Willibald Alexis
Isegrimm
Querl.
eingestellt: 25.7.2007Zweiundfünfzigstes Kapitel.
Querl.
Was Isegrimms andere Kinder anbelangt, haben wir weniger darüber zu berichten, um deshalb auch weniger, was dem alten Manne ans Herz ging.
Die gute Wilhelmine führte ein glückliches Leben und eine glückliche Ehe. Wirtschaften konnte sie auf ihrem alten Bergschloß und von da herunter, daß es eine Lust war. Solche Besuche, wie der der Gräfin Heilsberg, der das Unterste zu oberst, und die immer Gleichmütige aus sich selbst herausbrachte, wiederholen sich glücklicherweise nicht. Wir können aber nicht verschweigen, daß mancher Freund des Mittelalters sie selbst dessen anklagte, was sie von ihrer Schwester gelitten. Nämlich in ihrem Sinn für Nützlichkeit und Ordnung ward manches Loch zugemauert, und in manche Mauer ein Loch gebrochen, wodurch der feudalistische Charakter des Schlosses Schaden litt, meinten die Antiquare. In solchen Dingen war sie nicht zugänglich, und da ihr Mann sich darum nicht kümmerte, ist allerdings der malerische Charakter der Alledeese-Burg etwas entstellt worden.
Ihr Mann, der sich als Bräutigam einen Krüppel nannte, sah noch nach zwanzig Jahren recht rüstig aus, zu Pferde und zu Fuß, und ihre Ehe war mit Kindern gesegnet. Man kam gar nicht aus dem Taufen heraus. Zur Zeit sind noch zwölf lebendige Kinder da, so daß das Geschlecht der Waltron-Alledeese die Anwartschaft hat, noch lange zu bestehen. Jeder könnte daher von den zwölf Mann akkordierter Leibwache einen für sich haben, – wenn es sich nur nicht auch in dem anderen zu sehr teilte. Bei Wilhelminens bester Wirtschaft ließ sich das nicht ändern, denn sie war wohl eine gute Oekonomin, aber kein spekulativer Kopf, und der Graf war es noch weniger. Bei der Märzrevolution hatten sie wenig oder nichts gelitten, denn sie waren nicht nur die besten Gutsherrschaften in der Gegend gewesen, sondern hatten durch ihr Beispiel und gute Schullehrer dafür gesorgt, daß ihre Untertanen schon früh vernünftige Ansichten von den weltlichen Verhältnissen erhielten. Bei seiner Achtung und seinem Einfluß meinte man aber, der Reichsgraf habe auch im allgemeinen segensreicher eingreifend wirken können, die Tumultuanten und Aufrührer bekehren und darauf hinweisen, was ihr und zugleich der Vorteil des Gemeinwesens sei. Dazu fehlte ihm aber der Antrieb; er war zu bequem.
Ganz anderer Natur war sein ältester Sohn, und dies war der einzige aus der Branche, welcher dem Großvater in Ilitz einigen Kummer machte. Er hatte schon früh seinen eigenen Sinn und schlug aus der Art. Den Adel hielt er für ein untergegangenes Institut; aber wer diesen Wald allmählich unterminiert und die Lebenswurzeln ihm abgehauen, sei nicht sowohl das Volk, als die Fürsten. Darum neigte er schon früh zu republikanischen Gesinnungen; als die Bewegungen heranrückten, hielt er sich zur demokratischen Partei und ward theoretisch ein Sozialist. Zum Deputierten nach Frankfurt erwählt, zeigte er sich als ein grimmiger Feind der Liberalen; er saß auf der äußersten Linken und stimmte bei der Kaiserwahl wie der Fürst von Waldenburg-Zeil: er sei kein Kurfürst. Beim Einbruch der Reaktion wanderte er nach Amerika aus, nachdem er schon früher seinen Ansprüchen als Majoratsherr zugunsten seines nächstfolgenden Bruders entsagt. Dort hat er eine sozialistische Phalange zu gründen versucht. Das Unternehmen schlug gerade fehl, als die Goldlager in Kalifornien entdeckt wurden. Etwas bettelhaft soll er dorthin gewandert sein, aber in Zeit von einigen Jahren eine unglaubliche Masse Goldes zusammengeklaubt haben, wobei ihm seine riesenhafte Körperkonstitution und seine Mäßigkeit geholfen haben; er konnte wochenlang von Wurzeln und Wasser leben. Nach den letzten Nachrichten, die ich aber als unverbürgte Gerüchte auf sich beruhen lasse, war er im Begriff, mit seinen unermeßlichen Reichtümern ein Heer von Abenteurern auszurüsten, und wollte sich mit ihnen ein unabhängiges Reich zwischen Kalifornien und Texas irgendwo erobern und gründen, worin er seine Ideen zur Ausführung brächte. Alles dies mag ins Reich der witzigen Fabelei gehören, ebenso wie, daß er Lola Montez heiraten und sie zur Königin seines neuen Reiches erheben, oder daß, was auch erzählt wird, er mit seinen Schätzen nach Deutschland zurückkehren wolle, um alle Liegenschaften in der Reichsgrafschaft seiner Väter anzukaufen und dann zu probieren, was ein so großer, freier Grundbesitzer dem Bundestage gegenüber ausstellen könne.
