.
»Aber ich sage Ihnen, er kann einmal die Gelehrten, Beamten, eigentlich alle Bürgerliche, nicht leiden; s ist eben seine Natur.«
»Es könnte doch auch an den Gelehrten, Beamten und – Bürgerlichen gelegen haben.«
»Wieso meinen Sie das?«
»Weil sie sich keine Achtung zu erwerben verstanden.«
»Das geht auch so leicht dem Isegrimm gegenüber! Aber s ist gut, wenn Sie Courage haben. Lassen Sie ihn reden und grunzen. So kommt man am besten durch. Aber nehmen Sie sich nur in acht beim Unterricht. Sollen Sie den Fräuleins auch Lektionen geben?«
»Ist das so gefährlich?«
»I nun, sie werden Ihnen nicht ins Gesicht lachen. Aber ein Gelehrter, wie Sie, lieber Herr Mauritz, und junge Damen, nehmen Sie mirs nicht übel, das paßt nicht. In Berlin, nun ja, die Aesthetischen greifen nach allem, je toller, je besser; aber hier auf dem Lande, ich kann Ihnen nur als Freund raten, passen Sie gut Achtung. Haben die Blitzmädchen Ihnen erst was Kurioses abgemerkt, da ziehen sie dran wie die Kinder an der Klingel, die ihnen verboten ist. Sie tragen keinen Zopf, aber Sie könnten bald einen hinter sich haben. Losschlagen können Sie doch nicht auf die Fräulein; wenn Sie grob werden, haben Sies mit Papa und Mama zu tun, und Autorität sollen Sie auch behalten, sonst heißts, der Lehrer taugt nichts. Und wie viele Edelleute haben denn jetzt Geld und Lust, ihren Kindern Informators zu halten; s ist schon ne schwere Zeit. – Was ist denn aber da drinnen los?«
Die Nachrichten des Küsters von Marzahne hatten unter den Weibern nachträglich gewirkt. Die alte Mutter des Schulzen hatte den Edelmann, als er ins Haus trat, beiseite gezogen. Sie hatte etwas auf dem Herzen, aber ein Strom von Tränen machte sich Luft, ehe die zitternden Worte herauskamen: »Muß ich denn das auch noch erleben!«
Er besorgte eine neue Ausschüttung des Sirupkaffees, aber die Frau versicherte: Ach, das sei es nicht, es sei zu schrecklich, und sie erzählte eine allerdings brutale Geschichte, die wir unerzählt lassen, obgleich sie in Wirklichkeit sich öfters zugetragen hat.
»Das muß man auch an sich erleben,« schloß sie, »und dann wollen sie uns auch noch die Religion nehmen.«
Der Herr von Quilitz, ein Mann, dem alles Rohe zuwider, war wirklich von den Details der Brutalität entsetzt und in einem Tone der Entrüstung rief er:
»Das ist ja abscheulich! Selbst sich an solchen alten Frauen zu vergreifen!«
»Ach, gnädiger Herr, das könnten sie schon haben,« erwiderte die Alte, »wenn sie uns nur die Religion lassen wollten; aber sie wollen uns alle durch die Bank katholisch machen.«
Sie über diese Furcht zu beschwichtigen, war nicht Ort und Zeit, denn drinnen war ein Zank ausgebrochen. Der Kutscher aus Quilitz, der mit freundlichen Augen immer die schmucke Wirtin betrachtet, hatte, als es zum Abschied ging, ihre Hüfte umschlungen und wollte, vermutlich zur Probe von ihrem eigenen Rezept, daß man von einem Kuß nicht stirbt, ihr einen auf die roten Backen drücken. Ob Marte mit dieser Probe einverstanden war, da es nicht die Rettung der Kühe galt, bleibt unausgemacht, denn Gottlieb der Zweite hatte ihn im selben Augenblick unterfaßt und mit einem: »Du Quilitzer Lümmel! das untersteh Dich!« beiseite geschleudert. Der Quilitzer Lümmel, der sich dessen nicht versehen, brachte im Taumeln den großen Tisch in Gefahr, daß mehrere Gläser fielen und einige zerbrachen. Aber der Schemel, der mit ihm zu Boden stürzte, ward im selben Augenblick zum Stab, an dem er wieder aufsprang, und zugleich zur Waffe, die er, elastisch aufgeschnellt, in der Luft schwang: »Nu koste mal, wie Querbelitzer Holz schmeckt!«
