Felix Dahn
Walhall - Germanische Götter- und Heldensagen, Zweites Buch
IV. Freyr-Frô.
eingestellt: 6.7.2007
Freyr-Frô ist ein Sonnengott und als solcher zugleich ein Gott der Fruchtbarkeit, des Gedeihens; zumal des Erntesegens, aber auch der Ehe und ihres Kindersegens. Er ist, wie seine schöne Schwester Freya, ursprünglich den Wanen angehörig und wird unter die Asen erst durch Vertrag aufgenommen; sein Vater ist der wanische Licht-Gott Njördr aus Noatun1), seine Mutter die ursprüngliche Erdmutter
Nerthus, welche auch als Niördrs Schwester bezeichnet wird.
Ohne zureichenden Grund hat man aus dieser Verbindung gefolgert, die Wanen-verehrenden Völker der Germanen hätten länger als andre Germanen Geschwisterehe 2)zugelassen; es sind eben Naturbeziehungen, welche in der Götterwelt die "Heirat" gewisser verschwisterter Gestalten erfordern, ohne dass deshalb in Leben, Recht und Sitte der Menschen noch, wie freilich wohl in grauester Urzeit der Fall gewesen3), solche Verbindungen für statthaft gegolten hätten, wie denn auch Loki in seinen Schmähreden solche Geschwisterehe zum Vorwurf macht.
Freyr als Sonnengott sendet den wohltätigen Sonnenschein (aber auch den befruchteten Regen) und gebietet über der Licht-Alben Reich: Alf-heim. Sein geweihtes Tier ist Gullin bursti, der goldborstige Eber4), ein Sinnbild der befruchtenden goldenen Sonne; sein Fest wird gefeiert, wann die Sonne wieder siegt, d. h. ungefähr am einundzwanzigsten Dezember, dem Jul-Fest, dem das christliche Weihnachtsfest entspricht.
Nicht ganz klar ist der Zusammenhang, in welchem Freyr auch als ein Gott der glücklichen Schiffahrt gedacht wurde; auch ihm, wie Odin, wird das Zauberschiff Skidbladnir zugeschrieben, welches immer günstigen Fahrwind hat (s. Odin), sich wie ein Tuch zusammenfalten lässt und ebenso durch die Lüfte wie über die Wogen segelt.
Wie alle Wanengötter, - und er als Gott des Erntesegens noch ganz besonders, - ist Freyr friedlicher Art. Daher gelten als seine Söhne sagenhafte Könige, unter deren milder Herrschaft eine Segenszeit von Fruchtbarkeit und Friede waltete. Ein solcher war jener nordische Frôdi (deutsch Fruote), der ein besonderes Opferfest für Freyr einrichtete. Friede herrschte zu seiner Zeit über alle Lande hin, und so gross war die Rechtssicherheit und die Rechtsbruch scheuende Treugesinnung der Menschen, dass ein Goldring Jahr und Tag auf offener Heide lag, ohne dass jemand ihn sich sonder Recht anzueignen wagte5). Der König kaufte zwei Mägde riesischer Abstammung, Fenja und Mensa, und brachte sie in seine Zaubermühle, Grotti, welche alles mahlte, d. h. aus sich hervorgehen liess, was der Herr der Mühle wünschte. Er gebot den beiden zu mahlen: "Gold, Friede, Frôdis Glück". Aber selber war er so habgierig, dass er ihnen verbot, länger zu rasten von ihrer Arbeit, als bis man ein Lied singen könne. Da sangen sie ein Lied, das "Grottenlied" genannt, mahlten aber zugleich und zwar: - ein feindliches Heer! Dies erschien in der Nacht, geführt von einem Seekönig, der Frôdi erschlug und dessen Schätze raubte. Das war das Ende von Frôdis Glück und Friede; die eigne Gier hat sie zerstört. Der Wiking aber nahm auch die Zaubermühle6) und die beiden Mahlmägde auf sein Schiff und befahl ihnen, Salz zu mahlen; - ein wertvolles Gut und wichtiger Handelsartikel. Auch den Sieger sollte das Unmass der Habsucht und die mitleidlose Härte gegen die fleissigen Mägde verderben. Um Mitternacht fragten sie den Seekönig, ob er denn noch nicht genug Salz habe? Er gebot, fortzufahren in der Arbeit. Sie tatens; aber in kurzer Zeit sank das überlastete Schiff; da entstand im Meer ein Schlund, nämlich da, wo das Wasser durch das Loch in den Mühlstein stürzte; so entstand der Mahlstrom und deshalb ist die See salzig7).
