Willibald Alexis
Walladmor
Drittes Kapitel.
eingestellt: 7.8.2007
Unser drittes Kapitel beginnet mit einem dritten Tage. Eine Regelmäßigkeit, welche von manchem Kritiker als ein Verstoß gegen die Regeln einer schönen Komposition angesehn werden dürfte; aber der Autor bittet, mit dem Tadel zu warten, da, nach dem Sprüchwort, eben so wenig schon aller Tage Abend, als der des dritten, bereits gekommen ist!
Der Morgen dieses Tages war, wie ich pflichtmäßig versichern kann, obgleich ich
mich nicht selbst mit bei der Spazierfahrt nach Anglesea befand, der heiterste im ganzen Sommer.. Das Meer lag ruhig, ein Spiegel des dunkelblauen Himmelsgewölbes, ausgebreitet, auch kein Wölkchen schattirte den Horizont. Es war einer jener seltenen Tage, wo die Luftfärbung den duftig sanften Farbenschmelz athmete, welcher, sonst unserm nördlichen Nebelclima fremd, den Italiänischen Gegenden angehört, und von Claude Lorrains Pinsel eine bestimmte Type in der Kunst erhalten hat.
Wer
von meinen geneigten Lesern in Chester gewesen ist, wird die neu von Master Whiteacre gebauten Seegelkähne kennen, welche unter dem Namen der Chesnuts einen Ruf erhalten haben, und jetzt schon bis nach Cornwallis herunter und hinauf nach Galloway überall an der Küste zu sehen sind. Wer nicht dahin gekommen ist, und weder im Manchesterschen public intelligencer, noch im Bristoler friday horseman ihr Lob und ihre Beschreibung gelesen hat, für den will ich hier,
– so weit ein Novellist das Recht hat, einen so erfindungsreichen Künstler als Herrn Whiteacre zu loben – mit kurzen Worten sagen, daß die Chesnuts breit und leicht gebaute Gondeln mit Segelmasten sind, um Lustpartieen auf dem ruhigen Meere zu unternehmen. Von dem leichtesten Holze und mit flachem Kiele erbaut, schneiden sie fast gar nicht die Wellen; sondern schwimmen auf denselben, gleich Schlitten, welche über eine Eisfläche fahren. Ihre Vorzüge sind ein sehr
wohlgefälliges Aeußere und noch mehr die große Schnelligkeit, mit welche sie sich fortbewegen, wenn auch nur der leichteste Wind auf der Meeresfläche haucht. Ihre Nachtheile, daß sie nicht gut mehr als zehn Menschen fassen, und nur bei ruhigem Wetter zu gebrauchen sind. Mit lobenswerthem Eifer bemüht sich übrigens Herr Whiteacre, ihre Einrichtung immer mehr zu vervollkommnen, und es war keine geringe Aufmunterung für ihn, als Se. Majestät der König bei der bekannten Reise nach Irland, zum
Baumeister die Worte äußerten: »Fahren Sie so fort, Herr Whiteacre, man kann es weit bringen in der Schifffahrt.«
Auf zwei solcher Gondeln fuhr die Gesellschaft aus Walladmor-Castle am frühen Morgen nach Anglesea ab. Die Familie mit einem Theile der Bekannten befand sich auf der einen Gondel, auf der andern folgten mehrere Musikanten, und der kleinere Theil der Gesellschaft hatte hieher sich zurückziehn müssen. Was aber für alle sehr angenehm erschien, war, daß Malburne schon am
vorigen Abende, angeblich, weil ihn Geschäfte abriefen, sich beurlaubt hatte, und heute an der Lustbarkeit nicht Theil nahm. Dennoch herrschte keine ganz reine Lust unter den Versammelten, wie sehr sich auch der Squire bemühte, diese herbeizuführen. Bertram, der am äußersten Ende des Schiffes saß, lehnte sich oft weit über den Rand und sah sein auf dem Meeresspiegel hinfliegendes Gesicht. Dann blickte er auf und betrachtete die schroffen Felsufer, auf deren Spitzen die Thürme und Mauern des
alten Schlosses sich majestätisch erhoben. Es war seit jenem Tage, wo er in der französischen Corvette vorübersegelte, das erste Mal, daß er sie wieder vom Meere aus erblickte. Er dachte an alles, was ihm begegnet war, zurück; das Leben schien ihm ein Traum, alles so flüchtig, wie sein Bild auf dem Wasser. Er mochte noch manchen inneren Kampf zu kämpfen haben, denn das Gesicht unter ihm wurde immer düsterer. Er wollte lächeln, aber das Gesicht unten verzog keine Miene. Sinnend beugte er sich
tiefer über Bord – als er neben sich einen Schrei hörte; es flatterte etwas weißes in das Wasser, und als er sich aufrichtete, stand in einiger Entfernung von ihm Ginievra, fast so bleich, als sie gestern bei der Erscheinung gewesen.
