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Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

1. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





In der Nähe eines Grenzgebirges, dessen westliche Ausläufer sich dicht bewaldet ins flache Land erstrecken, liegt auf mäßiger Höhe ein weitausblickendes Schloß, das sich im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht allzu freundlich von dem Hintergrunde dunkler Tannen abgehoben hatte. Denn die Mauern waren verwittert, die Fensterläden geschlossen, und um das schweigende Portal wehte der stille Hauch der Verödung. Unten aber dehnte sich die Ebene aus, damals wie heute, ein sonniges Bild regen, werkthätigen Lebens. Hart am Fuße des Abhanges ein stattlicher Marktflecken, in dessen Umkreise der schwarze Diamant, die Steinkohle, geschürft und auf unübersehbaren Feldern, von nur schmalen Strichen Kornes eingerahmt, die gelb blühende Oelpflanze und die zuckerspendende Rübe gebaut wurde. Dazwischen, weithin zerstreut, einzelne Schachte und Fabrikgebäude, gegen deren geschwärzte Mauern und qualmende Schlote sich hier und dort ein hellschimmerndes Landhaus um so lieblicher ausnahm. Von dort herauf erklang tagsüber, bald lauter, bald gedämpfter, das Gepolter der Maschinen, das Brausen der Dampfkessel, der gellende Schall der Werkglocken – und verzitterte in den Wipfeln des Schloßparkes, wo auf dem verschlammenden, von Wasserrosen überdeckten Teiche ein einsamer Schwan die stillen Kreise zog. –



Im Frühling des Jahres 1849 jedoch hatte dieser verlassene Herrensitz einen noch ganz freundlichen Anblick dargeboten. Auch war gerade in jener Zeit eine Anzahl von Arbeitern erschienen, um das Schloß, welches von seinem damaligen Besitzer, dem Freiherrn von Günthersheim, bis jetzt nur im Sommer benützt worden war, zu dauerndem Aufenthalte in Stand zu setzen. Und bald konnte man auch in der Umgegend die Kunde vernehmen, daß der Freiherr des hohen Staatsamtes, das er bekleidete, enthoben worden sei und sich nunmehr mit seiner Gemahlin für immer hieher zurückzuziehen gedenke. In der That kam eines Abends – zu Anfang des Juni – auf der staubigen Landstraße ein mächtiger, mit Postpferden bespannter Reisewagen in Sicht, welchen in früherer Zeit schwarzbefrackte Honoratioren und weißgekleidete Mädchen mit Blumensträußen in den Händen würden erwartet haben; der aber jetzt, wo die verbrausten Stürme des Revolutionsjahres noch überall zerstörte und unklare Verhältnisse zurück gelassen hatten, bloß der Gegenstand einer halb flüchtigen, halb befangenen Neugier war. So geschah es, daß der Freiherr, als er mit seiner Gemahlin, einer noch jungen, leicht verschleierten Dame, unter dem Portal aus dem Wagen stieg, bloß von seinem Verwalter und einigen Nebenbediensteten empfangen wurde. Später jedoch kam es in der Gaststube des Goldenen Löwen, wo sich die hervorragendsten Bürger und Ansassen des Ortes allabendlich einzufinden pflegten, zu einer lebhaften Debatte über die Frage, ob man dem Schloßherrn, wie wohl derselbe nunmehr alle feudalen Hoheitsrechte eingebüßt habe, nicht doch eine Ovation hätte darbringen sollen. Denn es unterlag keinem Zweifel, daß er nur seinen liberalen Anschauungen, die er bekanntermaßen schon im Vormärz bethätigt hatte, bei dem abermaligen Umschwung der Dinge zum Opfer gefallen sei. Und in dieser Hinsicht verdiene er jedenfalls die hochachtende Anerkennung, das verständnißvolle Bedauern aufgeklärter und nach wie vor freiheitlich gesinnter Männer. Eine direkte Kundgebung, das müsse man nachträglich erkennen, wäre allerdings bei dem reaktionären Drucke, der gegenwärtig selbst auf dem platten Lande geübt werde und sich durch verschärfte Polizeimaßregeln jeder Art bemerkbar mache, nicht wohl thunlich gewesen; keineswegs aber könne es verargt, oder gar verwehrt werden, daß man von Seiten der Bürgerschaft dem Gutsbesitzer, zu welchem man seit Jahren in einem weitverzweigten Pachtverhältnisse gestanden und noch stehe, einen Höflichkeitsbesuch abstatte. Dabei wäre man ja recht wohl im Stande, die eigentliche Absicht sub rosa kundzugeben, und somit sei auch dann jede Versäumniß – wenn eine solche vorliege – wieder gut gemacht. Diese Anschauung, obgleich einige Aengstliche und Gleichgültige dagegen sprachen, wurde endlich mit Stimmenmehrheit zum Beschlusse erhoben, worauf man daran ging, die Mitglieder der beabsichtigten Deputation und deren Führer zu wählen.



