Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Der Bär und der Liebhaber seines Gartens
eingestellt: 28.6.2007
Ein unerfahrner Bär voll wilder Traurigkeit,
Den in den dicksten Wald sein Eigensinn verstecket,
Vertrieb, unausgeforscht, durch Klipp und Berg gedecket,
Wie ein1) Bellerophon die Zeit.
Hier sträubet sich der Petz; er liebt nur diese Kluft,
Und meidet stets
die Spur der Bären, seiner Brüder.
Mit Brummen wälzt er sich im Felsen auf und nieder;
Sein schwaches Haupt2) scheut freie Luft.
Dieß macht ihn ganz verwirrt. Ihm gleicht vielleicht die Zunft
Der Weisen dunkler Art, der steifen Sonderlinge;
Die fliehen Licht und Welt, und haschen Wunderdinge;
Nur nicht die Gabe der Vernunft.
Einst, als er saugend3) sinnt, wird ihm sein Lebenslauf
(Wenn das ein Leben ist) auf einmal sehr verdrüßlich.
Er will gesellig seyn; dieß hält er für ersprießlich,
Und kurz: er macht sich taumelnd auf.
Wohin? das weiß er nicht:
das Glück mag Führer seyn,
Das Glück, der Thoren Witz. Nicht weit von seiner Höle
Lebt ein bejahrter Mann mit unerweckter Sele,
Fast wie der Petz, stumm und allein.
Auch der sucht keinen Scherz, der andern artig scheint.
Was Herbst und Sommer zollt, des grünen Frühlings Gaben
Vergnügen seinen Fleiß. Ich müßt ein mehrers haben:
Was aber? Einen klugen Freund.
Der Floren bunter Schmelz entzücket das Gesicht;
Pomonens Ueberfluß kann tausend Freude machen;
Man darf mit Blum und Frucht vertraulich reden, lachen;
Doch nur in Fabeln: weiter nicht.
Nicht wahr? die Einsamkeit ist nicht auf ewig schön.
Unmitgetheilte Lust
muß Ueberdruß erwecken;
Der bringt den Greis ins Feld, um Menschen zu entdecken.
Mein Timon wird zum Diogen.
Er wandert nach dem Forst; hier irrt er hin und her,
Und mißt und sucht die Bahn auf unbekanntem Stege.
Zulegt begegnet ihm, in einem holen Wege,
Ein andrer Eremit, der Bär.
Er stutzt. Was soll er thun? Zur Flucht ist keine Spur.
Er fasset sich; hält Stand: das wird gut aufgenommen.
Petz sieht ihn gnädig an und spricht. Mein Freund, willkommen,
Besuche mich, und eile nur.
Der Greis versetzt gebückt: Die Gunst verpflichtet mich.
O würde mirs erlaubt, in meinem nahen Garten
Mit einem schlechten Mahl gehorsamst aufzuwarten!
Der Vorzug wäre königlich.
Ich habe Milch und Obst; zwar weiß ich gar zu wol,
Die Kost ist ziemlich schmal für euch, ihr Herren Bären;
Ihr Grossen dieser Welt, ihr könnet besser zehren:
Doch auch mein Honigtopf ist voll.
Der Vorschlag wird beliebt; noch zeigt sich nicht das Haus,
Da
die Bekanntschaft schon recht preislich angegangen.
Es will so gar der Bär den neuen Freund umfangen;
Doch der bedankt sich, und weicht aus.
Bald haben diese zwey den schönsten Bund gemacht.
Sie bleiben ungetrennt und werden Hausgenossen.
Der eine pflanzet, impft und wartet seiner Sprossen;
Der andre legt sich auf die
Jagd.
Unwissenheit und Ernst schliesst öfters beider Mund;
Es nährt sich ihre Treu durch beider stumme Blicke.
Man machet sich die Lust aus diesem Eintrachtglücke
Einsylbigt, auch nur selten, kund.
Petz kehret einmal heim; da schlummert sein Orest
Zur schwülen Mittagszeit. Er gehet bey ihm liegen,
Bewacht den Schlafenden, zerstreut den
Schwarm der Fliegen,
Der seinen Wirth nicht ruhen lässt.
Er schnappt, fängt, scheuchet, lauscht, gafft nach dem Alten hin,
Und sieht auf dessen Stirn sich eine Raupe regen;
Ha! brummt er: dir will ich das Handwerk zeitig legen!
Geschmeisse, wisst ihr, wer ich bin?
Er holt den größten
Stein; und, weil ers treulich meint,
So muß durch einen Wurf so Raup als Greis erkalten.
Fürwahr, den klugen Feind muß man für schädlich halten;
Doch ja so sehr den dummen Freund.
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