Freyr heisst Yngwi-Freyr; die norwegischen Ynglinger stammten von Freyr. Später wird der Gott als ein menschlicher König von Schweden bedacht, der, ebenso wie jener Gott, Freude, Friede und Segen im Lande wahrte. Daher verheimlichten seine Getreuen seinen Tod, trugen die Leiche in einen grossen Grabhügel mit einer Tür und drei Fenstern, brachten durch ein Fenster alle seine Schätze hinein, Gold, Silber und Erz, und sagten den Schweden, er lebe noch in diesem Hügelhause; so währte das drei Winter nach seinem Tod und auch gute Zeit und Friede währten so lang im Lande. Der entrückte, in den Berg hinein verschwundene Gott ist der Sonnengott selbst, der während der Wintermonate verschwunden ist; solang der Sonnengott herrscht, d. h. im Frühling und Sommer, ist frohe Zeit und Glück im Lande8).
Auch der mythische Held Skeáf wird auf Freyr zurückgeführt; ein neugeborner Knabe wird, von rings um ihn gehäuften Schätzen und Waffen umgeben, in einem führerlosen Schiff, auf einer Garbe (skeáf, althochdeutsch skoup, mittelhochdeutsch Schaube) schlafend, vom Meer an das Gestade getragen; die Bewohner ahnen, dass hier ein göttergesendet Wunder zu ihnen schwimme, sie erziehen den Knaben, den sie nach der Garbe "Skeáf" genannt haben, und wählen den Herangewachsenen zum König. Derselbe herrscht lange mächtig und weise und befiehlt, dass er nach seinem Tod abermals in gleicher Weise auf ein Boot gelegt und Wind und Wellen überlassen werde, welche ihn zurücktragen in seine geheimnisvolle Heimat. Hieraus ist später im Mittelalter die Sage von Schwanenritter (Lohengrin) geworden, in welcher das Boot des Knaben oder Jünglings von Schwänen herangeführt und wieder abgeholt wird, nachdem seine Gattin die verbotene Frage nach seinem Namen und Heimatland getan.
Die schönste Sage von Freyr ist die in Skirnisför, Skirnirsfahrt, erzählte9). Freyr setzte sich einmal auf Odins Hochsitz (Hlidskialf), und sah von dort hinab auf alle Welten. Da erschaute er im Norden, in Riesenheim, ein Mädchen, das war so wunderschön, dass von seinen weissen Armen, da es dieselben erhob, Luft, Wasser und alle Welten widerstrahlten. Gerda hiess die Maid und war des Riesen Gymir Tochter. Sofort ergriff tiefste, markverzehrende Liebessehnsucht nach der schönen Jungfrau den Vermessenen, der es gewagt hatte, sich auf den Platz zu setzen, den nur der Hohe beschreiten darf. Er war ganz traurig und sprach, als er heimkam, kein Wort, und niemand wagte, den Tiefsinnigen anzureden. Endlich schickte der besorgte Vater Niördr zu dem Sohne dessen treuesten Freund (oder Diener) Skirnir, ihn auszuforschen. Auf dessen Frage nach dem Grunde seines Trübsinns antwortete Freyr erst abweisend: "Wie soll ich sagen dir jungem Gesellen der Seele grossen Gram? Die Sonne, die selige, hebt sich täglich am Himmel; doch schauet sie niemals meiner Liebe Glück!" Der treue Freund dringt lange vergeblich in den Trauernden: "So gross dein Gram kann sein - mir sollst du ihn sagen! Teilten wir doch die Tage der Jugend; - so mögen wir uns voll vertrauen." Da seufzt Freyr endlich: "In Gymirs Gehegen schaute ich wandeln mir teure Maid; mehr lieb ich sie, als ein Jüngling vermag im Lenz seines Lebens. Aber von allen Asen und Alfen will es nicht einer, dass wir (d. h. ich und sie) beisammen seien; doch ich will nicht mehr leben, wenn ich sie nicht zum Weibe gewinne. Und du, o Freund, sollst ausziehen und für mich um sie werben und sie mir bringen, mit oder gegen den Willen ihres Vaters; und reich will ich dir das lohnen." Skirnir (der nach andrer Überlieferung sich selbst zuerst erbietet) erwidert, er wolle die Fahrt wagen, wenn Freyr ihm sein treffliches Schwert gebe, "das von selbst sich schwingt gegen der