Es war einer der heitersten Frühlingstage, als Bertram, die Flinte über den Rücken, zwischen den mit frischem Grün bedeckten Hügeln und Felskuppen, den höhern Gebirgspartieen des Snowdon zuging. Er hatte sich aus dem Schlosse schon am frühen Morgen geschlichen, um mit der ganzen Gesellschaft, welche gegen Mittag zu Roß und Wagen am Arthurs Berg anlangen wollte, zu gleicher Zeit dort einzutreffen, und dabei das Vergnügen einer
Lustwanderung zu genießen.
Ihm war sehr froh zu Muthe: er konnte sich nicht enthalten, zuweilen die Hügel hinauf zu springen, und wo der Weg abwärts führte, sich in vollen Lauf zu setzen; und wenn er von schönen hochgelegenen Punkten herab eine freie Aussicht auf sonnige Saatfelder, das ferne Meer, und die tiefen schattigen Schluchten mit den eben erst grünenden tiefen Wäldern gewann, hätte er dichten mögen, wenn nicht sein Blut allzu frisch und lebendig ihn durchwallt hätte, als daß
es ihm möglich gewesen, den Zwang von Reim und Versmaas zu dulden.
Dieser Fröhlichkeit lag indessen mehr als die Anmuth des heutigen Frühlingsmorgens zum Grunde. Die Fabel vom Tode König Arthurs hatte ihn gestern so lebhaft aufgeregt, daß er einen Theil der Nacht nicht schlafen können, den andern aber, fast wider Erwarten, von den lieblichsten Träumen war heimgesucht worden. Er konnte sich nicht enthalten, laut in folgendes Selbstgespräch auszubrechen, indem er Hügel auf, Hügel ab
sprang:
Wunderbare, romantische Welt! Du wurdest im Frühling geboren, in dem Frühling jener Zeiten, welche näher den goldenen lagen, wo die Luft glänzender war, die Sonne heller strahlte, und alle Farben lebendiger ins Auge fielen; alles war jung und froh, selbst die Greise waren es; keine Reflexion trübte das Leben. Kindlich und gläubig sprach sich das Gefühl aus; und wie rührend klingen dennoch jene Stimmen zu uns herüber, wenn der Ritter sein treues Schwert, als der Tod ihn davon
trennen soll, anredet? Dem Tode wird sein Stachel genommen, denn überall leuchtet der Himmel, welcher nur der verklärte Widerschein aller Frühlingsfarben ist, auf die Erde, und in allen Elementen leben die vermittelnden Geister. Wie unaussprechlich poetisch und rührend ist die Sage von Arthurs Tode! Der Held der Christenheit, den die Sage nicht umsonst als Sieger herrlich ausgestattet hat, muß, nachdem er die ganze Welt unterworfen hat, seinem eigenen Neffen, den Rittern seines Brittanniens,
unterliegen! Der Sieger, dem alle Cardinäle in der Weltstadt Rom als Ueberwinder eines Kaisers huldigten, muß, von Allen verlassen, unter einem dürren Baume verschmachten! Er, der in seiner Lebenskraft der Welt gebot, muß seinen treusten Anhänger bitten, sein letztes Gebot zu erfüllen! Da erbarmen sich endlich die Geister des verlassenen Königs. Er verschwindet, und wie alle große Wohlthäter eines rohen Volkes, deren Thaten und Namen ewig leben, läßt ihn das Volk noch wirklich leben, und wartet
auf seine Wiederkehr.
Das ist alles sehr schön und erbaulich – sagte eine Stimme, und Bertram sah sich erschrocken um. Er war in einem Hohlwege und erblickte kein lebendes Wesen bis auf die Vögel, welche von Busch zu Busch flogen und ihre frohen Morgenlieder sangen.
Wer ist hier? fragte er ärgerlich mit sehr lauter Stimme.
Ich, ich, Herr Bertram! antwortete es von der Seite her, und der Spaziergänger sah jetzt hinter einem Busche Jemanden beschäftigt, den
Sattelgurt seines Pferdes zurecht zu schnallen, und sich auf dasselbe hinauf zu schwingen. Es war Malburne, welcher freundlich unserm Helden zunickte, und ohne sich dadurch in seiner Beschäftigung stören zu lassen, weiter redete.
Wie gesagt, sehr schön und erbaulich, und wie es sich bei einem jungen Menschen von vier und zwanzig Jahren an einem Frühlingsmorgen in einer Gebirgspartie erwarten läßt; demohngeachtet wollte ich gehorsamst rathen, sich nicht allzusehr der Begeisterung
hinzugeben. Alle Ehre der Romantik, aber mein Sattelgurt ist schon geplatzt, als ich mit weit bescheidener fliegenden Gedanken den Gebirgsweg heruntertrabte. Darum bittet ein alter an die Knüppel- und Steindämme dieser Insel gewöhnter Freund, ein wenig mehr auf die Erde zu sehn, wenn mein verehrter Freund dieselbe noch zu betreten würdigt.
Damit schwang er sich auf sein Pferd und beugte wieder in den Weg. – Nicht wahr, Herr Bertram, auch nach dem Orte, wo man den König
Arthur nicht sieht? Das ist auch für poetische Gemüther das Beste. Wo man etwas mit Augen sehn kann, ist überhaupt für einen Poeten wenig Verdienst. Wenn die Leute uns nachweisen können, wo der Dichter die handgreifliche Wahrheit verlassen hat, ist es eine schlechte Lust zu dichten. Darum lobe ich die romantischen und die Griechischen, Türkischen, Idealischen und Mamluckischen Geschichten. Da kommt kein Leser hin, und der Dichter kann versichern was ihm irgend gefällt, es muß geglaubt
werden.
Bertram, im Innersten empört über die Reden eines Mannes, der es nur darauf anzulegen schien, ihn durch freundlichen Hohn zu kränken, und dem er theilweise ohne Zweifel die üble Behandlung im vergangenen Winter zuschreiben durfte, antwortete nicht. Der Reiter lächelte, wie gewöhnlich, und ritt schweigend eine Weile neben ihm her, ehe er wieder das Gespräch erneuerte:
Also Herrn Bertram hat die romantische Seite des gestrigen Abends am meisten bezaubert? Haben Sie
keine anderen Früchte für Ihr Notizbüchelchen über Völker- und Menschenkunde gezogen?