Dafür sind seine Brüder und Schwestern alle in der Art geblieben; es ist nichts, gar nichts Besonderes von ihnen zu melden. Die Brüder traten allen Protesten der mediatisierten ehemaligen Reichsunmittelbaren gegen die Frankfurter Beschlüsse und die vereinbarten Verfassungen bei, sie haben ihre Haustruppen jüngst wieder hergestellt, mit einem Waffenrock uniformiert und mit einem Helm bekleidet. Die Töchter heirateten und heiraten noch, alle standesgemäß.
Brauche ich es ausdrücklich zu sagen, daß Isegrimms jüngste Tochter ihm keinen Kummer machte, daß sie mit ihrem Albert eine glückliche Ehe führte? Sie war eine Natur, die ihre Empfindungen und ihr Glück in sich verschloß. Nur bei seltenen Gelegenheiten brach es heraus, und dann war sie es, die ihren Mann in seinen Zweifeln und Sorgen aufrichtete. Einigemal kamen ihr selbst Gewissenszweifel, ob es denn recht sei, daß sie ihn auf dem Lande, in der fernen Provinz als schlichten Dorfpfarrer zurückhalte, ihn, der bei seinem Wissen und seiner geistigen Tätigkeit zu ganz anderem Wirken berufen sei. Denn die Wege dafür eröffneten sich ihm mehr als einmal, und sie glaubte, daß nur eben sie und die Anhänglichkeit an ihre Familie das Band gewesen, was ihn an Ilitz gefesselt.
Auch Mauritz hatte dann und wann in trüben Stunden ähnliche Gedanken, aber es brauchte nur eines einsamen Spaziergangs im Walde, um, sein geliebtes Weib an die Brust drückend, sie zu versichern, daß er vollkommen beruhigt und zufrieden sei. Ein Mann, dem Gott nicht übergewöhnliche Kräfte geschenkt, müsse mit einer großen Lebensarbeit sich genügen lassen, auf die sein ganzes Sein und Trachten sich gerichtet, für die er seine Gaben verwenden müsse. Das sei für ihn die Rettung seines Vaterlandes aus dem französischen Joch gewesen. Die sei nun so geglückt, daß er darin Gottes unmittelbares Wirken erkannt. Diesen Glauben möchte er sich nicht erschüttern lassen, er habe nicht Kraft genug, um mit neuem Glauben zu einem neuen Werke sich zu richten. Nun müsse er sich aber doch gestehen, daß diese Rettung nicht so ausgefallen sei, wie er als Deutscher wünschen müsse, als Preuße es dürfe. Hier auf dem Lande merke man es nicht, es gäbe mindestens weniger Gelegenheit; in einer großen Stadt, mitten unter dem Wirken und Treiben des großen Lebens, würde er täglich auf die unerfüllten, getäuschten Hoffnungen, auf die Ungerechtigkeiten hingestoßen werden und in Zweifel und Versuchungen geraten, die er nicht lösen, denen er vielleicht nicht widerstehen werde. Wohin die Versuchungen führen, wisse niemand; möglicherweise könnten sie sein ganzes Lebensglück, seinen Glauben umwerfen, ohne daß er auch in der Jugendkraft sei wie damals, als er sein höchstes irdisches Glück durch Standhaftigkeit sich erobert, um zu etwas Festem durchzudringen. Und deshalb sei es wohl so am besten von Gott gefügt, daß er in Stille und Frieden einer schönen glücklichen Einsamkeit mit Zufriedenheit zurückblicke auf den Sturm der Vergangenheit, nicht berufen, in den Stürmen, die kommen, mitgetrieben zu werden und zu treiben.
