Friedrich Wilhelm Hackländer
Der Augenblick des Glücks
Kapitel 2
eingestellt: 15.7.2007
»Ich gratuliere von Herzen, mein Fräulein. Sie hätten keine bessere Wahl treffen können.« Dann wandte er sich zur Seite, reichte dem Oberstjägermeister, der entzückt und händereibend näher trat, die Hand und setzte hinzu: »In der That, Baron Rigoll, diese Verbindung freut mich außerordentlich, und ich hoffe, Sie werden glücklich sein.«
Wenn ein Funke in einen lockeren
Strohhaufen fällt, so kann die Flamme sich nicht schneller verbreiten und nicht geschwinder emporlodern, als sich bei Hofe bei solcher Veranlassung die Gratulation, von allerhöchstem Munde proklamiert, durch beide Säle fortpflanzte und verbreitete.
»Man gratuliert!« rief dicht in der Nähe eine alte Hofdame, der man in ihrem ganzen Leben nie gratuliert hatte, fast mit einem lauten Aufschrei.
»Man gratuliert!« sagte eine alte
Exzellenz, und -
»Man gratuliert!« tönte es von allen Seiten.
»Wen denn, um Gottes willen?«
»Fräulein von Ripperda.«
»Ganz unerhört! - und - -?«
»Nun, mit Seiner Exzellenz dem Herrn Oberstjägermeister. Das war doch vorauszusehen,« sagte jemand, der sich gern das Ansehen gab, als sei seinem Scharfblick noch nie etwas entgangen.
Daß es hierauf ein
unglaubliches Gedränge um die Fensternische gab, kann man sich leicht denken. Wer möchte gern der letzte sein, um zu einer Verlobung zu gratulieren, die so offenbar von den allerhöchsten Herrschaften gutgeheißen und protegiert wurde! Es war rings im Kreise ein Lächeln, ein Sprechen, ein Trippeln und Scharren, daß man kaum die einzelnen Ausrufungen der uneigennützigsten Freunde, als: Superb! - Deliciös! - Wunderbar passend! - Ganz
außerordentlich schön! - usw•, vernehmen konnte. - Nur Helene von Ripperda, eine der Hauptpersonen dieses lustigen Dramas, äußerte ihr Freude auf eigentümliche Art. Ihr Gesicht war mit einer furchtbaren Blässe bedeckt, ihre Lippen bebten und ihre Augen starrten über den gratulierenden Haufen hinaus, wie weit, weit in unabsehbare Fernen.
Die Prinzessin schien das von dem jungen Mädchen begreiflich zu finden; denn sie lachte
mit den Umstehenden, blickte wie entzückt auf das Gesicht ihrer lieben Freundin und wußte in deren Namen fast alle Gratulationen mit einigen passenden Worten zu erwidern.
Der einzige, der die tiefe Blässe des jungen Mädchens zu verstehen schien und sie mit inniger Teilnahme betrachtete, war übrigens Seine königliche Hoheit, der Regent. Er wußte vielleicht, was in ihrem Herzen vorging; er berechnete vielleicht oder sah es in ihren
seltsamen Blicken, daß die Kraft desselben nicht lange mehr anhalten würde. In seiner wirklich chevaleresken Manier näherte er sich dem Fräulein und bot ihr seinen Arm, indem er nicht ohne einen leisen Anflug von Ironie sagte:
»Man freut sich zu sehr über Ihr Glück. Ich muß wahrhaftig ins Mittel treten, um Sie vor den Gratulationen zu retten, die im stande sind, Sie zu erdrücken.«
Es war ein Blick inniger
Dankbarkeit, mit dem das arme Mädchen ihre Hand auf den Arm des Regenten legte; dann machte sie ringsumher eine graziöse Verbeugung und atmete tief auf, als der Herzog sie in das Nebenzimmer geleitete bis zur Thür, welche in die Gemächer der Prinzessin führte, und sie dort freundlich entließ.
Herr von Wenden war einer von den wenigen, die sich bei der allgemeinen Gratulation begnügt hatten, von ihrem Platze aus ein freundlich
grinsendes Gesicht zu zeigen; dabei hatte er sich aber bemüht, sich der Prinzessin, so sehr es ihm möglich war, zu nähern, und er hatte hinter den Fenstervorhängen so gut manövriert, daß er nun Ihrer Durchlaucht, als diese, um den fortwährenden Gratulationen zu entgehen, sich abermals gegen das Fenster wandte, ganz nahe gegenüberstand.
Da er einer von den Gerngesehenen war, auch die Prinzessin seinen in der That scharfen
Verstand anerkannte, so zeigte sie in ihren Mienen, daß es ihr nicht unlieb war, gerade ihn hier zu treffen. Sie schmiegte sich in die Ecke der Fensternische und winkte dem Kammerherrn mit den Augen, ihr zu folgen. Es sprang ein recht boshafter Blick aus ihren Augen, als sie mit einer bezeichnenden Bewegung nach den inneren Zimmern zu sagte:
»Was meinen Sie wohl? Wieviel Prozent unserer Gratulanten haben anders gesprochen, als ihre Herzen dachten?«
»Recht viele, Euer Durchlaucht,« erwiderte der Kammerherr, »und auch ich muß mich ihnen anschließen. Auch ich gratuliere, aber ich gratuliere nur dem Baron Rigoll, der sein Glück in so gute Hände legte.«
»Ah was!« versetzte die Prinzessin, indem sie die Oberlippe höhnisch aufwarf; »an dessen Glück habe ich wahrhaftig wenig gedacht.«
»Also an das des Fräuleins von Ripperda?« entgegnete der Kammerherr mit
einer eigentümlichen Betonung.
»Finden Sie die Partie nicht vortrefflich?«
»So vortrefflich, das Ganze so gelungen, daß ich mich glücklich schätzen würde, wenn Eure Durchlaucht einmal die Gnade haben wollten, auch mein Glück in Allerhöchst Ihre Hand zu nehmen.«
Die Prinzessin warf dem Sprecher einen forschenden Blick zu, doch nur eine Sekunde lang; dann schaute sie durch die Scheiben ins Freie
und entgegnete:
»Scherz beiseite; Baron Rigoll verdient, daß man sich für ihn interessiert. Er ist mir außerordentlich attachiert.«
»Wenn das die Eigenschaft ist, die dazu gehört, um von Eurer Durchlaucht protegiert zu werden,« antwortete Herr von Wenden mit einer tiefen Verbeugung, aber in sehr bestimmtem Tone, »so würde ich mich gewiß dazu eignen, dieses Glück zu genießen.«
»Ich
danke für Ihre Äußerung,« sagte huldvoll, aber etwas zerstreut die Prinzessin. »Leider befinden wir uns in Verhältnissen, wo man der zuverlässigen Leute bedarf.« Als sie das gesagt, richtete sich der Kammerherr in die Höhe, und dabei beugte er sich vorne über, um das, was er jetzt sagte, recht nahe vor den Ohren der Prinzessin hören zu lassen.
»Sollten Eure Durchlaucht,« sprach er, »je in den Fall kommen, meine
unterthänigsten und ganz ergebenen Dienste benutzen zu wollen, so könnte das in einem Augenblick sein, wo Sie möglicherweise zu sich selber sprechen würden: Noch einen ganz zuverlässigen Mann, der Zutritt hat.« Diese Worte aber, die der Kammerherr mit entschiedener Betonung sprach, waren dieselben, die, durch feine Nadelstiche ausgedrückt, auf dem zusammengerollten Papierstreifen gestanden.
Bei Anhörung derselben zuckte die
Prinzessin einen Augenblick zusammen, doch faßte sie sich augenblicklich wieder, warf einen schnellen Blick in dem Salon umher und sagte alsdann zu dem Kammerherrn mit jenem verbindlichen, aber doch gleichgültigen Lächeln, mit jenem Lächeln, das man bei Hofe so genau kennt, womit starke Seelen ebensowohl die Worte: Glauben Sie in der That, daß es morgen regnen wird? oder auch: Lassen Sie sich vor meinen Augen nicht mehr sehen, Sie sind ein
Nichtswürdiger! zu begleiten pflegen, mit diesem selben Lächeln, wobei sie wie zerstreut an die Decke blickte und eine leichte Neigung mit dem Kopfe machte, sagte die Prinzessin zu dem Kammerherrn:
»Ich werde Sie um neun Uhr bei mir empfangen.«
Die anscheinend sehr unbedeutende Unterhaltung schien von wenigen im Salon eigentlich bemerkt, von niemand gewürdigt worden zu sein; nur der Regent hatte einen Augenblick vorher, ehe Herr
von Wenden sich zurückzog, einen Blick auf die Wanduhr über dem Kamin und dann auf die Prinzessin geworfen, wahrscheinlich weil es ihm Zeit dünkte, den Cercle abzubrechen und sich zurückzuziehen.