Daß ich nicht wüßte.
Sehn Sie, Verehrter. Sie haben die Lehren des Mannes mit den Funfzigen aus dem Wirthshause in M*** vergessen. Ich habe meine Citrone besser ausgepreßt, und wenn es Hochdenselben gefällig ist, werde ich aus meinem Notizbuche einige Notate zur Verkürzung des Weges vorlesen.
Bertram verneigte sich schweigend. Malburne zog die Brieftasche vor und las:
Numero eins: die krächzende, krähende Stimme der alten Eule, welche Urrins Sieg gesungen, hat mir auf Wochen lang die Liebe für die Romantik verleidet. Man sollte alte Sänger und Dichter pensioniren, oder ein Greenwich-Hospital für sie anlegen, wo sie zur Erholung, gleichwie die ausgedienten Matrosen, nicht mehr auf der Wache zu stehen brauchen, sondern im Großvaterstuhl sitzend, bequem ihren Posten versehn können, in Prosa sprechen dürften.
Numero zwei: den
Squire schien die Erinnerung an den Tod Seiner Majestät, König Arthurs, wirklich in Affect gesetzt zu haben, denn er vergaß in selbigem seine wohlstudirte Wälsche Rolle und sprach wie ein anderer vernünftiger Mensch.
Numero drei: Als der Squire von den Poeten sprach, welche nächst dem Naturdiebstahl auf Menschendiebstahl ausgehen, leerte Herr Bertram sehr eilig ein volles Weinglas und war hochroth, als er es auf den Tisch setzte. Daraus ist der Schluß zu ziehen: Man sollte, ehe man in
Gesellschaft ein Gespräch entrirt, sich genau nach den Qualitäten der einzelnen Mitglieder erkundigen. – Um Gottes Willen, Herr Bertram, Sie werden ja blutroth; ich hoffe doch nicht, daß Sie sich durch meine bescheidenen Notate getroffen fühlen. – Es ist möglich – es könnte sein – meine Handschrift ist nicht recht deutlich – es kann ein anderer Name sein, als Bertram – ja gewiß, so wird es sein, denn meinem verehrten Freunde habe ich es ja während der ganzen
Dauer unserer interessanten Bekanntschaft nie angesehn, daß er auf Menschendiebstahl ausginge. Sie begnügen sich mit der Natur, Herr Bertram, nicht wahr? – »Singende Vöglein, lachender Mai – sausender Sturmwind, krächzender Rabe u. s. w.« – Aber mit Menschen anzufangen, ist es gefährlicher. Ich kenne ein Beispiel, daß ein junger Anfänger in der Diebeskunst einem alten ehrwürdigen Mann eine Uhr glaubte gestohlen zu haben; als er sich aber seiner That rühmte, kam es heraus, daß
er sich an den schlausten Merkursdiener in ganz London gemacht und für den Preis einer bleiernen Kinderuhr seine vollgespickte Börse aus den Taschen verloren hatte. Was läßt sich auch bei dem Diebstahle erbeuten, Herr Bertram? Gesetzt, Sie wären darauf ausgegangen, an mir, Ihrem alten treuen Freunde, eine Entwendung zu begehen, – was ich bei Ihrer rechtlichen Gesinnung nie vermuthen darf – was hätten Sie gefunden? Einen grämlichen Podagristen, etwas launig zuweilen, einen
gemüthlichen Mann, dem man vorwirft, er persistire mitunter seine Freunde, habe unter seinen Haaren schon manches graue, aber kein einziges gutes, und der, ums kurz zu machen, zu nichts weniger taugt, als eine Person in einem romantischen oder einem morgenländischen Gedichte abzugeben. – Aber ich sehe, Herr Bertram, mein Pferd wird wild, und Sie müssen sich anstrengen, Schritt zu halten. Da mir dabei die Fabel einfällt vom Riesen und vom Zwerge und vom eisernen und tönernen Topfe, die
beiderseitig nach einem Ziele – wie wir – ausgingen, so ziehe ich die Moral – wie ich denn überhaupt sehr für die Moral eingenommen bin – daß wir, ein hinkender Reiter und ein rüstiger Fußgänger, nicht länger zusammenbleiben können, und ich, – wie hiemit geschieht – mich Ihnen bestens, noch mehr aber Ihren freundlichen Gedanken, zu empfehlen die Ehre habe.
Damit zog er den Hut sehr tief ab, gab dem Pferde auf dem jetzt ebener gewordenen Wege die
Sporen, und war bald aus Bertrams Augen verschwunden, der, froh, einen so lästigen Gefährten los geworden zu sein, in sein Tagebuch schrieb: »Von allen Männern, welche ich auf meiner Reise in England kennen lernte, misfällt mir keiner mehr, als der aufdringliche, mit dem feindlichsten Humor ausgestattete Thomas Malburne, von dem der T— wissen mag, ob er eine andere Beschäftigung hat, als mich in meinem geheimsten Treiben zu stören.«
Welches unter den Vergnügungen unserer Tage
trägt wohl mehr das Gepräge jener edlen Einfalt und heitern Lust an sich, die einst die Feste unserer Voreltern auszeichneten, als die von Familien und Befreundeten unternommenen Landpartien, um in einem schattigen Walde, auf einer heitern Höhe, fern vom Geräusche der Stadt und dem Staube der Landstraßen, die Natur zu genießen? Der Autor muß gestehen, daß ihm die meisten Plane und Bilder zu seinen Dichtungen aus solchen im traulichen Kreise von Edinburgh oder den umliegenden Landsitzen aus
unternommenen Fahrten, entstanden sind. Das einfachere Mahl schmeckt unter dem blauen Himmelszelte noch einmal so gut, die Musik tönt zauberartiger in den großen Hallen der Natur, und unsre blühenden jungen Mädchen gleichen, wenn sie auf dem grünen Wiesenplan, von Lust und Liebe strahlend, Landtänze aufführen, den Waldgöttinnen und Wassernixen, von denen das Volk und die Dichter fabeln, obwohl ich sie nicht mit den Eisen, den sonst geheiligten Bewohnern dieser heimlichen Scenen, vergleichen mag,
da die Rosen auf ihren Wangen jenen ätherischen Wesen, nach der allgemeinen Vorstellung, fehlen.