Der Schulzensohn war stärker und stämmiger als der andere, aber ungeschickt. Während er mit beiden Armen und markigem Griff die drohenden Schemelbeine gepackt hielt und man an ein Ringen in der Luft um den Besitz der gefährlichen Waffe dachte, hatte der Kutscher, nervig und behend, den Stuhl plötzlich losgelassen und, den Kopf als Sturmwidder ansetzend, den Bauern an Bein und Hüfte unterfaßt. Es war ein gymnastisches Kunststück, wie er die Füße aus den Holzpantoffeln und den ganzen Kerl in die Lüfte hob. Auf des Kutschers Kopfe schwebend, mit den blau bestrumpften Füßen vorn und dem Kopf nach hinten balancierend, konnte er sich nicht helfen, zumal da seine Hände den Schemel noch immer in der Luft hielten, jetzt freilich nicht in freier, denn er stieß an die Decke. Es war das ungeschickteste, lächerlichste Bild, als der mutwillige Kutscher rief: »Vivat hoch, was gebt Ihr mir für den Kronprinzen von Querbelitz!«
Der Kutscher hatte nicht bedacht, was es heißt, den Feind im eigenen Lande angreifen. Durch Ueberraschung siegt man, aber nur, wenn man einen besseren Succurs hat als das erste Staunen und Gelächter der Ueberraschten. Die Querbelitzer und Quilitzer waren von je ab Feinde, nämlich auf Märkten, wie man so bei Kirchweihfesten und Hochzeiten es ist. Der Kutscher vertrat heut allein sein Dorf, was seine Begeisterung steigerte, wenn es nicht schon der Branntwein getan oder der Drang, sich vor den Schönen auszuzeichnen.
Er hatte aber auch nicht bedacht. daß es Marias, wenn nicht geliebter, doch gewählter Bräutigam war, den er in so unangenehmer Weise erhöht hatte. Zuerst war die junge Frau auf den Tisch zugefahren, um zu retten, denn Gläser zerbrechen leichter als Schädel. Dann schien sie sich zu besinnen, was noch zu retten sei, und ihre Mundwinkel verzogen sich schon zu dem Gelächter, welches der erste allgemeine Eindruck auf die Versammlung war, als sie sich rasch besonnen, daß die Ehre ihres Zukünftigen auch die des Hauses sei.
Sie beeilte sich zwar nicht, den Schwebenden zu erlösen, was ihr nicht schwer geworden wäre, aber des Kutschers volle und freundliche Backen leuchteten zu lockend und verteidigungslos entgegen, da seine Arme als Karyatiden der Beine des Besiegten dienten, und wie Blitze wetterten ihre Hände links und rechts auf die schutzlosen Backen.
Jedoch nicht lange. Der Quilitzer Kutscher hatte auch nicht bedacht, daß der Schulzensohn, den er an die Decke drückte, noch einen Bruder hatte, der zwar sein Rival, aber doch immer sein Bruder war, der für die Ehre des Hauses, und außerdem ein Querbelitzer, der für die des Dorfes einstehen mußte. Er war im selben Augenblick aus seinen Pantoffeln und über den Tisch gerutscht und hatte unbemerkt, durch ein leichteres gymnastisches Kunststück als das des Quilitzers diesen derart von seinem Fundament entzückt, daß – man eben nur an der Wirkung merkte, was geschehen war. Diese aber war heftig genug. Es schlug und krachte.
Der niederfallende Schemel zerbrach mehrere von den geretteten Gläsern und außerdem wohl noch manches, der schwebende Schulzensohn schoß Kobolds in der Luft und stürzte schwer, glücklicherweise aber nur auf den Körperteil, wo er keine Glieder brechen konnte, zu Boden. Der Kutscher wäre empfindlicher auf seine roten Backen gefallen, und vielleicht wäre es um seine Nase geschehen gewesen, wenn es sich nicht gefügt, daß er nur auf die Knie stürzte. Das aber war kein Zufall, sondern Frau Marte hatte ihn instinktartig, als der Stoß kam, an den Ohren gefaßt, und wenn er auch fallen wollen, er hätte nicht fallen können.