Daß Herr von Fernow, der unbeweglich neben der Eingangsthür stand, wenn auch äußerlich sehr aufrecht und ruhig, innerlich aber zusammengeschmettert von dem, was zwischen Helene und dem Baron Rigoll vorgefallen, ebenfalls die
Prinzessin, sowie auch seinen Freund nicht aus den Augen ließ, ist begreiflich, wenn wir hinzufügen, daß er ja ebenfalls gesehen, wie sich Ihre Durchlaucht zugleich mit der Amour offensée jenes geheimnisvolle Papierstreifchen geben ließ, und weil er bemerkt, wie eifrig der Kammerherr gesucht hatte, sich der Prinzessin nähern zu dürfen. Als dieser nun von der eben gehabten Unterredung zurücktrat und dem Freunde darauf sein Gesicht zuwandte,
war dieses so strahlend und von Freude beglänzt, daß es selbst ihm, dem gewandten Hofmanne, nicht im Augenblick möglich war, die Spuren dieser Freude und dieses Glückes alsogleich vollständig zu verwischen, und es blieb davon noch so viel um den lächelnden Mund und die glückseligen Augen liegen, daß der Ordonnanzoffizier fragen konnte:
»Mir scheint, du hast mit deiner Unterhaltung reüssiert.«
»Reüssiert?« erwiderte der andere mit affektiertem Erstaunen; »ich wüßte nicht in was! Daß es mich freut, wenn Ihre Durchlaucht, eine der geistreichsten und liebenswürdigsten Damen der ganzen Welt, mit mir gnädig spricht, wirst du, denke ich, vollkommen begreiflich finden.«
»Ich würde
allerdings,« entgegnete Herr von Fernow, »nur an eine gnädige Unterhaltung denken; doch will mir deine Theorie nicht aus dem Kopfe; ich weiß nicht weshalb; aber ich fange an, an dieselbe zu glauben, und möchte fast überzeugt sein, daß das heutige Diner nicht nur für dich ein Augenblick des Glückes war, sondern daß du denselben auch richtig erfaßt hast.«
»Du kannst dein Spotten nicht lassen,« versetzte der Kammerherr,
»wirst aber vielleicht doch noch finden, daß meine Theorie eine ganz richtige ist.«
Es war aber noch eine dritte Person vorhanden, welche das Gespräch zwischen der Prinzessin und dem Kammerherrn nicht nur mit angesehen, sondern vielleicht auch belauscht hatte. Dies war der dienstthuende Kammerdiener des Regenten, Herr Kindermann, mit dem ewigen Lächeln. Die Prinzessin stand in der Fensternische, zunächst der Thür, welche Herr
Kindermann, als die Herrschaften den Speisesaal verlassen, sanft lächelnd hinter ihnen zudrückte, - schloß, könnten wir nicht sagen, denn er ließ eine unbedeutende Spalte offen, für Auge und Ohr brauchbar, welche er denn auch, angenehm lächelnd, abwechselnd mit diesen beiden Sinneswerkzeugen benutzte. Darauf richtete er sich schmunzelnd in die Höhe, fuhr lächelnd durchs Haar, zupfte lächelnd an seiner Halsbinde und öffnete ein
paar Augenblicke später beide Flügelthüren.
Ihre Durchlaucht hatte nämlich dem versammelten Hofstaate das bekannte Entlassungskompliment gemacht; dann verbeugte man sich ringsumher, krümmte den Rücken in alle Winkel, man knixte durch alle Grade, Säbel und Sporen klirrten abermals wie beim Empfang, die seidenen Kleider rauschten, und die Gesellschaft stob nach allen Richtungen auseinander. Viele der Herren und Damen behielten ihr
angenehmes stereotypes Lächeln bei bis auf die Treppe des Schlosses; da aber zogen sich manche Augenbrauen zusammen, mancher Hut wurde verdrießlich aufgesetzt, mancher Säbel etwas heftig in den linken Arm genommen, und der Befehl mancher Dame an ihren Bedienten, während sie in ihren Wagen stieg: »Nach Hause!« war von einem tiefen, mißmutigen Seufzer begleitet.
Fünftes Kapitel.
Im Kabinett des Regenten.
Der Dienst des Ordonnanzoffiziers war nach der Tafel für heute beendigt. Morgen kam ein anderer Glücklicher, der im Vorzimmer auf und ab spazieren ging, der Bekannte mit einem freundlichen Gruße empfing und Fremde mit einer gewissen Verbeugung entließ.
Da Herr von Fernow in dem Vorzimmer ein kleines Buch liegen gelassen hatte, so schritt er vom Speisesaal aus abermals durch den langen Korridor nach jenem Zimmer. Das Schloß lag
jetzt ebenso still wie in den Nachmittagsstunden, machte aber trotzdem nicht denselben schläfrigen und langweiligen Eindruck. Auf den Treppen und Gängen brannten Lampen, und ihr Schein zeichnete überall oft seltsame Licht- und Schattenbilder. Der einfache Dragonerposten im Vestibül war für die Nacht zu einem Doppelposten geworden, und die Lakaien, die sich ebenfalls hier befanden, saßen nicht mehr schläfrig auf den Banketts, sondern unterhielten
sich leise plaudernd und waren offenbar in besserer Laune als heute nachmittag; denn die Zeit ihres täglichen Dienstes war bald verflossen, und dann kam auch für sie die Stunde, wo sie zu Hause in ihrer bescheidenen Wohnung den goldbetreßten Rock ablegen durften, wo sie den Ihrigen von den ermüdenden Herrlichkeiten des Hofes erzählen und mit Vergnügen zuschauen konnten, wie lustige Kinder ihre sämtlichen Taschen untersuchten und so glücklich
waren, ein Stückchen eroberten Kuchen zu finden.
Das Adjutantenzimmer war erleuchtet, und selbst hier fand es der Ordonnanzoffizier nicht mehr so langweilig als an dem vergangenen Sonntagnachmittag, wo draußen der helle Sonnenschein blitzte und hier tiefe Schatten lagen. Jetzt war das ja umgekehrt. Die flackernden Lampen erhellten freundlich das weite Gemach, strahlten in den Spiegeln wider und glänzten auf die Goldrahmen und auf die blanke Spitze
der Leibdragonerstandarte, die hier aufgestellt war. Draußen in dem Hofe dagegen brütete die finstere Nacht; doch war selbst jener nicht so einförmig wie heute nachmittag im hellen Tageslicht. Man sah Stallleute mit Laternen bei geöffneten Remisen mit den Wagen beschäftigt, die bei der heutigen Spazierfahrt gedient.
Herr von Fernow warf sich in den kleinen Fauteuil am Fenster und blickte mit finsteren Gedanken auf das Treiben dort. - Auch
ihr Wagen war gewiß dabei. Vielleicht war sie an der Seite des Oberstjägermeisters niedergesessen, vielleicht hatte er während des Fahrens ihre Hand berührt, wenigstens ihr Kleid, ihren Mantel streifen dürfen, und wenn Fernow das dachte, so knirschte er mit den Zähnen und ballte die Faust, um gleich darauf schrecklich über sich selbst zu lachen.