Als dem Freiherrn am nächsten Vormittage das Erscheinen der Abgeordneten gemeldet wurde, war er eben beschäftigt, in seinem Arbeitszimmer – einem hochgelegenen Gemache mit weiter Fernsicht – einige nothwendige Einrichtungen zu treffen, und schien von der ihm zugedachten Ehre keineswegs freudig überrascht zu sein; denn ein Schatten von Mißmuth überflog sein Antlitz. Da es aber nicht anging, die Leute, welche sich draußen durch anspruchvolles Räuspern und Scharren mit den Füßen bemerkbar machten, unter irgend einem Vorwande abzuweisen, so ließ er sie, indem er eine wohlwollende Miene annahm, ohne weiteres eintreten.



Er ging ihnen einige Schritte entgegen, hörte die Rede des Sprechers, der ein kleiner, beleibter Mann war, in vorgebeugter Haltung an, erröthete flüchtig bei einigen bedeutungsvollen Stellen und dankte schließlich mit etwas leiser, aber klarer und eindringlicher Stimme für die wohlwollenden Gesinnungen seiner Mitbürger. Sie zu rechtfertigen, vermöge er leider nicht mehr; überhaupt bleibe jetzt dem Einzelnen sowohl wie der Gesammtheit nichts Anderes übrig, als sich in schweigender Ergebung zu fassen. Hierauf reichte er dem Führer die Hand zum Abschiede und geleitete die unter Bücklingen sich Entfernenden bis zur Thür. Allein geblieben, trat er langsam an ein Fenster und blickte gedankenvoll in den leuchtenden Tag hinaus. Der unvermuthete, wenn auch an sich ganz bedeutungslose Zwischenfall hatte doch, indem er Erinnerungen weckte, lebhaft auf ihn gewirkt. Und wie da draußen am Horizont weiße, schimmernde Wolkenmassen langsam emportauchten: so tauchte im Geiste des verabschiedeten Staatsmannes die Vergangenheit auf...



Der Freiherr von Günthersheim war nicht von altem Adel. Sein Großvater, einem bürgerlichen Geschlechte entstammend, war unter der Regierung Maria Theresias mit bescheidenen Anfängen in Staatsdienste getreten und hatte sich im Verlauf der Jahre dem Kanzler Kaunitz derart verwendbar erwiesen, daß er während der Josephinischen Aera zu immer höheren Aemtern emporstieg. Sein Sohn betrat unter dem folgenden Herrscher die gleiche Laufbahn und wurde später ob seiner Verdienste zur Zeit der französischen Invasion vom Kaiser Franz in den Freiherrnstand erhoben, welcher Auszeichnung er durch den Erwerb einer Herrschaft in Böhmen, die er von einem tief verschuldeten Cavalier unter sehr günstigen Bedingungen übernahm, auch eine reale Grundlage zu verleihen wußte. Dem Enkel war somit vorweg eine glänzende Zukunft eröffnet. Ursprünglich zur diplomatischen Carrière bestimmt, wurde er als noch ganz junger Mann während des Wiener Kongresses in der Staatskanzlei verwendet, wo er durch seine Fähigkeiten und seine ganz erstaunliche Arbeitskraft die Aufmerksamkeit Metternichs erregte. Der Fürst zog ihn nunmehr näher an sich heran, konnte ihn jedoch von der Richtigkeit des Regierungssystems, das jetzt in Österreich mehr und mehr Platz griff, nicht überzeugen; ihre Anschauungen gingen immer weiter auseinander, bis endlich der Freiherr, bereits selbst in höherem Amte, zu jenen Persönlichkeiten gehörte, welche im Rathe der Krone fortschrittliche Ideen entwickelten und neue Institutionen ins Leben zu rufen trachteten. So war er denn auch einer von Denen, welche, trotz Rang und Würden, die so plötzlich ausgebrochene Märzrevolution als erlösenden und verheißungsvollen Umschwung begrüßten. In jener vielbewegten Zeit mit einer leitenden Machtstellung betraut, mußte er gleichwohl in Folge der zunehmenden revolutionären Ausschreitungen Verfügungen erlassen, welche ihn in den Augen der Volksführer freiheitsfeindlich erschienen ließen und ihn eines Tages in die Lage brachten, sich vor einem erregten Pöbelschwarme, der sein Wohnhaus umwogte und drohend eindringen wollte, mit seiner fast zu Tode geängstigten jungen Frau in dem engen Zwischenraume einer Doppelthür verborgen zu halten. Dennoch harrte er auf seinem Posten aus und trachtete im Verein mit einigen Gleichgesinnten, den Kaiser, der sich inzwischen nach Innsbruck begeben hatte, zur Rückkehr nach Wien zu bestimmen, von welchem Schritte er Klärung der Verhältnisse und endliche Beruhigung erwartete. Als aber trotzdem die Greuel der Oktobertage folgten und der Hof nunmehr nach Olmütz zu fliehen gezwungen war: da konnte er zu seinem tiefen Schmerze nicht umhin, Denjenigen beizustimmen, die schon in den ersten glorreichen Freiheitstagen das Verderben und den Zerfall der Monarchie erblickt hatten. Er selbst mußte jetzt – mit welchen Gefühlen! – die einziehenden Truppen Windischgrätz und des Banus als Retter und Erretter begrüßen; mußte erkennen, daß die Regierung keine anderen Maßregeln ergreifen konnte, als jene, die nun ein hochmüthig zufahrender, gewaltsamer Staatsmann an die Hand gab, und welchen der Freiherr selbst sofort zum Opfer gefallen war ...

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