Seit zehn Jahren hat man, nach Sweetburns Reisebeschreibung durch Wales und Cornwallis, die Stelle aufgefunden, an welcher König Arthur verblutet ist, und sie wird von denjenigen Bathschen Badegästen, welche beschwerliche Gebirgspartieen nicht scheuen, in den Sommermonaten besucht. In der That konnte man keine geeignetere Stelle im Snowdon suchen, um den romantischen Auftritt dahin zu
verlegen. Zwar ist aus dem großen Strom, in welchen das Schwert Excalibar vom Herzoge von Kloster versenkt worden, ein sprudelnder Forellenbach geworden, welcher sich anmuthig durch eine Schlucht hinschlängelt; die Revolutionen der Erde und das Treiben der bösen Geister mögen aber leicht den ehemals mächtigen Strom in dieses dürftige Bett zurückgezwängt haben. Aber noch immer rauscht Schilf, welches ja die Geisternähe verkünde, zu seinen Seiten, und einige alte Weiden stehen am Ufer und in
einiger Entfernung vom Flusse. Von einem kleinen, ganz in der Nähe gelegenen Hügel hat man eine freie Aussicht, sowohl auf die Krümmungen des Baches, als auf die herrlichen alten Eichenwälder, welche theils die umliegenden Höhen bedecken, theils aus den tiefern Schluchten hervorgrünen. Den Hintergrund bildet aber zu zweien Seiten die hohe Kette des Snowdon, welcher mit seinem kahlen Rücken, mit wenigem Gesträuch, beim Sonnenscheine in einer wunderbar rothen Beleuchtung glänzt.
Auf
diesem Hügel war die Tafel der Gesellschaft im Schatten zweier großen Eichen aufgeschlagen gewesen, und nachdem das ländliche Mahl schon früh beendet worden, hatten sich die frohen Theilnehmer desselben hier und dorthin, wie sie die Lust trieb, vertheilt. Die meisten lagen auf dem grünen Rasen, sich der reizenden Aussicht und eines so heitern Tages erfreuend, wie er selten in diesen Gebirgsgegenden gefunden wird, während Andere sich bei den Wagen und Pferden beschäftigen. Auf der Spitze des
Hügels stand nur der Squire, und neben ihm der vertraute Geistliche, beide, wie es schien, in tiefem Gespräche, während, nicht weit von ihnen, Malburne, scheinbar mit seinen Gedanken beschäftigt, im Grase lag, und einen Halm nach dem andern zerkaute.
Sir Morgan – sagte der Geistliche – dort springt Ihr fremder Gast mit Lady Ginievra den Hügel, wie es scheint, im Wettlauf hinab. –
Und was soll diese Unterbrechung in unserm wichtigern Gespräche bedeuten,
Master Simon?
Es ist nicht meine Art, die Vertraulichkeit junger Leute mit ängstlichen Augen zu beobachten, zumal wenn ihre Erziehung mir nicht anvertraut ist: denn als Geistlicher muß ich an eine göttliche Vorsehung glauben, und eingeweiht in die sublimeren Wissenschaften, weiß ich, wie Sie, daß der Lauf der Gestirne unabänderlich ist.
Und doch? – sagte halb lächelnd der Squire.
Doch würde ich als Morgan Walladmor mit der Klugheit der Welt bedenken, daß
auch eine unschuldige Vertraulichkeit unter jungen Leuten, zwischen die auf immer trennend die Kluft des Standes tritt, Gefahr bringen kann.
Und sind Sie überzeugt, daß Ginievra nie dem Fremdlinge ihre Hand reichen kann?
Nach Ihren Grundsätzen kann nur ein eingeborner Wälscher aus alt adlig christlichem Geblüte je auf die Hand der Lady Anspruch machen.
Und noch mehr fordere ich, Master Simon. Ein alt adeliger christlicher Walliser, aus dem Hause Walladmor,
– Morgan Walladmors Sohn, Edwin, oder wie ihn die Elemente getauft haben, nur dem bestimme ich Ginievras Hand.
Was soll ich aus Ihrem Blicke lesen, Sir Morgan?
Sehn Sie, Master Simon, jetzt wollen Beide über den Bach. – Sind es nicht zwei schöne Gestalten? – Er hilft ihr über die großen Steine, die aus dem Ufer hervorragen. – Sie hält sich an den Zweigen der Weide, an die Lukyn von Gloster sich lehnte, als er das Meerweib des Königs Schwert ergreifen
gesehen. Wäre es doch Thorheit, wer diese Stelle gesehn, noch daran zu zweifeln, daß dieser König Arthur gelebt hat? – Wer zweifelt aber auch daran, als die neuern Kritiker, welche sich nie von ihrem Kamine hinweg auf die kahlen Höhen des Snowdon gewagt haben? – Weil zwei alte Sächsische unwissende Mönche, Gildas und Beda, ein Thränodist und der Verfasser einer trockenen Kirchengeschichte, unseren glorwürdigen König nicht genannt haben, soll Arthur nie gelebt
haben, als ob, weil Suetonius unseren Heiland nicht nennet, Christus nicht gelebt hätte. –
Ganz recht, Sir Morgan, aber wir kommen von Lady Ginievra ab, die eben von dem jungen Bertram hinüber gehoben wird. – Nun stehen sie beide am Ufer und schütteln das Wasser von den Schuhen.
Sehn Sie ihm grad ins Gesicht, Master Simon, gleicht er mir nicht? Ist es nicht das Gesicht eines Walladmor?
