Frei Lesen: Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Drittes Buch

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I. Vorzeichen und Vorstufen der Götterdämmerung: Verschuldungen, ... | II. Die Götterdämmerung. | III. Die Erneuerung. | Anhang - Stammbäume |

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Felix Dahn

Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Drittes Buch

I. Vorzeichen und Vorstufen der Götterdämmerung: Verschuldungen, Verluste und Vorkehrungen der Götter.

eingestellt: 10.7.2007





Wir sahen bereits wiederholt, die Götter sind durch eine Reihe von Treubrüchen schuldig geworden, bevor sie Einbussen erleiden in dem Kampfe gegen die Riesen.



Abgesehen von ihrer dunkeln, schwer deutbaren Verschuldung, die sich an die Zauberin Gullveig knüpft, brechen sie die Treue in folgender Geschichte. Nachdem die Asen Midgard gebildet und Walhall gebaut, kam zu ihnen ein unbekannter Baumeister, vermutlich in Menschengestalt und versprach, ihnen eine von den Riesen nie zu erstürmende Burg zu bauen, wenn sie ihm zum Lohne Freya, dazu Sonne und Mond, versprächen. Törichterweise gingen die Götter, von dem Begehren nach einer solchen Burg verlockt, auf den Vorschlag ein. Nur ward verabredet, dass der Bau in einem Winter vollendet sein müsse; fehle am ersten Sommertag auch nur das Geringste daran, solle der Meister gar nichts erhalten. Ferner solle niemand ihm helfen dürfen bei der Arbeit ausser sein Ross Swadilfari, welcher Wunsch des Meisters auf Lokis Rat, der vielleicht schon damals hieran arglistige Gedanken knüpfte, bewilligt ward.



Die Götter hatten gehofft, die gute Burg zu erhalten, ohne den Lohn leisten zu müssen, weil der Meister die Frist unmöglich werde einhalten können. Aber wie erschraken sie, als sie nun den Fremden mit seinem gewaltigen Rosse so furchtbar stark und rasch bauen sahen, gleich vom ersten Wintertag an! Sie wagten doch den mit schweren Eiden gefesteten Vertrag nicht zu brechen; der fremde, unerkannt gebliebene Baumeister war ein Riese; und ohne die heiligsten Eide hätte sich ja kein Jötun unter die Götter gewagt, zumal aus Furcht vor Thor, falls dieser heimkäme von seiner Fahrt in den fernen Osten, wo er eben wieder Riesen erschlug.



Als nun nur noch drei Tage bis zu Sommersanfang fehlten, war die Burg fertig bis auf das Tor. Voller Schrecken setzten sich die Götter auf ihre (zwölf) Richter- oder Beratungsstühle und pflogen Rates und forschten untereinander, wer den verderblichen Rat gegeben, Freya, Sonne und Mond aufs Spiel zu setzen?



Da fanden sie, er, der von je zu allem Bösen rate, Loki, habe auch diesen Rat gegeben. Und sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er nicht Auskunft finde, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen; - offenbar: indem sie auch mit arglistigen Mitteln sich im voraus einverstanden erklärten. Erschrocken schwur Loki, er werde das fertig bringen.



Als nun der Baumeister abends mit seinem Hengst ausfuhr, Steine zu holen, lief eine Stute aus dem Wald wiehernd auf ihn zu. Swadilfari ward wild, zerriss die Stränge und lief mit dem andern Pferde in den Wald.



Die ganze Nacht mühte sich der Meister, sein Ross wieder einzufangen; wie die Nacht völlig, ging auch - wegen grosser Ermüdung - der folgende Tag fast ganz für die Arbeit verloren. Der Meister merkte, dass er die Frist nicht werde einhalten können und geriet in "Riesen-Zorn".



Da erkannten die Götter, dass der Baumeister ein Bergriese war, vergassen ihre Eide, riefen Thor zu Hilfe, der denn auch, nach seiner Art, flugs da war und dem Baumeister, statt mit Wonne und Mond, mit dem Hammer den Baulohn zahlte, auf den ersten Streich ihm den Schädel in kleine Stücke zerschmetternd. Loki selbst war in der Pferdegestalt Swadilfari begegnet; er gebar später ein Füllen, grau, mit acht Füssen; das ward Odins Ross Sleipnir, der Pferde bestes bei Göttern und Menschen.



Nachdem nun noch mancherlei andre Verschuldung der Götter hinzugekommen, manche Einbusse nur durch bedenkliche Mittel abgewendet oder wieder eingebracht worden, nahet die Zeit heran, da die Götter und alles Leben von der ersten Vorstufe und Vorbedeutung der endgültigen "Dämmerung" betroffen werden durch Baldurs Tod.



Baldur hatte schwere Träume; ihm ahnte, er werde bald sterben.



Jene Träume und Ahnungen sind einerseits der Ausdruck für die Sorge um die Abnahme von Licht und Wärme, welche Jahr um Jahr die Menschen ergreift, solange Baldurs Tod und Auferstehen sich auf den jährlichen Lichtwechsel allein bezog.