Gottlob – sagte sie nach einer Weile, und suchte die Angst zu verbergen, welche sich ihrer bemeistert hatte – ich glaubte – Sie hatten sich so weit über Bord gelegt – Sie stürzten – Sie wissen ja, ich habe schwache
Nerven, und meine Phantasie ist leicht gereizt. –
Mylady – Vergebung meiner Unbesonnenheit – ich glaubte Sie ganz vertieft im Zeichnen – ich will nicht hoffen – und doch, dort sehe ich Ihre Zeichnung ein Spiel der Wellen. –
Sie sank mir aus den Händen – es liegt auch nichts daran. – Schon in dem ersten Umrisse hatte ich mich verzeichnet – meine Hand zitterte, und überdies ist es auch kein günstiger Ort, wenn man von
einem fortsegelnden Schiffe aus die immer kleiner werdende Küste abzeichnen will.
Mich dünkt, dies mahnt uns, Mylady, nicht schnell genug an die Trennung von allem Befreundeten zu denken. Nichts auf der Welt dauert aus, es wächst, oder es verfällt. So auch die Freundschaft. Wenn wir im seligsten Genusse sind, ist es vielleicht der Wendepunkt; grade dann sollten wir daran denken, daß wir den Freund verlieren können und sein Angedenken festhalten, eh es, wie die Küste dem Schiffer,
verschwindet.
Ginievra schwieg und seufzte. Bertram fragte weiter:
Aber werden Mylady nicht noch einmal anfangen?
Sehn Sie sich um, Herr Bertram, Sie predigten und vergaßen den Text: die Küste ist schon so weit verschwunden, daß eine Zeichnung von hier aus keinen Eindruck machen würde. – Ich will wieder anfangen, wenn wir uns Anglesea nähern, dessen Küsten einen imposanten Eindruck machen.
Recht so, einen imposanten – sagte der Squire
– denn als die Römer unter Suetonius Paulinus, welcher der tapferste aller Feldherren war, so die Römer nach Brittannien schickten, und sie haben tapfere Leute hingeschickt, und, wie wir ohne Ruhm vermelden können, ihre tapfersten, als den Ostorius, welcher doch endlich in den Sümpfen von Merioneth umkam, woraus man sehn kann, wie alt die Sümpfe in Wales sind. Aber, um auf Suetonius Paulinus zurückzukommen, so schiffte er mit einer auserlesenen Legion nach Anglesea, so
damals Mona hieß, und kam, weil die Priester in den heiligen Wäldern viel Römische Gefangene geschlachtet und Sonne und Mond beschworen hatten, daß sie eine Finsterniß eintreten ließen, obgleich es heller Tag war, doch bei dunkler Nacht an die hohe Küste der Insel. Und oben an dem Rande standen alle Männer nackend und mit nackenden Schwertern und Speeren, und neben ihnen die Weiber mit fliegenden Haaren und die Fackeln in der Hand, und die Priester hatten sich die Häute der
geschlachteten Gefangenen um den Leib gehangen und schleuderten Feuerbrände, so daß, wer nicht selbst des Teufels war, gegen solche Bezauberung nichts hätte thun können. Und die Römer erstaunten alle, und es wollte keiner landen. Aber Suetonius Paulinus ließ sich dadurch nicht schrecken, sondern ließ drei Cohorten, von denen er wußte, daß sie sich schon in den Sandwüsten Afrikas, als sie verdursten sollten, dem Teufel verschrieben hatten, zuerst stürmen; und so geschah es denn, daß die Römer mit
dem Degen in der Faust die alte Insel Anglesea zuerst betraten. Aber sie mußten Schritt um Schritt mit Blut bezahlen, wie das der Römische Geschichtsschreiber Tacitus übergeht, wogegen er aber wohl beschreibt, wie die ruchlosen Cohorten die heiligen Eichenwälder umgehauen haben und die ganze Insel in Brand gesteckt. Aber das ward eine Fackel, die zum Himmel loderte und die Vergeltung heischte. Denn als noch die Stämme der Eichen glimmten, und die Wurzeln tief in der Erde brannten, kamen Boten
über Boten aus Brittannien und riefen um Hülfe, denn ganz Brittannien, wie aller Welt bekannt ist, war gegen die Römer aufgestanden, achtzig tausend Römer waren gefallen, und die Königin Boadicea, mit welcher wir durch die Merediths von Cunan nahe verwandt sind, stand an der Spitze von hunderttausend Britten; und so kam es denn, daß schon einmal das Schicksal ganz Brittanniens von dem der kleinen Insel Anglesea abgehangen hat.