Die Aehnlichkeit müßte aufgesucht werden, da sie nicht von selbst
in die Augen springt. Ueberdies war noch vor kurzem der Aufstand im Orient, die Bewegungen in Griechenland der Gegenstand unseres Gespräches, und der alte Spruch
Wenn die Mohren stürmen das Aussenthor, Wird Freude kommen nach Walladmor |
ließ Sie auf einen wunderbaren Zusammenhang der Dinge hoffen.
Und eben weil er wunderbar ist, können die beiden Pole sich vereinigen, ohne daß wir wissen, was ihre widerstehende Kraft gebeugt hat. Arthurs Gestirn sah ich drei Nächte feuerroth glänzen, das Bildniß meines Ahnen Rhees ap Meredith wankte in seinem Rahmen und
weckte mich dreimal aus dem Schlafe. Sehn Sie die kahlen Höhen des Snowdon blutroth leuchten? – Auf jenen Höhen war es, wo sich der Tag entschied, ob Kymmerien frei bleiben, ob es mit Sprache und Sitte untergehn solle? – Mein Ahnherr war es, der sein Schwert in die Schaale legte, daß der Sieg der unsre ward, und Walladmors Ruhm wuchs. Aber während an jenem glorwürdigen Tage die Thürme unseres Schlosses hoch und höher stiegen, wurden die Drachen an das Fußgestell gekettet, welche
nagen und rütteln an den alten Thürmen.
Sie gedenken der Schlacht am Snowdon?
Das Gesicht des Squire glühte mehr und mehr in ungewöhnlichem Feuer, als er folgende declamatorische Erzählung, vielleicht mehr für sich, als für den Geistlichen, anhub.
Bis hier in die Schluchten des Snowdon, waren die furchtbaren Schaaren der Normannen gedrungen. Die Grafen Slop und Chester, früher vom großen Natanleod überwältigt, drängten wüthend unsere ermatteten Krieger, und voran
strömten die Templer unter dem schwarzen Pumfret von Ardensham, dem gewaltigen Zauberer. Dort auf dem höchsten Rücken des Snowdon sammelte sich die letzte Schaar Wälscher Kerntruppen um meinen Ahnen Gwidir, während das Blut ihrer Brüder in den Flußbetten der Winterströme hinunterrann, und den Bach röthete. Und als Gwidir so den Wolken näher stand und selbst verwundet den kleinen Haufen der Seinen und die wie aus sich selbst wachsenden Schaaren der Normannen erblickte, da schüttelte ihn ein
Fieberfrost. Er wußte, daß, wenn die Gränzgrafen diesmal siegten, die Kymmerier aus den Gräbern aufstehen müßten, welche ihnen fürder widerstehen sollten. Da betete er zu allen den Christen, die einst gegen wilde Heiden gefallen waren, aufzustehn und den ureingebornen Britten den Sieg zu verleihen. Als er aber die Augen aufschlug, fiel sein erster Blick auf den schwarzen Pumfret von Ardensham, wie der mit teuflischen Augen die grimmigen Reihen der Templer durchflog, und wie auf seinen Wink
Tausende aus der Erde zu wachsen schienen. Es war in aller Welt bekannt, daß in den Refektorien der Templer die schwarze Kunst getrieben wurde, daß sie eben so wohl mit dem Glauben der ungläubigen Sarazenen im Morgenlande, wie mit den Geistern der Finsterniß vertraut waren. Als nun mein Ahnherr die christlichen Geister, zu denen er gebetet hatte, nicht kommen sah, und dagegen die Tempelherren auch den letzten Berg zu ersteigen anfingen, schäumte er voll Wuth, stieß sein Schwert tief in den
steinigen Boden und rief aus: »Wollt Ihr, Geister meiner seligen Vorfahren, mich, den letzten Kämpfer für Eure Sache, verlassen, so rufe ich Euch an, Ihr Geister, die Ihr unter mir in den Schluchten der Berge von Eurem Meister Merlin gefesselt liegt. Ich rufe Euch an, die er an die Wurzeln der Eichen und an die Felsblöcke kettete, daß Ihr dienen solltet in der Noth den Söhnen Kymmeriens, wenn sie riefen. Ich rufe Euch aus den Bergen, aus den Quellen, aus den rauschenden Wäldern, tief
aus der Erde Gründen, hoch über mir aus den Lüften, daß Ihr fechtet für Kymmeriens Freiheit.« Mein Ahnherr war ein gewaltiger Zauberer, und hatte wohl verstanden die Beschwörungsformeln zu setzen. Ehe aber noch die Geister seinen Ruf vernommen, erblickte er beim Aufsehn, daß die Templer, ermattet vom Kampfe, sich zurückgezogen hatten, und ihre Schaar dünkte ihm jetzt viel kleiner denn zuvor, daß er schon bereuete, die Finstern zu seinem Beistande aufgerufen zu haben. Als sich aber jetzt umsah,
war sein Haufe um das Dreifache angeschwollen, obgleich er nicht wußte, von woher die frischen Kräfte konnten gekommen sein. – Als er sich aber wieder umsah nach den Normännern, da ritt in ungewöhnlicher Größe der schwarze Pumfret durch seine Reihen, und es schien als rollten aus seinem Schilde Krieger hervor, und als wüchsen andere aus dem Boden, wo sein Pferd mit dem Hufe schlüge. Er ritt mit seinem häßlichen kleinen Pferde weit über die Seiten seines Heeres hinaus durch Thal und Berg,
und Thal und Berg füllten sich mit wilden Kriegesmännern. Mein Ahnherr, als er dieses sahe, ritt auf derselben Seite seines Heeres über Schlucht und Fels wohl eine Strecke von zwei Meilen, und als er sich umsah, erblickte er, zu seinem großen Erstaunen, den ganzen Weg, den er gemacht hatte, mit Kymmeriern besetzt. Aber da Pumfret von Ardensham weiter ritt, trabte auch er noch immer zu, und beide Reiter sahen sich noch oft an und nickten sich wilde Kriegesgrüße zu. Endlich, als beide an einen