»Er hat ja das Recht, ihre Hand zu berühren,« sprach er bebend zu sich selber;
»er hat ja das Recht, künftig beständig in ihrer Nähe zu sein; er hat ja alles Recht über sie, sie wird ja in kurzem sein Weib sein, - die Seinige, ganz die Seinige! Und ich wäre so namenlos glücklich gewesen, wenn ich nur zuweilen einmal still und vergnügt hätte in ihrer Nähe sein dürfen, den Blick ihres Auges sehen und vielleicht - in Augenblicken des Glücks« - das sagte er in Erinnerung an das heutige Gespräch mit grimmigem
Lachen - »ihre Hand hätte berühren dürfen. - Verfluchtes Schicksal, das dem einen alles, alles gibt, um dem anderen alles, alles zu nehmen.«
Er barg seinen Kopf in beiden Händen und brauchte sich nicht zu schämen, daß er plötzlich so unendlich weich gestimmt wurde, wie ihm dies seit seinen Knabenjahren nicht mehr begegnete. Er war ja allein in dem weiten Gemach, und wenn die spiegelnden Lichtstrahlen auch auf einen sonderbaren
Glanz in seinen Augen fielen, so verrieten sie nichts davon; ihnen war es ja gleichgültig, ob sie einem Glücklichen oder einem Traurigen leuchteten. Dazu pickte die Uhr einförmig, und draußen hörte man die beiden Dragoner langsam auf und ab schreiten, alles Sachen, die den jungen Offizier in immer tieferes Nachdenken wiegten. Bei dem, was er verloren, war es begreiflich, daß er mit einem bitteren Gefühl an die Theorie seines Freundes dachte, an
einen Augenblick des Glücks, welchen nach derselben jeder in seinem Leben einmal habe, den aber nur wenige Auserwählte zu erfassen vermögen. - - -
»Es ist das eigentlich ein gräßlicher Gedanke,« sprach er zu sich selber, indem er hastig von dem Fauteuil aufsprang, »zu denken, das Glück umschwebe einen, man brauche die Hand nur danach auszustrecken, aber man wisse weder den Augenblick, wo es uns nahe ist, noch nach welcher Seite wir
fassen müssen, um es zu erlangen. Wenn ich mir,« fuhr er nach einer Pause fort, »ein Sprichwort aus der Kinderzeit vergegenwärtige, daß auf Regen Sonnenschein folge, und daran glauben würde, so müßte ja der Augenblick des Glücks nahe sein, wenn man vom tiefsten Unglück berührt würde. - - Unglücklicher, als ich heute geworden bin, kann ich wohl nimmer werden. Warum sollte mir nicht vielleicht in diesem Augenblick das Glück
die Gunst erzeigen, mir nahe zu treten? Aber wo es erfassen? - wo? wo?«
Bei diesen Worten war er heftig auf und ab gegangen und hatte die letzteren lauter gesprochen, als gerade notwendig war; er erschrak auch fast über den Ton der eigenen Stimme, als die Wände des weiten Gemachs von seinem Wo wiederhallten. Er hätte lächeln können über sich selber, und seine Träume zerrannen so in der Luft, daß er sich erinnerte, er habe hier
durchaus nichts mehr zu thun, als sein Buch zu nehmen und dann nach Hause zu gehen. - Da hörte er mit einmal im Nebenzimmer den Klang einer Glocke, die ziemlich stark angeschlagen wurde. Ihm war dieser Ton wohl bekannt, er kam aus dem Kabinett des Regenten.
Der Ordonnanzoffizier eilte gegen die Thür des Vestibüls, um dort einen der Lakaien oder Kammerdiener zu rufen. Als er aber schon die Hand auf den Drücker gelegt hatte, blieb er plötzlich stehen, und es war, als spräche eine Stimme in ihm: Das ist der Augenblick des Glücks! - Obgleich er diesen Gedanken abweisen wollte, so trat er doch wieder in das Zimmer zurück, überlegte ein paar Sekunden, und wenn er auch gleich darauf hinaus
in das Vestibül zu gehen im Begriff war, so zog es ihn doch nach der anderen Thür, die er fast willenlos öffnete, und trat in ein Gemach, welches zu den Zimmern Seiner Hoheit führte.
»Vorwärts!« sprach er lächelnd zu sich; »was kann ein überflüssiger Diensteifer schaden? Du hast den Ruf der Glocke gehört, es ist niemand in der Nähe: also vorwärts!«
Wenige Augenblicke nachher öffnete er die
nächste Thür und stand in dem Kabinett des Regenten. Es war das ein kleines, freundliches Gemach, dicke Teppiche bedeckten den Boden, im Kamin loderte des noch kühlen Frühlingsabends wegen ein behagliches Feuer, und vor diesem stand ein kleiner Tisch, bestrahlt von einer starken Carcellampe, die an Bronzeketten von der Decke herabhing und an diesen auf und ab geschoben werden konnte. Diese Lampe war bedeckt mit einem weiten grünen Schirme, welcher das ganze
Licht auf den Tisch niederwarf und das übrige Zimmer in einer sanften Dämmerung ließ. Diese war auch wohl schuld daran, daß der Regent, der auf einem Sessel neben dem Tische saß, den Eintretenden nicht sogleich erkannte und in dem Glauben, es sei Herr Kindermann, ohne aufzublicken, sagte:
»Sehen Sie nach, ob Graf Schuler im Schlosse ist; ich möchte ihn einen Augenblick sprechen.«
Graf Schuler aber war der erste Adjutant des Regenten.
Als der Ordonnanzoffizier sich umwandte, um diesem Befehle Folge zu leisten und als dabei sein Säbel leise klirrte, blickte der Regent in die Höhe und sagte rasch: »Ah, Sie sind es, Sie waren noch im Vorzimmer?«
»Zu befehlen, Euer Hoheit,« erwiderte Herr von Fernow; »ich suchte draußen etwas, das ich vergessen, vernahm, daß jemand gerufen wurde, und da
keiner von der Dienerschaft in der Nähe war, erlaubte ich mir, einzutreten.«
»So, so,« sagte der Herzog, und dabei faßte er den Fuß der Lampe und schob sie so hoch empor, daß das volle Licht auf den jungen Offizier fiel. Dieser stand ruhig erwartend an der Thür und blickte mit seinen klaren, ehrlichen Augen nach dem Regenten hin.
»So, so,« wiederholte dieser und schien dabei über etwas nachzudenken, wobei er mit
den Fingern auf dem Tisch trommelte. - - »Ich wollte meinen ersten Adjutanten rufen lassen,« sprach er nach einer Pause, indem er lächelnd aufblickte, »und nun erscheint ungerufen mein letzter.«
»Ordonnanzoffizier, Euer Hoheit,« sagte Herr von Fernow nicht ohne Absicht.
»Ganz richtig, Ordonnanzoffizier,« entgegnete der Regent freundlich; »aber was nicht ist, kann werden. - Es ist vielleicht auch so gut,« setzte er nach einem abermaligen
Nachdenken hinzu.
»Ich würde mich außerordentlich glücklich schätzen, von Eurer Hoheit zu einem Dienste befohlen zu werden.«
Der Regent hatte sich bei diesen Worten des jungen Offiziers von seinem Stuhle erhoben, und indem er um einen Schritt näher trat, wobei er sich mit einem Arm auf den Kamin stützte, sagte er:
»Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit; aber es gibt Dienste, die man
eigentlich nicht befehlen will.«
»Wenn Euer Hoheit mir die Anleitung zu einem solchen Dienste geben wollten, so stehe ich mit meinem Leben dafür ein, daß derselbe aufs pünktlichste ausgeführt werden soll.«
Der Regent betrachtete den jungen Mann, der mit so festem und bestimmtem Tone zu ihm sprach, mit augenscheinlichem Wohlgefallen, wobei seine Blicke von dem schönen, ruhigen Gesichte leicht über dessen ganze
kräftige Gestalt hinabglitten.
»Wie kommt es,« sprach er nach einer Pause, »daß Sie noch nicht unter die wirklichen Adjutanten eingereiht wurden? Sie sind Rittmeister im Gardedragonerregiment und, wie ich mich beständig gehört zu haben erinnere, von musterhafter Aufführung im Dienste. Sie ziehen es wahrscheinlich vor, im Regimente fort zu dienen? - - Nicht?«
»Ich würde mich glücklich schätzen,
beständig um die Person Eurer Hoheit sein zu dürfen.«
»So? - das begreife ich nicht recht. Weiß der Kriegsminister darum?«
»Er kennt meinen Wunsch ganz genau, Euer Hoheit.«
»Warum schlug er Sie alsdann nicht zu einem meiner Adjutanten vor?«
Der junge Ordonnanzoffizier lächelte bei dieser Frage eigentümlich; dann sagte er mit seiner gewöhnlichen Offenheit: »Euer Hoheit werden mir
verzeihen, wenn ich diese Frage einfach mit der Bemerkung beantworte, daß ich Fernow heiße.«
»Richtig,« nickte der Regent; »ha! wahrlich! Ja, jetzt besinne ich mich, Ihr Vater stand mit dem Kriegsminister nicht auf dem allerbesten Fuße.«
»Auf dem allerschlechtesten, Euer Hoheit.«
»So ists. - - Wer kann allen diesen Fäden folgen? Es ist aber doch ein Glück, wenn man zuweilen hineingreift.«
»Euer Hoheit haben die Macht, dies zu thun,« sagte Herr von Fernow sehr ernst; »wir anderen aber müssen geduldig zusehen, wenn auch unser Lebensglück unter so manchen Fäden, die angeknüpft werden, leidet.«
Als das der junge Ordonnanzoffizier sagte, richtete sich der Regent aus seiner ruhigen Stellung am Kamin in die Höhe und blickte dem Sprecher forschend in die Augen: »Das klingt ja ganz elegisch! Ei, ei! jetzt besinne ich mich
auf mancherlei. Sie haben heute einen schlechten Tag gehabt!«
»Ja, euer Hoheit,« entgegnete Herr von Fernow mit großer Offenheit.