Unfehlbar wäre es jetzt zu einer allgemeinen Schlägerei gekommen, bei welcher Kutscher Lamprecht doch vielleicht nicht ganz allein gestanden hätte, denn es regte sich auch Quilitzer Blut in manchen Querbelitzer Adern, dann schlägt auch mancher aus Ehrgefühl, wenn er sieht, daß alle über einen losschlagen, und außerdem wars der herrschaftliche Kutscher. Den konnte man doch nicht zerschlagen lassen, wo die Herrschaft in der Nähe war.
Lamprecht selbst aber war in solcher Wut, daß er auf keine Rücksicht geachtet hätte, selbst nicht auf den gnädigen Herrn, der eben eingetreten. Seine Wut ließ sich aber nicht gegen den Tückebold aus, der seinen Sturz veranlaßte, sondern gegen die, welche über seinen Fall zu triumphieren schien. Mit einer raschen Kopfsenkung, als wolle er untertauchen, hatte er seine Ohren von den Harpyengriffen losgemacht, ebenso schnell einen von Gottliebs Pantoffeln ergriffen und war aufgeschnellt. »Warte, Du Querbelitzer Hexe, das will ich Dir eintrichtern!« schrie er, als ein »Halt!« durch die Stube schallte.
Es ist anzunehmen, daß ein Teil der Drohung schon in Erfüllung gegangen, als der Arm des Schulzen in den seinen fiel. »Lamprecht, Kerl, ist Er rasend, sieht Er nicht! der gnädige Herr!«
Der gnädige Herr wiederholte mit einem drohenden Blick den Namen des Kutschers, die Wirkungen der Blicke sind aber unter Umständen und Zeiten verschieden. Lamprecht zerrte noch an dem Arme und schoß wütende Blicke auf Marte, als er rief: »Herr Hofmarschall, die Querbelitzer haben ausgeschlagen!«
»Das lügt Er!« schrien drei bis vier Stimmen, aus denen bald ein Chorus ward. »So ein Quilitzer Lügenmaul! Er hat den Krawall angefangen, er dünkt sich besser –«
»Als Ihr,« fiel der Kutscher ein, »zehnmal und nicht einmal. Wenns nicht um meinen gnädigen Herrn wäre, ich kehrte ja in Euer Nest nicht ein, und in Eurem Bier könntet Ihr die Gurken sauer machen, Ihr seid ja alle durch die Bank –«
»Was sind wir?«
»Halt Ers Maul, Lamprecht,« unterbrach der Schulze, und der Gutsherr hob sein Rohr, gewiß nicht, um ihn zu schlagen, aber wo die Autorität fehlt, greift der, welcher sie wieder zu haschen sucht, noch immer nach dem rechten Mittel. »Untersteh Er sich, noch ein Wort –«
»Und das sag ich, und das laß ich mir nicht nehmen,« unterbrach der Kutscher mit einer immer vehementeren Bewegung des freien Armes. »Das sind keine Patrioten nicht hier. Die sind nicht Quielitsch und nicht Ilitsch, die sind gar nichts. Wo sie Ilitsch sein sollen, sagen sie, sie sind Quilitsch, und wo mein Herr von Quilitsch was will, sind sie Ilitsch. Sag ich doch, wo die Herrschaften nicht sind, da ist kein Untertan. Das ganze Querbelitz taugt den Teufel nichts, und wer nicht reinzutreten braucht in das Kotnest, der ist gut dran. Denn wenns schön ist, ja, da sind sie oben auf, und wenns dicke kommt, krauchen sie unter. Die Franzosen sind schon gut hier, die werden sie zwiebeln. Ja, katholisch sollen sie werden, und was sonst ist, das ist ihnen recht. Denn das sind keine Bauern hier nicht, das ist eine Nation!«
Es war vieles in der Rede, was zu anderer Zeit das Ohr des Gutsbesitzers nicht unangenehm berührt hätte. Vor den Querbelitzern durfte er es ihnen aber nicht sagen lassen, daß sie eine Nation wären.