Solcher Gelegenheiten, sein Schicksal zu verbessern und ihn in eine ansehnlichere Lage zu fördern, boten sich, wie gesagt, mehrere dar. Man muß es dem Herrn von Quilitz lassen, daß, wenn auch sein Rat und seine Hilfe dem Ilitzer meist ungelegen kam, er doch in seinem Eifer nicht nachließ, ihm und seiner Familie mit Rat und Tat beizuspringen, wenn es ihm nichts kostete. Der Hofmarschall war ein angesehener Mann geworden, dessen Verdienst um den Staat man wohl erkannt hatte. Er war später Oberpräsident, ja es war einmal davon die Rede, daß er Minister werden sollte; aber er starb früher. Noch ehe er Oberpräsident geworden, machte er seinem Vetter den Vorschlag, seinen Schwiegersohn nobilitieren zu lassen. Das lasse sich jetzt sehr leicht bewirken, da Mauritz Offizier gewesen und den Orden der Treue und Tapferkeit an der Brust trage; ja, es bedürfe hierin kaum seines, des Quilitzers, Einfluß, da man sehr geneigt sei, den Stand der Geistlichen mit dem Adel zu verbinden. Wie andere Staaten schon darin voraufgegangen wären, an gewisse hohe geistliche Stellen den persönlichen Adel zu knüpfen, werde man auch bei uns Herren »von« auf der Kanzel sehr gern sehen. Dies schlug Isegrimm, ohne einmal seinen Schwiegersohn zu befragen, rundweg ab, obgleich auch sein anderer Schwiegersohn, der Reichsgraf, sich dafür interessierte. Einen Tochtermann hätte er schon, schrieb der frohe Mann, der, wenn er tausend Jahre zurückrechne, bei einem kaiserlichen Hundejungen angefangen; nun wäre es doch hübsch, wenn sein anderer Tochtermann mit einem Bierfiedlerssohn einen neuen tausendjährigen Adelsstamm anfange. Isegrimm erklärte: er könne nichts Nobilitiertes leiden; wenn etwas nicht nobel sei, möge es lieber bleiben wie es ist, als daß man es mit einem anderen Schein plattiere.
Ebensowenig drang der Quilitzer mit anderen Vorschlägen durch, Mauritz in Zivilstellungen zu bringen, die sich mit seinem geistlichen Beruf vertrügen und ihm wenigstens einen Geheimeratscharakter verschafften. Geheimeräte liebte Isegrimm so wenig als neugebackene Edelleute. Als er ihm aber eine sehr ehrenvolle und einträgliche geistliche Stelle in der Hauptstadt offerieren zu können glaubte, sagte der Ilitzer kurzweg: »Das ist Herrn Mauritz Sache; ich bin nicht sein Vormund.« Der Schwiegersohn lehnte sie höflich aus den uns bekannten Gründen ab. –
Dagegen gerieten Schwiegersohn und Vater doch noch einmal in die peinliche Verlegenheit, dem Oberpräsidenten für seine Verwendung Dank zu schulden. Mauritz hatte sich gegen die Agende erklärt, Schritt für Schritt in dem Kampf dagegen, war er in die Richtung und die Opposition der Altlutheraner, vielleicht gegen seinen ersten Willen, hineingedrängt. Es kam zu Gewaltmaßregeln, und Mauritz, der nicht zurückgehen wollte, zum Entschluß, mit Weib und Kind und einem Teil der Gemeinde nach Australien auszuwandern. Dem alten Isegrimm, der die Schritte seines Schwiegersohns billigte, hätte die Trennung das Herz gebrochen. Da trat der Quilitzer vermittelnd ein, und seiner Vorstellung bei Hofe gelang es, die starren Ecken weich zu machen, daß es sich noch so fügte.
An seinen Söhnen erlebte Isegrimm keine Freude. Ludolff, der einige Lebhaftigkeit, aber auch viel Leichtsinn gezeigt, geriet als Portepeefähnrich in der Residenz in schlechte Gesellschaft. Er zerrüttete seinen Körper und Geist beim »Sekt« trinken, weil unter seinen Kameraden der Satz galt, Champagner sei kein Wein. An seinem Ruin, glaubte der Vater, habe einen großen Anteil ein heimlicher Besuch, den Ludolff seiner Schwester in Wien abgestattet. Sie habe ihn die Süßigkeit des Lebens in vollem Maße kosten lassen, um ihn dann leichter in ihr Bekehrungsnetz einzusaugen. So betrachtete Isegrimm es noch als ein Glück, daß der körperlich sieche Jüngling zugleich so geistig siech zurückkam, daß nur der Irrenarzt sich noch an seine Bekehrung machte. Er starb früh in seiner Behandlung.