»Man sprach mir von Ihrer Leidenschaft für die schöne Ripperda. Ja, mein lieber Fernow, das sind Fäden, um bei unserer Anspielung zu bleiben, die ich nicht angeknüpft habe, und in welche hineinzufahren meine Hand nicht mächtig genug ist.«
»Leider, Euer Hoheit!«
»Da hätten Sie sich mit der Prinzessin besser stellen sollen,« fuhr der Regent lächelnd fort; doch wurde er gleich darauf sehr ernst und sagte: »Verzeihen Sie mir meine Heiterkeit; ich will Ihnen damit gewiß nicht wehe thun. Glauben Sie mir, ich fühle vollkommen, wie hart und schmerzlich der Vorfall heute nach der Tafel für Sie gewesen ist.«
Dabei reichte der Regent dem jungen Offizier die Hand, der sie tief gerührt ergriff
und fast an seine Lippen geführt hätte; doch hinderte dies der Fürst durch eine rasche Bewegung, die er gegen den Kamin machte, um auf die Standuhr zu sehen.
»Schon halb acht!« rief er aus; darauf schüttelte er mit dem Kopfe, legte die Hände auf den Rücken, ging bis ans Ende des Gemachs, und als er wieder zurückgekehrt war, trat er dicht vor den jungen Offizier, legte die Hand auf seine Schulter und sagte nach einem langen und
festen Blick: »Wir wollen den Grafen Schuler nicht inkommodieren; vielleicht können Sie mir einen Dienst erzeigen?«
»Ich werde mich glücklich schätzen!«
»Es ist kein Dienst gewöhnlicher Art,« fuhr der Regent ernst, fast finster fort; »wenn Sie wollen, ein delikater Dienst, und indem ich Ihnen denselben übertrage, beweise ich Ihnen kein gewöhnliches Vertrauen.«
»Euer Hoheit beweisen es gewiß
keinem Unwürdigen.«
Nach diesen Worten wandte sich der Regent um, ging mehrmals in dem kleinen Gemache auf und ab und nahm dann seine erste Stellung wieder ein.
»Ich brauche Ihnen,« sprach er, »als einem jungen Mann, der mit offenem Ohr und offenem Auge an unserem Hofe erscheint, wohl keine Andeutungen zu geben über die Spaltungen an demselben seit dem Tode meines Neffen. - - Sollte ich Ihnen die erst geben müssen,« setzte er mit
einem eigentümlichen Lächeln hinzu, »dann freilich würde es Ihnen schwer werden, mir im vorliegenden Falle zu dienen.«
»Euer Hoheit werden mir die Bemerkung verzeihen, daß ich diese Spaltung sehr genau kenne, da ich ja selbst schwer und schmerzlich darunter zu leiden habe.«
»Sie wissen,« sagte der Regent, »daß der so plötzliche und unerwartete Tod meines Neffen den Thron erledigte, daß er starb, ohne seinen Nachfolger gesehen zu haben. Nach dem Hausgesetz übernahm ich die Regentschaft und werde sie bis nach erfolgter Niederkunft der
verwitweten Herzogin behalten. Gewährt der Himmel dem Lande einen Prinzen, so würde ich nach dem Familienstatut die Regentschaft bis zur Großjährigkeit des neuen Herrschers führen, erhalten wir aber eine Prinzessin, so fällt der Thron nach dem Familienstatut, das die Kognaten ausschließt, an den nächsten Agnaten des verstorbenen Herzogs, und der bin ich - sein Onkel.«
Der junge Ordonnanzoffizier machte eine tiefe Verbeugung.
»Wie wir uns alle in den Willen des Schicksals fügen müssen, so würde das meine arme Nichte, die verwitwete Herzogin, in jedem Falle mit voller Ergebung thun und würde ihrem Kinde die gleich zärtliche Mutter sein, sei es ein Prinz, sei es eine Prinzessin. Es wird sie vielleicht vorübergehend betrüben, daß die Krone des Landes nicht bei ihren direkten Nachkommen bleibt; aber sie wird sich darein zu fügen wissen und die
Vorsehung nicht anklagen, die es so gewollt.«
Nachdem der Regent so gesprochen, machte er abermals einen raschen Gang durch das Zimmer, stellte sich hierauf näher zu dem jungen Mann und schaute ihn fest an, während er das Folgende sprach:
»Die Prinzessin Elise dagegen denkt anders. - Sie möchte selbst gern eine Art kleine Vorsehung sein und dem Schicksal nachhelfen, wo es nicht
galant genug wäre, einer schönen Dame das zu erfüllen, was diese sich in den Kopf gesetzt hat. - Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen.«
»Ich glaube Euer Hoheit zu verstehen.«
»Nun gut. - Wenn ich jetzt fortrede, junger Mann,« sagte der Fürst plötzlich mit einem kalten, fast drohenden Tone, »so beweise ich Ihnen ein Vertrauen, dessen Mißbrauch von den bedenklichsten Folgen sein könnte, nicht sowohl
für mich, als - für Sie. Es gibt Menschen mit dem besten Willen,« fuhr er gleich darauf in leichtem Tone und mit einer gefälligen Handbewegung fort, als er sah, daß ihm Herr von Fernow etwas antworten wollte; »Menschen, die mit dem besten Willen doch nicht im stande sind, - ein Geheimnis zu bewahren. Wenn Sie zu diesen gehören, mein lieber Fernow, so beendigen wir die Unterredung, und ich bitte, mir den Grafen Schuler zu rufen.«
»Wenn ich
es aber vorzöge, selbst zu bleiben, Euer Hoheit?« entgegnete der junge Mann, indem er eine leichte Verbeugung machte und dabei die rechte Hand wie beteuernd auf die Brust legte. Zugleich aber schaute er dem Regenten so offen und ehrlich und mit so festem Blick in das Gesicht, daß dieser mit einem lächelnden Kopfnicken antwortete:
»So nehmen Sie meine Worte von vorhin als eine leichte Verwarnung, die sich ein älterer Mann einem jüngeren
gegenüber wohl erlauben darf. - Hören Sie mich: Wie ich Ihnen schon andeutete, und wie Sie auch selbst wohl wissen, ist die Prinzessin Elise eine andere Natur als ihre Schwester. Mit unschätzbaren Eigenschaften des Geistes und auch des Herzens verbindet sie eine Lust zur Intrigue, die mich schon bittere Augenblicke gekostet hat. Statt einer Sache, die man nicht voraus berechnen kann, ihren Lauf zu lassen, interessiert sie sich schon beim Anfange so lebhaft für das
Ende, damit dies nämlich sein möge, wie sie es wünscht, daß sie alle möglichen Mittel aufbietet, selbst das Schicksal in die Bahnen zu lenken, die sie demselben in ihrer Laune vorzeichnen möchte. Man könnte sagen: die Laune eines Weibes! und achselzuckend vorübergehen; aber die Kombinationen der Prinzessin, wenn auch auf falschem Wege, sind dabei so geistreich, daß man sie überwachen muß, um irgend ein Unglück oder
wenigstens eine unsägliche Konfusion zu vermeiden. Sie kommt mir zuweilen vor wie einer jener alten Alchimisten, die, mit großen Kenntnissen ausgerüstet, alles daransetzen, den Stein der Weisen zu suchen, den sie freilich nie fanden, dagegen aber etwas anderes, irgend ein Fluidum oder ein Pulver zusammenstellten, dessen verheerende Wirkungen ihnen unbekannt waren und wodurch sie eben ihr eigenes Haus über ihren eigenen Köpfen zusammenstürzten. - Die
Prinzessin kann den Gedanken nicht ertragen, daß die verwitwete Herzogin dem Lande möglicherweise eine Prinzessin schenken könnte. - Ich begreife wohl, daß sie einen Thronfolger wünscht, indem sie alsdann der Hoffnung lebt, bei der künftigen Regentschaft ein bedeutendes Wort mitsprechen zu dürfen.« Das sagte der Herzog mit einem sarkastischen Lächeln.