Einige der Gäste, welche nicht auf Brittische
Abstammung Anspruch machen konnten, rühmten aus Gefälligkeit die Tapferkeit der alten Eingeborenen, und Sir Morgan fand wieder Gelegenheit, das Wort zu nehmen.
Sehn Sie, es wird viel gefabelt von dem Ursprunge jedes Volkes, und die unwissenden Mönche des Mittelalters wußten zur Ehre ihrer Nation nicht genug zu lügen – davon aber sind die Brittischen, d. h. die Walischen Chronikanten frei. – Ich liebe, als Wälscher von altem reinem Geschlechte, auch die reine Wahrheit, und
will nicht alle die Fabeln nacherzählen, welche man wohl erdichtet hat, und will auch nicht anfangen von so frühen mystischen Zeiten, wo man von der Geschichte noch gar nichts weiß; ich erzähle nur, was man gründlich belegen kann, und ob der Name Brittannien von dem Gälischen Worte Brith, welches das Färbekraut Waid bedeutet, herstamme, indem sich damit meine alten Vorfahren im Zustande ihrer Nacktheit gefärbt haben, will ich nicht behaupten, da es ans Fabelhafte
gränzte; und eben so wenig stimme ich denen bei, welche sagen, daß Brutus, ein Sohn des Sylvius, welcher wieder ein Sohn des Aeneas war, als er damals, nachdem er seinen Vetter, welchen er auf der Jagd für ein Schwein hielt, erschossen, aus Italien fliehen mußte und mit einem Haufen Trojaner in Albion landete, daß dieser Brutus die alten Könige Gog und Magog, so mit ihrem Riesengeschlechte in diesen Landen herrschten, überwunden und das
Riesengeschlecht ausgerottet habe, und daß die Britten von diesem Brutus herstammten. Denn, obwohl dies historische Zeiten sind, so läßt sich doch nicht annehmen, daß die alten riesenhaften Einwohner, von denen wir noch den Teufelswall bei Pumfries sehen, von einem Haufen Trojaner sollten erlegt sein, anders als durch Zauberkünste, was sich aber wieder nicht annehmen läßt, indem die Trojaner bekanntlich in der schwarzen Kunst sehr zurück waren, und nicht einmal den Inhalt des großen Pferdes
errathen konnten. Ich bin vielmehr der Meinung, und denke auch darüber noch einen Traktat zu schreiben, daß Brutus sich friedlich mit dem Könige Gog vertragen und dessen jüngste Tochter in ihrer frühen Jugend geehelicht hat, welchem Beispiele die andern Trojaner folgten, woraus denn das Cumbrische Geschlecht entstanden ist, welches zwar nicht so groß wie die Riesen, aber doch viel größer als gewöhnliche Menschen war. Was aber den König Magog anbetrifft, so ist es sehr möglich, daß er,
aufgebracht über diese Verbindung, den Gog und Brutus mit Krieg überzogen hat, und er mit seinem ganzen Heere umgekommen ist, was indessen –
Hier wurde der Redner unterbrochen. »Land! Land!« ertönte es von beiden Schiffen, die Musikanten auf der zweiten Gondel spielten, und man erblickte, als sich die Schiffe plötzlich um einen Vorbug wendeten, die schöne Insel Anglesea weit ausgebreitet vor sich liegen. Von Finsternissen und Schrecken war nichts, selbst von den imposanten Ufern
nur wenig zu sehn. Auf reiche Fluren, üppige Saatfelder in mannigfachen Schattirungen und zerstreute Waldgruppen schien die Frühlingssonne, welche indessen, da kein Wölkchen am Himmel stand und fast kein Windeshauch sich am Vormittage rührte, sehr brennend war. Man war zu gespannt auf das Landen, als daß noch ein Gespräch hatte aufkommen, oder der Squire weiter gehört werden sollen. Innerhalb einer halben Stunde standen die Gondeln still. Die Bootsleute sprangen ins Wasser und trugen die Männer
auf ihrem Rücken ans Land. Ginievra aber mußte sich auf einen eigends dazu eingerichteten Stuhl setzen, auf welchem sie, wie eine Meeresgöttin von den Tritonen, durch vier Schiffer ans Land getragen wurde.
