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Ferdinand von Saar

Schloß Kostenitz

5. Kapitel

eingestellt: 17.7.2007





Seitdem wagte sie es nicht mehr, an ein Fenster zu treten. Sie fürchtete, des Grafen ansichtig zu werden – fürchtete es umsomehr, als sie deutlich empfand, wie sehr sie dies eigentlich im Tiefsten ihrer Seele wünsche. Hatte sie sich doch schon früher im Geiste mehr mit ihm beschäftigt, als sie es vor sich selbst verantworten konnte. Seine hohe Gestalt, das dunkle Feuer seiner Augen, sein gebräuntes, stolzes Antlitz, von welchem das kurzgeschnittene blonde Haupthaar und der feine röthliche Schnurrbart eigenthümlich abstachen, schwebten ihr in jeder einsamen Stunde vor und schlichen sich sogar Nachts in ihre Träume. Wie oft hatte sie sich auf dem sträflichen Wunsche ertappt, unter irgend einem Vorwande das Zimmer ihrer Zofe zu betreten, weil sie zufällig wahrgenommen, daß man von dort aus das kleine Amtshaus im Auge habe, wo der Graf, ohne sich um irgend Jemand zu kümmern, wie meilenweit vom Schlosse entfernt lebte. Aber jetzt, nachdem er sie so seltsam eindringlich, so räthselhaft vertraulich gegrüßt, hatte sie mit einem Mal die Ueberzeugung, daß auch er sich im Geiste mit ihr beschäftigt habe, und fühlte sich nunmehr von den geheimnißvollen Fäden seiner Gedanken umsponnen.



So lebte sie in beständiger, vor ihrem Gatten verhehlter Unruhe dahin, die ihr um so qualvoller wurde, als ihr die Gelegenheit benommen war, ihre frühere Lebensweise wieder aufzunehmen; denn die junge Frau trug jetzt eine seltsame Scheu, sich in den Park zu begeben; zu dem herrschte noch immer unfreundliches, veränderliches Wetter, und durch die Wipfel wehte es feucht und kühl. Clotilde blieb daher auf ihre Zimmer angewiesen und unternahm nur zuweilen am Nachmittage, tief in einen halbgedeckten Wagen zurückgelehnt, mit ihrem Gatten eine kurze Spazierfahrt.



Als aber jetzt wieder der Himmel blau, die Tage hell und sonnig geworden waren und die leuchtende Gluth des Juli über der Landschaft lag: da begann Clotilde eine unendliche Sehnsucht nach ihrem trauten Asyle zu empfinden. Sie glaubte zu fühlen, wie sich, wenn sie nur wieder einmal an ihrer Staffelei oder mit einem Buche unter den lispelnden Birkenwipfeln säße, alles Verwirrende und Beängstigende von ihr ablösen, wie ein tiefer, seliger, wünschloser Friede in ihre Seele einziehen würde. Auch die Gefahr, im Parke mit dem Grafen zusammenzutreffen, schien während des Vormittags ausgeschlossen. Denn er ritt ja, wie sie in Erfahrung gebracht, jetzt jeden Morgen mit seinen Dragonern fort, zu irgend welchen größeren Uebungen, welche, ziemlich weit vom Markfltecken entfernt, auf freiem Felde vorgenommen wurden. Dann blieb er auch gleich unten zu Tisch und kehrte erst in den späteren Nachmittagsstunden nach Hause zurück.



Sie setzte also eines Morgens nach dem Frühstück ihren Gartenhut auf. »Ich gehe heute in den Park, sagte sie auf einen fragenden Blick ihres Gatten. »Zum ersten Mal seit mehr als vierzehn Tagen. Du meinst doch auch, daß ich – –,« setzte sie zögernd hinzu, da sie zu bemerken glaubte, daß seine Stirn nicht ganz frei war.



»O gewiß, gewiß,« fiel er rasch ein. »Warum solltest Du nicht? Es hat mich ohnehin gewundert, daß Du es so lange hier oben ausgehalten hast,« fügte er mit leichtem Scherze bei.



»Das Wetter war nicht sehr einladend. Außerdem begreifst Du wohl –«



Er hatte sich erhoben und stand jetzt dicht neben ihr. »Ich begreife,« sagte er leise. »Aber das wäre doch zu viel. Geh nur, mein Kind,« fuhr er fort, indem er sie sanft auf die Stirn küßte. »Vielleicht suche ich Dich später unten auf.«