»Wir anderen Menschenkinder,« fuhr er fort, »müssen uns unter den
Willen des Schicksals beugen, ein unruhiger Geist wie der der Prinzessin aber glaubt, wie ich Ihnen schon vorher andeutete, daß es Mittel und Wege gebe, selbst das unabänderliche Geschick ihrem Willen unterthan zu machen. Sie hat sich vorgenommen, es soll ein Prinz zur Welt kommen, und sie wäre im stande, sich mit Leuten einzulassen, die ihr begreiflich machten, man könnte ihren Willen auch in diesem Punkte durchsetzen. - Ich weiß nicht, ob Sie mich
verstehen.«
»Ich fürchte fast, Euer Hoheit,« antwortete Herr von Fernow.
»Gott soll mich bewahren,«fuhr der Herzog mit großem Ernste fort, »daß ich die Prinzessin, die bei ihrem klaren Verstand ein sehr edles Herz hat, für fähig hielte, je etwas Derartiges gegen ihre eigene Familie zu unternehmen, aber leider liebt sie nun einmal, mit dem Feuer zu spielen; und wenn man ihr eine Intrigue zeigt, deren Gelingen fast
unmöglich ist, so spornt sie das gerade an, die ersten einleitenden Fäden zu knüpfen, um sich selbst und anderen sagen zu können: Seht ihr, so könnte es gehen. Sie wird aber gleich darauf das ganze Gewebe zerreißen mit dem Zusatze: aber ich will nicht. - Es ist das ihre Manie. - Glauben Sie mir, lieber Fernow,« sagte der Regent zutraulicher, »daß aus demselben Grunde die Verbindung der schönen Ripperda mit dem Baron Rigoll angebahnt worden
ist. Hätte man ihr nicht gesagt: Das ist ja unmöglich, eine solche Verbindung kann nie zu stande kommen, es ist völlig widersinnig, das Fräulein jung, unabhängig, reich und schön - «
»Ja, sehr schön,« seufzte der Offizier.
»Der Oberstjägermeister von allem das Gegenteil: liegt darin Verstand? Ich finde keinen.«
»Das weiß Gott.«
»Hätte sich nicht alle Welt
dagegen erklärt, so würde sich die Prinzessin dieser fatalen Sache nicht mit ihrer unwiderstehlichen Leidenschaft angenommen haben. - Ja, recht fatal,« setzte er in sehr gütigem Tone hinzu; »und mir jetzt doppelt unangenehm, da ich einen kleinen Blick in Ihr Herz gethan, mein lieber Fernow. Ob da noch etwas zu machen ist, darüber kann ich nicht urteilen, da ich nicht weiß, wie genau Sie die junge Dame kennen. Rechnen Sie aber in jedem Verhältnisse auf
meine Hilfe, soweit ich helfen kann.«
Der junge Offizier wollte mit beredten Worten seinen Dank aussprechen; doch unterbrach ihn der Regent schon beim ersten Satze, indem er fortfuhr:
»Kommen wir zu Ende. Daß es viele dergleichen Sachen gibt, wo ich die Herzogin nicht konterkarieren kann und mag, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Sie soll meinetwegen die einleitenden Schritte zu einem Versuche thun, dieses Schloß mit allem, was
drinnen ist, mitten in die Stadt zu versetzen, und ich will ruhig zuschauen und dabei lächeln; dagegen ist es meine Pflicht, Fäden zu zerreißen, welche die Prinzessin unbesonnen zum Gelingen einer Sache anknüpft, an deren Ausgang sie selbst nicht glaubt, ein Ausgang, der sie selbst erschrecken, ja empören würde, wo sie sich aber von gewissenlosen Menschen raten läßt, die nur bezwecken, sie zu kompromittieren.«
»Wenn ich
mir erlauben darf, zu fragen,« sprach Herr von Fernow, »so wissen Euer Hoheit um die angeknüpften Fäden?«
»Vollkommen.«
»Und kennen die Ratgeber?«
»Gewiß. - Baron Rigoll ist einer von denen, für die es, wenn man ihren Worten glauben will, keine Schwierigkeiten gibt. Und dem etwas in den Weg zu legen,« setzte der Regent lächelnd hinzu, »würde Ihnen wohl gerade nicht unangenehm sein. Bei allem dem gehört es mit zu der Art, wie die Prinzessin ihre Geschäfte besorgt, daß sie ihre sogenannten guten Freunde,
die mit ihr an demselben Werke arbeiten, voneinander fern zu halten weiß, so daß der eine nie klar sehen kann, was der andere neben ihm thut. Einer ihrer schlimmsten Ratgeber ist jemand, der weder im Schlosse wohnt, noch Zutritt in demselben hat, den die Prinzessin nie oder höchst selten sieht, und der seine Botschaften auf die eigentümlichste Weise in ihre Appartements einzuschmuggeln versteht. - Auch darin findet die Prinzessin einen eigenen Reiz, ein
Zeichen zu erspähen, irgend öffentlich eine Botschaft zu vernehmen, worin sich ein Satz befindet, der für sie eine ganz besondere Bedeutung hat. - Du lieber Gott! ich habe ihr selber oft den Gefallen erzeigt und in der Art mit ihr korrespondiert. - Doch das ist vorbei.«
Die letzten Worte sprach der Regent in fast trübem Tone, während er sich mit der Hand über die Augen strich.
Herr von Fernow hatte diese Bewegung
kaum bemerkt, denn als der Regent von den geheimnisvollen Botschaften sprach, die von außen in das Schloß gelangen, fiel ihm mit einem Male die Geschichte mit dem Bouquet vor der Tafel ein.
»Früher,« fuhr der Regent fort, »habe ich mich, wie gesagt, wenig um dergleichen geheimnisvolle Winke oder Worte bekümmert; der vorliegende Fall dagegen bedingt das anders, und ich muß wissen, was hin und her korrespondiert wird. - heute vor der
Tafel - «
»Ah!« stieß der junge Offizier in so ausdrucksvollem Tone heraus, daß ihn der Regent fragend ansah und ihn, als er ehrerbietig schweigen wollte, durch eine Handbewegung zum Sprechen aufforderte.
»Heute vor der Tafel,« fuhr demgemäß Herr von Fernow fort, »sahen wir im Vorzimmer Ihrer Durchlaucht ein prachtvolles Blumenbouquet.«
»Wir?« fragte der
Regent.
»Baron wenden und ich. Wir waren beide im Dienst.«
»Ganz richtig, Baron Wenden.«
»Wir führten ein eigentümliches Gespräch und im Verlauf desselben faßte Wenden mit der Hand in das Blumenbouquet und war überrascht, in demselben verborgen einen Papierstreifen zu finden.«
»Es ist möglich. Fahren Sie fort. Unsere Bemerkungen treffen sich.«
»Wenden entrollte
den kleinen Papierstreifen und versicherte mir, er sehe keine Zeichen daran. Ich glaubte ihm, doch als er hierauf das Papier gegen das Licht hielt, sah ich, wie seine Gesichtszüge für einen Augenblick höchst überrascht erschienen.«
»Natürlich. Das Papier war durchstochen und diese Stiche hatten eine Bedeutung. - Weiter? Ich will doch hören, was Sie ferner gesehen.«
»Nach der Tafel,« fuhr der junge Mann in einem
trüben Tone fort, »wurde jene Verlobung verkündigt . . .«
»Und das benahm Ihnen alle Lust zu weiteren Nachforschungen?« sagte lächelnd der Regent.