steilen Felsen gekommen, machte der Templer Miene umzukehren, und als dies mein Ahnherr merkte, rief er ihm zu: »Ists nun des Teufelswerkes genug, wollen wir uns messen?« Aber Pumfret lachte, und sagte: »Jetzt habe ich meine Flanke erst zur Linken aufgestellt, nun will ich sie zur Rechten aufstellen.« Und er ritt nun von der Fronte seines Heeres zurück, und mein Ahnherr auf dieser Seite that das gleiche, indem sie immer Schritt hielten, und sich oft zunickten. Als sie aber auf die andere Seite
ihres Heeres wieder an zu reiten fingen, wurde daraus ein Wettlauf. Sie hielten erst inne, als beide an den Ufern der Severn standen, und als sie sich umsahen, war hinter ihnen das Heer bis an die Severn aufmarschirt. Pumfret von Ardensham lachte höhnisch auf, und fing an zurückzureiten, und mein Ahnherr that das Gleiche; und als beide dort auf die Spitze des Snowdon gekommen, hielten sie beide still und übersahen ihre Heere, und es ergab sich, daß beide Heere sieben Meilen in der Fronte
einnahmen, und so viel streitbare Männer in der Schlacht erschienen, als ganz England und Wales nicht fasset. Und nun sing die Schlacht an von Morgens um zehn Uhr bis Abends um fünf Uhr; und das war die höllische Kraft, daß wo einer todt hingefallen war, ein anderer wieder aufstand, und keiner wich und sich rührte. Da geriethen nun der schwarze Templer und mein Ahnherr persönlich gegen einander, und zerhackten sich die Bärenhäute auf den Harnischen und die Kleider, und Keiner konnte dem Andern
was anhaben. Aber plötzlich hörte man einen Hornstoß, es kam ein Bote von König Wilhelm, der die Templer eilig zurückberief, dieweil der Graf Mowbray von Northumberland im Rücken abgefallen war. – Da nun verließ der grimmige Zauberer Pumfret das Schlachtfeld, und mein Ahnherr siegte, und Wales wurde frei – und es war die größte Schlacht, welche in der Christenheit ist gefochten worden, wie das, wer die Geschichte studirt hat, weiß.
Ganz gewiß – fiel der Geistliche
ein – wenn anders unsern Geschichtsbüchern zu trauen ist. Aber Ihr Ahnherr, Sir Morgan?
Mein Ahnherr steckte nicht eher das Schwert in die Scheide, als bis kein Feind mehr zu sehen war; wobei sich aber das Sonderbare zutrug, obgleich sieben Meilen dicht geschaart die beiden Heere gestanden hatten, man doch auf Seiten der Tempelherren und Normänner nur zweihundert Todte, und auf unserer Seite einhundert und zwei und neunzig zählte, was andeutet, daß entweder durch gute Geister,
oder durch böse, viele von den blutenden Kriegern, gleichwie einst König Arthur, mußten fortgestohlen sein, oder aber, was wahrscheinlicher ist, viele Luftbilder mitfochten, und viele Luftstöße und Schläge erfolgt waren – Master Simon – stille – war es nicht eben, als lachte es unter der Erde? –
Es kann ein Gelächter von den Wagen her gewesen sein.
Master Simon – die Geister lachen noch immer unter der Erde, und rauschen in den Eichenwäldern,
und stürmen mit den Seeorkanen gegen mein Meeresschloß, seit dem Tage, wo sie in der Schlacht am Snowdon frei wurden von den Ketten, so der große Merlin ihnen angelegt hatte. – Wie ich nun sagte, Gwidir zog sich, als der Abend den Snowdon röthete, wieder auf die Spitze zurück, bis wohin ihn die Normannen getrieben hatten, dort hinaus, wo Ginievra mit ihrem Begleiter eben steigt; und sehn Sie, die Sonne geht jetzt eben hinter der Spitze unter, wie in dem Augenblicke, wo Gwidir ermüdet auf
einen Stein niedersank und einschlief. Und als er eingeschlafen war, träumte er, oder vielmehr er schlief nicht ein, sondern starrte in die untergehende Sonne, die von dem vielen vergossenen Blute blutroth war; und ihm war es, als würde er von den Geistern der Erde an die Erde gezogen, und klammerten sie sich fest an ihn, daß er nicht los konnte, – was einige alberne Schüler aus Cambridge mir so erklären wollten, als läge der Grund darin, daß er sich zu erhitzt auf den kalten Boden
niedergelegt hätte und nun steif geworden wäre. Kurzum aber, er konnte kein Glied regen, als der Geist Rhees ap Merediths, unsers Ahnen, auf jener Bergspitze vor ihn hintrat und ihn anstarrte in riesenhafter Größe, – und den Kopf schüttelte, wehmüthig und ernst – er war in ein rauhes Bärenfell gehüllt, und redete zu ihm: »Wehe, wehe! die Geister sind nun los, und dein Geschlecht wird lange Jahrhunderte mit ihnen vergeblich ringen, bis es untergeht oder –« Sie sehn nicht auf die rechte Stelle, Master Simon, dort der große Stein grade auf der Spitze des Hügels, Ginievra und Bertram steigen darauf los – Jesus! und König Arthur! er ists – der Geist meines Ahnherrn – da steht er, – wie ihn mein Ahne Gwidir sah. –
Wo? – fragte der Geistliche, bedurfte aber keiner Antwort, denn er brauchte nur die Augen aufzuschlagen, um am äußersten Rande des Horizontes, auf einem großen
flachen Steine, welcher die Spitze eines der Hügel bildete, die den Rücken des höhern Gebirgskammes bedecken, eine hohe Gestalt zu erblicken, welche um so deutlicher zu erkennen war, als sie ganz frei gegen den von der untergehenden Sonne gefärbten Horizont stand. Die Entfernung erlaubte zwar nicht, die Gesichtszüge genau zu erkennen, doch lag wirklich in der imposanten Stellung des Mannes und in seinem von der Abendsonne glutroth beschienenen Gesichte etwas Geisterhaftes, so daß man es der
Einbildungskraft eines zum Aberglauben geneigten Mannes nicht verdenken konnte, wenn er in dieser Erscheinung die eines übernatürlichen Wesens erblickte.