Wolf, der Aelteste, hatte noch weniger den Sinn des Vaters geerbt; dessen war Isegrimm von früh auf sich bewußt, es war oft mit ein Grund seiner verdrießlichen Laune. Doch nur in den nächstfolgenden Jahren. Er hinkte etwas seit dem Fall oder Wurf in den Graben und hatte gar keine Lust zum Soldatenstande. Aber der Gedanke, daß man einem von der Quarbitz keinen Mut zutrauen könne, machte den Vater gegen ihn unerbittlich hart. Er mußte in die Kavallerie eintreten; aber er konnte sein Offizierexamen nicht machen. Da erst mußte Isegrimm nachgeben und zwang sich und den Sohn, daß er Jura studiere. Fleißig war Wolf, aber es fehlte etwas, er konnte auch da nicht durch die Examina. Es gab traurige Gesichter in Ilitz, stille und unterdrückte Tränen, gerötete Stirnen. Und Wolf war sonst ein so guter Junge. Es blieb nichts übrig, er mußte die Landwirtschaft erlernen, und nun zeigte sich bald, daß er auf seiner Stelle war. Pünktlich, reinlich, mit Augen für alles Kleine, brachte er schon als Lehrling eine Ordnung in die Wirtschaft, wie sie vorher nicht da war. Die Marktpreise kannte er von Jahr zu Jahr auswendig und lernte auch, welche Frucht jeder Boden am besten trage, ja er spekulierte, und meist richtig, welche Aussaat nach den Konjunkturen des Jahres am meisten lohnen werde. Im übrigen tröstete der Vetter aus Quilitz: »Wenn Sie ihm das Gut übergeben, Cousin, so soll er bald Landrat werden, und auf diesem Wege können wir ihn, ohne alle Examina, allmählich in die höheren und höchsten Staatsämter einschieben. Dafür lassen Sie mich nur sorgen.«
Diese Zeit kam wohl, aber sie war noch lange nicht da. Sollen wir die Leser noch aufhalten mit dem Verdruß und den Schmerzen des alten Isegrimm unter der Hardenbergschen Regierung! Bei Tisch mußte man den Ausdruck »Fleisch schneiden« umgehen, er dachte dabei immer an die Kultur und andere Verordnungen, welche den großen Grundbesitzern, wie es schon damals und später noch mehr hieß, ins Fleisch schnitten. Er las die Zeitungen nicht mehr, wie damals, als die französische Zensur darauf lastete; zuweilen sagte er, es sei jetzt noch schlimmer. Billard zu spielen, was er der körperlichen Bewegung halber letzthin pflegte, unterließ er, weil er nun mal die grünen Tische nicht ausstehen konnte. Hätte er nur Trost und Teilnahme unter seinen Nächsten gefunden! aber was half ihm, daß der Johanniter von Quiritz und einige andere noch mehr tobten und spuckten als er, und den Staatskanzler mit Namen belegten, die ich hier nicht niederschreiben darf; was half ihm, sage ich, wenn sein liebster Freund und täglicher Gesellschafter, sein Schwiegersohn Mauritz, darin nur eine Gerechtigkeit und Mahnung Gottes sah, Saat des Friedens, ausgestreut, um künftigen Stürmen und Revolutionen die Spitze abzubrechen! Wenn sein anderer Schwiegersohn, der Reichsgraf, in heiteren Briefen ihn damit trösten zu wollen schien, daß wer die Zeit versäumt zu freiwilligen Opfern, sich nicht wundern dürfe, wenn man sie nun mit Gewalt einziehe; daß wie an die Reichsfreien das Messer gelegt worden und niemand aufgeschrien habe, daß man staune, daß es nun auch an die nicht Reichsfreien gelegt werde; daß aber was sie im Westen überstanden und sich nun ganz leidlich wohl befunden, auch an die im Osten komme; sie würden es wohl auch ohne Schaden an Leib und Seele verwinden. Wenn selbst sein beschränkter Sohn Wolf in der Stille kalkulierte, daß die Freigebung der Bauern und ihre Einsetzung als Eigentümer dem Gute im Grunde nur zum Vorteil gereiche, und daß er recht froh sein werde, wenn die Hofedienste erst abgelöst werden, da bezahlte Arbeiter mehr schafften als gezwungene. Noch hoffte Isegrimm, daß seine Bauern, die fest am Alten hingen und ihren treuen Sinn erst neulich unverhohlen ausgesprochen hatten, das altpatriarchalische Band nicht zerreißen lassen würden. Getäuschte Erwartung: der alte Gottlieb Köpke trat eines Morgens mit seinem Schwiegersohn und Substituten Lamprecht ein, um ihm, nachdem eine lange Devotionsadresse vorausgegangen, anzukündigen, wie die Querbelitzer Bauernschaft beschlossen habe, auf die Ablösung mit der Dienstherrschaft anzutragen, und es wäre schon eingereicht, und wie leid es ihnen auch täte, so wäre es doch so schon besser. Die Ilitzer würden wohl nachfolgen.