Seit aber später dieser Tod auf das grosse Weltenschicksal bezogen ward, so dass Baldur nicht mehr schon im nächsten Frühjahr wiederkehrt, sondern erst in der erneuten Welt, - seitdem drückt solche Sorge wohl auch die schwermütige, tragische Ahnung aus von der Vergänglichkeit, von dem unvermeidlichen Untergang alles Schönen, Edeln, Erfreulichen, welches bange Gefühl - tragisch, aber nicht pessimistisch! - tief in germanischer Eigenart wurzelt. - Endlich liegt nun wohl auch das Schuldbewusstsein der Götter solcher Ahnung zu Grunde, wiewohl gerade von dem lichten und reinen Baldur selbst keinerlei Schuld bekannt ist.



Vergeblich sandte Odin seinen Raben Hugin aus, von zwei weisen Zwergen Rates zu holen; der Zwerge Aussprüche glichen selbst dunkeln, nicht zu deutenden Träumen.



Da hielten die Asen Ratsversammlung und beschlossen, Baldur Sicherung gegen jede mögliche Gefahr zu schaffen, indem Frigg von allen Dingen, welche das Leben bedrohen mögen, Eide nehmen sollte, Baldur nicht zu schaden. So tat Frigg und nahm Eide von Feuer und Waffen, von Eisen und allen Erzen, von Stein und Erde, von Seuchen und Giften, von allem vierfüssigen Getier, von Vögeln, Würmern und Bäumen1).



Als das geschehen war, kurzweilten die Asen mit Baldur; er stellte sich mitten in ihren Kreis, wo dann einige nach ihm schossen, andre nach ihm hieben und noch andre mit Steinen warfen. Und was sie auch taten; - es schadete ihm nicht. Das deuchte sie alle ein grosser Vorteil.



Als aber Loki das sah, gefiel es ihm übel, dass Baldur nichts verletzen sollte. Da ging er zu Frigg in Gestalt eines alten Weibes. Frigg fragte die Frau, ob sie wisse, was die Asen in ihrer Versammlung vornähmen? Die Frau antwortete, sie schössen alle nach Baldur, ihm aber schade nichts. Da sprach Frigg: "Jawohl! Weder Waffen noch Bäume mögen Baldur schaden, ich habe von allen Eide genommen." Da fragte das Weib: "Haben wirklich alle Dinge Eide geschworen, Baldur zu schonen?" Frigg antwortete: "Östlich von Walhall wächst eine Staude Mistiltein (Mistelzweig) genannt; die schien mir zu jung, sie in Eid zu nehmen." Darauf ging die Frau fort; Loki ergriff den Mistiltein, riss ihn aus und ging zur Versammlung. Hödur ("Kampf") stand zu äusserst im Kreise der Männer, denn er war blind. Da sprach Loki zu ihm: "Warum schiessest du nicht nach Baldur?" Er antwortete: "Weil ich nicht sehe, wo Baldur steht; zum andern hab’ ich auch keine Waffe." Da sprach Loki: "Tu doch wie andre Männer und biete Baldur Ehre, wie alle tun. Ich will dich dahin weisen, wo er steht; so schiesse nach ihm mit diesem Reis." Hödur nahm den Mistelzweig und schoss auf Baldur nach Lokis Anweisung. Der Schuss flog und durchbohrte ihn, dass er tot zur Erde fiel; und das war das grösste Unglück, das Menschen und Götter betraf.



Baldur ist das Licht in seiner Herrschaft, die zu Mittsommer ihre Höhe erreicht hat; sein Tod ist also die Neige des Lichts in der Sonnenwende. Sein Mörder Hödur ist demzufolge der lichtlose, der blinde, weil er das Dunkel des Winters bedeutet, dessen Herrschaft sich nun vorbereitet und zur Julzeit vollendet, wann, nach dem kürzesten Tage, die Sonne wieder geboren wird. Hödur ist sittlich an seines Bruders Mord unschuldig, weil er das unschädliche Dunkel ist, das der Herrschaft des Lichts nach der Ordnung der Natur folgen muss; denn der Wechsel der Jahreszeiten ist ein wohltätiger, der selbst in der verjüngten Welt nicht entbehrt werden kann, wo Baldur und Hödur in des Siegesgottes Himmel wieder friedlich beisammen wohnen werden.



Als Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den andern an. Ihr aller Gedanke war wider den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte. Aber sie durften es nicht rächen; denn es war an einer heiligen Freistätte (so konnte Loki entfliehen, muss man wahrscheinlich hinzudenken). Als aber die Götter die Sprache wieder erlangten, da war das erste, dass sie so heftig zu weinen anfingen, dass keiner mit Worten dem andern seinen Harm sagen mochte. Und Odin nahm sich den Schaden um so mehr zu Herzen, als niemand so gut wusste als er, zu wie grossem Verlust und Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte.



Als nun die Asen sich erholt hatten, da fragte Frigg, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den Helweg reiten wolle, um zu versuchen, ob er da Baldur fände, und Hel Lösegeld zu bieten, dass sie Baldur heimkehren liesse gen Asgard? Und er hiess Hermodur, der schnelle, Odins Sohn, der diese Fahrt unternahm. Da ward Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt; Hermodur bestieg ihn und stob davon.

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II. Die Götterdämmerung. >



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