Master Simon – sagte er mit einer Stimme, welche die innere Bewegung verrieth, und indem er den Arm des Geistlichen mit krampfhafter Festigkeit ergriff – Master Simon, »Gwidir!« sagte der Geist Rhees ap Merediths zu meinem Ahnen – »vor jedem großen Ereigniß, seis zum Unglück, seis zum Glücke, werde ich deinen
Nachkommen erscheinen, mahnen zum Kampfe mit den losgelassenen Geistern, Wehe, wehe. –
Die beiden jungen Leute – sagte der Geistliche – sehn ihn noch nicht. Sie scheinen in emsigem Gespräch begriffen, und steigen munter den Berg hinauf. –
Wehe, wehe! sagte der Squire. – Jetzt winkt er. – Sie sehn ihn und fahren erschrocken zurück. Ginievra schreit. –
Um Gottes Willen, Sir Morgan, Ihre Tochter wankt – sie ist im
Begriff in Ohnmacht zu fallen – könnten wir ihr zu Hülfe eilen. –
Nicht doch, Geist meines Ahn! – Bertram fängt sie in seinen Armen und tritt zwischen sie und die Erscheinung. –
Er streckt drohend den Arm gegen die Gestalt aus, Sir Morgan!
Junger Mann! was beginnst du?
Lady Ginievra erholt sich, blickt erstarrt über die Schulter des Jünglings auf die Erscheinung und drängt zur Flucht.
Es ist brav von dem Bertram, daß
er nicht fliehen will – darin erkenne ich Alt Wälisch Blut – meine Ahnen sahen auch die Geister in allen Schrecken des Ungewitters und der Einsamkeit, und zitterten und wichen nicht, sondern schauten ihnen grad ins Angesicht und redeten mit ihnen.
Trügen mich meine Augen nicht, so lacht die Gestalt – es mag auch vielleicht nur die Glut des Abendrothes sein, die seine Wangen röthet.
Jetzt fliehn sie – Ginievras Furcht hat gesiegt, aber der Jüngling
bleibt hinter ihr, um sie zu vertheidigen. – Ja, Master Simon – Frauen haben schwächere Nerven und können den Anblick der Geister nicht ertragen.
Die Gestalt sieht ihnen nach, ohne sie zu verfolgen und ohne sich zu rühren. –
Doch, Master Simon, jetzt verschwindet sie – Geist meines Ahnen, Friede deiner Asche! –
Es entstand eine Pause von einigen Augenblicken im Gespräche der beiden Geisterseher. Während Bertram und Ginievra mit immer
schnellern Schritten, je mehr sie sich von dem Platze entfernten, auf welchem die Erscheinung ihnen begegnet war, durch das Thal herbei eilten, blickten beide Männer starr und fest auf den Stein, als stehe noch immer die Gestalt darauf. Endlich hub der Geistliche, welchem dies Schweigen peinlich sein mochte, wieder an:
Der Tafelstein auf dem halbkugelartigen Hügel deckt gewiß ein heidnisches Grab aus der Vorzeit.
Rhees ap Meredith war ein Heide, Master Simon, und es mag
vielleicht deshalb sein Geist noch auf Erden wandeln, statt ruhig in den Grüften zu liegen; aber Sie wissen, daß mein Ahnherr daran nicht selbst Schuld war, sintemal zu seinen Zeiten das Christentum noch nicht aufgekommen war. Als aber die heiligen Apostel in Wales predigten, schloß Zauberer Merlin mit ihnen den Akkord ab, daß alle Walliser, die schon todt waren, und in den Grüften ruhten, auch selig werden sollten vermöge des Christentums ihrer Nachkommen, und zwar in der Art, daß mit jedem
Jahre christlicher Zeitrechnung die todten Heiden um ein Jahr vor Christi Geburt sollten selig werden, also, daß mit unserm achtzehnhundert und – und zwanzigsten Jahre nach unseres Heilandes Jesu Christi Geburt, die Seligkeit bis zu denen zurück wirket, welche achtzehnhundert und – und zwanzig Jahre vor seiner Geburt gelebt haben. Und sehn Sie, Master Simon, obgleich wir nun die Gebeine aller unserer heidnischen Ahnen in die Gruft des Klosters Griffith ap Gauvon
haben bringen und so zur Seligkeit vorbereiten lassen, so ist doch unser Geschlecht ein so uraltes, daß unser Ahne Rhees ap Meredith noch immer nicht an die Reihe zur Seligkeit gekommen ist, alldieweil er über achtzehn hundert – und zwanzig Jahr vor Christi Geburt gelebt hat.
Ja, die Walladmors sind ein altes Geschlecht, Sir Morgan.
Das älteste, Master Simon, denn jetzt sind die Vorfahren von allen Wälschen Geschlechten selig, nur allein die meinigen noch
nicht. – Aber – worin wir vorhin unterbrochen wurden, – zu meinem Ahnherrn hat der Geist dort auf der Spitze des Snowdon gesprochen, ehe er verschwand: »Bis die Stunde meiner Erlösung naht, werden die entfesselten Geister Macht behalten über Walladmor, dann wird ein Sturmwind wüthen, Walladmors Mauern werden bersten, wanken: wehe, wehe, wenn sie stürzen, ehe die Sonne der Freude wieder aufgegangen. Ich werde den Tag nicht mehr schauen.« – Sehn Sie, Master Simon, der Tag
ist noch nicht gekommen, aber er wird kommen, und in dieser Nacht, und in der vergangenen auch, und heute wieder, ist mein heidnischer Vorahn Rhees ap Meredith erschienen, immer mit ängstlichen und mit freudigen Mienen; welches bedeutet, daß er selbst nicht weiß, wo er dran ist, aber gewiß ist, daß es bald anders werden wird; und in dieser Nacht rief er mir dreimal zu: Anglesea! welches nichts anders bedeutet, als daß ich in Anglesea die Auflösung meines Schicksals erfahren soll. Und
darum habe ich fest beschlossen, morgen nach der alten Insel, welche zu den Zeiten Heel Dhas meiner Familie gehörte, zu schiffen, allwo die Sterne mir meinen Sohn Edwin zuführen werden, wenn es nicht der Jüngling mit dem echt Wälisch wallenden Haare ist, der meine Ginievra jetzt über den Strom hebt.