Die brennenden Sonnenstrahlen nöthigten bald die Gesellschaft, sich tiefer ins Land in einen schattigen Buchenwald zurückzuziehen. Die Diener und Schiffer brachten allmählig den ganzen mitgenommenen Vorrath an Lebensmitteln und andern Bequemlichkeiten hierher. Das frischeste Grün
bedeckte wie ein Sammtteppich den Boden, während die grünen Buchen sich zu den schönsten Laubenwölbungen über ihnen formten. Alles war Lust und Freude, und willig wurde der Vorschlag des Squire angenommen, für mehrere Tage, wenn die Witterung günstig bliebe, hier eine ländliche Kolonie zu bilden. Während zu diesem Zwecke drei Zelte aufgeschlagen und zum Mittag eine lange schmale Tafel gedeckt wurde, zerstreute sich die Gesellschaft. Einige gingen ans Ufer und sammelten Muscheln, andere lagerten
sich im schattigen Grün, und noch andere streiften tiefer in den Wald hinein. Zu den letztern gehörte Ginievra, welche mit ihrer Zofe, die in reichem Maße in den duftigen Gründen wachsenden Erdbeeren sammelnd, waldeinwärts ging. Bertram glaubte indessen in ihren Blicken eine Aufforderung, ihr zu folgen, gelesen zu haben, und er zauderte nicht zu gehorchen. Er pflückte, so lange sie im Gesichtskreise der Gesellschaft blieben, emsig die Früchte der Erde, ohne sich mehr zu erlauben, als die in der
Hand gesammelten Beeren von Zeit zu Zeit in das Körbchen seiner schönen Führerin zu schütten; sobald aber alle drei durch eine Höhe geschützt wurden, ließen Bertram und Ginievra, wie auf gegenseitige Verabredung, von ihrer Beschäftigung ab, beider Augen waren in demselben Augenblicke bedeutungsvoll auf einander gerichtet, und Ginievra sprach:
Es wird ein Gewitter kommen, die Luft ist schwül. –
Hier in diesen abgeschiedenen tiefen Gründen ist es angenehm kühl.
Herr Bertram, meine Lage ist furchtbar. – Noch nie empfand ich ein so beängstigendes Gefühl, ich möchte an Ahnungen glauben – es liegt mir zentnerschwer auf dem Herzen, und wenn ich lächle, um in die allgemeine Lust einzustimmen, ist mirs, als beginge ich eine Sünde. – Fast hätte ich gestern nach der Rückkehr, jede Scheu überwindend, zu Ihnen hinaufstürzen und Sie um Rath fragen mögen. –
Mylady, ich müßte lügen, sagte ich, die unerwartete Erscheinung hätte
mich nicht betroffen gemacht – ich wähnte ihn weit hinaus in fernen Zonen jenseits der Linie, und –
Ginievra fiel ihm ins Wort:
Ganz hingegeben der heitern Lust, welche der Frühlingshauch und der Anblick der Natur einflößten, scheuchten wir jeden Trübsinn lächelnd weg. – Da stand er vor uns, riesengroß auf dem alten Leichensteine, gleich der Erinnerung aus einer vergangenen furchtbaren Zeit. Seine Gestalt glühte im Abendrothe, und eine Höllenfreude schien
aus seinem Gesichte zu lachen – nie wird mir der Anblick verschwinden. – Aber, es ist nicht Zeit, die schrecklichen Bilder noch einmal wieder vorzuführen. Sehnsüchtig habe ich nach dem Augenblicke verlangt, Sie allein zu sprechen.
