Friedrich von Hagedorn
Versuch in poetischen Fabeln und Erzehlungen
Der schöne Kopf
eingestellt: 28.6.2007
Ja, ja, es reizt auch mich dieß blühende Gesicht,
Auch ich empfinde selbst die Kraft von diesen Blicken.
Der Mund, das Auge kann entzücken,
Und wer verehrt den vollen Busen nicht,
Der alles das an Liebreiz übersteiget,
Was Paris ie gesehn und Venus ie gezeiget?
Doch Phryne schwatzt und scherzt. Mein erster Trieb wird kalt.
Ihr
lächerlicher Witz, ihr unerträglich Scherzen
Verliert die schon gefangnen Herzen:
Ich merke kaum die täuschende Gestalt.
Es wird ihr Sieg befördert und gestöret,
So oft man sie erblickt, so oft man sie gehöret.
Mein Freund, dir ist gewiß Aesopus noch bekannt,
Der klügste Phrygier, der uns vom Fuchs erzehlet,
Daß er ein Bild, dem nichts gefehlet,
Den schönsten Kopf, bey einem
Künstler fand.
Er rief: Wie schön ist Auge, Mund und Stirne!
Bewundernswerther Kopf, ach hättest du Gehirne!1)
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