»Immer zu, die Welt geht einmal aus ihren Fugen!« weiter hatte Isegrimm nichts gesagt. Er ahnte nicht, daß er seinen Grimm noch für anderes sparen müsse.
Der Quilitzer, der noch selbigen Tags hingekommen, hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht: »Nur Geduld, Kousin, unsere Zeit wird auch kommen, mir sagts mein kleiner Finger, und dann wollen wir nicht allein das Kapital, sondern Zins vom Zins zurückfordern.« Selbst hat er sich schon in der Stille mit seinen Quilitzern und auf den Klostergütern abgefunden, und zwar noch vor den Edikten, also ehe die Bauern davon wußten, und man erzählte nachher, er habe dabei ein gutes Geschäft gemacht. Isegrimm erwiderte: »Wie lange habe ich denn noch Zeit zu warten!«
Auch etwas Kränkendes sollte ihn betreffen. Wärs früher gekommen, es hätte ihn noch tiefer verwundet, jetzt las er den Artikel schon mit der Philosophie oder der Apathie des Alters.
Den jüngeren Söhnen des Reichsgrafen Waltron war es um gewisser Successionen und Stifter willen darum zu tun, den Stammbaum ihrer Mutter bis in das graue Altertum zu perlustrieren. Die Kaiserabkunft der Quarbitze ließ sich nicht beweisen, auch nicht die von dem reichsunmittelbaren Dynastengeschlecht. Man hatte zu laut und zu schnell in die Trompete geblasen, was einigen Spott und einige Schadenfreude bei anderen Familien hervorrief. Da erschien in einem Berliner Blatte eine antiquarisch-historische Abhandlung, sehr gründlich und sehr wohlmeinend, im Grunde genommen war sie ein Pasquill. Wer sie nicht lesen will, denn sie ist sehr gelehrt, mag sie überschlagen; der Geschichte tuts keinen Eintrag:
»Mit Recht, sagt Meibom, daß die Wappen der sicherste Führer sind, um Altertum und Herkunft adliger Familien zu entziffern. Welche edle Einfachheit, nur symbolische Andeutungen, in den Wappenschildern der wirklich alten Geschlechter, die keiner Briefe, Anerkennung bedurften, die nur das gaben, was sie waren, wohingegen der spätere, verliehene, der Briefadel, nicht kostbare, ungeheuerliche Embleme genug in sein Wappen aufnehmen konnte, nicht um den Forscher auf den Ursprung hinzuführen, sondern um ihn irre zu führen und die Wahrheit zu verdunkeln. Auch bei den märkischen Familien greift diese Wahrnehmung Platz; so unter andern auch bei der edlen Familie von der Quarbitz, über deren Herkunft und Abstammung neuerdings so vielfach gestritten ist, und so abenteuerliche Dinge zu Tage gekommen sind. Das Instrument im Schilde wird von Unkundigen oder poetisierenden Dilettanten bald für einen Armleuchter, bald für eine unbekannte wendische Waffe abgesehen; warum nicht lieber für einen Besen? Freilich, der Lackierer, der es auf den Wagenschlag malt, und die zarte Hand, die es in Tapisseriearbeit auf ein Kissen flickt, mag daraus machen, was er will, aber dem scharfen Auge des Heraldikers kann der wahre Gegenstand nicht entgehen, wenn er es genau ansieht, wie es auf dem Wappen der ehrenwerten Branche derer Ilitz sich in antiker Einfalt, ungeschmückt und unverschönert, erhalten hat. Es ist ein Stiel, um dessen oberes Ende vier bis fünf kurz abgeschnittene Aeste aufrecht im Kranze umherstehen. Dies ist nun, man muß nur nicht die Gelehrten fragen, sondern die erste, beste Köchin, nichts anderes als ein Querl, niedersächsisch Quirl, im Oberdeutschen Zwirbel, polnisch Matewka, russisch Motówka; das ist ein in jeder Küche bekanntes Instrument, ein abgeschältes Holz mit kurzabgeschnittenen Aesten (man bereitet es aus den obersten Wipfeln der jungen Fichtenbäume) vermittelst dessen man flüssige Körper, als Eier, Milch, Chokolade, durch Umdrehen des Stiels zwischen den Händen in Bewegung setzt. Daraus den Schluß zu ziehen, daß der Ahnherr der Familie ein Koch gewesen, wäre der Frivolität würdig, mit der unsere