»Es war beinahe so, ich gestehe es Eurer Hoheit.«
»Nun, dann will ich Ihnen den Verlauf erzählen, Baron Wenden wandte sich an die Prinzessin; - es ist das ein junger Mann, der schnell seinen Weg machen möchte - er versicherte sie seiner unbedingten
Ergebenheit, und die Prinzessin befahl ihm, er solle sich heute abend um neun Uhr in ihrem Kabinett einfinden.«
»Aber Euer Hoheit,« entgegnete erstaunt der junge Offizier, »standen weiter von jener Fensternische entfernt als ich, und ich vernahm nicht das mindeste von dem sehr leise geführten Gespräch.«
»Das ist wohl möglich,« antwortete der Regent; »aber Sie können mir glauben, daß es sich so verhält, und Sie
werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu überzeugen. Es ist mir nämlich alles daran gelegen, daß die Unterredung dieses Abends nicht stattfinde; ich will nicht, daß die Prinzessin ihre, gelinde gesagt, komischen Anschläge und augenblicklichen Eingebungen noch anderen Ohren preisgebe, sich weiter kompromittiere. Der Dienst, den Sie mir leisten können, besteht also in folgendem: Sie begeben sich um halb neun zu Kindermann, der wird Sie in einen
Saal führen, den der Baron auf seinem Wege zu passieren hat. Dort halten Sie ihn im Gespräche auf: begreiflicherweise wird er sehr eilig sein und Ihnen nicht Rede stehen wollen. Da Sie ihn aber genau kennen, so gelingt es Ihnen vielleicht, ihn hinwegzuführen; meinetwegen können Sie ja etwas davon fallen lassen, ich, der Regent, sehe es nicht gern, wenn das Schloß um die angegebene Stunde, ohne daß irgend eine Gesellschaft befohlen sei, auf
geheimnisvolle Art besucht werde. Vielleicht komme ich sonstwie Ihrer Unterredung zu Hilfe; nützt aber das alles nichts, so sind Sie in Ihrem Dienst, Sie verhaften den Baron Wenden mit der größten Ruhe und bringen ihn nach Hause; auf alle Fälle hat er Ihnen dort sein Ehrenwort zu geben, daß er so lange in seiner Wohnung bleibt, bis es mir beliebt, anders zu verfügen. Morgen werden Sie mir über das Ganze Bericht erstatten. Sollte sich dagegen etwas
Außergewöhnliches ereignen, so bin ich schon heute abend für Sie zu sprechen.«
Herr von Fernow verbeugte sich ehrerbietig vor dem Regenten, dankte ihm in einigen Worten für sein Zutrauen, und als sich der Fürst darauf mit einem freundlichen Kopfnicken und einer leichte Handbewegung verabschiedet, verließ er das Kabinett, ging durch den Vorsaal bei den Dragonern im Vestibül vorbei, ließ sich von den Bedienten erstaunt
anschauen, die nicht begreifen konnten, was er um diese Zeit hier zu machen habe, und trat dann an der Nebentreppe ins Freie.
Draußen war es indessen sehr dunkel geworden, obgleich sich der Himmel klar und schön wie am vergangenen Tage auch jetzt noch über der Erde wölbte, mit Myriaden von Sternen, die in vielerlei Farben funkelten und blitzten und durch die eigentümliche Stellung zu einander jene Figuren zeigten, die wir Sternbilder
nennen.
Der Ordonnanzoffizier ging durch das Schloß und trat auf die große Terrasse vor dem Hauptportal, wo er die nächtliche Stadt mit ihrem Duft und Nebel, mit ihren langen, jetzt weiß leuchtenden Straßenlinien, mit ihren blitzenden Lichtern hier und da, mit Wagengerassel, entfernter Musik, mit ihrem unaufhörlichen Summen und Sausen vor sich liegen sah. Er hatte seinen Mantel umgenommen, eine Zigarre angezündet, und wenn er,
den süßen Dampf einziehend, auf dieselbe blickte und den kleinen leuchtenden Punkt immer größer werden sah, so war er im stande, seine Gedanken zu konzentrieren und eigentümlichen Träumereien nachzuhängen. Was hatte er am heutigen Tage alles erfahren! Wie war sein Herz so verwundet worden! Wie hatte er zum erstenmal so wild und stürmisch gefühlt, daß er jenes herrliche Mädchen liebe, innig liebe, ja mit aller Kraft seiner
Seele liebe, - - hoffnungslos liebe! Und darauf der Abend! Das, was ihm im Kabinett des Regenten begegnet war! Hatte er nicht vielleicht das Glück ergriffen, als er jenem Ruf der Klingel folgte? O ja, es mußte so sein, die Theorie des Baron Wenden war richtig, es gab einen Augenblick des Glücks, dann aber auch, da es kein Licht ohne Schatten gibt, ebensogut einen Augenblick des Unglücks.
Sechstes Kapitel.
In Kabinett des
Kammerdieners.
Träumereien und Zigarre waren zu Ende, als die Schloßuhr acht schlug und eine Menge geschwätziger Glocken in der Stadt dieses wichtige Ereignis lautklingend und fröhlich verkündeten, als erzählten sie eine große Merkwürdigkeit.
Der junge Ordonnanzoffizier schritt nach der hinteren Seite des Schlosses zu, mit einem tiefen Seufzer an den Himmel blickend, wobei er den Namen »Helene« mehrmals
und innig aussprach. Daß in diesem Augenblick ein blitzender Stern über einen Teil der dunklen Wölbung droben niederfuhr, nahm er als eine gute Vorbedeutung; denn man sagt ja, die Sternschnuppe verheiße die Erfüllung eines Wunsches, an den man beim Erblicken derselben dachte; was aber Herr von Fernow dachte, als er gen Himmel blickend den Namen Helene aussprach, brauchen wir weder unseren geneigten Lesern und noch viel weniger unseren geneigten Leserinnen
zu erklären.
Der gewöhnliche Aufenthaltsort des ersten Kammerdieners Kindermann war ein kleines Zimmer in der Nähe des herzoglichen Kabinetts, und dahin begab sich gemäß dem erhaltenen Befehle der Ordonnanzoffizier und klopfte leise an die Thür. Innen rief man: Herein! und dieses Herein klang so angenehm und freundlich, daß man in diesem Herein ordentlich das lächelnde Gesicht des Herrn Kindermann sah.
Der würdige alte Herr
befand sich auch in dem kleinen Gemache, lächelte dem Eintretenden freundlich entgegen und machte beim Anblick des Offiziers mit solcher Umständlichkeit seine Anstalten, um aus dem bequemen Lehnstuhle aufzustehen, daß Herr von Fernow nichts Eiligeres zu thun hatte, als den alten Herrn zu bitten, ja ihm zu befehlen, sitzen zu bleiben.
»In der That, man wird müde,« sagte Herr Kindermann und dabei dämpfte er sein Lächeln ein wenig, um
es gleich darauf wieder um so heller aufstrahlen zu lassen, als er hinzusetzte: »daher thut es einem alten Manne nach vollbrachtem Tagewerk so wohl, in stiller Beschaulichkeit ein wenig ausruhen zu können. Wenn ich aber sitzen bleiben soll, gnädiger Herr, so müssen Sie mir die außerordentliche Ehre erzeigen, sich ebenfalls am Kaminfeuer ein wenig niederzulassen; im anderen Fall zwingen Sie mich, aufzustehen, meinen Frack anzuziehen und in der mir zukommenden
Haltung neben Ihnen aufrecht zu verharren.«
Herr Kindermann hatte nämlich sein Dienstkleid ausgezogen und steckte mit der weißen Halsbinde, mit dem lächelnden Gesichte, den wohlfrisierten Haaren und untadelhaften Schuhen und Strümpfen in einer feinen weißen Pikeejacke, die aber augenscheinlich zu lang und zu weit für ihn war, was wohl daher kommen mochte, daß die Persönlichkeit des Regenten größer und breiter
war als die seines Kammerdieners. Auch saß Herr Kindermann nicht trocken vor dem hell lodernden und sanft wärmenden Kamine. Auf dem Gesimse desselben stand eine zierliche kleine silberne Punschbowle, aus welcher es ganz allerliebst duftete.
Da der Ordonnanzoffizier einmal saß, so mußte er sich aus dem Getränke der Bowle ein kleines Glas auffüllen lassen, woran er auch zur großen
Zufriedenheit des Kammerdieners nippte. - Dieser sah auf die Uhr und sagte:
»Wir haben vollkommen Zeit; noch eine gute halbe Stunde, und auch dann werden Sie in dem großen Saale dort oben noch lange genug warten müssen. So ist es denn doch offenbar besser, wir warten hier unten, als da oben. Zu lange dürfen wir uns dagegen auch nicht aufhalten, denn man weiß nie, was passieren kann. Unter uns gesagt, Herr von Fernow, mich freut es
außerordentlich, daß Sie gerade im Vorzimmer waren und zufällig ins Kabinett seiner Hoheit traten. Das sind Augenblicke, die zu viel Gutem führen können.«
»Augenblicke des Glücks,« sagte lachend der Offizier.