Ich räume ein, daß die Anwesenheit des jungen Mannes zu den seltsamsten Vermuthungen den Grund hergeben kann, sagte der Geistliche.
Master Simon! – erwiederte Sir Morgan
– so viel ich von der Geschichte meines Gastes gesprächsweise erfahren, denn Gott behüte, daß ein Gast in Walladmor-Castle sollte ausgefragt werden, habe ich mir zusammengetragen, und danach, so gut es ging, das Horoskop gestellt. Sie sahen es gestern selbst, und verwunderten sich über die seltsamen Combinationen.
Erinnern Sie sich indessen auch, Sir Morgan, daß ich äußerte: trotz der schönsten Lebenslinien, trotz der wunderbaren und interessanten Begebenheiten, welche sich
durch einander verschlungen hatten, walte doch ein seltsamer Betrug ob.
Master Simon, Sie sind, als Geistlicher, zu gewissenhaft. Denken Sie sich einen schlechten Menschen, der sich selbst überwindet, und sein ganzes Leben bis zum Tode gute Handlungen uneigennützig verrichtet – kümmert uns dieser Betrug? – Denken Sie an den liebenswürdigen Chatterton, welcher sein kurzes Leben hindurch sein Dichtertalent benutzte, Gesänge in alt Brittischem Geiste und alter
Sprache zu dichten, und Gedichte ans Licht förderte, welche alle Proben der ältern Poesie, nach deren Muster er arbeitete, übertreffen. Man bewunderte die Poesien, – er aber starb unbekannt, und erst nach seinem ergreifenden Ende ahnte man den wahren Zusammenhang. Das nenne ich einen Betrug – und er war ein Wälscher, in Bristol geboren.
Das ganze Leben des unglücklichen Jünglings – erwiederte der Geistliche – war eine Lüge. Während er zu Hause oft kaum das Brod
zum Wasser hatte, besuchte er in glänzenden Kleidern die öffentlichen Vergnügungsorte, um zu glänzen. –
Was glänzen, Master Simon? – Gelten wollte er, die Bahn sich öffnen zur Achtung, deren er sich werth dünkte, denn er war ein Wälscher aus Bristol. – Und, lächeln Sie nicht, wir wissen nicht, welchen Schleier mein geheimnisvoller Gast plötzlich abwirft.
Mir kann ein Geheimniß nicht gefallen, hinter welchem nichts zu stecken scheint. Er ist ohne Vermögen,
er hat, wie Sie aus seinem Munde wissen, die Schulen besucht, und doch weder göttliches noch menschliches Recht studirt, noch endlich den medizinischen Wissenschaften obgelegen, – was ist also der junge Mann? –
Damit könnte ich dienen – antwortete eine Stimme hinter Beiden. Etwas betroffen, blickten sich die Geisterseher um, und hinter ihnen stand Herr Thomas Malburne, welcher, wie es schien, bereits seit einiger Zeit einen unsichtbaren Zuhörer ihres sublimen
Gespräches abgegeben hatte. Der Squire konnte seinen Unwillen nicht in so weit verbergen, daß er, während Malburne sprach, den Blick von ihm abwandte und auf die beiden jungen Leute sah, welche den Hügel hinaufstiegen.
Was der junge Mann ist, wollen die geehrten Herren wissen. – Was ist der Mensch in diesen Tagen, wenn er nicht Rentier, nicht Handwerker, nicht Medicus, Sachwalter oder Geistlicher, kurz kein Gelehrter und kein Nichtgelehrter ist – er ist ein Dichter. Von
der Zunft, die Natur und Menschen bestiehlt und was ihr in den Weg kommt, auf den Spieß steckt, um den Geschmack des Ragouts mannigfaltig zu machen; kurz, wenn Sie es Ihrem Gaste noch nicht angemerkt haben, dem ich übrigens nichts Böses nachreden will, was ihn in irgend jemandes Achtung herabsetzen könnte, er ist nicht mehr und nicht weniger als einer aus der zahlreichen Europäischen Kaste, welche, – wenn wir in Indien lebten – man zu den Parias, oder Verworfensten rechnen
würde, er ist, – so viel ich mit meinen schwachen Augen ihm abgemerkt habe – wobei noch immer der Beweis des Gegentheils zulässig wäre, er ist ein – Romanenschreiber.
Indessen waren die jungen Leute den steilen Hügel fast ganz hinaufgestiegen, und der Squire, ohne den Erzähler einer Antwort oder besondern Aufmerksamkeit zu würdigen, streckte seine Arme der ermatteten Ginievra entgegen. Der lange Weg, das schnelle Bergauf- und Bergabsteigen mochte Beide angegriffen
haben – unverkennbar hatte aber noch ein tieferes Gefühl auf Beider Antlitz einen Eindruck zurückgelassen. Die Lady war leichenblaß, ihre Augen irrten noch immer unstät umher, und ein leises Zittern durchflog ihre Glieder. Bertram hatte seine männliche Haltung wieder gewonnen, die Anstrengung des Bergsteigens hatte ihm die hohe Röthe der Wangen wiedergegeben, welche sie seiner Gefährtin entnommen; sein Auge und sein gemessenes Wesen verkündeten indessen deutlich genug, daß auch ihm etwas
begegnet sei, was seine Ruhe gestört, und sein ernsthaftes Nachdenken erregt hatte.