gelehrte Kritik die heiligsten Erinnerungen des Altertums mit Sottisen abfindet. Der Familienname selbst, wenn auch im Laufe der Jahrhunderte verstümmelt, in Verbindung mit dem Wappenbilde, führt uns auf die rechte Spur, die uns kaum mehr vom Ziele abirren läßt, wenn wir die nächstgelegenen Orts- und andere Namen, als das Dorf Querbelitz, das Flüßchen Quierlitz, das castrum Quorbelizza, die arx Werbelicz damit zusammenhalten. So stoßen wir auf eine Gegend, ein Geschlecht, wo alles vom Namen Querl träuft und strotzt. Dieses Instrument muß also für die Landschaft, für die Bewohner eine Bedeutung, eine Wichtigkeit gehabt haben; gewiß nicht der Küche wegen, weil die Kochkunst in jener Zeit und dieser Gegend keine besondere Rolle spielte. So wenig als das Geschlecht der Holzschuher in Nürnberg daher einen Namen hatte, weil seine Vorfahren Holzschuhe trugen, sondern weil sie dieselben verfertigen ließen und en gros damit handelten. Wir sind daher hingestoßen auf ein großartiges Gewerbe, welches die Gegend betrieb, welches sie nährte, welches das Wichtigste war, womit ihre Gedanken sich beschäftigten.
»Jener Landstrich war arm an allem, aber reich an Holz. Unsere Romantik möchte die jungen Fichtenstämme gern insgesamt zu Speeren schlagen lassen, die armen Bewohner aber waren klüger, sie verarbeiteten und schnitzten sie zu solchen Gegenständen, welche im Tauschhandel Wert hatten. Man denke nicht an Querl allein, aber die Poesie, die in allen Naturvölkern herrscht, nimmt die pars pro toto. Es war hier ein Völkchen stiller, friedlicher Holzschnitzer, eingeborener Wenden, die von dem einen Instrument. welches sie besonders geschickt und vielfach anfertigten, allmählich den Namen erhielten. Sie waren Querlschnitzer, was uns den Namen Querbelitzer fast buchstäblich wiedergiebt. Aber von Quirlen allein konnten sie nicht leben, sie machten auch Kochlöffel, Pfeifen, Klappern, Knarren (worin beinahe der Name Quarbitz aufgeht), kurz Kinderspielzeug und leichte Holzware, die in Deutschland so sehr gesucht wurde. Es waren sehr rührige Geschäftsleute und zugleich auf ihren Vorteil sehr erpichte Kaufleute. Sie ›querlten und quirlten‹ auf ihren Märkten umher, wie auch im Englischen to twirl noch immer ein schnelles Umdrehen, eine Laschheit in allen Bewegungen des Lebens bedeutet. Hierin möchte sich die Wildheit, oder vielmehr Unstetigkeit der gefürchteten Querbelitzer auflösen. Sonst wüßten wir wirklich nicht, wenn wir die Chronisten durchlesen, worin sie bestanden haben sollte. – Die wendischen Querlschnitzer trugen ihre Ware nach Deutschland. Natürlich, im Wendenlande, wo man nur am Spieß briet und Fische sott, bedurfte man ihrer nicht. Dies aber kam dem Kaufmannsgenie der Nürnberger ungelegen, es war die Ware, mit welcher sie vorzugsweise in Deutschland handelten, wo sie die Preise machten. Die niedrigen Preise der armen, einfältigen Wenden konnten die ihren niederdrücken. Was war natürlicher, als daß die Nürnberger Kaufmannschaft ihr Auge nach dem fernen Winkel im Wendenlande richtete und echt großkaufmännisch die Sache zu ihrem Vorteil angriff. Nicht von den Kaisern ein Verbot gegen den Import der wendischen Holzware impretierend, bemächtigten sie sich vielmehr des Importes selbst. Das heißt, sie schickten ihre Agenten über die Elbe in das Querlschnitzerland und errichteten daselbst, wir sagen nicht eine Kolonie, aber eine Faktorei, welche sich alsbald des ganzen Handels bemächtigte. Wer durch die Weltgeschichte die der Kolonien, welche zivilisierte Handelsvölker zu den Barbarenvölkern aussandten, verfolgt, weiß, wie diese Operation überall dieselbe war, und wie leicht Kulturvölker merkantilisch die mit den Künsten der Handelsindustrie unbekannten Naturvölker ausbeuten. So gründeten die