»Auf der Stelle hinaus, Schlingel! Er ist betrunken. Angespannt! Oder ich lasse ihn ins Loch werfen.«
Den Kutscher, der allerdings getrunken hatte, aber der Zorn war stärker als der Branntwein, überkam jene Blässe, die nach einem Rausche oder Zornerguß uns überzieht. Es ist ein Frösteln, was den Menschen oft desperater macht als die Exaltation.
Er fuhr mit dem Aermel über das Gesicht und strich die zerzausen Haare zurecht.
»Schon gut, gnädiger Herr, ich werde anspannen, wenn die Pferde gefressen haben, denn das Vieh muß auch leben. Ein Schlingel, das ist schon recht; aber betrunken bin ich nicht. Und ins Loch schmeißen lassen, das ist auch nichts mehr. Denn das weiß unsereins auch, damit ists vorbei. Die Franzosen sind auch nicht umsonst hier. Wir sind auch Menschen, und ein Untertan ist es auch. Und ich bin kein Untertan nicht von Ihnen.«
Den Gutsherrn überkam es. Was würde aus der Welt, wenn es den Klügsten nicht bisweilen überwallte, daß er die Klugheit vergißt.
»Schmeiß Er ihn ins Loch, Schulze!«
Der Knecht wurde immer ruhiger. »Wer soll den gnädigen Herrn Hofmarschall nach Ilitz fahren und retour nach Quilitz, wenns duster wird, und durchs Moor! So ein Querbelitzer Bauerlümmel? Der weiß bei hellem Tage nicht durch. Mir schon recht, Herr Hofmarschall. Aus dem Loch geh ich zum Landrat. Zeugen hab ich. Schwören müssen sie alle. Ausgeschlagen hab ich nicht, gestohlen auch nicht. Ich habe die Wahrheit gesagt. Das Pfeifen geht nicht mehr wie sonst. Es sind zu viele, die pfeifen tun. Wenn der Herr Landrat französische Gendarmen schickt, die verstehen auch deutsch, wenn man nur nicht mit ihnen spricht und fragen: wie so?«
Entweder die Aussicht auf die Nachtfahrt durchs Moor, oder etwas anderes hatte den Herrn von Quilitz zur selben Ruhe wie seinen Kutscher zurückgebracht.
»Er ist aus meinem Dienst entlassen.«
»Das ist mir schon recht; das ist mir gerade recht; das geniert mich gar nicht; ich wollte mir ohnedem einen besseren suchen. Zu wann, gnädiger Herr, auf der Stelle, oder –«
»Zu Weihnachten. Jetzt spann Er an.«
Der Knecht trällerte eine Weise zwischen den Zähnen, riß einen Hut vom Riegel, und indem er bei der Wirtin vorüberging, ballte er gegen sie die Faust. »Sei gewiß, Marte, das tränk ich Dir noch mal ein.«
Die Dorfprimaten hielten es für bedenklich, daß der Edelmann sich dem desperaten Menschen anvertraue. Er war anderer Meinung. Wenn einer in der Irritation aus dem Respekt gefahren, kehre er um so schneller dahin zurück, wenn sie vorüber, wie jemand sich um so fester in seinen Pelz hüllt, den er vorhin in augenblicklicher Aufwallung abgeworfen; denn der Frost komme nach.
Auf dem langen Wege schien er indes anderer Meinung, nämlich gegen den Baron, der auch jetzt auf dem Bocke saß und kutschierte, während Lamprecht voraus ritt. Der Herr von Quilitz hatte es wieder so gewünscht. Der Baron drückte seine Verwunderung über die Unwissenheit der Leute aus, daß sie im Ernst von den Franzosen befürchten könnten, sie würden sich um ihre Religion kümmern und ihnen einen anderen Glauben aufdringen.
»Diese Unwissenheit ist nicht das Schlimmste,« sagte der Gutsherr, »aber daß diese Leute sich auch zu denken unterstehen, was ganz aus ihrer Sphäre bleiben müßte! Aber es ist leider alles schlimm, wohin wir blicken.«
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