»Gewiß, Augenblicke des Glücks,« fuhr Herr Kindermann wohlgefällig lächelnd fort; »aber in der That, es freut mich gerade für Sie. Ich habe den Papa sehr wohl gekannt; Seine Exzellenz
waren ein scharmanter und liebenswürdiger Herr. und umgänglich, Herr von Fernow, sehr umgänglich. Ich kann Sie versichern, Seine Exzellenz traten nie in dies kleine Vorzimmer, ohne zu mir zu sprechen: »Herr Kindermann, wie gehts Ihnen?« oder: »Herr Kindermann, wie haben wir geschlafen?« Und ich versichere Sie, das Wir war ein Akt der Vertraulichkeit, den ich wohl zu würdigen verstand. Unter dem Wir meinte Ihr Papa auch noch was anderes. Ebenso wenn er fragte:
»Herr Kindermann, was haben wir heute für Wetter?« Damit meinte er nicht, ob es draußen regnete oder ob die Sonne schien, sondern er wollte wissen, ob sonstwo der Himmel klar oder stürmisch sei. Und dabei kann ich Sie versichern, daß ich Seiner Exzellenz in diesem Punkte immer die besten Andeutungen gab. Gewiß, Seiner Exzellenz, Ihrem Herrn Papa, habe ich nie falsch berichtet.«
»Und sonst kam es Ihnen nicht darauf an, Herr Kindermann,
vielleicht hier und da ein falscher Wetterprophet zu sein?«
Herr Kindermann hatte sein Glas ergriffen, schielte, ehe er es zum Munde führte, mit einem unaussprechlichen Lächeln nach dem Lichte hin, nahm einen tüchtigen Zug und antwortete:
»Es gibt ein altes Sprichwort: »Wie man in den Wald hineinschreit, so hallt es heraus«; und ich kann Sie versichern, Herr von Fernow, es gibt an jedem Hofe unbedachtsame Leute, die einen
Kammerdiener des regierenden Herrn nur wie ein Ding betrachten, wie eine Sache, gut genug, um anzumelden und die Thür zu öffnen. Und das ist doch eine sehr unrichtige Auffassung unserer Stellung.«
»Allerdings eine unverantwortliche Auffassung.«
»Freilich sitze ich weder im Staatsrate, noch habe ich Stimme im Ministerium,« fuhr Herr Kindermann leise schmunzelnd fort; »dagegen aber,« setzte er mit großem Selbstgefühl hinzu,
während er leicht seine weiße Halsbinde strich, »dagegen bin ich es, der Seine Hoheit in unbewachten Augenblicken sieht, der Höchstdemselben die Halsbinde knüpft, ihm den Säbel umschnallt und der ihm vor allen Dingen Parfüm auf das Sacktuch träufelt. - Sie sehen mich erstaunt an, Herr von Fernow; aber ich bin gegen Sie ungeheuer offenherzig, schon dem Andenken an den Papa zuliebe; und ich versichere Sie, die drei soeben genannten Verrichtungen,
namentlich die letztere, sind für mich von der größten Wichtigkeit. Verstehen wir uns recht. Es ist da irgend etwas los, worüber ich gar zu gern die Meinung Seiner Hoheit hören möchte. Nun ist es mir aber um alles in der Welt nicht erlaubt, den Herrn geradezu anzureden. Ich knüpfe also die Halsbinde ein wenig fester als gewöhnlich; Seine Hoheit sagt vielleicht gar nichts darauf, sondern macht mir ein Zeichen, sie lockerer zu knüpfen. Das
ist alsdann schlimm. Seine Hoheit bemerkt aber auch vielleicht: »Kindermann, wir sind heute aber auch verdammt ungeschickt.« Das ist schon ermutigender, und ich seufze dagegen und spreche: »Ja, es ist wahr, Euer Hoheit, wir sind zuweilen recht ungeschickt.« - Ist das heraus, so wette ich zehn gegen eins, der Herzog fängt an zu lachen und sagt z•B•: »Nun, Kindermann, das Wir bitte ich mir aus!« - Sehen Sie, Herr von Fernow, dann habe ich gewonnenes Spiel: Es ist dann gerade so,
als wenn man eine Mühle aufzieht. Zuerst dreht sich das Rad widerstrebend, ist es aber einmal im Gange, so können Sie mir glauben, daß Kindermann sein Korn zu mahlen versteht, wie irgend ein anderer.«
»Das ist wirklich ganz erstaunlich,« sagte lachend der Ordonnanzoffizier, »und ich werde mir von Ihren Andeutungen einiges zu nutze machen.«
Herr Kindermann hatte abermals einen tüchtigen Schluck seines vortrefflichen
Ananaspunsches zu sich genommen und fuhr dann fort:
»Oftmals aber nützt mir weder Halsbinde noch Säbel. Was den letzteren anbelangt, so wähle ich nämlich in gewissen Fällen einen, der Seiner Hoheit nicht konveniert. Heißt es nun kurz und barsch: Einen anderen! so wird ganz einfach das Taschentuch mit Eßbouquet beträufelt. Seine Hoheit ziehen nämlich Eau de Cologne vor. Das ist jedoch mein letztes verzweifeltes Mittel
und wird in der That nur bei großen Angelegenheiten angewandt. Sie wissen selbst, Herr von Fernow, daß nichts so sehr die Erinnerung an etwas aufs lebhafteste zurückruft, als der Duft irgend einer Pflanze, eines Parfüms. Wir haben das ja alle erfahren. Riechen wir im Frühjahr das erste Heu, so überfällt uns ordentlich wehmütig der Gedanke an die Jugendzeit, wo wir die Schule schwänzten, um im Freien herumzulaufen. - Nun überkommt
aber den Regenten eine ganz eigentümliche Erinnerung, - das Nähere gehört nicht hierher - wenn Höchstdieselben Eßbouquet riechen. Das stimmt Seine Hoheit weich und macht ihn nachdenklich; ja, er kann sich dabei so in seine Phantasien vertiefen, daß ich nur etwas laut zu husten brauche, um gefragt zu werden: »Was haben Sie gesagt, Kindermann?« Und wenn man gefragt wird, so darf man antworten. - Aber Sie trinken gar nicht von diesem wirklich kostbaren
Punsche, Herr von Fernow! Thun Sie das ja! Die Nachtluft ist kühl, und droben in den Sälen ist es um diese Zeit gar nicht behaglich.«
Bei diesen aufmunternden Worten hatte der Kammerdiener sein Glas zwischen beide Hände genommen, drehte es hin und her und erfreute sich sanft lächelnd an den kleinen Ringeln, die sich in der goldgelben Flüssigkeit zeigten; auch roch er daran, ehe er abermals trank..
»Es freut mich in der That, Herr Kindermann,« unterbrach der Ordonnanzoffizier die Stille, »daß Sie sich meines Vaters auf so angenehme Art erinnern, es geht nicht
allen Leuten so.«
»Weiß wohl, weiß wohl,« entgegnete der Kammerdiener; »Sie müßten lange Major sein und Adjutant, und deshalb ist es gerade gut, daß Sie heute abend Seine Hoheit im Vertrauen gesprochen. Wir werden schon darauf zurückkommen. - Apropos,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »etwas anderes in Ihren Angelegenheiten hätte ich mir nicht so stillschweigend gefallen lassen.«
»Und das ist?« fragte
eifrig und aufmerksam der andere, denn er ahnte schon, was kommen würde.