Phocäer Marseille, nicht, wie die alten Schriftsteller sich pompös ausdrücken, um die Kultur ins Land der Barbaren zu verpflanzen, sondern um gegen die Luxusartikel und Spielereien der griechischen Industrie die ungleich wertvolleren Rohprodukte des gallischen Bodens einzutauschen. Solcher Handel warf ungeheure Prozente ab, und die deutschen Faktoreien im Slavenlande, deren sehr viele waren, um so mehr, als so geschickte Kaufleute wie die Nürnberger und Augsburger sich wohl hüteten, durch militärischen Embarras die armen Wenden zu erschrecken, oder gar, wie die griechischen Kolonisten, militärisch erobern wollten. Die Nürnberger fanden vollkommen ihre Rechnung dabei; Holz und Arbeitslohn waren in Franken und auch in den Alpen verhältnismäßig weit teurer als in dem armen Wendenlande, so daß die Nürnberger Krämer, inklusive die Kosten der Faktorei und des Transportes, noch immer gute Geschäfte machten. Aber die Nürnberger Holzspiel- und Schnitzwaren hatten einmal Kredit im römischen Reiche, und sie durften es nicht wissen lassen, daß sie dieselben aus dem barbarischen Slavenlande an den baltischen Küsten bezogen. Daher der Nebel und schreckensvolle Nimbus, den sie um jene Striche zu verbreiten wußten; daher die Hindeutung der Chronisten auf die furchtbaren Querbelitzen, die zu wahren Menschenfressern an Raubsucht, Wut und Grausamkeit wurden.
»Werfen wir aber einen Blick, wie es wirklich da aussah an der plätschernden und wirbelnden Quierlitz, um das dampfende Querbelitzer Moor. Da sehen wir sie im Hause und draußen ›herumquerlen und quirlen und wirbeln, knarren, und quarren‹, jung und alt, Weib und Kind. Da sitzen die Knaben oben auf den Fichtenbäumen und kappen die dürren Zweige ab, die Männer fällen, sägen und schneiden ganze Bäume, die Weiber tragen die Stücke fort, sie werden verteilt, jeder und jede erhält ihr Stück Arbeit nach der erprobten Tüchtigkeit; sie schaben, schnitzen, kerben, bohren, fügen ineinander, der Kochlöffel, der Querle, der Maultrommeln. Die kleinsten Kinder, nackt vorm Hause auf den Kiennadeln liegend, werden schon angelernt, Kerbe in die Pfeifen zu schnitzen, mit Ruß die Enden und Glieder zu schwärzen. Die Kleinsten, die das noch nicht können, quirlen wenigstens stillvergnügt mit den Querlen im Sande, und die gute Mutter schaut zufrieden lächelnd dem Tätigkeitstriebe ihres jüngsten Lieblinges zu. Und mitten durch stehen und gehen die deutschen Handlungsdiener, Anweisungen erteilend, die fertig gewordene Ware einsammelnd. Es ist ein Bild einer alles in ihren Kreis hineinziehenden Industrie; eine Stille der Tätigkeit, nur unterbrochen durch das Klopfen, Spalten, Sägen, das Zählen und Schelten der Aufseher, das Klappern der Wassermühle; denn schon früh haben die Kaufleute, mit ihrem Auge überall auf Profit, den raschen Fall der rauschenden Quierlitz benutzt, sie muß Räder treiben. Ob schon damals Holz gesägt wurde, müssen wir bezweifeln, eine Walkmühle hatten sie aber schon früh angelegt. Wohin mit den vielen Sägespänen und Holzschnitzeln, die auch die Nürnberger Industrie nicht zu bewältigen vermochte? Sie häuften sich natürlich zu kleinen Bergen. Ob dadurch die großen Hünen- und Königsgräber entstanden, überlassen wir der Konjektur jedes Lesers. Wir sagten vorhin Häuser, es waren aber nur Laubhütten, höchstens Balkenhäuser; darin verkrochen sich die fleißigen Arbeiter nach des Tages Mühe und Not. Sie lagen in einer Umfriedung auf einer Höhe, hinter steilen Erdwällen, und die Waldteufel summten und brummten schauerlich durch die Nacht, um Räuber und Wölfe abzuschrecken. Da haben wir das gefürchtete castrum Quorbelizza; eine große Werkstätte, eine Fabrik, wenn man will, der Marktplatz der wendischen Holzschnitzer. – Was aber war die vielgerühmte arx