Theure, theure Ginievra, theures Kind! – rief der Squire und schloß die Lady in seine Arme. Sie blieb eine Weile sprachlos an seiner Brust liegen. Dann, als sie sich aufgerichtet hatte, reichte er Bertram die Hand, und drückte sie mit den Worten:
Sie haben sich wacker genommen, wie es einem kühnen Manne aus reinem Stamme ziemt. –
Sir – es thut mir leid, daß mir
die Umstände nicht erlaubten, kräftiger zu handeln. –
Kräftiger? Herr! – Wissen Sie, wer es war, der vor Ihnen dort aus der Erde trat, und in übermenschlicher Größe auf dem Heldengrabe stand? –
Es war, – es ist – vermutlich – oder gewiß einer der freien und verwegenen Gebirgsbewohner, welche gefährliche Beschäftigungen treiben, und gegen die man mit Gewehr immer sollte bewaffnet sein.
Junger Mann! – Ginievra wird es Ihnen
sagen – ihr Blick spricht zu deutlich, daß sie es weiß. –
Um Gottes Willen, mein Oheim – rief Ginievra voller Entsetzen aus, und ihre Augen hafteten mit Blicken, welche das furchtbarste Bekenntniß lesen sollten, an den Lippen des Squire – Sie wissen doch nicht –
Geliebte Ginievra, ich bin der letzte Stammhalter der Walladmors, und ich kenne die Gesichter aller meiner Ahnen, wie sie in den Grüften schlafen – du brauchst nicht zu fürchten,
es auszusprechen, – es war der Geist unseres Ahnen Rhees ap Meredith. – Schaudern Sie nicht zusammen, junger Mann – Sie haben einen Geist gesehen; aber Sie sind nicht vor ihm geflohen: das ist mehr als mancher Walliser vermag.
Bertram senkte den Kopf und antwortete nicht; Ginievra schlug, wie beruhigt, die Augen nieder, und sagte dann mit gedämpfter Stimme:
O möchte der Geist nie wiederkehren!
Kind, was er zu dir gesprochen – man
soll nicht forschen, was der Mund der Geister Andern vertraut hat – aber wem ist es nicht offenbar, daß Walladmors Herrscher Umgang haben mit den Wesen, welche nicht den Gesetzen des Staubes gehorsamen. –
Mein Oheim, – ich weiß nicht – in der That – sein Anblick erschreckte mich dermaßen – daß ich kein Wort – ich glaube nichts gehört zu haben. –
Sein Anblick ist schon genug. – Wir müssen eilen, daß uns die Nacht nicht in
den Gebirgsschluchten überfällt; und wenn dir vielleicht der Traum die ernste Gestalt und seine Worte wieder vorführt, so erzählst du uns morgen, wenn wir nach Anglesea fahren, auf der ruhigen See, was der Geist an Arthurs Bach zu dir gesprochen hat.
Nach Anglesea – morgen – mein Oheim?
Wie, nannte der Geist dir vielleicht die uralte Insel – sagte er dir – daß dort die Walladmors in grauer Zeit geherrscht haben, daß die Zeit herannahe, wo die Zweifel
sich lösen werden?
Nichts von alle dem, mein Oheim, aber mir ist so bange, seit dem furchtbaren Zusammentreffen weit unser Schloß zu fliehen.
Sei unbesorgt, mein Kind. Schrecken wohl können die Geister, aber ein fester Sinn und alt Wälsches Blut weiß dem Schrecken zu widerstehn.
Ginievra schwieg, aber auf ihren Lippen schwebten noch Worte, die eine innere Bewegung verriethen. Sie blickte noch einmal auf die reizende Umgegend, welche durch die dunkeln Massen und
die Feuergluth des Abendrothes zum Zauberlande der Romantik wurde, und ließ sich dann vom Squire nach dem Wagen leiten, welcher eben unten im Hohlwege vorfuhr. Andere Wagen hatten bereits mehrere Gäste aufgenommen, während Einzelne ihre Pferde bestiegen. Bertram ergötzte sich noch einmal an dem Feenschauspiel des Frühlingsabends auf dem Plateau des Hügels, und rannte dann, gerüstet auf dieselbe Weise, wie er hergekommen, auch den Rückweg anzutreten, den Berg hinab. Als er aber unten bei der
Kutsche des Squire vorübergehn wollte und eine glückliche Heimkehr wünschte, beugte sich Ginievra, wie entsetzt, über den Wagen und rief ihm zu:
Bertram, um Gottes Willen, Herr Bertram, Sie werden doch nicht allein, in der Nacht zurück gehn?
Bertram wollte lächelnd seine Furchtlosigkeit betheuern, ehe jedoch der Squire seine Einladung noch mit der seiner schönen Nichte vereinigen konnte, drang diese so eifrig in ihn, stellte die Gefahr vor, welche ihm
besonders drohe, wenn er einem der verwegenen Verächter des Gesetzes begegne, so daß er nichts weiter entgegensetzen konnte, als daß, so viel ihm bewußt, Master Malburne erklärt habe, beim Rückwege vom Snowdon sein Pferd mit einem Sitze im Wagen des Squire vertauschen zu wollen. Jetzt aber nahm der Squire das Wort:
Herr Malburne? – Bester Herr Bertram, um Malburnes willen soll der wackere Mann, welcher einer Erscheinung offen ins Auge geschaut hat, nicht zurücktreten. –
Herein in den Wagen – wenn Malburne uns belauschen will, – und aus andern Gründen gesellt der sich zu Niemand, – wird er es können, auch ohne in unserm Wagen zu sitzen.
Länger ließ sich der junge Mann nicht nöthigen zu einer Gesellschaft, welche ihm so willkommen war. Er stieg auf, der Wagen rollte fort, und das Gespräch zwischen Sir Morgan, dem Geistlichen, der Lady und unserm Helfen fand an einem Gegenstande so viel Stoff, daß er beinahe bis ans Schloß ausreichte.
Hätte der unglückliche Malburne diesmal gehorcht, würde er von nichts als seiner Schande gehört haben, denn darin waren alle Viere einig, daß er ein ironischer Beobachter, ein Schleicher, Egoist u. s. w. sei; darüber aber war keine Stimmeneinheit zu erlangen, ob er ein Spion der Regierung, ein Römisch-Katholischer Geistlicher aus Irland, oder sonst ein Kommissair oder Proselytenmacher einer politischen oder religiösen Sekte sei.