Alle meine Kräfte, mein Leben steht zu Ihrem Dienste.
Nur Ihren Rath. – Ich fürchte, ich glaube, ich bin es gewiß, daß Nichols Plane brütet, – nein er will sie ausführen, – und was wäre für Nichols unausführbar?
–
Mylady, weshalb hätte er den Winter über gezögert? – Er würde gesprochen haben auf dem Snowdon, als wir ihm begegneten, er schwieg aber, vielleicht selbst betroffen, es mag ein bloßer Zufall gewesen sein. –
Bertram! halten Sie mich nicht für so thöricht, das zu glauben, was Sie kaum wagen als Ihre Meinung auszusprechen. –
Mylady! – Bertram erröthete und verstummte.
Ein Zufall meinen Sie? – Er schwieg, ja er
schwieg, aber in seinem Schweigen lagen tausend Drohungen, deren jede einzeln mich vernichten könnte. – Er sah uns – er schwieg – er sah mich zittern – er schwieg – er sah wie Sie mich, die ich der Ohnmacht nahe war, auffingen, ihm drohend entgegen traten – und schwieg; und er lachte uns nach, als wir flohen. Bertram, um Gottes Willen, bedarf es mehr, um Alles zu fürchten?
Auch Bertram schwieg, und Beide gingen eine Zeitlang, ohne ein Wort zu
sprechen, in dem Waldgrunde weiter.
Auf jeden Fall – sagte endlich der junge Mann – brauchen Sie, Mylady, wegen der heutigen Partie nach Anglesea nicht besorgt zu sein. Der gefaßte Entschluß wurde so spät bekannt gemacht und so bald ausgeführt, daß es nicht glaublich wird, James Nichols sollte davon Kenntniß haben, um uns hier zu beunruhigen.
Ginievra lächelte wehmüthig.
Ihr Trost ist leichter Art. – Die ganze Nacht und heut auf dem Wasser habe
ich mit mir gekämpft, ob ich dem Oheim meine thörigte Neigung mittheile, um ihren traurigen Folgen zuvorzukommen? Aber wenn ich wieder bedenke, daß ich ihm nur eine tiefe Kränkung und doch vielleicht keine Hülfe bereite – zaudere ich.
Ginievra – Mylady, giebt es nicht noch ein Mittel? – Sie sagen, Nichols ist großmüthig, ich habe es selbst erfahren; hohen Sinnes – ich will in Toms dringen, mich zu ihm zu führen, ich will alle Künste der Ueberredung anwenden,
ich will ihm alles bieten als Ihr Unterhändler. –
Unglücklicher! Sie kennen ihn noch nicht – ihm bieten – was denn? – ihn überreden – womit? – Wie er hohen Sinnes ist, eben so übt auch die Rachsucht ihre Macht über ihn aus. – Vor meinen Augen erschoß er den treusten Lieblingshund, weil er einmal anschlug, als er verborgen sein wollte. Der die Versammlung der Edelsten unseres Landes ermorden wollte, der keine Rücksichten mehr kennet, wenn seine
Leidenschaft den Gipfel ihrer Höhe erreicht hat – und so weit ist Nichols – er schwieg – er schwieg, – Bertram, wagen Sie sich um Gottes Willen nicht in seine Nähe.
Sie blickte, als wolle sie Athem schöpfen, nach einer mit großer Leidenschaftlichkeit ausgestoßenen Rede, in die Höhe, und rief:
Dort schlüpft etwas durchs Gebüsch – schon ist es verschwunden – mich dünkt es war die Gestalt meines Oheims.