illustris Werbelicz? Nichts anderes als die nahe daran gelegene Faktorei der Nürnberger, ihre große Kaufmannshalle, ihr Speicher, wo sie die unfertigen Kochlöffel, Querle, Querpfeifen, Knarren aufhäuften, bis sie auf Karren verpackt wurden. Daß die Nürnberger Ladenschwengels und Kommis darin etwas die großen Herren spielten, und, was man nennt, ›sich dicke taten‹, wer verwundert sich darüber; sie waren ja weit vom Haus und entfernt von ihren Prinzipalen. Sie mögen auch die armen wendischen Fabrikarbeiter barsch behandelt und übers Ohr gehauen haben; das kommt bei allen Satelliten, auch den kaufmännischen vor. Daher denn die Verordnung des Nürnberger Magistrats an die Holzschuher, daß sie ob usum communem rei publicae Friede halten sollten mit der gens Quorbelizzorum. Es war eine allgemeine Nürnberger Angelegenheit, Staatspolitik, daß man die Leute dort nicht zu sehr drücke, um den Holzhandel im Gange zu erhalten, wobei übrigens der Ausdruck: gens clarissima Quorbelizzorum zweifelhaft ist. Die Mäuse haben nämlich die zwei ersten Buchstaben des Wortes angenagt, und man liest mit ebenso vielem, wo nicht mehr Recht: gens avarissima. Natürlich, man quälte sich gegenseitig, die deutschen Ladenschwengel und Markthelfer waren hoffärtig und drückten, die wendischen Arbeiter aufsässig, tückisch und betrogen, wo sie konnten.
»So erklärt sich denn auch der mysteriöse deutsche Gaugraf Werbel oder Wirbel, der unglücklicherweise nie in den Urkunden vorkommt, im Volksmunde hat sich aber noch die Benennung ›Querlfürst‹ oder ›Querlfritze‹ erhalten. Daß diese deutschen Kommis und Handlungsdiener der Firma Holzschuher et Kompagnie im Verlaufe der Zeit sich mit den Wenden vermischten, jedenfalls nach den vielen Kriegen und der schwierigen, oft unterbrochenen Kommunikation mit Nürnberg sich unabhängig machten, d. h. auf eigene Hand handelten, unterliegt keinem Zweifel. Die besten Geschäfte mußten sie aber mit der Walkmühle machen, wovon das Geschenk von Kamisolen und Nachtmützen an Markgraf Jobst in Tangermünde spricht. Daß sie damals durch ihren Landbesitz zu einem gewissen Einfluß gelangt waren, mehr aber noch durch ihre kommerziellen Verbindungen, mag man annehmen, aber für ritterbürtig galten sie noch nicht, denn in der Verleihungsurkunde wird keiner von ihnen ein miles (Ritter), sondern nur vir honestus genannt. Noch später kommt sogar der Ausdruck mercator (Krämer) vor. Mittlerweile mögen sie indessen in die Einigung vor dem Kremmerdamm, in die Adelspartei gewissermaßen ›hineingewirbelt‹ sein, die Männer von materiellem Ansehen brauchte. Ob die Hand der Hohenzollern nachmalen zu schwer auf ihnen gelegen, lassen wir anstehen. Jedenfalls bezweifeln wir mit denselben Gründen, daß sie ihr steinern Haus deshalb abrasieren müssen, als die Visite der faulen Grete vor demselben, die schon längst ins Reich der Fabeln verwiesen ist, da sich in Stendal eine Kaufurkunde erhalten hatte, wonach die Quarbitze dreißig Jahre später dem Kurfürsten eine Anzahl wollener Decken zu seinem Winterfeldzuge gegen das aufständische Berlin geliefert haben. Wahrscheinlich war der geharnischte Mann, Wolf Quarbitz, in der Kirchenmauer zu Ilitz, der erste als Ritter anerkannte Mann in der Familie, welcher nach anderen Urkunden unter Joachim I. gute Gendarmendienste bei Ausrottung der Raubritter geleistet hat. Der Adelsbrief fehlt, ein solches steinernes Bild sollte ihn aber oft ersetzen, und es bleibt jedenfalls auffällig, daß es das einzige Bild der Art in der Familie ist. Wir haben also auch in der Mark das erfreuliche Vorkommnis, daß eines ihrer ruhmvollsten Adelsgeschlechter, wie die Fugger und Mediceer, aus dem Handwerker- und Kaufmannsstande hervorgegangen ist.«
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