Sie nahm ihren Sonnenschirm und schritt die Treppe hinab. Im Vorhause warf sie einen scheuen Blick nach dem Hofe. Dort war Alles still, wie ausgestorben; denn die Dragoner waren weggeritten und noch nicht zurückgekehrt. Nur eine Stallwache lungerte träg auf einer Bank. Clotilde durchschritt jetzt einen schmalen Seitengang, öffnete eine kleine Pforte – und stand unmittelbar auf dem prangenden Parterre. Es war die Zeit des Nelkenflors, und weiße Falter flatterten über diesen würzigen Blumen, welche in allen Farbenschattirungen, ihren heißen Duft ausathmeten. Sie bückte sich, um eine von hellem, brennendem Roth zu pflücken, und steckte sie vor die Brust. Je tiefer sie jetzt in den Park hineinschritt, desto freier, desto beschwingter fühlte sie sich. Mit Entzücken sog sie die warme und doch so erquickende Sommerluft ein, und strahlend glitt ihr Blick über das vertraute Grün der alten Baumgruppen. Nun hatte sie schon die Wiese, hatte das Tirolerhaus erreicht, dessen Thür sie mit rascher Hand aufschloß. Und jetzt betrat sie die lieben, dämmerigen Räume, in welche, nachdem Thüren und Fensterläden geöffnet waren, der helle Tag hereinfluthete. Ja, da stand und lag noch Alles so, wie sie es vor Wochen verlassen. Auf dem Tische die Bücher, dort die Staffelei mit der nahezu vollendeten Landschaft; selbst die Blumen in der Vase, die letzten, die sie unten auf der Wiese gepflückt, waren noch nicht vollständig verwelkt. Unwillkürlich breitete die junge Frau wie zur Begrüßung die Arme aus; dann fuhr sie mit beiden Händen leicht über die Brust hinab, als wollte sie damit alles Belastende und Unreine, das noch auf ihr lag, abstreifen. Hierauf ging sie daran, wie sie es stets gewohnt war, einige Ordnung zu schaffen. Sie reihte die Bücher aneinander, entfernte die Blumen aus der Vase, um sie später durch andere zu ersetzen, und begann mit einem leichten Tuche, das sie einem Schränklein entnommen, die feine Staubschichte wegzuwischen, die sich über einzelne Gegenstände gebreitet hatte. Bei dieser Beschäftigung überhörte sie ganz ein leises Trompetenklingen in der Ferne, welches anzeigte, daß die Reiter von ihren Uebungen nach dem Marktflecken zurückkehrten.



Nun hatte sie bereits die Stühle zurecht gerückt und die Staffelei mit allem Nöthigen in Stand gesetzt. Aber mit der Arbeit wieder beginnen konnte und mochte sie heute noch nicht. Sie wollte sich fürs erste ganz und voll der seligen Empfindung hingeben, welche sie hier – o, sie hatte es vorausgesehen! – überkommen hatte. Ausgenießen wollte sie so recht den fühlbaren Beginn wonniger Befreiung und sich dabei hinüberträumen in das reine, ungetrübte Glück kommender Tage! So ging sie wieder langsam hinunter und ließ sich auf die Bank nieder, wo sie so gerne saß. Dort weilte sie jetzt, in ihr Innerstes versunken, während die Zeit mit unmerklichem Flügelschlage an ihr vorüberzog ...



Endlich sah sie nach der kleinen Uhr, die sie im Gürtel trug. Es war Mittag geworden. Sie aber hatte noch zwei volle Stunden vor sich, bis die Tischglocke sie rief; auch würde ja noch früher ihr Gatte erscheinen. Einstweilen konnte sie einen Rundgang um den Teich unternehmen, der in nächster Nähe oberhalb des Tirolerhauses lag. Clotilde liebte die ausgedehnte, von Schilf und Binsen durchsetzte Wasserfläche, an deren Ufern Erlen und hohe Ulmen tiefe, schwermüthige Schatten verbreiteten. Kaum, daß sie dort sichtbar geworden, kamen sogleich zwei Schwäne herangeschwommen; denn sie waren gewohnt, daß ihnen die Schloßherrin hin und wieder Brot zuwarf. Heute aber war sie mit leeren Händen gekommen, und die silberweißen Vögel begleiteten fruchtlos ihre Schritte.



Nachdem Clotilde den Teich langsam umgangen hatte, lenkte sie halb unbewußt ihre Schritte einem Hügel zu, welcher, künstlich angelegt und von hohen Fichten bestanden, über die Umfassungsmauer des hier sein Ende erreichenden Parkes empor ragte. Ein schmaler Pfad wand sich durch das Gehölz und führte nach dem Gipfel, der den Ausblick auf die gegenüber liegenden Wälder und Höhenzüge eröffnete und auf welchem jetzt Clotilde angelangt war. In demselben Augenblick jedoch prallte sie mit einem halb unterdrückten Aufschrei zurück. Denn auf einer bequemen Ruhebank, die dort oben angebracht war, saß der Graf, lässig zurückgelehnt, eine Cigarre rauchend. Jetzt erhob er sich und sagte lächelnd mit einer tiefen Verbeugung: »Sie erschrecken ja, gnädigste Chatelaine, als wäre ich eine Schlange, auf die Sie treten könnten.«

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