Reifriesen Brut; auch das rasche Ross, das ihn sicher durch flackernde Flammen trage"; - denn der Treue weiss oder ahnt doch, wie furchtbar gehütet er die Riesenjungfrau finden wird. In solchem Vorgefühl erschauernd, spricht Skirnir, da er vor dem Tore das Ross besteigt, zu dem treuen Tier - ein uralter Zug, der in vielen Sagen wiederkehrt -: "Dunkel ist es da draussen; - Nun gilt es über feuchte Berge zu fahren! entweder vollführen wir beide (Reiter und Ross) das Werk; oder uns beide fängt jener furchtbare Riese (Gerdas Vater)." Als nun der kühne Freund nach Riesenheim kommt, findet er die Türe des Holzzaunes, der Gerdas Saal umhegt, von wütenden Hunden bewacht, die da angebunden liegen. Zaudernd fragt er einen Viehhirten10), der am Hügel sitzt und die Wege bewacht, wie er es wohl angehen könne, die schöne Maid zu sprechen, trotz Gymirs Grauhunden? Aber der meint, entsetzt über solches Wagen, kein Lebendiger, nur wer dem Tode verfallen oder schon gestorben, werde durch diese Schrecken dringen. Der Treue erwidert: "Wer zur letzten Fahrt, wenn es sein muss, entschlossen ist, dem steht Kühnheit besser als Klagen an; meines Lebens Dauer ist doch vom Schicksal vorbestimmt." So erschlägt oder vertreibt er die wütenden Hunde, die Wächter. Über deren Heulen und dem Kampf erdröhnt solch Getöse, dass Gerda drinnen besorgt eine Magd befragt, weshalb die Erde bebe in der Halle und alle Wohnungen in Gymirsgard erzittern? "Ein Mann," sagt diese, "ist im Hofe vom Ross gestiegen und lässt es grasen." Gerda lässt ihn herein entbieten, milden Met im Saal zu trinken: "Obwohl mir ahnt, dass da draussen steht meines Bruders Beli künftiger Erleger." Staunend fragt sie den Gast, nachdem er den Saal betreten, wer er sei und zu welchem Zweck er, allein, durch die flackernde Flamme zu fahren gewagt? Skirnir sagt, dass er gekommen sei, ihre Liebe für Freyr zu werben und er bietet ihr als Brautgeschenk elf allgoldene Äpfel. Gerda weigert sich, sie nimmt die Äpfel nicht; keines Mannes Minne will sie: "Nie, solang wir beide atmen, könne sie und Freyr zusammen sein. Der Bote steigert seine Gabe; er bietet nun den Ring Odins, Draupnir, von welchem acht gleich schwere träufen jede neunte Nacht. Gerda meint, in Gymirsgard brauche sie des Goldes nicht, ihr Vater spare ihr Schätze genug. Da geht der Werber von Bitten zur Einschüchterung über, er gedroht sie mit Freyrs Schwert. "Siehst du, Mädchen, das Schwert, das scharfe, spitze, das ich halt in der Hand? Vom Haupte hau ich den Hals dir ab, weigerst du dich ihm." Gerda trotzt mutig dem Zwang und droht mit ihrem Vater. Aber Skirnir vertraut, mit Freyrs Schwert den alten Riesen zu fällen, und greift nun, da die Jungfrau Waffen nicht fürchtet, zur Bedrohung mit Zauberrunen; er brach Zauberruten im tiefen Wald und beschwört nun in furchtbaren Worten das Mädchen: falls sie Freyr nicht zum Manne wählt, soll sie allerlei Unheil befallen und zwar nach ihrem eignen Willen (nicht nur nach Skirnirs), weil sie dies Unnatürliche wählte; verlassen von allen Wesen soll sie in Einsamkeit Mangel, Trübsinn und Tränen erdulden oder mit einem scheusslichen, zweiköpfigen Riesen vermählt werden. Zauberrunen schneidet er in den Stab; entweder einen Riesen (d. h. ein Th, den Anfangsbuchstaben des Wortes Thurs, Riese), oder, falls sie nicht des grausigen Riesen wird, die Leiden der unvermählt alternden Jungfrau: Sehnen (oder Ohnmacht, Unmut), Ärger, Ungeduld. "Zornig ist dir Odin, der Asenfürst, zornig Freyr. Freyr flucht dir, gib nach, unselige Maid, eh dich befängt der Zauberzorn. Gibst du nach, so schneid ich die Runen ab (d. h. ich tilge sie), wie ich sie einschnitt11)."
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