Bertram blickte auf, sah
aber nichts; er betrat eine wallartige Anhöhe, und wider Erwarten lag in geringer Entfernung das offene Meer zu seinen Füßen. Die Gegend kam ihm bekannt vor. Auf dem erhöheten Kreideboden des Ufers war eine üppige Vegetation von allen Dornstraucharten, und hie und da schoß ein wilder Birnbaum in die Höhe, so daß es Mühe für einen Fußgänger kostete, sich hindurchzuarbeiten. Auf Bertrams Erkundigung meinte seine Begleiterin, es werde dies eine hervorragende Spitze der Desel sein, die gewöhnlich
den Namen des Kreidevorbugs führe, und welche, der Sage nach, zum Stapelplatz der Irländischen, Wälschen, und namentlich der Schleichhändler diene, die auf der Insel Man ihre Hauptniederlage haben. Almy, welche in respectvoller Entfernung den beiden Spatziergängern nachgeschlichen war, trat jetzt in den Vorgrund und warnte, sich nicht weiter zu wagen, indem irgend eine versteckte Macht der Bösewichter sie nicht für harmlose Spaziergänger ansehn, und auf irgend eine Art ihre Sicherheit
gefährden könne. Ginievra, begierig, ihren Oheim zu treffen, wollte nichts davon hören, und auch in Bertram siegte die Neugier über die Besorgniß, indem er sich wohl erinnerte, daß hier die Hütte müsse verborgen sein, in welcher er nach dem Seesturm zuerst die Besinnung wieder gewonnen und so wunderbare Gesichter gesehn hatte. Beide, von der zitternden Zofe begleitet, bahnten sich daher durch das dichte Gestrüpp einen Weg, nicht ohne daß fast bei jedem Schritte Ginievras oder ihres Mädchens
Kleid von den Dornen festgehalten und nur mit Mühe und Zeitverlust wieder losgemacht werden konnte. Endlich geriethen sie in eine kleine Felsenspalte. Diese wand sich, so daß man ihr Ende nicht sehen konnte, aber plötzlich war sie, grade wo man vermuthen durfte, den Ausgang nach dem Meere zu finden, mit Dornen, Moos, Reisig, Seegras von unten bis oben verstopft, und von oben herab wucherten Epheu, Nesseln, Stechpalmen, und einige Birnbäume neigten von beiden Seiten der Felsenspalte ihre Kronen
so dicht verschlungen an einander, daß der untere Theil der Felsenspalte ganz verdunkelt wurde.
Hier muß die Hütte der unglücklichen Gillie sein! rief Bertram leise, zu seiner Gefährtin gekehrt, aus.
Der Wahnsinnigen? fragte Ginievra in gleichem Tone; ehe aber Bertram noch antworten konnte, hörten beide vernehmbar hinter der Verstopfung einen Gesang, der indessen mehr an ein Brummen, als an die melodische Recitation eines Liedes erinnerte. Er suchte näher zu treten und riß
behutsam – wie sehr auch Almy beim Versuche zitterte – einiges Gesträuch herunter. Eine von weiß getrocknetem Seegras geflochtene Wand ward jetzt sichtbar, und bald fanden sich auch zwei so große Ritzen, daß Bertram und Ginievra, ohne in die Gefahr zu kommen, entdeckt zu werden, den größten Theil des innern Raumes der Hütte übersehn konnten. Kein Lichtstrahl drang von oben oder den Seiten erleuchtend hinein, aber auf dem Heerde brannte ein Feuer, dessen zuweilen hell auflodernde
Flammen die Wohnung der Alten in der ganzen furchtbaren Einsamkeit erblicken ließen, wie sie Bertram im vorigen Winter beim Erwachen aus der Betäubung gesehn hatte. Die Alte saß beim Spinnrocken in der Nähe des Feuers, und sah nur zuweilen auf den über den Flammen hängenden Kessel, indem sie ein Wälisches Lied brummte, welches, nach der Melodie zu schließen, äußerst trüben Inhalts sein mußte. Ihr gegenüber saß auf dem Schemel, wie ein lebender Mensch, das Gerippe, und man konnte sich keine
trostlosere Gesellschaft denken, als die Wahnsinnige auf der einen, den Todten auf der andern Seite. Zuweilen, wenn sie im Liede inne hielt, nickte sie ihm zu, wenn sie aber kein beantwortendes Zeichen bemerkte, ließ sie den Kopf sinken, und arbeitete dann emsiger als zuvor an der Spindel. Ginievra wollte jedoch bemerken, daß diese Eile mehr zerstörend als fördernd für die Arbeit sei.
Nach geraumer Zeit sprang sie auf, nahm den Kessel mit einer bewundernswürdigen Stärke vom Feuer ab,
und setzte ihn mitten in der Stube auf den Boden. Mit einer großem Kelle rührte sie alsdann darin um, daß ein Ranch, dessen Gestank die Nerven angriff, aufstieg und sich durch die Hütte verbreitete. Sie lief und sprang nunmehr um den Kessel, indem sie ein Lied, dessen allein verständliche Refrain
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