»Nun, die Verlobung, die wir heute gefeiert haben. Ah! das ist ja ein Skandal, und ich werde mich der Sache ganz besonders annehmen.«
»Wenn das was helfen könnte, würde ich Ihnen zu großem Danke verpflichtet sein.«
»Was helfen könnte? - Es ist freilich schon spät! der Karren ist schon ziemlich verfahren.«
»Und Ihre wichtige Hilfe vielleicht schon unnütz; denn wer kann wissen, ob das Fräulein nicht mit der Partie einverstanden ist?«
»Den Teufel auch! das kann ich wissen,« rief Herr Kindermann, und es hatte fast den Anschein, als wolle sein Gesicht für einen Augenblick ernst werden; doch überwand er diese Abnormität, und seine Augen strahlten fort und fort in ihrem angenehmen Lächeln, während er sagte: »Das Fräulein ist
untröstlich, und es hat schon ganz absonderliche Szenen gegeben. Da hätten Sie energischer auftreten oder sich dem alten Kindermann anvertrauen sollen; der hat schon manchen guten Rat gegeben, das kann ich Sie versichern.«
»Davon bin ich fest überzeugt,« erwiderte Herr von Fernow, »und wenn ich noch jetzt und recht dringend darum bäte?«
Der Kammerdiener schüttelte seinen Kopf und gab nach einer Pause zur Antwort:
»Vorderhand muß man den Faden laufen lassen, aber die Augen offen behalten, und wo sich etwas zeigt, was uns nützen kann, nicht blöde sein und zugreifen. Wenn Sie mich Ihres Vertrauens wert halten,« - und dabei wurde das Lächeln des Herrn Kindermann feierlicher, und er hob seine Nase sehr hoch in die Höhe -, »so haben Sie die Freundlichkeit, mich auf dem Laufenden zu erhalten über das, was Sie in Ihren Angelegenheiten hören und
sehen.«
»Das will ich mit dem größten Vergnügen thun und bin entzückt,« sagte der junge Mann nicht ohne einen Anflug von Schmeichelei, »die für mich wichtige Sache in so guten Händen zu wissen. Nehmen Sie im voraus meinen besten Dank, und seien Sie von meiner beständigen Erkenntlichkeit überzeugt.«
Indem er das sagte, hatte er einen Blick auf die Uhr
geworfen und sich erhoben, als er bemerkte, daß der Zeiger auf halb neun wies. Herr Kindermann folgte ruhig und bedachtsam seinem Beispiele, und nachdem er mit einer wahrhaften Feierlichkeit den letzten Rest des Punsches vertilgt, entgegnete er:
»Wie ich Ihnen schon früher bemerkt, Herr von Fernow, bin ich es dem Andenken Ihres Vaters schuldig, für Sie mein möglichstes zu thun. Ich kann Sie versichern, Kindermann vergißt nie eine
freundliche Behandlung. Jetzt will ich aber ein bißchen Toilette machen und dann gehen wir.«
Zu diesem Zwecke zog sich der Kammerdiener hinter einen grauen Vorhang zurück, wo sein Bett stand, und als er wieder zum Vorschein kam, war er statt der weißen Pikeejacke mit einem so langen grauen Rocke bekleidet, daß man von seinen weißen Strümpfen nicht das Geringste mehr sah und nur die Spitzen der Schuhe hervorblickten.
Darauf gingen beide miteinander fort.
Statt aber den gewöhnlichen Weg über die Stiegen und die breiten Korridore zu nehmen, gingen sie hinter dem Appartement des Regenten durch eine Thür, die Herr Kindermann öffnete und sorgfältig wieder verschloß, dann eine Wendeltreppe hinauf und kamen oben in einen schmalen Gang, der durch das ganze Schloß lief, dabei weder Fenster noch sonstige Öffnungen hatte und durch Lampen
erhellt wurde, die unaufhörlich Tag und Nacht brannten. Diesem Gange folgten sie eine weite Strecke, dann öffnete der Kammerdiener auf der rechten Seite abermals eine kleine Thür, und beide betraten einen Durchgang, durch welchen sie in den uns wohlbekannten großen Saal gelangten, wo die Familienbilder an den Wänden hingen und der unmittelbar neben dem Speisesaal sich befand. Dieser weite Bildersaal lag still, fast unheimlich da, denn obgleich auf zwei
Konsolen vor den gewaltigen Spiegeln am unteren und oberen Ende Carcellampen brannten, so waren diese doch nicht im stande, die tiefe Dunkelheit in dem Saale gänzlich zu verdrängen; wenn sie auch an den beiden Enden eine kleine Helle um sich verbreiteten, so blieb doch in der Mitte des Saales eine solche Dämmerung, daß jemand, der sich dort befand, von weitem unkennbar war und nur wie ein Schatten aussah.
Herr Kindermann führte den
Ordonnanzoffizier zu einer der Fensternischen, welche, tief in die Mauer gehend und mit schweren breiten Vorhängen garniert, noch dunkler waren. »Hier ist Ihr Platz,« sagte er, »und da ich die Sache genau überlegt habe, so ist es besser, wenn Sie die Verhaftung des Barons als das letzte und äußerste Mittel betrachten.«
Der Ordonnanzoffizier blickte den Sprecher mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens an, was aber dieser begreiflicherweise
nicht bemerken konnte; doch sprach Herr von Fernow lachend: »Mir scheint, Herr Kindermann, Sie haben heute abend sehr stark Eßbouquet aufgeträufelt.«
»Das war nicht nötig,« entgegnete der andere mit dem ruhigsten Tone von der Welt; »da mich Seine Königliche Hoheit bei dieser Angelegenheit brauchen, so hat es Höchstderselben beliebt, mich von der Sachlage in Kenntnis zu setzen.«
»Was ich begreiflich finde,« versetzte
schnell einlenkend der Ordonnanzoffizier.
»Dort links ist der Speisesaal, wie Sie wissen,« erklärte Herr Kindermann; »und der Baron wird von rechts kommen. - Glauben Sie mir,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »Sie haben Ihr Glück in der Hand. Es ist eine delikate Sache, und je feiner Sie sie behandeln, desto dankbarer wird Seine Hoheit sein. Wie ich mir Ihnen schon zu bemerken erlaubte, ich mag die Verhaftungen nicht. Warten Sie
damit so lange als möglich, und geraten Sie in eine Verlegenheit, so bin ich vielleicht im stande, Ihnen daraus zu helfen. - Jetzt halten Sie gute Wache, Sie haben noch volle zwanzig Minuten und damit genugsam Zeit zur Überlegung.« Bei diesen Worten machte er eine Verbeugung, glitt dann wie ein Schatten in die Dunkelheit zurück und verschwand auch geräuschlos wie ein solcher.
Den im Saale Harrenden bewegten seltsame Gedanken, als er jetzt in dem
Halbdunkel auf und ab schritt. Es kam ihm gerade vor, als wenn er sich vor dem Feind befände und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf jedes Geräusch hören müsse, das auch in weiter Ferne vernehmbar wurde. Er hatte seinen Säbel fest an sich gedrückt und machte so langsame Schritte, daß ihm zwischen jedem derselben fast eine Sekunde Zeit blieb, und er so während des Auf- und Abwandelns jedes Nahen des Erwarteten hören konnte.
Was war in der Zeit, seit er heute vor der Tafel diesen Saal betreten, bis jetzt nicht alles von ihm erlebt worden! Oft glaubte er, in diesen wenigen Stunden seien Monate verflossen, traurige Monate, in denen er sich allmählich an den Verlust Helenens gewöhnt hatte. Waren es vielleicht die Worte des Regenten, er möge in dieser Sache auch auf ihn rechnen, welche ihm neue Hoffnung gaben, oder glaubte er sonst an ein glückliches Ungefähr, das den Baron
Rigoll von seinem Ziele zurückwerfen würde, oder hatte er sich beruhigt und als ein vernünftiger Mensch sich gesagt: »Wie kannst du von Fräulein von Ripperda verlangen, daß sie warten wird, bis es dir einmal beliebt, dich anders auszusprechen, als durch kleine Aufmerksamkeiten und allenfalls durch süße Augen - und wenn du dich ausgesprochen hättest, wer weiß, welche Antwort dir das stolze Mädchen gegeben? - O Gott, ja,« seufzte er,
»wie schön und wie stolz!« Es war ein Glück, daß er so innig und viel an Helene dachte, denn so blieb ihm nur wenig Zeit übrig für die bitteren Empfindungen, die in der That in ihm aufstiegen, wenn er sich entsann, daß er im Begriffe sei, einen guten Freund, wie Baron Wenden, so mir nichts dir nichts in Haft zu nehmen. - Verfluchter Auftrag! - Und so grausam des armen Wenden Theorie vom Augenblick des Glücks und Unglücks zur Wahrheit zu
machen!
Herr von Fernow befand sich unter diesen Gedanken und unter dem Eindrucke der Situation in einer größeren Aufregung, als er selbst wußte. Zuweilen seufzte er tief auf und fühlte dann wohl, wie sein Herz lauter und schneller als gewöhnlich schlug. Jetzt drückte ihn seine